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Auch an anderen wichtigen Positionen seines Stabes musste Hitchcock auf vertraute Mitarbeiter verzichten. |
"Der zerrissene Vorhang" fällt handwerklich und dramaturgisch gegenüber Hitchcocks letzten Filmen deutlich ab und wurde von der Kritik durchweg verrissen. |
Universal forderte von ihm zeitgemäßere Themen ein. |
Als das von ihm und Howard Fast detailliert ausgearbeitete Drehbuch über einen homosexuellen Frauenmörder abgelehnt wurde, zog er sich für ein Jahr ins Privatleben zurück. |
Anfang 1968 entschloss er sich unter dem Druck der langen Pause seit dem letzten Film und der noch längeren Zeitspanne seit dem letzten Erfolg, den Spionageroman "Topas" von Leon Uris zu verfilmen, dessen Rechte Universal kurz zuvor erworben hatte. |
"Topas" wurde dann fast ausschließlich mit europäischen Schauspielern besetzt und völlig ohne Hollywood-Stars. |
In Europa waren die Französinnen Dany Robin und Claude Jade wie ihre Landsmänner Michel Piccoli und Philippe Noiret und die deutsche Aktrice Karin Dor Stars; die für amerikanische Zuschauer bekanntesten Gesichter waren der Fernsehschauspieler John Forsythe und der aus Kanada stammende John Vernon. |
Das endgültige Drehbuch wurde erst während der laufenden Dreharbeiten geschrieben, der Schluss nach einer katastrophalen Preview improvisiert. |
Publikum und Kritik reagierten mit Ablehnung auf Hitchcocks bis dahin teuersten Film, doch er zeigte sich zuversichtlich: „Ich habe meinen letzten Film noch nicht gedreht. |
"Topas" ist mein 51. |
Film, aber wann ich meinen letzten Film drehen werde, ist von mir, meinen Finanziers und Gott noch nicht entschieden worden.“ Im Spätsommer 1970 nahm Hitchcock sein nächstes Projekt in Angriff und reiste dafür wieder in seine Heimat, wo er diesmal begeistert empfangen wurde. |
"Frenzy" (1972) spielt in London, dem Hitchcock eine liebevolle Hommage erweist, und ist in seinen Worten „die Geschichte eines Mannes, der impotent ist, und sich deshalb durch Mord ausdrückt“. |
Zunächst verliefen die Drehbucharbeit und auch die Dreharbeiten, die Hitchcock so ernst nahm wie lange nicht mehr, weitgehend reibungsfrei. |
Doch als seine Frau Alma einen Herzinfarkt erlitten hatte, wurde Hitchcock müde und untätig; die Crew war, ähnlich wie bei den drei vorangegangenen Filmen, wieder weitgehend auf sich alleine gestellt. |
Dennoch wurde "Frenzy", ein brutaler, zum Teil bitterer, von tiefschwarzem britischen Humor durchzogener Film, ein großer Erfolg. |
Nur in England war man enttäuscht und bemängelte vor allem die anachronistisch wirkende Darstellung Londons und des britischen Lebens. |
Der letzte Film. |
Im Frühjahr 1973 entschloss sich Hitchcock, den Roman "The Rainbird Pattern" von Victor Canning zu verfilmen. |
Doch die Arbeit am Drehbuch mit Ernest Lehman "(Der unsichtbare Dritte)" ging diesmal nicht mehr so reibungslos vonstatten: Hitchcock war merklich müde geworden, seine körperlichen Schmerzen betäubte er zunehmend mit Alkohol. |
Zwei Jahre benötigte die Fertigstellung des Drehbuchs, so lange wie nie zuvor in seiner Karriere. |
Mit "Familiengrab," wie der Film schließlich hieß, kehrte Hitchcock zum scheinbar heiteren, diesmal jedoch morbid akzentuierten Unterhaltungsthriller zurück. |
Wie stets legte er Wert auf eine ausgeklügelte Bildsprache, die erneut mit Hilfe von Storyboards erarbeitet wurde. |
Die Dreharbeiten gestalteten sich reibungslos und in einer entspannten Atmosphäre. |
Hitchcock, der sich im Rahmen seiner gesundheitlichen Möglichkeiten mit einem lange nicht gezeigten Elan in die Dreharbeiten einbrachte, zeigte sich zu Neuerungen bereit: Er war offen für Improvisationen seiner Schauspieler und nahm noch während der Dreharbeiten Änderungen am Ablauf vor. |
Die Überwachung der Schnittarbeiten musste er weitgehend seinen Mitarbeiterinnen Peggy Robertson und Suzanne Gauthier überlassen, da sich sein Gesundheitszustand deutlich verschlechterte. |
Zudem erlitt Alma einen zweiten Schlaganfall. |
"Familiengrab" wurde nach seiner Premiere im Frühjahr 1976 überwiegend freundlich aufgenommen, und Hitchcock schöpfte aus der Sympathie, die ihm entgegenschlug, für kurze Zeit Kraft, neue Filmideen aufzugreifen. |
Sein erst Anfang 1978 in Angriff genommenes Projekt, die Verfilmung des Romans "The Short Night" von Ronald Kirkbride, wurde aufgrund seines sich weiter verschlechternden Gesundheitszustands jedoch etwa ein Jahr später von Universal gestoppt. |
Im März 1979 wurde er vom American Film Institute für sein Lebenswerk geehrt. |
Zwei Monate später schloss er sein Büro auf dem Gelände der "Universal"-Studios. |
Am 3. Januar 1980 wurde Hitchcock in den britischen Adelsstand erhoben. |
Am Morgen des 29. April 1980 starb Alfred Hitchcock im Alter von 80 Jahren in seinem Haus in Los Angeles an Nierenversagen. |
Seine Leiche wurde eingeäschert, die Asche an einem unbekannten Ort verstreut. |
Inhalte und Formen. |
In rund fünfzig Jahren hat Alfred Hitchcock dreiundfünfzig Spielfilme als Regisseur begonnen und beendet. |
Die weitaus größte Zahl dieser Filme gehört dem Genre des Thrillers an und weist ähnliche Erzählmuster und Motive auf, wiederkehrende Elemente, visuelle Stilmittel und Effekte, die sich wie ein roter Faden durch sein Gesamtwerk ziehen. |
Inhalt. |
Motive. |
Das Grundmotiv in Hitchcocks Filmen bildet meist die Angst der Protagonisten vor der Vernichtung ihrer (bürgerlichen) Existenz. |
Dabei bezieht sich diese Angst nicht nur auf Mörder, Gangster oder Spione, welche die bürgerliche Ordnung angreifen; die Hauptfiguren finden sich häufig in der Lage wieder, sogar von Vertretern des Gesetzes bedroht zu werden. |
Zu diesem Motiv der Angst kommt – Hitchcocks katholischer Prägung entsprechend – jenes von Schuld und Sühne hinzu. |
Der unschuldig Verfolgte in seinen Filmen ist „unschuldig, aber nur in Bezug auf das, was man ihm vorwirft.“ Das heißt, die Figur wird durch das, was ihr im Laufe des Filmes widerfährt, im übertragenen Sinne für andere Defizite oder Vergehen bestraft: In "Bei Anruf Mord" etwa wird die Hauptfigur des Mordes verdächtigt; tatsächlich musste sie aus Notwehr töten. |
Das folgende Unheil kann jedoch als Strafe für den von ihr begangenen Ehebruch angesehen werden. |
Eine Variation dieses Themas ist die Übertragung der Schuld auf eine andere Person. |
Unschuldige werden zu Schuldigen (oder Mitschuldigen) an Verbrechen anderer, da sie aus persönlichen Gründen nicht zur Aufklärung beitragen können. |
Zentral sind hierbei die beiden Filme "Ich beichte" und "Der Fremde im Zug", in denen die jeweiligen Protagonisten von Morden, die andere begangen haben, profitieren und, nachdem sie selbst unter Verdacht geraten, keine Möglichkeit haben, sich zu entlasten. |
In "Vertigo" macht der wahre Mörder die Hauptfigur durch ein Komplott zunächst scheinbar zum Schuldigen am Tod der ihr anvertrauten Person. |
Später macht sich das Opfer der Intrige tatsächlich am Tod der Frau schuldig, die er liebt. |
Falsche Verdächtigungen, aber auch ausgeprägte Schuldkomplexe, gehen bei Hitchcocks Filmen mit der Bedrohung der Identität einher. |
Seine traumatisierten oder verfolgten Figuren nehmen selbst falsche Namen an oder werden – aus unbekannten Gründen – für jemand anderen gehalten. |
Das Motiv des Identitätsverlusts spielt Hitchcock, angefangen von seinem ersten bis zu seinem letzten Film, in unterschiedlichsten Varianten durch, besonders einprägsam in "Vertigo": Die weibliche Hauptfigur wird zunächst im Rahmen eines Mordkomplotts in eine andere Person (die anschließend ermordet wird) verwandelt und nimmt daraufhin wieder ihre eigentliche Identität an, nur um anschließend wieder in die andere Person zurückverwandelt zu werden. |
Oft stehen Schuld und Bedrohung in Zusammenhang mit sexuellen Aspekten. |
In "Der Fall Paradin" genügt bereits der Gedanke an Ehebruch, um das Leben des Protagonisten zu gefährden. |
In "Berüchtigt" ist der Zusammenhang zwischen Sex, Schuld und Bedrohung zentrales Thema. |
Hitchcocks Verbindung von Sex und Gewalt wird in Mordszenen deutlich, die er oft wie Vergewaltigungen inszeniert, etwa der Schlusskampf zwischen Onkel und Nichte Charlie in "Im Schatten des Zweifels", die Scherenszene in "Bei Anruf Mord" und die Duschszene in "Psycho". |
Darüber hinaus spielt Sexualität gerade in abnorm empfundenen Erscheinungsformen eine große Rolle in seinem Werk. |
Aufgrund der Auflagen der Zensur werden jedoch Homosexualität, die in Verbindung mit Schuld und Verderben regelmäßig vorkommt, oder Nekrophilie (in "Vertigo") nur in einzelnen Gesten oder Schlüsselszenen angedeutet. |
Auch Fetischismus ("Erpressung", "Vertigo", "Psycho") und Voyeurismus ("Das Fenster zum Hof", "Psycho") spielen in seinen Filmen eine gewisse Rolle. |
In mehreren Filmen wird zudem ein erotischer Bezug der männlichen Hauptfiguren zu ihren Müttern angedeutet, etwa in "Psycho" und "Die Vögel". |
Zentral in diesem Zusammenhang ist "Berüchtigt". |
Hier verhalten sich Claude Rains und Leopoldine Konstantin in manchen Schlüsselszenen wie ein Ehepaar. |
Dieser Eindruck wird durch den geringen Altersunterschied der Schauspieler von nur vier Jahren verstärkt. |
Unter den in Hitchcocks Bildsprache verwendeten Symbolen finden sich Vögel als Vorboten des Unglücks (etwa in "Erpressung", später als vorherrschendes Thema in "Die Vögel"), Treppen, die Verlust oder Freiheit bedeuten können ("Berüchtigt", "Psycho", "Vertigo" und andere), sowie Handschellen und andere Fesseln, um Abhängigkeit und Ausgeliefertsein auszudrücken, meist im sexuellen Kontext (zum Beispiel in "Der Mieter"). |
Auch Spiegel tauchen bei Hitchcock regelmäßig auf – in Zusammenhang mit dem Verlust oder der Erkenntnis der eigenen Persönlichkeit oder als allgemeines Symbol für Täuschungen (einprägende Beispiele: "Vertigo" und "Psycho"). |
Figuren. |
Die meisten Protagonisten in Hitchcocks Thrillern sind Normalbürger, die zu Beginn der Geschichte in der Regel nichts mit kriminellen Machenschaften zu tun haben. |
Meist werden sie durch Zufall oder unbekannte Umstände in geheimnisvolle und bedrohliche Vorgänge gezogen. |
Dem Zuschauer wird so das beunruhigende Gefühl vermittelt, dass auch er jederzeit in derartige Situationen geraten könnte. |
Professionelle Agenten oder Spione findet man dagegen nur selten unter den Hauptfiguren, obwohl Hitchcock viele Filme drehte, die im Agentenmilieu spielen. |
Hitchcock drehte bis auf eine Ausnahme ("Erpressung", 1929) auch nie einen Film, in dem die Arbeit der Polizei im Mittelpunkt steht; aktive Polizisten tauchen ansonsten nur als Nebenfiguren und üblicherweise als Hindernis auf. |
Männliche Antihelden. |
Der Prototyp des Antihelden bei Hitchcock sind die von James Stewart gespielten Figuren: In "Cocktail für eine Leiche" muss der von Stewart dargestellte Lehrer erkennen, dass zwei seiner Studenten eine seiner Theorien zum Anlass nahmen, einen Mord zu verüben und diesen mit seinen Thesen zu rechtfertigen; am Ende steht er hilflos vor diesem menschlichen Abgrund, in den er nicht nur hineingezogen wurde, sondern den er sogar mit heraufbeschworen hat. |
In "Das Fenster zum Hof" stellt Stewart eine Figur dar, die bindungsscheu sowie körperlich beeinträchtigt und voyeuristisch veranlagt ist und dadurch in Schwierigkeiten kommt. |
Es gibt nur wenige positive, ungebrochene Helden bei Hitchcock. |
Ein Schauspieler, der diesen seltenen Rollentypus verkörperte, war Cary Grant in "Über den Dächern von Nizza" und in "Der unsichtbare Dritte". |
Diese Figuren meistern die Herausforderungen zwar mit Charme und Leichtigkeit, doch stehen sie in Verdacht, kriminell zu sein beziehungsweise verlieren sie zeitweise die Kontrolle, womit selbst sie keine gänzlich unantastbaren Helden sein können. |
Aber sogar Cary Grant spielte in zwei seiner Hitchcock-Filme Figuren, deren Schattenseiten sich zeitweise vor deren positive Merkmale schieben. |
Im Laufe der Karriere Hitchcocks gewinnen ambivalente oder gar negativ gezeichnete Hauptfiguren immer stärker an Gewicht. |
Diese "Antihelden" weisen physische oder psychische Probleme auf, sind Verlierertypen oder unsympathisch. |
Durch ihr obsessives Fehlverhalten wirken sie schwach und können Schaden anrichten. |
Diese Figuren dienen zwar kaum als Vorbild, doch soll deren ambivalente Persönlichkeit dazu beitragen, dass sich der Zuschauer in ihnen wiederfinden kann. |
Starke Frauen. |
In vielen Filmen bedient Hitchcock auf den ersten Blick das klassische Motiv der schwachen, zu beschützenden Frau. |
Doch während das Klischee verlangt, dass der strahlende Held sie rettet, ist sie bei Hitchcock oft auf sich alleine gestellt. |
In einigen Fällen ist der vermeintliche Beschützer schwach oder zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass er der bedrohten Frau helfen könnte, wie zum Beispiel Ingrid Bergman und Cary Grant in "Berüchtigt". |
In anderen Fällen geht von der männlichen Hauptfigur (in der Regel dem Ehemann) sogar ein tatsächliches oder vermeintliches Bedrohungspotential aus. |
Klassische Beispiele: Joan Fontaine und Cary Grant in "Verdacht" sowie Grace Kelly und Ray Milland in "Bei Anruf Mord". |
Die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau kehrt Hitchcock in einigen Filmen gänzlich um: Die Frau ist dem Mann, der zunehmend passiver wird, überlegen und wendet das Geschehen zum Guten. |
Beispiele sind "Jung und unschuldig" (die Tochter des Polizeichefs verhilft einem Verdächtigen zur Flucht und löst letztendlich den Fall), "Ich kämpfe um dich" (eine Psychologin dringt in das Unterbewusste des Mordverdächtigen ein und rettet ihn vor der sicheren Verurteilung) sowie "Der Mann, der zuviel wußte" (die Ehefrau verhindert zuerst einen geplanten Mord und rettet dann das eigene Kind vor den Verbrechern). |
Der Typ, der sich dabei im Laufe der Zeit herauskristallisierte, ist jener der jungen, schönen, kühlen, hintergründigen und undurchsichtigen Blondine. |
Die oberflächliche Kühle der Hitchcock-Blondine verbirgt jedoch eine stark entwickelte Sexualität. |
Besonders deutlich wird dies in "Der unsichtbare Dritte", wenn Eva Marie Saint zunächst gegenüber Cary Grant zweideutige Bemerkungen macht, dann plötzlich den völlig überraschten Fremden küsst und ihn ohne Zögern in ihrem Schlafwagenabteil unterbringt. |
Nicht der Mann, sondern die (blonde) Frau spielt hier den aktiven Part. |
Sympathische Schurken. |
Hitchcock legt durch seine Gestaltung von Figuren und Dramaturgie dem Zuschauer eine Identifikation mit dem Schurken nahe. |
Seine Antagonisten wirken zuweilen auffällig sympathisch und übertreffen mitunter die Ausstrahlung der Hauptfiguren. |
Oft konkurrieren Held und Bösewicht um dieselbe Frau; die Liebe des Gegenspielers erscheint dabei tiefer und aufrichtiger als die des Helden. |
Besonders auffällig ist dies in "Berüchtigt" (Claude Rains gegenüber Cary Grant) und in "Der unsichtbare Dritte" (James Mason wiederum gegenüber Cary Grant). |
Selbst ein ausgesprochen heimtückischer Schurke wie Ray Milland in "Bei Anruf Mord" wirkt in einzelnen Momenten gegenüber dem unbeholfenen Robert Cummings sympathischer, in jedem Fall jedoch gegenüber der Polizei vertrauenserweckender. |
Oft sind sie die eigentlichen Hauptfiguren, wie Joseph Cotten als charmanter Witwenmörder in "Im Schatten des Zweifels" oder Anthony Perkins als linkischer, von seiner Mutter gepeinigter Mörder in "Psycho". |