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Die Betonung des Visuellen im deutschen Expressionismus prägte seinen eigenen Umgang mit filmischen Mitteln.
Abgesehen von diesen stilistischen Einflüssen vermied es Hitchcock jedoch, Szenen oder Einstellungen bekannter Filme zu zitieren.
Als Ausnahme kann "Panzerkreuzer Potemkin" (1925) des sowjetischen Regisseurs Eisenstein angesehen werden.
In "Die 39 Stufen", "Über den Dächern von Nizza" und einigen weiteren Filmen erinnern die vor Entsetzen schreienden Frauen an Einstellungen aus der berühmten und oft zitierten Szene an der Hafentreppe in Odessa.
Es gibt außerdem in Hitchcocks Werk aus den 1940er und 1950er Jahren einige motivische und visuelle Überschneidungen mit der Gattung des Film noir, die den amerikanischen Kriminalfilm in jener Zeit bestimmte, etwa in "Im Schatten des Zweifels" und "Berüchtigt", und besonders in "Der falsche Mann", wo das Motiv der allgegenwärtigen Bedrohung der Hauptfiguren eine Rolle spielt.
Darüber hinaus bediente er sich gerne einer ähnlich kontrastreichen Bildgestaltung, die er sich in den Grundzügen allerdings bereits in den 1920er Jahren angeeignet hatte.
Auch "Vertigo" erinnert in der Grundkonstellation und der alptraumhaften Zwanghaftigkeit der Geschehnisse an einige Filme des Genres, wie zum Beispiel "Frau ohne Gewissen", hebt sich jedoch formal und stilistisch deutlich vom Film noir ab.
Als typischer Vertreter des Genres kann Hitchcock jedenfalls nicht angesehen werden.
Obsessionen und Vorwürfe wegen sexueller Belästigung.
Seine Vorliebe für Blondinen erklärte Hitchcock gegenüber Truffaut wie folgt: „Ich finde, die englischen Frauen, die Schwedinnen, die Norddeutschen und die Skandinavierinnen sind interessanter als die romanischen, die Italienerinnen und die Französinnen.
Der Sex darf nicht gleich ins Auge stechen.
Eine junge Engländerin mag daherkommen wie eine Lehrerin, aber wenn Sie mit ihr in ein Taxi steigen, überrascht sie Sie damit, dass sie Ihnen in den Hosenschlitz greift.“ Ähnlich äußerte er sich 1969 gegenüber "Look" über die Truffaut-Schauspielerin Claude Jade, die bei ihm in "Topaz" gespielt hatte: „Claude Jade ist eine eher ruhige junge Dame, doch für ihr Benehmen auf dem Rücksitz eines Taxis würde ich keine Garantie übernehmen“.
Dass Hitchcock zu seinen jungen blonden Schauspielerinnen ein besonderes Verhältnis hatte und ihnen mehr Aufmerksamkeit widmete als allen anderen, war schon früh bekannt.
Die Sorgfalt, mit der Hitchcock bereits in den 1930er und 1940er Jahren Madeleine Carroll, Carole Lombard und insbesondere Ingrid Bergman in Szene setzte, entwickelte sich mit der Zeit zu einer sich steigernden Verquickung privater und beruflicher Interessen, die sich zu einer Obsession ausweitete.
Mit Vera Miles probte er die Nervenzusammenbrüche, welche sie in "Der falsche Mann" darstellen sollte, wochenlang jeweils mehrere Stunden täglich.
Für sie wie für Kim Novak ließ er von der Kostümbildnerin eine komplette Garderobe schneidern, die für ihr privates Leben gedacht war.
Tippi Hedren "(Die Vögel)" behauptete, er habe sie sogar von zwei Crew-Mitgliedern beschatten lassen und begonnen, ihr Vorschriften für ihr Verhalten im Privatleben zu machen.
Hedren warf in ihrer Biografie 2016 Hitchcock vor, sie mehrfach sexuell belästigt zu haben, und bezeichnete ihn als pervers.
Er habe sie für sich völlig vereinnahmen wollen, sich auf sie geworfen und begrapscht.
Weiter drohte er ihr ihre Karriere zu ruinieren, wenn sie nicht kooperieren würde.
Diese Vereinnahmung hatte ihren Höhepunkt in sich über Tage hinziehenden Aufnahmen von auf sie einstürzenden, echten Vögeln.
Nach einem eindeutigen, erfolglosen Annäherungsversuch während der Arbeiten zu "Marnie" kam es schließlich zum Bruch.
Die zuvor offen bekundete Zuneigung schlug ins Gegenteil um, und Hitchcock ließ keine Gelegenheit aus, Tippi Hedren bei anderen herabzusetzen.
Sie blieb die letzte typische „Hitchcock-Blondine“.
Zwar hielt sich Hitchcock darüber stets äußerst bedeckt, doch es gilt als gesichert, dass der Regisseur sich von diesen Schwierigkeiten lange nicht erholen konnte und in seiner kreativen Schaffenskraft beeinträchtigt war.
Ebenso gelten Filme wie "Vertigo" und "Berüchtigt", aber auch "Marnie" oder "Im Schatten des Zweifels", die von neurotischen Männern handeln, die Frauen manipulieren, als stark autobiographisch.
Auch die Verbindung zwischen Sex und Gewalt faszinierte Hitchcock, was vor allem in seinen späteren Werken immer deutlicher zutage tritt.
Mehrfach inszenierte er vollendete oder versuchte Vergewaltigungen (schon früh in "Erpressung", später dann in "Marnie" und "Frenzy").
In drei nicht realisierten Projekten sollten Vergewaltiger oder Vergewaltigungen eine zentrale Rolle spielen.
Morde inszenierte er einige Male als Vergewaltigungen, mit dem Messer als Phallus-Symbol.
Doch auch der Tod durch Erwürgen oder Strangulieren übte eine gewisse Faszination auf ihn aus.
Einige Würgeszenen gehören zu den bemerkenswertesten Mordszenen seiner Karriere, etwa in "Cocktail für eine Leiche", "Bei Anruf Mord", "Der zerrissene Vorhang" und "Frenzy".
Sich selbst ließ er oft in „Würgerposen“ ablichten.
Ähnlich offen kokettierte Hitchcock zeit seines Lebens mit seiner panischen Angst vor der Polizei.
Hitchcock erzählte gerne, dass er mit fünf Jahren, nachdem er etwas angestellt hatte, von seinem Vater mit einem Zettel auf das nahegelegene Polizeirevier geschickt worden sei.
Der Polizist las den Zettel und sperrte Alfred für fünf oder zehn Minuten in eine Zelle mit dem Kommentar, dies würde die Polizei mit ungezogenen Jungen so machen.
In seinen Filmen geht von Polizisten stets eine latente Gefahr aus.
Zu der Frage, inwieweit das von Hitchcock in seinen Filmen transportierte Bild der besitzergreifenden Mutter von der eigenen Mutter geprägt ist, gab es von ihm selbst keinerlei Aussagen.
Das wenige, was man aus seiner Kindheit weiß, legt jedoch autobiographische Ursprünge nahe.
Hitchcocks Mutter starb nach langer Krankheit im August 1942 während der Dreharbeiten zu "Im Schatten des Zweifels".
Dieser bereits von vornherein stark autobiographisch geprägte Film nimmt eindeutig Bezug auf Hitchcocks Verhältnis zu ihr: Der Name Emma scheint nicht die einzige Gemeinsamkeit zwischen ihr und der dominanten Mutterfigur im Film zu sein.
Zudem ist im Film noch von einer anderen gebieterischen, jedoch kranken Mutter die Rede – jener des Krimi-Besessenen Herb Hawkins, der wiederum als Selbstprojektion Hitchcocks gilt.
Auffallend oft sind Toiletten in Hitchcocks Filmen zu sehen oder zu hören, in denen konspirative Dinge irgendwelcher Art stattfinden.
Laut seinem Biographen Donald Spoto hatte er eine „pubertäre Fixierung“, die in seiner viktorianischen Erziehung begründet lag.
Hitchcock äußerte sich zwar oft und gerne über menschliche Körperfunktionen, wollte aber den Eindruck erwecken, er selbst habe mit solchen Dingen nichts zu tun.
Bezugnehmend auf seine Körperfülle, deutete Hitchcock hingegen mehrfach an, dass für ihn Essen eine Art Ersatzbefriedigung sei.
So gibt es in einigen Hitchcockfilmen eine symbolische Verbindung von Essen, Sex und Tod.
Zensur.
In den USA galt zwischen 1934 und 1967 der "Hays Code", auch "Production Code" genannt, eine Sammlung von Richtlinien über die Einhaltung der gängigen Moralvorstellungen und über die Zulässigkeit der Darstellung von Kriminalität, Gewalt und Sexualität im Film.
So musste Hitchcock zum Beispiel das geplante Ende für "Verdacht" fallen lassen, weil es Anfang der 1940er Jahre nicht möglich war, den Selbstmord einer schwangeren Frau zu zeigen.
Noch bis kurz vor Schluss der Dreharbeiten hatte er kein passendes Ende für den Film gefunden.
In "Berüchtigt" musste Hitchcock einen Dialog streichen, in dem sich ein Vertreter der US-Regierung positiv über die Möglichkeit einer Ehescheidung äußerte.
Bei "Saboteure" drehte er politisch heikle Textstellen zur Sicherheit alternativ in entschärften Versionen.
Doch in vielen Fällen gelang es ihm, die Beschränkungen durch die Zensur kreativ zu umgehen.
So war es damals unter anderem nicht erlaubt, eine Toilette zu zeigen.
Daher verzerrte Hitchcock in "Mr.
und Mrs.
Smith" die eindeutigen Geräusche einer Toilette so, dass man sie für eine Dampfheizung halten konnte.
In "Psycho" zeigte er eine Toilette, in der ein Papierzettel hinuntergespült wurde.
Indem er das Bild der Toilette mit einer dramaturgischen Funktion versah – das Verschwinden eines Beweisstücks musste erklärt werden – verhinderte er, dass die Szene geschnitten wurde.
Niemals wurde eine Toilette zu Zeiten des Hays Code expliziter gezeigt.
Da auch die Länge von Küssen im Film damals auf drei Sekunden begrenzt war, inszenierte Hitchcock den Kuss zwischen Ingrid Bergman und Cary Grant in "Berüchtigt" als Folge von einzelnen, durch kurze Dialogsätze unterbrochenen Küssen.
Hitchcocks größter Sieg gegen die Zensur war die Schlussszene von "Der unsichtbare Dritte": Cary Grant und Eva Marie Saint befinden sich in einem Schlafwagen.
Er zieht sie zu sich nach oben in das obere Bett, und sie küssen sich.
Es erfolgt ein Umschnitt, und man sieht einen Zug in einen Tunnel rasen – eine der explizitesten Andeutungen des Sexualakts in einem US-Film zu Zeiten des "Production Code".
Arbeitsweise.
Einer der wichtigsten Aspekte der Arbeitsweise Alfred Hitchcocks war, dass er im Idealfall von der Stoffauswahl bis zum Endschnitt nichts dem Zufall überließ, sondern die völlige Kontrolle über die Herstellung des Films beanspruchte.
Wenn Hitchcock existierende Vorlagen benutzte, etwa Romane oder Bühnenstücke, übernahm er nur einzelne Grundmotive der Handlung und entwickelte daraus zusammen mit dem jeweiligen Drehbuchautor oft eine völlig neue Geschichte.
Hochwertige, komplexe Literatur sperrte sich gegen diesen Umgang und Hitchcock scheute daher deren Verfilmung – auch aus Respekt vor dem Werk.
Hitchcock war meist an der Drehbucherstellung beteiligt, wurde aber nach 1932 bei keinem seiner Filme offiziell als Autor in Vor- oder Abspann erwähnt: „Ich will nie einen Titel als Produzent oder Autor.
Ich habe das Design des Films geschrieben.
Mit anderen Worten, ich setze mich mit dem Autor zusammen und entwerfe den ganzen Film vom Anfang bis zum Ende.“ Der Autor Samuel A. Taylor: „Mit ihm zu arbeiten, bedeutete auch mit ihm zu schreiben, was auf die wenigsten Regisseure zutrifft.
Hitchcock behauptete nie, selbst ein Schriftsteller zu sein, aber in Wahrheit schrieb er doch seine eigenen Drehbücher, denn er sah bereits jede Szene deutlich in seinem Kopf vor sich und hatte eine sehr genaue Vorstellung davon, wie sie ablaufen sollte.
Ich merkte, dass ich nur noch die Figuren persönlicher und menschlicher zu gestalten brauchte und sie weiter entwickeln musste.“ Gelegentlich veränderte Hitchcock im Nachhinein noch die Dialoge ganzer Szenen, etwa um die Spannungs-Dramaturgie zu verbessern (Beispiel: "Das Rettungsboot") oder um autobiographische Bezüge einzubauen (Beispiel: "Ich beichte").
Auch wenn ihm geschliffene Dialoge wichtig waren, legte Hitchcock sein Hauptaugenmerk stets auf die Ausdruckskraft der Bilder.
So wurde im Idealfall jede einzelne Einstellung des Films vor Drehbeginn in Storyboards festgelegt.
Seit Beginn seiner Regisseurtätigkeit verfolgte er das Ziel, jegliche Improvisation so weit es geht zu vermeiden.
Gegenüber Truffaut erklärte er: „Ich habe Angst davor gehabt, im Atelier zu improvisieren, weil, selbst wenn man im Augenblick Ideen hat, bestimmt keine Zeit bleibt nachzuprüfen, was sie taugen.
[… Andere Regisseure] lassen ein ganzes Team warten und setzen sich hin, um zu überlegen.
Nein, das könnte ich nicht.“ Nach eigenen Aussagen bereitete Hitchcock die Planung eines Projekts mehr Freude als die eigentlichen Dreharbeiten: Durch zu viele Einflüsse – Produzenten, Technik, Schauspieler, Zeitdruck – sah er die angestrebte Kontrolle über sein Werk bedroht.
Außerdem sah er im Idealfall die kreative Arbeit am Film mit Beginn der Dreharbeiten als abgeschlossen an: „Ich drehe einen vorgeschnittenen Film.
Mit anderen Worten, jedes Stück Film ist entworfen, um eine Funktion zu erfüllen.“ Diese Grundsätze waren jedoch eher eine Idealvorstellung Hitchcocks.
Tatsächlich wurde es ihm spätestens ab 1948 zur Gewohnheit, beim Drehen Alternativen auszuprobieren.
Doch auch hier bemühte er sich um möglichst exakte Vorausplanung: Ein Beispiel hierfür ist die Belagerung des Hauses durch die Vögel in "Die Vögel".
Gegenüber Truffaut beschrieb Hitchcock, wie er die ursprünglich geplante Szene noch unmittelbar am Drehort umschrieb und bis ins kleinste Detail skizzierte, so dass sie kurz darauf entsprechend diesen neuen Entwürfen gedreht werden konnte.
Darüber hinaus wurde Hitchcock im Laufe seiner Karriere immer freier, auch kurzfristig vom festgelegten Drehbuch abzuweichen.
Entgegen seinen Gewohnheiten ließ er sogar Improvisationen der Schauspieler zu, wenn auch nur bei eher unwichtigen Szenen.
Bill Krohn ging 1999 in "Hitchcock at Work" ausführlich auf Hitchcocks Arbeitsweise ein.
Er rekonstruierte auf Basis von Originalunterlagen wie Drehbuchversionen, Skripte, Storyboards, Memos, Produktionsnotizen etc. und mit Hilfe von Beteiligten die Produktionsgeschichte diverser Filme (darunter Hitchcocks berühmteste) und widerlegt Hitchcocks Bekenntnis zum „vorgeschnittenen Films“: So kam es bei vielen Filmen vor, dass Hitchcock entscheidende Schlüsselszenen in verschiedenen Varianten drehte und meist erst im Schneideraum über die endgültige Form einzelner Szenen entschied.
Mitarbeiter.
Im Laufe der Jahre entwickelte sich mit verschiedenen Autoren eine besonders kreative Zusammenarbeit.
Hervorzuheben sind Eliot Stannard, Angus MacPhail, Charles Bennett, Ben Hecht und John Michael Hayes.
Obwohl Samuel A. Taylor "(Vertigo)" und auch Ernest Lehman "(Der unsichtbare Dritte)" nur je zwei Drehbücher zu tatsächlich realisierten Filmen schrieben, gehörten sie zu den wenigen Mitarbeitern, die mit ihm in den letzten Jahren seiner Karriere regelmäßig zusammenarbeiteten und bis kurz vor seinem Tod Kontakt hatten.
Doch auch mit namhaften Theater- oder Romanautoren arbeitete Hitchcock mehrfach bei der Drehbucherstellung zusammen, reibungslos mit Thornton Wilder und George Tabori, konfliktbeladen mit John Steinbeck, Raymond Chandler und Leon Uris.
Der Kult, den Hitchcock gern um seine Person betrieb, und sein manchmal diktatorischer Stil, führte auch zu Konflikten mit befreundeten Autoren.
John Michael Hayes, der im Streit von Hitchcock schied: „Ich tat für ihn, was jeder andere Autor für ihn tat – ich schrieb!
Wenn man aber Hitchcocks Interviews liest, kann man den Eindruck bekommen, er habe das Drehbuch geschrieben, die Charaktere entwickelt, die Motivation beigesteuert.“ Wenn Hitchcock mit der Arbeit eines Autors nicht zufrieden war, oder wenn er seine Autorität angegriffen fühlte, dann ersetzte er Autoren kurzerhand durch andere.
Cary Grant und James Stewart wurden innerhalb der jeweils vier Filme, die sie für Hitchcock drehten, zu Hitchcocks Alter Ego.
Grant wurde zu dem, „was Hitchcock gerne gewesen wäre“, wie es Hitchcocks Biograph Donald Spoto formulierte, während Stewart vieles wäre, „von dem Hitchcock dachte, er sei es selbst“.
Mit einigen seiner Schauspieler verband Hitchcock zudem eine langjährige persönliche Freundschaft, allen voran mit Grace Kelly.