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Zum zweiten Mal in seiner Geschichte ging Zypern in den Besitz Englands über. Das ist eine bemerkenswerte Tatsache, denn die Engländer haben bis heute das einmalige Privileg, die einzige fremde Macht zu sein, die zweimal über Zypern herrschte. 1191 gelangte Zypern zufällig und durch einen Krieg unter Englands Kontrolle und wurde anschließend innerhalb weniger Monate zu einem ansehnlichen Preis verkauft. 1878 (687 Jahre später) wurde es mit diplomatischen Mitteln übernommen und blieb 82 Jahre unter der englischen Krone. Lord Salisbury zufolge (damals Außenminister) hielten es die Briten, die ihre wirtschaftlichen und strategischen Interessen verteidigen wollten, für richtig, “einen weiteren Schutzdamm hinter dem geborstenen türkischen Wellenbrecher zu errichten”.
Eine Kombination von Faktoren, wie die allgemeine europäische Beunruhigung über die Verschlechterung der Lage des “kranken Europäers” (Osmanisches Reich), den russisch-türkischen Krieg von 1877 (der am 3.März 1878 zum Vertrag von San Stefano führte) und vielleicht besonders über die “Vorwärts”-Politik von Disraeli (dem ersten jüdischen Premierminister Englands), führten zur Abtretung der Insel.
So wurde der Mythos von der Einnahme Zyperns Wirklichkeit und Notwendigkeit. Am 10.Mai wurde ein Vertragsentwurf an Sir Austen Henry Layard gesandt, dem britischen Botschafter in Konstantinopel, mit der Anweisung, Verhandlungen aufzunehmen, sobald das Signal aus London käme. Sechs Tage später genehmigte das britische Kabinett das geplante Abkommen und sobald klar wurde, dass Russland darauf bestehen würde, Kars und Batum zu behalten, erhielt Layard am 23.Mai Anweisungen, dem Sultan den Vertragsentwurf zu unterbreiten. Diesem wurde eine Frist von 48 Stunden gesetzt, um ihn anzunehmen oder abzulehnen. Wie hätte er ablehnen können? Vier Tage zuvor hatte er in der Tat ein Telegramm nach London gesandt mit der Bitte um Hilfe, Geld und Bündnis.
Am 25.Mai willigte der Sultan, der unter schweren Depressionen litt und erleichtert war angesichts der Tatsache, dass nur Zypern von ihm gefordert wurde, während eines Interviews mit Layard zufrieden ein. Layards amtlichen Unterlagen zufolge war Abdul Hamid II. bei diesem Anlass, anders als bei früheren Audienzen, von einer großen Wache umgeben, weil ihm zu Ohren gekommen war, dass Layard ihn töten wolle. Doch angesichts der englischen Drohung, sich nicht weiter gegen den Vormarsch Russlands einzusetzen, sowie keine weiteren Bemühungen gegen die Teilung seines Reiches zu unternehmen – in einer Phase im Juni 1878 hegten die Türken den Verdacht, dass es ein geheimes Abkommen zwischen England, Österreich und Russland zur Teilung ihres Landes gegeben habe – hatte der Sultan keine Einwände und der Vertrag wurde am 4.Juni unter Geheimhaltung unterzeichnet. Seine Veröffentlichung auf dem Berliner Kongress im Jahre 1878 war für die Welt der Diplomatie wie ein Donnerschlag.
Der erste Schritt beim Übergang Zyperns von der türkischen zur britischen Herrschaft war die Unterzeichnung der Konvention zum Verteidigungsbündnis zwischen beiden Ländern im Hinblick auf die asiatischen Provinzen der Türkei (bekannt als Zypern-Konvention) unter folgenden Bedingungen:
“Wenn Batum, Ardahan, Kars oder irgendein Teil dieses Gebietes durch Russland einbehalten wird, und wenn Russland irgendwann in Zukunft den Versuch unternimmt, andere Ländereien des Großsultanats in Asien an sich zu reißen, wie im endgültigen Friedensvertrag festgelegt, wird sich England mit Seiner Majestät dem Sultan verbünden, um diese unter Einsatz von Waffen zu verteidigen. Im Gegenzug verspricht seine Majestät der Sultan England, die später zwischen beiden Mächten festzulegenden erforderlichen Reformen in der Verwaltung dieser Gebiete und zum Schutze der Christen und anderen Untertanen der Hohen Pforte durchzuführen. Und damit England in der Lage ist, die notwendigen Maßnahmen zur Einhaltung seiner Verpflichtungen zu ergreifen, willigt Seine Majestät der Sultan ein, die Insel Zypern abzutreten, damit diese von England besetzt und regiert wird.”
Das war der 1.Artikel der Zypern-Konvention, die am 4.Juni im Sultanspalast von Yeldiz unterzeichnet wurde. Zusätzlich wurde am 1.Juli ein Anhang mit sechs Bedingungen unterzeichnet. Die wichtigsten davon (die dritte und sechste) lauten:
“England wird der Hohen Pforte den aktuellen Einkommensüberschuss gegenüber den Ausgaben auf der Insel zahlen. Dieser Überschuss wird in Übereinstimmung mit dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre berechnet und festgelegt.
Wenn Russland der Türkei Kars und die anderen Eroberungen, die es im letzten Krieg in Armenien gemacht hat, zurückerstattet, wird England die Insel Zypern räumen und die Konvention vom 4.Juni 1878 ist beendet.”
So willigte der Sultan im Gegenzug zum Schutz des verschuldeten Sultanats, einen Tribut von etwa 92 800 Sterlings und, wie sich herausstellte (wenn auch unbestätigt) 4 166 220 Okes (oder 10 865 416 Lbs) Salz pro Jahr ein, dass Großbritannien Zypern besetzte und verwaltete.
Zusätzlich sollte ihm die Insel, laut Artikel sechs, zurückerstattet werden. Das war eine nichtssagende Bedingung, die nur wenige ernst nahmen. Selbst diejenigen, die an deren strategischer Bedeutung zweifelten, und das waren nicht wenige, beschrieben sie als “ein Versprechen völlig illusorischer Art”. Zweifellos kontrollierte Zypern die Zufahrt zum Suez-Kanal (die Regierung Ihrer Majestät erlangte 1875 etwa die Hälfte der Aktien der Suez Canal Company), zu den Küsten Palästinas und Syriens und den südlichen Provinzen Kleinasiens. Mit Gibraltar (1713) im westlichen Mittelmeer, Malta (1814) in der Mitte und nun Zypern (dem “Schlüssel zu Westasien”) wurde seine Umgestaltung in einen entfernten britischen See vollendet. Dennoch kehrte Zypern mit der Besatzung Ägyptens, wenn auch nur vorübergehend, in die Rolle eines “verschlafenen Urlaubsorts” zurück.
Ein Zusatzvertrag zur Konvention, der am 14.August 1878 unterzeichnet wurde, konsolidierte die britische Herrschaft über die Insel. So setzte Großbritannien, als Russland am 16.März 1921 zwei der drei in der Konvention genannten armenischen Gebiete (Ardahan und Kars, jedoch nicht Batum) zurückerstattete, die Kontrolle über Zypern fort. Weiterhin erkannten sowohl Griechenland als auch die Türkei 1923 die britische Herrschaft über die Insel an und zwei Jahre später wurde sie zur Kronkolonie erklärt.
Zypern kam also 1878 unter britische Herrschaft. Was als nächstes anstand, war die Stationierung eines britischen Kontingents auf der Insel. Diese Aufgabe erfüllte Vizeadmiral Lord John Hay, der in der ersten Juli-Woche die Bucht von Larnaka in Augenschein nahm. Doch sein Aufenthalt war nur von kurzer Dauer. Am 22.Juli 1878 legte Sir Garet Wolseley um 7.30 Uhr mit dem Kriegsschiff Himalaya an und verließ gegen 17.35 Uhr mit etwa 1500 Soldaten das Schiff. Um 18 Uhr begab er sich zum Kania Khanate von Larnaka und gab dort Anweisungen zur Veröffentlichung einer Proklamation, mit der die Königin versicherte, dass sie der Insel Wohlstand wünsche und es ihr Wunsch sei, Handel und Landwirtschaft zu fördern und auszubauen und dem Volk die Vorzüge von Freiheit, Gerechtigkeit und Sicherheit zu schenken. Das Edikt wurde auf Englisch, Griechisch und Türkisch verkündet mit großem Beifall aufgenommen. In der Tat sahen die Griechen der Insel in der Ablösung des muslimischen Reichs durch ein christliches die goldene Brücke, die schließlich zur Vereinigung Zyperns mit Griechenland führen würde. Die Führung der Inselgriechen (vorwiegend Freiberufler und Geistliche) begrüßten die neue Verwaltung als Wendepunkt in den zyprischen Angelegenheiten und begannen, höhere Ziele zu setzen: Selbstverwaltung, Autonomie, Selbstbestimmung und schließlich Vereinigung mit Griechenland. Die 50er und die darauffolgenden Jahre spiegelten die Visionen der wenigen Erleuchteten des 19. Jahrhunderts wider.
Mit der dem sogenannten “Diebesvertrag” erlangte Großbritannien de facto, wenn nicht de jure, die Souveränität über Zypern. Die Zyprer erhielten die Staatsangehörigkeit erst nach 1914, als die Insel annektiert wurde. Dennoch fand sich die Insel, wie Winston Churchill am 19.Oktober 1907 betonte, “verfallen und auf dem Boden liegend durch die jahrhundertelange Misswirtschaft” in britischen Händen wieder. Folglich waren überall Verbesserungen vonnöten. Zahlreiche Probleme mussten gelöst werden:
1. Die Ländereien des Sultans und andere Eigentumsfragen riefen massiven Widerstand hervor, ein langer Zeitraum war notwendig und viel Energie wurde aufgewendet, bis sie schließlich geklärt wurden.
2. Die Steuerfragen überstiegen jedes Verständnis. Der Auflösungsprozess der Konten der abgetretenen Verwaltung wurde durch die Bemühungen der Türken erschwert, die Bilanz in den Schatzkammern so gut wie möglich darzustellen. Dies zu tun, war in ihrem Interesse, denn der jährliche Tribut wurde auf der Grundlage des durchschnittlichen Überschusses der letzten fünf Jahre berechnet. Außerdem mussten die Steuern zur Deckung der Kosten des russischen Krieges verdoppelt werden. Das bereitete den Beamten weitere Probleme, die die schwierige Aufgabe hatten, immer mehr von den zyprischen Bauern einzutreiben, die unter größten Entbehrungen lebten. In seinen Betrachtungen über den praktischen Zerfall des türkischen Verwaltungsapparates schrieb Wolseley am 10.Februar 1879 an Leyard und erklärte, dass der Sultan die Wirtschaft fähigen Engländern hätte anvertrauen müssen, die in kurzer Zeit seinem Reich wieder zu Wohlstand verholfen hätten.
3. Die Frage nach Privilegien war auch ein beliebtes Thema. Sowohl Wolseley als auch dessen Nachfolger Sir Robert Biddulph informierten ihre Vorgesetzten in London, dass die Bauern recht zufrieden waren, doch nicht die privilegierten Klassen, die in den Genuss von Steuerbefreiungen kamen. Die Bischöfe, die von der letzten Verwaltung als Steuereintreiber eingesetzt worden waren, hatten von den armen Bauern ein großes Vermögen eingetrieben. Das wurde nach 1878 beendet. Dennoch kam neue Unzufriedenheit auf, die schließlich eine große Rolle bei der wachsenden Bewegung für die Vereinigung mit Griechenland spielte.
4. Neopotismus, Bestechungen und Korruption gediehen und entglitten jeder Kontrolle. Wolseley erklärte, dass die Beamten nach ihrer Berufung unzuverlässig, unaufrichtig und arrogant wurden. Unter diesen Bedingungen versank die Verwaltung der Insel in völliger Lethargie. Jemand mit einer starken Hand wurde gebraucht, um “ihre Energie zu wecken und ihren Wohlstand herbeizuführen”. Doch nach einem deutlichen Hinweis von Whitehall, begann Wolseley mit der Säuberung und nicht mit der Abschaffung der türkischen Institutionen. Die Erklärung der Briten war natürlich die Ungewissheit über die Amtszeit. Eine seiner ersten Amtshandlungen war also, die türkischen Kaimakane durch sechs britische Beamte zu ersetzen, welche die sechs Distrikte verwalteten, in die die Insel unterteilt war. Man muss dazu sagen, dass ein großer Erfolg der britischen Besatzung die Ausmerzung der Korruption aus allen staatlichen Ämtern war.
5. Recht und Ordnung. Wolseley behauptete, dass sein Motto die unparteiische Gerechtigkeit sei und verwies als Beispiel auf die Tatsache, dass er in den ersten drei Monaten einen Steuereintreiber wegen Unterschlagung, einen griechischen Geistlichen, der sich weigerte, Steuern zu zahlen, und einen maltesischen Antiquitätenjäger, der gegen das Gesetz verstoßen hatte, ins Gefängnis gebracht hatte. Er bestand auch darauf, eine große Anzahl türkischer Strafgefangener umgehend abzuschieben, deren Verbleib auf der Insel so unerwünscht wie gefährlich war. Im Wesentlichen glichen die Gefängnisse der Insel Strafvollzugseinrichtungen mit den Schwerverbrechern des Sultanats.
6. Natürlich konnten Naturkatastrophen wie Erdbeben nicht verhindert werden, doch der schlechte Gesundheitszustand der Einwohner und Seuchen wie die Rinderkrankheit (eine Epidemie brach 1879/80 aus) und die Zerstörung der Ernte durch Heuschrecken (für deren Bekämpfung zwischen 1881 und 1885 hohe Beträge ausgegeben wurden) hätten mit den geeigneten Personen und Mitteln bekämpft werden können.
7. Analphabetismus und folglich Untätigkeit waren eher die Regel als die Ausnahme. Die wenigen Kinder, die eine Bildung erhielten, waren gezwungen, sich dafür fast ausschließlich auf private Spenden und religiöse Einrichtungen zu stützen.
8. Charles F.Watkins (Konsul Ihrer Majestät auf Zypern) informierte Leyard am 5.März 1878, dass der Gouverneur Zyperns ein Telegramm aus Konstantinopel erhalten habe, demzufolge 3000 Flüchtlinge von dort in Richtung Zypern ausgelaufen seien. Die Nachricht über deren mögliche Ankunft zwischen dem 5. und 7. März sorgte bei den Einwohnern Larnakas und Nikosias für große Besorgnis. In Nikosia beklagten sich der Erzbischof und die wohlhabenden griechischen Bürger über die Möglichkeit, dass ihnen die Landung erlaubt würde, doch ohne Erfolg. Es ist unklar, was mit diesen “neuen” Ankömmlingen geschehen ist.
9. Verschiedene Probleme. Dazu zählten Zölle (anfänglich wurden sie direkt an die Hohe Pforte gezahlt), Währung, religiöses Vermögen, Ernten und andere finanzwirtschaftliche Fragen. In einer Phase wurden die Zyprer zur türkischen Armee eingezogen, wenn sie keine Kopfsteuer bezahlten.
Mit diesen und anderen Problemen musste sich Wolseley neben den alltäglichen Angelegenheiten befassen, mit denen sich jede neue Verwaltung auseinanderzusetzen hatte.
Im Zeitraum zwischen 1878 und 1914 (von der Besatzung bis zur völligen Abtretung) standen vier große Themen im Mittelpunkt: das griechische Ideal oder die Megali Idea (große Idee), das Erscheinen der Verfassung, große Erwartungen aber auch ein langsamer wirtschaftlicher Aufschwung, und die Dispute der Kirche. Eine Untersuchung der ersten drei ist ausreichend:
Der Kampf um die Vereinigung mit dem griechischen Festland (Enosis), der schon lange vor der britischen Besatzung begonnen hatte, war von Anbeginn ein griechisch-zyprisches Anliegen – der Kampf der Mehrheit. Nur einige Elemente der türkischen Minderheit hatten Einwände. Im Gegensatz zu dem, was anderswo geschrieben wurde, unterstützte die große Mehrheit der türkischen Bevölkerung die repressiven Maßnahmen nicht, welche die Kolonialmacht ergriff, um die Bewegung ihrer Landsleute unter Kontrolle zu bringen. Zeugnis ist die große Massenkundgebung im Oktober 1931 (die Verbrennung der Gouverneurssitzes, die Ausweisung der zehn prominenten griechischen Führer, die hohen Strafen und schließlich die Ausrufung des Ausnahmezustands), als das türkische Element seinen Mitbürgern seine Sympathie bekundete und nichts unternahm, um die Massenproteste zu hintergehen, die es als “gerecht” betrachtete.
Es genügt der Hinweis, dass sich das griechische Volk seit der Unabhängigkeit Griechenlands mit Begeisterung für die Außenpolitik engagierte, welche die Megali Idea vertrat. Die griechischen Zyprer, die Freiwillige in alle Kriege entsandten, um an der Seite des Mutterlandes zu kämpfen, und davon gab es im 19.Jahrhundert viele, glaubten, dass ihre Zeit gekommen sei, um vom Hellenismus mit offenen Armen empfangen zu werden. Diese Hoffnungen wurden nie erfüllt.
Die zweite große Tendenz war das Erscheinen der Verfassung. In weniger als zwei Monaten nach der Ankunft von Wolseley setzte ein Erlass des Hofrates (14.September 1878) einen Legislativrat und einen Konsekutivrat ein, die sich mit den Angelegenheiten der Insel befassen sollten. Letzter wurde den jeweiligen Anweisungen zufolge berufen, welche die Regierung in London dem Hochkommissar gab. Inzwischen ging am 6.Dezember 1880 die Zuständigkeit für Zypern vom Außenministerium an das Kolonialamt über. Bis Ende 1881, Anfang 1882, wurde die bestehende Regierungsform abgeändert und am 21.Juni 1883 kam der gewählte Legislativrat erstmalig zusammen. Es ist also richtig zu sagen, dass die westliche Tradition der politischen Repräsentation in den allerersten Jahren der britischen Herrschaft eingeführt wurde.
Die Verfassung war unverändert, als Großbritannien Zypern im Jahre 1914 annektierte. Sie wurde 1925 abgeändert, als die Insel zur Kronkolonie wurde, doch nach der Verbrennung des Gouverneurssitzes, der Enosis-Hysterie und der wirtschaftlichen Enttäuschung dieser Jahre wurde sie schließlich am 12.November 1931 abgeschafft.
Das dritte große Thema bis 1914 war die instabile Wirtschaftslage und der wichtigste Aspekt für das Schicksal Zyperns war der Tribut. Der scharfe Angriff Churchills im Jahre 1907, als er schrieb, dass “die Verbesserung der türkischen Standards keine zufriedenstellende oder geeignete Rechtfertigung für die britische Politik ist“, war möglicherweise der Auslöser für die Abschaffung des Tributs im Jahre 1927.
Zweifellos befand sich die Insel erstmalig in ihrer Geschichte in einer besseren Lage denn je. Es wurde in Medikamente, Bildung und Straßenbau investiert, es gab mehr Gerechtigkeit und Gleichstellung im Verwaltungs- und Justizapparat und die Beteiligung an der Regierung war weiter verbreitet. In der Tat zählte Zypern zu den ersten Ländern in der Region, in denen die Volksabstimmung eingeführt wurde. Zudem verzeichnete die Bevölkerung ein starkes Wachstum, von 186 173 im Jahre 1881 auf 237 002 im Jahre 1901 – ein Anstieg von über 27 Prozent in nur 20 Jahren. Nun, Zypern war vielleicht vernachlässigt (was man in den Kommentaren des Kolonialamtes über mehrere Jahre nachlesen kann), doch es befand sich eindeutig auf dem Wege der Besserung und sicher ging es ihm besser als in jeder anderen Epoche seiner modernen Geschichtsschreibung. Ein kurzer Vergleich der Zeit vor der Besatzung mit den ersten Jahren der 1920er Jahre ist aussagekräftig:
1. Der Verkehr war im Wesentlichen nicht vorhanden. Im Allgemeinen gab es nur Wege für Lastesel und Kamele. Anfang der 1920er Jahre gab es gute Straßen und Brücken sowie eine Eisenbahnstrecke von Famagusta nach Nikosia. Später wurde sie bis in die Bergbauregion bei Skouriotissa und weiter ausgebaut.
2. Es gab kaum Postämter. In der Zeit darauf waren über 65 Postämter in Betrieb mit 200 Bezirksfilialen, die drei Millionen Briefe, Karten, Zeitungen, Bücher und Pakete abfertigten.
3. Krankenhäuser gab es nicht. Nach dem Krieg gab es zumindest eins in jedem Bezirk, gewöhnlich unter Aufsicht staatlicher ärztlicher Leiter.
4. Druckereien gab es bis in die 1870er Jahre nirgendwo. Nach 1920 wurden etwa 15 Zeitungen verlegt. Das war ein “wortreicher Beweis für den materiellen Aufschwung und Fortschritte in der Bildung”.
5. Zuvor gab es etwa 170 Schulen, die nur unzureichend mit Lehrkräften ausgestattet waren. In den 1920er Jahren waren auf der ganzen Insel 740 Schulen verteilt und die meisten verfügten über gut ausgebildete Lehrer.
6. Es gab kaum Handelstätigkeiten. In der Zeit darauf stiegen die Importe um ca. 550 Prozent und die Exporte um ca. 500 Prozent.
Zusätzlich, und wie schon erwähnt, wurde die Annexion Zyperns (5.November 1914) allgemein mit großer Begeisterung angenommen. Der Briefwechsel des Kolonialamtes zeigte, dass selbst die höchsten türkischen Amtsträger der Insel über die Änderung ihres Rechtsstatus erfreut waren. Von nun an war die Insel de facto und de jure Bestandteil des Herrschaftsgebietes Ihrer Majestät. Der Beginn des I. Weltkrieges brachte ihren Bewohnern die britische Staatsangehörigkeit. Dies geschah schließlich am 27.November 1917. Außerdem wurde Zypern am 10.März 1925 zur Kronkolonie erklärt.
Zwischen 1914 und 1925 war die politische Bewegung innerhalb der christlichen Mehrheit zur Enosios mit Griechenland die stärkste Kraft in der zyprischen Politik. Allgemein wurden jedoch die Aktionen zur Enosis erfolgreich kontrolliert – manchmal sogar mit Waffengewalt unterdrückt, wie 1931 – bis in die 1950er Jahre, als ein Guerillakrieg die Briten “vertrieb”.
Lassen Sie uns nun einen Blick auf die verschiedenen “Angebote und Versprechungen” zur Abtretung Zyperns an Griechenland werfen, die von den Historikern und Politikwissenschaftlern nur oberflächlich betrachtet wurden. Vor 1920 gab es zwei britische “Angebote”, 1912 und 1915, und zwei “Versprechen” im Jahre 1919. Und offenbar gab es 1930 ein weiteres “Versprechen”. Nach der ersten Phase der Balkankriege trafen sich die am Krieg Beteiligten vom 16.Dezember 1912 bis zum 6.Januar 1913 in London zur Besprechung der Friedensbedingungen. Leiter der griechischen Delegation war Eleftherios Venizelos, der “Vater des modernen Griechenlands”. Angesichts der Gefahr eines großen Krieges fragte Lloyd George Venizelos, inwiefern Großbritannien im Austausch gegen Zypern die Marineanlagen in Agrostoli benutzen könne. Diese inoffizielle Nachfrage und das Angebot wurden von Venizelos prinzipiell akzeptiert. Lloyd George fügte aber auch hinzu, dass ein offizielles Angebot nur von Sir Edward Grey, dem Außenminister, erfolgen könne, der bei diesem Treffen fehlte. Grey war jedoch schon immer für die Abtretung Zyperns. Was dieses Angebot betraf, so wurde es von Premierminister Asquith begrüßt. Doch weder die britische noch die griechische Regierung bemühten sich 1912 oder 1913 darum, das Angebot zu verwirklichen.
Weitere Angebote wurden Griechenland jedoch im November 1914 und im Januar 1915 unterbreitet. Nordepirus und Kleinasien wurden Gegenstand von Versprechungen. Am 6.März lehnte der deutsche König Konstantin diese Öffnungen ab und Venizelos trat enttäuscht zurück. Aus den privaten Unterlagen von Sir Edward Grey geht hervor, dass die Königin Griechenlands 1915 verkündet hatte, dass sie Griechenland für immer den Rücken kehren würde, sobald auch nur ein deutscher Soldat durch einen Griechen getötet würde. Tatsache ist, dass die britischen Diplomaten in Athen darüber frustriert waren, dass Griechenland 1915 nicht der Allianz beigetreten war. Sie glaubten, dass der einzige Weg zu ihrem Beitritt sei, den König auszuweisen.
Grey, der der Heimat näher war, schrieb am 13.Oktober 1915 an Sir Francis Elliot (Ranghöchster der königlichen Regierung in Athen), dass das griechische Territorium sicher sei und Griechenland am Ende des Krieges Territorium erhalten würde, wenn es “jetzt beitritt”. Das Zypern-Angebot an Griechenland schickte Grey am 16.Oktober per Telegramm an Elliot. Die einschlägigen Punkte waren wie folgt:
“Wenn Griechenland bereit ist, Serbien als Alliierter beizustehen, jetzt, wo es von Bulgarien angegriffen wurde, wäre die Regierung Ihrer Majestät bereit, Zypern Griechenland abzutreten. Wenn Griechenland vollständig den Alliierten beitritt, wird es selbstverständlich mit ihnen die Vorzüge teilen, die sich bei Kriegsende ergeben, doch das Zypern-Angebot erfolgt unabhängig von der Regierung Ihrer Majestät unter der Bedingung, dass Griechenland mit seiner Armee in Serbien direkten und vollständigen Beistand leistet”.
Am nächsten Tag antwortete Elliot Grey, dass er Griechenland auf diese “einmalige” Gelegenheit aufmerksam gemacht und gesagt habe, dass ihm Zypern “sicher” sei, unabhängig vom Ausgang des Krieges. Bonar Law berichtete dem Hochkommissar auf Zypern von dem Angebot. Am 16.Oktober schrieb er per Telegramm:
“Bitte informieren Sie den Erzbischof und alle führenden Persönlichkeiten auf Zypern darüber und schlagen Sie ihnen vor, sich sofort nach Athen zu begeben und dem Parlament und dem König ihr Anliegen vorzutragen, wenn sie diese Chance nutzen wollen, die sich kaum ein zweites Mal ergeben wird, die Enosis Zyperns mit Griechenland zu verwirklichen. Sie sind befugt, ihnen zu diesem Zweck jede Unterstützung zu gewähren”.
Die britischen Vorschläge vom Oktober und andere an Griechenland sahen nicht nur Zypern vor, sondern weitere Zugeständnisse in Thrakien und Kleinasien – beides nicht-britische Hoheitsgebiete und überwiegend von Türken bewohnt. Zudem gab es keine Hinweise auf Marineanlagen. Gleichermaßen war nicht davon die Rede, dass die türkische Minderheit auf Zypern ein Hindernis gewesen sei. Doch die Gelegenheit Zypern zu erwerben wurde nicht genutzt. Auf Zypern wurde das Angebot mit gemischten Gefühlen aufgenommen: Die Muslime brachten ihre Besorgnis zum Ausdruck und die Griechen waren angesichts der Ablehnung fassungslos.
Zypern mit einer Bevölkerung von 250 000 Griechen (80%) im Jahre 1921 zu besitzen, war lange Zeit ein Ideal des griechischen Nationalismus und man rechnete damit, dass eine solche Abtretung voller Begeisterung aufgenommen würde. Die Schenkung wurde jedoch abgelehnt und ein solcher Schritt war gleichbedeutend mit einem Eingeständnis von König Konstantin, dass er verlockendere Angebote von der Gegenseite im Falle eines Sieges der Deutschen, von dem er überzeugt war, bekommen hatte. Diese Ablehnung war gewiss dem Einfluss der
Pro-Deutschland-Beratergruppe zuzuschreiben, die immer stärkeren Druck sowohl auf den König als auch auf den Premierminister Alexandros Zaimis ausübte. Letzterer verfolgte gewiss eine Politik der echten Unabhängigkeit. Während seiner Amtszeit pflegte er im Rahmen seiner Möglichkeiten freundschaftliche Beziehungen zur Entente, die ihm sogar einen Kredit zur Stärkung der schwächelnden griechischen Wirtschaft gewährt hatte. Doch diese wunderbare Gelegenheit, das Zypernproblem ein für allemal zu lösen, wurde vertan. Als er 1917 in einer Rede vor dem griechischen Parlament über seine freundschaftliche Politik gegenüber der Entente sprach, bemerkte Venizelos, dass eine derartige Abtretung zweifellos zahlreiche Vorteile für den Hellenismus mit sich brächte, doch dass die “Retter”, die damals an der Macht waren, diese Chance verspielt hatten und Zypern verloren war. Griechenland kämpfte im Krieg schließlich an der Seite der Alliierten, doch bis 1917 befanden sich diese bereits auf dem Siegeszug und es bestand kein Anlass mehr, die Regierung der Insel auszuwechseln. Ihr Beitrag in den Kämpfen war jedoch für so eine kleine Insel beachtlich. 1914 belief sich die Gesamtbevölkerung auf nur 280 000, und dennoch dienten über 13 000 zwischen 18 und 41 Jahren als Hilfstruppen, vorwiegend als Maultiertreiber für die britischen Truppen in Thessaloniki. Die Beteiligung so vieler Männer hatte natürlich zur Folge, dass zu einer Zeit, wo die Ressourcen der Insel aufs Äußerste zur Nahrungsmittelproduktion und anderen Grundstoffen zur Deckung des Bedarfs der Alliierten eingesetzt wurden, Arbeitskräfte fehlten. Tausende Tiere (Maultiere, Esel, Pferde und Ziegen), etwa 9000 Pfund Sterling für das britische und belgische Rote Kreuz und tausende Tonnen Nahrungsmittel, Treibstoffe und Holz waren ebenfalls ein Beitrag der Inselbewohner Zyperns.
Obwohl so viele Opfer gebracht wurden und die Zyprer sich zwischen 1914 und 1918 hervorgetan hatten, wurde in diesen Jahren das Problem weder von Großbritannien noch von Griechenland ernsthaft angeschnitten. Ein weiteres Mal wurde das Problem von Venizelos im Laufe der Friedenskonferenz zu Kriegsende aufgeworfen. Außerdem und den Aufzeichnungen von Professor Paul Mantoux zufolge, dem gefeierten Dolmetscher der Friedenskonferenz, verlief ein Gespräch zwischen amerikanischen und britischen Führern am 13.Mai 1919, im Rahmen eines Treffens des “Viererrats” (bestehend aus Woodrow Wilson, US-Präsident, Lloyd George, Georges Clemenceau, Präsident des französischen Rates, und V.E.Orlando, Premierminister Italiens) wie folgt:
L.G.: Ich habe die Absicht, Zypern Griechenland zu überlassen.
WW: Hervorragende Idee.
Das war die erste “Zusage”. Sie wurde aus verschiedenen Gründen nicht gehalten:
1. Militärtaktiker glaubten zu Beginn des 20.Jahrhunderts, dass ein solches Geschäft unerwünscht war, da es ernsthafte strategische Überlegungen gab, die Insel nicht abzutreten.
2. Einige Beamte bestanden mit Nachdruck darauf, dass es die Pflicht der Briten sei, die Insel wirtschaftlich zu stärken. Auf diese Weise wäre es für die zyprischen Kolonialbehörden leichter gewesen, die Einwohner davon zu überzeugen, dass Großbritannien die Insel als wichtiges Element des Reiches betrachtete und nicht nur als strategischen Stützpunkt.
3. Britische Auslands- und Kolonialexperten glaubten auch, dass die Hauptschwierigkeit der Regierung Ihrer Majestät bei der Abtretung Zyperns an Griechenland die türkischen Forderungen darstellen, die sich nicht nur auf historische sondern auch auf strategische und ethnologische Kriterien gründeten. Dasselbe Problem hatten sie mehr oder weniger auch mit dem Dodekanes. Es bestand jedoch die Überzeugung, dass sich die Türkei im Fall Zyperns stärker widersetzen würde.
4. Der Druck, den die Griechen ausübten, war nicht stark genug. In der Tat war das Problem fast völlig in Vergessenheit geraten, insbesondere nach der kleinasiatischen Katastrophe von 1922, und nach der recht negativen Politik der führenden Enosis-Verfechter.
5. Die Briten unterstützten immer, dass die Insulaner noch nicht bereit waren, ihr Land völlig allein zu regieren.
6. Nach Ablauf des Angebots von 1915 wurde Frankreich im geheimen Abkommen von Sykes-Pico, das im April/Mai 1916 getroffen wurde, ein Vetorecht zur Zypernfrage eingeräumt. Diese Klausel erschien als Artikel 4 der französisch-britischen Konvention, die am 23.Dezember 1920 in Paris unterzeichnet wurde.
Es gab auch eine geheime Klausel im Abkommen Venizelos-Tittoni von 1919, in der sich Italien einverstanden erklärte, in Rhodos eine Volksabstimmung durchzuführen, wenn Großbritannien bereit wäre, Zypern an Griechenland abzutreten. Die zweite “Zusage” erfolgte von Ramsay MacDonald, dem Führer der Labour Party, im Februar 1919. In seiner Rede vor 102 Delegierten aus 26 Ländern auf der sozialistischen internationalen Konferenz in Bern betonte er, dass seine Partei die zyprische Selbstbestimmung unterstütze und dass er alles in seiner Macht stehende tun würde, sein Versprechen zu halten, wenn er je an die Macht kommen sollte. Doch als MacDonald kurzzeitig die Minderheitsregierung von 1924 (22.Januar bis 3.November) führte, hielt er sein Versprechen nicht. 1930 gab es eine weitere “Zusage”. In einem privaten und geheimen Bericht von Sir Patrick Ramsey an O.G.Sargent vom 7.November 1931 erwähnte dieser, dass Befehlshaber und Abgeordneter J.M. Kenworthy (später Baron Strabolgi), der 1930 Athen besuchte, Venizelos (nach dessen Aussage) gesagt hätte, dass die Labour Party bereit gewesen sei, Zypern an Griechenland abzutreten, doch Militärspezialisten aus strategischen Gründen Einwände dagegen gehabt hätten. Venizelos sagte damals, dass er bereit wäre, Famagusta oder einen anderen geeigneten Ort mit einem Hinterland von einigen Meilen für Miltärcamps, Flughäfen usw. in der völligen Souveränität der Briten zu lassen. Venizelos baute das militärische Thema weiter aus und zeigte auf einen Memoirenband, der auf dem Tisch lag, und sagte, dass Lord Salisbury einst bemerkt hatte, dass “seine Militärspezialisten fähig wären, zum Zweck der Verteidigung des britischen Reichs die Besatzung des Planeten Mars zu begründen”.
Die gebildeten Befürworter der Megali Idea verstärkten ihre Bemühungen um die nationale Vollendung. Sie wurden nicht nur durch die bereits erwähnten “Angebote” und “Zusagen”, sondern auch durch das Beispiel Kretas von 1913 bestärkt. In diesem Jahr rief Kreta seine Vereinigung mit dem griechischen Festland aus, eine Tat, die legalisiert wurde, als die Türkei ausdrücklich in einer Klausel des Londoner Vertrags (1912-13) auf ihr Protektorat verzichtete. Eine Erklärung des US-Präsidenten schürte ebenfalls ihre Hoffnungen. Wilson forderte in einer Notiz an alle Krieg führenden Staaten beide Parteien auf, bei “Tageslicht” ihre Ziele zu nennen, die sie in diesem Krieg verfolgten. Die Alliierten erklärten in ihrer gemeinsamen Antwort, die am 11.Januar 1917 veröffentlicht wurde, dass sie kein Problem hätten, seiner Forderung nachzukommen und legten eine Liste mit objektiven Zielen vor. Dazu gehörten:
“die Befreiung der Völker, die unter der tödlichen Tyrannei der Türken litten und die Vertreibung des osmanischen Reiches aus Europa, das sich als völlig fremdartig für die westliche Zivilisation erwiesen hatte.”
Es bestanden hohe Erwartungen. Die Massen jedoch, denen es im Nachkriegs-Wirtschaftsboom besser als je zuvor ging, befanden sich nicht an der Spitze der Enosis-Bewegung und waren vielleicht, solange ihre Bäuche voll waren, wenig daran interessiert, wenn auch sich ihre Leidenschaft wie 1921, 1931 und natürlich in den 1950er Jahren zeigte. Der griechische Nationalismus ist keine künstliche Idee von Theoretikern, sondern eine echte Kraft, die alle Teile der griechischsprachigen Bevölkerung antreibt, ständig Versuche zur politischen Vereinigung mit dem Nationalstaat zu unternehmen. In der Zeit nach 1878 war das politische Bewusstsein der Einwohner geweckt und hatte seinen Ausdruck in dem stark wachsenden Wunsch der christlichen Mehrheit gefunden, ihre Nationalität zu verwirklichen. Sie glaubten zudem, dass die muslimische Bevorzugung des Status quo und die Ablehnung der Enosis nicht von Dauer wären. Memoranden, Petitionen und Abordnungen füllen die Chroniken der zyprischen Geschichte zwischen 1914 und 1925, genauso wie es nach 1878 der Fall war.
Desweiteren sind die beiden Verträge, die in den ersten Jahren der 1920er Jahre unterzeichnet wurden, von großer Bedeutung.
Der Vertrag von Sevres, der aus dem von San Remo desselben Jahres hervorgegangen ist, wurde am 10.August 1920 unterzeichnet. Der Vertrag von Lausanne wurde am 24.Juli 1923 paraphiert. Für die Zyprer hatte dies doppelte Bedeutung. Zum einen hatte die Türkei ohne jeden Zweifel alle Rechte und Besitzansprüche an Zypern abgetreten. Gleichermaßen stimmte Griechenland den Verträgen zu und setzte seinen Namen unter die Abtretung Zyperns an Großbritannien. Deshalb war auch kein Laut zu vernehmen, als Zypern 1925 Kronkolonie wurde. Zum anderen glaubten die Inselgriechen, dass Großbritannien früher oder später ihrem Herzenswunsch (Enosis mit Griechenland) nachgeben würde, da die Türkei nicht mehr im Wege stand. Die Ungewissheit Großbritanniens, insbesondere zwischen 1878 und 1914, wurde oft als Grund dafür genannt, dass die Vereinigung nicht gewährt wurde und keine umfassenden Reformen durchgeführt wurden.
Das nächste einschneidende Stadium in der Entwicklung Zyperns war die wirtschaftliche und politische Krise in den 1930er Jahren, die nur kurz erwähnt wurde. Die Arbeitsbeziehungen, die politische Konfrontation und die wirtschaftliche Erschütterung waren die großen Probleme. Dennoch wurde alles durch den II. Weltkrieg überschattet. Diese Jahre (1939-1945) waren für die Zyprer und ihre Visionen kritisch. Wie auch 1914 war der Gesamtbeitrag Zyperns zum Kriegsgeschehen enorm. Berechnungen zufolge belief sich die Teilnahme bei den 18- bis 32-Jährigen auf über 50 Prozent. Sicher handelte es sich um einen einzigartigen Beitrag, der nirgendwo anders von Kolonien, Protektoraten oder sogar kriegführenden Staaten geleistet wurde.
Die Tapferkeit der Zyprer war an allen Fronten sichtbar. Sie nahmen beispielsweise an der historischen Evakuierung von Dünkirchen (29.Mai bis 4.Juni 1940) teil, wo ihnen befohlen wurde, ihre Mailtiere zu töten, was sie sehr zögerlich taten. Die Zyprer nahmen danach an der Ostafrika-Operation teil (1941), als der erfolgreiche Ausgang der Schlacht bei Keren (4000 Meter über dem Meeresspiegel) sehr von der Fähigkeit der zyprischen Versorgungseinheiten abhing, unter Beschuss in die entlegensten Gebiete vorzudringen. Die Anwesenheit dieser Militäreinheiten verkürzte die Belagerung um Wochen und allein diese Operation rechtfertigte die Formierung zyprischer Maultiereinheiten.
In der Schlacht von Monte Cassino (dem “Tor nach Rom”) , Februar bis Mai 1944, dem schwierigsten und vielleicht auch kritischsten Punkt in Italien, zeichneten sich die Zyprer an den steilen Hängen aus, wo sie unter Dauerbeschuss und Bombardements durch feindliche Waffen, deren Intensität durch die Felssplitter verstärkt wurde, Nachschub lieferten und die Verwundeten nach unten brachten. Die Zyprer dienten auch in Ägypten, im Sudan und unter Lord Wavell in Tobruk und Palästina. Vor allem führte das zyprische Regiment zahlreiche blutige Schlachten gegen den Feind auf griechischem Territorium. Es genügt wohl zu sagen, dass die Gegenseite keine ernsthaften Versuche unternahm, die Insel einzunehmen oder zu besetzen, auch wenn sie als wertvoller Versorgungs- und Hilfsstützpunkt für die Alliierten diente. Dennoch wurde sie in vielen Fällen von italienischen Bombern vom Typ Savoia und Cantz 1007B, deutschen Junkers (Sturzflugbombern) und anderen unbekannten Flugzeugtypen beschossen.
In den ersten Nachkriegsjahren herrschte große Unruhe. Die Militärausgaben wurden drastisch reduziert. Die intensive strategische Expansion der Insel hatte noch nicht begonnen, das zehnjährige Entwicklungsprogramm befand sich erst im Anfangsstadium und die Konkurrenten kehrten auf den Markt zurück, der während des Krieges einen einfachen Absatz für zyprische Produkte, wie Tabak, Weintrauben und Johannisbrot bot. In ihrem Bemühen um eine Lösung für die Probleme kündigte die Regierung im Oktober 1946 an, dass sie ihre Politik der wirtschaftlichen Entwicklung und des sozialen Wohlergehens, die sie in den letzten Jahren begonnen hatte, fortsetzen würde. Wenn auch nicht genug, so war all dies sicher ein guter Anfang.
An der politischen Front verschickte Lord Winster, der Gouverneur, am 9.Juli an verschiedene Personen und Organisationen Einladungen zur Teilnahme an einer Konsultation mit dem Ziel, Vorschläge über die Art der anstehenden Verfassung auszuarbeiten, damit die Mitsprache des Volkes Zyperns bei innenpolitischen Fragen gewährleistet würde, unter starker Berücksichtigung der Interessen der Minderheiten. Die Rechte unter Führung des neu gewählten Erzbischofs lehnte die Einladung ab, doch die Linke beschloss nach einigem Zögern und genauer Untersuchung zuzusagen. Dennoch gab es kurz darauf Uneinigkeit. Im Vordergrund stand die Interpretation der Referenzterminologie der Konsultation. Schließlich wurde diese vertagt und am 12.August 1948 nach nur sechs Versammlungen aufgelöst.
Die 1940er Jahre endeten ohne einen eindeutigen Beschluss für Enosis oder Autonomie. Ein entscheidenderer Faktor sollte jedoch die Stimmung stärker trüben: der kalte Krieg erreichte 1948 die Insel. Großbritannien baute mit Unterstützung und Ermutigung durch die Vereinigten Staaten Luftwaffenstützpunkte, die mit Radar und anderen Spionagemechanismen ausgestattet waren, und verlegte von Palästina (wo sein Mandat am 15.Mai 1948 auslief) eine beträchtliche Anzahl Truppen, den Beobachtungsdienst für den Mittleren Osten und andere Einrichtungen nach Zypern. So wurde der RAF-Stützpunkt im Oktober zum Luftwaffen-Hauptquartier für den Mittleren Osten aufgewertet und es gab auch Gerüchte, dass das Militärhauptquartier für den Mittleren Osten dort stationiert würde, wie es auch 1954 geschah. Seitdem erreichte der Zypernkonflikt ein neues Ausmaß.
Mit diesen neuen Tatsachen musste sich Zypern also befassen. Im Januar 1950 organsierte die Kirche eine Volksabstimmung mit dem Ziel, dem Volksbegehren über die Zukunft der Insel freien Ausdruck zu verleihen. Die Forderung nach Enosis war überwältigend – 95,7 Prozent stimmten mit “ja”. Unverzüglich wurden Delegationen ins Ausland gesandt, um die Regierungen und die Menschen darüber zu informieren. Initiator dieser neuen Initiative war Erzbischof Makarios III. Die Vereinten Nationen wurden angepeilt, doch der Ausgang der “Schlacht” dort war ungewiss.
Die Diplomatie versagte auf ganzer Ebene. Am 1.April 1955 ließen sich die Inselgriechen auf eine bewaffnete Kampagne zur Vertreibung der Briten und zur Verwirklichung der Enosis ein. Der Führer der Organisation namens EOKA war Oberst Georgios Grivas. Die türkischen Zyprer mischten sich auch in den Konflikt ein und forderten die Teilung. Im April formierte sich die “Kara Yilan” (schwarze Schlange), eine Untergrundorganisation und vermutlich die Nachfolgeorganisation von “Volkan” (Vulkan). Der bewaffnete Arm von Volkan und ihr Nachfolger gegen Ende 1957 nannte sich TMT. Wenn auch kleiner und weniger gut organisiert, so hatte die TMT die EOKA zum Vorbild.
Die Insel wurde von einem Guerillakrieg heimgesucht, wie es ihn in ihrer Geschichte nie zuvor gegeben hat. Vermittlungsversuche scheiterten. In den Gesprächen Harding-Makarios (1955-56) und selbst in den Radcliff-Verfassungsgesprächen gelang es nicht, eine Lösung herbeizuführen. Offenbar gehörte die uneingeschränkte Selbstverwaltung nicht mehr zu den Optionen. Doch bis Dezember 1958 änderte sich die Lage völlig. Durch den internationalen Druck und die Drohung, dass sich die Lage verschlechtern würde, entstand eine neue Initiative, eine Gesprächsrunde mit Kompromissen.
Die Außenminister Griechenlands und der Türkei (Averoff und Zorlu) tauschen offiziellen britischen Dokumenten zufolge “türkischen Honig” aus. Die Annäherung der beiden Staaten, ungeachtet ihrer Gründe, war für alle deutlich wahrnehmbar. Es wurde anerkannt, dass nur Gespräche und eine Einigung eine für alle annehmbare Lösung herbeiführen könnten. Am 11.Februar 1959 paraphierten Griechenland und die Türkei eine Deklaration, die bestätigte, dass Zypern ein unabhängiger Staat mit griechisch-zyprischen Präsidenten und türkisch-zyprischen Vizepräsidenten werden würde, während detailliert auf die “Grundstruktur der Republik Zypern” eingegangen wurde. Eine gemeinsame Erklärung gab bekannt, dass beide Regierungen eine “Kompromisslösung” gefunden hätten, der Großbritannien noch zustimmen müsste.
Die nächste Station war London. Am 19.Februar wurden die Verträge schließlich im Lancaster-Haus gesiegelt. Der britische Premierminister Mcmillan bemerkte, dass es sich um einen “denkwürdigen Anlass” handelte, dass die Logik und die Zusammenarbeit gesiegt hätten und dass keine Seite eine Niederlage erlitten hätte. Großbritannien, Griechenland und die Türkei bekräftigten die Souveränität der Insel mit dem Garantievertrag, der in Artikel 1 sowohl die Vereinigung Zyperns mit einem anderen Staat als auch die Teilung der Insel ausschloss. Der Bündnisvertrag sah die Zusammenarbeit Griechenlands, der Türkei und der Republik für eine gemeinsame Verteidigung, die Stationierung griechischer und türkischer Militärkontingente (950 bzw. 650) auf der Insel und die Ausbildung der zyprischen Armee vor. Der Gründungsvertrag betraf die Erhaltung der britischen souveränen Militärstützpunkte und Hilfseinrichtungen auf dem Territorium der Republik sowie Fragen wirtschaftlicher Art und Staatsangehörigkeitsfragen, die am Ende der Kolonialherrschaft auftreten würden. Die Texte der beiden ersten Verträge wurden auf den Konferenzen in Zürich und London vorgelegt und bedurften kleiner Veränderungen. Die Arbeit am Gründungsvertrag mit seinen komplizierten Verwaltungs- und Rechtsfragen begann erst nach der Unterzeichnung der Verträge.
So gab Großbritannien den Verträgen von Zürich und London zufolge seine Herrschaft über die gesamte Insel auf und behielt nur die beiden Militärstützpunkte (Akrotiri und Dekelia) und verschiedene andere Nutzungsrechte. Es handelte sich in Wirklichkeit um 99 Quadratmeilen oder 2,74 Prozent des zyprischen Territoriums.
Griechenland opferte die Enosis und die Türkei die Teilung. Makarios war recht zufrieden, wie auch Kutchuk seitens der türkischen Zyprer. Dennoch nahmen viele andere eine kritische Haltung ein. Doch 1960 hatte Zypern seine eigene Flagge, seine eigene gewählte Regierung und war nicht länger mit dem Stigma des Kolonialstatus behaftet.