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Es wurde zwischen dem Grosszehnt (vom Getreide) und dem Kleinzehnt (von Gartenprodukten, Baumfrüchten und Wein) unterschieden. Vom Vieh war der Blutzehnt zu entrichten, der aber zumindest in der frühen Neuzeit keine besondere Rolle mehr spielte. Neu erschlossene Güter (Novalien) unterlagen dem Novalzehnt. Bei der Getreideernte musste jede elfte Garbe abgeliefert, bei Mais und Kartoffeln jede elfte Zeile für den Bezugsberechtigten ausgeschieden werden. Über Zehntrechte in Liechtenstein verfügten Mitte des 19. Jahrhunderts v.a. die jeweiligen Pfarrpfründen (bzw. die Vaduzer Kuratiepfründe) und die Landesherrschaft, ausserdem das Churer Domkapitel (in Schaan), das österreichische Aerar (Mauren, Gamprin, Ruggell, Schellenberg), der Landesfonds für kirchliche Zwecke (Eschen) und vereinzelt die Gemeinden (v.a. in Triesen); bis zu ihrer Aufhebung Anfang 19. Jahrhundert waren auch die Klöster Pfäfers (Eschen), St. Luzi in Chur (Gamprin, Ruggell, Schellenberg), St. Johann im Thurtal (Schaan) und das Priorat St. Johann in Feldkirch (Mauren) wichtige Zehntherren.
Die unentgeltliche Befreiung vom Novalzehnt erfolgte 1848 (bestätigt 1852). 1864 verabschiedete der Landtag das Zehntablösungsgesetz. Die Ablösung erfolgte gemeindeweise zum 20-fachen jährlichen Zehntertrag.
Zelinka, Peter: Beamter. Zelinka kam 1808 zusammen mit seinem Schwager, Landvogt Josef Schuppler, als Gerichtsaktuar nach Vaduz. 1809–16 als erster Grundbuchführer massgeblich am Aufbau des Grundbuchs beteiligt (Grundbuch). 1815–16 zudem Rentschreiber. 1816 aufgrund von Sparmassnahmen Versetzung auf das fürstliche Gut Lundenburg, wo er als Wirtschaftsbereiter tätig war.
Schuppler/Ospelt: Beschreibung 1815, 1975, 206; Vogt: Verwaltungsstruktur, 1994, 63f., 70, 142.
Zensur: Zensur ist der Versuch eines Staats oder einer Gemeinschaft (besonders der Kirche), Meinungsäusserungen in öffentlichen Reden, Druckerzeugnissen, Presse, bildlichen Darstellungen, Musik, Theater, Filmen, Rundfunk, Fernsehen, Internet und anderen Massenmedien zu unterdrücken oder im eigenen Sinn zu steuern. Zensur wurde in Liechtenstein ausgeübt als Begleiterscheinung politischer Auseinandersetzungen, zur Wahrung der Ordnung und Sicherheit, zur Durchsetzung von obrigkeitlichen Interessen und religiös-katholischen Wertvorstellungen sowie aus Gründen der Ethik und des Jugendschutzes.
Eingebettet in die Rechtsordnung des römisch-deutschen Reichs (u.a. Druckzensurverordnung von 1515, Reichspolizeiordnungen) und später des Deutschen Bunds (u.a. Karlsbader Beschlüsse von 1819) wirkten über Jahrhunderte Zensurbestimmungen indirekt von aussen nach Liechtenstein, welches als ländliche Randregion mit wenig gebildeter Bevölkerung nicht im Brennpunkt der Zensur stand. Nachweisliche Zensurakte erfolgten z.B. mit der Entwicklung des Schulwesens (Verbot eines Schulbuchs 1789), anlässlich der Unruhen von 1831/32 oder in der Revolution von 1848 (zeitweilige Beschlagnahmung der 1847 erschienenen «Geschichte des Fürstenthums Liechtenstein» von Peter Kaiser und Verbot des Buchs für den Schulunterricht).
Die Verfassung von 1862 sah im Grundsatz die Pressefreiheit vor. Das diesbezügliche Gesetz wurde jedoch nie verabschiedet. Der Landesverweser versuchte, die kaum entwickelte Presse zu kontrollieren. 1894/95 kam es zu einer von Protesten begleiteten allgemeinen Zensur des «Liechtensteiner Volksblatts». 1916 drohte Landesverweser Leopold Imhof den «Oberrheinischen Nachrichten» mit Zensur. In der Zeit des Ersten Weltkriegs fand besonders eine Kontrolle des Brief- und Postverkehrs statt, die von den österreichischen Behörden ausgeübt wurde. Sämtliche ins Ausland gehenden Postsendungen unterlagen der militärischen Überprüfung.
Die Verfassung von 1921 garantierte eine weitgehende Pressefreiheit. In den 1930er und 40er Jahren folgten dennoch Massnahmen gegen die Pressefreiheit, gestützt auf das Vollmachtengesetz und die Verordnung betreffend Beschlagnahme und Verbot von Druckschriften von 1933. Unter Beschlagnahme fielen vereinzelt die «Liechtensteiner Nachrichten» und die «Liechtensteinische Arbeiter-Zeitung» sowie besonders der zeitweilig verbotene nationalsozialistische «Umbruch». 1939 wurden Flugblätter ausdrücklich der Zensur unterstellt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden diese Verordnungen wieder aufgehoben. Eine staatliche Filmzensur bestand bis 1970 (→ Kino). Die Zensur entwickelte sich von einem kirchlichen und politischen Kontrollinstrument zu einer dem Grundrechts- und Jugendschutz dienenden Massnahme. So kann heute Zensur zur Bekämpfung rassistischer, menschenverachtender, gewalt- oder kriegsverherrlichender oder sexistisch-pornografischer Darstellungen ausgeübt werden; gesetzliche Grundlage dazu sind das Jugendgesetz (1979) und das Strafgesetz (Revision 1990).
Zickert, Hermann: Ökonom. *8.6.1885 Eisleben (D), †23.8.1954 Vaduz, Deutscher. Studium in Freiberg (D), München, Berlin und Heidelberg (D), 1907 Dr. phil. 1931 emigrierte Zickert mit seiner Frau Herta und den fünf Kindern nach Schaan, ab 1933 lebte die Familie in Vaduz. Zickert war als Wirtschaftsredaktor beim «Berliner Tageblatt» und später als Herausgeber der Finanzzeitschrift «Wirtschaftlicher Ratgeber» tätig. Im Juli 1931 gründete er die Zeitschrift «Wachet auf! Aktuelle Wirtschaftskorrespondenz» (ab 1934 «Spiegel der Wirtschaft»), die er ab September 1931 in Schaan herausgab und deren alleiniger verantwortlicher Redaktor er bis zu seinem Tod blieb. Ein Verbot des «Spiegels der Wirtschaft», das 1936 aufgrund zweier kritischer Beiträge in Deutschland verhängt worden war und gegen das u.a. die liechtensteinische Regierung interveniert hatte, wurde 1937 aufgehoben. Zickert liess den liechtensteinischen Behörden wiederholt für Liechtenstein relevante ausländische Presseerzeugnisse zukommen.
Er gilt als Pionier der Finanzanalyse: 1923 gründete er den ersten deutschen Investmentverein, 1926 entwickelte er ein Aktienanalysemodell und 1934 publizierte er den wahrscheinlich ersten deutschen Börsenführer. Seine Veröffentlichungen «Die acht Gebote der Finanzkunst» und «Die 15 Grundregeln der Kapitalanlage» sind heute noch wegweisend.
K. Heeb: Hermann Zickert – Der deutsche Börsenpionier, 2009.
Ziegeleien: Ab 1740 gab es in Nendeln eine herrschaftliche Ziegelei, die bis 1914 in Betrieb war. Maximilian Kindle aus Triesen, der die Ziegelei in Nendeln 1867–69 in Pacht hatte, führte 1869–83 am Matilaberg in Triesen eine eigene Ziegelei, die unter verschiedenen Besitzern bis 1888 weiterproduzierte. In den 1930er Jahren kam ein Projekt zur Errichtung einer Ziegelei in Triesen wegen fehlender finanzieller Unterstützung durch Regierung und Landtag nicht zustande.
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Ziegler, Johann Franz: Oberamtmann. * um 1657 Augsburg. Ab 1672 Studium der Rhetorik in Dillingen (D). Fürstlich-kemptischer Hofkammerrat. Ziegler wurde am 1.2.1697 von der kaiserlichen Administration als Interims-Oberamtmann der Grafschaft Vaduz und der Herrschaft Schellenberg eingesetzt und erhielt gleichzeitig eine ausführliche Instruktion. Er nahm 1699 an der Huldigung der Herrschaft Schellenberg teil. 1711–16 Subdelegierter der kaiserlichen Administration für Hohenems.
Ziegler, Paul: Bischof. *1491 Nördlingen (D), †25.8.1541 Fürstenburg (Tirol). 1505–09 Administrator, 1509–41 Fürstbischof von Chur. Ziegler zeigte sich den nach 1520 einsetzenden politischen und konfessionellen Umwälzungen nicht gewachsen. 1524 verliess er den Bischofssitz Chur und kehrte trotz wiederholter Aufforderung des Domkapitels bis zu seinem Tod nicht mehr dorthin zurück. 1509 bestätigte er den Verkauf der Herrschaft Maienfeld durch den Churer Dompropst Johannes von Brandis und den Grafen Rudolf V. von Sulz an die Drei Bünde. 1513 setzte sich Ziegler für die Reparatur und bessere Ausstattung der Pfarrkirche von Bendern ein.
J.G. Mayer: Geschichte des Bistums Chur 2, 1914, 1–90; Büchel: Bendern, 1923, 20f.; HS I/1, 493f.; Gatz: Bischöfe 1448–1648, 771–773.
GND:
Zinsli, Paul: Germanist. *30.4.1906 Chur, †11.9.2001 Bern, Schweizer. Studium der Germanistik, Kunstgeschichte, Germanistischen Altertumskunde, Philosophie und Theologie in Zürich (1934 Dr. phil.). Ab 1936 Gymnasiallehrer in Biel (BE), 1946–71 Professor für deutsche Sprache und Literatur sowie Volkskunde der deutschen Schweiz an der Universität Bern. Zahlreiche Publikationen, u.a. zur Namenforschung («Grund und Grat», 1946) sowie über die Walser, um deren Erforschung sich Zinsli verdient machte. Sein Standardwerk «Walser Volkstum» (1968, 7. Auflage 2002) berücksichtigt auch die Verhältnisse in Liechtenstein. 1971 Literaturpreis der Stadt Bern und Mozart-Preis der J. W. Goethe-Stiftung, 1978 Kulturpreis des Kantons Graubünden, 1987 Dr. h.c. der ETHZ.
Verzeichnis der Schriften und Vorträge von Paul Zinsli, Hg. R. Ramseyer, 1996.
Zivilschutz: Der Zivilschutz umfasst die Gesamtheit der nichtmilitärischen Massnahmen zum Schutz von Bevölkerung, Gebäuden und Kulturgütern vor Kriegseinwirkungen und Katastrophen sowie zur Beseitigung von deren Folgen. Die atomare Bedrohung im Kalten Krieg führte in Liechtenstein v.a. ab den 1960er Jahren zum Aufbau des Zivilschutzes, u.a. durch den Bau öffentlicher Schutzräume, die Ausbildung von Samaritern und Feuerwehrleuten und die Anlage von Notvorräten. 1962 wurde die Einführung eines Zivilschutzgesetzes in einer Volksabstimmung abgelehnt. 1971 erfolgte die Schaffung der Dienststelle für Zivilschutz und Kriegsvorsorge, die 1975 in ein Amt umgewandelt wurde (1978–2007 Amt für Zivilschutz und Landesversorgung AZSLV, seit 2007 Amt für Bevölkerungsschutz).
Gemäss Feuerwehrgesetz (1990) ist der Staat bzw. das AZSLV für die Ausbildung der Feuerwehren, Hilfs- und Rettungsorganisationen zuständig. Es hat im Auftrag der Regierung Aufsichtskompetenz – insbesondere über die Feuerwehr – und erstattet darüber jährlich Bericht. Neben Feuerwehren und Samaritern waren 2006 in Liechtenstein rund 120 Personen in sechs Zivilschutzgruppen der Gemeinden und drei Spezialgruppen des Lands tätig.
LI LA.
Zivilstandswesen: Das Zivilstandswesen befasst sich mit der amtlichen Beurkundung des Personenstands der liechtensteinischen Staatsbürger im In- und Ausland, besonders von Geburten, Eheschliessungen/-trennungen/-scheidungen, Todesfällen, Legitimationen, Adoptionen, Bürgerrecht und Namen. Die entsprechenden Daten werden im Zivilstandsregister (dieses besteht aus Geburts-, Ehe-, Familien- und Todesregistern) erfasst und können vom Betroffenen selbst, von Personen mit schutzwürdigen Interessen, von Gerichten und Behörden eingesehen werden.
Die staatlichen Zivilstandsregister sind aus den kirchlichen Matrikelbüchern (Pfarrbüchern) herausgewachsen, in denen die Pfarrer die Taufen, Eheschliessungen, Todesfälle und Firmungen in ihren Pfarreien verzeichneten. Es ist aufgrund kirchlicher Vorschriften (1563, 1614) davon auszugehen, dass die ersten liechtensteinischen Pfarrbücher bereits im 16. Jahrhundert entstanden. Erhalten blieben erst solche aus dem 17. Jahrhundert: Triesen ab 1638, Schaan ab 1647, Eschen ab 1650, Mauren ab 1682, Balzers ab 1717, Bendern ab 1735. Sie enthalten auch Daten über Triesenberg, Vaduz, Ruggell und Schellenberg, die erst im 18. bzw. 19. Jahrhundert eigene Pfarreien wurden.
Der Staat registrierte seit dem 17. Jahrhundert vereinzelt und seit dem 18. Jahrhundert systematisch die Todesfälle, da es bei Erbschaftsfällen einen Bedarf für staatliche Regelungen gab. Die Verordnung über den politischen Ehekonsens 1804 stellte den ersten Eingriff des Staats in das zuvor allein dem Kirchenrecht unterstehende Eherecht dar. Fortan war für die Heirat eine staatliche Bewilligung nötig. Weitere staatliche Eingriffe folgten mit der Rezeption des österreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) 1812. Ein Eintrag in die Taufbücher galt bis zur Einführung staatlicher Geburtenregister 1878 als Bestätigung einer Heimatberechtigung in der betreffenden Gemeinde. 1827 erliess Landvogt Peter Pokorny für die Pfarrer Vorschriften betr. die Führung der Zivilstandsregister. Erst damit stellte der Staat das Zivilstandswesen unter seine Aufsicht, liess es allerdings weiterhin durch die Kirche ausüben. Ab 1828 mussten die Pfarrer vierteljährlich Listen mit den Geburten, Eheschliessungen und Todesfällen an das Oberamt schicken. Durch Vereinbarung mit dem Bistum Chur wurde auf den 1.1.1878 das staatliche Zivilstandsregister eingeführt: die Pfarrer waren fortan dazu verpflichtet, neben den bisherigen kirchlichen Registern auch staatliche Zivilregister zu führen. 1917 wurde den Pfarrern die staatliche Matrikelführung per Gesetz übertragen; für ihre Tätigkeit als Zivilstandsbeamte erhielten sie eine Entschädigung.
1926 regelte das Personen- und Gesellschaftsrecht (PGR) die Rechtsgrundlagen des Zivilstandswesens neu (Art. 58–105). Mit einer Abänderung des PGR 1972 (gültig ab dem 1.1.1974) wurde der Kirche das Zivilstandswesen entzogen und die bisher von den Pfarrern geleiteten Registeramtskreise wurden in einen einzigen, landesweiten Registeramtskreis zusammengelegt. Das neu geschaffene Zivilstandsamt nahm 1973 seine Tätigkeit auf und ist seit 1974 im Schädlerhaus, Vaduz, untergebracht. Es führt die Matrikelbücher und nimmt die Eheschliessungen (Zivilehe) vor. Die Register (Geburten, Ehen und Todesfälle) werden nach Gemeinden geführt. Die Eintragungen haben Beweiskraft, solange ihre Unrichtigkeit nicht nachgewiesen ist. Ausserdem werden sogenannte Familienbücher geführt, in denen alle Personenstandsangaben familienweise zusammengestellt sind.
Zollanschlussvertrag: Am 29.3.1923 mit der Schweiz geschlossener Vertrag über den Anschluss Liechtensteins an das schweizerische Zollgebiet; in Kraft seit dem 1.1.1924. Der Zollanschlussvertrag ersetzte den 1852 vereinbarten, am 2.8.1919 von Liechtenstein gekündigten Zoll- und Steuervertrag mit Österreich (→Zollwesen).
Verschiedentlich geändert und ergänzt durch weitere Abkommen, ist der Zollanschlussvertrag die massgebliche Rechtsgrundlage für das enge Verhältnis Liechtensteins zur Schweiz, zu der seither keine Zollgrenze mehr besteht. Er gilt als ein zentraler Faktor des wirtschaftlichen Aufschwungs Liechtensteins in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die schweizerische Zoll- sowie die übrige Bundesgesetzgebung sind für Liechtenstein anwendbar, soweit der Zollanschluss ihre Anwendung bedingt. Ausgenommen sind Beitragspflichten des Bundes. Zudem finden alle von der Schweiz mit dritten Staaten abgeschlossenen Handels- und Zollverträge auf Liechtenstein Anwendung. Die Schweiz wird gleichzeitig ermächtigt, Liechtenstein bei derartigen Verhandlungen zu vertreten und diese Verträge mit Wirksamkeit auch für Liechtenstein abzuschliessen.
Eine Revision des Zollanschlussvertrags 1990 ermöglichte es Liechtenstein, selbstständig Mitglied von Handelsverträgen und Handels- bzw. Wirtschaftsinstitutionen zu werden, namentlich 1991 der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) und 1995 der Welthandelsorganisation (WTO) sowie – nach einer erneuten Revision des Zollanschlussvertrags 1994 – des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR).
Zollwesen: Zölle sind Abgaben, die von Herrschaftsträgern (in der Neuzeit von Staaten) bei der Ein-, Aus- oder Durchfuhr von Waren erhoben werden. Sie sind von fiskalischer und wirtschaftspolitischer Bedeutung (→ Steuern und Abgaben; → Aussenwirtschaft).
Das Zollregal, ursprünglich ein königliches Reservatrecht, wird im Gebiet des heutigen Liechtenstein ab dem 14. Jahrhundert als Bestandteil landesherrlicher Rechte erwähnt. Die Zollstationen lagen bis ins 19. Jahrhundert nicht an den Grenzen, sondern im Landesinnern an der Landstrasse und den sogenannten Anhangstrassen, die in die benachbarte Schweiz führten. Bis 1852 galten Zölle v.a. als herrschaftliche Einnahmequelle (Fiskalzoll), während ihre handelspolitische Funktion nur insofern Beachtung fand, als der für das Transportgewerbe (→ Transportwesen) wichtige Durchgangsverkehr nicht durch zu hohe Tarife gehemmt werden sollte.
Die bedeutendste Zollstation befand sich seit dem Mittelalter in Vaduz, vorerst bei der Kapelle St. Florin, ab dem 17. Jahrhundert in der herrschaftlichen Taverne zum «Adler». Hier wurde primär der Verkehr auf der Nord-Süd-Achse erfasst. Während der 1360 erstmals urkundlich erwähnte (Haupt-)Zoll in Vaduz kontinuierlich bis 1848 existierte, kam es bei den Nebenzollämtern, die auch den Ost-West-Verkehr kontrollierten, mehrmals zu Aufhebungen, Verlegungen oder Neugründungen. Seit dem Mittelalter sind Zollstationen in Balzers (um 1390) und auf Rofaberg (Eschen) belegt. Mitte des 18. Jahrhunderts gab es Nebenzollämter in Ruggell (Landzoll und Rheinzoll für die auf dem Rhein geflössten Waren), Balzers, Mäls und Rofaberg.
Neben dem Warenzoll (Transit-, Ein- und Ausfuhrzoll) bestand bis 1870 auch ein Wegzoll, das sogenannte Weggeld. 1750–81 wurden einzig auf Rofaberg bescheidene Weggeldsummen eingezogen. Nach Erlass einer neuen Weggeldordnung 1782 gab es Weggeldstationen in Rofaberg (bis 1785), Vaduz (bis 1791), Balzers und Schaanwald. Die liechtensteinische Bevölkerung war innerhalb des Lands von Weggeldzahlungen befreit. Zoll- und Weggeldeinnehmer amteten in Personalunion, führten meist ein bei den Stationen gelegenes Wirtshaus und waren mitverantwortlich für den Strassenunterhalt. Die Ämter wurden vom Landesherrn in Pacht vergeben.
Gemäss der ältesten überlieferten Zolltabelle der Grafschaft Vaduz von 1552 mussten u.a. Nahrungsmittel, Tiere, tierische und pflanzliche Produkte, Kleidung, diverse Gebrauchsgegenstände usw. verzollt werden; Juden hatten den diskriminierenden sogenannten Würfelzoll zu entrichten. Im 17. und 18. Jahrhundert erlassene, neue Tariftabellen hielten die Abgaben niedrig, um den Durchgangsverkehr nicht an die schweizerische Talseite zu verlieren.
Nach dem Ausbau der Landstrasse 1770–82 erfolgte 1791 eine Reorganisation des Zollwesens. Die Tarife wurden angepasst, die Zöllner erhielten Dienstvorschriften, der Hauptzoller in Vaduz musste neu ein «Tagebuch» führen. Zur besseren Kontrolle wurden den Fuhrleuten beim Betreten des Lands nummerierte Zollscheine («Zollpolleten») ausgestellt, die Auskunft über Datum, Waren, bezahlte Gebühren usw. gaben; sie mussten beim Zollamt Vaduz vorgewiesen und beim Verlassen des Lands abgegeben werden. Die Weggeldeinnehmer in Balzers und Schaanwald hatten als sogenannte Wehrzoller die nicht durch den Vaduzer Hauptzoll gehenden Waren zu kontrollieren. Schliesslich sollte die Trennung von Zollstube und Wirtshaus den Gefälligkeiten der Zöllner (die oft zugleich Wirte waren) gegenüber ihren Gästen Vorschub leisten.
Nach der Erlangung der staatlichen Souveränität und dem Wegfall zollpolitischer Vorschriften des Deutschen Reichs 1806 erfolgte 1808 eine erneute Reform des liechtensteinischen Zollwesens. Es entstanden neue Grenzzollämter in Balzers (für die Rheinquerung bei Mäls-Trübbach), Schaan (für den Rheinfährverkehr nach Burgerau) und Schaanwald (1821–34 nach Nendeln und Mauren verlegt). Ein neuer «Consumzoll» erfasste v.a. Salz und Tabak sowie weitere «Luxusgüter». Die Tarife wurden nur leicht angehoben, um Verkehr, Landesversorgung und Handel nicht zu gefährden. Mit den Reorganisationen von 1791 und 1808 folgte Liechtenstein zaghaft und verspätet dem europäischen Trend, Zollstationen an die Landesgrenzen zu verlegen, aber erst 1852 wurde das Grenzzollsystem vollständig eingeführt.
Die Zolleinnahmen erhöhten sich 1750–1848 stetig (am stärksten beim Hauptzoll Vaduz), ab dem späteren 18. Jahrhundert auch die Weggeldeinnahmen. Unter den Nebenzollämtern fielen lediglich Ruggell und ab 1837 die neue Zollstation Bendern stärker ins Gewicht. In den Hunger- und Krisenjahren 1771–72 und 1816–17 waren die Zolleinnahmen überdurchschnittlich hoch, musste doch die Bevölkerung von aussen mit Nahrungsmitteln versorgt werden. Hingegen liessen Tierseuchen und Kriegseinflüsse die Zoll- und Weggeldeinnahmen sinken, während der Koalitionskriege besonders 1796, 1799 und 1800. 1806–14 hemmten die viel höheren bayerischen Zolltarife den Grenzverkehr zwischen Liechtenstein und dem zu Bayern gehörenden Vorarlberg.
Die Zoll- und Weggelder flossen als Herrschaftsregale in die fürstliche Privatkasse, die Zollverwaltung oblag dem fürstlichen Rentamt. 1846 überliess Fürst Alois II. die Überschüsse dem Land und erklärte während der Revolution von 1848 die Zoll- und Weggeldgefälle zu Staatseinkommen. Trotz der geringen Erträge bildeten diese Gelder wesentliche Einnahmen.
Die Schaffung grösserer, einheitlicher Zollräume in den Nachbarländern – Aufhebung der Zollgrenzen zwischen Tirol und Vorarlberg 1826, Deutscher Zollverein 1834 (an dem Liechtenstein und Österreich nicht teilnahmen), Aufhebung sämtlicher interkantonaler Zollgrenzen im neu gebildeten schweizerischen Bundesstaat 1848 – bedrängte Liechtenstein zusehends. Das Land war durch die im frühen 19. Jahrhundert noch erhöhten Zollmauern gegen Österreich und Graubünden wirtschaftlich isoliert, was den Import von Nahrungsmitteln, den Export eigener landwirtschaftlicher Produkte und die Entwicklung von Gewerbe und Industrie behinderte. Eine gewisse Entlastung brachten die etwas tieferen Tarife des Kantons St. Gallen. Nach Bittgesuchen der liechtensteinischen Bevölkerung bat Fürst Johann I. Österreich 1825, 1831 und 1835 vergeblich um eine Herabsetzung des österreichischen Einfuhrzolls auf Vieh und Wein bzw. um eine generelle Senkung der österreichischen Zölle. 1847 ersuchte Fürst Alois II. um den Anschluss Liechtensteins an das österreichische Zollgebiet, was 1848 auch von der liechtensteinischen Bevölkerung gefordert wurde. Zögerten die revolutionären Ereignisse eine Lösung für Liechtenstein vorerst hinaus, führten die 1850 in Gang gekommenen Verhandlungen mit Österreich indes am 5.6.1852 zu einem Vertragsabschluss: Liechtenstein trat, vorerst bis 1863, dem österreichischen Zoll- und Steuergebiet bei.
Der österreichisch-liechtensteinische Zoll- und Steuervereinsvertrag von 1852 öffnete Liechtenstein den grossen österreichischen Wirtschaftsraum und schuf freien Verkehr für Arbeitsuchende, Gewerbe- und Handelsleute zwischen beiden Staaten. Die bisherigen liechtensteinischen Zölle und indirekten Steuern wurden aufgehoben, mit Ausnahme des Rheinzolls in Ruggell, der Salzsteuer und des Weggelds. Grenzzollämter zur Schweiz wurden in Balzers (Nebenzollamt I. Klasse) und in Bendern (II. Klasse) eingerichtet. Zolltafeln und Schlagbäume hatten die liechtensteinischen Landesfarben blau-rot. Die Zollverwaltung besorgten österreichische Beamte, die von Österreich ernannt und besoldet wurden und österreichische Uniformen mit liechtensteinischen Hoheitszeichen trugen. Sie mussten dem liechtensteinischen Fürsten Treue und Gehorsam schwören. Erträge aus Zöllen und indirekten Steuern wurden nach einem genauen Schlüssel zwischen beiden Staaten aufgeteilt. Liechtenstein erhielt ein jährliches Mindesteinkommen von 2 Gulden pro Einwohner und beteiligte sich an den Zollverwaltungskosten mit 10 % seines Anteils. Zudem verpflichtete sich Liechtenstein zur Übernahme des künftigen österreichischen Gewichts-, Mass- und Münzsystems. Der Zollvertrag hatte für Liechtenstein 1852–1914 existenzielle Bedeutung. Er trug massgeblich zu der in den 1860er Jahren einsetzenden Industrialisierung bei und verbesserte dank den neuen Einnahmen aus dem liechtensteinischen Zollanteil die Lage des öffentlichen Haushalts wesentlich.
Allerdings erschwerte der Zollvertrag die wirtschaftlichen Beziehungen zur Schweiz, da von den fünf Fähren über den Rhein nur die beiden in Mäls und Bendern eine Zollstätte erhielten und damit dem Warenverkehr dienten. Durch die hohen österreichischen Zollsätze sahen sich zudem das Gewerbe im Handel und die Konsumenten im Zugang zu den oft billigeren Lebensmitteln in der Schweiz behindert. Als 1863 die Erneuerung des Zollvertrags anstand, waren Teile der liechtensteinischen Bevölkerung dagegen und plädierten stattdessen für einen Zollvertrag mit der Schweiz. Österreich machte Zugeständnisse, u.a. wurden 1864 zusätzliche Zollämter II. Klasse in Schaan und Vaduz eröffnet. Das war bedeutsam, da Liechtenstein für seine Hauptprodukte Vieh und Wein aufgrund der österreichischen Konkurrenz auf den Export in die Schweiz angewiesen war. Bei der Vertragserneuerung 1876 wurde eine automatische Verlängerung um zwölf Jahre vereinbart, sofern nicht ein Jahr vor Ablauf die Kündigung erfolgte. Die liechtensteinische Verwaltungskostenpauschale wurde auf 25 % erhöht, in der Additionalkonvention 1888 aber wieder auf 17 % gesenkt.
Der Erste Weltkrieg führte in Liechtenstein aufgrund der weiterhin bestehenden Zollunion mit Österreich-Ungarn zum wirtschaftlichen Notstand. Die auch Liechtenstein treffende Handelssperre der Alliierten, Lebensmittel- und Rohstoffmangel, der Zusammenbruch der Industrie, Arbeitslosigkeit, Währungsverlust (Kronen-Inflation) und erhöhte Steuerabgaben liessen die Bindung an Österreich als grosse Belastung empfinden. Zusätzlich wurde das Zollwesen durch den während und nach dem Ersten Weltkrieg (besonders 1919) blühenden Schmuggel beeinträchtigt. Der liechtensteinische Landtag beschloss am 2.8.1919 die Aufkündigung des Zollvertrags mit Österreich-Ungarn. Die Loslösung vom österreichischen Währungs- und Wirtschaftssystem war auch von der Hoffnung getragen, durch eine wirtschaftliche Neuorientierung einen politischen Neubeginn zu initiieren.
Als Folge der Aufkündigung des Zollvertrags mit Österreich-Ungarn wurde Liechtenstein am 1.9.1919 ein zwischen zwei Zollgrenzen liegendes eigenständiges Zollgebiet. Da dieser Zustand für das Land eine erneute wirtschaftliche Isolation bedeutete, kam es zu Bestrebungen um einen Anschluss an das schweizerische Zollgebiet. Erste Kontakte mit der Schweiz in dieser Angelegenheit fanden am 23./24.1.1920 statt, und am 16.2.1920 suchte die liechtensteinische Regierung beim schweizerischen Bundesrat offiziell um die Aufnahme von Zollvertragsverhandlungen an. Die Verhandlungen zogen sich, bedingt durch die Komplexität der Materie wie auch durch Widerstände im benachbarten St. Galler Bezirk Werdenberg, bis 1923 hin. Am 29.3.1923 schlossen die Schweiz und Liechtenstein den Zollanschlussvertrag, der am 1.1.1924 in Kraft trat. Bereits am 27.8.1920 hatte Liechtenstein den Schweizer Franken als Zahlungsmittel für sämtliche Steuern, Gebühren, Taxen und Bussen eingeführt, und am 10.11.1920 war ein am 1.2.1921 in Kraft getretener Vertrag mit der Schweiz betreffend die Besorgung des Post-, Telegrafen- und Telefondienstes gefolgt.
1924 wurden zwei im Zusammenhang mit dem Zollanschlussvertrag notwendig gewordene liechtensteinische Gesetze erlassen: zum einen die Einführung der Frankenwährung, zum anderen nähere Einführungsbestimmungen zum Zollanschlussvertrag. Die wichtigsten Verträge zwischen Liechtenstein und der Schweiz seit dem Abschluss des Zollanschlussvertrags betreffen das Post- und Fernmeldewesen (1978), den Patentschutz (1980) und die Währung (1981).
Der Zollanschlussvertrag trug zur Linderung der prekären wirtschaftlichen Situation Liechtensteins in der Zwischenkriegszeit bei. In den 1920er Jahren deckten die Einnahmen aus dem Vertrag etwa ein Viertel des liechtensteinischen Staatshaushalts. Das starke Wachstum des Industriesektors ab den 1940er Jahren und der dadurch in Gang gesetzte wirtschaftliche Aufschwung Liechtensteins in der Nachkriegszeit sind auch auf die mit den Schweizer Verträgen geschaffenen günstigen Rahmenbedingungen zurückzuführen.
Liechtenstein hat mit dem Abschluss des Zollanschlussvertrags auf einen Teil seiner Souveränität verzichtet. Aufgrund dieses Vertrags finden automatisch alle von der Schweiz mit dritten Staaten abgeschlossenen Handels- und Zollverträge auf Liechtenstein Anwendung. Auf diese Weise kam es 1960 zum Beitritt zur Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) und am 22.7.1972 durch ein Zusatzabkommen zum Beitritt zu dem am gleichen Tag zwischen der Schweiz und den Europäischen Gemeinschaften abgeschlossenen Abkommen.
Seit 1991 ist Liechtenstein Vollmitglied der EFTA, und nach der Volksabstimmung vom 9.4.1995 erfolgte der Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Da ein Beitritt Liechtensteins zu internationalen Verträgen oder Organisationen, denen die Schweiz nicht angehört, laut Zollanschlussvertrag einer bilateralen Vereinbarung bedarf, trat Liechtenstein dem EWR endgültig erst am 1.5.1995 bei. Wegen der weiterhin offenen Grenze zur Schweiz verpflichtete sich Liechtenstein, zur Verhinderung eines illegalen Umgehungsverkehrs von Waren aus dem EWR-Raum über Liechtenstein in die Schweiz ein Marktüberwachungs- und Kontrollsystem zu schaffen. Zudem wurde die Einrichtung eines liechtensteinischen Amts für Zollwesen erforderlich (seit 2007 Amt für Handel und Transport). Dessen Aufgaben regeln das Gesetz über das Zollwesen sowie Durchführungsverordnungen und weitere Gesetze (Verordnung über das Amt für Handel und Transport, Verordnung über das Ursprungswesen, Gesetz und Verordnung über den Bezug von Salz aus dem EWR, Gesetz über die Verkehrsfähigkeit von Waren). Die erforderlichen gesetzlichen Anpassungen betrafen neben dem Zollanschlussvertrag das Heilmittel-Konkordat von 1971, den Patentschutzvertrag von 1978 sowie die beiden Vereinbarungen von 1963 über die Handhabung der Fremdenpolizei für Drittausländer im Fürstentum Liechtenstein und über die Rechtsstellung der beiderseitigen Staatsangehörigen im anderen Vertragsstaat.
Neben den genannten bedeutsamsten Mitgliedschaften können eine ganze Reihe weiterer Wirtschaftsabkommen genannt werden, denen Liechtenstein beigetreten ist. Zu diesen gehören die Welthandelsorganisation (WTO), die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) und die Konferenz Europäischer Verkehrsminister (CEMT/ECMT).
Am 28.2.2008 unterzeichnete Liechtenstein das Schengen/Dublin-Abkommen, das die Personen-Grenzkontrollen unter den Mitgliedsstaaten beseitigt und durch strenge Kontrollen der Aussengrenzen, innerstaatliche Zoll- und Polizeikontrollen sowie einen elektronischen Fahndungsverbund (Schengener Informationssystem) ersetzt. Bis zu dessen Inkrafttreten für Liechtenstein (am 19.12.2011) wurde neben der Grenze zu Österreich auch jene zur Schweiz (Schengen-Mitglied seit 2008) zur Schengen-Aussengrenze. Durch geeignete Massnahmen wurde die Grenze zur Schweiz offen gehalten.
ZUR VERTIEFUNG
Kündigung des Zollvertrags mit Österreich-Ungarn, 1919
Zotow, Eugen: Künstler. *30.9.1881 Charkow (Ukraine) als Ivan Grigorjewitsch Miassojedoff, †27.7.1953 Buenos Aires (Argentinien), Ukrainer. 1896–1901 Studium an der Moskauer Schule für Malerei, Bildhauerei und Baukunst, 1907–09 an der St. Petersburger Kaiserlichen Akademie der Künste. 1921–34 Exil in Berlin. 1938–53 lebte er unter dem Namen Eugen Zotow mit seiner Lebensgefährtin Malvina Vernici (1887–1972) im Exil in Vaduz. 1953 Auswanderung nach Argentinien.
Zotow war tätig als Maler, Grafiker, Fotograf, Sportler, Kostümentwerfer, Bühnenbildner, Choreograf, Schauspieler und Philosoph. Mit mythologischen Themen und ihrer Gestaltung in intensiver Farbigkeit folgte er in frühen Arbeiten neoakademischen und symbolistischen Tendenzen. Zotow war ein charakteristischer Vertreter des russischen Silbernen Zeitalters (1893–1910). Im Exilwerk verschiedene Stilrichtungen der gegenständlichen Malerei der Jahrhundertwende. In Liechtenstein wirkte Zotow als Landschafts- und Stilllebenmaler, Porträtist und Gebrauchsgrafiker besonders für private Auftraggeber. Wandmalereien in Vaduz und Mauren 1944. Landschaftsmotive aus Liechtenstein und der Schweiz lieferte er in realistischer und impressionistischer Ausprägung. 1951 entstanden die «Radierungen aus den elf Gemeinden des Fürstentums Liechtenstein». Zeichnungen und Grafiken zeigten Schloss Vaduz als Staatssymbol. Zotow schuf als Briefmarkenentwerfer und -stecher die «Huldigungsserie» (1939), die Einzelmarke «Madonna von Dux» (1941), die «Historische Serie» (1942) und die Serie «Binnenkanal» (1943), die ihn über die Grenzen Liechtensteins hinaus bekannt machten. Für das Fürstenhaus entstanden u.a. Bildnisse von Fürst Franz Josef II. Im Kontrast zu den Auftragsarbeiten stehen seine politischen Malereien und Zeichnungen. Sie stellen die Verarbeitung seiner Schreckenserlebnisse von Krieg und Revolution in Russland dar.
Zotow wurde 1924 und 1933 in Deutschland wegen Geldfälschung und 1948 in Liechtenstein wegen versuchter Fälschung öffentlicher Papiere zu Gefängnisstrafen verurteilt. Gruppenausstellungen in Russland, Einzelausstellungen in Vaduz 1940, 1952, 1959, 1986 und 1997 sowie in Moskau 1998. 1992 gründete die Liechtensteinische Kunstgesellschaft die «Prof. Eugen Zotow-Ivan Miassojedoff-Stiftung» in Vaduz, welche sich der Erforschung von Leben und Werk des Künstlers sowie der wissenschaftlichen Betreuung seines von der Stiftung erworbenen Nachlasses widmet.
Ivan Miassojedoff/Eugen Zotow, 1997 (mit Werkauswahl).
Zugrecht: Das Zugrecht (Näherrecht, ) gibt dem näher Berechtigten die Befugnis, eine vom Eigentümer an einen ferner stehenden Berechtigten veräusserte Sache gegen Kostenersatz an sich zu «ziehen». Das Zugrecht hat seinen Ursprung in der mittelalterlichen Gebundenheit des Grundeigentums und bezweckt, das Familien- oder Genossenschaftsvermögen zusammenzuhalten und Fremde vom Gütererwerb auszuschliessen. Politisches Ziel war im 18. Jahrhundert, dem Ausverkauf landwirtschaftlicher Flächen an Bündner und Schweizer im Raum Balzers und an Feldkircher Ausbürger in der Herrschaft Schellenberg entgegenzutreten. Näher Berechtigte (Züger) waren Verwandte, Nachbarn, Gemeinde- oder Landesgenossen; ferner Stehende waren Nichtverwandte, Auswärtige, die als Fremde geltenden ansässigen Juden, die Hintersassen oder Neubürger.
Das Zugrecht bezog sich v.a. auf Liegenschaften (bebaute Grundstücke, Äcker, Weingärten, Wiesen, Wälder, Alpen usw.), begrenzt auch auf Fahrnis (bewegliche Häuser, Vieh). Das Zugrecht galt teils befristet, teils unbefristet (ewiges Zugrecht). Der Züger musste den Kaufpreis und allfällige Aufwendungen des Erwerbers ersetzen. Da Missbräuche (fiktive Kaufpreise) häufig waren, wurde der Kostenersatz nach billiger Wertschätzung durch zwei Schätzleute ermittelt. Das Zugrecht war in Liechtenstein altes Gewohnheitsrecht mit einer Verjährungsfirst von 15 Jahren bei Grundstücken und zehn Jahren bei Fahrnis. 1624 wurde das gegenseitige Zugrecht der Untertanen der Herrschaft Schellenberg und der österreichischen Untertanen in Bangs vertraglich geregelt, 1719 die Verjährung des Zugrechts gegenüber Klöstern aufgehoben und 1755 das Zugrecht der Gemeinde Balzers gegenüber den Bündnern festgeschrieben. 1771 erfolgte die Aufhebung des Zugrechts bei Fahrnis, 1809 bei Liegenschaften.
Zumwinkel-Affäre: Klaus Zumwinkel, Vorstandvorsitzender der Deutschen Post, wurde am 14.2.2008 in seinem Privathaus in Köln vor zahlreich anwesenden Fernsehkameras verhaftet. Die Staatsanwaltschaft Bochum ermittelte wegen Verdachts der Steuerhinterziehung gegen Zumwinkel, der kurze Zeit später von seinem Amt als Post-Vorstandsvorsitzender zurücktrat. 2009 wurde Zumwinkel zusammen mit hunderten weiteren deutschen Steuerhinterziehern verurteilt. Sein Strafmass für die Hinterziehung von Steuern in Höhe von über 970 000 Euro war eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren gegen die Bezahlung einer Bewährungsauflage von 1 Mio. Euro. Die Daten, welche zu den umfangreichen Ermittlungen geführt hatten, stammten von der LGT Treuhand AG, einer Tochtergesellschaft der LGT Bank in Liechtenstein in Vaduz. Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) hatte sie von einem geheimen Informanten erworben – gemäss dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel um die Summe von 4,6 Mio. Euro.
Diese Affäre, in den Medien meist «Zumwinkel-Affäre» oder «Liechtensteiner Steueraffäre» genannt, sorgte in Liechtenstein für Unruhe, sowohl auf dem Finanzplatz wie in der Politik und in der Öffentlichkeit. Auch in den internationalen Medien blieb das Thema lange präsent und erhöhte den Druck auf sogenannte «Steueroasen» wie Liechtenstein, Monaco und Andorra und auch auf weitere Länder mit starkem Bankgeheimnis wie beispielsweise die Schweiz, Luxemburg oder Österreich. Nicht nur die hohe Anzahl und zum Teil die Prominenz der überführten Steuersünder sorgten für hohe Aufmerksamkeit und damit für Anpassungsdruck auf Liechtenstein, sondern auch die markanten Aussagen deutscher Politiker und Medien. Der Druck Deutschlands wurde beim Staatsbesuch des liechtensteinischen Regierungschefs Otmar Hasler bei Bundeskanzlerin Angela Merkel eine knappe Woche nach der Verhaftung Zumwinkels evident. Die Steuerfrage blieb bis zum Abschluss des liechtensteinisch-deutschen Steuerinformationsaustauschabkommens 2010 respektive des Doppelbesteuerungsabkommens 2011 Thema Nummer eins in den diplomatischen Beziehungen beider Staaten.
Am 12.3.2009 stellten Erbprinz Alois, Regierungschef Otmar Hasler und der designierte Regierungschef Klaus Tschütscher die «Liechtenstein-Erklärung» vor, in der sich Liechtenstein zu einer konsequenten Weissgeldstrategie bekannte und somit zu den internationalen OECD-Standards betreffend Transparenz und Informationsaustausch in Steuerfragen. Dieser Strategie folgend, wurden die regulatorischen Massnahmen auf dem Finanzplatz Liechtenstein verstärkt (→Finanzdienstleistungen) sowie 77 bilaterale und multilaterale Abkommen über die Doppelbesteuerung und/oder den Informationsaustausch in Steuersachen abgeschlossen (Stand November 2018).
Neben anderen Faktoren trug dieser Wandel zu einem tiefgreifenden Reformprozess in Liechtensteins Finanzdienstleistungssektor bei, vor allem im Treuhandwesen, aber auch bei den Banken. Auch verschärfte die Zumwinkel-Affäre den Einbruch der liechtensteinischen Konjunktur, der durch die internationale Finanzkrise von 2008/09 und starke Frankenaufwertungen ausgelöst worden war; in Mitleidenschaft gezogen wurden sowohl die Wirtschaft wie die Öffentlichen Haushalte. Die durchschnittliche Performance der Aktienkurse der beiden börsenkotierten Liechtensteiner Banken (Liechtensteinische Landesbank und VP Bank) waren von der Affäre nur kurz negativ beeinflusst, die Kursvolatilität blieb aber erhöht.
Wie sich rasch herausstellte, handelte es sich beim Informanten, der die Affäre ausgelöst hatte, um den Liechtensteiner Heinrich Kieber (*1965). Kieber hatte die Daten als früherer Angestellter der LGT Treuhand gestohlen und verkaufte sie nach eigenen Angaben ausser an den BND auch an mindestens 12 andere Steuerbehörden und Geheimdienste. Seit März 2008 existiert ein internationaler Haftbefehl gegen Kieber.
Die Zumwinkel-Affäre fand 2010 mit einer Strafzahlung der LGT von 50 Mio. Euro in die deutsche Staatskasse ihr formelles Ende. Die moralische und rechtliche Frage, ob gestohlene Daten gekauft und verwendet werden dürfen, blieb in der öffentlichen Debatte umstritten, auch in Deutschland. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hielt im November 2010 den Kauf von Daten-CDs für verfassungskonform und gab damit den Weg frei für weitere Datenkäufe. Die öffentlichkeitswirksame Verhaftung Zumwinkels führte zu zahlreichen Selbstanzeigen. Gemäss einer Zwischenbilanz der Bochumer Staatsanwaltschaft von 2010 beliefen sich die Steuernachzahlungen aus Selbstanzeigen auf 626 Mio. Euro (etwa zwei Drittel davon ohne Bezug zum LGT-Fall), während sich die Strafzahlungen für die bereits erledigten 244 Fälle der insgesamt 596 Ermittlungsverfahren aufgrund der LGT-Daten auf 181 Mio. Euro summierten.
Hatte in der Liechtensteiner Finanzplatzkrise der Jahre 1999 bis 2001 der Geldwäschereivorwurf im Mittelpunkt gestanden, ging es in der Zumwinkel-Affäre vor allem um die Bekämpfung der Steuerhinterziehung.
Zuschg: Eine Zuschg (Sust) war ein Lagerhaus für Waren, das bisweilen auch als Unterstand für Fuhrwerke diente. Zuschgen spielten im Rodfuhrwesen (→ Transportwesen) eine grosse Rolle. Bei einer Zuschg erfolgte die Übergabe der Waren an andere Fuhrleute oder der Pferdewechsel. Neben der Zuschg stand meist ein Wirtshaus, oft war der Standort auch Weggeldstation (→ Regalien). Zuschgen befanden sich in Liechtenstein v.a. entlang der Landstrasse, die Teil des Handelswegs zwischen Deutschland und Italien war. 1390 wurden Zuschgen in Feldkirch, Schaan, Vaduz, Balzers und Maienfeld erwähnt, später auch in Schaanwald, Nendeln und Triesen. Balzers, mit Maienfeld durch die Passstrasse über die Sankt Luzisteig verbunden, war wichtigster Umladeort in Liechtenstein und Standort mehrerer Zuschgen Mit dem Ende des Rodfuhrwesens im frühen 19. Jahrhundert verloren die Zuschgen ihre Bedeutung und wurden später zumeist abgerissen.
Zweiter Weltkrieg: Der Zweite Weltkrieg begann am 1.9.1939 mit dem Angriff Hitlerdeutschlands auf Polen und endete in Europa mit der deutschen Kapitulation am 8.5.1945 und im ostasiatisch-pazifischen Raum mit der japanischen Kapitulation am 2.9.1945. Die grossen Kriegsgegner waren die Achsenmächte einerseits (Deutschland, Italien ab 1940 und Japan ab 1941) und die Alliierten andererseits (Grossbritannien, Frankreich, ab 1941 Sowjetunion und USA), dazu zahlreiche Verbündete beider Seiten. Nach grossflächigen Siegeszügen der Achsenmächte wendete sich das Kriegsgeschehen ab 1942 zu ihren Ungunsten. Der Zweite Weltkrieg war ein von den Achsenmächten entfesselter Eroberungs-, Weltanschauungs- und Vernichtungskrieg.
Liechtenstein war im Zweiten Weltkrieg von Krieg und Anschluss an Hitlers Grossdeutschland bedroht. Wie nie mehr seit den napoleonischen Koalitionskriegen musste die Bevölkerung um Leben, Habe und Identität fürchten, von aussen und innen. Das Land blieb verschont, selbst unbewaffnet und neutral, im Schutzschatten der neutralen Schweiz, gerettet durch den Sieg der alliierten Armeen über Deutschland. Der Krieg berührte alle Bereiche.
In der Kriegszeit wirkten Fürst Franz Josef II. und die beiden Regierungsparteien FBP und VU pragmatisch zusammen. Die Volksdeutsche Bewegung in Liechtenstein (VDBL) vergiftete ab 1940 und bis zum Kriegsende das innenpolitische Klima und belastete die Aussenpolitik. Ziele der VDBL waren die nationalsozialistische Umgestaltung Liechtensteins und der Anschluss an Deutschland. Die VDBL suchte ihre Gesinnung mit Flugblättern (1940), der Zeitung «Der Umbruch» (1940–43), Hitler-Gruss, Hakenkreuzabbrennen, Beschimpfungen und Tätlichkeiten durchzusetzen. Mit NS-Gegnern gab es öfter Schlägereien. Organisiertes öffentliches Auftreten war der VDBL durch das Verbot von Versammlungen, Marschieren, Uniformen, politischer Abzeichen, Fahnen oder Feuerabbrennen verwehrt. Doch schritt die Regierung nicht zur Auflösung der VDBL, sie wollte eine «illegale» Bewegung vermeiden. Für die Selbständigkeit Liechtensteins standen Fürst, Regierung, Landtag, Geistlichkeit, Schule, Pfadfinder, Jungmannschaften und die grosse Mehrheit der Bevölkerung ein. Die offene Auseinandersetzung mit der VDBL wurde von der FBP und den Pfadfindern geführt, während sich die VU taktisch zurückhielt. Im Oktober 1940 wollte die überparteiliche «Nationale Bewegung» (Heimattreue Vereinigung Liechtenstein) durch Unterschriftensammlung möglichst viele Liechtensteiner auf die Selbständigkeit des Landes verpflichten. Die VU-Führung verweigerte sich dieser Aktion. Die 1943 anstehende Landtagswahl verschob der Fürst auf Wunsch beider Regierungsparteien durch Notverordnung. So wurde in schwieriger Zeit ein Wahlkampf zwischen FBP, VU und VDBL vermieden. Knapp vor dem Kriegsende wurde die Landtagswahl am 29.4.1945 nachgeholt. Im Wahlkampf spielte die VDBL keine Rolle mehr, wohl aber die von der FBP kritisierte weiche Haltung der VU gegenüber VDBL und «Umbruch» in der Kriegszeit. In dieser ersten echten Proporzwahl bestätigten die Wähler das seit 1939 bestehende Sitzverhältnis (8 FBP, 7 VU). Nach dem Waffenstillstand vom 8.5.1945 verbot die Regierung die VDBL und die auslanddeutsche NSDAP.
Die Gesetzgebung war durch den Krieg geprägt. Am 2.9.1939 erteilte ein Verfassungsgesetz der Regierung umfassende Vollmachten zur Anordnung kriegswirtschaftlicher Massnahmen. Solche äusserten sich in einer Vielzahl von Verordnungen und Erlassen. Ebenso erhielt die Regierung im Mai 1940 per Verfassungsgesetz ausserordentliche Vollmachten zur allfälligen Evakuierung von Bevölkerung, Vieh und Habe. Unzählige schweizerische Erlasse wurden übernommen, da Liechtenstein sich faktisch ganz in die schweizerische Kriegswirtschaft eingliedern und so die Landesversorgung durchweg gewährleisten konnte. Liechtensteinische Gesetze betrafen mehrfach die Landwirtschaft sowie u.a. die Bekämpfung der Tuberkulose (1941), die Unfall- und Krankenversicherung (1940, 1941, 1942, 1944, 1945), das Gemeindekassierwesen (1941), den Arbeiterschutz (1942), die Heimarbeit (1942), Denkmalschutz (1944), Fremdenverkehr (1944), Sanitätswesen (1945). Die vielen Regierungsverordnungen spiegeln die Kriegssituation: u.a. Verbote der ausländischen Hoheitszeichen, der Verbreitung von Gerüchten, der Störung von Ruhe und Ordnung (alle 1940) sowie der politischen Provokationen (1941), Pflicht der Schuljugend zum Gottesdienstbesuch (1940), Arbeitseinsatz in der Landwirtschaft (1941, 1943), Salzpreis (1941), Arbeitsdienstpflicht, Ackerbaustellen von Land und Gemeinden (beide 1942), ausländische Parteienvertreter bei Verfahren wegen politischer Delikte, Beschlagnahme der Heuvorräte (beide 1943), Milchversorgung, Waffengebrauch von Polizei und Hilfspolizei beim Grenzdienst (beide 1944), Zahlungsverkehr mit Deutschland und weiteren Ländern (1945).
Der Regierung und dem Personal von Land und Gemeinden gelang es trotz Überlastung, das Notwendige geordnet zu verwalten. Die seit 1933 bestehende Landespolizei (Sicherheitskorps) zählte sieben Polizisten. Hinzu kamen ab 1938 v.a. im Grenzschutz eingesetzte Hilfspolizisten. Ihre Anzahl wurde bis 1945 von 20 auf gut 50 Mann erhöht (→ Polizei).
Am 30.8.1939 erklärte Liechtenstein seine Neutralität. Die Gefahr, von Krieg überzogen zu werden, bestand für den Fall, dass die Schweiz angegriffen würde. Im Mai und Juni 1940 war diese Gefahr im Zug des deutschen Westfeldzugs und Hitlers militärischer Anweisung zur Schweiz am höchsten. In den geheimen deutschen Operationsplänen gegen die Schweiz waren auch der deutsche Durchmarsch und die Besetzung Liechtensteins vorgesehen. Mitte Mai 1940 ergriffen Regierung und Gemeinden Evakuierungsvorbereitungen. Alliierte Flieger, vereinzelt auch deutsche, flogen im Krieg über Liechtenstein, in Verletzung des Luftraums. Ein amerikanischer Jagdpilot setzte im Februar 1945 seine Maschine auf eine Kiesbank im Rhein, er wurde der Schweiz übergeben. Aus Deutschland entflohene Kriegsgefangene wurden in der Regel der Schweiz übergeben, doch wurden mindestens drei nach Deutschland zurückgeschoben. In den letzten Kriegstagen Anfang Mai 1945 bestand die Gefahr, dass deutsche Truppen sich vor den nachrückenden Franzosen auf liechtensteinisches Gebiet zurückzögen. Die Regierung ersuchte die französischen Truppen um Hilfe und bereitete erneut die Evakuierung vor. Beides wurde nicht mehr nötig.
Die liechtensteinisch-schweizerische Grenze konnte 1939–48 nicht mehr frei überschritten werden, Inländer brauchten Ausweise, Ausländer Visa, schweizerische Grenzwacht und Heerespolizei kontrollierten die Grenze. Eine militärische Schutzgarantie durch die Schweiz für Liechtenstein gab es nicht. Dies bekräftigte der Bundesrat wiederholt. Die schweizerische Grenzwacht, welche gemäss Zollvertrag die liechtensteinisch-deutsche Grenze kontrollierte, hätte sich bei einem deutschen Angriff in die Schweiz zurückziehen müssen. Dennoch bedeutete die vertragliche und wirtschaftliche Einbindung des Fürstentums in die Schweiz einen existenziellen Schutzfaktor. Entsprechend pflegte und vertiefte die liechtensteinische Regierung die Beziehungen zur Schweiz. Dort aber wuchs 1940 v.a. wegen der VDBL-Umtriebe Misstrauen gegenüber der offiziellen Haltung Liechtensteins. Im Herbst 1940 strebte Liechtenstein ein neues Fremdenpolizeiabkommen an, es sollte den freien Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt ermöglichen. Die Schweiz jedoch forderte vorerst ultimativ ein öffentliches Bekenntnis der Liechtensteiner zur Schweiz. Dieses leisteten Fürst, Regierung und Regierungsparteien – ohne den Hintergrund öffentlich zu machen – am 5.11.1940 an einer Sitzung des Landtags. Damit war auch die VU-Führung wieder auf die Schweizer Partnerschaft eingeschwenkt, nachdem Regierungschef-Stellvertreter Alois Vogt noch bis zum Oktober 1940 insgeheim bei deutschen Parteistellen bezüglich einer wirtschaftlichen Umorientierung nach Deutschland sondiert hatte. Anfang 1941 öffnete das neue Fremdenpolizeiabkommen den liechtensteinischen Arbeitskräften den Zugang zur Schweiz.
Gegenüber Deutschland hielten Fürst Franz Josef und Regierungschef Josef Hoop eine freundlich-unverbindliche Diplomatie für gegeben. Hoop erregte im Dezember 1940 mit einem Liechtenstein-Vortrag in Stuttgart Argwohn, weil er den deutschen Truppen Respekt für ihre Siege zollte. Der Fürst sandte u.a. Hitler periodisch Glückwunschtelegramme, so zu Neujahr, zum Geburtstag und zum Ausgang des Attentats vom 20.7.1944; Hitler antwortete jeweils knapp. Die liechtensteinische Regierung gab die Einwilligung für ein Lager der auslandsdeutschen Hitlerjugend (HJ) aus der Schweiz im Steg (1941) und für ein Lager der deutschen «Kinderlandverschickung» (KLV) im «Kurhaus Gaflei» (August 1943 bis Februar 1944).
Fürst Franz Josef II. wohnte seit 1938 in Vaduz. Der Besitz des Fürstenhauses (Güter, Betriebe, Kunstsammlung) lag im deutschen Machtbereich in der «Ostmark» und im tschechischen «Protektorat». Franz Josef arrondierte einzelne dortige Betriebe durch Zukauf «arisierter» Firmen. Auf einigen fürstlichen Gütern leisteten Kriegsgefangene und 1944/45 jüdische KZ-Häftlinge aus Ungarn Zwangsarbeit. Der Fürst erreichte 1944/45 die Evakuierung der Mitglieder der fürstlichen Familie sowie des grössten Teils der Sammlungen des Fürsten von Liechtenstein nach Vaduz.
Fürst Franz Josef besuchte im November 1941 den italienischen König Viktor Emanuel III. und Papst Pius XII. und nahm in der zweiten Hälfte des Kriegs mit den diplomatischen Vertretungen Grossbritanniens und der USA in der Schweiz Kontakt auf. Ebenso vereinbarte er 1944 mit Bundesrat Marcel Pilet-Golaz die Wiedereröffnung der 1933 geschlossenen liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern. Da dieser Schritt nicht mit der Regierung abgesprochen war, kam es zu einem Zerwürfnis zwischen dieser und dem Fürsten. In Drittstaaten vertrat die Schweiz Liechtenstein weiterhin diplomatisch.
Im Februar 1945 wurde Liechtenstein wie die Schweiz in die aufgrund der alliierten Mission Currie erfolgende Sperrung deutsches Vermögen einbezogen, ebenso fand 1946 das mit der Schweiz geschlossene Washingtoner Abkommen Anwendung auf Liechtenstein. Alliiertes Interesse war auf Liechtenstein wegen des Verdachts der Verschiebung von NS-Raubgut und Nutzniesservermögen gerichtet. Solche Verdachtsmomente, welche 2001–05 auch von der «Unabhängigen Historikerkommission Liechtenstein Zweiter Weltkrieg» untersucht wurden, erhärteten sich nicht. Liechtenstein war seinerzeit als Finanzplatz oder als Umschlagplatz für Kunstwerte zu unbedeutend. Einige Firmen und Personen in Liechtenstein wurden wegen Zusammenarbeit mit Deutschland auf britische und amerikanische schwarze Listen gesetzt. Unter anderem in den USA und in England wurden einzelne liechtensteinische Neubürger deutscher Herkunft interniert, ihre Besitztümer beschlagnahmt. Über Liechtenstein lief Spionage, weil es eine weiche Stelle an der Schweizer Grenze bot und direkt vor der Schweizer Ostfestung Sargans lag. Vorab VDBL-Leute sowie einzelne Deutsche im Land und Schweizer im Grenzgebiet spionierten, denunzierten oder übermittelten Material an deutsche Stellen. Ein Liechtensteiner wurde im Juni 1944 in der Schweiz als Landesverräter hingerichtet, andere erhielten lange Haftstrafen.
Zur Wehrmacht in den Krieg eingezogen wurden über 120 in Liechtenstein wohnhafte deutsche Männer, etliche fielen. Weitere gut zwei Dutzend Deutsche rückten nicht ein, sie wurden als «Refraktäre» im Land geduldet. Schweizer wurden zum Aktivdienst aufgeboten. Gut 100 Liechtensteiner nahmen als Freiwillige am Hitlerkrieg teil, davon gegen 60 in der Waffen-SS, einige in der Wehrmacht sowie 30 noch kurz vor dem Kriegsende im «Volkssturm». Die meisten waren junge VDBL-Anhänger. Mindestens sechs Liechtensteiner fielen. Die Rückkehrer konnten, anders als in der Schweiz, strafrechtlich nicht belangt werden. Einige in die USA ausgewanderte Liechtensteiner kämpften auf Seiten der Alliierten.
In den letzten Kriegstagen entsandte die Schweiz 110 Grenzwachtrekruten zur verstärkten Grenzbewachung ins Land. Innert weniger Tage überschritten über 8000 Flüchtlinge, darunter befreite KZ-Insassen, die Grenze zu Liechtenstein. Behörden, das neu gegründete Liechtensteinische Rote Kreuz und die Pfadfinder versorgten die Ankommenden, bevor sie in die Schweiz weitergeleitet wurden. NS-Funktionäre oder Kollaborateure wie der französische Vichy-Ministerpräsident Pierre Laval wurden abgewiesen. Interniert wurden dagegen in Liechtenstein die noch fast 500 Personen umfassenden Reste der «1. Russischen Nationalarmee der Wehrmacht», die am 2./3. Mai 1945 die Grenzen überschritten.
In der Kriegszeit war Liechtenstein ganz in die schweizerische Kriegswirtschaft einbezogen. Wie dort wurden sukzessive fast alle Lebensmittel (ausgenommen Kartoffeln, Gemüse, Obst), Treibstoffe, Kohle, Kleider, Schuhe, Seife, Fahrradmäntel rationiert oder kontingentiert. Der private Autoverkehr wurde eingeschränkt, Lastwagen und Traktoren wurden teils auf Holzvergaser umgerüstet, Altstoffe zur Rohstoffgewinnung gesammelt und der schweizerische landwirtschaftliche Mehranbau (nach Plan Wahlen) wurde auch in Liechtenstein durchgeführt, organisiert durch Ackerbaustellen. Hunger gab es nicht. Die kriegswirtschaftlichen Notwendigkeiten wurden akzeptiert. Verstösse wie Nichtablieferung von Eiern, Handel mit Butter, Verkauf frischen Brots, nachlässige Verdunkelung ahndete die Regierung mit Bussen. Dem landwirtschaftlichen Landdienst unterzogen sich die jungen Männer ungern. Deutsche «Refraktäre» wurden zeitweilig zum landwirtschaftlichen Einsatz beordert.
Die Nachfrage nach Arbeitskräften stieg erst ab 1941. Die Schweiz, das Reich und die Industrie benötigten Arbeiter. Im Herbst 1941 wurden drei metallverarbeitende Firmen gegründet: die Press- und Stanzwerk Eschen AG (Presta; ThyssenKrupp Presta AG), die Hilti Maschinenbau OHG (Hilti Aktiengesellschaft) in Schaan sowie die Präzisions-Apparatebau Vaduz (PAV). Hilti und Presta produzierten für die deutsche Rüstung, Letztere über die schweizerische Oerlikon-Bührle. In der Industrie waren 1941 gesamthaft 433 Personen (davon 299 weiblich) beschäftigt, 1943 mit 827 (422) fast doppelt so viele, im September 1945 noch 693 (289). Im Reich, wo die Männer an die Front befohlen wurden, arbeiteten zeitweilig über 500 Grenzgänger aus Liechtenstein. Im Gesellschaftswesen brach die Zahl der Gründungen ab 1938 massiv ein, die Zahl der Löschungen überstieg jene der Gründungen weit. Mehr Gründungen gab es wieder ab 1943, vorab wegen der in Liechtenstein vermeidbaren schweizerischen Kriegsgewinnsteuer. Die beiden liechtensteinischen Banken (Liechtensteiner Landesbank und Bank in Liechtenstein) blieben klein. In der Kriegszeit betrug die Inflation im Gebiet des Schweizer Frankens und damit auch in Liechtenstein rund 50 %.
Das gesellschaftliche und kulturelle Leben war in der Kriegszeit eingeschränkt. Der Kriegsverlauf wurde mit Sorge verfolgt. Das «Liechtensteiner Volksblatt» verlor den Optimismus nie, dass das Dritte Reich nicht gewinnen werde, das «Liechtensteiner Vaterland» stellte sich 1940–42 eher auf ein deutsches «neues Europa» ein, der «Umbruch» gab sich von Hitlers Sieg überzeugt. Hitleranhänger hörten den Reichssender, die Mehrheit der Radiohörer aber vorab Radio Beromünster, manche auch BBC. Das seit 1939 betriebene Kino in Vaduz war deutschfreundlich ausgerichtet, indes unterlagen Filme und Filmwochenschau der schweizerischen Zensur. Die Kinos in Buchs und Feldkirch zogen liechtensteinische Besucher an. Für die Deutschen in Liechtenstein organisierte die «Deutsche Kolonie» Propagandafilme und Vorträge von «Reichsrednern»; Nichtdeutschen verbot die Regierung den Zutritt.
In der Kriegszeit wurde mehr gebetet, so auch öffentlich jeden Abend im Kloster St. Elisabeth in Schaan um Frieden. Am 25.3.1940 stellte Fürst Franz Josef bei der Kapelle Maria zum Trost auf Dux, Schaan, das Land feierlich unter den Schutz der Gottesmutter. Der durch religiöse Hoffnung gestützte patriotische Zusammenhalt der liechtensteinischen Bevölkerung wurde symbolisch durch die jährliche Feier am 15. August, dem Vorabend des Geburtstags des Fürsten Franz Josef, zum Ausdruck gebracht. Ab 1940 war der 15. August Staatsfeiertag. Ähnliche Selbstvergewisserung erlebte Liechtenstein mit der 1943 begangenen Heirat von Fürst Franz Josef mit Gräfin Gina von Wilczek.
Während des Kriegs lebten im Land rund 120 jüdische Flüchtlinge, auf Weiterreise wartend, die meisten deutscher oder österreichischer Herkunft, ab 1941 staatenlos, teils mittellos, in ständiger Angst vor dem nahen Hitlerreich. Sie konnten keine Arbeit annehmen, welche Einheimische konkurrenziert hätte, wohl aber Betriebe gründen, die Arbeit schufen. Die Regierung schrieb ihnen die Mitgliedschaft im 1940 gegründeten «Hilfsverein der Juden in Liechtenstein» vor. Während des Zweiten Weltkrieges gelangten nur noch wenige Flüchtlinge nach Liechtenstein. Die meist aus städtischem Umfeld ins dörflich-bäuerliche Liechtenstein kommenden Juden wurden von der Bevölkerung menschlich aufgenommen, doch galten sie als Fremde und waren öfter üblen Anfeindungen von Nationalsozialisten ausgesetzt (→ Antisemitismus).
Die Kriegswirtschaft konnte im Einklang mit der Schweiz nach dem Kriegsende 1945 nur langsam abgelöst werden. Die letzten Rationierungen wurden 1948 aufgehoben. Die Regierung trat im Sommer 1945 zurück. Auslösend war das auf 1944 zurückgehende Zerwürfnis zwischen dem Fürsten und Regierungschef Hoop in der Gesandtschaftsfrage, letzten Anlass bot die von Hoop heimlich geduldete Anwesenheit des deutschen Parteifunktionärs und Hoop-Vertrauten Hermann Sieger. Der Regierungsablösung stand auch der Gedanke Pate, neue Personen sollten Liechtenstein in die Nachkriegszeit führen. Neuer Regierungschef wurde Alexander Frick (FBP), der aktiv gegen die Nationalsozialisten gewirkt hatte, Regierungschef-Stellvertreter wurde der langjährige Regierungssekretär Ferdinand Nigg (VU). Nach dem Waffenstillstand 1945 verlangten NS-Gegner, die in Schaan symbolisch einen Galgen aufstellten, eine politische «Säuberung», nämlich die Bestrafung von Putschisten, VDBL-Führern sowie «Umbruch»-Leuten, ebenso kritisierten sie NS-Sympathisanten aus der VU-Spitze. Die Regierung wies Deutsche, die als NS-Funktionäre tätig gewesen waren, aus, suspendierte einzelne Lehrer, setzte sonst aber auf Befriedung und Reintegration. Gegen die Führer des gescheiterten Anschlussputsches von 1939 sowie den VDBL-Landesleiter Alfons Goop wurden 1946 mehrjährige Gefängnisstrafen verhängt. Ebenso kam es zu Urteilen wegen verbotenen Nachrichtendienstes für Deutschland. 1946 geriet die Koalition in eine Krise, als deutsche Dokumente Nachrichtenkontakte des ehemaligen Regierungschef-Stellvertreters Alois Vogt zur Gestapo offenbarten. Knapp wurden eine von FBP-Seite erwogene Ministeranklage und eine von VU-Seite angedrohte Koalitionsaufkündigung vermieden.
ZUR VERTIEFUNG
75 Jahre Kriegsende, 1945
Zwiefelhofer, Thomas: Regierungschef-Stellvertreter. *10.12.1969 Spital Grabs (SG), von Schellenberg und Zürich, wohnhaft in Vaduz. Sohn des Ingenieurs Hanspeter und der kaufmännischen Angestellten Christa, geb. Goop, zwei Schwestern. ⚭ 27.9.1996 Dr. iur. Susanne Heeb (*12.12.1972), drei Kinder.
Aufgewachsen in Schellenberg, 1981–89 Liechtensteinisches Gymnasium in Vaduz, 1989–95 Studium der Architektur an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich (Dipl. Arch. ETH), 1998–2000 Jurastudium an der Universität St. Gallen (lic. iur. HSG), 2001–02 Fachhochschullehrgang Treuhandwesen an der Fachhochschule Liechtenstein, 2007 Promotion in St. Gallen (Dr. iur. HSG), 2009–10 Studiengang Nationales und Internationales Steuerrecht an der Universität Liechtenstein (Certificate of Advanced Studies CAS). 1996–98 Architekt und Projektleiter in Zürich, 2000–13 Jurist und Geschäftsleitungsmitglied des Allgemeinen Treuunternehmens (ATU) in Vaduz, seit 2017 Geschäftsleitungsmitglied der First Advisory Group in Vaduz (Treuhand und Finanzdienstleistungen).
2001–04 Kompaniekommandant in einer Panzerbrigade der Schweizer Armee, zuletzt im Rang eines Hauptmanns, 2003–07 Präsident der Pfadfinderinnen und Pfadfinder Liechtensteins (PPL), 2007–13 Honorarkonsul der Republik Polen im Fürstentum Liechtenstein, 2010–13 Mitglied des Universitätsrats der Privaten Universität im Fürstentum Liechtenstein (UFL).
2005–17 Mitglied des Präsidiums der VU, 2009–13 als Vizepräsident. 2007–11 Gemeinderat in Vaduz (VU). 2013–17 Mitglied der liechtensteinischen Regierung und Regierungschef-Stellvertreter, zuständig für das Ministerium für Inneres, Justiz und Wirtschaft. Bei den Landtagswahlen 2013 und 2017 Kandidat der VU für das Amt des Regierungschefs. 2017 Verleihung des fürstlich liecht. Verdienstordens (Komturkreuz mit Stern) und des Grossen Goldenen Ehrenzeichens am Bande für Verdienste um die Republik Österreich.
Zwing und Bann: Zwing und Bann ist eine vom Spätmittelalter bis ins 18. Jahrhundert häufig belegte Paarformel; die Begriffe werden aber auch einzeln gebraucht. Zwing ist von zwingen (jemand mit Gewalt zu etwas veranlassen) hergeleitet. Der Bann ist das unter Strafandrohung erlassene obrigkeitliche Gebot oder Verbot. Mit der Formel werden die nicht genau abgrenzbaren und nach den jeweiligen Machtverhältnissen unter dem Landesherrn, dem Grundherrn und der Gemeinde aufgeteilten Rechte der Dorfherrschaft umschrieben, besonders die Befugnis, im Bereich der Niedergerichtsbarkeit rechtsverbindliche Vorschriften und Anordnungen zu erlassen. Sie betrafen v.a. die Nutzung von Flur und Weide (→ Allmende), → Wald und → Mühlen.