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---|---|---|---|---|---|---|---|---|
SG Mainz 17. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 0 | 17.08.2012 | 0 | Randnummer
1
Der Kläger wehrt sich gegen die Verhängung einer Sanktion.
Randnummer
2
Der Kläger bezieht laufende Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten.
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3
Mit Einladungsschreiben vom 11.1.2012 forderte der Beklage den Kläger auf, am Dienstag, den 17. Januar 2012 um 10:15 Uhr im Raum 1.09 zu erscheinen, um mit einer Sachbearbeiterin über das Bewerbungsangebot des Klägers und dessen berufliche Situation zu sprechen. Der Beklagte führte in dem Schreiben weiter aus, dass der Kläger, sollte er am genannten Termin arbeitsunfähig erkrankt sein, am ersten Tag erscheinen solle, an dem er wieder arbeitsfähig sei. In dem Falle, dass dies ein Tag sei, an dem das Jobcenter nicht dienstbereit sei (z.B. Samstag, Sonntag, Feiertag), solle der Kläger am folgenden Werktag persönlich beim Jobcenter vorsprechen. Der Beklagte wies weiter darauf hin, dass, wenn der Kläger ohne wichtigen Grund dieser Einladung nicht folge leisten würde, sein Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld in Höhe von 10 Prozent des für ihn nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarfs für die Dauer von drei Monaten gemindert werde.
Randnummer
4
Vom 6.1.2012 bis zum 2.3.2012 war der Kläger arbeitsunfähig. Er erschien nicht zum Termin am 17.1.2012 und sprach auch nicht nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit beim Beklagten vor.
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5
Mit Schreiben vom 9.3.2012 hörte der Beklagte den Kläger an und teilte ihm mit, dass er zu einem Meldetermin am 17.1.2012 eingeladen worden sei. Er sei außerdem darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass im Falle einer Arbeitsunfähigkeit die Einladung auf den ersten Tag nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit fortwirke. Auf Grund einer nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit vom 6.1.2012 bis zum 2.3.2012 habe der Kläger zum Meldetermin am 17.1.2012 nicht erscheinen können. Er habe sich aber am 5.3.2012 (erster Werktag nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit) unaufgefordert persönlich melden müssen. Trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen sei der Kläger zu diesem Termin nicht erschienen. Nach bisherigem Stand seien keine Gründe erkennbar, die das Nichterscheinen rechtfertigen könnten.
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6
Mit Bewilligungsbescheid vom 5.4.2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger und seinen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Familienangehörigen vorläufig Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1.4.2012 bis zum 30.9.2012. Auf den Kläger entfielen für den Zeitraum vom 1.5.2012 bis zum 31.7.2012 Leistungen in Höhe von insgesamt 470,52 € (322,52 € Regelbedarf und 148 € Kosten für Unterkunft und Heizung) monatlich.
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7
Mit Bescheid vom 4.4.2012 stellte der Beklagte für die Zeit vom 1.5.2012 bis zum 31.7.2012 eine Minderung seines Arbeitslosengeldes II um monatlich 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs fest. Daraus ergebe sich eine Minderung in Höhe von 33,70 € monatlich. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass der Kläger trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen zu dem Meldetermin am 5.3.2012 ohne wichtigen Grund nicht erschienen sei. Er habe trotz Aufforderung keine Gründe angegeben, die sein Verhalten erklären und als wichtige Gründe im Sinne der Vorschriften des SGB II anerkannt werden könnten.
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8
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 14.4.2012 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass er sich ungerecht behandelt fühle. Auch wenn es sich vorerst nur um eine geringe Summe handle, könne er die Sanktion nicht akzeptieren. Im Mai 2011 habe er einen Abszess der Rachenmandel gehabt, der operativ habe behandelt werden müssen. Trotz Antibiotika-Therapie habe sich hieraus eine rheumatische Erkrankung entwickelt, die ab September 2011 zu fortlaufender Arbeitsunfähigkeit geführt habe. Zwischenzeitlich habe noch ein Tumor an der Zunge entfernt werden müssen. Die Therapie mit Antirheumatika und Cortison habe ihn sehr angestrengt. Die letzte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung habe bis zum Freitag, den 2.3.2012 gereicht. Da der Kläger dazu verpflichtet gewesen sei, sich über das BBT zu bewerben, sei er am 5.3.2012 oder am 6.3.2012 dorthin gegangen. Er habe einen Zettel an der Tür gefunden, wonach das BBT bis zum 8.3.2012 geschlossen hätte. Er sei dann in der nächsten Woche erneut hingegangen und habe einen Termin für den 23.3.2012 um 10.00 Uhr erhalten, den er wahrgenommen habe. Da er in der Maßnahme angemeldet gewesen sei, sei ihm nicht bewusst gewesen, dass er sich in der ARGE hätte melden müssen. Die Krankmeldungen habe er ja auch bei BBT abgeben sollen. Es sei für den Kläger nicht klar ersichtlich gewesen, wo er sich nach der Arbeitsunfähigkeit hätte melden sollen.
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9
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.4.2012 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass der Kläger in der Zeit vom 6.1.2012 bis zum 2.3.2012 arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Eine entsprechende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei beim Beklagten eingegangen. Bei der Aufforderung zum Meldetermin am 17.1.2012 handele es sich um eine Dauereinladung, worauf der Kläger im Einladungsschreiben vom 11.1.2012 auch hingewiesen worden sei. Der Kläger habe folglich am ersten Tag seiner Arbeitsfähigkeit vorsprechen müssen. Der Beklagte sei am Montag, den 5.3.2012 dienstbereit gewesen, so dass eine persönliche Vorsprache am 5.3.2012 zu erfolgen gehabt hätte. Ein wichtiger Grund für das Nichterscheinen sei nicht nachgewiesen.
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10
Hiergegen richtet sich die am 30.4.2012 erhobene Klage.
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11
Der Kläger beantragt,
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12
den Bescheid vom 4.4.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.4.2012 aufzuheben.
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13
Der Beklagte beantragt,
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14
die Klage abzuweisen.
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15
Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Prozessakte verwiesen. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidungsfindung. | 1. Der Bescheid vom 4.4.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.4.2012 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte erstattet dem Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten.
3. Die Berufung wird zugelassen. | 0 |
VG Frankfurt 7. Kammer | Hessen | 0 | 1 | 18.09.2013 | 0 | Randnummer
1
Der Kläger landete am 21.05.2013 aus Dubai kommend auf dem Frankfurter Flughafen und wies sich bei der Bundespolizei mit einem echten afghanischen Pass aus, der auf den Namen X. lautete. Darin befand sich ein von der polnischen Auslandsvertretung ausgestelltes Schengenvisum Kat. C. Der Kläger äußerte gegenüber der Bundespolizei ein Schutzbegehren und erklärte im Einzelnen zu Protokoll, seine Mutter habe für das Parlament in Kabul kandidiert. Darauf sei die ganze Familie von den Taliban bedroht worden. Er selbst sei von Taliban auf dem Fußballplatz verprügelt worden. Nach diesem Ereignis sei die ganze Familie nach Pakistan geflohen, wo sie sich gemeinsam ca. vier Monate aufgehalten hätten. Dann seien die Mutter, ein Bruder und zwei Schwestern nach Deutschland geflüchtet. Er selbst sei vier Monate später am 20.05.2013 von Kabul über Dubai nach Frankfurt geflogen. Er habe sich ein polnisches Schengenvisum besorgt, weil es zu schwierig sei, von der deutschen Auslandsvertretung ein Visum ausgestellt zu bekommen.
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2
Die Bundespolizei verweigerte dem Kläger vorläufig die Einreise und ersuchte am 22.05.2013 die Beklagte um ein förmliches Aufnahmeersuchen an Polen. Die zuständige polnische Behörde erklärte sich mit Schreiben vom 28.05.2013 für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
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3
Mit Schreiben vom 04.06.2013 wandte sich die inzwischen bestellte Verfahrens- und Prozessbevollmächtigte des Klägers an die Bundespolizei und erklärte Folgendes:
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4
„Im Namen und Auftrag meines Mandanten stelle ich ausdrücklich unter Bezugnahme auf das bei Ihnen geäußerte Asylbegehren Antrag auf subsidiären Schutz gem § 60 Abs. 2 bis Abs. 7 AufenthG und begründe diesen mit der aktuellen Lage und der Spruchpraxis des Bundesamtes zur Gewährung von subsidiärem Schutz in dem Herkunftsland der Antragsteller. Ein Asylantrag nach der GFK wird ausdrücklich nach Beratung nicht gestellt. Im Hinblick darauf ist allein die BRD zur Durchführung des nationalen Verfahrens zuständig.“
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5
Unter dem 20.06.2013 erließ die Beklagte einen Bescheid mit folgendem Tenor:
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6
„1. Der Asylantrag ist unzulässig
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7
2. Die Abschiebung nach Polen wird angeordnet.“
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8
In der Begründung ist u.a. ausgeführt, der Kläger habe am 22.05.2013 einen Asylantrag gestellt. Dieser sei unzulässig, weil Polen aufgrund des von der polnischen Auslandsvertretung erteilten Schengenvisums für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik veranlassen könnten, vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich.
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9
Hiergegen hat der Kläger am 04.07.2013 Klage erhoben. Er macht geltend, keinen Asylantrag gestellt zu haben. Die Beklagte sei jedoch verpflichtet, ihm die Wiedereinreise zu ermöglichen und ihm dann antragsgemäß subsidiären Schutz zu gewähren.
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10
Der Kläger beantragt,
1. den Bescheid der Beklagten vom 20.06.2013 aufzuheben;
2. die Beklagte zu verpflichten, im Wege der Folgenbeseitigung die Voraussetzungen für die Wiedereinreise zu schaffen durch Beschaffung eines Visums.
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11
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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12
Die Beklagte verteidigt die angefochtene Verfügung unter Hinweis auf die Zuständigkeit Polens für die Durchführung des Asylverfahrens.
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13
Die Bundespolizei hat den Kläger am 01.07.2013 zurückgewiesen. Er reiste auf dem Luftweg nach Warschau.
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14
Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 29.08.2013 auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen. Das Gericht hat einen Hefter Behördenakten beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. | 1. Der Bescheid der Beklagten vom 20.06.2013 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens haben die Parteien je zur Hälfte zu tragen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn der jeweilige Kostengläubiger nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet. | 0 |
SG Kassel 6. Kammer | Hessen | 0 | 0 | 30.03.2010 | 0 | Randnummer
1
Die Beteiligten streiten über die Übernahmefähigkeit einer Betriebskostennachforderung für den Abrechnungszeitraum vom 01.01.2006 bis 30.04.2006.
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2
Der 1963 geborene Kläger erhält seit dem 01.02.2005 ergänzende Leistungen nach dem SGB II. Vom 01.08.2001 bis 30.04.2006 bewohnte er eine 60 m² große Wohnung in der B-Straße in A-Stadt. Zur Senkung der Unterkunftskosten zog er dann zum 01.05.2006 innerhalb von A-Stadt um. Im Zeitraum vom 01.01.2006 bis 30.04.2006 gewährte die Beklagte dem Kläger pauschalierte Heizkosten in Höhe von monatlich 48,50 €.
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3
Am 25.10.2007 erhielt der Kläger die Betriebskostenabrechnung für die Zeit vom 01.01.2006 bis 30.04.2006 mit einer Nachforderung in Höhe von 379,45 €. Der Abrechnung kann entnommen werden, dass das Haus, in dem der Kläger seine Wohnung hatte, eine Größe von 501,20 m² hat. Insgesamt entstanden dem Klägerin in der Zeit vom 01.01.2006 bis 30.04.2006 Heizkosten in Höhe von 585,45 € (Bl. 7 Gerichtsakte).
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4
Mit Schriftsatz vom 06.11.2007 beantragte der Kläger die Übernahme dieser Heizkostennachforderung (Bl. 273 ff. Verwaltungsakte).
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5
Mit Bescheid vom 13.11.2007 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Sie begründete ihre Entscheidung damit, dass der Kläger seit dem 01.01.2006 die von der Stadt A-Stadt festgelegten Kosten für Unterkunft und Heizung in Form von Pauschalen erhalte. Anfallende Nachzahlungen von Betriebskosten könnten daher nicht übernommen werden. Die beantragte Sonderleistung sei von der gewährten Regelleistung in Höhe von 345 € abgedeckt und stelle auch keinen unabweisbaren Bedarf dar, so dass auch die Gewährung eines Darlehens ausscheide (Bl. 276 f. Verwaltungsakte).
Randnummer
6
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schriftsatz vom 19.11.2007 Widerspruch ein. Er sei wegen diverser finanzieller Verpflichtungen nicht in der Lage, die Heizkostennachzahlung selbst zu übernehmen (Bl. 278 f. Verwaltungsakte).
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7
Einem Vermerk der Beklagten vom 17.12.2007 ist zu entnehmen, dass sich der Kläger das Geld zur Begleichung der Forderung aus der Nebenkostenabrechnung zwischenzeitlich bei seinen Eltern geliehen hatte. Er müsse es jedoch in zwei Raten bis März 2008 zurückzahlen (Bl. 285 Verwaltungsakte).
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8
Mit Widerspruchsbescheid vom 07.01.2008 wies die Beklagte den Widerspruch im Wesentlichen mit den Gründen des Ausgangsbescheids als unbegründet zurück. Zusätzlich führte die Beklagte an, dass durch die Gewährung eines privaten Darlehens insoweit die Bedürftigkeit weggefallen sei (Bl. 288 Verwaltungsakte).
Randnummer
9
Am 06.02.2008 hat der Kläger gegen den Bescheid vom 13.11.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.01.2008 Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben und die Klage dahingehend begründet, dass im Rahmen des § 22 Abs. 1 SGB II die Heizkosten in tatsächlicher Höhe zu übernehmen sind, soweit diese angemessen sind. Eine pauschale Abgeltung von Heizkosten sei rechtswidrig. Für ein unwirtschaftliches Heizverhalten des Klägers lägen keine Anhaltspunkte vor. Die hohen Heizkosten des Klägers resultierten vielmehr daraus, dass hier nur der heizintensivste Zeitraum abgerechnet wurde.
Randnummer
10
Mit Schriftsatz vom 13.03.2008 hat der Prozessbevollmächtigte die Heizkostenabrechnungen für die Jahre 2004 und 2005 übersandt. Im Jahr 2005 wurden dem Kläger Heizkosten in Höhe von 636,26 € und im Jahr 2004 in Höhe von 635,82 € in Rechnung gestellt. Bei der Wohnung handele es sich um eine Altbauwohnung aus den 20er Jahren mit ca. 60 % direkten Außenwänden. Die Wände seien ca. einen Meter dick. Die Wohnung habe fünf Außenfenster und eine Terrassentür mit Doppelglasisolierung. Die Räume seien ca. 2,50 Meter hoch. Die Ölheizung sei 20 Jahre alt. Es sei davon auszugehen, dass die Wohnung relativ schlecht isoliert und schlecht gelegen sei (Bl. 14 f. Gerichtsakte).
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Der Kläger ist der Auffassung, dass sich aus den Kostenabrechnungen der Jahre 2004, 2005 und 2006 erkennen lasse, dass die Heizkosten insgesamt deutlich angestiegen seien. Der Umstand, dass der Kläger in den ersten 4 Monaten des Jahres 2006 90 % der Kosten der Vorjahre verursacht habe, sei vor dem Hintergrund der Kostenexplosion nicht verwunderlich. Aus der nach der Heizkostenverordnungzugelassenen Gradtagszahlenmethode, die den Heizbedarf der einzelnen Monate wiedergebe und hierfür 1000 Gradtagszahlen auf 12 Monate verteile, ergebe sich, dass allein für die Monate Januar bis April 530 Gradtagszahlen vergeben würden. Daraus folge, dass in dieser Zeit 53 % des Jahresverbrauchs anfielen.
Randnummer
12
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 13.11.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.01.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, weitere Heizkosten für Januar bis April 2006 in Höhe von 148,28 € zu gewähren.
Randnummer
13
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Auffassung, dass den Heizkostenabrechnungen der Jahre 2004 und 2005 keine extreme Preissteigerung gegenüber dem Jahr 2006 entnommen werden könne. Der Verbrauch lasse sich nicht durch das Zusammenspiel einer mutmaßlichen Energiepreissteigerung und der heizintensiveren Monate Januar bis April 2006 erklären.
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15
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und auf die Gerichtsakte Bezug genommen. | Der Bescheid vom 13.11.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.11.2008 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger weitere Heizkosten aus der Heizkostenabrechnung vom 25.10.2007 in Höhe von 142,28 € nachzuzahlen.
Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Berufung wird nicht zugelassen. | 1 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 0 | 1
Die Parteien streiten über die Folgen einer Quarantäneanordnung für bewilligten Urlaub.
2
Der Kläger war im gesamten Kalenderjahr 2020 bei der Beklagten als gewerblicher Arbeitnehmer in der Produktion beschäftigt. Auf seinen Antrag bewilligte die Beklagte am 19. März 2020 für den 17. und 18. September 2020 Urlaub. Die Zahlung des Urlaubsentgeltes sagte sie vorbehaltlos zu.
3
Nach einem Protokoll des Landratsamtes über das „Anamnese-Gespräch enge Kontaktperson (KP1)“ vom 15. September 2021 (Anlage BK1, Bl. 37 ff. der Berufungsakte) fand an diesem Tag ein Telefonat mit dem Kläger statt und es wurde mündlich Quarantäne angeordnet. Im Rahmen der Gesprächsdokumentation (Anlage BK1, S. 4 des Protokolls, Bl. 40 der Berufungsakte) wurde Folgendes festgehalten:
4
„Arbeitskollege vom Indexfall. Waren am 14.09.2020 und 15.09.2020 gemeinsam auf Arbeit. Herr F. wurde genau zu seinen Kontakten mit dem Index gefragt. Der Kontakt überschritt kumulativ 15 Minuten, dies wurde auch nochmals mit ärztlicher Rücksprache versichert. (…)“
5
Dem Telefonat folgte ein Schreiben vom 17. September 2020, in dem das Ordnungsamt für den Kläger bis zum 29. September 2020 häusliche Quarantäne anordnete (Anl. K1, Bl. 5 der erstinstanzlichen Akte). In der Begründung war ausgeführt, der Kläger habe zuletzt am 15. September 2020 Kontakt mit einer Person gehabt, die mit dem Coronavirus infiziert gewesen sei. Es handelte sich hierbei um einen Arbeitskollegen des Klägers.
6
Die Beklagte zahlte für den 17. und 18. September 2020 das Urlaubsentgelt. Mit Schreiben vom 5. November 2020 (Anl. K2, Bl. 6 der erstinstanzlichen Akte) verlangte der Kläger von der Beklagten, diese Tage nicht auf seinen Urlaubsanspruch anzurechnen, sondern gutzuschreiben. Die Beklagte lehnte dies ab.
7
Der Kläger hat vorgetragen, ihm stehe gemäß § 9 BUrlG ein Anspruch auf Gutschrift der Urlaubstage zu. Der Urlaub diene der Erholung. Dieser Zweck habe während einer Quarantäne nicht eintreten können. Er bewohne mit seiner Freundin eine 90 m² große Wohnung. Sie verfüge über zwei Stockwerke, nicht aber über einen Balkon. Der Kläger habe seine Wohnung nicht verlassen und auch keinen Besuch empfangen können. Typische, der Erholung dienende Urlaubsaktivitäten seien nicht möglich gewesen. Den geplanten Ausflug in den Europapark habe er nicht unternehmen können. Selbst alltägliche Tätigkeiten wie z.B. einkaufen sei ihm nicht möglich gewesen. Die Quarantäne sei deshalb mit einer Arbeitsunfähigkeit vergleichbar, führe in vielen Fällen sogar zu noch größeren Einschränkungen. Auch die amtliche Begründung zu § 48 des Regierungsentwurfs des Bundes-Seuchengesetzes habe angeführt, dass Ausscheider, Ausscheidungsverdächtige und Ansteckungsverdächtige vom Schicksal in ähnlicher Weise betroffen seien wie Kranke. Soweit das Bundesarbeitsgericht bei einer Schwangerschaft die analoge Anwendung des § 9 BUrlG abgelehnt habe, seien die Sachverhalte nicht vergleichbar. Zu berücksichtigen sei auch, dass es nach § 3 ArbSchG dem Arbeitgeber obliege, dem Arbeitnehmer ein sicheres Umfeld zu schaffen. Dennoch sei während der Arbeitszeit der relevante Kontakt mit einer infizierten Person möglich gewesen. Es scheine daher Schwächen im Hygienekonzept der Beklagten zu geben. Das urlaubsstörende Ereignis stamme somit aus der Sphäre der Arbeitgeberin. Es sei ungerechtfertigt, dem Kläger das daraus resultierende Risiko alleine aufzubürden.
8
Der Kläger hat zuletzt beantragt:
9
Die Beklagte wird verurteilt, dem Urlaubskonto des Klägers zwei Urlaubstage gutzuschreiben.
10
Die Beklagte hat beantragt:
11
Die Klage abzuweisen.
12
Zur Begründung hat sie vorgetragen, der Urlaubsanspruch des Klägers sei im Umfang von zwei Tagen durch die bezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung erfüllt worden und somit erloschen. Die Anordnung von Quarantäne stehe der Erfüllung des Urlaubszwecks nicht entgegen. § 9 BUrlG sei eine nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahmevorschrift. Deren entsprechende Anwendung auf andere als die geregelten urlaubsstörenden Ereignisse komme nicht in Betracht. Auch während einer Quarantäne könne sich ein Arbeitnehmer erholen. Sport sei in der eigenen Wohnung möglich, Besuche könnten virtuell durchgeführt werden. Einen geplanten Besuch im Europapark bestreite sie. Quarantäne stehe daher der Arbeitsunfähigkeit i.S.d. § 9 BUrlG nicht gleich. Sei ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig, könne er nicht erneut zur Urlaubserteilung freigestellt werden. Diese Unmöglichkeit liege bei der Quarantäne nicht generell vor, denn Arbeitsleistung sei trotz Quarantäne z.B. bei Telearbeit oder mobiler Arbeit möglich. Es sei auch unerheblich, dass der Kontakt mit dem infizierten Kollegen am Arbeitsplatz stattgefunden habe. Die Erbringung der Arbeitsleistung am Arbeitsplatz liege genauso im Interesse des Klägers wie in demjenigen der Beklagten. Die Begründung im Regierungsentwurf zum Bundes-Seuchengesetz habe den Verdienstausfall im Blick gehabt. Nur im Rahmen dieser wirtschaftlichen Überlegungen sei ein Vergleich zur Krankheit gezogen worden. Es lägen auch keine Schwächen im Hygienekonzept der Beklagten vor. Sollte der Kläger den darin vorgesehenen Mindestabstand oder sonstige Vorgaben wie die Maskenpflicht nicht eingehalten haben, läge eine Pflichtverletzung des Klägers, nicht aber der Beklagten vor. Das Arbeitsschutzgesetz regle nicht nur Pflichten des Arbeitgebers, sondern in § 15 ArbSchG auch Pflichten der Beschäftigten, für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Sorge zu tragen.
13
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 9. Juli 2021 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Freistellungserklärung des Arbeitgebers könne das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zwar nur bewirken, soweit für den Freistellungszeitraum eine Arbeitspflicht des Arbeitnehmers bestehe. Befinde sich ein Arbeitnehmer jedoch in häuslicher Quarantäne und scheide die Arbeitsleistung im Homeoffice aus, werde er von seiner Arbeitspflicht frei, da sie ihm nach § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG bzw. § 31 IfSG rechtlich unmöglich sei. Ein Anspruch auf Gutschrift von Urlaubstagen stünde dem Kläger dennoch nicht zu, da der Urlaubsanspruch in diesem Fall wegen Unmöglichkeit erloschen wäre. Die Beklagte habe als Schuldnerin des Freistellungsanspruchs das zur Leistung Erforderliche getan, indem sie den Urlaubszeitraum im März 2020 festgelegt und das Urlaubsentgelt entweder vor Antritt des Urlaubs gezahlt oder dessen Zahlung vorbehaltlos zugesagt habe. Die nachträglich eintretende Unmöglichkeit befreie sie von der Freistellungsverpflichtung. Die Beklagte sei nicht zur Neufestsetzung des Urlaubs verpflichtet. § 9 BUrlG fände direkt keine Anwendung. Erfasst sei nur die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, nicht die behördlich angeordnete Quarantäne, wenn der Arbeitnehmer nicht zugleich arbeitsunfähig erkrankt sei. Eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG scheide aus. Eine planwidrige Regelungslücke liege nicht vor. Urlaubsstörende Ereignisse fielen als Teil des persönlichen Lebensschicksals in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers. Die allgemeine Gefahrtragungsvorschrift des § 275 BGB komme nur dann nicht in Betracht, wenn der Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien besondere urlaubsrechtliche Normen wie § 9 BUrlG formuliert hätten. Das Bundesurlaubsgesetz sei zudem zeitlich nach dem Bundes-Seuchengesetz erlassen worden. Gleichwohl enthalte es keine ausdrücklichen Regelungen für die Zeiten behördlich angeordneter Quarantäne in Bezug auf gewährten Urlaub. Selbst im Zuge der „Corona-Gesetzgebung“ habe der Gesetzgeber keine Regelung erlassen, die § 24 Satz 2 MuSchG n.F. oder § 3 Abs. 1 Satz 1 THW-Gesetz entspreche. Es fehle zudem an der vergleichbaren Interessenlage. Zwar stelle die behördlich angeordnete Quarantäne ein erheblich urlaubstörendes Ereignis dar. Während § 9 BUrlG das Problem löse, dass der Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht, von der er bereits durch seine Arbeitsunfähigkeit befreit sei, nicht noch einmal suspendiert werden könne, führe die behördlich angeordnete Quarantäne nur zur Absonderung. Diese sei nicht vergleichbar mit der Arbeitsunfähigkeit. Nicht jede Absonderung führe dazu, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht objektiv nicht mehr erbringen könne, wie die Vielzahl der im Homeoffice tätigen Arbeitnehmer zeige. Dem Kläger stehe auch kein Anspruch auf Schadenersatz zu. Offenbleiben könne, ob er sich überhaupt auf einen solchen Anspruch berufen habe. Hätte die Beklagte die Unmöglichkeit der Freistellung zu vertreten, hätte sie zwar Schadenersatz zu gewähren. Es fehle aber an einer zu vertretenden Pflichtverletzung der Beklagten. Aufgrund welcher Tatsachen die Anordnung der Quarantäne gegenüber dem Kläger getroffen worden sei, stehe außerhalb des Wahrnehmungsbereichs der Beklagten. Der Kläger habe deshalb im Rahmen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast hierzu konkret vortragen müssen. Erst dann habe die Beklagte darlegen und gegebenenfalls beweisen müssen, dass die Unmöglichkeit nicht durch ein von ihr zu vertretendes Verhalten herbeigeführt worden sei. Allein der Kontakt während der Arbeitszeit löse die Darlegungs- und Beweislast der Beklagten nicht aus.
14
Gegen das dem Kläger am 22. Juli 2021 zugestellte Urteil hat er am 17. August 2021 Berufung eingelegt und diese am 22. September 2021 begründet.
15
Der Kläger trägt er vor, die Beklagte schulde ihm Schadenersatz, weil trotz des Hygienekonzeptes ein Kontakt von mehr als 15 Minuten mit einem infizierten Arbeitskollegen möglich gewesen sei. Es sei deshalb davon auszugehen, dass das Hygienekonzept Mängel aufweise und der Beklagten zumindest Fahrlässigkeit vorgeworfen werden könne. Während einer weltweiten Epidemie sei eine Selbstisolation bei der Arbeit nicht möglich. Ein Arbeitnehmer müsse sich auf die Vorkehrungen und Vorsichtsmaßnahmen des Arbeitgebers verlassen können. Jede andere Wertung benachteilige den Arbeitnehmer unangemessen. Er ist auch weiterhin der Auffassung, § 9 BUrlG sei analog anzuwenden. Nach der Rechtsprechung verhindere zwar nicht jede kleine Belastung aus der Sphäre des Arbeitnehmers den Urlaubszweck, sie verhalte sich aber nicht zu dem Umstand, dass bei der Quarantäne die selbstbestimmte Erholung aufgehoben sei. Während einer Schwangerschaft könnten die meisten Aktivitäten noch durchgeführt werden. Das gleiche gelte auch bei Einsätzen für das THW. Nach Auffassung des Gerichtshofs der Europäischen Union bestehe der Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub darin, dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen. Davon weiche nicht nur der Krankheitsurlaub ab, sondern auch die Quarantäne. Dass der Gesetzgeber bislang auf die Quarantäne nicht reagiert habe, liege vermutlich daran, dass diese bisher nur vereinzelt vorgekommen sei. Aus dem Bundes-Seuchengesetz könne kein Argument hergeleitet werden. Auch dass § 28a IfSG Spezialregelungen zur Quarantäne nicht enthalte, sei unergiebig, da nur besondere Schutzmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie eingeführt worden seien. Zudem sei davon auszugehen, dass Quarantäne und Urlaub noch kein großes Problem dargestellt hätten. Auch die Argumentation des Arbeitsgerichts zur fehlenden Vergleichbarkeit der Interessenlage gehe fehl. Die steigenden Zahlen von Arbeitnehmern im Homeoffice änderten nichts an der typischen Vergleichbarkeit. Arbeit im Homeoffice bleibe eine Randerscheinung.
16
Der Kläger beantragt:
17
Das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm - Kammern Ravensburg - vom 9. Juli 2021 - 6 Ca 597/20 - wird abgeändert und die Berufungsbeklagte verurteilt, dem Urlaubskonto des Klägers zwei Urlaubstage gutzuschreiben.
18
Die Beklagte beantragt:
19
Die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise zurückzuweisen.
20
Zur Begründung führt sie an, die Berufungsbegründung entspreche nicht den gesetzlichen Anforderungen. Sie setzte sich nicht im Detail mit der ausführlichen Begründung des Arbeitsgerichts auseinander. Die Berufung sei aber auch unbegründet. § 9 BUrlG könne nicht analog angewendet werden. Der Gesetzgeber habe in Kenntnis der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass urlaubsstörender Ereignisse grundsätzlich dem Risikobereich des Arbeitnehmers zuzuweisen seien, ein umfassendes Benachteiligungsverbot nicht vorgesehen. Es gebe auch keine Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber den Konfliktfall übersehen habe. Die Anordnung der Absonderung in Quarantäne stelle einen Umstand aus der Sphäre des Arbeitnehmers dar, unabhängig von der konkreten Ursache der Anordnung. Zudem habe das Bundesarbeitsgericht bei versicherungsrechtlichen Handlungsobliegenheiten eines Arbeitnehmers gegenüber der Agentur für Arbeit nach einer Kündigung gar nicht darauf abgestellt, aus wessen Sphäre der Beendigungsgrund stamme. Das Unionsrecht habe den besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer durch die Gewährleistung von Mindestruhezeiten und Ruhepausen im Blick, nicht aber einen Anspruch auf „selbstbestimmte Erholung“. Für das Erlöschen des unionsrechtlich determinierten Urlaubsanspruches genüge es daher, dass keine belastende Inanspruchnahme durch den Arbeitgeber drohe. Der Begriff der Freizeit sei also zu interpretieren als „Zeit ohne Arbeitspflicht“. Das Arbeitsgericht habe auch zutreffend festgestellt, dass es an der vergleichbaren Interessenlage fehle. Aus einer Quarantäne-Anordnung ergebe sich gerade nicht, dass die geschuldete Leistung nicht mehr erbracht werden könne, wie Mitarbeiter belegten, die ihre Arbeitsleistung mobil erbringen könnten. Auch ein Schadensersatzanspruch stehe dem Kläger nicht zu. Nach wie vor trage der Kläger konkrete Umstände, die auf ein verschuldetes Fehlverhalten der Beklagten hindeuten könnten, nicht vor. Selbst die Einführung eines gesetzeskonformen Hygienekonzeptes durch einen Arbeitgeber sowie die Umsetzung des Konzeptes durch die Arbeitnehmer schließe die Anordnung einer Absonderung in Quarantäne nicht aus. Eine gesetzliche Regelung, die jeglichen wie auch immer gearteten Kontakt untersage und ein entsprechendes Hygienekonzept vorschreibe, existiere nicht. Die Behauptung des Klägers, er habe mit einem Arbeitskollegen über 15 Minuten Kontakt gehabt, sei nicht erwiderungsfähig und rechtfertige nicht die Annahme eines verschuldeten Fehlverhaltens der Beklagten. Details zu dem vermeintlichen Kontakt, der vorsorglich mit Nichtwissen bestritten werde, trage der Kläger nicht vor. Welchen Mangel das Hygienekonzept aufweise, habe der Kläger nicht dargelegt. Genauso gut sei es möglich, dass der Kläger die Vorgaben des Hygienekonzeptes nicht eingehalten habe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze in erster und zweiter Instanz nebst Anlagen sowie auf die Niederschriften über die mündlichen Verhandlungen in erster und zweiter Instanz Bezug genommen. | 1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm - Kammern Ravensburg - vom 9. Juli 2021 - 6 Ca 597/20 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
2. Die Revision wird für den Kläger nur bezogen auf die analoge Anwendung des § 9 BUrlG zugelassen. | 0 |
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Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 6. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 07.06.2016 | 0 | Randnummer
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Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
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Der 1967 geborene, ledige Kläger war ab 01. April 1995 bei der Beklagten in deren Hotelbetrieb in B als Etagenhelfer/ Minibar Kellner beschäftigt. Ihm ist ein Grad der Behinderung von 70 zuerkannt.
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Nach zwei für den Kläger arbeitsfreien Tagen am 06. und 07.Oktober 2014 kam es am 08. Oktober 2014 während der Arbeitszeit im Keller des Hotels zu einer Diskussion des Klägers mit der Hausdamenassistentin B-Z wegen des unordentlichen Zustands des Etagen-Offices, wo seit Tagen Flaschen und Teller nicht weggeräumt worden waren. Der Verlauf der Auseinandersetzung ist zwischen den Parteien streitig, insbesondere, ob der Kläger - wie von der Beklagten behauptet - die Zeugin tätlich angegriffen hat, indem er ihr mit beiden Fäusten auf Brust und Schulter schlug, so dass sie mit dem Rücken gegen die Tür fiel. Während des Vorfalls befand sich ebenfalls im Keller die Mitarbeiterin eines Fremdreinigungsunternehmens R. Auch der Service-Mitarbeiter B hat die Auseinandersetzung wahrgenommen. Nach dem Vorfall kam es im Keller zu einem Gespräch des Klägers mit dem Hoteldirektor H und der Betriebsratsvorsitzenden C, dessen Inhalt zwischen den Parteien ebenfalls umstritten ist.
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Im Anschluss an den Vorfall vom 08. Oktober 2014 hörte die Beklagte den in der Betriebsstätte B gebildeten Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung vorbehaltlich der einzuholenden Zustimmung des Integrationsamtes an. Der Betriebsrat erteilte seine Zustimmung.
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Am 20. Oktober 2014 fand wegen der Vorkommnisse vom 08. Oktober 2014 ein Gespräch zwischen dem Kläger, seinem Betreuer, dem Hoteldirektor H, der stellvertretenden Hoteldirektorin Z und der Betriebsratsvorsitzenden C statt, nachdem der Kläger zuvor bereits am 15. Oktober 2014 eine schriftliche Stellungnahme abgegeben hatte, wegen deren Inhalts auf Bl. 7 d. A. Bezug genommen wird.
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Die Beklagte beantragte mit am 10. Oktober 2014 eingegangenem Schreiben vom 09. Oktober 2014 beim Integrationsamt beim Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung des Landes Rheinland-Pfalz (im Folgenden: Integrationsamt) die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers. Im Lauf des Zustimmungsverfahren hat sie zwei vom 08. Oktober 2014 datierende schriftliche Aussagen der Zeugin B-Z und des Zeugen B, sowie ein ärztliches Attest vom 15. Oktober 2014 in Bezug auf eine Untersuchung der Zeugin B-Z am 09. Oktober 2014 vorgelegt, hinsichtlich deren Inhaltes auf Bl. 33, 34 und 36 d. A. Bezug genommen wird. Die Zustimmung des Integrationsamtes zur außerordentlichen Kündigung wurde mit Bescheid vom 23. Oktober 2014, der Beklagten zugegangen am 24. Oktober 2014, erteilt.
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Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 31. Oktober 2014, dem Kläger am gleichen Tag zugegangen, außerordentlich. Zuvor hatte die Beklagte den Betriebsrat über die erteilte Zustimmung in Kenntnis gesetzt und ihn erneut zur beabsichtigten Kündigung angehört. Der Betriebsrat stimmte der Kündigung zu.
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Der Kläger hat am 17. November 2014 beim Arbeitsgericht Koblenz Kündigungsschutzklage erhoben.
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Er hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, es liege kein Grund zur außerordentlichen Kündigung vor. Er habe die Kollegin B-Z, die nicht seine Vorgesetzte sei, nicht tätlich angegriffen. Diese habe ihn in nicht freundlichem Ton auf herumstehendes Geschirr hingewiesen, woraufhin er sie darauf hingewiesen habe, dass er wegen seiner beiden freien Tage hierfür nicht verantwortlich gemacht werden könne. Sie habe ihn aber weiter angeherrscht und erklärt, es müsse jeden Tag aufgeräumt werden. Er sei darüber verärgert gewesen, dass sie sich ihm gegenüber Vorgesetztenfunktion angemaßt, seine Arbeit angezweifelt und nicht habe zur Kenntnis nehmen wollen, dass er für den Zustand im Etagen-Office nichts könne. Aggressiv sei er nicht gewesen. Er habe die Zeugin nicht mit den Fäusten geschlagen, sondern sei - eher als Reflex auf die Vorhaltung - auf sie zugegangen und habe sie mit der linken Hand mit zwei Fingern geschubst, während er in der rechten Hand sein Schreibbrett gehabt habe. Die von der Beklagten im Verwaltungsverfahren vorgelegten Zeugenaussagen seien widersprüchlich und die Zeugin B-Z habe maßlos übertrieben. Es sei davon auszugehen, dass der Betriebsrat nicht zugestimmt hätte, wenn die Beklagte ihm den wahren Sachverhalt mitgeteilt hätte. Er habe die Zeugin zu keinem Zeitpunkt verletzen wollen, allenfalls fahrlässig gehandelt und eine Wiederholungsgefahr scheide nach allgemeiner Lebenserfahrung und angesichts seiner 19-jährigen friedlichen Betriebszugehörigkeit aus. Im Rahmen der Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass er aufgrund seiner Schwerbehinderung keinen gleichwertigen Arbeitsplatz oder überhaupt eine neue Beschäftigung finden könne. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht eingehalten.
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Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
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es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 31. Oktober 2014, zugegangen am 31. Oktober 2014, nicht aufgelöst worden ist.
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Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, die Zeugin B-Z habe den Kläger als hierzu befugte Hausdamen-Assistentin am 08. Oktober 2014 gebeten, das Etagen-Office noch im Laufe des Tages aufzuräumen, woraufhin dieser aggressiv reagiert und angefangen habe, die Zeugin anzuschreien, die versucht habe, sich in einer Ecke vor einem im Keller-Flur gelegenen Büro zu verstecken und ihn verbal zu beruhigen, da sie Angst gehabt habe, der Kläger könne ihr etwas tun. Als die Zeugin habe weglaufen wollen, sei der Kläger auf sie zugekommen, habe sie mit beiden Fäusten auf die linke Brust und Schulter geschlagen, bis sie mit dem Rücken gegen die Tür gefallen sei. Dies habe der Service-Mitarbeiter B gemerkt, der in diesem Moment ebenfalls in den Keller-Eingang gekommen sei, den Kläger von der Zeugin getrennt und dafür gesorgt habe, dass sie sich habe entfernen können und sowohl der Hoteldirektor H als auch die Betriebsratsvorsitzende informiert worden seien. Im anschließenden Gespräch mit dem Hoteldirektor sei der Kläger immer aggressiver geworden, so dass er ihn zum Schutz der Mitarbeiter des Hauses verwiesen habe. Eine im Haus tätige Krankenschwester habe die Zeugin B-Z untersucht und ihr aufgrund der sichtbaren Spuren des Angriffs geraten, einen Arzt aufzusuchen. Dieser habe am Folgetag eine druckschmerzhafte Schwellung am Schlüsselbein festgestellt, was die Einlassung des Klägers, die Zeugin nur geschubst zu haben, klar widerlege. Angesichts des tätlichen Angriffs und der Aggressivität des Klägers mache es ihr unzumutbar, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Nach Eingang des Zustimmungsbescheids sei der Betriebsrat hierüber informiert worden und vorsorglich noch einmal um die Zustimmung zur Kündigung gebeten worden, die am 31. Oktober 2014 noch einmal erteilt worden sei. Die Kündigung sei mit Schreiben vom gleichen Tag ausgesprochen worden, da der Hoteldirektor als einziger kündigungsberechtigter Vertreter im Betrieb nach Eingang der Zustimmungserklärung erst an diesem Tag wieder im Betrieb gewesen sei.
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Das Arbeitsgericht hat aufgrund Beschlusses vom 10. September 2015 am gleichen Tag Beweis erhoben zu den Behauptungen der Beklagten zum tätlichen Angriff des Klägers auf die Zeugin B-Z durch Vernehmung der genannten Zeugin, des Zeugen B und der Zeugin R. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Bl. 91 ff. d. A. verwiesen.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 10. September 2015 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen angeführt, der Betriebsrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden, da die Anhörung nach dem Grundsatz der subjektiven Determinierung nicht dadurch unwirksam werde, dass die Beklagte dem Betriebsrat nach Auffassung des Klägers unzutreffende Zeugenaussagen vorgelegt habe. Das Verhalten des Klägers sei an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur Kündigung darzustellen, da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme aus im Einzelnen genannten Gründen zur festen Überzeugung der Kammer feststehe, dass der Kläger am 08. Oktober 2014 im Zuge einer verbalen Auseinandersetzung mit der Zeugin B zu ihren Lasten einen tätlichen Angriff begangen habe, indem er mit beiden Fäusten auf ihren linken Schulter-/Brustbereich eingeschlagen habe, so dass diese durch die Wucht des Angriffs nach hinten gefallen sei. Entschuldigungs- und Rechtfertigungsgründe seien nicht ersichtlich. Der vom Kläger behauptete unangemessene Tonfall der Zeugin könne nicht geeignet sein, einen tätlichen Angriff zu ihren Lasten zu rechtfertigen. Die Berücksichtigung sämtlicher Einzelumstände führe nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Zugunsten des Klägers sei seine lange beanstandungsfreie Beschäftigungsdauer nachhaltig zu berücksichtigen. Die Kammer verkenne auch nicht, dass der Kläger in Anbetracht seiner Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt nur unter besonders erschwerten Umständen einen neuen Arbeitsplatz werde finden können. Eine Abmahnung sei vorliegend nicht erforderlich, weil der Kläger bei der vorliegenden Sachverhaltsgestaltung in Anbetracht der Schwere des Verstoßes - gezielter Angriff mit zwei Fäusten auf den Oberkörper der Zeugin - von vorneherein habe davon ausgehen müssen, dass mit einer Billigung seines Verhaltens nicht zu rechnen sei. Es seien darüber hinaus die betrieblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, da der Kläger die Interessen der Beklagten an einem ungestörten Betriebsablauf durch sein Verhalten nachhaltig beeinträchtigt habe, wobei es sich angesichts des ärztlichen Attestes nicht um eine Lappalie oder Bagatelle handele. Außerdem lasse die Einlassung des Klägers, er habe die Zeugin lediglich mit zwei Fingern zur Seite geschubst und sei zuvor nachhaltig provoziert worden, erkennen, dass dieser die Auffassung vertrete, bei - wenn auch lautstarken - Vorhaltungen eines Arbeitskollegen sich provoziert fühlen zu können und den vermeintlichen Provokateur zur Seite schubsen zu dürfen. Es fehle dem Kläger daher an einem hinreichenden Unrechtsbewusstsein, was wiederum eine Wiederholungsgefahr indiziere. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers scheide vor diesem Hintergrund aus. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf Bl. 117 ff. d. A. Bezug genommen.
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Der Kläger hat mit am 26. November 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 24. November 2015 Berufung gegen das am 20. November 2015 zugestellte erstinstanzliche Urteil eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 15. Januar 2016, bei Gericht eingegangen am 18. Januar 2016, begründet.
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Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren gegen den zustimmenden Bescheid des Integrationsamtes hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Koblenz Klage erhoben, die mit Urteil vom 04. April 2016 - 3 K 292/15.KO - abgewiesen worden ist. Wegen des Inhaltes der Entscheidung wird auf Bl. 162 ff. d. A. Bezug genommen. Der vom Kläger beim Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz unter dem Aktenzeichen 7 A 10431/16.OVG angestrengte Antrag auf Zulassung der Berufung war zum Zeitpunkt der Entscheidung der Berufungskammer noch nicht beschieden.
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Der Kläger macht zur Begründung seiner Berufung nach Maßgabe seiner Berufungsbegründungsschrift vom 15. Januar 2016 und seines Schriftsatzes vom 11. Mai 2016, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 142 ff. und 177 ff. d. A.), zweitinstanzlich im Wesentlichen geltend,
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das Arbeitsgericht habe die Tatsachen unvollständig festgestellt, weil es die diversen anders lautenden Aussagen im Vorfeld des Verfahrens ausgeblendet und daher keinen Anlass gehabt habe, sich mit der Glaubwürdigkeit der Zeugen auseinander zu setzen. Die Aussage der Zeugin R und des Zeugen B beim Integrationsamt lasse sich mit der beim Arbeitsgericht gemachten Aussage nicht vereinbaren. Bei der Sachverhaltsdarstellung fehlten auch Angaben über die Sehstörungen und Koordinationsstörungen des Klägers, aufgrund derer ein vorsätzliches Handeln mit dem Ziel, die Zeugin B zu verletzen, nicht vorgelegen habe. Die Zeugin B habe sich anlässlich ihrer Vernehmung unglaubhaft als verständnisvolle, mitfühlende Mitarbeiterin ausgegeben. Das Gericht habe sich auch nicht mit einer fristgemäßen Kündigung auseinandergesetzt. Der Kläger habe auch Unrechtsbewusstsein gehabt und sich in seiner schriftlichen Stellungnahme für sein Verhalten entschuldigt. Da die Zustimmungsentscheidung des Integrationsamtes noch nicht rechtskräftig sei, müsse das Verfahren ausgesetzt werden. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht eingehalten; die Begründung, der Hoteldirektor sei „außer Haus“ gewesen, verfange bei einem so großen Hotel wie dem Betrieb der Beklagten in B nicht.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 10. September 2015 - Az.: 7 Ca 4371/14 - wird abgeändert und es
wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 31. Oktober 2014, zugegangen am 31. Oktober 2014, nicht aufgelöst worden ist.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das vom Kläger angefochtene Urteil nach Maßgabe des Schriftsatzes vom 17. Februar 2016, auf den Bezug genommen wird (Bl. 159 ff. d. A.), zweitinstanzlich im Wesentlichen wie folgt,
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das Arbeitsgericht habe den Sachverhalt umfassend aufgeklärt und die Aussagen der Zeugen objektiv gewertet. Die schriftlichen Erklärungen der Zeugen widersprächen sich nicht mit deren Aussage in der Beweisaufnahme, auch untereinander und im Hinblick auf die Begleitumstände nicht. Auch habe das Gericht die Behinderungen des Klägers in Betracht gezogen und gewertet. Einen Aussetzungsgrund gebe es nicht.
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Im Übrigen wird wegen des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift Bezug genommen. | I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 10. September 2015 - 7 Ca 4371/14 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Thüringer Landessozialgericht 1. Senat | Thüringen | 0 | 1 | 21.02.2019 | 0 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger aufgrund eines Arbeitsunfalles vom 15. September 1993 unter Berücksichtigung eines möglichen Stützrententatbestandes aus einem bei der Beigeladenen versicherten Arbeitsunfall vom 15. Dezember 2000 Verletztenrente beanspruchen kann.
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Der 1972 geborene Kläger ist Montageschlosser bei der W. V. Industriemontagen GmbH und knickte am 15. September 1993 bei Dacharbeiten auf einem Heizkraftwerk mit dem rechten Fuß um. Diagnostiziert wurde zunächst eine laterale Bandläsion am rechten Sprunggelenk, welche am 20. September 1993 operativ versorgt wurde. Bescheide durch die Rechtsvorgängerin der Beklagten ergingen in diesem Zusammenhang damals nicht.
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Am 15. Dezember 2000 verdrehte sich der Kläger im Rahmen einer bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen versicherten Tätigkeit das rechte Kniegelenk. Diagnostiziert wurde im weiteren Verlauf eine Ruptur des lateralen Bündels des vorderen Kreuzbandes am rechten Kniegelenk, die im Rahmen eines stationären Aufenthaltes vom 23. bis 26. Januar 2001 im Kreiskrankenhaus B. S. operativ behandelt wurde. Mit Bescheid vom 19. November 2014 erkannte die Beigeladene das Ereignis vom 15. Dezember 2000 sinngemäß als Arbeitsunfall mit der Unfallfolge einer Teilruptur des rechten vorderen Kreuzbandes mit Muskelminderung am rechten Bein sowie einer mäßiggradigen Instabilität des rechten Kniegelenks an. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wurde mit 10 v.H. beziffert.
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Am 3. August 2012 suchte der Kläger wegen Schmerzen im rechten Sprunggelenk („Unfalltag 15.09. 1993“) erneut den Durchgangsarzt auf. Dieser veranlasste in der Folgezeit die Erstellung eines MRT. Im Zuge der weiteren Ermittlungen stellte die Beklagte fest, dass sich hinsichtlich des rechtlichen Kniegelenks am 15. Oktober 2000 ein weiterer Arbeitsunfall mit der Folge einer teilweisen Kreuzbandruptur ereignet hatte und zog Unterlagen der Beigeladenen bei. Im ihrem Auftrag erstellte der Chirurg Dr. N. (1) am 4. Oktober 2013 ein Erstes Rentengutachten. Als Folgen des Arbeitsunfalles vom 15. September 1993 beschrieb er dort eine Distorsion des rechten Sprunggelenks mit fibularer Bandruptur, eine Bewegungseinschränkung des rechten oberen Sprunggelenks, insbesondere für die Streckbewegung. Er bezifferte die MdE auf insgesamt 20 v. H. Der Beratungsarzt der Beklagten Dr. M. widersprach dieser Einschätzung in einer Stellungnahme vom 22. November 2013 und empfahl eine Zusammenhangsbegutachtung, welche die Beklagte bei den Dres. Sch. und B. in Auftrag gab. Diese führten in ihrem Zusammenhangsgutachten vom 30. Januar 2014 aus, dass die Sprunggelenkverletzung aus dem Jahre 1993 ohne messbare Folgen ausgeheilt sei. Im Jahre 1993 sei eine fibulare Bandruptur des rechten Sprunggelenks operativ behandelt worden. Die MdE sei mit 0 v.H. zu beziffern.
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Daraufhin erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 14. März 2014 das Ereignis vom 15. September 1993 sinngemäß als Arbeitsunfall und als Unfallfolge einen nach operativer Versorgung folgenlos ausgeheilten Riss des außenknöchelseitigen Kapsel-Bandapparates am rechten Sprunggelenk an. Der Talussporn am rechten Sprunggelenk sei unfallunabhängig. Die Unfallfolgen bedingten keine messbare MdE.
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Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2014 zurückgewiesen wurde.
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Dagegen hat der Kläger vor dem Sozialgericht Gotha Klage erhoben. Dieses hat den Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie Prof. Dr. T. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Er hat in seinem Gutachten vom 15. April 2017 eine folgenlose Ausheilung der Unfallfolgen verneint. Die MdE aufgrund der Unfallfolgen am Sprunggelenk rechts sei seit dem 4. Oktober 2013 bis jetzt mit 10 v. H. zu bewerten. Zwar werde nach den Erfahrungswerten erst eine Bewegungseinschränkung des oberen Sprunggelenks von 0-0-30 ° mit einer MdE von 10 v. H. beziffert und im vorliegenden Fall sei die Beweglichkeit des oberen Sprunggelenks geringfügig besser. Dennoch sei in Zusammenschau der Bewegungseinschränkungen vom oberen Sprunggelenk und vom Subtalargelenk rechts die vorgenommene Einschätzung gerechtfertigt. Dieser Einschätzung ist der Beratungsarzt der Beklagten Dr. M. in einer Stellungnahme vom 10. Oktober 2017 entgegengetreten. Als Funktionseinbuße hinsichtlich der Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk von Heben/Senken werde nach dem Messblatt ein Wert von 5-0-30 ° erreicht. Dies rechtfertige nicht, eine MdE von 10 v. H. zugrunde zu legen. Objektive Zeichen eines Mindergebrauchs des rechten Fußes/Beines fehlten. Eine Muskelminderung der rechten Wade oder eine seitenunterschiedliche Beschwielung der Fußsohlen sei nicht festgestellt worden. Auch nach den Röntgenaufnahmen liege eine Minderung des Kalksalzgehaltes im Fußskelett rechts nicht vor.
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Das Sozialgericht Gotha hat mit Urteil vom 24. Oktober 2017 den Bescheid der Beklagten vom 14. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2014 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine Rente nach einer MdE von 20 v. H. zu zahlen. Aufgrund des Arbeitsunfalles vom 15. Dezember 2000 liege eine MdE in Höhe von 10 v. H. auf Dauer vor. Dem stünden belastbare Tatsachen nicht entgegen. Daher sei der Bescheid vom 19. November 2014 insoweit maßgeblich. Auch infolge des Arbeitsunfalles vom 15. September 1993 liege eine messbare MdE vor. Damit könnten sich beide Versicherungsfälle gegenseitig stützen, und dem Kläger sei für beide Versicherungsfälle eine Verletztenrente nach einer MdE von insgesamt 20 v. H. zu gewähren. Nach dem Gutachten des Prof. Dr. T. vom 15. April 2014 lägen Beschwerden im Bereich des rechten oberen Sprunggelenks vor, die mit einer MdE von 10 v. H. zu bewerten sei. Eine höhere MdE sei nicht zu vermuten. Entgegen der Auffassung der Beklagten seien die vom Kläger geklagten Beschwerden objektivierbar. Die Folgen des Arbeitsunfalles vom 15. Dezember 2000 seien mit Bescheid vom 19. Dezember 2014 rechtskräftig festgestellt worden. Es bestehe daher kein Anlass hierzu nochmals gutachterliche Aussagen einzuholen. Die dortigen Feststellungen entsprächen den allgemeinen Erfahrungswerten.
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Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Das Urteil des Sozialgerichts sei bereits deshalb falsch, weil sie nicht zur Zahlung einer Verletztenrente für beide Unfälle in Höhe von 20 v. H. verpflichtet werden könne. Beim Kläger bestehe aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalles vom 15. September 1993 keine MdE in messbarer Höhe. Soweit Prof. Dr. T. hinsichtlich des Unfalles vom 15. September 1993 eine MdE von 10 v. H. vorschlage, sei diese nicht nachvollziehbar. Das Sozialgericht habe sich mit den begründeten Einwendungen des Beratungsarztes Dr. M. nicht ausreichend auseinandergesetzt. Selbst wenn dem Gutachten von Prof. Dr. T. zu folgen gewesen wäre, hätte sie nur zur Zahlung einer Verletztenrente nach einer MdE von 10 v. H. verurteilt werden dürfen. Die Entschädigung hinsichtlich des Arbeitsunfalles vom 15. Dezember 2000 obliege allein der Beigeladenen.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 24. Oktober 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Nach seiner Ansicht sind die Ausführungen von Dr. N. (1) und Prof. Dr. T. zum Vorliegen einer MdE von 10 v. H. nachvollziehbar. Prof. Dr. T. stelle Beschwerden im rechten Sprunggelenk fest, die eine MdE von 10 v. H. rechtfertigten. Aufgrund des Stützrententatbestandes aus dem Unfall vom 15. Dezember 2000 sei die für die Gewährung einer Verletztenrente erforderliche MdE von 20 v. H. erreicht. Er stelle die Entscheidung in das Ermessen des Senats.
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Der Senat hat im den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. N. (2) mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Er beschreibt in seinem Gutachten vom 21. November 2018 einen stabil ausgeheilten Kapsel-Band-Apparat. Die Beweglichkeit des rechten oberen Sprunggelenkes betrage im Sinne der Fußhebung/-senkung 10-0-40 °. Die Beweglichkeit des unteren Sprunggelenks sei auf beiden Seiten normgerecht. Eine signifikante Muskelverschmächtigung finde sich nicht. Angesichts der festgestellten Bewegungsausmaße des oberen Sprunggelenks sei die MdE im nicht messbaren Bereich anzusiedeln. Die Argumentation von Prof. Dr. T. in seinem Gutachten vom 15. April 2017, dass in der Zusammenschau der Bewegungseinschränkungen vom oberen Sprunggelenk und vom Subtalargelenk eine MdE von 10 v. H. zu rechtfertigen sei, sei nicht schlüssig. Im Rahmen der jetzigen Begutachtung sei eine Funktionsstörung des rechten unteren Sprunggelenks nicht ersichtlich gewesen. Die Fußhebung betrage 10 °. Auch Prof. Dr. T. beschreibe nur eine minimale Einschränkung der Bewegungsausmaße des unteren Sprunggelenks. Hinsichtlich des Unfalls vom 15. Dezember 2000 bestehe am rechten Kniegelenk eine leichte vordere Instabilität, die muskulär gut stabilisiert sei. Eine solche sei mit 10 v. H. zu bewerten.
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Die Beigeladene sieht durch das Gutachten von Dr. N. (2) ihre Erkenntnisse aus dem Verwaltungsverfahren bestätigt.
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Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Beigeladenen Bezug genommen. | Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 24. Oktober 2017 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
SG Frankfurt 20. Kammer | Hessen | 0 | 1 | 24.07.2017 | 0 | Der Kläger begehrte die Gewährung von Hilfe in besonderen Lebenslagen zum Zwecke der Familienzusammenführung.
Der Kläger bezog vom 01.04.2010 bis 30.09.2010 Leistungen nach dem SGB II (Bl. 9 VA).
Er wandte sich am 19.08.2010 an die Beklagte und beantragte die Gewährung von Hilfe in sonstigen Lebenslagen gemäß § 73 SGB XII und/oder zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten gemäß 67 f. SGB XII, jeweils lediglich in Form entsprechender ausreichender Darlehensmittel, und/oder die Antragstellung auf Gewährung von einschlägigen Stiftungsmitteln bzw. deren Vermittlung hinsichtlich der notwendigen Aufwendungen (Reisekosten u.a.) für die Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner z.Zt. in der VR China aufhältlichen Gattin in der Bundesrepublik Deutschland (Bl . 1VA).
Die Beklagte führte im Bescheid vom 30.09.2010 aus: „beantragten Sie die Übernahme der Kosten, die für die Ausstellung eines Visums für ihre in China lebende Gattin entstehen, sowie der Kosten für den Flug von China nach Frankfurt.
Wir haben großes Verständnis für Ihre verzweifelte Situation, die Sie uns in dem oben bezeichneten Schreiben nahe gebracht haben.
Dennoch können wir Ihrem Wunsch auf Hilfestellung nicht entsprechen, da Ihr Antrag auf Familienzusammenführung, so bedauerlich das auch ist, nicht den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigt.
Wir können Ihnen daher nur empfehlen, sich bezüglich eines Darlehens auf dem freien Kapitalmarkt zu bedienen oder aber sich beim Konsulat um ein Darlehen nach dem Konsulargesetz zu bemühen“.
Der Kläger legte mit Schreiben vom 05.10.2010 Widerspruch ein (Bl. 16 VA).
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21.12.2010 zurückgewiesen (Bl. 26 VA).
In der Begründung wird ausgeführt: „Gemäß § 73 SGB XII können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen.
Ungeachtet der fehlenden weiteren Voraussetzungen des § 73 SGB XII scheitert ein Anspruch im Sinne des § 73 SGB XII bereits daran, dass Sie keinen eigenen Bedarf haben, sondern Reisekosten etc. Ihrer Gattin geltend machen.
Auch ein Anspruch nach § 67 SGB XII ist nicht gegeben.
Gemäß § 67 SGB XII sind Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, Leistungen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten zu erbringen, wenn sie aus eigener Kraft hierzu nicht fähig sind.
Besondere Lebensverhältnisse liegen gemäß § 1 Abs. 2 der Durchführungs-Verordnung zu § 69 SGB XII bei fehlender oder nicht ausreichender Wohnung, bei ungesicherter wirtschaftlicher Lebensgrundlage, bei gewaltgeprägten Lebensumständen, bei Entlassung aus einer geschlossenen Einrichtung oder bei vergleichbaren nachteiligen Umständen.
Andere vergleichbare nachteilige Umstände sind hierbei jedoch an den explizit aufgezählten Lebensumständen zu messen. Ein zeitweises Getrenntleben vom Ehegatten ist hiermit jedoch nicht zu vergleichen.
Ein Anspruch auf die beantragte Leistung scheitert daher schon am Nichtvorliegen von besonderen Lebensverhältnissen im Sinne des § 67 SGB XII.
Grundsätzlich besteht auch auf die Auszahlung von Stiftungsmitteln kein Rechtsanspruch“.
Der Kläger hat am 11.01.2011 Klage beim Sozialgericht Frankfurt erhoben.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wurde von Sozialgericht Frankfurt am 08.01.2013 abgelehnt.
Die hiergegen eingelegte Beschwerde wurde vom Landessozialgericht Darmstadt mit Beschluss vom 10.04.2013 zurückgewiesen.
In dem Beschluss wird ausgeführt: „Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, denn das Klagebegehren hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Antragsteller begehrt, wie seinem Schreiben an den Beklagten vom 5. Oktober 2010 bzw. seiner Klage vom 10. Januar 2011 entnommen werden kann, von dem Beklagten die Übernahme der für seine in China lebende chinesische Ehefrau anfallenden Gebühren für den Erwerb eines Sprachzertifikats beim Goethe-Institut in F-Stadt oder P-Stadt nebst Übernahme der damit verbundenen Reisekosten als Voraussetzung für die Ausstellung eines Visums, Reise- und Unterbringungskosten im Zusammenhang mit der Beantragung des Visums in K-Stadt sowie Übernahme der nachfolgenden Umzugskosten nach Deutschland. Hierfür gibt es keine Rechtsgrundlage.
Es ist bereits grundsätzlich zweifelhaft, ob der Antragsteller, der Leistungen nach dem Recht der Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) bezieht, Ansprüche aus dem Hilfesystem der Sozialhilfe nach dem SGB XII geltend machen kann. Das Bundessozialgericht hat dies ausnahmsweise im Hinblick auf § 73 SGB XII bejaht, wenn das Leistungssystem des SGB II nicht eingreift, gleichwohl eine besondere, atypische Situation eine Hilfe in sonstigen Lebenslagen erforderlich macht (Urteil vom 7. November 2006, B 7b AS 14/06 R, zu den Kosten des Umgangs mit den eigenen Kindern). Durch § 21 Abs. 6 SGB II in der seit dem 3. Juni 2010 geltenden Fassung hat der Gesetzgeber nunmehr aber eine Härteregelung geschaffen. Danach wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Darüber hinaus sieht § 24 Abs. 1 SGB II die abweichende Erbringung von Leistungen im Einzelfall vor. Kann im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden, erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung und gewährt der oder dem Leistungsberechtigten ein entsprechendes Darlehen (§ 24 Abs. 1 S. 1 SGB II). Es liegt nahe, dass damit für das SGB II ein geschlossenes Leistungssystem vorliegt, welches auch heranzuziehen ist, soweit Leistungen zur Sicherung eines unabweisbaren einmaligen besonderen Bedarfs geltend gemacht werden; zumindest dürfte eine analoge Anwendung des § 21 Abs. 6 SGB II auf Fälle eines einmaligen, atypischen (außerhalb des Regelbedarfs) bestehenden Bedarfs in Betracht kommen (vgl. Behrend in: jurisPK, § 24 SGB II Rdnr. 33).
Selbst wenn aber davon ausgegangen wird, dass die Vorschriften des SGB XII über die Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (§ 67 Satz 1 SGB XII) oder bei Leistungen in sonstigen Lebenslagen (§ 73 Satz 1 SGB XII) auch auf Leistungsempfänger nach dem SGB XII in besonderen, atypischen Notlagen (weiterhin) anwendbar sind, kann es sich nur um Ansprüche handeln, die bei der um Hilfe nachsuchenden Person selbst bestehen. Für Ansprüche des Klägers auf Übernahme der beantragten Kosten für seine in China lebende chinesische Ehefrau kennt das Gesetz aber keine Rechtsgrundlage. Soweit der Kläger dagegen einwendet, er begehre Leistungen an sich selbst, weil er gegenüber seiner Ehefrau rechtlich und ethisch verpflichtet sei, für ihren Nachzug nach Deutschland zu sorgen, führt das nicht weiter. Unabhängig davon, dass eine entsprechende Rechtspflicht des selber hilfebedürftigen Klägers nicht zu erkennen ist, kommt es für den sozialhilferechtlichen Anspruch darauf an, bei welcher Person die Kosten tatsächlich entstehen, nicht auf unterhaltsrechtliche Verpflichtungen (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006, B 7b AS 14/06 R, juris Rdnr. 24). Auch das Förderungsgebot von Ehe und Familie aus Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ist schon wegen der dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsfreiheit nicht geeignet, konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen zu begründen, weshalb hieraus auch kein Anspruch zur Finanzierung von Besuchsreisen zu dem im Ausland lebenden Ehepartner hergeleitet werden kann (vgl. HLSG, Beschluss vom 6. Juli 2012, L 7 AS 275/12 B ER zu). Der Kläger begehrt damit in Wahrheit keine Leistungen für sich selbst, sondern für seine in China lebende Ehefrau. Denn ausschließlich ihr entstehen Kosten für den Erwerb eines Sprachzertifikats, damit verbundene Reisekosten und Kosten eines Umzugs nach Deutschland. Hierzu ist der Kläger aber nicht legitimiert.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch der in China lebenden Ehefrau des Klägers keine Ansprüche gegen die Antragsgegnerin auf die beantragten Leistungen zustehen, denn Leistungen an Ausländer sieht das SGB XII nur bei tatsächlichem Aufenthalt im Inland vor (§ 23 Abs. 1 SGB XII). Aus dem durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutz von Ehe und Familie folgt kein anderes Ergebnis. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 51, 386, 396 f.; 80, 81, 93) und des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 22. Februar 1995, BVerwG 1 C 11.94, juris; Urteil vom 27. August 1996, BVerwG 1 C 8.94, juris) gewährt Art. 6 GG unmittelbar weder einen Anspruch auf Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland noch auf Nachzug. Aus der Pflicht des Staates zum Schutz von Ehe und Familie folgt nur, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über den Aufenthalt die familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen müssen (vgl. BVerfGE 80, 81, 93). Noch weniger kann Art. 6 Abs. 1 GG zur Begründung eines gegen den Staat gerichteten Rechtsanspruchs herangezogen werden, die finanziellen Mittel für den Nachzug eines im Ausland lebenden ausländischen Ehegatten eines Deutschen aufzubringen.
Soweit der Kläger die Klage weiterhin mit einer „Verpflichtung der Beklagten zur Hilfeleistung bei bzw. Vermittlung der Antragstellung für den Unterzeichner bei einschlägigen mildtätigen Stiftungen" begründet, ist keine Rechtsnorm erkennbar, auf die ein entsprechender einklagbarer Anspruch gegen den Träger der Sozialhilfe gestützt werden könnte.“
Der Kläger ist der Ansicht, er habe Anspruch auf Übernahme der begehrten Kosten. Er habe ein Anrecht zumindest auf Turnusmäßige Besuche seiner sehr entfernt lebenden Ehefrau.
Er beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides „vom" 21.12.2010 zu verpflichten, ihm
1. Hilfe in sonstigen Lebenslagen gemäß § 73 SGB XII und
2. Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten gemäß 67 f. SGB XII, in Form entsprechender ausreichender Darlehensmittel und der Antragstellung auf Gewährung von einschlägigen Stiftungsmitteln bzw. deren Vermittlung hinsichtlich der notwendigen Aufwendungen zur Familienzusammenführung und Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner in der VR China aufhältlichen Gattin C. W. in der Bundesrepublik Deutschland zu gewähren
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es bestünde kein Anspruch auf Gewährung der begehrten Leistungen.
Mit Schreiben vom 08.01.2013 wurden die Beteiligten zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört (Bl. 63, 64 GA).
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. | 0 |
SG Gießen 18. Kammer | Hessen | 0 | 1 | 24.05.2013 | 0 | Der Kläger bezieht seit mehreren Jahren Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch XII vom beklagten Landkreis. Seit Inkrafttreten des SGB XII am 01.01.2005 und damit der Verlagerung der sachlichen Zuständigkeit zur Sozialgerichtsbarkeit für Rechtsstreite nach dem SGB XII hat der Kläger bis Mai 2013 insgesamt ca. 840 Streitsachen (Klage- und Beschlussverfahren) sowohl in Sozialhilfeangelegenheiten gegen den Beklagten als auch auf anderen Fachgebieten beim Sozialgericht Gießen anhängig gemacht.
In der Sache streiten die Beteiligten jeweils über Leistungsansprüche nach dem SGB XII.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
ihm weitere Leistungen nach dem SGB XII zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat die Verwaltungsakte des Beklagten beigezogen. Wegen des weiteren Sachvortrags der Beteiligten und des Sachverhalts im Einzelnen wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt. | 0 |
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt 5. Senat | Sachsen-Anhalt | 0 | 1 | 26.10.2023 | 0 | Randnummer
1
Der Beklagte wendet sich mit seiner Berufung gegen die Verurteilung, den Klägern für die Monate März bis August sowie Oktober 2018 bis Februar 2019 höhere Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) im Rahmen der Gewährung von Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch zu zahlen.
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2
Die 1961 geborene Klägerin und der 1959 geborene Kläger sind miteinander verheiratet. Sie bewohnten im streitgegenständlichen Zeitraum eine etwa 61 qm große Wohnung in der B...straße ..... in Halberstadt. Sie hatten monatlich eine Nettokaltmiete i.H.v. 310 € sowie Vorauszahlungen für kalte Betriebskosten i.H.v. 29 € sowie Heizkosten i.H.v. 81 € zu zahlen. Die Wohnung, die in einem Gebäude mit einer Gesamtwohnfläche von ca. 2.646 qm gelegen war, wurde mit einer Gaszentralheizung beheizt, mit der auch das Warmwasser bereitet worden ist.
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3
Einen unter dem 26. Mai 2016 vor dem Einzug in die Wohnung gestellten Antrag auf Abgabe einer Zusicherung für die Übernahme der KDU bei Anmietung der o.g. Wohnung hatte der Beklagte mit Bescheid vom 16. Juni 2016 unter Hinweis auf die Unangemessenheit der Kosten abgelehnt.
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4
Mit Kostensenkungsaufforderung vom 3. August 2017 forderte er die Kläger unter Darstellung seiner Angemessenheitsgrenzen zu Kostensenkungsbemühungen bis spätestens 3. Februar 2018 auf. Nach Ablauf der Frist würden nur noch die angemessenen KdUH übernommen.
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5
Mit Bescheid vom 20. Februar 2018 bewilligte der Beklagte den Klägern SGB II-Leistungen für die Monate März 2018 bis Februar 2019. Er berücksichtigte entsprechend seiner Ankündigung monatlich eine Bruttokaltmiete i.H.v. 319,20 € sowie Heizkosten i.H.v. 76,20 €. Dagegen legten die Kläger unter dem 19. März 2018 Widerspruch ein. Die Kürzung der KdUH sei nicht rechtmäßig. Die Unterkunftsrichtlinie des Beklagten beruhe auf keinem schlüssigen Konzept. Es seien daher die Werte des § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) zzgl. eines Zuschlags von 10% anzuwenden.
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6
Am 16. Juli 2018 reichten die Kläger eine Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2017 beim Beklagten ein. Danach hatte der Vermieter ein Guthaben i.H.v. 94,35 € mit der Bruttowarmmiete im Monat August verrechnet. Der Beklagte teilte den Klägern unter dem 23. Juli 2018 mit, dieses Guthaben nicht anzurechnen, da es aus der Regelleistung gezahlt worden sei.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 2018 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Das der Unterkunftsrichtlinie zugrundeliegende Konzept sei schlüssig. Im Rahmen einer Datenerhebung im Jahre 2015/2016 seien die angemessenen Werte anhand mathematischer und statistischer Methoden ermittelt worden.
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Am 7. August 2018 haben die Kläger Klage vor dem Sozialgericht Magdeburg erhoben und ihr Ziel der Bewilligung der tatsächlichen KdUH weiterverfolgt. Im Wesentlichen haben sie zur Begründung vorgetragen:
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Die Vergleichsräume (VR) seien nicht entsprechend der vom Bundessozialgericht (BSG) aufgestellten Grundsätze gebildet worden. Die Gemeinden Halberstadt und Quedlinburg hätten nicht zum Wohnungsmarkttyp III zusammenfasst werden dürfen.
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Es bestünden Zweifel an der Validität der erhobenen Daten. Mehr als die Hälfte der Daten stamme von Grundsicherungsempfängern. Das Alter dieser gesammelten Daten sei nicht erfasst worden. Sie seien daher unbrauchbar. Hinzu komme, dass keine Trennung zwischen der Grundmiete und den kalten Betriebskosten vorgenommen worden sei. Auch ein Spannenoberwert sei nicht gebildet worden.
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Auch die vom Beklagten ermittelten Heizkosten seien nicht zur Bestimmung der angemessenen Heizkosten heranzuziehen. Die Daten seien nicht nach den Kriterien eines kommunalen Heizspiegels ermittelt worden. Weder habe eine Differenzierung nach der Wohnungsgröße und der Lage derselben im Gebäude noch nach Energieträgern stattgefunden.
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Mit Änderungsbescheid vom 28. Januar 2019 hat der Beklagte den Klägern für die Monate August 2018 bis Februar 2019 höhere SGB II-Leistungen bewilligt. Ab 1. August 2018 seien die Angemessenheitswerte neu geregelt worden (Fortschreibung der Angemessenheitswerte). Entsprechend hat der Beklagte den Klägern in diesen Monaten monatlich eine Bruttokaltmiete i.H.v. 324,60 € sowie Heizkosten i.H.v. 79,20 € gewährt.
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Im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Beklagte ein nachgebessertes Konzept eingereicht (Korrekturbericht Februar 2020). Die VR seien neu bestimmt worden. So bilde Halberstadt zusammen mit Huy, der Stadt Osterwieck und der Verwaltungsgemeinschaft Vorharz einen VR.
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Auch unter Zugrundelegung des nachgebesserten Konzepts haben die Kläger an den bisherigen Argumenten festgehalten. Sie haben sich zudem auf ein Urteil des Sozialgerichts Magdeburg (
S 14 AS 720/19 WA
) bezogen. Dieses habe die Unschlüssigkeit des Konzepts für den Salzlandkreis festgestellt (Mietdaten älter als vier Jahre, keine Berücksichtigung der Vermieterstruktur). Das Konzept des Beklagten leide an den gleichen methodischen Mängeln, da es von derselben Firma erstellt worden sei.
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Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 11. Juni 2021 den Beklagten unter Abänderung der entgegenstehenden Bescheide verurteilt, den Klägern weitere KdUH i.H.v. monatlich 24,60 € für die Monate März bis Juli 2018 16,20 €/Monat für August und Oktober 2018 bis Februar 2019 zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Im Wesentlichen hat es zur Begründung ausgeführt:
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Die Kläger hätten einen Anspruch auf Gewährung der tatsächlichen KdUH. Der Beklagte verfüge über kein schlüssiges Konzept zur Bestimmung der angemessenen KdUH.
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Zwar sei die VR-Bildung nachvollziehbar.
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Es bestünden jedoch bezüglich der Repräsentativität der Daten und der Validität durchgreifende Bedenken. Der Angemessenheitswert sei zu einem gewichtigen Anteil aus SGB II-Datensätzen gebildet worden. Mit 58% der Mietwerte dominierten somit deutlich die Wohnungen mit eher einfachem Standard. Es könne nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass es sich um einen repräsentativen Wohnungsbestand mit einfachem, mittlerem und gehobenen Wohnungsstandard handele.
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Auch die Anwendung des iterativen Verfahrens führe nicht zu einer realitätsgerechten Abbildung des Wohnungsmarkts. Die Fa. Analyse und Konzepte (A&K) habe zudem keine realen Wohnungsangebote einbezogen. Die Angebotsmieten seien mit selbst berechneten Betriebskosten einbezogen worden. Weiterhin seien die Bestandsbruttokaltmieten mit Nettoneuvertragsmieten verglichen worden. Diese seien jedoch nicht vergleichbar.
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Auch seien die im nachgebesserten Konzept zugrundgelegten Perzentilgrenzen nicht nachvollziehbar. Für einen 1-Personen-Haushalt sei auf nahezu vollständig identischer Datenbasis im Ausgangskonzept (Bericht Juli 2016) in jedem Wohnungsmarkttyp nach Abgleich mit Angebots- und Neuvertragsmieten die Perzentilgrenze bei 40 % ermittelt worden. Dagegen sei in der Nachbesserung in jedem VR eine Perzentilgrenze von 35 % ermittelt worden. Diese Tendenz lasse sich bezüglich der Perzentilgrenzen für andere Haushaltsgrößen ebenfalls feststellen.
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Schließlich ergäben die Rohdaten zu den kalten Betriebskosten keinen Sinn. Die Berechnung sei fehlerhaft, wenn bei einer Wohnfläche von 55 qm und kalten Betriebskosten i.H.v. 100 € ein Quadratmeterpreis für die kalten Betriebskosten i.H.v. 1,27 € errechnet worden sei.
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Für die Bestimmung der Angemessenheit der Mietkosten sei daher auf die Werte des § 12 WoGG zzgl. eines Zuschlags von 10% zurückzugreifen. Die tatsächliche Bruttokaltmiete liege unterhalb der Grenze von 467,50 €.
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Auch sei das Konzept hinsichtlich der Heizkosten unschlüssig. Es seien die Werte des „Bundesweiten Heizspiegels“ heranzuziehen, mithin seien 81 €/Monat im streitgegenständlichen Zeitraum angemessen. Es ergäben sich weitere Differenzbeträge i.H.v. 4,80 € bzw. 1,80 €/Monat.
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Angesichts der Anrechnung des Betriebskostenguthabens im August 2018 ergäbe sich im September 2018 nach § 22 Abs. 3 SGB II kein ungedeckter Bedarf bei den KdUH.
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Das Sozialgericht hat die Berufung zugelassen.
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Gegen das ihm am 7. Juli 2021 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 30. Juli 2021 Berufung eingelegt.
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Hinsichtlich der Schlüssigkeit des Konzepts bezieht er sich nunmehr auf die Nachbesserung im März 2023. Der SGB II-Datensatz sei unberücksichtigt geblieben. Die verbleibende Datenmenge sei mit 9,5% des Gesamtwohnungsbestands auch nach der Rechtsprechung des BSG ausreichend, um den Wohnungsmarkt abbilden zu können. Das angewandte iterative Verfahren sei eine anerkannte statistische Methode zur Ermittlung der hier relevanten Werte.
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Zudem seien die Mietdaten der privaten und institutionellen Vermieter gewichtet worden.
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Auch Angebotsmieten seien in ausreichender Anzahl erhoben worden.
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30
Die Rohdaten seien (ohne SGB II-Datensatz) neu geordnet und im Portal der Fa. A&K eingestellt worden. Im Übrigen stellten die in den Spalten A (Stadt), B (Mietvertragsbeginn), C (letzte Mietänderung), D (Wohnfläche) und E (Nettokaltmiete) in den Ordnern „Bestandsmieten“ und „Betriebskosten Erhebung“ und die in einer Zeile befindlichen Daten der Spalten A (Stadt), B (Wohnfläche) und C (Netto-Kaltmiete) in den Ordnern „Angebotsmieten“ und „Betriebskosten SGB II-Datensatz“ die eigentlichen zusammenhängenden Rohdatensätze dar.
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31
Die nachfolgenden Spalten (NKM/qm oder KBK/qm in Spalte F bzw. D) gäben jeweils die Verarbeitungsergebnisse der Rohdatensätze wieder. Es sei bei den kalten Betriebskosten ein falscher Quotient gebildet worden, der aber nicht in die Berechnung eingegangen sei. Hinsichtlich der Einzelheiten dieser Ausführungen wird auf den Schriftsatz des Beklagten vom 15. Juni 2023 Bezug genommen.
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32
Die im Vergleich zum (Ursprungs-)Konzept (Bericht Juli 2016) in der Nachbesserung aus März 2023 veränderten Perzentilgrenzen seien auf die Neuordnung des Datensatzes zurückzuführen. Während im (Ursprungs-)Konzept die Daten in fünf Wohnungsmarkttypen zusammengefasst worden seien (geordnet nach der Höhe der Nettokaltmiete) seien sie nunmehr unter Berücksichtigung der drei neu gebildeten VR neu zu bestimmen gewesen.
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33
Es ergebe sich ein angemessener Mietwert für die Bruttokaltmiete bis Juli 2018 i.H.v. 316,80 €/Monat, für die Zeit ab August 2018 i.H.v. 322,20 €/Monat. Der Beklagte habe jeweils eine höhere Bruttokaltmiete gewährt. Hinsichtlich der Heizkosten wende er nunmehr den Bundesweiten Heizspiegel an. Ab August 2018 seien danach Heizkosten i.H.v. 76,50 € angemessen. Mit Änderungsbescheid vom 28. Januar seien bereits 79,20 €/Monate bewilligt worden.
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Der Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 11. Juni 2021 abzuändern und die Klage abzuweisen.
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36
Die Kläger beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Durch die Herausnahme des SGB II-Datensatzes sei die nunmehr zur Verfügung stehende Datenmenge zu gering, um einen Angemessenheitswert ermitteln zu können. Die Beibehaltung der Methodik sei vor diesem Hintergrund zweifelhaft. Zudem seien keine Angebotsmieten erhoben worden. Das von der Fa. A&K angewandte iterative Verfahren sei ungeeignet. Die Perzentilgrenzen seien in der Nachbesserung des Konzepts im März 2023 willkürlich festgesetzt worden.
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Der Beklagte habe zwar im Hinblick auf die nunmehr als angemessen angesehenen Mietwerte den Klägern höhere Leistungen erbracht. Selbst das Vorhandensein eines schlüssigen Konzepts unterstellt, müssten die angemessene Bruttokaltmiete und die Heizkosten jedoch getrennt voneinander betrachtet werden. Eine Verrechnung zwischen einer zu hohen Leistung für die Bruttokaltmiete mit einer zu geringen Zahlung für die Heizkosten sei unzulässig.
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40
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten des Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. | Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 11. Juni 2021 und der Bescheid des Beklagten vom 20. Februar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Juli 2018 werden abgeändert. Der Beklagte wird unter teilweiser Zurückweisung seiner Berufung verurteilt, für die Monate März bis Juli 2018 an die Kläger jeweils weitere Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. 1,20 €/Monat zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
LG Darmstadt 7. Zivilkammer | Hessen | 0 | 1 | 11.08.2021 | 0 | Die Klägerin zu 1 ist Eigentümerin des mit einem 1905 errichteten viergeschossigen Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks Adresse 1. An das Grundstück der Klägerin zu 1 grenzt auf der straßenabgewandten Seite das Grundstück des B ..., Adresse 2. Die Grundstücke trennt eine Mauer, die zugleich den Höhenunterschied zwischen der etwa 2 m höher liegenden Geländeoberfläche des B gegen das tiefer liegende Grundstück der Klägerin abfängt. Wegen der genauen räumlichen Situation wird auf den Lageplan Bl. VII/1497 der Akte verwiesen.
Auf dem Grundstück der Klägerin zu 1 und in dessen Umgebung steht im Boden, etwa 2 bis 3 m unterhalb der natürlichen Geländeoberfläche und damit etwa auf der Höhe der Gründung des Gebäudes der Klägerin zu 1 tertiärer Rupelton an. Dieser hat die Eigenschaft, bei einem Wassergehalt in einem bestimmten Bereich schon bei geringer Veränderung des Wassergehalts sein Volumen stark zu verändern, eine Verringerung des Wassergehalts führt dann zu einer erheblichen Schrumpfung. Oberhalb der tertiären Rupeltonschicht finden sich quartäre Sande und Kiese.
Auf dem Grundstück Adresse 2 war zunächst ein Altbau mit Erweiterungsbau errichtet, den der Beklagte 2. für das B nutzte (Lageplan zur früheren Bebauungssituation Bl. I/223 d. A). An dem Erweiterungsbau zeigten sich bereits in den 1970er Jahren erhebliche Rissschäden. Im Jahr 1972 fertigte deshalb das Hessische Landesamtes für Bodenforschung ein Gutachten zu deren Ursachen. Dabei stellte das Landesamt fest, dass die in unmittelbarer Gebäudenähe befindlichen Platanen dem Boden Wasser entzögen, was zu einer Setzung des Untergrundes führe, der die Gebäudeschäden verursache (Bl. I/113 ff. d. A.).
In den 1980er Jahren ließ der Beklagte 2. das alte B sowie ein in der Nähe der gemeinsamen Grundstücksgrenze zum Grundstück der Klägerin zu 1 befindliches Nebengebäude abbrechen und ein neues B errichten. Dabei wurden alte Platanen erhalten und im Rahmen der Gestaltung der Freiflächen parallel zur gemeinsamen Grundstücksgrenze zum Grundstück der Klägerin zu 1 eine Galerie von Laubbäumen angepflanzt (Lichtbild Bl. I/121 unten aus dem Jahr 2006). Zudem ließ der Beklagte 2. entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze vor der dort befindlichen Mauer eine Drainage errichten, die ohne Rückstausicherung in die öffentliche Kanalisation entwässert.
An dem Gebäude der Klägerin zu 1 zeigten sich Risse, die Klägerin zu 1 behauptet, erstmals im September 2000.
Die Klägerin zu 1 behauptet, diese Gebäudeschäden beruhten auf einem Schrumpfen des Rupeltons, in Folge dessen Austrocknung. Die Austrocknung wiederum werde durch die Laubbaumgalerie, durch die Platanen und durch die Drainage verursacht. Zudem befürchtet die Klägerin zu 1 das Eindringen von verunreinigtem Wasser über die Drainage auf ihr Grundstück im Fall eines Rückstauereignisses. Zudem werde durch rückstauendes Wasser der Boden unter ihrem Grundstück gelockert, fortgetragen, verschoben und weggespült. Sie meint zudem, die Bäume der Laubbaumgalerie hielten den nachbarrechtlich vorgeschriebenen Grenzabstand nicht ein.
Das Grundstück Adresse 2 wurde vom Bekl. 2. zum 01.01.2006 veräußert und befindet sich heute im Eigentum der Beklagten zu 1.
Die Klägerin zu 1 nahm vor dem Amtsgericht […] neben ihrer Gebäudeversicherung den Beklagte 2. wegen der Gebäudeschäden in Anspruch (Az. …). Das in diesem Rechtsstreit eingeholte Gutachten des Sachverständigen Dr. E (Bl. I/15 ff.) kam zu dem Ergebnis, dass die Gebäudeschäden auf einer durch den Wasserentzug der Bäume verursachen Schrumpfung des Tons beruhten. Das Amtsgericht […] traf gegenüber dem Beklagten 2. mit Urteil vom 07.09.2006 die beantragte Feststellung hinsichtlich der Bäume der Baumgalerie und wies die Klage im Übrigen ab (Bl. I/95 ff. d. A.). Die Berufung des Beklagten 2. zum Landgericht […] (Az. …) blieb im Wesentlichen ohne Erfolg (Bl. V/1185 ff. d. A.). Die in der Berufungsinstanz mit Urteil vom 20.12.2011 abgeänderte Entscheidungsformel zur Hauptsache lautet insofern:
„[…] Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin diejenigen Schäden angemessen auszugleichen, die an dem im Eigentum der Klägerin stehenden Gebäude Adresse 1 sowie dem darin befindlichen Mobiliar, durch eine Absenkung bzw. Setzung des Erdbodens als Folge der auf dem angrenzenden von der Beklagten genutzten Nachbargrundstück Adresse 2, parallel zur Grundstücksgrenze der Klägerin gepflanzten Laubbaumgalerie entstanden sind oder noch entstehen werden. […]“
Während des Rechtsstreits hat die Klägerin der Beklagte 2. zudem vor dem Landgericht […] auf Zahlung gemäß dem Feststellungsurteil in Anspruch genommen (Az. …). Das Landgericht […] hat die dortige Klage im Hinblick auf den im hiesigen Rechtsstreit verfolgten Feststellungsantrag als unzulässig abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (Az. 1 U 251/13) das Urteil des Landgerichts […] aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Der weitere Gang Verfahrens vor dem Landgericht […] ist der Kammer nicht bekannt.
Mit der Klage hat die Klägerin zu 1 die Beklagten zunächst mit den Anträgen in Anspruch genommen,
den Beklagten 2. zu verurteilen, durch wirksame Maßnahmen zu verhindern, dass dem klägerischen Grundstück Adresse1, durch die auf dem Grundstück des Beklagten 2. Adresse 2 unterhaltenen Laubbäume (Robinien und Platanen), Wasser entzogen wird,
den Beklagten 2. weiter zu verurteilen, innerhalb von sechs Monaten das entwässerte Erdreich des klägerischen Grundstücks Adresse 1 durch geeignete technische Maßnahmen wieder auf seinen natürlichen Feuchtigkeitsgehalt zu bringen oder es innerhalb dieser sechs Monate durch ungestörtes Erdreich mit einem Wassergehalt von mindestens 30 % zu ersetzen,
den Beklagten 2. weiter zu verurteilen, durch wirksame Maßnahmen zu verhindern, dass durch die auf dem Grundstück des Beklagten 2. Adresse 2 unterhaltene Drainage, Abwasser aus dem Abwasserkanal in der …straße in … auf das klägerische Grundstück gelangen kann sowie
den Beklagten 2. zu verurteilen, die durch den Wasserentzug aus dem Erdreich sowie den Betrieb der Drainage verursachten Beeinträchtigungen und Beschädigungen am klägerischen Grundstück Adresse 1 sowie dem dazugehörigen Gebäude zu beseitigen.
Später ist ein Rechtsstreit der Klägerin zu 2, der Eigentümerin des Nachbargrundstücks Adresse 3, mit entsprechender Antragstellung bezüglich des Nachbargrundstücks mit dem vorliegenden zunächst zur gemeinsamen Durchführung der Beweisaufnahme (Bl. II/344 d. A.) und später zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden (Bl. IV/766 f. d. A.).
Nach verschiedenen Änderungen der Antragstellung hat die Klägerin zu 2 die Klage mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen. Die Klägerin zu 1 beantragt nach ebenfalls verschiedenen Änderungen der Antragstellung unter teilweiser Klagerücknahme im Übrigen zuletzt,
1. die Beklagten zu verurteilen, zu unterbinden, dass dem Grundstück Adresse 1 durch die auf dem Grundstück Adresse 2 unterhaltenen Bäume der Laubbaumgalerie (= Robinien) Wasser entzogen wird
durch Entfernen derjenigen 7 Bäume, die in dem Gutachten C vom 15.03.2017 beiliegenden „Lageplan mit vorhandenen Aufschluss der Grenze zu den Grundstücken Adresse 3 und Adresse 4“ eingezeichnet sind;
hilfsweise: den Wasserentzug durch diese 7 genannten Bäume auf andere geeignete Weise (z. B: durch tief reichende Wurzelsperren entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze zwischen den Grundstücken Adresse 1 und Adresse 2, jeweils in ...) zu unterbinden;
2. die Beklagten weiter zu verurteilen, zu unterbinden, dass dem Grundstück Adresse 1 durch diejenigen auf dem Grundstück Adresse 2 unterhaltenen 4 Platanen, welche den geringsten Abstand zum klägerischen Grundstück aufweisen, Wasser entzogen wird;
3. die Beklagten weiter zu verurteilen, zu unterbinden, dass auf dem Grundstück Adresse 2 Bäume unterhalten werden, die näher als 3 Meter zur Grundstücksgrenze des Grundstücks Adresse 1 stehen und auf dem klägerischen Grundstück Wasser entziehen können;
4. die Beklagten weiter zu verurteilen, zu unterbinden, dass durch die auf dem Grundstück Adresse 2 unterhaltene Drainage Abwasser aus dem Abwasserkanal in der …straße auf das Grundstück Adresse 1 gelangen kann sowie zu unterbinden, dass dem Grundstück Adresse 1 durch die auf dem Grundstück Adresse 2 unterhaltene Drainage Wasser entzogen wird sowie
5. festzustellen, dass die Beklagte zu 1 verpflichtet sei, sämtliche Beeinträchtigungen und Schäden am Grundstück und Gebäude Adresse 1 zu ersetzen, die als Folge des Wassersentzuges aus dem Grundstück durch die Unterhaltung einer Laubbaumgalerie an der gemeinsamen Grundstücksgrenze, von Platanen und den Betrieb der Drainage auf dem Grundstück Adresse 2 seit dem 01.01.2006 entstanden sind und noch entstehen werden.
Die Beklagte zu 1 beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte zu 2 beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten erheben die Einrede der Verjährung.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung von Gutachten des Sachverständigen Dr.-Ing. A, des Sachverständigen B, des Sachverständigen C sowie des Sachverständigen Dr.-Ing. D. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr.-Ing. A vom 30.05.2008, 25.06.2008, 10.02.2010, 26.09.2013, 14.03.2014 und die Niederschrift dessen Anhörung vom 31.01.2014 (Bl. V/1201–1203 d. A.), auf die schriftlichen Gutachten des Sachverständigen B vom 15.07.2016 (Bl. VII/1454–1470) und 08.11.2018 (Bl. VII/1667–1671), auf die schriftlichen Gutachten des Sachverständigen C vom 15.03.2017 (Bl. VII/1471–1516) und 18.10.2018 (Bl. VII/1638–1663) sowie auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr.-Ing. D vom 09.05.2019 (Bl. VII/1688–1689) verwiesen.
Weiter hat die Kammer das den Parteien bekannte in dem Rechtsstreit vor dem Amtsgericht […] ([Aktenzeichen]) eingeholte schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. E vom 28.02.2006 (Bl. I/15–25 d. A.) und das den Parteien bekannte in dem gleichen Rechtsstreit vor dem Landgericht […] ([Aktenzeichen]) eingeholte schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. F vom 15.07.2009 (Bl. III/585–620 d. A.) verwertet. Weiter hat die Kammer die den Parteien bekannten in dem Rechtsstreit vor dem Landgericht […] ([Aktenzeichen]) eingeholten Gutachten der Sachverständigen G vom 16.04.2018 (Bl. VIII/1829–1834 d. A.) und Prof. Dr. H vom 28.05.2019 (Bl. VIII/1822–1828 d. A.) berücksichtigt. | Die Klage der Klägerin zu 1 wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerinnen je zur Hälfte zu tragen, mit Ausnahme der gerichtlichen Auslagen und der außergerichtlichen Auslagen der Beklagten, die nach Rücknahme der Klage durch die Klägerin zu 2 entstanden sind, die die Klägerin zu 1 allein zu tragen hat.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. | 0 |
Finanzgericht Rheinland-Pfalz 2. Senat | Rheinland-Pfalz | 0 | 0 | 31.01.2012 | 1 | Randnummer
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I. Streitig ist die Abzugsfähigkeit von Krankheitskosten, die zur Wahrung des Beitragsrückerstattungsanspruches bei der Krankenversicherung nicht geltend gemacht wurden.
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Die Antragsteller werden als Eheleute zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Mit Einkommensteuererklärung für 2009 machten sie in einer nach "Arztrechnungen" und "Medikamente" unterteilten "Zusammenstellung Rechnungen" (Bl. 3 ESt-Akten 2009) aufgeführte Krankheitskosten in Höhe von 4.919,00 € als außergewöhnliche Belastung zu geltend. Die Frage nach erhaltenen oder zu erwartenden Versicherungsleistungen beantworteten sie mit "0".
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In dem Einkommensteuerbescheid 2009 vom 2. Mai 2011 blieben diese Aufwendungen unberücksichtigt, da außergewöhnliche Belastungen nur vorlägen, soweit die angefallenen Kosten nicht durch Ersatzleistungen Dritter, z.B. einer Krankenkasse, gedeckt seien bzw., soweit es sich um außergewöhnliche Belastungen des Vorjahres handele, diese nicht im Streitjahr abgezogen werden könnten.
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Mit hiergegen fristgerecht eingelegtem Einspruch, mit dem sie zugleich Aussetzung der Vollziehung beantragten, wendeten die Antragsteller ein, von dem geltend gemachten Betrag entfielen lediglich 46,11 € auf den Veranlagungszeitraum 2008. Im Übrigen sei nicht erkennbar, warum ein Vorgang, der erst im Streitjahr abgeschlossen gewesen sei, in den Kosten für das Vorjahr zu erfassen sein solle.
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Das Finanzamt bat die Antragsteller daraufhin um die Vorlage von Nachweisen dazu, dass keine Erstattungen seitens der Versicherung getätigt worden seien. Daran bestünden Zweifel, weil aus den für das Vorjahr vorliegenden Unterlagen hervorgehe, dass dort die Kosten in der Regel zu 100 % bzw. zu 80 % ersetzt worden seien.
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Das Finanzamt wies hierzu darauf hin, dass die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen und damit eine steuerliche Berücksichtigung entfalle, wenn bestehende Ersatzansprüche nicht geltend gemacht würden.
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Außerdem lehnte es unter dem 11. Mai 2011 den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab, da nach dem momentanen Stand der Sachlage nicht ausgeschlossen werden könne, dass Ersatzleistungen Dritter erfolgt seien, und daher keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung bestünden.
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Die Antragsteller hielten dem entgegen, bis einschließlich des Veranlagungszeitraumes 2008 seien die Krankenversicherungsbeiträge im Rahmen der Höchstbeträge voll absetzbar gewesen, während Beitragsrückerstattungen oder Kostenerstattungen abzusetzen gewesen seien. Nur der überschießende Teil sei im Rahmen des § 33 EStG absetzbar gewesen. Diese Systematik habe der Gesetzgeber ab dem Veranlagungszeitraum 2009 aufgegeben. Die Krankenversicherungsbeitragsanteile seien nunmehr in unbegrenzter Höhe absetzbar. Der Gesetzgeber habe aber sodann die Beitragsrückerstattungen aus dem §§ 33 EStG herausgenommen und den Sonderausgaben zugeordnet. Die wirtschaftliche Konsequenz hieraus sei, dass die steuererhöhende Wirkung der Beitragsrückerstattungen bereits ab dem 1,00 € eintrete, während die Krankheitskosten erst nach Abzug der zumutbaren Belastung steuersenkend wirkten. Sachlogisch folge hieraus, dass Krankheitskosten dann nicht zu berücksichtigen seien, wenn der Steuerpflichtige überhaupt nicht krankenversichert sei oder zwar krankenversichert sei, die Rechnungen aber nicht einreiche, obwohl er keine Beitragsrückerstattungen in entsprechender Höhe zu erwarten habe. Im Streitfall ergebe die Gegenüberstellung der Erstattungsleistungen im Falle der Einreichung mit denen im Falle der Nichteinreichung der Rechnung bei gleichzeitiger steuerschädlicher Beitragsrückerstattung, dass es sowohl für den Fiskus als auch für die Antragsteller vorteilhafter sei, die Arztrechnungen nicht einzureichen.
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Die Antragsteller erweiterten außerdem ihren Einspruch dahin, dass sie nunmehr Kosten für eine Pkw-Haftpflichtversicherung in Höhe von 586,34 € als Sonderausgaben angesetzt wissen wollten.
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Darüber hinaus meinten sie, das Versagen der Aussetzung der Vollziehung sei ermessensfehlerhaft und damit nichtig. (Wegen der hierzu gemachten Ausführungen und der weiteren Einlassungen sowie den zur Einspruchsbegründung eingereichten Unterlagen wird auf den auf den 05. Mai 2011 datierenden Schriftsatz der Antragsteller und dessen Anlagen verwiesen, Bl. 12 ff. Rb-Akten.)
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Mit Schreiben vom 20. Juni 2011 erläuterte das Finanzamt den Antragstellern die Rechtslage dahin, dass Krankheitskosten eines Steuerpflichtigen nur dann zwangsläufig erwüchsen, wenn er sich ihnen aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen könne. Würden Aufwendungen später von dritter Seite ersetzt, fehle es nach den Grundsätzen der sog. Vorteilsanrechnung an einer endgültigen Belastung, die nach Sinn und Zweck des § 33 EStG Voraussetzung der Steuerminderung sei. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Ersatzleistungen in dem selben oder einem späteren Veranlagungszeitraum vereinnahmt würden, in dem die Ausgaben geleistet würden. Die Regelung des § 11 EStG werde insoweit durch das Belastungsprinzip verdrängt. Die Anrechnung von Leistungen durch eine Krankenversicherung sei auch unabhängig davon, ob sich die Versicherungsbeiträge über den Sonderausgabenabzug steuermindernd ausgewirkt hätten. Die Zwangsläufigkeit fehle darüber hinaus auch dann, wenn bestehende Ersatzansprüche nicht realisiert würden. Der Verzicht auf Ersatzansprüche sei auch dann schädlich, wenn er aus nachvollziehbaren, wirtschaftlichen Gründen erfolge, bspw. um eine Beitragsrückerstattung zu erhalten.
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Aus diesen Gründen könne die beantragte Aussetzung der Vollziehung nicht gewährt werden.
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Die Antragsteller erweiterten daraufhin ihren Einspruch erneut, nunmehr dahin, dass sie die Verfassungsmäßigkeit der zumutbaren Eigenbelastung gem. § 33 Abs. 3 EStG verneinten. Des Weiteren beantragten sie die hilfsweise Anerkennung der Aufwendungen als Werbungskosten. Sie meinten, bei der Beitragsrückerstattung handele es sich um Einkünfte. Diese vom Gesetzgeber im Steuervereinfachungsgesetz 2011, Bundestagsdrucksache 17/5125, klarstellend getroffene Wertung treffe auch bereits auf den Veranlagungszeitraum 2009 zu. Die Sachlage stelle sich daher wie folgt dar: Die Aufwendungen in Höhe von 4.919,00 € seien Werbungskosten. Diese seien um die Einnahmen aus Beitragsrückerstattung in Höhe von 2.471,28 € zu kürzen. Der sich danach ergebende Verlust sei gesondert festzustellen und nach 2010 vorzutragen bzw. auf 2008 zurückzutragen, soweit für 2008 Beitragsrückerstattungen geleistet worden seien. Die Sonderausgaben seien um den Betrag des Verlustes zu erhöhen.
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Mit Fax vom 18. Juli 2011 stellten die Antragsteller außerdem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2009 vom 2. Mai 2011 bei Gericht und beantragten zugleich die Feststellung der Nichtigkeit der Verwaltungsakte vom 11. Mai 2011 und 20. Juni 2011, soweit diese die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung ablehnen.
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Sie tragen vor, bei der Gewährung von AdV seien nicht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs Ermessensmaßstab, sondern die Abwägung des Rechtsschutzinteresses des Steuerbürgers gegen die Steuerausfallgefahr. Im Streitfall träfen - was näher ausgeführt wird - mehrere Kataloggründe des AEAO zu § 361 zu.
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Durch die Rechtsänderungen seien seit dem Veranlagungszeitraum 2009/2010 so starke Unsicherheiten in der Rechtsauslegung im Bereich der Sonderausgaben und der außergewöhnlichen Belastungen entstanden, dass der Gesetzgeber im Steuervereinfachungsgesetz 2011 für alle noch offenen Fälle sich teilweise der von den Antragstellern vorgetragenen wirtschaftlichen Sichtweise bedient habe. Vorliegend gehe es darum, ob Aufwendungen, die der
privaten
Krankenkasse nicht zur Erstattung eingereicht würden, um Beitragsrückerstattungen zu erlangen, außergewöhnliche Belastungen darstellten oder, soweit sie die zu erwartenden Beitragsrückerstattungen nicht überstiegen, Werbungskosten, da Beitragsrückerstattungen zu Einnahmen im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG führen könnten bzw. über die vorrangige Verrechnung mit den Sonderausgaben vom 1,00 € an versteuert würden. Alle den Antragstellern bekannten BFH-Urteile bezögen sich auf den Erstattungsanspruch der
sozialen
Krankenversicherung, die zu ihrer Zeit dieses System der Beitragsrückerstattungen nicht gekannt hätten. Es könne nicht Anliegen des Gesetzgebers sein, dass Aufwendungen, die wirtschaftlich gesehen zu zu versteuerndem Einkommen führten, überhaupt nicht zu berücksichtigen seien.
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Für die Wertung der vorliegend zu betrachtenden Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen spreche, dass auch ein vertraglich vereinbarter Selbstbehalt zu einer Nichterstattung von Arztrechnungen und zu Aufwendungen im Sinne des § 33 EStG führe.
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Für eine Wertung als Werbungskosten spreche die vom Gesetzgeber im Entwurf zum Jahressteuergesetz 2011 getroffene Klarstellung, dass Überschüsse aus Beitragsrückerstattungen zum Gesamtbetrag der Einkünfte hinzuzurechnen seien. Im System der Beitragsrückerstattungen sei das ökonomische Verhalten des Versicherten impliziert. Der Versicherte werde daher, wie dies auch die Antragsteller getan hätten, eine Vorteilhaftigkeitsentscheidung treffen. Diese Vorgehensweise sei für ihn und den Staat vorteilhaft.
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Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
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Er führt aus, verzichte ein Steuerpflichtiger auf die Geltendmachung eines Ersatzanspruches, verlören Krankheitskosten den Charakter der Zwangsläufigkeit, es sei denn, die Geltendmachung des Ersatzanspruches sei unzumutbar. Letzteres sei hier nicht der Fall.
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Soweit die Antragsteller zudem die Feststellung eines verbleibenden Verlustabzuges hinsichtlich der Beitragsrückerstattungen beantragten, fehle hierzu jedwede Rechtsgrundlage. Eine solche ergebe sich insbesondere auch nicht aus dem Entwurf des Steuervereinfachungsgesetzes 2011. Die Antragsteller verkennten dabei, dass bei der Verrechnung mit gleichartigen Aufwendungen nicht Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastungen in Betracht kämen, sondern nur Versicherungsbeiträge, also Sonderausgaben. Ein Erstattungsüberhang betreffend Sonderausgaben ergebe sich nach Aktenlage jedoch nicht.
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Ein Abzug der streitbefangenen Aufwendungen als Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben komme ebenfalls nicht in Betracht. Krankheitskosten könnten als Kosten der allgemeinen Lebensführung allenfalls im Rahmen der Position "außergewöhnliche Belastungen" abgezogen werden.
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Die zusätzlich geltend gemachten Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung wirkten sich steuerlich nicht aus, da die Höchstbeträge im Rahmen der Höchstbetragsberechnung nach § 10 Abs. 3 EStG bereits ausgeschöpft seien. | I. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2009 vom 2. Mai 2011 wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens haben die Antragsteller zu tragen. | 0 |
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 5. Senat | Berlin | 1 | 1 | 21.02.2019 | 0 | Randnummer
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Die Klägerin, eine Diplom-Gebärdendolmetscherin, begehrt ein Entgelt in Höhe von 181,50 EUR für Dolmetscherleistungen, die sie im Februar 2015 für die seit Geburt gehörlose und unter Zuerkennung der Merkzeichen GL (Gehörlos) und RF mit einem Grad der Behinderung von 100 als Schwerbehinderte anerkannte Frau M…, anlässlich deren Anmeldung zur Begründung einer Lebenspartnerschaft bei dem Standesamt des Bezirksamtes Marzahn-Hellersdorf erbracht hat.
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Das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf von Berlin lehnte eine Übernahme der Kosten mit Bescheid vom 23. März 2015 ab. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos.
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Mit Urteil vom 12. Juli 2016 hat das Verwaltungsgericht Berlin den Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, der Klägerin den geforderten Betrag zu erstatten. Der Senat macht sich die Feststellungen des Verwaltungsgerichts in vollem Umfang zu eigen und nimmt auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug (§ 130b Satz 1 VwGO).
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In den Entscheidungsgründen hat das Verwaltungsgericht ausgeführt: Der Anspruch auf die Vergütung der erbrachten Dolmetscherleistung folge aus
§ 12 Abs. 1 und Abs. 2 des Gesetzes über die Gleichberechtigung von Menschen mit und ohne Behinderung
- LGBG - i.V.m. den §§ 2, 3, 4 Abs. 1 und § 5 der Verordnung zur Verwendung von Gebärdensprache und anderen Kommunikationshilfen im Verwaltungsverfahren nach dem Behindertengleichstellungsgesetz - KHV -. Hörbehinderte Menschen (Gehörlose, Ertaubte und Schwerhörige) und sprachbehinderte Menschen hätten danach das Recht, mit öffentlichen Stellen in Deutscher Gebärdensprache, mit lautsprachbegleitendem Gebärden oder über andere geeignete Kommunikationshilfen zu kommunizieren, soweit dies zur Wahrnehmung eigener Rechte im Verwaltungsverfahren erforderlich sei (
§ 12 Abs. 2 Satz 1 LGBG
). Die öffentlichen Stellen hätten dafür auf Wunsch der Berechtigten im notwendigen Umfang die Übersetzung durch Gebärdensprachdolmetscher oder die Verständigung mit anderen geeigneten Kommunikationshilfen sicherzustellen und die notwendigen Aufwendungen zu tragen (
§ 12 Abs. 2 Satz 2 LGBG
). Dem Anspruch stehe nicht entgegen, dass es sich bei dem Verfahren zur Begründung einer Lebenspartnerschaft gemäß §§ 17, 12 ff. Personenstandsgesetz - PStG - nicht um ein Verwaltungsverfahren im Sinne des § 1 Abs. 1 VwVfG Bln in Verbindung mit § 9 VwVfG - i.F. VwVfG - handele. Denn auf diesen Begriff sei
§ 12 Abs. 2 Satz 1 LGBG
bei einer am Wortlaut, am Sinn und Zweck sowie an der Entstehungsgeschichte der Bestimmung orientierten Auslegung nicht beschränkt.
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Hiergegen richtet sich die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Berufung des Beklagten. Er moniert, dass die Klägerin schon nicht berechtigt sei, den Vergütungsanspruch gemäß § 5 KHV im eigenen Namen geltend zu machen. Denn § 1 Abs. 1 KHV begründe einen im eigenen Namen zu erhebenden Anspruch nur für denjenigen, der als Beteiligter eines Verwaltungsverfahrens zur Wahrnehmung für die mündliche Kommunikation im Verwaltungsverfahren einen eigenen Anspruch auf Bereitstellung einer geeigneten Kommunikationshilfe habe. Danach werde zum einen der Begriff des Verwaltungsverfahrens genauso vorausgesetzt wie in
§ 12 Abs. 2 LGBG
und zum anderen eine Beteiligung an einem Verwaltungsverfahren verlangt. Den Beteiligtenbegriff i.S.d. § 13 VwVfG erfülle die Klägerin jedoch nicht, sodass ihr kein originäres Recht auf Vergütung gegenüber dem Beklagten zustehe.
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Rechtsfehlerhaft sei zudem die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass es sich bei dem für die Begründung einer Lebenspartnerschaft vorgesehenen personenstandsrechtlichen Verfahren um ein Verwaltungsverfahren i.S.d.
§ 12 Abs. 2 LGBG
handele. Das widerspreche der hier maßgeblichen Bestimmung des Verwaltungsverfahrens nach § 9 VwVfG, die eine auf Erlass eines Verwaltungsakts oder den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtete Tätigkeit einer Behörde erfordere. Daran fehle es hier. Das Verwaltungsgericht berücksichtige bei seiner Auslegung nicht die Aufgabe und Funktion eines Standesbeamten. Dieser erlasse weder einen Verwaltungsakt noch schließe er einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, sondern beurkunde nach § 14 Abs. 3 PStG lediglich, ähnlich einem Notar im Privatrecht, den Vertragsschluss der Parteien. Der Standesbeamte sei demnach nur die Urkundsperson, die die Eheschließung bzw. Verpartnerung vornehme. Im Ergebnis komme die Ehe bzw. die Lebenspartnerschaft nicht durch einen staatlichen Hoheitsakt, sondern durch den Konsens der Verlobten zu Stande. Dieser Vorgang unterliege der amtsgerichtlichen und nicht der verwaltungsgerichtlichen Überprüfbarkeit. Das spreche gegen das Vorliegen eines Verwaltungsverfahrens i.S.d.
§ 12 Abs. 2 Satz 1 LGBG
. Darüber hinaus übersehe das Verwaltungsgericht, dass ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot nicht zu besorgen sei. Die Gebärdensprache sei als eigenständige andere Sprache i.S.d.
§ 12 Abs. 1 LGBG
anerkannt. Auch andere Personen, die die deutsche Sprache nicht verstünden, erhielten die Kosten für einen Dolmetscher beim Standesamt nicht erstattet.
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Der Beklagte beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. Juli 2016 zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt im Wesentlichen das erstinstanzliche Urteil. | Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. Juli 2016 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 0 | 1
Der Kläger begehrt Kostenerstattung für die vom 24.09.2012 bis zum 31.12.2014 gewährte Hilfe zur Erziehung für die Kinder A. und J. K. in Höhe von zusammen 40.672,19 EUR.
2
Die beiden Kinder A. K., geboren am 26.08.2005, und J. K., geboren am 16.11.2007, leben seit dem 20.01.2009 bei ihren Großeltern, den Eltern ihrer Mutter, E. und I. K., in H. im Landkreis E./Brandenburg. Seit dem 01.05.2010 gewährt der Kläger für beide Kinder Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege gemäß den §§ 27 und 33 SGB VIII. Pflegeeltern sind die Großeltern E. und I. K.
3
Die Mutter beider Kinder ist die deutsche Staatsangehörige O. K. Diese lebte nach ihrem Zuzug aus Kasachstan, der noch vor der Geburt von A. stattfand, zunächst ebenfalls in H., danach vom 17.07.2010 an in Berlin und seit dem 24.09.2012 in L. im Landkreis O.
4
Der Vater von A. K. ist Herr A. I. aus Kasachstan.
5
Die Mutter von A. und J. heiratete Herrn A. I. am 24.02.2003 noch während ihres Aufenthalts in Kasachstan. Die Ehe wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Astana/Kasachstan am 17.05.2007, der von den deutschen Behörden nicht anerkannt wird, nach kasachischem Recht geschieden.
6
Mit rechtskräftigem Beschluss vom 15.02.2010 übertrug das Amtsgericht - Familiengericht - C. M. das Recht zur Regelung von Personenstands- und sonstigen behördlichen Angelegenheiten für J. K. auf die Kindesmutter O. K..
7
Mit (weiterem) rechtskräftigem Beschluss vom 29.08.2011 übertrug das Amtsgericht C. M. das Sorgerecht für A. K. auf die Kindesmutter O. K.
8
Der Aufenthaltsort von A. I. ist unbekannt. Der letzte bekannte Aufenthaltsort ist in Kasachstan. Jedenfalls lebte er bereits vor der Geburt von A. K. dauerhaft von der Kindesmutter getrennt.
9
Biologischer Vater der J. K. ist A. B. Diese Vaterschaft wurde aber weder rechtswirksam anerkannt noch gerichtlich festgestellt. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 07.06.2011 stellte das Amtsgericht C. M. fest, dass J. K. nicht das Kind des A. I. ist.
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Mit weiterem rechtskräftigem Beschluss vom 16.07.2012 hat das Amtsgericht C. M. das Personensorgerecht für die Kinder J. und A. K. auf die Großeltern E. und I. K. „als Pflegepersonen mit den Rechten und Pflichten aus § 1630 III BGB" übertragen.
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Mit (zwei) Schreiben vom 03.06.2013 begehrte der Kläger von dem Beklagten Anerkennung der Kostenerstattungspflicht gemäß § 89a SGB VIII für die gewährte Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege für die Kinder J. und A. K. ab dem 24.09.2012. Der Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 28.02.2014 und vom 24.07.2014 ab. Der Beklagte begründete dies mit dem Beschluss des Amtsgerichts C. M. vom 16.07.2012. Der Kindesmutter sei durch diesen Beschluss die Personensorge entzogen worden. Die örtliche Zuständigkeit bestimme sich daher ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII nach § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII. Daraus ergebe sich aber keine Zuständigkeit des Beklagten. Der Kläger hielt dem mit Schreiben vom 15.04.2014 entgegen: Die Kindesmutter übe trotz des genannten Beschlusses weiter Teile der Personensorge aus. Den Pflegeeltern seien gemäß § 1630 Abs. 3 BGB lediglich Teile der elterlichen Sorge übertragen worden. Daher sei der Beklagte gemäß § 86 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII örtlich zuständig.
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Am 16.01.2015 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Der Erstattungsanspruch für die Kosten der Hilfegewährung für das Kind A. K. beruhe auf § 89a Abs. 3 SGB VIII. Er habe Kosten aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aufgewandt. Ohne diese Vorschrift wäre der Beklagte für die Gewährung der Vollzeitpflege für die Kinder A. und J. K. örtlich zuständig. Diese örtliche Zuständigkeit folge aus § 86 Abs. 2 Satz 1 bzw. § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII. Die Eltern von A. und J. K. hätten verschiedene gewöhnliche Aufenthalte. Der Vater von A. lebe in Kasachstan, der von J., mit dem die Mutter nie verheiratet gewesen sei, dessen Vaterschaft jedoch weder von ihm anerkannt noch gerichtlich festgestellt worden sei, in Bad Salzuflen. Mit dem Umzug nach Lahr habe die Kindesmutter nach dem Beginn der Leistung einen vom Kindesvater verschiedenen Aufenthalt im Sinne von § 86 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII begründet. § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII stehe der Zuständigkeit des Beklagten nicht entgegen. Durch den Beschluss des Amtsgericht C. M. vom 16.07.2012 sei der Kindesmutter nicht die Personensorge für A. und J. entzogen worden. Die Entziehung der Personensorge sei nur unter den Voraussetzungen des § 1666 BGB möglich. Die Übertragung der elterlichen Sorge nach § 1630 Abs. 3 BGB sei dem nicht gleichzustellen. Durch die Übertragung der Personensorge auf die Pflegeperson nach § 1630 Abs. 3 BGB werde nicht den Eltern ihr natürliches, aus der Elternschaft erwachsendes Sorgerecht entzogen. Mit Übertragung der Personensorge auf eine Pflegeperson nach § 1630 Abs. 3 BGB erhalte diese keine Rechtsstellung, die der der personensorgeberechtigten Eltern entspreche. Die Pflegeeltern seien auch nicht als Personensorgeberechtigte, wie etwa ein Vormund, bestellt worden. Ein Kostenerstattungsanspruch für die für J. K. aufgewandten Kosten ergebe sich daher aus den §§ 89a Abs. 3 und 86 Abs. 5 SGB VIII analog, da eine Vaterschaft für J. K. bisher nicht festgestellt worden sei.
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Der Kläger beantragt (sachdienlich),
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den Beklagten zu verurteilen, die dem Kläger in der Zeit vom 24.09.2012 bis zum 31.12.2014 entstandenen Kosten in Höhe von 40.672,19 EUR, die er für Maßnahmen der Jugendhilfe für A. und J. K. aufgewendet hat, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 16.01.2015 zu bezahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung trägt der Beklagte im Wesentlichen vor: Er sei nicht gemäß § 89a Abs. 1 SGB VIII erstattungspflichtig. Zu Beginn der Leistung sei die Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII am gewöhnlichen Aufenthalt der Mutter von A. und J. K. festzumachen gewesen. Zu jenem Zeitpunkt hätten die Kinder als ehelich gegolten, deshalb habe somit eine gemeinsame elterliche Sorge bestanden. Da die beiden Elternteile aber getrennt lebten, habe sich die örtliche Zuständigkeit gemäß § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Kindesmutter gerichtet. Mit den Beschlüssen vom 07.06.2011 und 25.08.2011 habe das Amtsgericht C. M. für beide Kinder das alleinige Sorgerecht der Mutter zugesprochen. Danach habe sich die Zuständigkeit nach § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII bestimmt. Dies habe sich jedoch mit dem Beschluss des Amtsgerichts C. M. vom 16.07.2012 geändert. Das Amtsgericht habe darin explizit das Personensorgerecht auf die Pflegeeltern übertragen. Ab diesem Zeitpunkt sei die Kindesmutter nicht mehr Personensorgeberechtigte im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs und des Sozialgesetzbuchs Achtes Buch gewesen. Mithin sei auch ihr gewöhnlicher Aufenthalt nicht mehr maßgeblich für die örtliche Zuständigkeit. Mit dem Umzug der Kindesmutter nach Lahr gelte demnach die Regelung des § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII. Die bisherige Zuständigkeit des Klägers sei danach bestehen geblieben.
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Der Kammer liegen die die Kinder A. und Jan K. betreffenden Jugendhilfeakten des Klägers und des Beklagten (jew. 2 Hefte) vor. Der Inhalt dieser Akten und der Gerichtsakten war Gegenstand der Kammerberatung und -entscheidung; hierauf wird ergänzend Bezug genommen. | Der Beklagte wird verurteilt, die dem Kläger in der Zeit vom 24.09.2012 bis zum 31.12.2014 entstandenen Kosten in Höhe von 21.438,97 EUR, die er für Maßnahmen der Jugendhilfe für J. K. aufgewendet hat, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 16.01.2015 zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger und der Beklagte tragen die Kosten des Verfahren je zur Hälfte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleitung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. | 1 |
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VG Gera 6. Kammer | Thüringen | 0 | 0 | 25.08.2016 | 0 | Randnummer
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Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Übernahme der Kosten für die Hortbetreuung ihrer beiden schulpflichtigen Kinder in der offenen Ganztagesschule F... J....
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Die beiden Kinder der Klägerin ..., geboren am …. ... 2004, und ..., geboren am .... ... 2006, besuchen seit August 2011 bzw. August 2013 den Unterricht und den beitragspflichtigen Hort der F... J... in freier Trägerschaft des „W.... e.V.“. Bis 31. März 2015 übernahm die Beklagte die Hortgebühren für beide Kinder in voller Höhe.
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Mit zwei Bescheiden jeweils vom 9. April 2015 lehnte die Beklagte die weitere Übernahme der Hortbeiträge ab 1. April 2015 mit der Begründung ab, dass es sich bei dem Hort der F... J... nicht um eine Tageseinrichtung für Kinder im Sinne der §§ 22 bis 24 des Achten Sozialgesetzbuches - SGB VIII - handele und das Hortangebot zudem nicht im Bedarfsplan der Beklagten aufgeführt sei.
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Die Klägerin legte gegen beide Bescheide am 20. April 2015 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, dass § 22a SGB VIII nicht zwischen Angeboten in freier und öffentlicher Trägerschaft unterscheide. Voraussetzung für die gesetzliche Kostenübernahmeverpflichtung sei allein die Feststellung der Unzumutbarkeit der finanziellen Belastung durch die Kosten für die Eltern und das Kind sowie das Fehlen einer atypischen Sondersituation, für deren positives Vorliegen der Jugendhilfeträger beweispflichtig wäre. Darüber hinaus sei bei der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen nach der gesetzlichen Regelung weder eine Prüfung der Erforderlichkeit der Maßnahme noch die Prüfung des Vorliegens eines Erziehungsdefizites vorgesehen.
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Mit am 4. August 2015 zugestelltem Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2015 wies das Thüringer Landesverwaltungsamt den Widerspruch der Klägerin zurück. Eine Leistungsverpflichtung der Beklagten als verpflichteter Träger der öffentlichen Jugendhilfe bestehe für Kinder im schulpflichtigen Alter nur bezüglich einer Hortbetreuung in einer kommunalen Tageseinrichtung und nicht bezüglich einer Hortbetreuung in einer schulischen Tageseinrichtung. Bezüglich schulischer Tageseinrichtungen gälten andere Regeln als für die vom Jugendhilfeträger geförderten kommunalen Kindertageseinrichtungen. Schulhorte seien gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 Thüringer Schulgesetz - ThürSchulG - organisatorischer Teil der betreffenden Schule. Dies gelte sowohl für staatliche Schulen als auch für Schulen in freier Trägerschaft. Schulische Betreuungsangebote bedürften darüber hinaus keiner Genehmigung nach § 45 SBG VIII und müssten auch nicht die Mindestvoraussetzungen zur Sach- und Personalausstattung nach §§ 13 ff. Thüringer Kindertageseinrichtungsgesetz - ThürKitaG - erfüllen. Diese Zweigleisigkeit des Hortangebotes in Thüringen würde auch durch
§ 1 Abs. 4 des ThürKitaG
in der bis 2005 gültigen Fassung bestätigt, in dem ausdrücklich darauf hingewiesen werde, dass Kinderhorte, die organisatorischer Teil einer Schule seien, von diesem Gesetz nicht erfasst würden. In der aktuellen Fassung des ThürKitaG sei diese Bestimmung zwar aufgegeben worden. In § 2 Abs. 2 des aktuellen ThürKitaG sei aber immer noch geregelt, dass der Anspruch auf Förderung in Horten an Grundschulen vorrangig gelte und sich nach dem Thüringer Schulgesetz richte. Dem sei zu entnehmen, dass Schulhorte auch weiterhin nicht unter das SGB VIII bzw. das ThürKitaG fielen. Die Möglichkeit der Übernahme von Hortbeiträgen gemäß § 90 Abs. 3 SGB VIII betreffe demnach ausschließlich die in die Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers fallenden Einrichtungen im Sinne der §§ 22 bis 24 SGB VIII. Das Hortangebot der F... J... sei kein Angebot der Beklagten als öffentlicher Jugendhilfeträger, da es organisatorisch Teil der F... J...... in freier Trägerschaft und zudem nicht im Bedarfsplan der Beklagten aufgeführt sei. Bei dem Hortangebot handele es sich um eine Einrichtung im Rahmen der Schulorganisation, die rein an schulischen und schulergänzenden Zwecken orientiert sei und dem Förderbegriff des § 22 Abs. 2 und 3 SGB VIII nicht gerecht werde.
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Die Klägerin hat hiergegen am 4. September 2015 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen ihre Ausführungen aus dem Widerspruchsverfahren. Ergänzend trägt sie vor, es bestehe ein Anspruch auf eine fehlerfreie, den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - berücksichtigende Ermessensentscheidung. Dieser Anspruch sei vorliegend nicht erfüllt.
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Die Klägerin beantragt wörtlich,
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die Beklagte zu verurteilen, das Elternentgelt für die Kinder ... S.... und ... S... für die Hortbetreuung in der F... J..... unter Abänderung der Bescheide der Beklagten vom 6. November 2014, in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2015, zugegangen am 4. August 2015, in voller Höhe zu übernehmen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Ergänzend zu ihren Ausführungen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren trägt sie vor, dass sie nach § 24 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII lediglich zur Vorhaltung einer Betreuung für Kinder im schulpflichtigen Alter verpflichtet sei. Der darüber hinaus gesetzlich in
§ 2 Abs. 2 Satz 1 ThürKitaG
geregelte subjektiv-rechtliche Anspruch von Grundschulkindern auf Förderung in Kindertageseinrichtungen gelte gemäß Satz 2 dieser Vorschrift bereits mit der Förderung an Horten in Grundschulen erfüllt.
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Mit Schreiben vom 6. April 2016 hat der kaufmännische Geschäftsführer des W... e. V. als Träger der F... J... auf Anfrage des Gerichts nähere Informationen zum Hort der W... J..., insbesondere zum Ziel, zur näheren Ausgestaltung, zur Betreuung und zu den Öffnungszeiten übersandt.
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Mit Schriftsätzen vom 3. Mai 2016 und 9. Mai 2015 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte (ein Band) und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs (2 Aktenordner) Bezug genommen. Die Akten sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen. | 1. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 9. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2015 verpflichtet, den Kostenbeitrag für die Hortbetreuung der beiden Kinder der Klägerin, .... und ..., in der F... J..... im Zeitraum vom 1. April 2015 bis 31. August 2015 in Höhe von jeweils 50,00 € zu übernehmen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der noch festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in dieser Höhe leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen. | 0 |
LG Hamburg 24. Zivilkammer | Hamburg | 0 | 0 | 21.10.2016 | 0 | Randnummer
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Die Parteien streiten über den Bestand der einstweiligen Verfügung der Kammer vom 2.02.2016, mit der den Antragsgegnerinnen unter Meidung der üblichen Ordnungsmittel untersagt wurde:
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...und zwar I. auf Antrag der Antragstellerin zu 2:
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zu behaupten, zu verbreiten und/ oder behaupten oder verbreiten zu lassen:
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a. in einem Pflegeheim der M.- K. werde so wenig Essen ausgegeben, dass die Menschen, die dort lebten, unterernährt seien;
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b. „Also es ist so, dass anhand der Speiseversorgung auch ähm zu Mangelernährung bei Bewohnern gekommen ist. Ähm, die so massiv waren, dass da also auch ´ne BMI-Bemessung unter 20 gelegen hat [...]Das bedeutet im Prinzip, dass die ähm Leute untergewichtig sind, dass sie mangelernährt sind und ähm letztendlich lässt das zurückführen, dass da keine ausreichende Speiseversorgung stattfindet [...] es sind [...]konkret eigentlich an die 40 Bewohner [...]Knapp 30 Prozent.“;
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c. „ [Reporterin: „Warum führen Sie das so eindeutig auf die Speisenversorgung zurück? [M. W.:] „Wenn ich sehe, es sind ähm im Wohnbereich, ich sag mal mit beispielweise 30 Bewohnern, es gehen genau 30 Scheiben Käse nach oben, ist mir klar, dass jeder nur eine Scheibe kriegt.“ [Das sind einfach zu kleine Portionen und ähm einfach auch zu wenig von der Menge her.]“ ;
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e. [in Bezug auf die von der im Beitrag M. W. genannten Person geäußerten Vorwürfe, in der Einrichtung der Antragstellerin zu 2., in der sie gearbeitet hat, seien Bewohner untergewichtig bzw. mangelernährt, da keine ausreichende Speiseversorgung stattfinde, dies seien „eigentlich an die 40 Bewohner“, knapp 30 %, und in Bezug auf folgende Äußerungen dieser Person: „Weil ich sehe, es sind ähm im Wohnbereich, ich sag mal mit beispielweise 30 Bewohnern, es gehen genau 30 Scheiben Käse nach oben, ist mir klar, dass jeder nur eine Scheibe kriegt. Das sind einfach zu kleine Portionen und ähm einfach auch zu wenig von der Menge her.“:]
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Wir haben die M.- K. AG mit diesen Vorwürfen konfrontiert.“;
...
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2. durch Behaupten, Verbreiten und/oder Behaupten oder Verbreitenlassen der folgenden Berichterstattung den Verdacht zu erwecken, in der Einrichtung der Antragstellerin zu 2., in der die im Beitrag M. W. genannte Person gearbeitet hat, sei wegen einer T. W.-Sendung der Verpflegungsschlüssel von 2, 75 EUR auf 4, 10 EUR erhöht worden:
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„[Off:] M. W. hat sich gekümmert und unsere Sendung damals zum Anlass genommen, sich die Versorgung der Bewohner in dem Heim, in dem sie arbeitet, genauer anzusehen.
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[G. W.:] „Wie hat sich das ausgewirkt dann, auf das Essen der Bewohner, nachdem wir darüber berichtet haben?“
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[M. W.:] „Ich weiß von einer Einrichtung, dass ähm dort der Ernährungsschlüssel von € 2,75 auf € 4,10 erhöht worden ist [...]. Und ich führ das eigentlich mit darauf zurück, dass da tatsächlich jetzt auch jemand mal hingeguckt hat.“
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[Off: Die M.- K. bestreiten allerdings, dass das mit unserer Sendung zusammenhing. Ihr Wareneinsatz sei generell höher. Wie hoch der Verpflegungssatz aktuell in den verschiedenen Einrichtungen wirklich ist, wissen wir nicht.]“;
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3. durch Behaupten, Verbreiten und/ oder Behaupten oder Verbreitenlassen der folgenden Berichterstattung den Verdacht zu erwecken,
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a. Bewohner in der Einrichtung, der Antragstellerin zu 2., in der die im Beitrag M. W. genannte Person gearbeitet hat, seien unterernährt gewesen, weil am Essen gespart worden sei und weil sie deshalb zu wenig Essen bekommen hätten;
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b. in dem Heim der Antragstellerin zu 2., aus dem die erwähnten Unterlagen stammen, hätten
aa.
...
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und/oder
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bb.
21 Bewohner Ende Juni einen BMI von unter 20 auch deshalb gehabt, weil am Essen gespart worden sei und weil sie deshalb zu wenig Essen bekommen hätten:
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„Sie [die im Beitrag M. W. genannte Person ...] beklagt, dass Menschen so wenig Essen bekommen, dass sie unterernährt sind.
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20
[...]
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21
„[Off: Der Vorwurf ist hart. Sind Menschen unterernährt, weil am Essen gespart wird?
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22
[...]
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Worauf die teils massive Gewichtsabnahme zurückzuführen ist, können wir nicht mit Sicherheit sagen. Interne Unterlagen [bei gleichzeitiger Abbildung von Unterlagen], die uns vorliegen, bestätigen allerdings: In diesem Heim, das zur M.- K. AG gehört, verloren mehr als 23 Prozent der Bewohner in wenigen Monaten so viel an Gewicht, dass das heimeigene Computersystem Handlungsbedarf anmeldete. Hier werden die Gewichtsdaten der Bewohner erfasst, genauso wie der BMI, der Body-Maß-Index. Laut einer Grundsatzstellungnahme zur Ernährung und Flüssigkeitsversorgung älterer Menschen, die vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbands der Krankenkassen herausgegeben wurde [...besteht] schon ab einem BMI von 24 und weniger [...] ein erhöhtes Risiko von Ernährungsstörungen. Nach dem internen Ernährungs-Screening, das uns vorliegt, hatten aber 21 Bewohner Ende Juni in der Einrichtung einen BMI von unter 20. [...] Zusammengenommen mit den Gewichtsverlusten erhärtet sich der Verdacht, dass hier Bewohner mangelernährt sind. Wir haben die M.- K. mit diesen Hinweisen konfrontiert
[...]
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24
Wir zeigen die Dokumente mit den Gewichtsverläufen aus der Einrichtung C. F. [...] „Man steht eigentlich fassungslos davor, dass man so viele mangelernährte Menschen in einem Pflegeheim vorfindet. Also eigentlich frägt man sich, ähm wo es ist, kann das sein, dass diese Pflegeheime in Deutschland sind? Ich kann‘s mir nur erklären, aufgrund der vielen, vielen Berichte und Hilferufe, dass in vielen Pflegeheimen sogar am Essen gespart wird. Beil pflegebedürftigen Menschen. Die essen doch sowieso nicht mehr so viel. Da auch noch zu sparen, da fällt mir nur noch der Begriff ‚pervers‘ ein.“
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25
Doch die Sparpolitik in einigen Heimen ist seiner Erfahrung nach nicht der einzige Grund, warum es immer wieder zu Mangelernährung in Deutschen Pflegeheimen kommt [...]“
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II. auf Antrag beider Antragstellerinnen
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27
zu verbieten, zu verbreiten und/ oder verbreiten zu lassen:
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28
a) „Frau A. S.: ‚Es haben sich in dem letzten halben Jahr, was ich da gearbeitet habe, äh
150
Überstunden angesammelt (...)‘
(...)
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b) Auch damit (sc. mit der Äußerung von A. S.) habe wir die M. K. konfrontiert. Die Antwort: ‚Es ist im Einzelfall durchaus möglich, dass Mitarbeiter 150 Stunden ansammeln, die dann durch Freizeit ausgeglichen oder vergütet werden. (...)“
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30
Die Antragstellerin zu 1) betreibt eine vollstationäre Senioren- und Pflegeeinrichtung in O.. Sie ist ein Tochterunternehmen der Antragstellerin zu 2), deren Unternehmensgruppe bundesweit Seniorenwohnanlagen betreibt. Hierzu zählen acht Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen, zu denen auch die in der Berichterstattung erwähnte Einrichtung in H. zählt. Insgesamt gehören 55 Pflegeeinrichtungen und 4 Wohnanlagen für Betreutes Wohnen mit rund 4.850 Mitarbeitern dazu.
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31
Die Antragsgegnerin zu 1) verantwortet die Sendung R. E., die am 14.12.2015 auf R. ausgestrahlt wurde und seither als Video on Demand („R. N.“) im Internet angeboten wird (Anlage ASt 1). In dieser Sendung wurde ein Beitrag über die Antragstellerinnen veröffentlicht, der die streitgegenständlichen Passagen enthält und für dessen Inhalt auf Anlage ASt 2 (DVD) sowie auf die Mitschrift (Anlage ASt 6) Bezug genommen wird. Die Antragsgegnerin zu 1) ist für das Fernsehprogramm als auch für das Video on Demand Angebot verantwortlich (Anlage ASt 3), die Antragsgegnerin zu 2) verantwortet die Internetauftritte www. n..tv und www. r..de.
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Vor der Ausstrahlung der Sendung richtete die i. GmbH zwei Schreiben an die Antragstellerin zu 2) mit Fragen. Diese Schreiben stammen vom 20.08.2015 und vom 1.12.2015 (Anlage ASt 8), die Antragstellerin zu 2) reagierte mit Schreiben vom 28.08.2015 und vom 10.12.2015 (Anlagenkonvolut ASt 9). Für die Einzelheiten der Korrespondenz wird auf die Anlagen ASt 8 und 9 verwiesen.
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Ein Teil der streitgegenständlichen Äußerungen bezieht sich auf die in H. gelegene Einrichtung (K. Hof). Bei der in dem Beitrag gezeigten M. W., die auch zu Wort kommt, handelt es sich um M. G., die vom 1.06. bis zum 15.08.2015 als Pflegedienstleiterin in der Einrichtung K. Hof in H. tätig war. Ihr wurde gekündigt. In dieser Einrichtung war auch bis zum Februar 2016 J. K. als Haustechniker beschäftigt, ihm wurde betriebsbedingt gekündigt. In der in der Sendung weiter erwähnten Einrichtung in O. war A. S. (damals H.) bis zum 20.06.2013 beschäftigt, die ebenfalls in dem Beitrag zu Wort kommt.
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34
In der Einrichtung H. erfolgte ein sogenanntes Ernährungs-Screening, mittels dessen die Gewichtsverläufe der Bewohner erfasst wurden. Die Bewohner wurden hierbei nach einem „Ampelsystem“ beurteilt (grün = kein Pflegerisiko/ gelb = Pflegerisiko/ rot = Pflegeproblem). Aus diesen Unterlagen ergibt sich, dass in der Pflegeeinrichtung H. im Wohnbereich Ceres im Juni 2015 48 Personen wohnhaft waren, 18 Personen wurde ein Pflegerisiko (gelb) zugeschrieben, einer Person ein Pflegeproblem (rot). Im Wohnbereich Baccus waren 46 Personen wohnhaft, davon wurden 15 ein Pflegerisiko (gelb) und einer Person ein Pflegeproblem (rot) zugewiesen, im Wohnbereich Aphrodite wurden bei 25 Personen 11 Personen mit einem Pflegerisiko (gelb) eingestuft.
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35
Die Antragsgegnerinnen haben mit den Anlagen AG 5 – 8 Auszüge aus der Grundsatzstellungnahme des medizinischen Dienstes vorgelegt. Danach soll der BMI bei Personen, die älter als 65 sind, zwischen 24 und 29 liegen. Bereits ab einem BMI von 24 und weniger besteht ein erhöhtes Risiko von Ernährungsstörungen. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die entsprechenden Anlagen verwiesen.
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36
Die Antragstellerinnen mahnten die Antragsgegnerinnen ohne Erfolg ab (Anlagen ASt 7, 14) und erwirkten sodann die einstweilige Verfügung der Kammer, gegen die sich der Widerspruch richtet.
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37
Die Antragsgegnerinnen sind der Ansicht, es sei nicht unwahr berichtet worden. Der Beitrag beziehe sich auf Informationen, die sie von dritter Seite erhalten hätten, ein Zu-eigen-machen liege nicht vor. Soweit ein Zu-eigen-machen angenommen würde, seien die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung eingehalten worden. Es bestehe ein berechtigtes Informationsinteresse. Das erforderliche Mindestmaß an Beweistatsachen habe vorgelegen, da sie mehrere Mitarbeiter der Antragstellerinnen zu den Vorwürfen befragt habe, die diese unabhängig voneinander bestätigt hätten. Hierzu berufen sie sich auf die eidesstattlichen Versicherungen von Frau G., Frau S. und Herrn K. und auf die Unterlagen zum Ernährungs-Screening. Es sei umfassend recherchiert worden, der Antragstellerseite sei zudem mehrfach und ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Weitere Konkretisierungen in den Anfragen seien nicht geboten gewesen, da diese Rückschlüsse darauf zugelassen hätten, von wem die entsprechenden Informationen stammen. Aus Gründen des Informantenschutzes sei es nicht erforderlich gewesen, diese weiteren Informationen offen zu legen. Die Antragstellerinnen hätten die übermittelten Informationen auch so überprüfen können.
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38
Es würde zudem – hinsichtlich Ziffer I.1.a. - nicht die Behauptung aufgestellt, dass alle Bewohner der Pflegeeinrichtungen unterernährt seien. Bezüglich Ziffer I.1.b. werde mit der angegriffenen Aussage nicht behauptet, dass aufgrund der nicht ausreichenden Speiseversorgung an die 40 Bewohner, knapp 30 % der Bewohner, einen BMI von unter 20 gehabt hätten. Es werde lediglich behauptet, dass es bei einem Teil zu einer Mangelernährung gekommen sei, die Angabe von „40 Bewohner“ bzw. „knapp 30%“ beziehe sich auf die Mangelernährung, nicht auf Bewohner mit einem BMI unter 20. Zudem liege kein Zu-eigen-machen der Aussage von Frau G. vor.
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39
Die Aussage wie Ziffer I.1.c. könne nicht wortwörtlich verstanden werden, es sei offensichtlich, dass Frau G. nicht auf einen konkreten Fall Bezug nehme, sondern beispielhaft und generell berichte. Diese Passage sei in Anbetracht der eidesstattlichen Versicherungen von Frau G. und Herrn K. nicht unwahr.
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40
Hinsichtlich des Antrags zu Ziffer I.1.e. sei eine ausreichende Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben worden. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass angesichts der Erfassung der in der Anfrage genannten Werte im Computersystem eine entsprechende Recherche möglich gewesen wäre. Zudem habe die Mitteilung der Antragstellerin zu 2) vom 28.08.2015 („Dass auch nur in einer einzigen Einrichtung in NRW eine Speisenversorgung ‚gefehlt‘ hätte, ist ausgeschlossen.“) den Vorwurf der mangelnden Speisenversorgung endgültig und umfassend beantwortet. Eine Anhörung sei dann nicht geboten, wenn durch sie keine Aufklärung zu erwarten sei. Es sei zudem unzutreffend, dass es keine Anfrage zu dem rationierten Aufschnitt gegeben habe, denn die Äußerung von Frau G. beziehe sich nicht auf einen konkreten Wohnbereich, sondern beinhalte den generellen Vorwurf. Mit diesem Vorwurf habe eine Konfrontation der Antragstellerseite stattgefunden, dieser sei in dem Schreiben vom 1.12.2015 – unstreitig – dahingehend ergänzt worden, dass er sich auf zwei Pflegeheime in NRW beziehe.
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41
Selbst wenn die Anfragen als nicht ausreichend angesehen würden, wären sie – die Antragsgegnerinnen - lediglich dazu verpflichtet, der Öffentlichkeit das Dementi mitzuteilen.
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42
Hinsichtlich Ziffer I.2. sei unklar, ob ein Eindruck oder ein Verdacht angegriffen werde. Ein Eindruck wäre nicht zwingend, da Frau G. in dem Beitrag von „einer Einrichtung“ spreche und damit nicht Bezug auf eine konkrete Einrichtung nehme. Es entstehe ferner nicht der zwingende Eindruck, eine Erhöhung des Verpflegungssatzes sei wegen einer T. W. Sendung erfolgt, denn es sei auch das Verständnis möglich, dass Frau G. eine Erhöhung bewirkt habe. Die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung seien eingehalten, die Angaben seien glaubhaft und teilweise durch Herrn K. bestätigt.
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43
Sie hätten sich den mit Ziffer I.3. angegriffenen Verdacht, dass die Gewichtsprobleme mit der Ernährungssituation zusammenhängen, nicht zu eigen gemacht. Die Aussage von Frau G. würde in der Berichterstattung in Frage gestellt. Der weitere Verdacht, es hätten 21 Bewohner Ende Juni einen BMI von unter 20 gehabt, weil am Essen gespart worden sei, sei nicht geäußert worden. Die Passage enthalte keine Aussage, ob und wenn ja wie viele der Bewohner mit einem BMI unter 20 zu wenig Essen bekommen hätten, zumal eine Mangelernährung nicht nur aus der Menge, sondern auch aus der Qualität des Essens resultieren könne. Aber selbst wenn die Passage so zu verstehen wäre, dass diejenigen Personen mit einem BMI unter 20 mangelernährt gewesen wären, wäre dies nach den Maßstäben des Medizinischen Dienstes wahr. Soweit von einem Zu-eigen-machen der Aussagen ausgegangen werde, seien die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung eingehalten. Ein Mindestmaß an Beweistatsachen bestehe aufgrund der Stellungnahme des Medizinischen Dienstes, den Unterlagen des Ernährungs-Screenings und den Angaben von zwei Mitarbeitern zu vergleichsweise niedrigen Verpflegungsschlüsseln sowie der Rationierung der Nahrung. Das Ernährungs-Screening lasse den Schluss zu, dass mit Ausnahme von zwei Fällen keine körperlichen oder mentalen Ursachen für die Mangelernährung bestanden hätten.
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44
Ziffer II.a. enthalte eine wahre Tatsachenbehauptung, Frau S. habe die Anzahl der Überstunden in ihrer eidesstattlichen Versicherung bestätigt (Anlage AG 4). Die Antragsgegnerinnen bestreiten, dass es sich bei der als Anlage ASt 12 vorgelegten Übersicht um Angaben zur Anzahl geleisteter Überstunden von Frau S. handele. Zudem sei die Übersicht unergiebig, da es auch vorkommen könne, dass geleistete Überstunden nicht in das dafür vorgesehene Formular übertragen würden.
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45
Auch bei Ziffer II.b. handele es sich um eine wahre Tatsachenbehauptung. Aufgrund der Anfragen seien das Heim und der Zeitraum bekannt gewesen, jedoch hätte die Antragstellerin zu 2) trotz der ergänzten Anfrage keine weitere Stellungnahme abgegeben. Eine Offenlegung, um welche Mitarbeiterin es sich gehandelt habe, sei nicht erforderlich gewesen.
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46
Die Antragsgegnerinnen beantragen,
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47
die einstweilige Verfügung der Kammer vom 2.02.2016 aufzuheben und den ihr zugrundeliegenden Antrag zurückzuweisen.
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48
Die Antragstellerinnen beantragen,
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49
die einstweilige Verfügung zu bestätigen.
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50
Die Antragstellerinnen sind der Ansicht, dass die Antragsgegnerinnen für die streitgegenständlichen Äußerungen haften. Sie meinen, dass die Ziffern I.1.a., b. und c. unwahre Behauptungen enthalten, und beziehen sich hierfür auf die eidesstattliche Versicherung von Herrn H. (Anlage ASt 10). Sie bestreiten die Angaben von Frau G. und Herrn K. mit Nichtwissen. Die Unrichtigkeit des von Frau G. erhobenen Vorwurfs ergebe sich bereits aus den der Redaktion vorliegenden Unterlagen, zudem ergebe sich aus den Behauptungen zu dem „zu niedrigen BMI“ nichts für die Behauptung, aufgrund eines fehlenden Essensangebots sei es zu Unterernährung gekommen. Sie bestreiten, dass Frau G. und Herr K. die behaupteten Erfahrungen tatsächlich gemacht haben und dass die Küchenleitung Herrn K. die entsprechenden Informationen mitgeteilt habe. Sie bestreiten die Angaben von Frau S., in der entsprechenden Einrichtung hätten Bewohner zu wenig Nahrung wegen des dort herrschenden Zeitdrucks für das Personal aufgenommen.
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51
Hinsichtlich Ziffer I.1.e. sei eine Manipulation des Zuschauers erfolgt, denn es würde behauptet, es habe eine Konfrontation mit den konkreten Vorwürfen stattgefunden, dies sei jedoch unrichtig. Die Anfrage sei sehr allgemein gehalten gewesen und auch auf Nachfrage sei keine nähere Konkretisierung erfolgt.
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52
Der mit Ziffer I.2. verbreitete Verdacht sei nicht berechtigt, es seien keine Verpflegungssatzerhöhungen wegen einer R.-Sendung erfolgt, schon gar nicht von 2,75 Euro auf 4,10 Euro. Sie tragen vor, dass es in keiner Einrichtung einen Verpflegungssatz von nur 2,75 Euro gegeben habe, sondern dass es einen durchschnittlichen Richtwert gegeben habe, der um mehr als 30% darüber gelegen habe. Ferner seien die Voraussetzungen für eine zulässige Verdachtsberichterstattung nicht eingehalten. Ein Mindestbestand an Beweistatsachen fehle, zudem sei keine ausreichende Gelegenheit zur Stellungnahme erfolgt. Dies gelte auch für die mit Ziffer I.3. angegriffene Verdachtsberichterstattung.
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Bei Ziffer II. handele es sich um unwahre Behauptungen von und über Frau S., mit denen keine Konfrontation erfolgt sei. Frau S. habe bis zu ihrem Ausscheiden etwa 105 Überstunden angesammelt. Es habe auch keine Konfrontation mit diesem Vorwurf stattgefunden.
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54
Die Unterlagen zum Ernährungs-Screening enthielten keine Angaben über die in der Einrichtung tatsächlich erfolgten Bemühungen, mit besonderer Kost Gewichtszunahmen zu erreichen. Ferner seien diese Unterlagen kein Beleg dafür, dass Gewichtsverluste durch ein zu geringes Angebot an Speisen bedingt seien.
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55
Sie bestreiten mit Nichtwissen, dass der Antragsgegnerin zu 1) von verschiedenen Personen Vorwürfe zugetragen worden seien, in den von ihnen betriebenen Pflegeheimen seien auffallend viele Personen mit extrem niedrigem BMI wohnhaft gewesen, sowie, dass den Antragsgegnerinnen zugetragen worden sei, dies sei möglicherweise auf eine unzureichende Speisenversorgung zurückzuführen. Zudem bestreiten sie, dass in den von ihnen betriebenen Pflegeheimen auffallend viele Personen mit extrem niedrigem BMI wohnhaft gewesen seien und/ oder dass dies möglicherweise auf eine unzureichende Speisenversorgung zurückzuführen sei. Sie tragen vor, dass in der Einrichtung K. Hof keine Portionen rationiert und sehr klein gehalten worden seien. Sie bestreiten mit Nichtwissen, dass „solche Zustände“ von zwei Mitarbeitern bestätigt worden seien. Soweit eine ordnungsgemäße Stellungnahmemöglichkeit gewährt worden wäre, hätte zu der Speiseversorgung in der Einrichtung in H. vorgetragen werden können, dass dort nicht lediglich eine Scheibe Aufschnitt/ Belag pro Person angeboten würde und dass die Mahlzeiten als Versorgung auf den Wohnbereichen und in Form eines Buffets angeboten würden und ein Nachschlag möglich sei.
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Hinsichtlich der Recherchemöglichkeiten im eigenen Computersystem tragen sie vor, dass im Hinblick auf die vorgeworfene Rationierung einen solche Erfassung nicht vorliege. Auch der Bezug auf das Ernährungs-Screening habe keine Werte in einer einzelnen Einrichtung, nach den man hätte gezielt suchen können, zum Gegenstand gehabt. Zudem habe sich dieser Teil der Anfrage auf einen erfundenen Zeitraum von 2 Jahren bezogen.
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Es handele sich um Spekulationen und der Vortrag der Antragsgegnerseite sei nicht einlassungsfähig.
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Die journalistische Sorgfalt sei nicht eingehalten worden, es sei verhindert worden, dass die unwahren Vorwürfe durch sie – die Antragstellerinnen – vor der Sendung korrigiert werden konnten, die Berichterstattung sei unausgewogen. Die übermittelten Informationen hätten eine Überprüfung und die Mitteilung entlastender Umstände nicht zugelassen. Es sei zumutbar gewesen im Rahmen der Anfragen die konkreten Einrichtungen zu benennen, die Antragsstellerinnen bestreiten die Zusage von Vertraulichkeit gegenüber den Informanten.
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59
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der Sitzung Bezug genommen. | I. Die einstweilige Verfügung vom 2.02.2016 wird bestätigt.
II. Die Antragsgegnerinnen haben auch die weiteren Kosten des Verfahrens zu tragen. | 0 |
LArbG Berlin-Brandenburg 7. Kammer | Berlin | 0 | 0 | 18.02.2020 | 0 | Randnummer
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Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der als Mitarbeiterin einer Serviceeinheit beschäftigten Klägerin.
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Die Klägerin ist auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages nebst Änderungsvereinbarungen vom 30.Oktober 2012 (Bl. 37 und 38 d.A.) sowie vom 25. November 2015 seit dem 15.Juli 1992 bei dem beklagten Land im Bereich des Amtsgerichts Tiergarten tätig. Zu Beginn des Arbeitsverhältnisses wurde sie als Maschinenschreiberin der Vergütungsgruppe VIII/VII Fallgruppe 3,4 Teil II, Abschnitt N, Unterabschnitt I zum BAT eingesetzt. Seit dem 1.September 1994 war sie als Protokollführerin nach der Vergütungsgruppe VII Fallgruppe 42 Teil I der Anlage 1a zum BAT beschäftigt und wurde zum 23.Dezember 2004 in die Vergütungsgruppe VIb, Fallgruppe 2, Teil I der Anlage 1a höhergruppiert. Aus dieser Vergütungsgruppe wurde sie in die Entgeltgruppe 6, Stufe 5 + TV-L übergeleitet.
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Mit Schreiben vom 1.November 2012 (Bl. 46 und 47 d.A.) stellte das beklagte Land fest, dass die Klägerin über Fähigkeiten verfüge, die denen einer nach der Verordnung vom 26. Januar 1998 über die Berufsausbildung zu Justizfachangestellten/zum Justizfachangestellten geprüften Angestellten gleichwertig seien. Zugleich übertrug es der Klägerin in Abänderung des Arbeitsvertrages dauerhaft Aufgaben einer Beschäftigten in einer Serviceeinheit in Strafsachen, die zu mindestens einem Fünftel schwierig sind, sowie vorübergehend Aufgaben einer Beschäftigten in einer Serviceeinheit in Strafsachen, die zu mindestens einem Drittel schwierig sind. In Folge dieser Übertragung erhielt die Klägerin zunächst Entgelt nach der EG 6 und eine persönliche Zulage in Höhe der Differenz zum Tarifentgelt der EG 8. Ob die nur vorübergehende Übertragung höherwertiger Aufgaben nach dem Tarifvertrag wirksam war oder aber billigem Ermessen widersprach – so die Klägerin – ist zwischen den Parteien streitig.
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Mit Wirkung vom 1. Juni 2015 übertrug das beklagte Land der Klägerin diese Aufgaben dauerhaft. Der Arbeitsvertrag der Klägerin wurde mit Datum vom 25. November 2015 entsprechend geändert. Die Klägerin ist im streitgegenständlichen Zeitraum als Beschäftigte in Serviceeinheiten am Amtsgericht Tiergarten im Sachgebiet „Untersuchungs-, Amts- und Rechtshilfesachen (Ermittlungsrichtersachen)“ tätig und führt als Mitarbeiterin des Serviceteams 51 im Fachbereich V zu 42,09 % der monatlichen Arbeitszeit Geschäftsstellentätigkeiten (Postbearbeitung, Schriftgutverwaltung, Aussortierungsarbeiten Datenpflege), zu 5,66 % die selbstständige Fertigung von Inhaltsprotokollen, zu 13,68 % die kanzleimäßige Erledigung der Verfügungen der jeweiligen Sachbearbeiter, Mitteilungen an andere Behörden und die selbstständige Fertigung von Maschinenprotokollen, zu 3,97 % die selbstständige Anordnung von Ladungen und Zustellungen, öffentliche Zustellungen, zu 9,58 % das Erteilen vollstreckbarer Ausfertigungen und von Teilrechtskraft- und Rechtskraftattesten, zu 1,17 % Aufgaben nach der Zählkartenanordnung, zu 1,61 % die Beantwortung von Sachstandsanfragen und Auskunftsersuchen formeller Art und zu 22,23 % die unterschriftsreife Vorbereitung von Verfügungen, Urteilen und Beschlüssen für den jeweiligen Sachbearbeiter aus. Diese Tätigkeiten sind in der für diesen Arbeitsplatz erstellten Tätigkeitsdarstellung („Beschreibung des Aufgabenkreises (BAK) vom 6.März 2012“ Bl. 40-42 d.A.) aufgeführt, deren Erstellung Arbeitsaufzeichnungen (Bl. 43 – 45 d.A.) zugrunde lagen. Die in der Tätigkeitsdarstellung unter Nummer 4-8 aufgeführten Tätigkeiten bewertete das beklagte Land als schwierige Tätigkeiten im Sinne der Entgeltordnung. Mit der dauerhaften Übertragung der von ihr zuletzt ausgeübten Tätigkeit vergütete das beklagte Land die Klägerin nach der Entgeltgruppe 8 TV-L Erfahrungsstufe 4.
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Unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 28.02.2018 zu einer Geschäftsstellenverwalterin bei einem Bundesgericht (4 AZR 816 / 16) machte die Klägerin mit Schreiben vom 30.Juli 2018 (Bl. 50 d.A.) und vom 31.Oktober 2018 (Bl. 52 d.A.) Entgelt nach der Entgeltgruppe 9 Stufe 4, hilfsweise Stufe 3 sowie die sich daraus ergebenden Vergütungsdifferenzen geltend.
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Mit der vorliegenden, beim Arbeitsgericht am 28. November 2018 eingegangenen und dem beklagten Land am 11.Dezember 2018 zugestellten Klage verfolgt die Klägerin ihre diesbezüglichen Ansprüche gerichtlich weiter. Die Klägerin geht davon aus, dass sie mit den vom beklagten Land als schwierig bewerteten Tätigkeiten die tariflichen Voraussetzungen für eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9 erfülle. Die Tätigkeit einer Servicemitarbeiterin in einer Geschäftsstelle stelle einen einheitlichen Arbeitsvorgang dar.
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7
Demgegenüber hält das beklagte Land die Zusammenfassung der der Klägerin übertragenen Tätigkeiten zu einem Arbeitsvorgang für tarifwidrig. Unterschiedlich bewertete Tätigkeiten könnten nicht zu einem Arbeitsvorgang zusammengefasst werden. Der geänderten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stehe jedenfalls für den Bereich der Justizangestellten der Wille der Tarifvertragsparteien entgegen. Denn damit werde die gewollte differenzierte Vergütung und Hierarchisierung der Justizfachangestellten mit ihren unterschiedlich zu bewertenden Tätigkeiten beseitigt. Einzelne Entgeltgruppen würden nicht mehr relevant werden.
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8
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 5. Juni 2019, auf dessen Tatbestand wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe nicht dargelegt, dass die ihr übertragene Tätigkeit einer höheren Entgeltgruppe zuzuweisen sei. Zwar könne sie sich für die Darlegung ihrer Tätigkeiten auf die BAK beziehen. Das beklagte Land habe aber dort zutreffend 11 Arbeitsvorgänge gebildet, die schon aus rechtlichen Gründen nicht zu einem einheitlichen Arbeitsvorgang zusammenzufassen seien. Der Bildung eines einheitlichen Arbeitsvorgangs stehe der Wille der Tarifvertragsparteien entgegen. Nach der Entgeltordnung stünden für die Eingruppierung der Beschäftigten in Serviceeinheiten drei unterschiedliche Entgeltgruppen zur Verfügung, die bei einem einheitlichen Arbeitsvorgang nicht mehr zum Zuge kämen. Insofern sei von den acht vom beklagten Land der Eingruppierung zugrunde gelegten Arbeitsvorgängen auszugehen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
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9
Gegen dieses der Klägerin am 24.Juli 2019 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung, die sie mit einem beim Landesarbeitsgericht am 25.Juli 2019 eingegangenen Schriftsatz eingelegt und mit einem - nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 20.Oktober 2019 – am 20.Oktober 2019 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
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10
Die Klägerin und Berufungsklägerin verfolgt in der Berufungsinstanz ihren Anspruch auf Vergütung nach der EG 9 weiter und begründet dies im Wesentlichen unter Bezugnahme die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28.02.2018 und auf verschiedene arbeitsgerichtliche Urteile damit, dass die von ihr auszuübenden Tätigkeiten einen einheitlichen Arbeitsvorgang bilden würden, in dem zu 38,6 % ihrer Gesamtarbeitszeit schwierige Tätigkeiten im Tarifsinne anfallen würden. Damit seien die Voraussetzungen der EG 9 unzweifelhaft erfüllt. Das Arbeitsgericht habe bei der Prüfung der Arbeitsvorgänge die anwendbaren Rechtsgrundsätze nicht hinreichend beachtet. Die Annahme des Arbeitsgerichtes, die Tarifvertragsparteien hätten mit ihrer differenzierten Entgeltordnung die Bildung eines einheitlichen Arbeitsvorgangs „gesperrt“, sei von dem zum Ausdruck gekommenen Tarifvertragswillen nicht abzuleiten. Dies würde schon dadurch verdeutlicht, dass die Tarifvertragsparteien nach der Änderung der Rechtsprechung, nach der unterschiedlich bewertete Tätigkeiten nicht zu einem Arbeitsvorgang zusammengefasst werden könnten, die Entgeltordnung nicht verändert hätten. Aufgrund der neuen Überleitungsregelung in § 29 b TVÜ-Länder mit Rückwirkung zum 01.01.2019 sei die Klägerin ab dem 01.01.2019 in die EG 9a einzugruppieren.
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11
Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt zuletzt,
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das am 5.Juni 2019 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Berlin, Az. 60 Ca 15473 / 18 abzuändern und
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1. festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, die Klägerin seit dem 01.01.2018 bis 31.12.2018 nach der Entgeltgruppe E9 der Entgeltordnung zum Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) zu vergüten und die jeweiligen Bruttonachzahlungsbeträge ab dem Ersten des jeweiligen Folgemonats mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
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2. festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, die Klägerin seit dem 01.01.2019 nach der Entgeltgruppe E9a der Entgeltordnung zum Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) zu vergüten und die Bruttonachzahlungsbeträge ab dem Ersten des jeweiligen Folgemonats mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
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Das beklagte Land beantragt,
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Die Berufung zurückzuweisen.
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Das beklagte Land verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil unter kritischen Auseinandersetzung mit der von der Klägerin herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts. Diese stehe im Widerspruch zum Willen der Tarifvertragsparteien. Denn bei Anwendung dieser Rechtsprechung liefe die von den Tarifvertragsparteien für die Eingruppierung der Geschäftsstellenverwalter und Servicemitarbeitern/Mitarbeiterinnen geschaffenen Entgelthierarchie teilweise leer.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Vorbringen in dem mündlichen Verhandlungstermin Bezug genommen. | I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 05.06.2019 – 60 Ca 15473/19 – abgeändert:
1. Es wird festgestellt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, die Klägerin vom 01.01.2018 bis 31.12.2018 nach der Entgeltgruppe E9 der Entgeltordnung zum Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) zu vergüten und die jeweiligen Brutto-Nachzahlungsbeträge ab dem Ersten des jeweiligen Folgemonats mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
2. Es wird festgestellt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, die Klägerin ab dem 01.01.2019 nach der Entgeltgruppe E9a der Entgeltordnung zum Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) zu vergüten und die jeweiligen Brutto-Nachzahlungsbeträge ab dem Ersten des jeweiligen Folgemonats mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
3. Das beklagte Land trägt die Kosten des Rechtsstreits.
II. Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 2. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 18.08.2014 | 0 | Randnummer
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Die Parteien streiten über Ansprüche des Klägers auf Zahlung von Lohn, Überstundenvergütung und Urlaubsabgeltung.
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Der Kläger war bei der Beklagten, die in W-Stadt ein Restaurant betrieben hat, aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrags (Bl. 11, 12 d. A.) als Spezialitätenkoch beschäftigt. Nach dem Arbeitsvertrag der Parteien beträgt der monatliche Bruttolohn 1.750,00 EUR (§ 3) und die wöchentliche Arbeitszeit 39 Stunden an fünf Tagen (§ 4). In § 6 des Arbeitsvertrags heißt es, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Verpflegung zum Preis von 200,30 EUR zur Verfügung stellt. Nach § 8 des Arbeitsvertrags sind die Bestimmungen des Tarifvertrages (Lohn und Manteltarif) für das Hotel- und Gaststättengewerbe Bestandteil des Arbeitsvertrags.
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Der Kläger reiste am 11. August 2010 nach Deutschland ein und begab sich in das Lokal der Beklagten. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger unmittelbar am darauf folgenden Tag - so der Kläger - oder krankheitsbedingt erst einen Monat später - so die Beklagte - mit der Arbeit begann.
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Nachdem zunächst monatlich lediglich 1.000,00 EUR brutto als Lohn abgerechnet worden waren, erfolgten im April 2011 jeweils Korrekturabrechnungen auf der Basis von 1.600,00 EUR brutto zuzüglich 85,00 EUR "Sachbezug Kost". Die Korrekturabrechnungen führten insgesamt dazu, dass für den Monat April 2011 ein Auszahlbetrag von 3.153,59 EUR errechnet wurde.
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Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger an seinem letzten Arbeitstag, den 15. Mai 2011, eine Aufhebungsvereinbarung (Original in chinesischer Sprache, Bl. 53 d. A.) mit folgendem Inhalt (nach der deutschen Übersetzung, Bl. 52 d. A.) unterzeichnet hat:
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"
Aufhebungsvereinbarung
Weil der Vertragsmitarbeiter Herr T. B. anderweitig eine neue Arbeitsstelle gefunden hat, will er dem Arbeitgeber des Restaurants "C. T." in W-Stadt das Arbeitsverhältnis kündigen. Nach beiderseitiger Vereinbarung wird einstimmig zugestimmt, den Arbeitsvertrag zwischen Herrn T. B. und dem Restaurant "C. T." mit sofortiger Wirkung aufzulösen.
Vor der Auflösung des Arbeitsvertrages hat der Arbeitgeber des Restaurants "C. T." bereits dem Herrn T. B. sämtliche ihm zustehende Arbeitsentgelte für den Zeitraum von September 2010 bis zum April 2011 ausgezahlt.
Der Lohn für den halben Monat Mai 2011 beträgt netto achthundert Euro; der Betrag wird bei der Unterzeichnung dieser Aufhebungsvereinbarung vom Arbeitgeber auf der Stelle gezählt und in bar an den Mitarbeiter T. B. ausgezahlt.
Außerdem hat der Mitarbeiter für jedes Jahr einen gesetzlichen Urlaubsanspruch von 24 Tagen. Da der Vertragsarbeiter noch kein volles Jahr gearbeitet hat, hat er somit einen Anspruch auf ca. 20 Tage Urlaub, bzw. ca. neunhundert Euro Urlaubsgeld; dieses wird auch bei dieser Gelegenheit zusammen abgerechnet und an ihn ausgezahlt.
Diese Aufhebungsvereinbarung tritt nach beiderseitiger Einwilligung und Unterzeichnung sofort in Kraft, wobei T. B. in der Gegenwart von beiden den Betrag von 1.700,00 EUR (eintausendsiebenhundert Euro) nachgezählt und erhalten hat.
Bisher hat das Restaurant "C. T." bereits mit T. B. die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Arbeiter und Arbeitnehmer geklärt und abgewickelt und schuldet dem Vertragsmitarbeiter T. B. keinerlei Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis mehr."
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Mit seiner am 19. Juli 2011 beim Arbeitsgericht Mainz eingegangenen Klage, die der Beklagten am 23. Juli 2011 zugestellt worden ist, macht der Kläger einen Differenzlohnanspruch in Höhe von 16.073,24 EUR brutto abzüglich gezahlter 7.050,00 EUR netto für die Zeit vom 12. August 2010 bis 15. Mai 2011, Überstundenvergütung für die Zeit vom 12. August 2010 bis 27. Februar 2011 und vom 12. März 2011 bis 15. Mai 2011 in Höhe von insgesamt 11.013,42 EUR brutto, Urlaubsabgeltung in Höhe von 808,10 EUR brutto und die Erteilung von Lohnabrechnungen für die Monate August 2010 und Mai 2011 geltend.
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Er hat erstinstanzlich vorgetragen, die Beklagte habe auf den ihm für die Zeit vom 12. August 2010 bis zum 15. Mai 2011 zustehenden Bruttolohn in Höhe von insgesamt 16.073,24 EUR lediglich 7.050,00 EUR netto insgesamt gezahlt, und zwar für die Zeit vom 12. bis 31. August 2010 500,00 EUR netto, von September 2010 bis Februar 2011 800,00 EUR netto monatlich, von März bis April 2011 700,00 EUR netto monatlich und vom 01. bis 15. Mai 2011 350,00 EUR netto (jeweils bar). Auf ausdrückliche Anweisung der Beklagten habe er in der Zeit vom 12. August 2010 bis 27. Februar 2011 und 12. März bis 15. Mai 2011 über die vertraglich vereinbarte Wochenarbeitszeit hinaus gearbeitet, und zwar von montags bis samstags von 10.30 Uhr bis 15.00 Uhr und 17.30 Uhr bis 23.00 Uhr und sonntags von 12.30 Uhr bis 23.30 Uhr, wobei er nur drei freie Tage am 24. November 2010, 03. Februar 2011 sowie 04. Februar 2011 und ab dem 12. März 2011 wöchentlich den Montag frei gehabt habe; wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vom Kläger als Anlage zum Schriftsatz vom 13. Oktober 2011 vorgelegte Arbeitszeitaufstellung (Bl. 82 bis 94 d. A.) verwiesen. Danach ergebe sich der geltend gemachte Überstundenvergütungsanspruch in Höhe von insgesamt 11.013,42 EUR; wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf die Klageschrift (S. 3 = Bl. 9 d. A.) verwiesen. Weiterhin stehe ihm für das Kalenderjahr 2011 ein Urlaubsabgeltungsanspruch für 10 Tage in Höhe von 808,10 EUR brutto zu. Trotz mehrfacher Aufforderung habe die Beklagte ihm keine Lohnabrechnung für die Monate August 2010 und Mai 2011 übergeben. Entgegen der Darstellung der Beklagten habe er bereits ab 12. August 2010 für die Beklagte auf deren Anweisung im Restaurant als Koch gearbeitet. Tatsächlich habe er nur die von ihm angegebenen Zahlungen erhalten. Eine Aufhebungsvereinbarung habe er nicht unterschrieben. Zwar sei die Unterschrift auf der von der Beklagten vorgelegten Aufhebungsvereinbarung ähnlich wie seine Unterschrift, aber nicht von ihm. Er habe bei der Einstellung drei leere Blätter blanko unterschrieben, weil man ihm gesagt hätte, dass man diese für Vermieter, die Aufsichtsbehörde sowie das Arbeitsamt benötige. Auf diesen Blankoformularen habe er neben seinem Namenszug auch das Datum hinzugefügt. Demzufolge müsste das Original neben seinem Namen zusätzlich noch das Datum des betreffenden Tages im August 2010 aufweisen. Die tariflichen Verfallfristen würden nicht zu laufen beginnen, bevor die Lohnabrechnungen ausgehändigt worden seien.
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9
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
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10
1.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 16.073,24 EUR brutto abzüglich hierauf gezahlter 7.050,00 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für das Jahr seit Rechtshängigkeit aus dem verbleibenden Nettobetrag zu bezahlen,
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11
2.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 11.013,42 EUR brutto Überstundenvergütung nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für das Jahr hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
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12
3.
die Beklagte weiterhin zu verurteilen, an ihn 808,10 EUR Urlaubsabgeltung nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für das Jahr seit Rechtshängigkeit zu bezahlen,
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13
4.
die Beklagte zu verurteilen, die Monate August 2010 und Mai 2011 abzurechnen und ihm diese Lohnabrechnungen zu übergeben.
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14
Die Beklagte hat beantragt
,
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15
die Klage abzuweisen.
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16
Sie hat erwidert, die Parteien hätten die vorgelegte Aufhebungsvereinbarung vom 15. Mai 2011 geschlossen, in der sie sich dahingehend geeinigt hätten, dass mit der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses und Auszahlung der genannten Beträge sämtliche gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erledigt seien. Der Kläger habe darin ausdrücklich versichert, dass er keinerlei Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis mehr habe. Ungeachtet der wirksamen Aufhebungsvereinbarung würden dem Kläger auch die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen; wegen der Einzelheiten der Erwiderung der Beklagten wird auf ihre erstinstanzlich eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
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17
Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen C. und D. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 15. Januar 2014 verwiesen. Mit Urteil vom 15. Januar 2014 - 4 Ca 1311/11 - hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Kammer nach dem gesamten Inhalt der Verhandlungen sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme davon überzeugt sei, dass der Kläger die Aufhebungsvereinbarung vom 15. Mai 2011 unterzeichnet und danach "keinerlei Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis mehr" erheben könne. Die beiden Zeugen hätten die vom Kläger bestrittene Unterzeichnung der Aufhebungsvereinbarung bestätigt. Zwar gehe die Kammer davon aus, dass die beiden Zeugen wirtschaftlich betrachtet die eigentlichen Inhaber des Restaurants gewesen seien, weil sich die formelle Inhaberin und Beklagte zumindest zeitweise noch nicht einmal in Deutschland befunden habe. Auch wenn die Kammer davon überzeugt sei, dass der Vortrag der Beklagten im großen Teil nicht der Wahrheit entspreche, ändere dies nichts daran, dass die Zeugen in dem streitentscheidungserheblichen Punkt, nämlich der Unterschrift unter dem Aufhebungsvertrag, die Wahrheit gesagt hätten. Die Parteien hätten sich offensichtlich im Streit getrennt, so dass bereits im Mai 2011 bei den Zeugen ein Bedürfnis nach Absicherung habe bestehen müssen. Es sei nicht anzunehmen, dass sich die Beklagte bzw. ihre Eltern dabei einer Blankounterschrift des Klägers bedient haben könnten, wie zunächst schriftsätzlich behauptet worden sei, weil der Kläger im Kammertermin vom 09. November 2011 erklärt habe, er hätte bei diesen - angeblich - geleisteten Blankounterschriften jeweils das Datum hinzugeschrieben, während sich auf dem Original des in Augenschein genommenen Aufhebungsvertrages neben der Unterschrift des Klägers kein Datum befinde. Für eine Fälschung der Unterschrift des Klägers würden sich keine hinreichenden Anhaltspunkte ergeben. Im Übrigen sei festzustellen, dass auch der Kläger nicht uneingeschränkt glaubwürdig sei. Denn er habe erstmals im Kammertermin vom 15. Januar 2014 erklärt, von der Beklagten einen Betrag von etwas über 3.000,00 EUR erhalten zu haben, während in der Klageschrift nur Zahlungen von jeweils 350,00 EUR bis 800,00 EUR eingeräumt worden seien. Mit seiner Erklärung, dieses Geld sei "danach vom Lohn abgezogen" worden, habe er zugleich zu verstehen gegeben, dass dieser Betrag - wann auch immer genau - zu Anfang des Arbeitsverhältnisses gezahlt worden sei. Was genau wann und wie gezahlt worden sei, könne jedoch dahingestellt bleiben. Aus der letzten Äußerung des Klägers, der offenbar nicht mehr gewusst habe, was er zuvor schriftsätzlich habe vortragen lassen, gehe jedenfalls hervor, dass er deutlich mehr als bisher eingeräumt erhalten habe. Wenn er zu einem bestimmten Zeitpunkt über 3.000,00 EUR erhalten habe, sei es auch nachvollziehbar, dass er die Aufhebungsvereinbarung am 15. Mai 2011 unterschrieben habe, und zwar selbst dann, wenn es nicht zu den behaupteten Zahlungen gegen Ende des Arbeitsverhältnisses gekommen sei.
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18
Gegen das ihm am 06. Februar 2014 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der Kläger mit Schriftsatz vom 06. Februar 2014, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am 25. Februar 2014 eingegangen, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 07. April 2014, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag (Montag) eingegangen, begründet.
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Er trägt vor, das Arbeitsgericht habe bei der von ihm vorgenommen Beweiswürdigung nicht hinreichend berücksichtigt, dass die beiden Zeugen die tatsächlichen Inhaber bzw. Geschäftsführer des Restaurants gewesen seien. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht den Aufhebungsvertrag als wirksam angesehen. Unabhängig davon sei der Aufhebungsvertrag nicht als Quittung auszulegen, die es der Beklagten ermögliche, seine Ansprüche als erfüllt zurückzuweisen. Tatsächlich habe er lediglich die von ihm angegebenen Lohnzahlungen in Höhe von insgesamt 7.050,00 EUR netto erhalten. Hinsichtlich seiner Mehrarbeit habe er seine Arbeitszeit für jeden einzelnen Tag seiner Beschäftigung dargestellt und jede einzelne Überstunde ausgewiesen. Die angeordneten und abgeleisteten täglichen Arbeitszeiten seien dieselben wie die täglichen Öffnungszeiten gewesen. Einen hiervon abweichenden Schichtplan habe die Beklagte nicht vorgelegt, so dass nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast sein Vortrag als unstreitig zu gelten habe. Vor diesem Hintergrund habe das Arbeitsgericht zu Unrecht den vermeintlichen Aufhebungsvertrag als Ausgleichsquittung gewertet. Gleiches gelte für seinen berechtigten Anspruch auf Urlaubsabgeltung. Ebenso schulde die Beklagte ihm die Aushändigung der angeführten Lohnabrechnungen.
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Der Kläger beantragt
,
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21
das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 15. Januar 2014 - 4 Ca 1311/11 - abzuändern und
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22
1.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 16.073,24 EUR brutto abzüglich hierauf gezahlter 7.050,00 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für das Jahr seit Rechtshängigkeit aus dem verbleibenden Nettobetrag zu zahlen,
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2.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 11.013,42 EUR brutto Überstundenvergütung nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für das Jahr hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
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3.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 808,10 EUR Urlaubsabgeltung nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für das Jahr seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
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4.
die Beklagte zu verurteilen, die Monate August 2010 und Mai 2011 abzurechnen und ihm diese Lohnabrechnungen zu übergeben.
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Die Beklagte beantragt
,
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27
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie erwidert, das Arbeitsgericht habe den Sachverhalt sowie die Beweise zutreffend gewürdigt. Der Kläger habe bereits in der ersten mündlichen Verhandlung widersprüchliche Angaben zu Art und Weise der Unterzeichnung der Vereinbarung gemacht. Weiterhin habe der Kläger schriftsätzlich sowohl erstinstanzlich als auch in der zweiten Instanz vorgetragen, er hätte nur 7.050,00 EUR erhalten, obwohl er selbst in der letzten mündlichen Verhandlung eingeräumt habe, noch weitere 3.000,00 EUR erhalten zu haben. Das Arbeitsgericht habe zutreffend festgestellt, dass die Aufhebungsvereinbarung sämtliche streitgegenständlichen An-sprüche erfasse.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen. | I.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 15.01.2014 - 4 Ca 1311/11 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
II.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
AG Wetzlar Zivilabteilung | Hessen | 0 | 1 | 17.09.2015 | 1 | Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Rückzahlung von Bearbeitungsgebühren.
Die Parteien schlossen am 19.05.2008 einen Darlehensvertrag über eine Nettodarlehenssumme in Hohe von 54.000 EUR zur Finanzierung eines Gebrauchtwagens. Zusätzlich wurden laufzeitabhängige Zinsen in Höhe von 5,71 % p.a. und eine einmalige laufzeitunabhängige Bearbeitungsgebühr in Höhe von 4,00 % des Nettodarlehensbetrages, also 2.160 EUR sowie eine einmalige Servicegebühr ger. 1 Nr. 4 der Vertragsbedingungen der Beklagten in Höhe von 30,00 EUR vereinbart, welche der Kläger an die Beklagte mit den ersten Tilgungsraten leistete. Die Gesamtkosten des Darlehens betrugen 16.129,61 EUR, bestehend aus Zinsen in Höhe von 13.939,61 EUR, der Bearbeitungsgebühr und der Servicegebühr.
Mit Schreiben vom 01.12.2014 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 10.12.2014 zur Rückzahlung desjenigen Betrages auf, den er als einmalig laufzeitunabhängiger Bearbeitungsgebühr nebst Servicegebühr, nämlich 2.190,00 EUR, im Rahmen der ersten Tilgungsraten zahlte. Hierbei machte der Kläger auch Zinsen für den zurück zu erstatteten Betrag geltend. Die Beklagte lehnte die Rückzahlung mit Schreiben vom 05.12.2014 unter Berufung auf den Abschluss eines gewerblichen Darlehensvertrages ab. Daraufhin beauftragte der Kläger seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten, der die Beklagte mit Schreiben vom 12.12.2014 nochmals unter Fristsetzung bis zum 26.12.2014 zur Rückzahlung der 2.190,00 EUR zuzüglich Zinsen aufforderte.
Der Kläger behauptet, die Finanzierung und Anschaffung des Fahrzeuges stünde in keinem Zusammenhang mit dem Praxisbetrieb seiner beruflichen Tätigkeit als Arzt. Das Fahrzeug sei auch nicht geschäftlich in den Büchern geführt worden. Vielmehr handele es sich um eine reine Anschaffung zu privaten Zwecken. Der Kläger vertritt die Auffassung, die Beklagte habe die Bearbeitungs- sowie die Servicegebühr ohne Rechtsgrund erlangt. Zwischen den Parteien sei ein Verbraucherdarlehensvertrag geschlossen worden. Er sei zu keiner Zeit davon ausgegangen, einen Darlehensvertrag als Unternehmer abgeschlossen zu haben. Ferner vertritt er die Auffassung,. die Begründung der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes fuße nicht auf verbraucherschützenden Normen. In den dem Vertragspartner zu Unrecht auferlegten Kosten für eine Bearbeitungsaufwand, der ausschließlich im eigenen Interesse des Verwenders liege, sei sowohl für Verbraucher als auch Unternehmer eine unangemessene Benachteiligung zu sehen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.190,00 EUR zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.06.2008:
die Beklagte zu verurteilen, ihn gegenüber dem Klägervertreter wegen vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 334, 75 EUR freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, dem Kläger stünde ein Anspruch auf Rückzahlung der Bearbeitungsgebühr dem Grunde nach schon nicht zu. Die Beklagte behauptet, die im Rahmen des Darlehensvertrages erhobene Bearbeitungsgebühr werde nicht pauschal, sondern vielmehr je nach Einzelfall in Höhe zwischen 2 und 4 % erhoben. Zum Teil werde auch gänzlich auf die Erhebung einer Bearbeitungsgebühr verzichtet. Die Bearbeitungsgebühr sei keinesfalls vorab in den Darlehensvertrag abgedruckt, sondern werde nach Verhandlungen über die Vertragsdetails bestimmt. Die Beklagte vertritt die Auffassung, es handele sich daher um eine Preishauptabrede. Eine solche sei als nicht kontrollfähige Klausel der Inhaltskontrolle entzogen. Zudem seien die vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fälle nicht auf den hiesigen Fall übertragbar. Unter anderem auch deshalb, weil zwischen den Parteien kein Verbraucherdarlehensvertrag geschlossen worden sei. Eine pauschale Übertragung er BGH-Entscheidung ließe die Besonderheiten des unternehmerischen Verkehrs unberücksichtigt, denen auch der Gesetzgeber insbesondere über§ 310 Abs. 1 S. 2 BGB im Rahmen der Interessenabwägung Bedeutung zuweise. Zu berücksichtigen sei dabei insbesondere, dass Vertragsgegenstand die Vereinbarung eines effektiven Jahreszinses von 6,99 % gewesen sei, welchen die Beklagte im Rahmen ihrer unternehmerischen Freiheit in einen Sollzinssatz und eine Bearbeitungsgebühr aufgeteilt habe. Die Vereinbarung der Bearbeitungsgebühr wirke sich ferner nur im Fall einer vorzeitigen Vertragsbeendigung aus, da sie dann nicht erstattet werde. Diesbezüglich sei auch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber einem unternehmerischen Darlehensnehmer für den Fall der vorzeitigen Vertragsbeendigung einen geringeren Schutz im Vergleich zu einem privaten Darlehensnehmer zuweise. Unter Berücksichtigung der unternehmerischen Besonderheiten im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung des § 307 BGB stelle sich die Erhebung einer Bearbeitungsgebühr jedenfalls im unternehmerischen Geschäftsverkehr als angemessen dar. Die Beklagte vertritt die Auffissung, der Anspruch des Klägers auf Rückzahlung der Bearbeitungsgebühr sei im Übrigen verjährt. Der vermeintliche Anspruch entstehe mit Valutierung des Darlehens, also im Jahre 2008 und sei deshalb mit Ablauf des Jahres 2011 verjährt. | Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Der Kläger darf die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. | 0 |
SG Magdeburg 13. Kammer | Sachsen-Anhalt | 1 | 0 | 08.07.2011 | 0 | Randnummer
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Zwischen den Beteiligten ist die Zahlung weiterer Krankenhausbehandlungskosten streitig.
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Die am ... 1960 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Patientin T. befand sich in der Zeit vom 20. September bis 4. Oktober 2006 bei der Klägerin in stationärer Behandlung.
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Die Klägerin legte am 12. Oktober 2006 Rechnung in Höhe von 2.844,73 Euro auf der Grundlage der DRG V62A. Die Beklagte glich zunächst den Rechnungsbetrag vollständig aus, kündigte jedoch mit Schreiben vom 14. Dezember 2006 die dann am 2. Januar 2007 erfolgte Aufrechnung eines Betrag in Höhe von 1.008,25 Euro im Rahmen einer Sammelrechnung an. Zur Begründung bezog sich die Beklagte auf eine Sozialmedizinische Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 14. November 2006 zur "Prüfung der Mindestmerkmale der OPS 8-985/Motivationsbehandlung Abhängigkeitskranker (qualifizierter Entzug) im Diakoniekrankenhaus E., Abteilung Innere Medizin", welches der MDK im Auftrag der AOK Sachsen-Anhalt anhand von Patientenunterlagen von 10 bei der Klägerin behandelten Patienten erstellte. Die hier streitige Behandlung war nicht Gegenstand dieser Stellungnahme. In dieser Stellungnahme heißt es, dass zum großen Teil Ansätze eines sozialen Assessments in den Akten erkennbar gewesen seien, zumindest zum Aufnahmetermin. Ein standardisiertes Assessment im suchtmedizinischen Bereich zum Aufnahme- und Entlassungszeitpunkt des Patienten sei in den Akten nicht vorhanden gewesen. Auch ein ausführlicher psychiatrischer Befund sei nicht erhoben worden. Es seien im Rahmen der Prüfung die einzelnen Mindestmerkmale der Komplexbehandlung mit der Klägerin durchgesprochen worden. Zum Merkmal "Behandlung durch ein multiprofessionell zusammengesetztes, systematisch supervisiertes Behandlungsteam" sei auszuführen, dass aus den Gesprächen und den Unterlagen hervorgehe, dass das Behandlungsteam in der Zusammensetzung der Professionen den Mindestmerkmalen gerecht werde. Leider seien keine psychologischen Psychotherapeuten im Team vorhanden, jedoch gäbe es genug Suchttherapeuten sowie Krankenpfleger mit suchtmedizinischer Zusatzausbildung. Zudem sei der Chefarzt der Psychiatrischen Klinik - Herr Dr. med. G. - täglich 30 Minuten auf der Station. Zusammenfassend sei ein multidisziplinäres Behandlungsteam vorhanden, systematische Supervisionen würden ab Ende November 2006 durchgeführt. Zu dem Mindestmerkmal "Somatische Entgiftung, differenzierte somatische und psychiatrische Befunderhebung mit Behandlung der Folge- und Begleiterkrankungen, Aufklärung über Abhängigkeitserkrankungen, soziale Stabilisierung, Motivierung zur Weiterbehandlung, Einleitung suchtspezifischer Anschlussbehandlungen" sei auszuführen, dass die somatische Entgiftung durchgeführt werde. Es erfolge auch eine differenzierte somatische Befunderhebung. Bezüglich der Erhebung des psychiatrischen Befundes würden nur wenige aussagekräftige Parameter erhoben, so dass ein individueller psychiatrischer Befund nicht vorliege. Es sei besprochen worden, dass es sinnvoll sei, einen ausführlichen psychiatrischen Befundbericht in Zusammenarbeit mit einem psychiatrischen Konsil zu erheben, wobei aussagefähige psychopathologische Parameter ausgesucht werden sollten. Die Behandlung der Folge- und Begleiterkrankungen werde aus internistischer und allgemeinmedizinischer Sicht durchgeführt. Auch sei eine Aufklärung über Abhängigkeitserkrankungen, soziale Stabilisierung, Motivierung zur Weiterbehandlung, Einleitung suchtspezifischer Anschlussbehandlungen aus den Unterlagen erkennbar gewesen. Der bei der Klägerin tätige Sozialpädagoge habe intensiven Kontakt zu weiterführenden Suchtberatungsstellen und Selbsthilfegruppen der Region und auch überregional. Die Patienten würden über die dortigen Therapien informiert. Angebote würden terminiert, Absprachen getätigt. Zusammenfassend sei festzustellen, dass eine psychiatrische Befunderhebung nicht ausreichend durchgeführt werde. Zum Mindestmerkmal "Standardisiertes suchtmedizinisches und soziales Assessment zu Beginn der Behandlung und vor Entlassung" sei anzugeben, dass große Teile eines zu akzeptierenden sozialen Assessments vorhanden seien, dies jedoch nicht in standardisierter Form. Es liege eine sehr unterschiedliche Strukturierung vor. Zum Mindestmerkmal "Ressourcen- und lösungsorientiertes Therapiemanagement unter Einsatz differenzierter Therapieelemente in patientenbezogener Kombination von Gruppen- und Einzelarbeit mit mindestens drei Stunden pro Tag: Psychoedukative Informationsgruppen, medizinische Informationsgruppen, Ergotherapie, Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Entspannungsverfahren, Angehörigeninformation und Beratung, externe Selbsthilfegruppen, Informationsveranstaltungen von Einrichtungen des Suchthilfesystems" sei anzugeben, dass ein Therapieplan vorliege, in dem mindestens drei Stunden pro Tag komplextherapeutische Maßnahmen für den Patienten angeboten würden. Der Schwerpunkt der Behandlung liege auf der Gruppenarbeit. Es würden die genannten und empfohlenen Therapieelemente eingesetzt. Reguläre Angehörigeninformation und Beratung würden hingegen nicht durchgeführt. Hinsichtlich dieses Mindestmerkmales werde der Klägerin empfohlen, Entspannungsverfahren durch ausgebildete Therapeuten zu implementieren und regelmäßige Angehörigeninformationen zu installieren. Das letzte Mindestmerkmal "Eingliederung des Patienten in das bestehende regionale und stationäre Suchthilfesystem" werde durch die Klägerin erfüllt.
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Die Klägerin trat dem entgegen und führte aus, dass ein kontinuierlicher psychiatrisch/psychotherapeutischer Sachverstand vorhanden sei. Die Fachärzte für Innere Medizin mit Zusatzausbildung zur Suchtmedizinischen Grundversorgung, Fachpfleger und Sozialtherapeuten verfügten über eine langjährige Erfahrung in der Behandlung Suchtkranker. Diese würden kontinuierlich an den hausinternen Fortbildungen zu suchtmedizinischen Fragenstellungen teil, welche von den internen und externen Fachärzten für Psychiatrie/Psychotherapie gehalten würden. Ferner finde wöchentlich freitags eine Arztfortbildung statt. Das suchtmedizinische Behandlungskonzept liege dem MDK vor. Es sei von Fachärzten für Psychiatrie/Psychotherapie gemeinsam mit Internisten, Fachpflegern, Psychologen und Sucht- sowie Sozialtherapeuten erarbeitet. Die Internisten würden einen täglichen fachlichen Austausch mit fachärztlich psychiatrischer Beratung pflegen. Da eine kontinuierliche kollegiale Beratung stattfinde, werde auf das formelle Anfordern eines Konsils verzichtet. Hinsichtlich der systematischen Supervision sei es korrekt, dass erstmalig ab 29. November 2006 diese durch den ehemaligen Chefarzt, Dr. med. R., durchgeführt werde. Vorher sei es jedoch anders gelöst gewesen, so dass hier eventuell ein Missverständnis vorliege. Im Haus würden anerkannte Diplomsupervisoren arbeiten. Ferner sei die Fachaufsicht über die Therapeuten dem leitenden Therapeuten übertragen, was bereits das Organigramm zeige. Die Supervision der täglichen Arbeit erfolge durch den Chefarzt und den Oberarzt im Rahmen der Visite. Zudem würden mehrmals monatliche Teambesprechungen mit Supervision bei Problemfällen erfolgen. Hinsichtlich der differenzierten somatischen und psychiatrischen Befunderhebung verweise man auf das Dokumentationsblatt der Anamneseerhebung mit mehreren Elementen des psychiatrischen Status. Richtig sei, dass das schriftliche suchtmedizinische Assessment nicht in zusammengefasster Form vorgelegen habe. Vielmehr seien die einzelnen Elemente innerhalb der Dokumentation an verschiedenen Stellen geführt worden. Den Gedanken zur einheitlichen zusammengefassten Dokumentation habe man aufgenommen und für die Zukunft umgesetzt. Dies bedeute aber keinesfalls, dass für die zuvor behandelten Patienten die streitige OPS nicht erfüllt sei. Die Art der Dokumentation sei eine Obliegenheit der Klägerin, die selbst entscheiden könne, wie sie Patientendaten sammele und zur Behandlung zur Verfügung halte. Als Entspannungsverfahren würden regelmäßig fünfmal pro Woche die Musiktherapie inklusive Meditationsübungen durchgeführt. Ebenso werde täglich die Besinnung angeboten. Schließlich sei es völlig unverständlich, dass die Angehörigeninformation und Beratung nicht durchgeführt worden sein solle. Die Angehörigeninformation beginne am Aufnahmetag bei Eintreffen des Patienten und werde bei Besuchskontakten und extra Terminen durchgeführt. Zudem gäbe es eine Broschüre "Co-Abhängigkeit", die den Angehörigen überreicht werde. Diese Broschüre reichte die Klägerin zu den Akten. Auf diese wird ergänzend verwiesen. Die Voraussetzungen für eine Rechnungskürzung seien damit nicht gegeben. Die Beklagte zahlte gleichwohl nicht.
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Mit ihrer am 6. Februar 2007 beim Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie trägt vor, die Abrechnung der DRG V62A sei bei der angewandten Form der Entgiftung zutreffend. Der Patient werde bei chronischer Alkoholabhängigkeit qualifiziert entgiftet, d.h. dass neben der rein somatischen Entgiftung mittels Medikamenten der Patient in ein umfangreiches Therapie- und Motivationsprogramm integriert werde. Die Beklagte jedenfalls habe substantiierte Einwendungen gegen den Zahlungsanspruch nicht erhoben. Die Klägerin jedenfalls erfülle die Mindestvoraussetzungen des OPS 8-985. Die Klägerin hat zur Untermauerung ihres Vortrages das Organigramm, die Wochenübersicht des Therapieplanes, das Formular Selbsthilfegruppe sowie das Informationsblatt für Angehörige zur Akte gereicht. Auf deren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.
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Die Klägerin beantragt,
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Die Beklagte zu verurteilen, an sie für die Krankenhausbehandlung der Patientin T., Fallnr ... weitere 1.008,25 Euro nebst 4 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 6. Februar 2007 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie wiederholt, dass lediglich die DRG V62B abzurechnen sei, da die OPS-Kriterien nicht erfüllt seien. Dies ergebe sich aus der Stellungnahme des MDK. Dabei handele es sich um gesicherte medizinische Erkenntnisse, welche das Vorhandensein der OPS-Kriterien widerlegen. Eine Einzelfallbewertung sei nicht nötig, da die Klägerin die Merkmale bereits grundsätzlich nicht erfülle. Insbesondere liege eine nicht ausreichende Befunderhebung vor. Hierzu gehörten auch nach den allgemeinen Regeln der psychiatrischen Grundbildung Aussagen zu Bewusstseinsstörungen, Orientierungsstörungen, Störung der Aufmerksamkeit, Auffassung und des Gedächtnisses, Störung der Intelligenz, formale und inhaltliche Denkstörungen, Wahrnehmungsstörungen, Ichstörungen etc ... Gerade diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt.
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Am 24. Februar 2010 hat das Gericht mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage erörtert. Die im Anschluss daran erfolgten Vergleichsbemühungen verliefen ergebnislos, so dass ein gerichtliches Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben wurde.
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Herr Dr. med. D., Chefarzt der Abteilung Innere Medizin des Krankenhauses Rh., hat in seinem Gutachten vom 21. September 2010 ausgeführt, das bei der Patientin folgende behandlungsbedürftige Krankheiten bestanden:
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- chronische Alkoholabhängigkeit mit akuter psychovegetativer Entzugssymptomatik,
- alkoholtoxischer Leberparenchymschaden mit Fibrose und Sklerose,
- alkoholtoxische Polyneuropathie,
- beginnende Hepatische Encephalopathie,
- depressives Syndrom.
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Zudem sei ein Diabetes Mellitus Typ 2b neu entdeckt worden. Ferner bestünde eine chronische Nikotinabhängigkeit und eine Schilddrüsenüberfunktion. Die Behandlung der Erkrankungen sei in zwei Teilen erfolgt. Zunächst habe eine ausgesprochen intensive somatische Diagnostik und Therapie der chronischen Alkoholkrankheit mit ihren Folgeschäden für Leber, peripheres und zentrales Nervensystem, der Schilddrüsenüberfunktion sowie des neu entdeckten Diabetes stattgefunden. Mit der Aufnahme der Patientin habe die Klägerin ihr Hauptaugenmerk der Behandlung auf die Vermeidung eines komplizierten Alkoholentzugssyndroms gerichtet. Die über insgesamt 11 Tage durchgeführte medikamentöse Entzugstherapie entspreche dem klinischen Standard in hohem Maße und sei über einen eher längeren Zeitraum als im Mittel üblich durchgeführt. Zum anderen sei die Patientin mit dem Aufnahmetag bis zur Entlassung kontinuierlich in das Setting des so genannten Qualifizierten Entzugs aufgenommen worden. Die Klägerin erfülle die streitige OPS. Sie betreibe einen aufwendigen, prozess- und ergebnisqualifizierten sowie dokumentierten Behandlungsprozess. Den Akten sei ein multidisziplinär zusammengesetztes Team zu entnehmen unter entsprechender fachkundiger Leitung. Es finde eine mehrmals wöchentliche Konsiliartätigkeit eines Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie statt. Im vorliegenden Fall finde sich ein psychiatrisches Konsil im Abschlussarztbrief. Auch die entsprechenden differenzierten somatischen und psychiatrischen Befunderhebungen mit Behandlung seien gegeben. Es seien eine differenzierte Befragung, eine Therapieplanung und die Einleitung weiterer Maßnahmen erfolgt. Auch liege ein standardisiertes suchtmedizinisches und soziales Assessment vor. Dies sei in ausführlichster Weise, teils elektronisch, teils handschriftlich dokumentiert. Daneben existierten tägliche ärztliche und therapeutische handschriftliche Eintragungen in der originären Patientenkurve, welche den Behandlungspfad klar erkennen ließen. Die mindestens in der Summe dreistündlichen täglichen Therapieeinheiten würden übererfüllt, eher 3,5 bis 4 Stunden werktäglich. Hieran habe die Patientin teilgenommen. Im Ergebnis sei die Abrechnung der DRG V62A korrekt. Hinsichtlich der hier streitigen Argumente handele es sich nicht um hinreichend relevante Punkte der streitigen OPS. Der Beklagten scheine es um eine bestimmte Dokumentationsform zu gehen, welche jedoch in den OPS-Kriterien nicht genannt sei. Der OPS stecke einen bestimmten Rahmen der Behandlungsform "qualifizierter Entzug" ab. Es sei festzustellen, dass bereits das Organigramm der Klägerin eine Supervision erkennen lasse. Zudem beinhalte die Patientenakte einen psychiatrischen Befund. Die dort genannten Parameter erfüllten weit die Erhebung psychiatrischer Befunde einer normalen internistischen Patientenaufnahme. Die wesentlichen Erhebungspunkte - Stimmung, Affekt, Antrieb, Suizidgedanken, Bewusstsein - seien vorhanden. Es sei zu erwähnen, dass der qualifizierte Entzug explizit und alleinig eine Behandlung internistischer Einrichtungen sei. Diese müssten nicht die vollen Kriterien psychiatrischer Kernkompetenz erfüllen. Die Art und Weise der psychiatrischen Befunderhebung werde in den OPS-Kriterien nicht genannt. Es liege auch ein standardisiertes Assessment vor. Es fänden sich Befragungen zur Alkoholanamnese, eine Einschätzung des Diagnosetyps nach Jellinek, eine Selbsteinschätzung der Patientin und es Suchttherapeuten sowie eine Formulierung der Therapieziele. Es sei in den OPS-Kriterien hinsichtlich der Entspannungsverfahren auch nicht genannt, dass ausgebildete Therapeuten vorhanden sein müssten. Es bestünden zudem mehrere gleichberechtigte Entspannungsverfahren. Der OPS beschreibe wörtlich " in patientenbezogener Kombination " Dieser Punkt habe zentrale Bedeutung für das gesamte Konzept des qualifizierten Entzuges. Er entspreche im Wesentlichen den Konzepten der modernen, systemischen, psychotherapeutischen bzw. psychosomatischen Behandlungstechniken. Patientenbezogene Kombination meine eine individuelle, vom Behandler bzw. dem Behandlungsteam festgesetzte Haltung gegenüber dem Patienten und eine individuelle Verschreibung der im OPS genannten Einzel- bzw. Gruppenarbeiten in unterschiedlicher - hier beispielhaft und nicht dogmatisch gemeinter Form. Dies wolle heißen, dass die Art und Weise, wie die Behandlungskonzepte genau durchzuführen seien teilweise kaum beschreib- und festlegbar seien. Es solle lediglich eine und nicht eine bestimmte Art einer Technik bzw. Behandlung angeboten werden. Aus der Patientenakte lasse sich mit der Wochenübersicht und dem dokumentierten Motivationstherapieschein der Patientin ablesen, dass vor den Gruppengesprächen eine Besinnung durchgeführt worden sei. Dies entspreche einer Entspannungsübung. Auch eine therapeutisch-begleitete Wanderung entspreche einer Entspannungsübung, so dass Entspannungsübungen von der Klägerin angeboten würden. Die in der Gerichtsakte enthaltene Informationsbroschüre "Co-Abhängigkeit" für Angehörige beinhalte einen Selbsttest und eine Kontaktadresse für einen Ansprechpartner bei der Klägerin. Angehörigeninformationen und Gespräche würden im Allgemeinen in jedem Krankenhaus durchgeführt, jedoch nicht dokumentiert, da dies auch in erheblichem Maße die Schweigepflicht der Therapeuten treffen. Der Behandlungsvertrag bestünde nur zu dem Patienten, nicht aber zu dessen Angehörigen. Teilweise werde Angehörigenberatung von den Patienten auch nicht gewünscht. Letztlich erfülle die Klägerin die Kriterien des OPS 8-985 und damit die der DRG V62A.
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Die Beklagte hat darauf erneut den MDK um Stellungnahme gebeten. Dieser hat in seinem Gutachten vom 18. April 2011 zunächst ausgeführt, dass im Erörterungstermin angeregt worden sei, nicht nur internistischen, sondern auch psychiatrischen Sachverstand einzuschalten. Es lägen jedoch keine Stellungnahmen von Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie vor. Weiter hat der MDK angegeben, dass im vorliegenden Fall im Vorfeld keine MDK-Begutachtung stattgefunden habe. Es sei bei der Patientin eine stationäre internistische Behandlung durchgeführt worden mit einer Alkoholentgiftungsbehandlung. Es finde sich in der Patientenakte ein Blatt mit Angaben zu Angehörigen, Motivation, Behandlungsziel und der aktuellen Situation. Dies enthalte große Teile eines sozialen Assessments zu Beginn der Behandlung. Ein weiteres, erst nach November 2006 eingefügtes Formblatt enthalte Angaben zur Suchtdiagnose, psychische und physische Komorbiditäten. Psychometrische Testverfahren seien nicht vorhanden, auch keine Angaben zu kognitiven Beeinträchtigungen und Alltagseinschränkungen. Eine psychiatrische Anamnese gezielt zu den Komorbiditäten liege ebenso nicht vor. Auch der eingeheftete psychiatrische Befundbericht sei zum Behandlungszeitpunkt von der Klägerin nicht geführt worden, sondern erst später. Es finde sich gleichwohl der "alte" psychiatrische Befund, in welchem die Patientin als depressiv beschrieben worden sei. Es sei sodann adäquat ein psychiatrisches Konsil durchgeführt worden sowie eine Objektivierung der depressiven Symptomatik sowie eine Differenzierung der Persönlichkeitsstörung mittels zweier psychometrischer Fragebögen. Weiterhin seien Tests eingesetzt worden zum Vorliegen einer möglichen kognitiven Störung. Zudem finde sich ein weiteres Vordruckblatt mit Informationen über den Inhalt der Therapie, welches als Teil eines Sozialassessments zum Abschluss der Behandlung zu verstehen sei. Die Patientin habe vorrangig an Gruppentherapien teilgenommen, teilweise an Vorträgen, Informationen zur Rehabilitation und an der Ergotherapie. Eine Angehörigentherapie sei auf dem OPS-Schein nicht mitgeteilt, auch nicht Entspannungsverfahren im engeren Sinn. Zusammenfassend sei zu bestätigen, dass ein multidisziplinär zusammengesetztes Team bei der Klägerin tätig und bei der Patientin konsiliarisch ein Arzt für Psychiatrie/Psychotherapie in den diagnostischen/therapeutischen Behandlungsprozess eingebunden worden sei. Es sei dabei die Empfehlung zur Übernahme in die Psychiatrische Abteilung erfolgt. Das suchtmedizinische Assessment werde nicht erfüllt, da ein Set von testpsychometrischen Verfahren nicht durchgeführt werde. Die psychiatrische Befunderhebung mit der lapidaren Benennung "depressiv" sei nicht ausreichend im Sinne der OPS-Kriterien. Standardisierte Entspannungsverfahren im engeren Sinn seien nicht angeboten bzw. durchgeführt worden. Solche seien das autogene Training, progressive Muskelentspannung nach Jacobsen und die Hypnose. Diese seien bei der Patientin nicht durchgeführt worden, was nicht akzeptiert werden könne. Auch die Einbindung von Angehörigen in die therapeutische Arbeit sei nicht zu verzeichnen gewesen. Nach wie vor ergebe sich eine vollständige Erfüllung der OPS-Kriterien nicht, dies hinsichtlich des standardisierten sozialen und suchtmedizinischen Assessments, der ausführlichen psychiatrischen Befunderhebung und der durchzuführenden Entspannungsverfahren. Die Beklagte verblieb daraufhin bei ihrer Auffassung.
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Das Gericht hat in drei weiteren Parallelverfahren ebenfalls Sachverständigengutachten eingeholt. In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht in diese eingeführt. Wegen der grundsätzlichen Ausführungen der MDK-Stellungnahme aus dem Jahr 2006, die zur Rechnungskürzung führten, werden die grundsätzlichen Ausführungen zu den Mindestmerkmales des OPS 8-985 der Gutachten im Folgenden ausgeführt. Herr Dr. med. R. - Facharzt für Innere Medizin - hat in seinem Gutachten vom 3. November 2010 in dem Verfahren
S 13 KR 67/07
zu den Mindestmerkmalen des hier streitigen OPS ausgeführt, dass zunächst zwei Typen bei den Mindestmerkmalen zu unterscheiden seien. Zum einen die Merkmale, die eine entsprechende Abteilung ihrer Struktur nach erfüllen müsse, die jedoch nicht in jedem Behandlungsfall dokumentiert werden müssten, da sie für den einzelnen Behandlungsfall nicht relevant seien. Zum anderen die patientenbezogenen Merkmale, deren Erfüllung in jedem Einzelfall vorliegen müsse und die anhand der Dokumentation nachprüfbar sein sollten. Es finde sich neben einer hinreichend differenzierten psychiatrischen Befunderhebung auch ein ausführliches und standardisiertes suchtmedizinisches Assessment. Daneben seien testpsychologische Untersuchungen, bestehend aus dem Beck’schen Depressionsinventar, der psychiatrischen Symptomcheckliste SCL-90-R sowie einem Test zur Überprüfung der Gedächtnisleistung. Diese Verfahren dienten bei der Klägerin offensichtlich zur zusätzlichen standardisierten Abklärung eventuell vorhandener psychiatrischer Komorbiditäten. Bei dem Merkmal "systematische Supervision" handele es sich um Strukturmerkmal und nicht um ein patientenbezogenes Merkmal, so dass die Dokumentation im Einzelfall in der Patientenakte weder notwendig noch sinnvoll sei. Klar sei, dass eine regelmäßige externe Supervision erst ab November 2006 stattgefunden habe. Dies heiße jedoch nicht, dass vorher keinerlei Supervision stattgefunden habe. Eine vorher durchgeführte Supervision ergäbe sich bereits durch die Zertifizierung nach pcc/KTQ und dem Organigramm der Klägerin, das einen Supervisionsbeauftragten enthalte. Die vorgetragenen Maßnahmen wie Fallkonferenzen, Teambesprechungen, Chefarztvisiten seien zudem eine Form von interner Supervision. Der OPS schreibe überdies in seinen Merkmalen die Form der Supervision nicht speziell fest. Den Streitpunkt der Angehörigeninformation lasse der OPS in seiner Ausgestaltung offen. Überdies bestünden wegen der ausführlichen Informationsbroschüre keine Zweifel an der Aussage der Klägerin, diese werde an die Angehörigen weitergegeben, auch wenn dies nicht explizit dokumentiert sei. Hinsichtlich des Streitpunktes "Entspannungsverfahren" stellten sich zwei grundsätzliche Fragen. Zum einen, ob hierunter nur etablierte Verfahren wie z.B. die progressive Muskelrelaxion nach Jacobsen oder das autogene Training gemeint seien und meine Punkt vier des OPS, dass alle genannten Therapieelemente eingesetzt werden müssten. Zur letzteren Frage gehe aus der Formulierung des OPS nicht hervor, in welchem Umfang und in welcher Form die Kombination der einzelnen Elemente vorgenommen werden sollten, noch dass alle zwingend vorhanden sein müssten. Die entscheidende Charakterisierung bestünde in dem Begriff "lösungsorientiertes Therapiemanagement". Hinsichtlich der Notwendigkeit von Entspannungsverfahren sei darauf hinzuweisen, dass es sich bei der qualifizierten Entzugsbehandlung um eine Akutkrankenbehandlung handele, deren Dauer in der Regel bei 10 bis 14 Tagen liege. Der Platz der klassischen Entspannungsverfahren liege eher im Bereich der Entwöhnungsbehandlung, da es sich bei diesen Verfahren um erlernbare Techniken handele, die Menschen nach einer Einübungsphase von meist 8 bis 10 Therapiesitzungen in die Lage versetzen sollten, diese selbstständig anzuwenden und eine körperliche und geistige Entspannung zu erreichen. Dies sei in einem Zeitraum von 10 bis 14 Tagen bei anfangs noch unter Medikamenten stehenden Patienten nicht erreichbar. Das Zeitkriterium von wenigsten drei Stunden pro Tag werde ebenfalls erfüllt. Insgesamt erfülle die Klägerin die Kriterien des OPS 8-985, so dass die Abrechnung der DRG V62A korrekt sei.
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Frau Dr. med. N., Fachärztin für Innere Medizin, Geriatrie und Suchtmedizinische Grundversorgung hat in ihrem Gutachten vom 8. Dezember 2010 zu dem Verfahren
S 13 KR 147/07
ausgeführt, dass es sich bei dem qualifizierten Entzug um eine Motivationsbehandlung handele, die im Wesentlichen darauf abziele, einen Patienten in der Phase der Akutentgiftung bei entsprechend hoch gelagertem Leistungsdruck auf seine Suchtproblematik anzusprechen. Ziel sei es, eine ausreichende Krankheitsakzeptanz aufzubauen, eine ausreichende Krankheitseinsicht und eine Veränderungsmotivation für eine Entwöhnungsmaßnahme zu erreichen. Der qualifizierte Entzug sei insofern eine Therapievorbereitung auf eine Entwöhnung im Sinne auch einer seelischen Entgiftung. Die hierfür notwendigen Mittel des Krankenhauses seien neben der Möglichkeit für eine umfassende internistische Diagnostik und Therapie die Vorhaltung eines leitenden Arztes mit suchtmedizinischer Grundversorgung, von Sozialtherapeuten, suchttherapeutische zusatzqualifizierten Krankenpflegekräften, Sozialarbeitern, Ergotherapeuten etc. Die Durchführung des qualifizierten Entzuges erfordere die Vorschaltung bzw. begleitende Durchführung einer medikamentösen, somatischen Entgiftung, um den Patienten zu einer Trinkpause zu führen und zur Teilnahme am strukturierten Therapieprogramm zu befähigen. Der qualifizierte Entzug sei in typischer Weise durchgeführt worden durch ein multidisziplinär zusammengesetztes Team, durch die Kombination von Gruppen- und Einzeltherapie ergänzt durch weitere differenzierte Therapieangebote. Das strukturierte Therapieprogramm sei den individuellen Bedürfnissen des Patienten angepasst. Die Klägerin gehe in der Sicherstellung des psychiatrischen und psychotherapeutischen Sachverstandes deutlich über die Anforderungen der Mindestmerkmale hinaus, z.B. durch die mehrmals wöchentliche Präsenz eines Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie. Die Motivationsbehandlung selbst obliege primär dem in der Prozedur definierten Behandlungsteam und bedürfe in speziellen Fällen wie psychiatrischer Komorbidität der psychiatrischen Einschätzung und Mitbehandlung. Es sei durch den behandelnden Internisten ein psychopathologischer Befund erhoben worden. Die Erhebung eines mindestens orientierenden psychischen Befundes sei Teil einer internistischen Aufnahmeuntersuchung. Es bestünde bei der Klägerin auch eine regelhafte Supervision des Behandlungsteams im klassischen Sinne aber auch durch eine entsprechende Fortbildungs- und Besprechungskultur. Bei der Durchführung eines standardisierten suchtmedizinischen und sozialen Assessments beinhalteten die Mindestmerkmale der Motivationsbehandlung Abhängigkeitskranker keine Forderung bezüglich der Art, des Umfangs, der Häufigkeit oder der beteiligten Berufsgruppen bei der Durchführung des Assessments. Die umfangreichen Angaben im Entlassungsbericht ließen auf eine ausreichende Durchführung im Sinne standardisierter suchtmedizinischer und sozialer Assessmentverfahren schließen. Die Therapiedokumentation sei umfangreich und ausreichend. Weiterhin seien die einzelnen Therapieelemente in den Mindestmerkmalen inhaltlich nicht definiert. Die Ausgestaltung des Therapiemanagements sei jeder durchführenden Einrichtung freigestellt und werde im Einzelnen durch die Art der Einrichtung, die örtlichen Gegebenheiten und Ausstattung sowie den individuellen Bedarf des Patienten bestimmt. Insgesamt erfülle die Klägerin die Voraussetzungen des streitigen OPS.
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Herr Dr. med. P., Facharzt für Innere Medizin, hat in einem Gutachten zu dem Verfahren
S 13 KR 37/07
vom 17. November 2010 angegeben, dass sich das Behandlungsteam der Patientendokumentation entnehmen lasse. Hinsichtlich der systematischen Supervision könnten keine Angaben aus der Patientenakte gewonnen werden, da diese das Team und nicht den Patienten betreffe. Die Supervision sei bei der Klägerin ein integraler Bestandteil und werde bereitgehalten. Die psychiatrische Befunderhebung berücksichtige alle relevanten psychopathologischen Parameter wie Orientierung, Bewusstsein, Kognition, Intellekt, Stimmung, Antrieb, Affekt, Suizidideen, formale und beinhalte Gedankengänge, Sinnestäuschungen, Psychomotorik, Denkweise etc. Die psychiatrische Befunderhebung sei ärztliche Aufgabe, jedoch nicht eines Facharztes für Psychiatrie. Das suchtmedizinische Assessment sei adäquat mit allen notwendigen Parametern erhoben. Dies finde sich auch im Entlassungsbericht. Das Mindestmerkmal des Therapiemanagements erfülle die Klägerin deutlich über. Zu den Entspannungsverfahren gehöre auch die angebotene Besinnung. Betont werden müsse, dass es bei dem qualifizierten Entzug nicht um das Erlernen von Entspannungsverfahren gehen könne, sondern darum, erste Erfahrungen zu sammeln, dass Entspannung möglich sei und der Patient dies als wertvoll empfinden könne. Es gehe nicht um das Erlernen von Entspannungsverfahren, sondern um das Kennenlernen von Entspannungsmöglichkeiten, um motiviert zu werden, diese in Zukunft auf dem suchttherapeutischen Weg einzubauen. Bei den folgenden Entwöhnungsbehandlungen gehe es dann um das Erlernen eines Entspannungsverfahrens. Die Entwöhnungsbehandlung dauere in der Regel deutlich über zwei Monate, während der qualifizierte Entzug oft nicht mehr als 14 Tage dauere. Die Angehörigeninformation sei nicht gesondert dokumentiert. Dies stehe jedoch im Einklang mit der Erfüllung des Mindestmerkmales, weil die Therapieelemente in patientenbezogener Kombination durchzuführen seien. Als Zeichen für ein besonderes Augenmerk aus die Angehörigeninformation und -beratung spreche die erstellte Broschüre, welche eine hohe Qualität bezüglich Informationsgehalt, Übersichtlichkeit, Akzeptanz und Motivierung aufweise. Schließlich seien alle Mindestmerkmale durch die Klägerin erfüllt, teilweise qualitativ deutlich übererfüllt.
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Das Gericht hat die Patientenakte für den vorliegenden Behandlungsfall beigezogen. Auf die darin enthaltene Dokumentation wird ergänzend verwiesen.
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Ebenfalls wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie das Vorbringen der Beteiligten auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten und die beigezogenen Gutachten aus den Verfahren
S 13 KR 37/07
,
S 13 KR 67/07
und
S 13 KR 147/07
verwiesen. Diese haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung. | Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für die Krankenhausbehandlung der Patientin T., Fallnr ... weitere 1.008,25 Euro nebst 4 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 6. Februar 2007 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird auf 1.008,25 Euro festgesetzt. | 1 |
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg 8. Senat | Berlin | 0 | 1 | 09.03.2017 | 0 | Randnummer
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Die Klägerin wendet sich mit ihrer Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts Cottbus, mit dem dieses das Begehren der Klägerin, im Wege der Überprüfung höhere Arbeitsentgelte für Zeiten ihrer Zugehörigkeit zum Sonderversorgungssystem der Zollverwaltung der DDR, und zwar auf Grund der Zahlung eines Verpflegungszuschusses und eines Reinigungszuschusses, festzustellen, abgewiesen hat.
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Die 1951 geborene, also jetzt 65 Jahre alte Klägerin war in der Zeit vom 1. Oktober 1970 bis zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 Mitarbeiterin der Zollverwaltung der DDR und anschließend der Bundeszollverwaltung. Am 25. September 1991 wurde sie verbeamtet.
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3
Mit Bescheid vom 15. Juni 1993 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie zur Überführung ihrer im Sonderversorgungssystem der Zollverwaltung der ehemaligen DDR (System Nr. 3 der Anlage 2 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz – AAÜG -) erworbenen Ansprüche und Anwartschaften in die gesetzliche Rentenversicherung dem zuständigen Rentenversicherungsträger die zur Durchführung der Versicherung und zur Feststellung von Leistungen aus der Rentenversicherung erforderlichen Überführungsdaten mitgeteilt habe. Aus dem Abdruck der Mitteilung, der laut der Beklagten Bestandteil des Bescheides war, geht hervor, dass für die Zeit vom 1. Oktober 1970 bis 31. Dezember 1991 Entgelte gemäß § 8 Abs. 2 AAÜG festgestellt wurden. Dieser Bescheid wurde mit von der Klägerin nicht angefochtenem Bescheid vom 2. Juli 2007 geändert und jetzt nur noch die Zeit vom 1. Oktober 1970 bis zum 24. September 1991 als solche der Zugehörigkeit zum Versorgungssystem berücksichtigt.
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In den Akten der Beklagten finden sich Besoldungsstammkarten für die Jahre 1970 bis 1989. Hierin sind unter anderem Verpflegungsgeld in unterschiedlicher Höhe und ein Reinigungszuschuss i.H.v. 3,35 Mark bzw. 3,50 Mark monatlich und Wohnungsgeld als der Klägerin gezahlte Zuschläge und Zuschüsse aufgeführt.
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Mit Eingang bei der Beklagten am 28. Dezember 2007 beantragte die Klägerin die Überprüfung der Feststellung der Arbeitsentgelte auf Grund des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. August 2007, Az.: B 4 RS 4/06 R, und begehrte die Berücksichtigung weiterer Zulagen/Zuschläge, z.B. des Verpflegungsgeldes und eines Reinigungszuschlags.
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Mit Bescheid vom 15. September 2008, abgesandt am 19. September 2008, lehnte die Beklagte den Antrag auf Feststellung weiterer bzw. höherer Arbeitsentgelte mit der Begründung ab, die weiteren Zahlungen hätten lediglich Aufwandsersatzcharakter gehabt. Sie seien weder nach bundesdeutschem Rechtsverständnis rentenversicherungspflichtiges Entgelt noch nach der Versorgungsordnung (VSO) der Zollverwaltung der DDR beitragspflichtig gewesen.
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Den am 7. Oktober 2008 bei der Beklagten eingegangenen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 10. Februar 2009 zurück. Die Auffassung, dass allein der Entgeltbegriff des § 14 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) unter Berücksichtigung der bundesdeutschen Steuerregelung des Jahres 1991 erfüllt sei, widerspreche der Rentenüberleitung und den vom Gesetzgeber mit dem AAÜG bezweckten Regelungszielen. Auch nach DDR-Recht seien Verpflegungsgeld und andere Zulagen nicht für die Rentenberechnung heranzuziehen gewesen.
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Gegen den am 13. Februar 2009 zugestellten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 10. März 2009 Klage bei dem Sozialgericht Cottbus erhoben und begehrte (zunächst) die Feststellung höherer Entgelte unter Berücksichtigung des Verpflegungsgeldes, des Reinigungszuschusses und des Röntgenzuschlages. Es sei nach der Rechtsprechung des BSG dem Entgeltbegriff des § 6 Abs. 1 AAÜG der bundesdeutsche Begriff des Arbeitsentgelts zugrunde zu legen. Das Verpflegungsgeld und der Reinigungszuschuss sowie der Röntgenzuschlag seien Arbeitsentgelt im Sinne des § 8 AAÜG, denn sie seien ihr für die Dauer des Dienstverhältnisses und nur im Zusammenhang mit ihrer Beschäftigung nach der Besoldungsordnung für eine erbrachte Arbeitsleistung gewährt worden.
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Die Beklagte ist der Auffassung, dass aus der BSG-Rechtsprechung deutlich werde, dass Arbeitsentgelt nur Zahlungsarten umfasse, die als Gegenwert/Gegenleistung für eine erbrachte Arbeitsleistung gezahlt würden. Die Rente solle Spiegelbild der individuellen Lebensleistung sein. Sozialleistungen und Aufwandsentschädigungen stellten kein Arbeitsentgelt dar, das auch rentenrechtlich überführungsrelevant sein könne. Die Beklagte verwies auf das Urteil des BSG vom 02. August 2000, Az.: B 4 RA 41/99 R. Im Übrigen würden bei der von der Klägerin begehrten Auslegung diejenigen benachteiligt, die Verpflegung direkt erhalten hätten, gegenüber denen, die sich hierfür den geldwerten Gegenwert hätten auszahlen lassen. Die Sache habe Bedeutung für eine Vielzahl von Fällen, es lägen zwischenzeitlich bei der Beklagten 1.800 Anträge auf Überprüfung vor.
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Im weiteren Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens haben die Beteiligten ihre jeweiligen Auffassungen zum Begriff des (überführungsfähigen) Entgelts weiter ausgeführt; auf die gewechselten Schriftsätze wird Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom 28. März 2011 beantragte die Klägerin zusätzlich, auch den Sachbezug kostenlose Verpflegung zu berücksichtigen. Den Röntgenzuschlag machte sie nicht mehr geltend.
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Mit Urteil vom 26. Januar 2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe weder das Recht unrichtig angewandt noch sei sie von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erwiesen habe. Der Versorgungsträger habe bei der Feststellung des tatsächlich erzielten Entgelts von dem bundesdeutschen Begriff des Arbeitsentgelts im Sinne des § 14 Abs. 1 SGB IV auszugehen, so dass alle zumindest im Zusammenhang mit der Beschäftigung erzielten Einnahmen, nicht aber Sozialleistungen, als relevant in Betracht kämen. Der Versorgungsträger habe im Rahmen dieser Feststellung nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die hier in Rede stehenden Zahlungen unberücksichtigt zu lassen. Das Sozialgericht verwies, um Wiederholungen zu vermeiden, gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den angefochtenen Bescheid und den Widerspruchsbescheid der Beklagten.
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Gegen das am 8. Mai 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18. Mai 2012 Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg eingelegt.
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Mit Schriftsatz vom 6. März 2013 hat die Klägerin mitgeteilt, dass der Sachbezug der kostenlosen Vollverpflegung während des Grundlehrgangs vom 16. November 1970 bis 2. April 1971 nicht mehr geltend gemacht wird.
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Mit Urteil vom 17. September 2014 hat der erkennende Senat das Urteil des Sozialgerichts sowie die angegriffenen Bescheide geändert und die Beklagte verpflichtet, unter teilweiser Rücknahme des Bescheids vom 2. Juli 2007 für die Zeit ab 1. Dezember 2007 höheres Arbeitsentgelt unter Berücksichtigung von Verpflegungsgeld für die Zeiten vom 1. Oktober 1970 bis 31. Dezember 1990 festzustellen. Darüber hinaus hat er die Beklagte verpflichtet, „der Klägerin bezüglich einer teilweisen Rücknahme wie oben tenoriert für die Zeit bis 30. November 2007 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen", und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte sei verpflichtet, den Feststellungsbescheid vom 2. Juli 2007 für die Zeit ab 1. Dezember 2007 zurückzunehmen, und für die Zeit davor der Klägerin unter Ausübung von Ermessen und unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen. Das Verpflegungsgeld sei Arbeitsentgelt i.S. von § 14 SGB IV, weil es sich dabei um eine Einnahme aus dem Dienstverhältnis gehandelt habe. Der Berücksichtigung des Verpflegungsgelds als Arbeitsentgelt stünden auch nicht § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGB IV i.V.m. § 1 Satz 1 Arbeitsentgeltverordnung (ArEV) und Bestimmungen des bundesdeutschen Steuerrechts - sämtlich in der am 1. August 1991 geltenden Fassung - entgegen. Dagegen stelle sich der Reinigungszuschuss dem Grund und der Höhe nach als steuerfreie, pauschalierte Aufwandsentschädigung für Reinigung und Erhaltung der vom Dienstherrn zur Verfügung gestellten Uniform dar, sodass der betriebliche Zweck ganz im Vordergrund gestanden habe und eine Berücksichtigung als weiteres Arbeitsentgelt ausscheide.
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Mit der vom Senat zugelassenen Revision (Az. des BSG: B 5 RS 6/14 R) haben die Beteiligten jeweils die Verletzung der §§ 6 und 8 AAÜG gerügt.
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Die Klägerin hat vorgetragen, Reinigungszuschüsse seien Arbeitsentgelt, weil sie laufend in konstanten Monatsbeträgen nur für Zeiten gezahlt worden seien, für die Anspruch auf Besoldung bestanden habe, und zwar ab dem Tag der Einstellung bis zur Entlassung auch im Urlaubs- und Krankheitsfall. Sie könnten auch nicht als Aufwandsentschädigung i.S. eines finanziell durchlaufenden Postens interpretiert werden. Denn die Leistung sei zur freien Verfügung unabhängig von den finanziellen Aufwendungen für die Reinigung gewährt worden. Das LSG lasse außer Acht, dass eine steuerfreie Aufwandsentschädigung dann ausgeschlossen sei, wenn dem Empfänger ein Aufwand nicht oder offenbar nicht in Höhe der gewährten Entschädigung erwachsen sei. Bei weiterer Sachaufklärung hätte sich ergeben, dass der Reinigungszuschuss von jährlich 42,00 Mark nicht ausgenutzt worden sei, weil bei der Reinigung eines zweiteiligen Anzugs nur Kosten i.H.v. 5,75 Mark und bei einer Hose von 3,00 Mark entstanden seien. Das LSG gehe davon aus, dass der gezahlte Reinigungszuschuss steuerfrei sei. Damit werde der erste Prüfungsschritt übersprungen, ob Arbeitsentgelt i.S. von § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG i.V.m. § 14 SGB IV vorliege. Zum anderen habe es nicht festgestellt, ob die Voraussetzungen des § 17 SGB IV i.V.m. § 1 der ArEV vom 18. Dezember 1984 vorlägen und damit sich ausnahmsweise ein Ausschluss ergebe. Eine Prüfung, ob es sich beim Reinigungszuschuss um „Zulagen, Zuschüsse und ähnliche Einnahmen" handele, die „zusätzlich" zu Löhnen oder Gehältern gezahlt wurden, sei nicht erfolgt.
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Die Beklagte hat vorgetragen, das LSG knüpfe zur Auslegung des Arbeitsentgeltsbegriffs in § 6 AAÜG zu Unrecht ausschließlich an bundesdeutsches Recht, insbesondere an § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV an. Vielmehr sei zur Qualifizierung des Rechtscharakters der streitgegenständlichen Zahlungen im Sinne einer Auslegungs- und Interpretationshilfe mittelbar auf die maßgeblichen Rechtsvorschriften der DDR zurückzugreifen. Danach habe Verpflegungsgeld keinen Entlohnungscharakter gehabt, weil es an einem inneren Zusammenhang mit der erbrachten Arbeitsleistung gefehlt habe. Die Zahlung sei vielmehr sozial und fürsorgerisch motiviert gewesen und habe ganz überwiegend im eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers gestanden. Es handele sich folglich um die notwendige Begleiterscheinung einer betriebsfunktionalen Zielsetzung. Jedenfalls habe es sich um eine Geldleistung gehandelt, die im Zuflusszeitpunkt nach den einschlägigen Bestimmungen des DDR-Rechts steuerfrei gewesen sei. Es gelte der Grundsatz der Parallelität von Steuer- und Beitragspflicht. Daher sei das Verpflegungsgeld als steuerfreier Entgeltbestandteil aufgrund des § 1 ArEV in der am 1. August 1991 geltenden Fassung nicht dem beitragspflichtigen Arbeitsentgelt zuzurechnen. Eine tatbestandliche Rückanknüpfung an das am 1. August 1991 geltende Bundesrecht sei schon deshalb zu verneinen, weil die einschlägigen Bestimmungen DDR-Sachverhalte weder regeln könnten noch wollten. Selbst wenn man aber bundesdeutsches Steuerrecht anwenden wollte, wäre eine Zuordnung des Verpflegungsgeldes zu den in § 3 Einkommensteuergesetz (EStG) aufgeführten Steuerbefreiungstatbeständen von vornherein nicht möglich.
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Mit Urteil vom 29. Oktober 2015 hat das BSG das Urteil des Senats vom 17. September 2014 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Berlin-Brandenburg zurückverwiesen. Eine abschließende Entscheidung könne der Senat derzeit nicht treffen. Es fehlten die erforderlichen Feststellungen, ob die streitigen Verpflegungsgeldzahlungen und Reinigungszuschüsse unter Berücksichtigung des im jeweiligen Bezugszeitraum geltenden DDR-Rechts als Anknüpfungstatsache Arbeitsentgelt i.S. von § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG i.V.m. § 14 SGB IV sind. Erst im Anschluss hieran könnten die weiteren bundesrechtlichen Prüfungsschritte vorgenommen werden.
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Im wiedereröffneten Berufungsverfahren hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin vorgetragen, dass das BSG in seinem Urteil vom 29. Oktober 2015 bereits ausführlich die in Rede stehenden Fragen zur Anwendung des § 6 Abs. 1 AAÜG entschieden habe. Sofern die Beklagte nunmehr die Auffassung vertrete, dass die Zahlung des Verpflegungsgeldes im überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Dienstherrn, der Zollverwaltung der DDR, gestanden habe, so sei dem nicht zu folgen. Sie hat auf die Urteile des 22. Senats des
LSG Berlin-Brandenburg vom 25. Februar 2016, Az. L 22 R 631/12
u.a., sowie des Thüringischen LSG vom 28. Oktober 2015, Az. L 3 R 664/12 u.a., verwiesen. Wegen der weiteren Ausführungen der Klägerin wird auf die Schriftsätze ihrer Prozessbevollmächtigten verwiesen.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 26. Januar 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 15. September 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 2. Juli 2007 höheres Arbeitsentgelt festzustellen, und zwar unter Berücksichtigung von Verpflegungsgeld für den Zeitraum
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vom 01. Oktober 1970 bis 31. Dezember 1970 in Höhe von 305,70 Mark,
vom 01. Januar 1971 bis 31. Dezember 1971 in Höhe von 751,69 Mark,
vom 01. Januar 1972 bis 31. Dezember 1972 in Höhe von 1.339,44 Mark,
vom 01. Januar 1973 bis 31. Dezember 1973 in Höhe von 1368,72 Mark,
vom 01. Januar 1974 bis 31. Dezember 1974 in Höhe von 1.164,66 Mark,
vom 01. Januar 1975 bis 31. Dezember 1975 in Höhe von 1.434,03 Mark,
vom 01. Januar 1976 bis 31. Dezember 1976 in Höhe von 1.248,81 Mark,
vom 01. Januar 1977 bis 31. Dezember 1977 in Höhe von 1.455,97 Mark,
vom 01. Januar 1978 bis 31. Dezember 1978 in Höhe von 1.551,24 Mark,
vom 01. Januar 1979 bis 31. Dezember 1979 in Höhe von 1.551,24 Mark,
vom 01. Januar 1980 bis 31. Dezember 1980 in Höhe von 1.555,44 Mark,
vom 01. Januar 1981 bis 31. Dezember 1981 in Höhe von 1.551,24 Mark,
vom 01. Januar 1982 bis 31. Dezember 1982 in Höhe von 1.551,24 Mark,
vom 01. Januar 1983 bis 31. Dezember 1983 in Höhe von 1.551,24 Mark,
vom 01. Januar 1984 bis 31. Dezember 1984 in Höhe von 1.555,44 Mark,
vom 01. Januar 1985 bis 31. Dezember 1985 in Höhe von 1.551,24 Mark,
vom 01. Januar 1986 bis 31. Dezember 1986 in Höhe von 1.552,32 Mark,
vom 01. Januar 1987 bis 31. Dezember 1987 in Höhe von 1.582,76 Mark,
vom 01. Januar 1988 bis 31. Dezember 1988 in Höhe von 1.643,64 Mark,
vom 01. Januar 1989 bis 31. Dezember 1989 in Höhe von 1.528,61 Mark,
vom 01. Januar 1990 bis 30. Juni 1990 in Höhe von 821,82 Mark,
vom 01. Juli 1990 bis 31. Dezember 1990 in Höhe von 821,82 Mark,
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und des Reinigungszuschusses für den Zeitraum vom 1. Oktober 1970 bis zum 31. Dezember 1990 in Höhe von monatlich 3,50 Mark.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hat u.a. auf das Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 19. November 2015, Az. L 1 RS 33/12 und des Thüringischen LSG vom 25. November 2015, Az. L 12 RS 540/12, verwiesen, die entschieden haben, dass unter Berücksichtigung der Verpflegungsordnungen, der Regelungen im Haushaltsplan sowie der Gliederung in den Besoldungsordnungen für die geltend gemachten Zuwendungen ein erhebliches betriebsfunktionales Interesse bestanden habe, das dem Interesse der – dortigen – Kläger als übergeordnet angesehen worden sei. Dem schließe sich die Beklagte an.
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Wegen der weiteren Ausführungen der Beklagten wird auf ihre Schriftsätze verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen. Die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen. | Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 26. Januar 2012 und der Bescheid der Beklagten vom 15. September 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 2009 geändert.
Die Beklagte wird verpflichtet, unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 2. Juli 2007 für die Zeit ab 1. Dezember 2007 höheres Arbeitsentgelt festzustellen, und zwar unter Berücksichtigung von Verpflegungsgeld für den Zeitraum
vom 01. Oktober 1970 bis 31. Dezember 1970 in Höhe von 305,70 Mark,
vom 01. Januar 1971 bis 31. Dezember 1971 in Höhe von 751,69 Mark,
vom 01. Januar 1972 bis 31. Dezember 1972 in Höhe von 1.339,44 Mark,
vom 01. Januar 1973 bis 31. Dezember 1973 in Höhe von 1.368,72 Mark,
vom 01. Januar 1974 bis 31. Dezember 1974 in Höhe von 1.164,66 Mark,
vom 01. Januar 1975 bis 31. Dezember 1975 in Höhe von 1.434,03 Mark,
vom 01. Januar 1976 bis 31. Dezember 1976 in Höhe von 1.248,81 Mark,
vom 01. Januar 1977 bis 31. Dezember 1977 in Höhe von 1.455,97 Mark,
vom 01. Januar 1978 bis 31. Dezember 1978 in Höhe von 1.551,24 Mark,
vom 01. Januar 1979 bis 31. Dezember 1979 in Höhe von 1.551,24 Mark,
vom 01. Januar 1980 bis 31. Dezember 1980 in Höhe von 1.555,44 Mark,
vom 01. Januar 1981 bis 31. Dezember 1981 in Höhe von 1.551,24 Mark,
vom 01. Januar 1982 bis 31. Dezember 1982 in Höhe von 1.551,24 Mark,
vom 01. Januar 1983 bis 31. Dezember 1983 in Höhe von 1.551,24 Mark,
vom 01. Januar 1984 bis 31. Dezember 1984 in Höhe von 1.555,44 Mark,
vom 01. Januar 1985 bis 31. Dezember 1985 in Höhe von 1.551,24 Mark,
vom 01. Januar 1986 bis 31. Dezember 1986 in Höhe von 1.552,32 Mark,
vom 01. Januar 1987 bis 31. Dezember 1987 in Höhe von 1.582,76 Mark,
vom 01. Januar 1988 bis 31. Dezember 1988 in Höhe von 1.643,64 Mark,
vom 01. Januar 1989 bis 31. Dezember 1989 in Höhe von 1.528,61 Mark,
vom 01. Januar 1990 bis 30. Juni 1990 in Höhe von 821,82 Mark,
vom 01. Juli 1990 bis 31. Dezember 1990 in Höhe von 821,82 Mark.
Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin bezüglich einer teilweisen Rücknahme wie oben tenoriert für die Zeit bis 30. November 2007 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits zu drei Vierteln zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Baden-Württemberg | 1 | 0 | 0 | 1
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der vom Beigeladenen erlittene Unfall als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung anzuerkennen ist.
2
Der Kläger betreibt im „D. Haus“ in L. ein heilpädagogisch-therapeutisches Heim und Sprachheilzentrum und im Rahmen dessen die Heimsonderschule für Sprachbehinderte (im Folgenden: Heimsonderschule), die als Ersatzschule anerkannt ist (vgl. Anerkennungsbescheid des Ministeriums für Kultus und Sport Baden-Württemberg vom 09.10.1985, Bl. 52 SG-Akte).
3
Der am 1997 geborene Beigeladene besuchte die Heimsonderschule im Bildungsgang Förderschule ab dem Schuljahr 2004/2005. Grundlage dessen war die Feststellung eines besonderen pädagogischen Förderbedarfs und der Pflicht zum Besuch einer Schule für Sprachbehinderte durch das Staatliche Schulamt L.. Die dabei erforderliche Internatsunterbringung erfolgte zur Erfüllung der Schulpflicht (vgl. Schreiben des Staatlichen Schulamtes L. vom 30.08.2004, Bl. 53 SG-Akte). Entsprechend war der Beigeladene von Montag bis Freitag in der Heimsonderschule untergebracht, wobei die Schüler außerhalb der Unterrichtszeit in alters- und geschlechtsgemischten Gruppen mit 12 bis 13 Schülern lebten und dabei von jeweils zwei Erzieherinnen betreut wurden.
4
Am 18.06.2007, lange nach Unterrichtsende, gegen 17.00 Uhr, erlitt der Beigeladene in den Räumen dieser Einrichtung des Klägers einen Unfall, bei dem er sich erhebliche Verbrühungen zuzog. Eine Betreuerin hatte dem Beigeladenen zur Behandlung seiner Erkältung einen Topf mit in heißem Wasser gelöster Salbe zum Inhalieren auf einen Tisch gestellt. Der Topf kippte während des Inhalierens durch eine ungeschickte Bewegung des Beigeladenen um und das heiße Wasser ergoss sich über dessen Bauch und Oberschenkel. Deswegen führte der Beigeladene gegen den Kläger einen Rechtsstreit um Schadensersatz vor dem Landgericht Offenburg (2 O 208/09), der zur Klärung der Frage, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, ausgesetzt ist.
5
Mit dem Kläger (vgl. Bl. 63 VerwA) und dem Beigeladenen bekannt gegebenem Bescheid vom 18.10.2010 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung aus Anlass des Ereignisses vom 18.06.2007 ab. Zwar seien Schüler gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b des Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen sowie während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen gesetzlich unfallversichert, jedoch setze dies voraus, dass die Verrichtung zum Unfallzeitpunkt im organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule geschehen sei. Dies erfordere einen unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zur Schule, der verlassen sei, wenn eine Einwirkung durch schulische Aufsichtsmaßnahmen nicht mehr gewährleistet sei. Da der Unfall sich beim Inhalieren auf Grund einer Erkältung ereignet habe, was dem privaten, eigenwirtschaftlichen Bereich zuzuordnen sei, und zudem gegen 17.00 Uhr innerhalb des Internats, nachdem der offizielle Schulbesuch bereits um 13.00 Uhr beendet gewesen sei, habe weder ein räumlicher noch ein zeitlicher Zusammenhang mit dem Schulbesuch bestanden.
6
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger insbesondere geltend, beim Inhalieren des Beigeladenen habe es sich um eine Verrichtung im organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule gehandelt, da Schule und Internat im Sprachheilzentrum L. eine pädagogische Einheit bildeten. Mit Widerspruchsbescheid vom 20.04.2011 wies die Beklagte den Widerspruch mit der weiteren Begründung zurück, Versicherungsschutz für Internatsschüler bleibe auf solche Verrichtungen beschränkt, die rechtlich wesentlich mit dem Schulbesuch in Zusammenhang stünden und der schulischen Förderung dienten. Beim Inhalieren habe es sich um eine Maßnahme zur Förderung bzw. Wiederherstellung der Gesundheit gehandelt, also um eine Verrichtung, die eindeutig der privaten Lebensführung zuzurechnen sei. Diese Verrichtung habe keine schulische Förderung dargestellt; ein Zusammenhang mit dem Schulbesuch habe nicht bestanden.
7
Am 20.05.2011 hat der Kläger dagegen beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben und geltend gemacht, bei der Heimsonderschule handele es sich um ein schulartig organisiertes Sprachheilzentrum mit angeschlossenem Internat. Es handele sich um eine organisatorische und zweckgerichtete Einheit zur Schulung und vollumfänglichen Betreuung der Schüler, die auch die psychische und physische Betreuung beinhalte. Schule und Internat bildeten eine pädagogische Einheit. Auch die dem unmittelbaren Schulunterricht nachfolgende internatsmäßige Betreuung diene durch schulische Aufsichtsmaßnahmen einer Einwirkung auf die geistige und körperliche Entwicklung des Schülers. Im organisatorischen Einfluss der Schule seien alle Tätigkeiten innerhalb des Verantwortungsbereich der Schule, also Unterricht, Prüfungen, Arbeitsgemeinschaften, Pausen, Freistunden, sonstige Schulveranstaltungen, internatsbedingte Betreuungsleistungen und vergleichbare Maßnahmen. Das Inhalieren im Rahmen des schulischen Internatsaufenthalts stelle somit eine Verrichtung im organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule dar. Eine andere Betrachtungsweise würde die Besonderheiten des Sonderschulbetriebs mit angeschlossenem Internat verkennen. Die Schulunfallversicherung diene nicht nur dem Schutz des verletzten Schülers, sondern darüber hinaus auch der Sicherung des ungestörten Zusammenlebens von Schülern, Lehrern, Aufsichtspflichtigen und den einer Verletzung schuldigen Mitschülern, um diese von einer etwaigen zivilrechtlichen Haftung freizustellen. Damit habe das erfolgte Inhalieren zweifellos im organisatorischen Verantwortungsbereich der Klägerin gelegen.
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Mit Urteil vom 12.04.2013 hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, zum Zeitpunkt des erlittenen Unfalls habe der Beigeladene nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a SGB VII scheitere bereits daran, dass es sich bei dem Internatsbereich der Heimsonderschule nicht um eine Tageseinrichtung im Sinne dieser Regelung handele. Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b SGB VII sei zu verneinen, weil die unfallbringende Verrichtung außerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereichs der Schule stattgefunden habe. Bei dem Vorgang des Inhalierens habe es sich um eine rein privatwirtschaftliche Verrichtung gehandelt, die mit dem Schulbesuch in keinerlei Zusammenhang gestanden habe. Der Umstand, dass sich der Unfall in den zur Schule gehörenden Internatsräumen und während der internatsmäßigen Unterbringung ereignet hat, reiche für die Begründung des Versicherungsschutzes nicht aus. Selbst wenn Schule und Internat eine pädagogische Einheit bildeten und damit zum Aufgabenspektrum der Schule auch die „körperliche Betreuung“ gehöre, rechtfertige dies nicht die Annahme von Versicherungsschutz. Denn das erkältungsbedingte Inhalieren des Beigeladenen habe mit dem Aufgabenspektrum der Heimsonderschule als Sprachheilzentrum in keinem Zusammenhang gestanden.
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Gegen das seinen Bevollmächtigten am 13.06.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 12.07.2013 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens weiterhin die Auffassung vertreten, der Unfall des Beigeladenen habe sich im organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule ereignet. Das SG habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass es sich bei der Heimsonderschule um eine Ganztagsschule handele, die neben dem Unterricht auch die vollumfängliche Betreuung des behinderten Schülers schulde, wobei die pädagogische Unterrichtung und der Internatsaufenthalt eine Einheit bildeten. Es handele sich gerade nicht um eine Schule mit nur angeschlossenem Internat. Die einheitliche schulische und sozialbetreuerische Versorgung beinhalte eine ganzheitliche sprachliche Förderung durch die enge Vernetzung von Schule, Internat, Tagesgruppe und besonderen sozialpädagogischen und therapeutischen Angeboten durch Fachkräfte unterschiedlicher Kompetenzbereiche. Die ganztätige Unterbringung des Beigeladenen sei wegen seiner schwerwiegenden Beeinträchtigung zur Erfüllung der gesetzlichen Schulpflicht und nicht auf Grund eines freiwilligen Entschlusses der Eltern erfolgt. Der Bejahung von Versicherungsschutz stehe insbesondere nicht entgegen, dass die gesetzliche Unfallversicherung keinen umfassenden und unbegrenzten Schutz für alle (auch nichtbehinderten) Kinder gewährleiste. Denn vorliegend gehe es um den Schutz für ein behindertes Kind, das auf Grund seiner Behinderung in einer Sonderschule zur ganzheitlichen Betreuung untergebracht sei.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 12.04.2013 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 18.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.04.2011 zu verurteilen, das Ereignis vom 18.06.2007 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
14
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig und verweist darauf, dass die einen einzelnen Schüler betreffenden gesundheitlichen Maßnahmen auch dann dem unversicherten persönlichen Lebensbereich des Schülers zuzuordnen seien, wenn diese in einem Internatsbereich erfolgten. Auch die Gegebenheiten einer Heimsonderschule für Sprachbehinderte rechtfertigten es nicht, den Unfallversicherungsschutz auf den gesamten Aufenthalt und damit auch den Internatsbereich auszudehnen.
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Der Beigeladene beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
17
Er schließt sich der Argumentation der Beklagten an.
18
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
19
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, der Akten beider Rechtszüge und der beigezogenen Akten des Landgerichts Offenburg 2 O 208/09 Bezug genommen. | Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 12.04.2013 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 18.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.04.2011 verurteilt, das Ereignis vom 18.06.2007 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten. | 0 |
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Verwaltungsgericht des Saarlandes 2. Kammer | Saarland | 0 | 1 | 17.11.2015 | 1 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten um die Weitergewährung des Familienzuschlages der Stufe 1 ab dem 01.09.2014.
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Der am … geborene Kläger steht als Polizeirat im Dienst der Bundespolizei. Mit Beschluss des Amtsgerichts B-Stadt vom 13.11.2012 wurde er rechtskräftig von seiner Ehefrau geschieden. Im Anschluss daran einigten sich die Eheleute außergerichtlich über die Zahlung nachehelichen Unterhalts. Unter dem 27.06.2013 schlossen sie über ihre Prozessbevollmächtigten eine Vereinbarung, wonach sich der Kläger zur Zahlung von Unterhalt in Höhe von pauschal 1.000,- € monatlich (566,- € Kindesunterhalt und 434,- € Ehegattenunterhalt) bis einschließlich August 2014 verpflichtete. Ab dem 01.09.2014 wollten die Parteien gegenseitig auf die Gewährung nachehelichen Unterhalts verzichten, und zwar auch für den Fall, dass einer von ihnen in Not geraten sollte. Ab diesem Zeitpunkt sollte der Kläger nur noch den Kindesunterhalt für die gemeinsamen Kinder gemäß der Düsseldorfer Tabelle entrichten (vgl. zum Inhalt der Vereinbarung Bl. 188 der Besoldungsakte des Klägers).
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Mit E-Mail vom 19.03.2014 (vgl. Bl. 205 der Besoldungsakte des Klägers) teilte der Kläger der Beklagten mit, er habe die außergerichtliche Vereinbarung mit seiner geschiedenen Ehefrau einvernehmlich dahingehend geändert, dass ab dem 01.12.2013 bis einschließlich Februar 2015 monatlich 217,- € Ehegattenunterhalt zu zahlen sei. Im Ergebnis zahle er monatlich nur noch die Hälfte, aber dafür doppelt so lange. Er beantrage daher, den Familienzuschlag (Verheiratetenzuschlag) bis einschließlich Februar 2015 zu gewähren.
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Die Beklagte erwiderte mit E-Mail vom 09.04.2014, Ausgangspunkt für die Höhe und Laufzeit des nachehelichen Unterhalts sei - ersatzweise anstelle eines Urteils - die mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 27.06.2013 dokumentierte Einverständniserklärung mit dem Inhalt, dass eine Verpflichtung zum Ehegattenunterhalt in Höhe von 434,- € monatlich zeitlich begrenzt bis einschließlich August 2014 festgeschrieben worden sei. Mit der zwischen dem Kläger und seiner geschiedenen Ehefrau nun getroffenen neuen Vereinbarung werde der Anspruchszeitraum um 6 Monate verlängert. Bei der Bewertung eines möglichen Anspruchs komme es primär auf die Verpflichtung zum Ehegattenunterhalt an, auf die Höhe hingegen nur sekundär. Um eine Bewertung der Sachlage vornehmen zu können, werde um Darlegung der Erforderlichkeit für die angestrebte Änderung des Verpflichtungszeitraums gebeten. Nicht unerwähnt bleibe dabei die Feststellung, dass sich - bezogen auf den 01.12.2013 - eine Mehrbelastung des Bundeshaushalts in Höhe von 6 x 126,62 € = 759,72 € und darüber hinaus eine Minderbelastung für den Kläger in Höhe von 651 € ergeben würde.
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Hierauf antwortete der Kläger mit E-Mail vom 10.04.2014, wie die Beklagte zu Recht darstelle, hätten die Prozessbevollmächtigten beider Parteien letztes Jahr einen Gesamtbetrag an nachehelichem Unterhalt vereinbart. Dieser über die vereinbarte Zeitdauer berechnete Gesamtbetrag bemesse sich nach den einzelfallbezogenen Umständen der ehelichen Vorgeschichte und liege im Rahmen der rechtlichen Grundlagen. Mit der außergerichtlichen Vereinbarung habe er sich zur Zahlung dieses Gesamtbetrages (20 Monate à 434,- €) verpflichtet. Er zahle den Ehegattenunterhalt also definitiv nicht freiwillig und auch nicht mehr als vereinbart. Daher seien die Verpflichtung zum Ehegattenunterhalt an sich und der zu zahlende Gesamtbetrag eindeutig nachgewiesen. Die Absenkung der Raten sei deshalb erfolgt, weil bei seiner geschiedenen Ehefrau Ende 2013 aufgrund persönlicher Gründe der Bedarf entstanden sei, die monatlichen Zahlungen zu halbieren, ohne den vereinbarten/verpflichtenden Gesamtbetrag zu verändern. Um anwaltlichen Streitigkeiten aus dem Weg zu gehen, habe er dem Wunsch zugestimmt, wohlwissend, dass dies zu einer Verlängerung des Unterhaltsanspruchs führe.
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Mit Bescheid vom 15.04.2014 lehnte die Beklagte die Weitergewährung des ursprünglich bis August 2014 befristeten Familienzuschlags der Stufe 1 bis einschließlich Februar 2015 ab. Zur Begründung führte sie aus, nach § 40 Abs. 1 Nr. 3 BBesG hätten geschiedene Beamte, wenn sie aus der Ehe zum Unterhalt verpflichtet seien, Anspruch auf Familienzuschlag der Stufe 1. Nach Nr. 40.2.3 BBesGVwV seien die Voraussetzungen nicht mehr gegeben, wenn die Verpflichtung zur Unterhaltszahlung erloschen sei, u.a. durch Wegfall der in den §§ 1569 ff. BGB für das Bestehen der Unterhaltspflicht maßgebenden Gründe. Das Gleiche gelte, wenn die Unterhaltsverpflichtung durch Vereinbarung zwischen den ehemaligen Ehegatten erloschen sei. Unter dem 09.04.2014 sei der Kläger um Darlegung der Erforderlichkeit für die angestrebte Änderung des Verpflichtungszeitraums gebeten worden. Daraufhin habe er erklärt, dass „bei seiner Exfrau Ende 2013 aufgrund persönlicher Gründe der Bedarf entstanden sei, die monatlichen Zahlungen zu halbieren“. Einen Unterhaltsbedarf über den vereinbarten Zeitraum hinaus habe er nicht dargelegt. Wie dem Kläger bereits mitgeteilt worden sei, komme es primär auf die bestehende Verpflichtung zum Ehegattenunterhalt, der wiederum Ausfluss eines Bedarfs sei, und erst in zweiter Linie auf dessen Höhe an. Mit Datum vom 27.06.2013 hätten die geschiedenen Eheleute über ihre Prozessbevollmächtigten - ohne gerichtliche Beteiligung - einen nachehelichen Ehegattenunterhalt in Höhe von 434,- € bis einschließlich August 2014 vereinbart. Nach Auskunft des Klägers liege dieser Vereinbarung eine Selbstverpflichtung zur Zahlung eines Gesamtbetrages in Höhe von 8.680,- € (20 x 434,- €) zugrunde und weniger ein auf einen bestimmten Zeitraum abgestellter Unterhaltsbedarf. Sofern dieser monatliche Unterhaltsbedarf nicht mehr in der ursprünglichen Höhe bestehe, könnten Unterhaltspflichtiger und -empfänger Unterhalt in geringerer Höhe vereinbaren. Hierzu bedürfe es lediglich des Einverständnisses beider Parteien. Mit dem Begehren, den Zahlungszeitraum um 6 Monate zu verlängern, verändere sich den Ausführungen des Klägers zufolge aber nicht der vereinbarte Unterhaltsanspruch insgesamt, sondern lediglich die Zahlung des Familienzuschlags der Stufe 1 würde um den gleichen Zeitraum verlängert. Aus dieser Verfahrensweise sei kein Fortbestehen des Unterhaltsanspruchs über den vereinbarten Zeitraum hinaus zu erkennen. Eine Weitergewährung des Familienzuschlags der Stufe 1 um 6 Monate über den vereinbarten Zeitraum hinaus könne daher nicht erfolgen.
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Mit Schreiben vom 28.04.2014, bei der Beklagten eingegangen am 30.04.2014, erhob der Kläger hiergegen Widerspruch und trug zur Begründung vor, für die Entscheidung der Beklagten sei offenbar in erster Linie maßgebend gewesen, ob er zum nachehelichen Unterhalt verpflichtet sei oder nicht. Nach Aussage einer Kollegin aus einem anderen Referat komme es jedoch allein darauf an, ob er monatliche Unterhaltsleistungen erbringe, die betragsmäßig über dem Ehegattenzuschlag lägen, und ob es sich dabei um nachehelichen Unterhalt für die geschiedene Ehefrau und nicht um Kindesunterhalt handele. Unabhängig davon resultiere seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau aus der außergerichtlichen Vereinbarung vom 27.06.2013. Danach habe er von Januar 2013 bis einschließlich August 2014 nachehelichen Unterhalt in Höhe von monatlich 434,- € leisten müssen. Hieraus ergebe sich ein verpflichtender Gesamtbetrag von 8.680,- €. Ob er der Pflicht mit einer Einmalzahlung oder mit monatlichen Raten - und wenn ja, in welcher Höhe - nachkomme, sei bei der außergerichtlichen Vereinbarung sekundär gewesen. Von dem bisherigen Modell seien seine geschiedene Ehefrau und er beginnend ab dem 01.12.2013 abgewichen und hätten - unter Beibehaltung der zu leistenden Gesamtsumme - die monatlichen Beiträge auf ihren Wunsch hin reduziert. Dies habe zu der Verlängerung der Unterhaltszahlungen bis Februar 2015 geführt. Aus seiner Sicht habe sich an dem gesamten zu leistenden nachehelichen Unterhalt in Höhe von 8.680,- € nichts geändert. Daher sei er der Meinung, dass ihm der Ehegattenzuschlag solange zustehe, wie er nachehelichen Unterhalt in einer über diesem Zuschlag liegenden Höhe zahle.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 15.05.2014 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte sie - unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens - aus, bei der nun angezeigten Änderung, bei der die Laufzeit der Unterhaltszahlung durch Halbierung des Zahlbetrages um 6 Monate verlängert werden solle, handele es sich ausschließlich um eine Änderung zu Lasten eines Dritten, nämlich des Bundes, der die auf nunmehr 217,- € abgesenkte monatliche Rate mit (derzeit) 126,62 € subventionieren solle. Vereinbarungen, die offensichtlich nur zur Erlangung des Familienzuschlags geschlossen würden, könnten wegen Unwirksamkeit unbeachtet bleiben. Vereinbarungen, die ohne sonst einsichtigen Grund nur dem Zweck dienten, dem Dienstherrn finanzielle Lasten aufzubürden, sähen sich einer möglichen Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB ausgesetzt. Wenn also der monatliche Unterhaltsbedarf der geschiedenen Ehefrau des Klägers aus persönlichen Gründen, zu denen der Kläger keinerlei prüffähige Angaben gemacht habe, habe halbiert werden müssen, hätten Unterhaltspflichtiger und -empfängerin dies untereinander vereinbaren können. Hierzu habe es lediglich des Einverständnisses beider Parteien bedurft. Aus der gewählten Verfahrensweise sei kein Fortbestehen des Unterhaltsanspruchs über den vereinbarten Zeitraum hinaus zu erkennen. Eine substantiierte Darlegung unter Vorlage von Beweismitteln zur Fortdauer der gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung - entgegen Ziffer 2. der Vereinbarung vom 27.06.2013, wonach ab dem 01.09.2014 gegenseitig auf die Gewährung nachehelichen Unterhalts verzichtet werde - sei nicht erfolgt. Soweit sich der Kläger auf die Auskunft einer Mitarbeiterin berufe, wonach bereits die Zahlung von Ehegattenunterhalt einen Anspruch auf die Stufe 1 des Familienzuschlags auslöse, komme dieser bei der Bewertung der Angelegenheit keine Bedeutung zu, da gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 BBesG Zusicherungen, Vereinbarungen und Vergleiche, die dem Beamten eine höhere als die ihm gesetzlich zustehende Besoldung verschaffen sollten, unwirksam seien. Für die begehrte Weitergewährung des Familienzuschlags der Stufe 1 bleibe nach alledem kein Raum.
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Der Widerspruchsbescheid wurde am 16.05.2014 an den Kläger abgesandt. Am 16.06.2014 hat er die vorliegende Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.
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Der Kläger ist der Ansicht, die Probleme dieses Falles lägen im Unterhaltsrecht. Die Beklagte gehe zu Unrecht davon aus, dass er sich den vereinbarten Unterhaltsverzicht ab dem 01.09.2014 entgegenhalten lassen müsse. Eine Abänderung der Vereinbarung bezüglich des zu zahlenden Unterhalts habe tatsächlich nicht stattgefunden, da sich der zu zahlende Gesamtbetrag nicht geändert habe. Mit der Zahlung des Gesamtbetrages hätten sich die Parteien dahingehend geeinigt, dass er -der Kläger- danach keinen nachehelichen Unterhalt mehr schulde. Wesentlich sei weiter, dass er - unabhängig von der Frage des Betreuungsunterhalts nach § 1570 BGB - auf jeden Fall gemäß § 1573 Abs. 2 BGB verpflichtet sei, Aufstockungsunterhalt an seine geschiedene Ehefrau zu zahlen. Nach § 1573 Abs. 2 BGB könne der geschiedene Ehegatte, soweit er nicht bereits einen Unterhaltsanspruch nach den §§ 1570-1572 BGB habe, den Unterschiedsbetrag zwischen seinen tatsächlichen oder fiktiven Einkünften aus einer tatsächlich ausgeübten oder ihm möglichen angemessenen Erwerbstätigkeit und seinem vollen Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen verlangen, wenn seine eigenen Einkünfte zur Deckung seines vollen Bedarfs nicht ausreichten. An eine weitere Voraussetzung knüpfe der Anspruch auf Aufstockungsunterhalt nicht an. Der Aufstockungsunterhalt sei zeitlich begrenzt; die Dauer seiner Zahlung orientiere sich u.a. an der Ehedauer. Da die Parteien 7 Jahre verheiratet gewesen seien, wäre der Aufstockungsunterhalt bei einer gerichtlichen Entscheidung - je nach OLG-Bezirk - auf die Dauer von 3-5 Jahren befristet worden. Hätten die Parteien daher den nachehelichen Unterhalt gerichtlich ausgefochten, wäre seitens der geschiedenen Ehefrau Betreuungsunterhalt und hilfsweise Aufstockungsunterhalt geltend gemacht worden. Unabhängig von der Frage der Betreuungsmöglichkeit der gemeinsamen Kinder wäre ihr auf jeden Fall ein Aufstockungsunterhalt für 3-5 Jahre entsprechend ihrem Bedarf zugesprochen worden. Hiervon ausgehend hätte ihr auf jeden Fall Unterhalt bis Ende 2015 zugestanden, so dass die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung gerade nicht zu Lasten, sondern zugunsten der Beklagten wirke, da der von ihm -dem Kläger- zu zahlende nacheheliche Unterhalt bereits im Februar 2015 ende.
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Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.04.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2014 zu verpflichten, ihm den Familienzuschlag der Stufe 1 gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 3 BBesG über den 01.09.2014 hinaus bis einschließlich Februar 2015 zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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die Klage abzuweisen.
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Sie nimmt Bezug auf die Ausführungen in den genannten Bescheiden und führt ergänzend aus, der Anspruch eines geschiedenen Beamten auf den Familienzuschlag der Stufe 1 nach § 40 Abs. 1 Nr. 3 BBesG setze voraus, dass der Beamte dem früheren Ehegatten zum Unterhalt verpflichtet sei und diese Unterhaltsverpflichtung mindestens die Höhe des Familienzuschlags erreiche. Mit den Anspruchsvoraussetzungen für den Familienzuschlag seien auch die Voraussetzungen einer nachehelichen Unterhaltsverpflichtung in tatsächlicher Hinsicht nachprüfbar zu belegen. Der pauschale Hinweis auf die gesetzlichen Regelungen des nachehelichen Unterhalts genüge insofern nicht, weil nach den §§ 1570 ff. BGB grundsätzlich mehrere Unterhaltstatbestände in Frage kämen. Es bedürfe vielmehr der substantiierten Darlegung von Tatsachen, aus denen sich ein (fortbestehender) Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten ergebe. Zweifel am Bestehen des Unterhaltsanspruchs gingen insoweit zu Lasten des Klägers. In der außergerichtlichen Vereinbarung vom 27.06.2013 sei nicht nur ein monatlicher Unterhalt in einer bestimmten Höhe vereinbart worden, sondern es sei auch ein Endzeitpunkt für die Unterhaltszahlung (01.09.2014) bestimmt worden. Gründe für eine darüber hinausgehende gesetzliche Unterhaltsverpflichtung seien bisher nicht vorgetragen worden. Neben der unmittelbaren gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung könne eine Unterhaltspflicht auch durch Vertrag konkretisiert werden. Der Kläger habe aber nicht ausreichend dargelegt, weshalb für ihn entgegen der ursprünglichen Vereinbarung eine Verpflichtung zur Unterhaltsleistung aus der Ehe heraus über den August 2014 hinaus bestehen sollte. Die Erklärung, bei seiner geschiedenen Ehefrau habe aus persönlichen Gründen Ende 2013 der Bedarf bestanden, die Zahlungen zu halbieren, sei hierzu nicht geeignet. Dies lege nur die Vermutung nahe, dass die geschiedene Ehefrau den Bedarf gehabt habe, gegenüber einer anderen Stelle aus hier nicht bekannten Gründen ein entsprechend niedrigeres Einkommen anzugeben. Der Kläger sollte die weiteren hälftigen Unterhaltszahlungen dann über den August 2014 hinaus bis zum Februar 2015 erbringen, wobei jedoch der Grund für das Fortbestehen einer gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung nicht erkennbar gewesen sei. Nach der ursprünglichen Vereinbarung habe ab dem 01.09.2014 offensichtlich kein Bedarf mehr für nachehelichen Unterhalt bestanden. Dieser sei auch nicht deshalb entstanden, weil der Kläger ab Ende 2013 nicht monatlich 434,- €, sondern nur die Hälfte dieses Betrages an Unterhalt gezahlt habe. Eine vertraglich gestaltete Unterhaltsverpflichtung konkretisiere nur einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch; keinesfalls begründe sie ihn. Die Absicht, unabhängig in welchem Zeitraum Unterhalt in einer Gesamthöhe von 8.680,- € zahlen zu wollen, sei jedenfalls nicht maßgebend.
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Mit Schriftsätzen vom 29.10.2015 bzw. 02.11.2015 haben die Beteiligten jeweils auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
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Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Besoldungsakte des Klägers (2 Bände) Bezug genommen; er war Gegenstand der Beratung. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ersichtlichen Kostenschuld abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet. | 0 |
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt 7. Senat | Sachsen-Anhalt | 0 | 1 | 16.06.2015 | 0 | Randnummer
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Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.
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Der am ... 1969 geborene Kläger beantragte am 16. Juli 2010 beim Beklagten die Feststellung von folgenden Behinderungen: generalisierte Angststörung, phobische Störungen, Panikstörungen, Hypertonie, Stoffwechselstörungen, Schilddrüsenoperation. Der Beklagte zog einen Befundschein der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. vom 18. August 2010 bei, die eine generalisierte Angst- und Panikstörung diagnostizierte. Der Kläger habe Ängste beim Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel oder bei Begegnungen in Menschenmengen. Er könne teilweise die Stadt H. nicht verlassen, um seiner beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Unter Psychopharmaka (Beruhigungsmedikation) könne er öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Auch das Autofahren sei nur unter großen Anstrengungen möglich. Der Kläger habe eine Verhaltenstherapie begonnen, sodass prognostisch von einer Verbesserung der Gesamtsituation auszugehen sei. Der Facharzt für Innere Medizin Prof. Dr. M. diagnostizierte mit Befundschein vom 28. September 2010 einen Hypogonadismus mit Hypotestosteronämie, eine Hypertonie, eine gemischtförmige Hyperlipidproteinämie, eine Hyperurikämie, einen Zustand nach Thyreoidektomie und eine psychosomatische Störung (Panikattacken). Dadurch bestünden eine signifikante Leistungsminderung und eine Störung der Befindlichkeit. In den Abendstunden bestünden Blutdruckwerte systolisch über 145 mmHg. Die diastolischen Blutdruckwerte lägen im Laufe des Tages häufig über 95 mmHg. Derzeit erhalte der Kläger folgende Medikamente: Blopress, L-Thyroxin, Testogel 20 bzw. 50 mg im täglichen Wechsel. In Anlage übersandte er eine Langzeitblutdruckmessung vom 9. Februar 2010 (Tag: 127/80 mmHg, Nacht 122/67 mmHg) sowie folgende Laborwerte: TSH vom 2. November 2009: 2,1 (Richtwert 0,4 bis 4,0); Testosteron (Richtwert 262 bis 1593) vom 3. November 2009: 216, 10. Dezember 2009: 172, 8. Februar 2010: 248. In Auswertung dieser Befunde schlug die ärztliche Gutachterin des Beklagten Dr. S. für die psychische Gesundheitsstörung einen GdB von 30 vor. Dem folgend stellte der Beklagte mit Bescheid vom 30. November 2010 beim Kläger einen GdB von 30 fest.
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Dagegen erhob der Kläger am 17. Dezember 2010 Widerspruch, weil schon die psychische Gesundheitsstörung mit einem GdB von 50 zu bewerten sei. Es sei von einer schweren Störung mit mindestens mittelgradig schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten auszugehen. Er leide unter massiven Einschlaf- und Durchschlafstörungen, die wiederum erhebliche Konzentrationsstörungen bei den privaten und dienstlichen Tätigkeiten verursachten. Er neige zum Grübeln und Sinnieren. Folgen der Angststörungen seien auch Störungen bei der sinnlichen Wahrnehmung, die sich insbesondere durch eine Überempfindlichkeit gegenüber bestimmten Reizen (z. B. Neonlicht in Kaufhäusern oder öffentlichen Einrichtungen) äußerten. Die Panikattacken beträfen öffentliche Verkehrsmittel und auch spontane Begegnungen mit einer zufällig sich bildenden Menschenmenge. Durch die mangelnde Kontaktfähigkeit und die ausgeprägte Neigung zum sozialen Rückzug habe er langfristige soziale Störungen. Die Gefahr einer totalen sozialen Isolierung wachse. Autofahren sei ihm nur unter großen Anstrengungen möglich. Die Einnahme der Medikamente könne die Störungen nur mäßig mildern. Fülle sich die Bahn mit Fahrgästen übermäßig, sei er kaum in der Lage, die Reststrecke mit dem Verkehrsmittel zurückzulegen. Durch die Einnahme der Medikamente und die Angststörungen träten Störungen der Affekte und Gefühle auf. Er leide unter Verstimmungen und es bestehe eine erhöhte Erregbarkeit, die ihrerseits die Neigung zum sozialen Rückzug begünstige. Dadurch verliere er sein Selbstvertrauen. Außerdem sei die Hypertonie mit einem GdB von mindestens 10 zu bewerten, da trotz der Behandlung erhöhte Werte aufträten. Auch die Stoffwechselstörung sei mit einem GdB von mindestens 10 zu bewerten. Außerdem müsse er eine lebenslange Diät durch die Reduzierung einer energiereichen und lipidhaltigen Ernährung führen. So müsse er zuckerhaltige Lebensmittel und Backwaren weitgehend vermeiden. Auch müsse er auf eine erhebliche Ballaststoffzufuhr achten. Die Lebenseinschränkung durch das Einhalten einer Diät sei bei der Bemessung des GdB zu berücksichtigen. Auch die Folgen der Schilddrüsenoperation seien mindestens mit einem GdB von 10 zu bewerten. Die Schilddrüse sei entfernt worden, um die phobische Störung zu lindern. Doch hätten sich danach die Panikattacken sogar verstärkt. Daher sei von einer bedeutsamen Leistungsminderung auszugehen. Insgesamt sei daher ein GdB von 60 festzustellen. Der Kläger übersandte einen Laborbericht der Praktischen Ärztin Dipl.-Med. S., wonach am 21. April 2011 der TSH-Wert mit 2,66 und der Testosteronwert mit 2,02 (Norm 2,8 bis 8,00) festgestellt worden war. Aufgrund des erniedrigten Testosteronwerts schlug die ärztliche Gutachterin des Beklagten S.-S. für den Hypogonadismus mit Hypotestosteronanämie einen GdB von 20 ohne Erhöhung des Gesamt-GdB vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2011 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und führte aus: Der Zustand nach der Schilddrüsenoperation mit Substitutionsbehandlung und die Fettstoffwechselstörung bedingten keinen Einzel-GdB von mindestens 10. Der Hypogonadismus (GdB 20) und der Bluthochdruck (GdB 10) hätten keine Auswirkungen auf den Gesamt-GdB.
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Am 4. August 2011 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Halle Klage erhoben. Er hat die Feststellung eines GdB von 50 beantragt und ergänzend vorgetragen: Die Störung des Hormonhaushaltes sei mit einem GdB von 30 zu bewerten, weil der Hypogonadismus zur Abnahme der Libido bis hin zu deren Verlust und der Abnahme der Vitalität führe. Auch habe dieser eine depressive Entwicklung zur Folge und verstärke die Symptome der bestehenden Angststörung.
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Das SG hat zunächst von Dr. S. einen Befundbericht vom 12. Januar 2012 eingeholt, die eine generalisierte Angststörung mit Panikattacken diagnostiziert hat. Sie hat im Einzelnen ausgeführt: Der Kläger habe wegen seiner beruflichen Situation nur wenige verhaltenstherapeutische Sitzungen in Anspruch nehmen können. Dabei seien verhaltenstherapeutisch schützende Elemente besprochen und durch den Kläger realisiert worden. Er könne auch wieder die Strecke zwischen H. und M. selbständig mit dem Auto bewältigen. Weitere Entfernungen seien nach wie vor durch Ängste blockiert. Außerdem habe der Kläger teilweise Ängste bei Kontakten mit anderen Menschen und bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sowie teilweise Kontrollverlustängste, die unter Therapie deutlich reduziert seien. Bei überdurchschnittlicher intellektueller Befähigung bestünden keine Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen. Es liege eine ausreichende soziale Integration und eine ausreichende Tagesstrukturierung vor. Auch seien zu keinem Zeitpunkt Kontaktschwächen nachweisbar gewesen. Derzeit liege auch keine depressive Störung vor. Prof. Dr. M. hat in seinem Befundbericht vom 23. Februar 2012 auf die letzte Behandlung im Februar 2010 hingewiesen. Zu diesem Zeitpunkt habe unter Medikation eine euthyreote Schilddrüsenfunktion ohne Organkomplikationen vorgelegen. Die Blutdruckwerte lägen unter Therapie etwa im Normbereich. Die Belastungsergometrie (bis 125 Watt) habe unter antihypertensiver Therapie keinen pathologischen Blutdruckanstieg und keine pathologische Herzfrequenzsteigerung gezeigt. Der Hypogonadismus sei subklinisch.
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In Auswertung dieser Befundberichte hat der Beklagte auf die prüfärztliche Stellungnahme seiner Gutachterin S.-S. vom 15. März 2012 verwiesen, wonach unter Behandlung bereits eine partielle Besserung der psychischen Störung eingetreten sei. Der Kläger könne auch seinen beruflichen Verpflichtungen nachkommen. Die bestehenden Behandlungsoptionen seien bei Weitem noch nicht ausgeschöpft (keine voll- oder teilstationäre psychiatrische Behandlung, keine Rehabilitation, ambulante Verhaltenstherapie nur im Umfang von wenigen Stunden). Die geltend gemachten kognitiven Störungen habe die Nervenärztin nicht bestätigen können. Es sei auch nicht erkennbar, ob bei den nur subklinischen (sehr diskreten) Auswirkungen der Hypotestosteronämie überhaupt eine Substitutionsbehandlung für notwendig erachtet worden sei. Daher sei für den Hypogonadismus mit Hypotestosteronämie weiterhin ein GdB von 20 vorzuschlagen. Der Bluthochdruck ohne Folgeerkrankungen sei mit einem GdB von 10 zu bewerten. Für die Schilddrüsenerkrankung sei kein GdB festzustellen, da unter der Substitutionsbehandlung eine euthyreote (normale) Stoffwechsellage bestehe. Die Fettstoffwechselstörung ohne Folgeerkrankungen rechtfertige keinen GdB.
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Der Kläger hat einen Laborbefund vom März 2012 (Testosteronwert vom 24. Februar 2012: 2,63) und den Entlassungsbericht der Inselklinik H. vom 9. Juli 2010 über die Behandlung vom 25. Mai bis 15. Juni 2010 vorgelegt. In H. waren folgende Diagnosen gestellt worden: Spezifische Phobien, situativer Typ mit Panikattacken, arterielle Hypertonie, Zustand nach Thyreoidektomie, Hypogonadismus mit Hypotestosteronämie, gemischte Hyperlipidämie. Weiter war im Bericht ausgeführt worden: Aufgrund der medikamentösen Behandlung könne der Kläger wieder kurze Strecken bis 100 Kilometer mit dem Auto fahren. An circa zwei Tagen in der Woche nehme er vor einer längeren Autofahrt jeweils eine halbe Tablette als Bedarfsmedikation. Er habe lange unter Schlafstörungen gelitten, seitdem ihm Mirtazapin verordnet worden sei, könne er wieder gut schlafen. Bei dem ledigen und kinderlosen Kläger bestünden gute soziale Kontakte. Hinweise auf Gedächtnis-, Wahrnehmungs-, Konzentrations-, Denk- oder Merkfähigkeitsstörungen hätten nicht bestanden. Die psychologische Testdiagnostik habe keine aktuelle depressive Symptomatik gezeigt. Zeichen einer kardiopulmonalen Dekompensation hätten nicht vorgelegen.
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Schließlich hat das SG ein Gutachten durch den Diplom-Psychologen G. vom 26. August 2012 erstatten lassen. Dieser hat eine Agoraphobie mit Panikstörung festgestellt und dafür einen GdB von 40 vorgeschlagen, weil die Teilhabe im beruflichen Bereich und im Freizeitbereich beeinträchtigt sei. Der Kläger sei beim Autofahren wesentlich eingeschränkt. Die medikamentöse Behandlung vor Benutzen des PKWs sei keine adäquate Therapie. Dadurch werde die Angst zwar reguliert und das Fahren mit dem Auto möglich, aber auch das Vermeidungsverhalten verdeckt. Außerdem sei die gesellschaftliche Teilhabe aufgrund der Angsterkrankung betroffen (z. B. Kino, Theater, soziale Kontakte). Die ebenfalls eingeschränkte Versorgung (keine großen Kaufhäuser, Meidung von Menschenansammlungen) werde teilweise kompensiert (Internet, kleine Märkte). Durch die Schlafstörungen ergäben sich als Sekundärfolgen Konzentrationsstörungen, die die Leistungsfähigkeit aber nicht wesentlich einschränkten. Insgesamt bestünden Störungen mit Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit sowie leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten. Mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten lägen nicht vor. Der Kläger habe Kompensationsmöglichkeiten und es bestehe nicht die Notwendigkeit umfassender Unterstützung oder sonstiger Integrationshilfen. Es sei zu berücksichtigen, dass eine ausreichende Psychotherapie ihm berufsbedingt durch wechselnde Arbeitsorte nicht möglich sei. Eine klinisch relevante Depression liege nicht vor.
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In Auswertung des Gutachtens hat der Beklagte auf die Stellungnahme von Frau S.-S. vom 17. Oktober 2012 hingewiesen. Danach sei ein GdB von 40 nicht gerechtfertigt. Trotz der nunmehr fünfjährigen Symptomatik sei keine intensive Behandlung erfolgt, was als indirekter Hinweis auf einen sehr geringen bis fehlenden Leidensdruck zu werten sei. Mit der Berufstätigkeit vereinbare Therapieoptionen seien nie in Anspruch genommen worden.
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Schließlich hat das SG einen Befundbericht des Dr. S. (Oberarzt der Klinik für Innere Medizin II, Krankenhaus M.-M. H.-D.) vom 15. April 2013 eingeholt, der über die erstmalige Behandlung des Klägers am 9. März 2013 wegen eines obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms mit der Notwendigkeit einer nächtlichen Überdruckbeatmung (nasale Auto-CPAP) berichtet hat. Während der Behandlung habe sich eine sehr gute Einstellung ergeben. Mit Bericht vom 8. April 2013 an die Krankenkasse des Klägers hatte Dr. S. um Übernahme der Kosten für das nCPAP-Gerät gebeten.
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In Auswertung dieses Befundes hat sich der Beklagte mit Schreiben vom 23. Mai 2013 aufgrund des Schlafapnoe-Syndroms vergleichsweise bereit erklärt, ab April 2013 einen GdB von 40 festzustellen. Dieser Angebot hat der Kläger zunächst nicht angenommen und vorgetragen: Für das Schlafapnoe-Syndrom sei ein höherer GdB als 20 festzustellen, weil er mindestens zwei- bis dreimal in der Woche das Beatmungsgerät abnehmen müsse, da er andernfalls Panikattacken erleide. Ergänzend hat Dr. S. auf die gerichtliche Nachfrage am 5. August 2013 mitgeteilt, eine Unmöglichkeit der nasalen Überdruckbeatmung sei ihm nicht bekannt. Schließlich hat der Kläger eine ärztliche Bescheinigung der praktischen Ärztin Dipl.-Med. S. vom 5. September 2013 vorgelegt, wonach er unter einem chronischen Erschöpfungszustand infolge eines Schlafapnoe-Syndroms leide. Das Tragen der Sauerstoffmaske sei wesentlich unangenehmer und schwieriger als gedacht. Er habe am Morgen Druckstellen und Rötungen im Gesicht. Es träten vermehrt Rachenbeschwerden, Mundtrockenheit, Halsschmerzen und Stimmprobleme auf. Das Gerät verstärke die bereits vorhandenen Ein- und Durchschlafstörungen. Bis zu zweimal wöchentlich leide der Kläger unter psychischen Problemen wie Angstzuständen und/oder Panikattacken, so dass er die Maske nachts nicht tragen könne. Daher sei eine kontinuierliche nasale Überdruckbeatmung bei ihm nicht jeden Tag möglich. Diese Teilunverträglichkeit aufgrund der psychischen Erkrankung führe zur Müdigkeit und Leistungsminderung am Tag und sei zu berücksichtigen.
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In der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 hat der Kläger das Teilanerkenntnis des Beklagten vom 23. Mai 2013 angenommen. Mit Urteil vom gleichen Tag hat das SG die weitergehende Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Für die Agoraphobie mit Panikstörung sei ein GdB von 30 angemessen. Hinsichtlich der leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten bestünden Kompensationsmöglichkeiten. Der Kläger pflege durchaus soziale Kontakte und gehe einer Vollzeitbeschäftigung nach. Eine psychotherapeutische Behandlung finde nicht statt. Wegen des niedrigen Testosteronspiegels sei ein GdB von 20 angemessen, weil sich aus dem Laborbefund keine Angaben zu einer dauerhaften Hormonsubstitution ergäben. Das Schlafapnoe-Syndrom sei mit einem GdB von 20 zu bewerten, da keine Unmöglichkeit einer kontinuierlichen nasalen Überdruckbeatmung vorliege. Der Kläger könne lediglich bis zu zweimal wöchentlich die Maske nicht tragen. Für den gut eingestellten Blutdruck könne kein höherer GdB als 10 angenommen werden. Die einer Substitutionsbehandlung zugängliche Schilddrüsenerkrankung bedinge bei einer normalen Stoffwechsellage keinen GdB. Gleiches gelte für die Fettstoffwechselstörung, weil Folgeerkrankungen nicht beschrieben seien. Insgesamt sei ein GdB von 40 festzustellen. Die durch das psychische Leiden bestehenden Ein- und Durchschlafstörungen könnten nicht noch einmal bei den Folgen des Schlafapnoe-Syndroms berücksichtigt werden, da sich eine Doppelbewertung verbiete.
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Gegen das ihm am 4. November 2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 7. November 2013 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt und ergänzend vorgetragen: Die Berichte von Dr. S. und Prof. Dr. M. sowie der Entlassungsbericht der Inselklinik H. bestätigten mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten. Unter Berücksichtigung der Ausführungen des Dipl.-Psychologen G. müsse mindestens ein GdB von 40 für die psychische Erkrankung angenommen werden. Im Übrigen lebe er deshalb ungewollt allein und sei kinderlos, weil er die beschriebenen Behinderungen habe. Die mangelnde Ausgleichbarkeit des Hormonhaushaltes durch Substitution sei mit einem GdB von mindestens 30 zu bewerten. Hinsichtlich des Schlafapnoe-Syndroms sei zu berücksichtigen, dass die mit der Überdruckbeatmung auftretenden Beschwerden die seelische Beeinträchtigung weiter verstärkten.
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Mit Ausführungsbescheid vom 8. November 2013 hat der Beklagte beim Kläger ab 1. April 2013 einen GdB von 40 festgestellt.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 26. September 2013 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 30. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juli 2011 sowie den Ausführungsbescheid vom 8. November 2013 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, bei ihm ab 16. Juli 2010 einen GdB von mindestens 50 festzustellen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Nach seiner Auffassung liegen auch nach den weiteren medizinischen Ermittlungen die Voraussetzungen für einen GdB von 50 nicht vor.
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Der Senat hat weitere Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers eingeholt. Dr. S. hat am 24. Juni 2014 ergänzend mitgeteilt: Der Kläger zeige insbesondere ein Vermeidungsverhalten bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, auch könne er mit dem eigenen PKW keine größere Strecken (weitere Entfernungen als nach M. oder B.) bewältigen. Er könne zwar Auswärtstermine in Kombination von Zugfahren oder Taxibenutzung wahrnehmen. An den Tagen zuvor sei er aber angespannt, leicht erregbar, schweißig und innerlich unruhig, sodass sich eine weitere Medikation von Mirtazapin erforderlich gemacht habe. Der Kläger erhalte nunmehr eine durchgehende antidepressive Medikation. Er sei hochmotiviert und besuche regelmäßig die psychotherapeutischen Konsultationen bei Dr. J. Unter der medikamentösen und psychotherapeutischen Therapie habe das Vermeidungsverhalten deutlich reduziert werden können. Dennoch sei nach wie vor eine Beeinträchtigung der Gestaltungs- und Freizeitaktivität und auch des beruflichen Alltages durch die Angststörung vorhanden. Er habe immer wieder Umstellungsprobleme, sodass selbst kleine neue Aufgaben für ihn eine Herausforderung darstellten. Er sei aber immer nur für sehr kurze Zeit arbeitsunfähig. Wenn der Arbeitsdruck sehr stark sei, könne er Bahn- oder Autofahrten neben der bestehenden angespannten Angstsituation nicht bewältigen. Mit Befundbericht vom 22. Juni 2014 hat Prof. Dr. B., Direktor des Zentrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie des Universitätsklinikums H., mitgeteilt: Bei der Untersuchung am 17. Dezember 2013 sei ein Testosteronserumspiegel von 7,1 nmol/l (Norm &8805; 12) gemessen worden. Dem Kläger sei ein Rezept über Testogel verschrieben worden. Eine weitere Vorstellung des Klägers sei nicht erfolgt. Mit Befundbericht vom 3. November 2014 hat Dipl.-Med. S. über eine im Vordergrund stehende Angst- und Panikstörung sowie über muskuläre Verspannungen im Bereich der Wirbelsäule mit Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule (HWS) bei der Rotation und endgradigen Bewegungsschmerzen berichtet.
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Am 18. Dezember 2014 hat eine nichtöffentliche Sitzung des LSG stattgefunden, in der der Kläger erklärt hat: Seit ca. einem Jahr befinde er sich in psychotherapeutischer Behandlung bei Dr. J. Er habe sich nach der Behandlung bei Prof. Dr. B. bei seiner alten Hausärztin in M. vorgestellt. Diese habe festgestellt, dass sich der Testosteronwert trotz der eingeleiteten Behandlung nicht weiter erhöht habe. Er habe auch keine Auswirkungen verspürt und sei dann der Sache nicht weiter nachgegangen. Zurzeit nehme er auch keine Testosteronsubstitution. Wenn er einen auswärtigen Termin habe, den er nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln wahrnehmen könne, melde er sich dienstunfähig. Das nehme er circa zweimal im Jahr in Anspruch. Bei Dr. S. sei er nicht noch einmal in Behandlung gewesen.
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Mit Befundbericht vom 27. Januar 2015 hat Dr. S. ergänzend mitgeteilt: Die Psychotherapie habe dazu beigetragen, dass er zwar arbeitsfähig sei, dennoch seien weitere Einschränkungen vorhanden: Er könne selbständig einen PKW nur für 100 Kilometer führen. Dabei müsse er ein- bis zweimal pausieren. Berufsbedingt fahre er ICE in einem Umkreis von 400 bis 450 Kilometer, so bis H. oder bis M. Ohne eine Medikation sei er dazu aber nicht in der Lage. Aufgrund des Hypogonadismus zeige er ein vermindertes Selbstwerterleben und eine etwas vermehrte Selbstunsicherheit. Doch sei keinesfalls aus dieser Erkrankung ein eigenständiges psychisches Krankheitsbild abzuleiten. Jedoch werde die Angststörung, da der Kläger selbstunsicher und teilweise mit Selbstzweifeln behaftet sei, hierdurch verstärkt. Zusammenfassend sei ein GdB von 40 aus psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht zu gewähren.
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23
Ergänzend hat der Kläger den Testosteronwert (4,17) vom 14. Mai 2014 (Norm 2,49 bis 8,63) übersandt und dazu vorgetragen: Die Messungen seien jeweils in den Morgenstunden erfolgt, also zu einem Zeitpunkt, zu dem der Testosteronwert bei Männern ohnehin am höchsten sei. Selbst unter Medikamenten bestehe ein sehr niedriger Testosteronwert.
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24
Schließlich hat Dr. J. mit Befundbericht vom 27. Februar 2015 mitgeteilt: Der Kläger befinde sich seit November 2012 in seiner Behandlung. Hintergrund seien berufliche Belastungssituationen mit psychophysischer Überforderung gewesen. Derzeit lägen eine ängstlich-depressive Störung von mittelgradiger Ausprägung sowie eine Panikstörung mit spezifischer Phobie vor. Der Antrieb und die Psychomotorik seien gemindert, der Schlaf aufgrund von Durchschlafstörungen schlecht. Es bestünden ausgeprägte Ängste mit vegetativen Begleitbeschwerden und starker phobischer Komponente sowie depressiv bedingte kognitive Beeinträchtigungen in allen Vorfeldfunktionen vor. Als Folge der seelischen Erkrankung sei der Kläger nur unter extremer Willensanstrengung in der Lage, seinen beruflichen Anforderungen gerecht zu werden. Er ziehe sich zurück und sei nicht in der Lage, Dinge außerhalb der beruflichen Anforderungen zu leisten. Er wirke leer und ausgebrannt.
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25
In Auswertung der Unterlagen hat der Beklagte auf eine Stellungnahme seiner ärztlichen Gutachterin S.-S. vom 25. März 2015 verwiesen. Die Prüfärztin hatte vorgeschlagen, die psychische Erkrankung unverändert mit einem GdB von 30 zu beurteilen. Trotz des nunmehr achtjährigen Krankheitsverlaufs sei eine (teil-)stationäre psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung nicht erforderlich bzw. angestrebt. Ein GdB aufgrund des Hypogonadismus mit Hypotestosteronämie sei spätestens ab Mai 2014 nicht mehr vorzuschlagen. Nach dem Laborbefund vom Mai 2014 befinde sich der Testosteronbefund im Normalbereich. Zwar habe der Kläger über eine Beendigung der Substitutionsbehandlung berichtet. Da nunmehr die grundsätzliche Behandelbarkeit des Problems bewiesen sei, könne kein GdB mehr angenommen werden.
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Der Kläger hat mit Schreiben vom 18. April 2015 ergänzend ausgeführt: Da Dr. J. die Diagnose einer depressiven Störung gestellt habe, sei hierfür auch ein GdB anzunehmen. Weiterhin sei ein GdB von 20 aufgrund des Hypogonadismus und zumindest auch für das Schlafapnoe-Syndrom zu berücksichtigen, sodass in der Gesamtschau ein GdB von 50 festzustellen sei.
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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen sind, Bezug genommen. | Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
SG Wiesbaden 1. Kammer | Hessen | 0 | 1 | 30.04.2010 | 1 | Die Beteiligten streiten über die Frage, ob der Unfall des Beigeladenen vom 20.8.2004 als Arbeitsunfall im Sinne des SGB VII zu qualifizieren ist und somit in die Zuständigkeit der Beklagten fällt.
Der 1990 geborene beigeladene Geschädigte half am 20.8.2004 auf einem Forstweg im Wald bei E-Stadt in Niedersachsen beim Brennholzlesen und -spalten. Hierbei waren auch der Vater, der Zeuge F. C., der Bruder, der Zeuge G. C., und der Onkel, der Zeuge H. H. des Beigeladenen anwesend. Die Aufgabe des Beigeladenen war es, Holzkeile unter den Holzspalter zu stellen, den sein Onkel bediente. Dieser Holzspalter war an einen Trecker angeschlossen. Gegen 17:20 Uhr geriet hierbei die rechte Hand des Beigeladenen in den herunterschnellenden Holzspalter wodurch die rechte Hand des Beigeladenen erheblich verletzt wurde. Unter anderem mussten Finger der rechten Hand teilweise amputiert werden. Der Beigeladene wurde vom Tage dieses Ereignisses bis zum 3.9.2004 stationär im Krankenhaus behandelt. Vom 21.9.2004 bis 3.12.2004 wurde der Beigeladene weiter ambulant behandelt. Es verblieb eine Funktionsbeeinträchtigung der rechten Hand. Bereits am 7.9.2004 wurde eine Unfallbeschreibung der Barmer Ersatzkasse aktenkundig. Hierbei schilderte die Mutter des Beigeladenen, Frau J. C., dass sich der Unfall in der Freizeit ereignete. Als Zeugen wurden der Onkel des Beigeladenen und der Bruder des Beigeladenen benannt. Mit Schreiben vom 20.6.2005 gab das Niedersächsische Forstamt K. an, dass der Beigeladene in keinem Beschäftigungsverhältnis zu ihm stehe und nach seinen Informationen in der fraglichen Zeit sein Brennholz als privater Selbstwerber im Wald aufgearbeitet habe. Mit Schreiben vom 29.6.2005 stellte die Rechtsvorgängerin der Beklagten fest, dass es sich nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt habe, denn ein Beschäftigungsverhältnis habe nicht bestanden. Ein Versicherungsfall in der gesetzlichen Unfallversicherung sei daher auszuschließen. Mit Schreiben vom 12.2.2007 wies die Klägerin, die Kfz-Haftpflichtversicherung des Treckers, gegenüber der Barmer Ersatzkasse, der Krankenkasse des Beigeladenen, jegliche Ersatzforderungen im Sinne von § 116 SGB X zurück. Sie argumentierte, dass weder die Klägerin noch die Barmer Ersatzkasse zuständig seien, da hier eine sogenannte „Wie-Beschäftigung“ im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII vorläge. Am 16.2.2007 erhob der Beigeladene Klage gegen den Halter des Traktors, Herrn L. L., weiter gegen seinen Onkel, der den Holzspalter bediente und gegen die Klägerin. Das Landgericht Hildesheim setzte die Klage nach § 108 Abs. 2 SGB VII bis zur Entscheidung der Sozialgerichtsbarkeit aus. Die Krankenkasse des Beigeladenen meldete das Unfallereignis der Landesunfallkasse Niedersachsen. Diese bat ihn um Auskunft bezüglich des Unfallhergangs. Der vom Beigeladenen ausgefüllte und unterschriebene Fragebogen der Landesunfallkasse wurde am 17.4.2007 aktenkundig. Hierbei gab der Beigeladene an, dass das Holzkeilen für den eigenen Bedarf erfolgt und kein anderweitiger Auftraggeber vorhanden gewesen sei. Das Brennholz sei für den Bedarf der Familie bestimmt gewesen. Eine Vergütung habe er nicht erhalten. Bis zum Eintritt des Unfallereignisses habe die Tätigkeit fünf Stunden in Anspruch genommen. Sie hätte ca. sechs einhalb Stunden dauern sollen. Auch in der Vergangenheit habe er bereits diese Tätigkeiten durchgeführt, so habe er seit dem Jahr 2003 mit Familienangehörigen mit diesem Gerät gearbeitet. Auf die Frage: „Handelt es sich insoweit um selbstverständliche gegenseitige Hilfsdienste, die sich aus den konkreten sozialen Beziehungen ergeben?“ antwortete der Beigeladene: „Ja Familie 3. Sohn“.
Mit Bescheid vom 9.11.2007 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass des Ereignisses vom 20.8.2004 ab. Es habe sich nicht um einen Arbeitsunfall im Sinne des Gesetzes gehandelt. Sie begründete ihre Entscheidung damit, dass eine versicherte Tätigkeit beim Beigeladenen nicht vorgelegen habe. Da der Beigeladene kein Beschäftigter im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII gewesen sei, komme letztlich nur eine Einstufung des Beigeladenen nach § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII in Betracht. Zunächst führe er als sogenannter Selbstwerber zwar mit Willen und Wollen des Waldbesitzers Pflege- oder Holzeinschlagstätigkeiten aus, eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB VII liege jedoch nicht vor, da keine fremdbezogene Arbeit verrichtet werde. Darüber hinaus komme eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit für den Onkel des Beigeladenen nicht in Betracht. Dieser habe ihm am Unfalltag zwar gesagt, dass er das nächste Stück Holz holen solle. Hierbei habe es sich jedoch nicht um eine wie in § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII geforderte Beauftragung gehandelt. Das Holzkeilen habe dem Haushalt der eigenen Familie gedient, da das Holz als Brennholz verwendet werden sollte. Die Arbeit am Unfalltag sei daher als eigenwirtschaftlich zu qualifizieren gewesen.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch mit Schreiben vom 26.11.2007. Am fraglichen Tag sei es die Aufgabe des Beigeladenen gewesen, Holzstücke in den Spalter zu legen, welcher vom Onkel bedient worden sei. Diese Aufgabe habe der Beigeladene auf Weisung seines Vaters verrichtet, um diesen zu unterstützen. Die Aufforderung durch den Vater sei das bestimmende Motiv für den Beigeladenen gewesen. Der Vater spalte seit mehreren Jahren regelmäßig Holz. Dies sei für den Vater daher ein Unternehmen im Sinne der Unfallversicherung. Dass das Holz für das Eigenheim gedacht gewesen sei, könne hier dahinstehen. Der Vater habe den Holzspalter regelmäßig ausgeliehen. Ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne der Unfallversicherung könne auch zwischen Verwandten begründet werden. Die Arbeit des Vaters sei durch die Hilfe des Beigeladenen erleichtert und beschleunigt worden. Auf Grund des Umfangs und der Dauer der Tätigkeit, sei diese nicht als familiär üblich anzusehen. Ein Handeln im eigenen Interesse des Beigeladenen sei hier nicht zu sehen, denn es sei dem Beigeladenen nicht um eigenen Profit gegangen, sondern es habe der Wille des Vaters im Vordergrund gestanden. Durch seine Tätigkeit in der unternehmerischen Sphäre seines Vaters, sei der Beigeladene als Beschäftigter gemäß § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII versichert. Das Legen der Holzscheite auf den Holzspalter durch den Beigeladenen habe der unternehmerischen Tätigkeit des Vaters gedient und sei von wirtschaftlichem Wert insofern gewesen, als die durchzuführende Arbeit erleichtert und beschleunigt worden sei.
Mit Schreiben vom 3.12.2007 führte die Beklagte aus, dass es dahingestellt bleiben könne, ob die Tätigkeit des Beigeladenen die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII erfülle, da er nach § 4 Abs. 4 SGB VII versicherungsfrei wäre. Anhaltspunkte, dass der Beigeladene in einem landwirtschaftlichen Haushalt im Sinne des § 124 Abs. 1 SGB VII tätig geworden sei, lägen nicht vor. Die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft Hannover habe am 29.11.2007 mitgeteilt, dass ein landwirtschaftliches Unternehmen des Vaters des Beigeladenen nicht veranlagt sei. Mit Schreiben vom 21.12.2007, 22.1.2008 und 21.2.2008 führte die Klägerin zur Begründung ihres Widerspruchs weiter aus, dass § 4 Abs. 4 SGB VII hier nicht eingreife, seien von dieser Vorschrift doch nur kleinere Tätigkeiten umfasst. Das Holzspalten der Familie zur Brennholzerzeugung sei hier von einer gewissen Professionalität geprägt gewesen, was einen Vergleich zu Haushaltstätigkeiten im Sinne von § 4 Abs. 4 SGB VII nach Art, Inhalt und Umfang nicht zuließe. Die Tätigkeit des Beigeladenen habe ausschließlich dem Interesse des Vaters gedient, der Beigeladene sei hierbei weisungsgebunden tätig geworden. Es sei hier ein Spezialwerkzeug verwendet und ein hoher Spezialisierungs- und Professionalisierungsgrad erreicht worden. Dies habe zu einem professionell ausgerichteten Betrieb des Vaters, einem Betrieb zur Brennholzerzeugung geführt.
Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.5.2008 zurück. Es habe sich bei dem Ereignis vom 20.8.2004 nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt. Der Beigeladene gehöre nicht zum Kreis der versicherten Personen nach § 2 SGB VII. Bei der Tätigkeit des Beigeladenen habe es sich um eine so genannte Gefälligkeitshandlung gehandelt. Nach der Rechtsprechung des BSG schlössen unter Verwandten vorgenommene Gefälligkeitshandlungen den Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII aus, wenn diese ihr gesamtes Gepräge durch die familiären Bindungen zwischen den Angehörigen erhielten. Die zum Unfall führende Tätigkeit sei nicht über eine bloße Gefälligkeitshandlung zwischen einem Elternteil und einem Kind hinausgegangen. Die Tatsache, dass die Arbeit am Holzspalter ihrer Natur nach gefährlich gewesen sei und einen gewissen Zeitraum umfasst habe, stehe der Annahme einer rein familiär geprägten Gefälligkeitshandlung nicht entgegen. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass zwischen dem Verletzten und seinem Vater kein intaktes Verwandtschaftsverhältnis bestanden habe. Dafür spreche auch, dass der Beigeladene mit Schreiben vom 16.4.2007 angegeben habe, dass er selbst sein Tätigwerden am Unfalltag als selbstverständlichen Hilfsdienst bewertet habe, der sich aus den konkreten sozialen Beziehungen ergeben habe. Selbst wenn ein über die verwandtschaftlich bedingte Gefälligkeitsleistung hinausgehendes Tätigwerden unterstellt würde, bestehe gemäß § 4 Abs. 4 SGB VII Versicherungsfreiheit. Anhaltspunkte dafür, dass die Tätigkeit des Verletzten am Unfalltag gegen eine echte Gegenleistung des Haushaltsführenden ausgeübt worden sei, lägen nicht vor.
Der Kläger hat am 27.5.2008 Klage vor dem Sozialgericht Hannover erhoben. Mit Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 2.7.2008 wurde der Rechtsstreit an das Sozialgericht Wiesbaden verwiesen.
Die Klägerin trägt ergänzend vor, dass die Tätigkeit des Vaters als Selbstwerber unternehmerisch gewesen sei. Der Vater habe planmäßig und regelmäßig Brennholz gewonnen. Dieser Tätigkeit habe der Beigeladene in arbeitnehmerähnlicher Weise gedient. Durch seine Hilfe sei die Tätigkeit schneller verrichtet worden, als wenn der Vater alleine gearbeitet hätte. Der Beigeladene sei den Weisungen des Vaters voll unterworfen gewesen. Es habe sich nicht um ein Gefälligkeitsverhältnis gehandelt, weil nach Art, Umfang und Dauer der Arbeit in professioneller Weise vorgegangen worden sei. Es sei in „großem Stil“ Brennholz gespalten worden. Hierzu sei ein Spalter benutzt worden, wie er nur von einem gewerblichen Betrieb genutzt werde. Eigene Interessen des Beigeladenen seien nicht verfolgt worden, denn sein Vater habe durch die Brennholzgewinnung Heizkosten eingespart. Die Heizkostenrechnungen seien vom Vater beglichen worden. Eine Versicherungsfreiheit nach § 4 Abs. 4 SGB VII liege hier nicht vor, denn das Holz habe nicht den Haushalt des Vaters sondern dessen Betrieb betroffen. Darüber hinaus sei die Vorschrift des § 4 Abs. 4 SGB VII wegen § 123 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII ausgeschlossen, denn das Holzmachen gehöre zum Bereich der Forstwirtschaft. Subjektive Aspekte seien für den Begriff der Gefälligkeit außer Acht zu lassen. Es sei das Gesamtbild der Tätigkeit zu beachten und diese gehe über die familienhafte Gefälligkeit hinaus.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 09. November 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Mai 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Unfall des Beigeladenen vom 20.08.2004 in gesetzlichem Umfang als Arbeitsunfall zu entschädigen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt ergänzend vor, dass Versicherungsschutz gemäß § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII nicht bestehe, wenn es sich bei der zum Unfall führenden Tätigkeit um Gefälligkeitsdienste handele, die ihr gesamtes Gepräge von den familiären Bindungen zwischen den Angehörigen erhalte. Hierbei seien die gesamten Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu beachten. Gerade die tatsächlichen Beziehungen zwischen dem Beigeladenen und seinem Vater sprächen hier für das Vorliegen einer sehr engen Familiengemeinschaft, die den Rahmen normalerweise zu erwartender Hilfeleistungen weit spanne. Von dem Beigeladenen seien in der Vergangenheit zahlreiche ähnliche Hilfeleistungen für den Privathaushalt der Familie erbracht worden. Es handele sich demnach um einen intakten Familienverband in einer Hausgemeinschaft. Es werde hierbei nicht verkannt, dass es sich bei der Tätigkeit um eine zeitaufwändige, grundsätzlich als gefährlich zu wertende Verrichtung handele. Allerdings führe die objektive Schwierigkeit und Dauer des Holzspaltens allein nicht dazu, dass das Tätigwerden des Beigeladenen eine über die verwandtschaftlich geprägte, übliche und zu erwartende Gefälligkeitshandlung hinausgehende Verrichtung darstelle.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Anhörung des Beigeladenen sowie Einvernahme des Vaters, des Bruder G. und des Onkels des Klägers als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 30. April 2010 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten dieses Verfahrens, sowie der Verwaltungsakten der Beklagten (1 Band), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen sind. | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 50.000,00 Euro festgesetzt. | 0 |
Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern 1. Senat | Mecklenburg-Vorpommern | 0 | 1 | 06.09.2016 | 1 | Randnummer
1
Die Beteiligten streiten über die Heranziehung zu Anschlussbeiträgen (Schmutzwasser).
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2
Der Zweckverband, dem der Beklagte vorsteht, betreibt im Ostseebad Heringsdorf die zentrale Abwasserbeseitigung durch die in seiner Beitragssatzung als öffentliche Einrichtung II bezeichnete Anlage.
Randnummer
3
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Flurstück ../.., Flur .., Gemarkung H…, welches an die Einrichtung II des Beklagten angeschlossen ist.
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4
Bereits mit Bescheid vom 25. Februar 1999 zog der Beklagte die Klägerin zu einem Anschlussbeitrag Schmutzwasser für das Grundstück Flurstück ../.., Flur .. in Höhe von umgerechnet 3.991,66 Euro heran (Rechtsgrundlage Beitragssatzung 1996). Der Bescheid wurde bestandskräftig.
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5
Mit
Bescheid vom 5. November 2009
zog der Beklagte die Klägerin unter Anrechnung der bereits geleisteten Beiträge zu Anschlussbeiträgen für das Wohnungs- und Teileigentum an die öffentliche Anlage zur Abwasserbeseitigung in Höhe von 29.889,82 Euro heran (Leistungsgebot; Rechtsgrundlage Beitragssatzung 2005).
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6
Die Klägerin legte mit Schreiben vom 11. November 2009 Widerspruch ein.
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7
Durch
Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 2011
wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
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8
Die Klägerin hat am 7. November 2011 Klage erhoben.
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9
Sie ist der Ansicht, ihre Heranziehung sei rechtswidrig.
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10
Der Bescheid sei materiell rechtswidrig. Er verstoße gegen den Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung. Der Beklagte habe die Klägerin bereits mit Beitragsbescheid vom 25. Februar 1999 zu Anschlussbeiträgen Schmutzwasser herangezogen, und dieser Bescheid sei bestandskräftig geworden. Der Beitrag sei voll ausgeschöpft worden.
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11
Der nochmaligen Veranlagung stehe darüber hinaus der Grundsatz der Verwirkung entgegen. Im Übrigen habe der Gesetzgeber erst mit der Änderung des KAG M-V im Jahr 2005 entschieden, dass die sachliche Beitragspflicht mit der ersten
wirksamen
Satzung entstehe (Änderung des
§ 9 Abs. 3 KAG M-V
), sodass nach der alten Rechtslage die Beitragspflicht bereits entstanden und damit verjährt sei. Diese gesetzliche Änderung habe echte Rückwirkung entfaltet. Auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – werde Bezug genommen. Nach Ablauf von mehr als zehn Jahren habe die Klägerin auch nicht mehr mit dem Erlass eines weiteren Beitragsbescheides rechnen müssen.
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12
Weiterhin sei die dem Beitragssatz zugrunde liegende Kalkulation fehlerhaft. Die Gemeinde Seebad Heringsdorf habe im Jahr 2011 einen Bebauungsplan Nr. 23 „Ortszentrum an der Delbrückstraße 1 in Heringsdorf" aufgestellt, nach welchem anstelle eines bisherigen Parkplatzes und eines dreigeschossigen Einkaufszentrums ein maximal 25,9 m hoher Hotelkomplex zwischen der Seestraße und der Delbrückstraße entstehen soll. Diese Planungen seien bei der Flächenermittlung nicht berücksichtigt worden. Auch im Bereich Neu-Sallenthin, Alt-Sallenthin weise die Flächenberechnung lediglich eine eingeschossige Nutzungsfläche auf. Dies sei fehlerhaft. In der Gemeinde gebe es eine Reihe zweigeschossiger Gebäude, wie beispielsweise in der Straße „An den Krebsseen" Nummer 1, 8, 16, 39 und 42. Das in Neu-Sallenthin vorhandene Hotel „Bergmühle" sei darüber hinaus dreigeschossig. Die Fortschreibung der Beitragskalkulation enthalte eine Ermittlung der Erstattung von Abwasserabgaben. Hierbei handele es sich nicht um eine Fortschreibung, da die Angaben aus den Jahren 2006 bis 2008 stammten.
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13
Die Klägerin hat beantragt,
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14
den Kanalbaubeitragsbescheid des Beklagten vom 5. November 2009 – Bescheidnummer … – in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2011 aufzuheben.
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15
Der Beklagte hat beantragt,
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16
die Klage abzuweisen.
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17
Er hat im Wesentlichen vorgetragen, dass der Nachveranlagung weder der Grundsatz der einmaligen Beitragserhebung noch Verwirkung entgegengehalten werden könne. Dies habe auch das OVG Greifswald zwischenzeitlich bestätigt. Erst mit Erlass der angefochtenen Bescheide, gestützt auf die Beitragssatzung vom 16. März 2005, habe der Beklagte seinen Beitragsanspruch voll ausgeschöpft, da die Vorgängersatzungen allesamt unwirksam gewesen seien.
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18
Keine Bedenken würden gegen die Kalkulation bestehen. Die aktuelle Fortschreibung der Kalkulation sei bis 2015 erfolgt. Da der Bebauungsplan Nr. 23 der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf bislang nicht wirksam sei, sei das Grundstück auch nur mit der tatsächlichen Bebauung mit drei Vollgeschossen bei der Flächenermittlung berücksichtigt worden.
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19
Durch Urteil vom 22. August 2013 – 3 A 291/10 – hat das Verwaltungsgericht Greifswald die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:
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Die zulässige Klage habe keinen Erfolg. Der Beitragsbescheid des Beklagten vom 5. November 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2011 sei rechtmäßig und verletzte die Klägerin nicht in ihren Rechten.
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21
Der Bescheid sei materiell rechtmäßig. Die der Beitragssatzung zugrunde liegenden Normen des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern – KAG M-V –, insbesondere
§ 9 Abs. 3 KAG M-V
, verstießen nicht gegen höherrangiges Recht. Dies gelte auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, da die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern in entscheidungserheblichen Punkten nicht mit der des Bayrischen Kommunalabgabengesetzes (BayKAG) vergleichbar sei. Eine „Verflüchtigung“ des Vorteils wie im bayrischen Landesrecht, sei im Landesrecht Mecklenburg-Vorpommern nicht möglich.
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22
Der Beitragsbescheid fände seine nach
§ 2 Abs. 1 KAG M-V
erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung – Insel Usedom – (Abwasserbeitragssatzung – ABS –) vom 18. März 2005 in der Fassung der 7. Änderungssatzung vom 20. Mai 2011. Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung beständen nicht.
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23
Die dem Beitragssatz für die Einrichtung II zugrunde liegende, in der Verbandssitzung am 16. Mai 2011 beschlossene Globalkalkulation sei nicht zu beanstanden. Der Einwand der Klägerseite, es sei rechtsfehlerhaft, dass der Beklagte die mit dem Bebauungsplan Nr. 23 erfolgten Planungen der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf bei der Flächenermittlung nicht berücksichtigt habe, verfange nicht. Zwar sei es zutreffend, dass bei der Beschlussfassung über die Kalkulation in der Verbandsversammlung am 16. Mai 2011 der Bebauungsplan Nr. 23 bereits beschlossen und bekannt gemacht worden war. Allerdings sei der Beklagte nicht verpflichtet, (zukünftige) Baulandflächen zu berücksichtigen, die auf einem unwirksamen Bebauungsplan beruhten. Dies sei vorliegend jedoch der Fall. Das OVG Greifswald habe in seiner rechtskräftigen Entscheidung vom 21. November 2012 – Az. 3 K 22/11 – den Bebauungsplan Nr. 23 für unwirksam erklärt.
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Der Einwand der Klägerin, die Einstufung der in der Ortschaft Neu-Sallenthin gelegenen Grundstücke als insgesamt eingeschossig bebaut, sei teilweise unrichtig, führe nicht zur Fehlerhaftigkeit der Kalkulation. Zwar habe der Beklagte eingeräumt, dass die in der Straße „An den Krebsseen“ Nr. 1, 8, 16 und 42 gelegenen Grundstücke zweigeschossig bebaut seien und auch das Hotel „Bergmühle“ über zwei Vollgeschosse verfüge. Dieser Fehler wirke sich jedoch wegen seiner Geringfügigkeit bei einer ermittelten Gesamtfläche von 2.290.027 m² weder auf den kalkulatorisch höchstzulässigen ermittelten Beitragssatz für die Einrichtung II von 8,29 Euro noch auf den festgesetzten Beitragssatz von 4,83 Euro wesentlich aus. Die Auswirkungen auf den Deckungsgrad seien gering und der beschlossene Beitrag von 4,83 Euro sei noch weit von dem höchstzulässigen Beitrag entfernt. Die der Verbandsversammlung unterbreitete Kalkulation sei damit nicht in einem für den Abgabensatz wesentlichen Punkt mangelhaft und auch nicht methodisch fehlerhaft, sodass die Verbandsversammlung trotz dieses Fehlers das ihr bei der Festsetzung des Abgabensatzes eingeräumte Ermessen fehlerfrei habe ausüben können. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung angeführt habe, es könne aus der fehlerhaften Flächenermittlung im Bereich der Ortschaft Neu-Sallenthin geschlossen werden, dass auch für die übrigen Gebiete der Einrichtung II die Flächen fehlerhaft ermittelt worden seien, treffe das nicht zu. Zum einen gebe es einen solchen Erfahrungssatz nicht. Zum anderen habe der Beklagte unwidersprochen ausgeführt, dass die Ortschaft Neu-Sallenthin abwasserseitig noch nicht erschlossen sei. Da insoweit die exakten Daten über das Maß der baulichen Nutzung fehlten, sei eine Schätzung auf repräsentativer Grundlage erfolgt. Demgegenüber seien 80 v. H. der im Einzugsbereich der Einrichtung II gelegenen Grundstücke tatsächlich angeschlossen, sodass insoweit auch die exakten Daten über das Maß der baulichen Nutzung vorlägen und bei der Kalkulation berücksichtigt worden seien. Im Übrigen sei es Sache der Klägerin, etwaige Satzungs- oder Rechtsanwendungsfehler hinreichend bestimmt darzulegen. Das Gericht sei nicht gehalten, von sich aus auf Fehlersuche zu gehen. Denn dies liefe auf eine auch vom verwaltungsprozessualen Untersuchungsgrundsatz (§ 86 VwGO) nicht mehr gedeckte Fehlersuche „ins Blaue“ hinaus.
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25
Nicht zu beanstanden sei die aufwandsmindernde Berücksichtigung der zurückerstatteten Beträge aus der Abwasserabgabe in der Kalkulation (als „Leistungen Dritter“). Dass der Beklagte die Verrechnung der Abwassergabe nicht fortgeschrieben habe, sei rechtsfehlerfrei. Denn eine Verrechnung der Abwasserabgabe sei in der Zukunft nicht zu erwarten, da alle in der Einrichtung II anfallenden Abwässer entweder durch Überleitung in die Kläranlage Swinemünde oder zum Zweckverband Wolgast gereinigt würden. Eine eigene Klärung des Abwassers durch den Zweckverband entfalle damit im Bereich der Einrichtung II. Daher sei auch keine Abwasserabgabe durch den Zweckverband zu entrichten; eine Verrechnungsmöglichkeit entfalle.
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26
Rechtmäßig sei auch die Nachberechnung des Beitrags, obwohl bereits mit Bescheiden vom 25. Februar 1999 für dasselbe Grundstück ein Anschlussbeitrag erhoben worden sei. Der dem Bescheid vom 25. Februar 1999 zugrunde gelegte Beitragssatz habe auf einer unwirksamen Kalkulation beruht, da die am 4. November 1996 beschlossene Beitragssatzung in § 5 ABS u. a. zwischen erstmalig und bereits an einen Mischkanal angeschlossen gewesene Grundstücke differenziert und dafür unterschiedliche Beitragssätze vorgesehen habe. Die Regelung eines sog. gespaltenen Beitragssatzes sei gleichheitswidrig und habe zur Unwirksamkeit des Beitragssatzes geführt. Der Beklagte sei daher gehalten gewesen, eine dem nunmehr festgesetzten Beitragssatz für die Einrichtung II von 4,83 Euro entsprechende Nachforderung zu erheben. Auf die Frage, wer den Veranlagungsfehler 1999 verschuldet habe, komme es für die Rechtmäßigkeit der Nacherhebung nicht an.
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27
Der Nachveranlagung des Beitrages stehe auch der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung nicht entgegen. Dieser sei dann nicht verletzt, wenn der bereits gezahlte Betrag – wie hier – auf die Beitragsschuld angerechnet werde. Gleiches gelte für die Bestandskraft des früheren Beitragsbescheides und die Regelungen der §§ 170 ff. Abgabenordnung – AO –.
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28
Der Beitragsanspruch sei nicht durch Festsetzungsverjährung erloschen. Gemäß
§ 12 Abs. 2 KAG M-V
betrage die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und Steuern vier Jahre. Nach § 170 Abs. 1 AO i.V.m.
§ 12 Abs. 1 KAG M-V
beginne die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden sei. Obwohl das Grundstück bereits seit Längerem an die Anlage angeschlossen worden sei, sei die sachliche Beitragspflicht erst im Kalenderjahr 2011 entstanden, sodass die vierjährige Festsetzungsfrist am 31. Dezember 2011 anlaufe und frühestens am 31. Dezember 2015 ablaufe.
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29
Gemäß
§ 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V
entstehe die Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden könne, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Gemeint gewesen sei auch nach
§ 8 Abs. 7 Satz 2 KAG
a. F. eine wirksame (gültige) Satzung, denn auf Grundlage einer unwirksamen Satzung könnten Beitragspflichten von vornherein nicht entstehen. Der Einwand der Klägerin, der Gesetzgeber habe erst mit Änderung des KAG M-V im Jahr 2005 entschieden, dass die sachliche Beitragspflicht erst mit der ersten wirksamen Satzung entstehe, verfange damit nicht.
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30
Gleiches gelte für ihren Einwand, der Lauf der Festsetzungsfrist sei bereits durch den tatsächlichen Anschluss ausgelöst worden, da
§ 8 Abs. 7 Satz 2 KAG
a. F. im Lichte der eingangs erwähnten Rechtsprechung des BVerfG im strengen Wortsinne auszulegen sei, denn die Erwägungen des BVerfG seien auf die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern nicht übertragbar.
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In dem Anknüpfen der Verjährungsfrist an den Erlass der ersten wirksamen Beitragssatzung liege schließlich auch keine im Regelfall nach Art. 20 Abs. 3 GG unzulässige (echte) Rückwirkung, sondern lediglich eine sogenannte tatbestandliche Rückanknüpfung (unechte Rückwirkung), die allgemein zulässig sei. Der Gesetzgeber regele keinen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt mit Wirkung für die Vergangenheit neu, sondern nehme einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt zum Anlass, daran Rechtsfolgen für die Zukunft – die Beitragspflicht – zu knüpfen.
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Das Gericht gehe davon aus, dass die ABS vom 18. März 2005 in Gestalt der 7. Änderungssatzung vom 20. März 2011 die erste wirksame Beitragssatzung des Zweckverbandes ist und die sachliche Beitragspflicht daher frühestens auf Grundlage dieser Satzung entstehen konnte. Frühere Beitragssatzungen des Zweckverbandes aus den Jahren 1996, 2001 und 2004 seien unwirksam gewesen.
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33
Die am 4. November 1996 beschlossene erste Beitragssatzung wies unterschiedliche Beitragssätze für sogenannte altangeschlossene und neuangeschlossene Grundstücke auf und habe daher gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Der Beitragssatzung vom 22. November 2001 habe es an einer widerspruchsfreien Abgrenzung zwischen öffentlicher Einrichtung und Grundstücksanschlüssen gefehlt, was auch durch die Abwasseranschluss- und Beseitigungssatzung – AAS – vom 9. Oktober 2002 nicht geändert worden sei. Der ABS vom 16. April 2004 habe es an wirksam beschlossenen Beitragssätzen gefehlt. Die ABS vom 18. März 2005 habe nicht den nach
§ 2 Abs. 1 KAG M-V
erforderlichen Mindestinhalt aufgewiesen, da die Maßstabsregelung unvollständig gewesen sei.
Randnummer
34
Die Klägerin hat am 11. Oktober 2013 die Zulassung der Berufung beantragt. Durch Beschluss vom 17. September 2015 hat der Senat die Berufung zugelassen.
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35
Zur Begründung ihrer Berufung verweist die Klägerin ergänzend auf die Beschlüsse des BVerfG vom 12. November 2015 und auf die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts – BVerwG – vom 15. April 2015. Danach sei eine Beitragserhebung in Mecklenburg-Vorpommern nur bis zum 31. Dezember 2008 zulässig gewesen (
§ 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V
a. F.). Die Beiträge seien somit verjährt. Zudem sei auch die Beitragskalkulation fehlerhaft.
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36
Auch das Erste Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016, mit dem die Verjährungsregelung des
§ 12 Abs. 2 KAG M-V
geändert worden sei, habe die Beitragserhebung nicht nachträglich rechtlich zulässig gemacht. Das BVerfG habe im Beschluss vom 5. März 2013 (Orientierungssatz 3 und Rn. 49 ff.) dem Bayerischen Landesgesetzgeber eine Frist bis zum 31. März 2014 eingeräumt, eine gesetzlich zulässige Regelung zur Bestimmung der Verjährungsfrist zu schaffen. Wegen der Bindungswirkung des § 31 Bundesverfassungsgerichtsgesetz – BVerfGG – gelte diese Frist auch für den Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern, der diese Frist habe verstreichen lassen, sodass die gesetzliche Änderung von 14. Juli 2016 die Beitragserhebung nicht mehr habe heilen können.
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37
Die Klägerin beantragt,
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38
die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 22. August 2013 abzuändern und den Kanalbaubeitragsbescheid des Beklagten vom 5. November 2009 – … – in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2011 aufzuheben und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
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39
Der Beklagte beantragt,
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40
die Berufung zurückzuweisen.
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41
Er tritt der Berufung entgegen.
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42
Am 14. Juli 2016 hat der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern das Erste Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes erlassen und dort unter anderem eine neue Verjährungsregelung eingefügt. Das Gesetz ist im GVOBl. M-V 2016 S. 584, Heft Nr. 15 vom 29. Juli 2016, veröffentlicht und nach Art. 2 am Tag nach seiner Verkündung in Kraft getreten.
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43
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. | Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 22. August 2013 – 3 A 1130/11 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Thüringer Oberverwaltungsgericht 3. Senat | Thüringen | 1 | 1 | 26.04.2016 | 0 | Randnummer
1
Mit der Berufung begehrt der Beklagte unter Abänderung des stattgebenden erstinstanzlichen Urteils die Abweisung der Klage auf Zahlung weiterer 23.655,00 € aus der vom Land an ihn für das Jahr 2011 gezahlten Pauschale für die Fachberatung von Kindertageseinrichtungen.
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2
Die Klägerin ist eine anerkannte Trägerin der freien Jugendhilfe. Sie betreibt im Gebiet des beklagten Landkreises 20 in den Bedarfsplan aufgenommene Kindertageseinrichtungen und bietet diesen sowie den beschäftigten Mitarbeitern auf Grundlage eines eigenen Konzepts seit 1995 eine Fachberatung an.
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3
Auf Grundlage einer am 1. August 2010 in Kraft getretenen Neuregelung des Thüringer Kindertageseinrichtungsgesetzes (ThürKitaG, GVBl. 2010, S. 105) gewährte das Land dem Beklagten eine Gesamtpauschale in Höhe von 182.600,00 € für Fachberatung nach
§ 15a ThürKitaG
.
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4
Am 15. November 2010 beschloss der Jugendhilfeausschuss des Beklagten, dass er weiterhin alle Fachberatungsaufgaben nach
§ 15a ThürKitaG
wahrnimmt. Ferner beschloss der Ausschuss am 6. Juni 2011, den freien und kommunalen Kindergartenträgern des Kreisgebietes eine einmalige monetäre Zuwendung für die Umsetzung von Fortbildungsangeboten in Höhe von 15,00 € pro Kind in Kindertageseinrichtungen und Tagespflege aus der Landespauschale nach
§ 19 Abs. 7 ThürKitaG
zu zahlen. Mit Bescheid vom 16. Juni 2011 erließ der Beklagte daraufhin einen Zuwendungsbescheid an die Klägerin über einen Betrag von 23.655,00 €, der sich aus der Zahl der nach dem Bedarfsplan in Einrichtungen der Klägerin betreuten Kinder von 1577 multipliziert mit einem Pauschalbetrag von 15,00 € ergab.
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5
Mit Schreiben vom 30. Juni 2011 erhob die Klägerin Widerspruch. Nachdem die Beteiligten zunächst die Frage der Zweckbindung der Mittel bezogen auf Personalkosten für die Fachberatung erörtert hatten, wandte die Klägerin mit Schreiben vom 13. Oktober 2011 ein, dass ihr aus
§ 19 Abs. 7 ThürKitaG
ein Anspruch auf Weiterleitung der vollen Pauschale in Höhe von 30,00 € pro Kind zustehe. In einem Gespräch am 20. Oktober 2011 verständigten sich die Beteiligten laut einem angefertigten Protokoll darüber, dass die Zuwendung der Erfüllung der Fachberatungsaufgaben nach
§ 4 Abs. 4 der Thüringer Kindestageseinrichtungsverordnung (ThürKitaVO)
diene. Entgegen einer Ankündigung nahm die Klägerin in der Folge ihren Widerspruch nicht zurück.
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6
Das Landesverwaltungsamt wies den Widerspruch mit Bescheid vom 26. April 2012 zurück und ordnete zugleich die sofortige Vollziehbarkeit des Ausgangsbescheides an. Ein Anspruch auf Auszahlung der Landespauschale in Höhe von 30,00 € bestehe nicht. Die Mittelbewilligung beruhe auf den einschlägigen Beschlüssen des Jugendhilfeausschusses des Beklagten, die nicht angefochten worden seien. Der Zuwendungsbescheid sei für sofort vollziehbar zu erklären, um die Mittel in bewilligter Höhe auszahlen zu können.
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7
Am 23. Mai 2012 hat die Klägerin Klage erhoben. Die Klägerin bezeichnete ursprünglich den Freistaat Thüringen als Klagegegner. Das Verwaltungsgericht hat mit Verfügung vom 7. Juni 2012 das Passivrubrum geändert und den Beklagten aufgenommen.
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8
Zur Klagebegründung hat die Klägerin im Wesentlichen vorgetragen, dass sich ihr Anspruch auf Auszahlung der vollen Pauschale von 30,00 € aus den
§§ 19
Abs. 7,
15a Abs. 2
,
5 Abs. 2 ThürKitaG
ergebe. Der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe habe bedarfsgerechte Fachberatung anzubieten. Diese Aufgabe könne auf freie Träger von Kindertageseinrichtungen übertragen werden, wobei sich der Gesetzgeber dafür entschieden habe, der Fachberatung durch freie Träger den Vorrang einzuräumen. Sie - die Klägerin - nehme die Fachberatungsaufgaben in ihren eigenen Einrichtungen seit vielen Jahren selbst wahr. Fachberatungsaufgaben in ihrem Bereich leiste der Beklagte nicht. Deshalb müsse ihr auch der volle Betrag der Pauschale zufließen. Die vom Beklagten vorgenommene Reduzierung auf die Hälfte finde im Gesetz keine Stütze.
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9
Die Klägerin hat beantragt,
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10
den Beklagten unter Abänderung des Zuwendungsbescheides vom 16. Juni 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2012 zu verpflichten, ihr weitere 23.655,00 € zu bewilligen und auszuzahlen.
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11
Der Beklagte hat beantragt,
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12
die Klage abzuweisen.
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13
Die Klage sei bereits verfristet, da sie gegen den Freistaat als falschen Beklagten gerichtet gewesen und erst am 4. Juni 2012 umgestellt worden sei. Er - der Beklagte - biete als örtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe bereits bedarfsgerechte Fachberatung an. Dies folge schon aufgrund seiner Gesamtverantwortung für diese Aufgaben gemäß §§ 79, 80 SGB VIII,
§ 15a Abs. 2 ThürKitaG
,
§ 4 Abs. 2 ThürKitaVO
. Darauf beruhten auch die vom Jugendhilfeausschuss gefassten Beschlüsse als Grundlage des streitgegenständlichen Zuwendungsbescheides. Die Zuwendungsentscheidung erschöpfe sich im Vollzug dieser Beschlüsse. Der klageweise geltend gemachte Anspruch sei nicht mit dem Gegenstand des Widerspruchsverfahrens identisch, weshalb es ihr am Rechtsschutzbedürfnis fehle. Auch werde bestritten, dass die Klägerin die gebotene Fachberatung nach den in
§ 4 Abs. 4 ThürKitaVO
vorgegebenen Maßgaben durchführe.
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14
Mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 16. Dezember 2013 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass zunächst die Klage als Verpflichtungsklage statthaft sei. Der angefochtene Bescheid sei zudem insoweit rechtswidrig, als er nur die Hälfte des Pauschalbetrages von 30,00 € zuwende. Der Anspruch auf den vollen Pauschalbetrag folge aus
§§ 19
Abs. 7,
15a Abs. 2
,
5 Abs. 2 ThürKitaG
in Verbindung mit § 4 Abs. 2 SGB VIII. Der im Gesetz festgelegte Vorrang der freien Träger bedeute, dass von der vorgesehenen Rechtsfolge der Übertragung der Fachberatungsaufgabe auf freie Träger lediglich im Ausnahmefall abgewichen werden dürfe. Die Klägerin sei auf Grund ihrer Größe auch in der Lage, eine entsprechende Fachberatung anzubieten. Es sei ferner nicht ersichtlich, dass der Beklagte seinen Fachberatungsaufgaben nicht mehr hinreichend nachkommen könne, da er weiterhin den größten Teil der Landespauschale nach
§ 19 Abs. 7 ThürKitaG
vereinnahme. Der öffentliche Jugendhilfeträger habe sein Beratungsangebot und die Finanzausstattung entsprechend anzupassen.
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15
Gegen dieses ihm am 20. Januar 2014 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 5. Februar 2014 beim Verwaltungsgericht Gera einen am 17. März 2014 begründeten Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, dem der Senat mit dem Beklagten am 10. November 2014 zugestellten Beschluss vom 21. Oktober 2014 (3 ZKO 99/14) wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtsache entsprochen hat.
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16
Mit am 10. Dezember 2014 eingegangenem Schriftsatz begründet der Beklagte die Berufung.
§ 19 Abs. 7 ThürKitaG
enthalte keine eigene Anspruchsgrundlage, sondern lediglich eine Weiterleitungsverpflichtung für den Fall, dass die Fachberatung übertragen wurde. Es fehle bereits an einer Übertragung der Fachberatung auf die Klägerin; eine schriftliche Erklärung dazu gebe es nicht. Eine Duldung reiche nicht aus. Die Behauptung der Klägerin, sie führe Fachberatung in hoher Qualität durch, werde bestritten. Die Fachberatung sei eine komplexe Aufgabe und setze einen fachlichen Ansatz voraus, der der Aufgabenübertragung Grenzen setze. Die Klägerin erbringe nur Teilleistungen. Die Leistungsbeschreibung der Klägerin stelle lediglich eine hausinterne Zielvorgabe dar. Auch aus dem in § 4 Abs. 2 SGB VIII festgelegten Vorrangprinzip könne die Klägerin nichts für sich herleiten. Es begründe keinen unbedingten Vorrang freier Träger; vielmehr solle eine koordinierte Zusammenarbeit sichergestellt werden. Der Partnerschaft öffentlicher und freier Träger entspreche es, dass auch der freie Träger, der sich auf das Zusammenwirken mit dem öffentlichen Träger eingelassen habe, davon absehe, eigene Dienste zu schaffen, wenn der spezielle Bedarf durch andere freie Träger und den öffentlichen Träger bereits abgedeckt werde. Eine Separation von Fachberatung führe zur Zersplitterung und wirke der Etablierung von kommunalen Erziehungs- und Bildungslandschaften entgegen. Die Feststellung der Eignung obliege dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Das Nebeneinander von Fachberatung öffentlicher und freier Träger zeige, warum der Gesetzgeber das Wort „entsprechend“ aufgenommen habe. Es verbleibe ein aus der Gesamtverantwortung des öffentlichen Trägers folgender Teilbereich der Fachberatungsaufgaben, wie Bedarfsplanung, Zuarbeit zum Ministerium, Beratung von Kommunen, sowie weitere Netzwerkarbeit mit den Kommunen, der nicht auf die freien Träger übertragen werden könne. Deshalb könnte den freien Trägern keinesfalls die gesamte Summe von 30,00 € pro Kind zur Verfügung stehen. Wie die Gesamtverantwortung wahrgenommen werde, unterliege der Entscheidung der öffentlichen Träger nach freiem Ermessen. Ein Automatismus der Aufgabenübertragung sei dem System fremd. Letztlich werde die Anzahl der als berücksichtigungsfähig mitgeteilten Kinder von 1.577 bestritten.
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17
Der Beklagte beantragt,
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18
unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts Gera vom 16. Dezember 2013 die Klage abzuweisen.
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19
Die Klägerin beantragt,
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20
die Berufung zurückzuweisen.
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21
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und ergänzt, dass sie seit vielen Jahren Fachberatung in den von ihr betriebenen Kindergärten durchführe und dafür durchschnittlich 120.000,00 € pro Jahr aufwende. Die Fachberatung sei hochwertig und nie beanstandet worden; ihre Grundsätze ergäben sich aus der vorgelegten Leistungsbeschreibung. Der Beklagte führe seine Fachberatung grundsätzlich bei den Trägern durch, die über keine eigene Fachberatung verfügten. Der Gesetzgeber habe für die Übertragung keine Form vorgeschrieben. Werde die Fachberatung schon seit Jahren durchgeführt, bedürfe es keiner formellen Übertragung mehr. Es gebe keine Zersplitterung; die Fachberatungen ergänzten sich sinnvoll.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die hinzugezogenen Behördenakten des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. | Auf die Berufung des Beklagten wird das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. Dezember 2013 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Gera wie folgt geändert:
Der Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung seines Bescheides vom 16. Juni 2011 und unter vollständiger Aufhebung des Widerspruchsbescheides des Landesverwaltungsamtes vom 26. April 2012 verurteilt, an die Klägerin 18.825 € zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu 4/5, die Klägerin zu 1/5.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht zuvor der jeweilige Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 0 | 1
Zwischen den Beteiligten steht die Anerkennung eines Arbeitsunfalles im Streit.
2
Der am ... 1952 geborene Kläger ist Diplomingenieur mit einem eigenen Unternehmen für Computer- und Sicherheitstechnik und bei der Beklagten freiwillig unfallversichert (Akten-Id: 3/Seite 1 von 1 der Verwaltungsakte, im Folgenden VA). Am 14.01.2017 befand er sich auf dem Heimweg von seiner Firma im A. 14 in O. zu seiner Wohnadresse H. 14 in O. Als er dabei die Straße H. bergabwärts Richtung seines Wohngrundstücks befuhr, fiel ihm ein Radfahrer auf, der über die ganze Breite der Straße hin und her schwankte. Kurz vor seiner Hofeinfahrt sah er, dass seine Schwester mit ihrem Pkw gerade los- und aus der Hofeinfahrt herausfuhr. Weil der Kläger rückwärts in die Hofeinfahrt einparken wollte und dazu zunächst an der Hofeinfahrt bergabwärts vorbeifahren musste, hielt er an. Seine Schwester, die die Gefällstrecke in Fahrtrichtung des Klägers hinabfahren wollte, musste dann ihrerseits wegen des Radfahrers anhalten, weil dieser sich - in entgegenkommender Richtung - mitten auf der Fahrbahn vor ihr befand. Der Kläger konnte seine Fahrt in die Hofeinfahrt erst fortsetzen, nachdem seine Schwester um den Radfahrer herumgefahren war. Nachdem der Kläger schließlich seinen Pkw in der Hofeinfahrt geparkt hatte und im Begriff war, diesen zu verlassen, befand sich der Radfahrer gerade auf Höhe der klägerischen Hofeinfahrt. Der Kläger sprach ihn an und bat ihn, nicht mittig auf der Fahrbahn zu fahren und andere Verkehrsteilnehmer zu blockieren. Daraufhin warf der Radfahrer sein Fahrrad unvermittelt zu Boden und kam auf den Kläger zu. Dieser brach seinen Aussteigevorgang sogleich ab, zog die Autotür wieder zu und wartete, bis sich der Radfahrer nach mehrmaligen Klopfen auf das Autodach wieder umgedreht und in Richtung Straße gegangen war. Der Kläger wähnte sich in Sicherheit und stieg aus seinem Pkw aus. Als er den Wagen abschließen wollte, stand der Radfahrer wieder hinter ihm, packte ihn an den Schultern und stieß ihn mehrmals in Richtung Fahrertür. Zu Schlägen und Verletzungen kam es hierbei (noch) nicht (Bl. 26 LSG-Akte). Nachdem der Radfahrer vom Kläger abgelassen hatte und wieder Richtung Straße gegangen war, setzte der Kläger seinen Weg ins Haus fort. Nachdem er die Haustür aufgeschlossen, in den Hausflur getreten und diese fast von innen wieder verschlossen hatte, drückte der Radfahrer mit Gewalt die Haustür wieder auf und schlug mit den Fäusten sowie mit einem Besenstiel auf Gesicht und Körper des Klägers ein (Akten-Id 1/Seite 1 von 12 VA). Der Kläger stürzte daraufhin im Hausflur zu Boden. Der Radfahrer ließ schließlich vom Kläger ab und entfernte sich. Durch den Sturz und die Schläge erlitt der Kläger einen Quadrizepssehnenriss links, eine Nasenbeinfraktur, eine Prellung am linken Oberarm innenseitig sowie eine Schädelprellung mit Brillenhämatom (Akten-Id 1/Seite 11 von 12 VA).
3
Mit Bescheid vom 23.06.2017 entschied die Beklagte, dass ein Arbeitsunfall nicht vorliege und Ansprüche auf Leistungen nicht bestünden, da kein sachlicher Zusammenhang zwischen dem Streit und der betrieblichen und somit versicherten Tätigkeit vorliege. Den erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, dass das Ansprechen des Radfahrers die Handlungstendenz gehabt habe, den Weg nach Hause fortzusetzen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) liege auch bei einem Streit über das Verkehrsverhalten eine versicherte Tätigkeit vor, weshalb die Beklagte einen Arbeitsunfall anzuerkennen habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 09.04.2018 wies die Beklagte den erhobenen Widerspruch zurück und begründete dies erneut damit, dass kein sachlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und der betrieblichen Tätigkeit bestehe, da sich der Kläger die Verletzungen bei einem tätlichen Angriff zugezogen habe, dem ein Streit über das Verhalten des Angreifers vorausgegangen sei. Der Streit habe sich aus einem vom allgemeinen Wegerisiko abgrenzbaren neuen Gefahrenbereich aus privaten Gründen entwickelt.
4
Die hiergegen am 18.04.2018 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage ist mit Urteil vom 14.02.2019 und der Begründung abgewiesen worden, dass es an der erforderlichen Unfallkausalität zwischen der betrieblichen Tätigkeit des Klägers und dem Überfall fehle. Zwar sei das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) der versicherten Tätigkeit gleichgesetzt. Der Angriff eines Dritten auf dem versicherten Wege setze allerdings neben dem Zurücklegen des Weges eine (weitere) Ursache für den Eintritt eines Unfalls voraus. Die Unfallkausalität des Angriffs sei ausgeschlossen, wenn der Angriff des Dritten die wesentliche Ursache für die spätere Einwirkung sei und die Motive des Klägers im privaten Bereich lägen. Ausnahmen seien in der Rechtsprechung bislang nur in den Fällen angenommen worden, in denen besondere Verhältnisse bei der versicherten Tätigkeit bzw. des versicherten Weges (z.B. Dunkelheit) den Überfall erst ermöglicht oder wesentlich begünstigt hätten oder die Auseinandersetzung ihren Ursprung unmittelbar in den mit der Zurücklegung des Weges zusammenhängenden Umständen gehabt habe. Vorliegend habe der Angreifer jedoch aus Wut auf Grund der Zurechtweisung des Klägers gehandelt, der sein Verkehrsverhalten getadelt habe. Somit sei der Angriff des Radfahrers aus rein privaten Gründen motiviert gewesen. Es seien auch keine besonderen Verhältnisse des Heimweges ersichtlich, die den Überfall begünstigt hätten. Überdies habe der körperliche Angriff seinen Ursprung auch nicht unmittelbar in den mit der Zurücklegung des Weges zusammenhängenden Umständen. Dem Angriff sei eine verbale Äußerung des Klägers vorausgegangen, der den Radfahrer darauf hingewiesen habe, nicht mittig auf der Straße zu fahren. Das Verhalten des Radfahrers habe jedoch nicht zu einer unmittelbaren Behinderung des Klägers bei der Durchführung seines Heimweges geführt. Vielmehr sei die Schwester des Klägers durch das Verhalten des Radfahrers an der Fortsetzung ihrer Weiterfahrt gehindert worden.
5
Gegen das ihm am 28.02.2019 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13.03.2019 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und diese damit begründet, dass maßgeblich für die Beurteilung, ob eine Tätigkeit oder Verrichtung auf dem Arbeitsweg versichert sei, die Handlungstendenz des Versicherten sei. Diese sei vorliegend in der Zurücklegung des Nachhauseweges zu sehen. Der Kläger sei durch den Radfahrer und das damit zusammenhängende Abwarten, bis seine Schwester ihrerseits den Weg fortsetzen konnte, ebenso wie seine Schwester am Fortsetzen des Weges gehindert worden. Der körperliche Angriff habe daher seinen Ursprung unmittelbar in den mit der Zurücklegung des Weges zusammenhängenden Umständen gehabt.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14.02.2019 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.04.2018 zu verurteilen, das Ereignis vom 14.01.2017 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
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Sie führt aus, dass der Kläger sein Kfz bereits in der Hofeinfahrt abgestellt gehabt habe, als es zum Streit mit dem Radfahrer gekommen sei. Zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger bereits nicht mehr am aktiven Verkehrsgeschehen bei Zurücklegung seiner Heimfahrt teilgenommen. Sie sei daher zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger bereits zu Hause angekommen gewesen sei. Das SG habe die Unmittelbarkeit zu Recht verneint, da die vom Radfahrer verursachte geringe zeitliche Verzögerung bei der Zurücklegung des Weges bei den heutigen Verkehrsverhältnissen normal sei.
11
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
12
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen. | Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14.02.2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. | 0 |
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Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 7. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 06.06.2018 | 0 | Randnummer
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Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin.
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Die 1984 geborene Klägerin absolvierte ab dem 1. August 2001 bei der Beklagten eine Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten, die sie erfolgreich mit der Abschlussprüfung „Verwaltungsangestellte/r“ als so genannte „Erste Prüfung“ abschloss. Daran anschließend wurde die Klägerin ab dem 30. Juni 2004 aufgrund eines Arbeitsvertrags vom 17. Juni 2004 zunächst befristet und ab dem 30. Dezember 2004 auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags vom 9. Dezember 2004 unbefristet als Verwaltungsangestellte, zunächst im Verkehrsüberwachungsamt, beschäftigt.
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3
Auf das Arbeitsverhältnis fand zunächst der BAT, ab dem 1. Oktober 2005 finden der TVöD sowie diesen ergänzende und ersetzende Tarifverträge Anwendung, insbesondere auch der Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-VKA) vom 13. September 2005.
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4
Am 9. Februar 2005 wurde der Klägerin eine Stelle in der Ausländerabteilung beim Bürgeramt (EU-Schalter) übertragen. Zum 1. Juni 2005 wurde sie von der Vergütungsgruppe VII in die Vergütungsgruppe VIb BAT höhergruppiert.
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5
Nach Inkrafttreten des TVöD am 1. Oktober 2005 wurde die Klägerin in die Entgeltgruppe 6 übergeleitet.
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6
Mit Schreiben vom 19. Januar 2006 beantragte die Klägerin ihre rückwirkende Höhergruppierung in die Entgeltgruppe 8 TVöD zum 1. Juni 2005 (Kopie Bl. 40 d. A.).
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7
Mit einem an das Amt für Steuerung und Personal gerichteten Schreiben des Amtsleiters des Bürgeramtes Z. vom 3. Februar 2006 (Bl. 41 d. A.) bestätigte dieser, dass die Klägerin "
seit 01.06.2005 in der Abteilung Ausländerangelegenheiten als Sachbearbeiterin mit folgenden Tätigkeiten eingesetzt ist:
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8
-
Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltstiteln nach dem Aufenthaltsgesetz
-
Erteilung und Verlängerung von Arbeitserlaubnissen
-
Bearbeitung von Visa-Anträgen
-
Verpflichtungen zum Integrationskurs
-
Schriftverkehr mit Anwälten und anderen Behörden
-
Anhörungen nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz
-
Pflege der Daten im Ausländerzentralregister
-
Anmeldungen von ausländischen Staatsangehörigen aus dem Ausland
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9
Diese Tätigkeit ist nach BAT Vc mit Bewährungsaufstieg nach BAT Vc (neu: 8 TVöD) bewertet.
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10
Wir befürworten, dass Frau X. ab dem 01.02.2006 der entsprechende Unterschiedsbetrag gewährt wird.
"
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11
Ab dem 1. Februar 2006 wurde die Klägerin in die Entgeltgruppe 8 TVöD höhergruppiert (vgl. Schreiben der Beklagten vom 22. Juni 2007, Bl. 42 d. A.).
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12
Mit Schreiben vom 14. November 2014 (Bl. 5 d. A.) beantragte die Klägerin ihre rückwirkende Höhergruppierung bzw. die Feststellung eines neuen Vergleichsentgelts. Die Beklagte lehnte eine Höhergruppierung der Klägerin ab.
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13
Der Klägerin ist seit dem 1. Dezember 2014, zuletzt aufgrund ihres Antrags im Schreiben vom 9. März 2018 bis 14. Januar 2019 Elternzeit bewilligt.
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14
Mit am 4. Oktober 2016 beim Arbeitsgericht eingegangener Klageschrift vom 28. September 2016 verfolgt die Klägerin ihr Begehren nach Höhergruppierung weiter.
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Die Klägerin hat vorgetragen,
sie beanspruche eine Höhergruppierung in die heutige Entgeltgruppe 9 TVöD im Rahmen der Tarifeinigung aus dem Jahr 2013 mit Bezug auf den bestandsgeschützten Bewährungsaufstieg, der bei Fortbestehen des BAT von Vergütungsgruppe Vc BAT in Vergütungsgruppe Vb BAT im Jahr 2008 erfolgt wäre. Hätte die Beklagte die damals durch sie beantragte Höhergruppierung in die Entgeltgruppe 8 TVöD rückwirkend zum 1. Juni 2005 vorgenommen, hätte sie auch in ihrem Antrag im Jahr 2014 keine Voraussetzungen dartun und beweisen müssen, dass ihre Tätigkeiten die Voraussetzungen der Entgeltgruppe 9 TVöD erfüllten. Auch seien ihr bereits vor dem Inkrafttreten des TVöD am 1. Oktober 2005 Tätigkeiten zugewiesen gewesen, die der Vergütungsgruppe Vc mit dreijährigem Bewährungsaufstieg nach Vergütungsgruppe Vb BAT entsprochen hätten. Dies ergebe sich aus dem Schreiben des Amtsleiters Z. vom 3. Februar 2006, in dem festgestellt sei, dass ihre Tätigkeit nach BAT Vc mit Bewährungsaufstieg nach Vb BAT zu bewerten gewesen sei.
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Ihre Aufgaben seien die Bearbeitung und überwiegend eigenverantwortliche Entscheidung von Anträgen auf Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltstiteln und Arbeitserlaubnissen nach dem Aufenthaltsgesetz, die Beratung der Antragsteller/-innen in ausländischen Angelegenheiten hinsichtlich Gesetzen und Verwaltungsvorschriften im Sinne einer gelebten Willkommenskultur, Verpflichtungen zum Integrationskurs, die Pflege der Daten in den elektronischen Programmen ADVIS und AZR, die Organisation von Terminvereinbarungen z. B. mittels Anschreiben, per E-Mail und zukünftig im Online-Verfahren, die Bearbeitung von Visa-Angelegenheiten, Anhörungen nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz sowie die schriftliche Korrespondenz zum Beispiel mit Anwälten, deutschen Auslandsvertretungen, Polizeibehörden und sonstigen Institutionen.
Randnummer
17
Sie verweise auf den Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Zeugin W. habe die gleiche Arbeit verrichtet und sei vor dem 1. Oktober 2005 in die Vergütungsgruppe Vc eingestuft gewesen und sodann nach der Entgeltgruppe 9 TVöD behandelt worden.
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Im Übrigen habe die Beklagte aktuell die Sachbearbeiterstellen im Ausländeramt auf Antrag von mehreren Beschäftigten neu bewertet. Deren Ergebnis sei nach ihrer Kenntnis, dass die Tätigkeiten in ihrer Wertigkeit nach der neuen Entgelt-ordnung (gültig seit dem 1. Januar 2017) sogar der Entgeltgruppe 9c TVöD entsprächen. Die für die Neubewertung angefertigten Arbeitsplatzbeschreibungen aus dem Jahr 2016 (Bl. 43 ff. d. A.) beinhalteten detaillierte Beschreibungen der Tätigkeiten. Diese und der darin dargelegte Umfang träfen exakt auf die Tätigkeiten zu, die ihr bereits seit dem 1. Juni 2005 übertragen gewesen seien. Zumindest seien die beschriebenen Kernaufgaben sämtlich weiterhin vorhanden und von ihr zu bewältigen.
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Der Einwand der Verwirkung der Ansprüche gehe ins Leere, da es Sache des Dienstherren sei, im Rahmen seiner Fürsorgepflicht die Fragen der tariflichen Eingruppierung seiner Mitarbeiter ständig im Auge zu behalten.
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20
Die Klägerin hat
erstinstanzlich
beantragt,
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festzustellen, dass die beklagte Stadt verpflichtet ist, sie für die Zeit ab dem 1. Dezember 2014 nach der Vergütungsgruppe EG 9 Stufe 4 des TVöD in der für die Stadt D. geltenden Fassung zu vergüten und die sich zur bezahlten Vergütung ergebenden Differenzbeträge nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2015 zu zahlen.
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22
Die Beklagte hat beantragt,
Randnummer
23
die Klage abzuweisen.
Randnummer
24
Sie war der Ansicht,
zur Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9 TVöD müssten, jedenfalls zum 1. Dezember 2014, nach der Anlage 3 zum TVÜ-VKA zumindest die Voraussetzungen der Vergütungsgruppe Vb BAT erfüllt sein. Die Tätigkeit der Klägerin sei nach dem Tarifvertrag zur Änderung und Ergänzung der Anlage 1a zum BAT (Neufassung der Fallgruppen 1) vom 24. Juni 1975 zu bewerten. Nach dessen Tätigkeitsmerkmalen für den "allgemeinen Verwaltungsdienst" wäre zur Eingruppierung in die Vergütungsgruppe Vb BAT/Entgeltgruppe 9 TVöD der Nachweis zu erbringen, dass Aufgaben übertragen seien, die gründliche, umfassende Fachkenntnisse und selbständige Leistungen im tariflichen Sinn erforderten. Hierbei sei jeweils ein Zeitanteil von mindestens der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit zugrunde zu legen. Einen solchen Nachweis erbringe die Klägerin nicht.
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25
Gehe die Klägerin davon aus, dass ihr bereits vor Inkrafttreten des TVöD am 1. Oktober 2005 Tätigkeiten zugewiesen gewesen seien, die der Vergütungsgruppe Vc BAT mit dreijährigem Bewährungsaufstieg nach Vergütungsgruppe Vb entsprochen hätten, sei nicht erkennbar und von der Klägerin nachgewiesen, dass ihr zum Zeitpunkt der Überleitung bereits mindestens eineinhalb Jahre Tätigkeiten übertragen gewesen seien, die der Wertigkeit der Vergütungsgruppe Vc in Verbindung mit der Vergütungsgruppe Vb BAT entsprächen (§ 8 Abs. 1 TVÜ-VKA).
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Die Klägerin habe auch nicht schlüssig nachgewiesen, dass ihr vor dem Zeitpunkt der Überleitung in den TVöD am 1. Oktober 2005 bereits Tätigkeiten übertragen gewesen seien, die der Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1b in Verbindung mit der Vergütungsgruppe Vb Fallgruppe 1c BAT entsprächen (§ 8 Abs. 3 TVÜ-VKA). Entsprechende Tätigkeiten seien der Klägerin zu keinem Zeitpunkt übertragen gewesen. Nicht zutreffend sei, dass der Klägerin seit 2005 gleichwertige Aufgaben übertragen gewesen seien, die der Vergütungsgruppe Vc/Vb BAT entsprächen. Bereits aus dem jeweiligen Geschäftsverteilungsplan des Bürgeramtes ergäben sich durchaus unterschiedliche Aufgabenzuweisungen.
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Der Hinweis auf die Eingruppierung anderer Mitarbeiter sei im Eingruppierungsprozess ohne Belang.
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Anhand des Schreibens des Amtsleiters vom 3. Februar 2006 könne die Klägerin ebenfalls keinen Anspruch auf eine bestimmte Eingruppierung begründen.
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Auch aus dem Höhergruppierungsantrag der Klägerin vom 19. Januar 2006 könnten keinerlei weitere Ansprüche abgeleitet werden. Die Klägerin habe diesen seit 2006 nicht weiter verfolgt und erst am 14. November 2014 einen Antrag auf Höhergruppierung in die Entgeltgruppe 9 TVöD gestellt. Insofern sei davon auszugehen, dass gemäß § 242 BGB Verwirkung eingetreten sei.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 27. Juli 2017 abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst – ausgeführt, die Klägerin könne keine Vergütung nach Entgeltgruppe 9 TVöD verlangen. Eine originäre Eingruppierung nach Entgeltgruppe 9 TVöD scheide aus. Diese setze die Erfüllung der Voraussetzungen der Vergütungsgruppe Vb BAT voraus. Entsprechendes lasse sich dem Vortrag der Klägerin nicht entnehmen. Die von der Klägerin angeführte Arbeitnehmerin, die Vergütung nach Entgeltgruppe 9 TVöD erhalten solle, führe nicht weiter, da es möglich sei, dass diese Angestellte übertariflich bezahlt werde. Die Klägerin könne auch nicht nach den maßgeblichen Besitzstandsregelungen des § 8 TVÜ-VKA Vergütung nach Entgeltgruppe 9 TVöD verlangen. Sie habe die maßgeblichen Voraussetzungen hierfür nicht vorgetragen. Nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin und ihrem eigenen Antrag vom 19. Januar 2006 könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Überleitung am 1. Oktober 2015 schon mindestens 1,5 Jahre Tätigkeiten aufgrund einer Übertragung durch die Beklagte ausgeübt habe, die der Wertigkeit der Vergütungsgruppe Vc mit Aufstiegsmöglichkeit nach Vergütungsgruppe Vb entsprächen, und sie damit nach § 8 Abs. 1 TVÜ-VKA in die nächsthöhere Entgeltgruppe des TVöD hätte eingruppiert werden müssen. Auch die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 TVÜ-VKA lägen nicht vor. Die Klägerin habe nicht schlüssig dargelegt, dass ihr vor dem Zeitpunkt der Überleitung in den TVöD am 1. Oktober 2005 bereits Tätigkeiten übertragen worden gewesen seien, die der Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1b in Verbindung mit der Vergütungsgruppe Vb Fallgruppe 1c BAT entsprochen hätten. Insoweit könne die Klägerin auch nicht geltend machen, die tarifliche Einordnung ihrer Tätigkeit sei seinerzeit vom Amtsleiter festgestellt worden. Abgesehen von der Frage, welche Bedeutung einer solchen Feststellung zukäme, gebe es diese gerade nicht. In sämtlichen Schreiben, die die Klägerin in Zusammenhang mit ihrem Höhergruppierungsbegehren aus dem Jahr 2005 zur Akte gereicht habe, werde die Erfüllung der Voraussetzungen für eine Vergütung nach Vergütungsgruppe Vc erst ab dem 1. Februar 2006 bestätigt. Für den vor-liegenden Zusammenhang führe auch die von der Klägerin zur Akte gereichte dienstliche Beurteilung nicht weiter. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts (Bl. 89 ff. d. A.) Bezug genommen.
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Das genannte Urteil ist der Klägerin am 6. November 2017 zugestellt worden. Sie hat hiergegen mit einem am 6. Dezember 2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt und diese innerhalb der durch Beschluss vom 22. Dezember 2017 bis zum 19. Februar 2018 verlängerten Berufungsbegründungsfrist durch am 19. Februar 2018 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag begründet.
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Zur Begründung der Berufung macht die Klägerin nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie des Schriftsatzes vom 29. Mai 2018, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 119 ff., 176 ff. d. A.), zusammengefasst geltend,
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ab Oktober 2004 bis heute sei sie im Ausländeramt tätig. Zunächst sei sie bei einer Sachbearbeiterin des Ausländeramtes eingearbeitet worden und habe anschließend eine Sachbearbeiterin (Frau W.) unterstützt bzw. ihr zugearbeitet. Seit Juni 2005 habe sie eine neu zugewiesene Sachbearbeiterstelle mit den Buchstaben I., J, O, R erhalten. Alle Sachbearbeiter hätten ausnahmslos dieselben Tätigkeiten ausgeführt, unterschieden nur durch die Buchstabenzuteilung. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wäre ihre Vergütung aufgrund der ihr übertragenen Tätigkeiten nach der Vergütungsgruppe Vc mit Bewährungsaufstieg nach Vergütungsgruppe Vb BAT vorzunehmen gewesen. Die Stelle beim Bürgeramt am EU-Schalter sei ihr aus Mangel an Alternativen rein stellenplanmäßig zugewiesen worden, so dass es auf die dort theoretisch verlangten Tätigkeiten überhaupt nicht ankomme. Es sei davon auszugehen, dass es in dem an das Amt für Steuerung und Personal gerichteten Schreiben des Amtsleiters des Bürgeramtes Z. vom 3. Februar 2006 (Bl. 41 d. A.) vor der Klammer V
b
heißen müsse. Bis zum 29. Februar 2016 sei die Bewährungszeit von drei Jahren für den Aufstieg in die Vergütungsgruppe Vb auf jeden Fall erfüllt gewesen, so dass mit Stellung des Antrags auf Höhergruppierung vom 14. November 2014 die korrekte Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9 habe erfolgen müssen.
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Sie habe bereits seit dem 1. Juli 2004 zu mindestens einem Fünftel selbständige Leistungen erbracht. Seit Dezember 2004 habe sie unter anderem auch Fälle, wie den des Ehegattennachzugs, selbständig zu entscheiden gehabt. Spätestens seit ihrem Einsatz in der Ausländerabteilung, mithin seit Oktober 2004 hätte sie, da sie seither auch entsprechende Tätigkeiten ausgeübt habe, bereits nach der Vergütungsgruppe Vc BAT (entsprechend der EG 8 des TVöD) entlohnt werden müssen. Die für diese Vergütung (entsprechend der EG 5 bzw. EG 6 des TVöD) beschriebenen Anforderungen (gründliche, aber nicht vielseitige Fachkenntnisse) gälten gerade nicht für solche Beschäftigen, welche ihre „erste Prüfung“ im Sinn des jeweiligen Bezirkstarifvertrags abgelegt hätten. Der Wegfall eines ursprünglich für sie möglichen Bewährungs- bzw. Fallgruppenaufstiegs sei durch eine rückwirkende Höhergruppierung dahingehend zu korrigieren, dass sie nun so zu stellen sei, als wenn sie nach Ableistung der ursprünglich erforderlichen Bewährungszeit aus der Vergütungsgruppe Vb ordnungsgemäß in die Entgeltgruppe 9 übergeleitet worden wäre.
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Die zur Akte gereichte Arbeitsplatzbeschreibung (Bl. 43 ff. d. A.) entspreche ihren im Jahr 2005 ausgeübten Tätigkeiten. Diese hätten im Jahr 2005 die Voraussetzungen der Entgeltgruppe 8 TVöD erfüllt. Die Ausgangsgruppe Entgeltgruppe 5 TVöD sei erfüllt, da sie am 31. Juli 2004 erfolgreich ihre dreijährige Ausbildung als Verwaltungsfachangestellte abgeschlossen habe und eine entsprechende Tätigkeit nachweisen könne. Die Voraussetzungen der Entgeltgruppe 6 TVöD lägen ebenfalls vor, da ihre Tätigkeiten gründliche und vielseitige Fachkenntnisse erforderten. Sie müsse zur Bearbeitung der Aufenthaltsgenehmigungen die einschlägigen Gesetze kennen und, da sie weitreichende Entscheidungen bezüglich unter anderem Aufenthaltsgenehmigungen treffe, tiefergehende Kenntnisse besitzen. Die Kenntnisse, die von ihr abverlangt würden, seien qualitativ hochwertiger Natur, da ansonsten solch weitreichende Entscheidungen nicht getroffen werden könnten. Die Entgeltgruppe 7 sei auch erfüllt, da ihre Tätigkeit zumindest zu einem Fünftel selbstständige Leistungen erfordere. Sie müsse eigenständig über die Genehmigung von Aufenthaltstiteln entscheiden und erbringe somit dem Fachwissen auf dem Gebiet des Ausländer- und Verwaltungsrechts entsprechende selbstständige Leistungen. Ihre Tätigkeit erfordere mindestens zu einem Drittel selbstständige Leistungen, die Voraussetzungen der Entgeltgruppe 8 seien mithin gegeben. Richtiggehend habe die Beklagte sie nicht erst zum 1. Februar 2006, sondern bereits zum 1. Juni 2005 in die Entgeltgruppe 8 eingruppieren müssen (damals noch Vergütungsgruppe Vc BAT mit Bewährungsaufstieg nach Vb BAT). Die Entgeltgruppe 8 TVöD passe jedoch nicht mehr zu ihren tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten, da sich das Aufgaben- und Tätigkeitsspektrum erheblich erweitert habe. Ihre Tätigkeit erfülle die Voraussetzungen der Entgeltgruppe 9a. Sie erfordere vollständig selbstständige Leistungen. Sie treffe ihre Entscheidungen stets eigenständig. Dies sei bereits aus der Arbeitsplatzbeschreibung Nummer 0799 ersichtlich, die zwischenzeitlich zu Recht von der Beklagten in die Entgeltgruppe 9 eingestuft worden sei. Demnach übe sie zu mindestens 55 % eine Arbeitsleistung aus, die selbstständige Leistungen erfordere (vgl. 4.1.1 der Stellenbeschreibung). Die weiteren, unter 4.1.2 bis 4.1.7 aufgeführten Tätigkeiten dürften als Annex zu dieser selbstständig zu erbringenden Leistung, die relevanten Verfahren eigenverantwortlich durchzuführen, zu werten sein.
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Sie sei eine sonstige Beschäftigte, die aufgrund von Fähigkeiten, die einem abgeschlossenen Hochschulstudium gleichwertig seien, und die ihren Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausübe, die Voraussetzungen der ersten Gruppe der Entgeltgruppe 9 erfülle. Ihre Tätigkeiten entsprächen denen, die einem Arbeitnehmer mit abgeschlossenem Hochschulstudium der Verwaltungswissenschaften entsprächen. Ihre Tätigkeit erfordere zudem gründliche, umfassende Fachkenntnisse und selbstständige Leistungen, weshalb sie auch die Voraussetzungen der zweiten Gruppe der Entgeltgruppe 9b erfülle. Am Tätigkeitsbeispiel des Familiennachzugs mit Scheineheverdacht werde deutlich, wie tiefgreifend ihre Rechtskenntnisse auf dem Gebiet des Ausländerrechts und weiterer ein breites Spektrum umfassender Rechtsgebiete sein müssten, die in 4.3 der Stellenbeschreibung (sicher nicht abschließend) aufgezählt seien.
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Seit dem 1. Januar 2017, also mit Inkrafttreten der Entgeltordnung (VKA) ent-spreche ihre vertragsgemäße Tätigkeit der Entgeltgruppe 9c und sei seither entsprechend zu entlohnen. Sämtliche Kollegen, welche vergleichbare Tätigkeiten bei der Beklagten ausübten, würden nach der Entgeltgruppe 9a bis c vergütet. Wegen ihrer Elternzeit habe sie keine Möglichkeit, auf die intern geänderte Tätigkeitsbeschreibung zuzugreifen. Der Beklagten sei daher aufzugeben, die aktuelle Tätigkeitsbeschreibung für ihr Arbeitsverhältnis vorzulegen. Für sie müsse eine Beweiserleichterung greifen, da sie wegen der Elternzeit ihre aktuellen Tätigkeiten nicht fortlaufend dokumentieren könne.
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Ihr Anspruch auf Vergütung nach Entgeltgruppe 9 TVöD bestehe auch gemäß den Besitzstandsregelungen des § 8 TVÜ-VKA. Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 TVÜ-VKA lägen vor. Vor dem Zeitpunkt der Überleitung in den TVöD am 1. Oktober 2005 seien ihr bereits Tätigkeiten übertragen gewesen, die der Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1b in Verbindung mit der Vergütungsgruppe Vb Fallgruppe 1c BAT entsprächen. Es gäbe eine dezidierte Arbeitsplatzbeschreibung, unter die ihre Tätigkeiten subsumiert werden könnten. Aus dem Schreiben des Amtsleiters vom 3. Februar 2006 ergebe sich auch, dass die Voraussetzungen für eine Vergütung nach Entgeltgruppe 8 TVöD bereits seit dem 1. Juni 2005 bestanden hätten. Durch die in der dienstlichen Beurteilung nachgewiesenen überdurchschnittlichen Leistungen der Klägerin werde deutlich, dass ihre ausgeübten Tätigkeiten über die Entgeltgruppe 8 hinausgingen.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 27. Juli 2017, Az. 9 Ca 1487/16 abzuändern und
festzustellen, dass die beklagte Stadt verpflichtet ist, sie für die Zeit ab dem 1. Dezember 2014 bis zum 31. Dezember 2016 nach der Entgeltgruppe 9 und seit 1. Januar 2017 nach der Entgeltgruppe 9a des TVöD in der für die Stadt D. geltenden Fassung zu vergüten.
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Die beklagte Stadt beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen
.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihres Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 20. März 2018, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 163 ff. d. A.), als rechtlich zutreffend.
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Die Klägerin habe keinen tariflichen Anspruch auf eine über die derzeitige Eingruppierung hinausgehende Entgeltgruppe. Der Klägerin seien weder mit den notwendigen prozentualen Zeitanteilen entsprechend herausgehobene Tätigkeiten übertragen, noch erfülle sie die subjektiven Voraussetzungen zur Eingruppierung in die begehrte Entgeltgruppe. § 2 des Bezirkstarifvertrags vom 28. Oktober 1998 (in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 30. November 2001) bzw. vom 10. November 2008 sei zu entnehmen, dass zur Eingruppierung in bestimmte Fallgruppen der Vergütungsgruppe Vb BAT bzw. für die Eingruppierung in die Entgeltgruppen 9 bis 12 TVöD eine zweite Prüfung abzulegen sei. Über diese Prüfung oder einen vergleichbaren Ausbildungsabschluss verfüge die Klägerin nicht.
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Die von der Klägerin vorgelegte Arbeitsplatzbeschreibung Nr. 0799 (Bl. 134 ff. d. A.) bilde nicht den Zeitraum bis Dezember 2014 ab, sondern beschreibe Tätigkeiten aus dem Jahr 2016, die nicht den der Klägerin übertragenen Aufgaben entsprächen. Der Vorgang „Familiennachzug mit Scheineheverdacht“ sei ein Einzelfall und beschreibe letztlich nur einen sehr geringen Teil der Tätigkeiten, die auf dieser Stelle durchzuführen gewesen seien. In diesem Vorgang werde die Entscheidung überdies teilweise durch Vorgesetzte überprüft.
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Die Voraussetzungen der Besitzstandsregelung des § 8 Abs. 1 TVÜ-VKA seien ebenso wenig gegeben wie diejenigen des § 8 Abs. 3 TVÜ-VKA. Der Klägerin seien zum 1. Oktober 2005 keine Tätigkeiten übertragen gewesen, die mit entsprechenden Zeitanteilen gründliche und vielseitige Fachkenntnisse sowie selbstständige Leistungen im tariflichen Sinn erfordert hätten. Hierzu sei von der Klägerin auch nicht schlüssig vorgetragen worden, eine Arbeitsplatzbeschreibung, die durch entsprechende Arbeitsvorgänge und prozentuale Zeitanteile bestätigen könnte, dass bereits vor dem 1. Oktober 2005 entsprechend herausgehobene Tätigkeiten wahrzunehmen gewesen seien, liege nicht vor.
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Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. | 1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 27. Juli 2017, Az.: 9 Ca 1487/16 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 0 | 1
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der bewilligten Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII) in Form eines pauschalierten Pflegegeldes für die Zeit vom 1. März 2014 bis zum 3. April 2015 streitig.
2
Die Klägerin wurde 1997 in Berlin geboren und nach der Entlassung aus der Geburtsklinik am ... April 1997 in die seinerzeit noch in Berlin wohnhafte Pflegefamilie S. (im Folgenden Pflegefamilie) aufgenommen. Die Pflegefamilie verzog gemeinsam mit der Klägerin nach ... W (Landkreis ...-Kreis). Bereits in den ersten Lebensjahren waren bei der Klägerin eine schwere psychomotorische Retardierung, eine zentrale Tonus- und Koordinationsstörung, eine Kontakt- bzw. Kommunikationsstörung, Stereotypien, Wahrnehmungsstörungen, eine starke Sprachentwicklungsverzögerung sowie eine Mikrozephalie festzustellen. Im weiteren Verlauf wurden bei der Klägerin u.a. eine fokale Epilepsie, die mehrere epilepsiechirurgische Eingriffe erforderlich machte, eine mittelgradige Intelligenzstörung sowie ein frühkindlicher Autismus diagnostiziert. Nach dem Besuch des Sonderschulkindergartens S. H. der J.-Anstalten M. besuchte sie ab September 2004 verschiedene Förderschulen der J.-Anstalten M. (S. H.). Das beklagte Land erbrachte an die Klägerin Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII, u.a. in der hier streitigen Zeit vom 1. März 2014 bis zum 3. April 2015 durch Übernahme der Kosten für den Besuch der Förderschule (Bescheide vom 11. September 2013 und 30. September 2014), der Kosten eines Integrationshelfers in der Schule im Umfang von bis zu 37 Wochenstunden (Bescheide vom 11. September 2013 und vom 9. September 2014) sowie von Betreuungskosten außerhalb der Schule im Umfang von bis zu sieben Wochenstunden (Bescheid vom 11. September 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. November 2013, Bescheid vom 16. September 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Oktober 2014). Weiterhin bezog sie Pflegeleistungen seitens der Pflegekasse nach Pflegestufe III.
3
Das Land Berlin erbrachte hinsichtlich der Vollzeitpflege in der Pflegefamilie Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Achtes Buch (VIII) - Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII). Der Landkreis ...-Kreis übernahm den Jugendhilfefall ab 1. Januar 2000 in eigener örtlicher Zuständigkeit gegen Kostenerstattung nach § 89a SGB VIII. Der N.-Kreis ging für die Zeit ab September 2000 wegen der Behinderung der Klägerin von einem erhöhten Erziehungsaufwand aus und berücksichtigte bei der Gewährung des Pflegegeldes einen Erziehungszuschlag in Höhe von 300,00 DM (154,00 EUR). Hintergrund bildete ein Antrag der Pflegemutter vom 14. Februar 2001 auf ein „höheres Erziehungsgeld“, der mit der „anerkannten Behinderung“ der Klägerin begründet wurde. Ausweislich des Aktenvermerks des Dipl.-Sozialarbeiter H., Mitarbeiter des Jugendamtes des N.-Kreises, vom 5. April 2001 sah er aufgrund eines Hausbesuchs wegen der geistigen Behinderung der Klägerin einen erhöhten Erziehungsaufwand ab September 2000 und bewertete diesen mit monatlich 300,00 DM. Eine zunächst in Aussicht gestellte Überprüfung des Erziehungszuschlages veranlassten die Pflegeeltern nicht. Zuletzt gewährte der Landkreis ...-Kreis ab 1. Januar 2014 entsprechend den Empfehlungen des Kommunalverbandes für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) ein monatliches Pflegegeld in Höhe von 892,00 EUR (671,00 EUR Kosten für Sachaufwand ohne Zuschuss für Alterssicherung + 267,00 EUR Kosten der Pflege und Erziehung - 46,00 EUR Kindergeldanteil nach § 39 Abs. 6 SGB VIII) zuzüglich eines monatlichen Zuschlages wegen eines erhöhten Erziehungsbedarfs in Höhe von 154,00 EUR. Der N.-Kreis stellte die Jugendhilfe mit Wirkung zum 1. März 2014 ein (Bescheid vom 14. Februar 2014, Bl. 1037 der Verwaltungsakten des N.-Kreises). Den Überprüfungsantrag der Pflegemutter, gerichtet auf ein höheres Pflegegeld ab 1. Januar 2010 lehnte der N.-Kreis ab (Bescheide vom 19. Dezember 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Mai 2015). In dem sich anschließenden Klageverfahren (8 K 3024/15) verurteilte das Verwaltungsgericht Karlsruhe (VG) durch Urteil vom 29. Mai 2018 den N.-Kreis, an die Pflegemutter für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 28. Februar 2014 ein weiteres Pflegegeld in Höhe von insgesamt 26.900,00 EUR zu zahlen. Über die vom N.-Kreis gegen dieses Urteil eingelegte Berufung hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg bisher nicht entschieden (12 S 1502/18).
4
Am 7. Juni 2013 beantragte die Klägerin - anstelle der Jugendhilfeleistungen seitens des N.-Kreises - Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Familienpflege nach § 54 Abs. 3 SGB XII durch den Beklagten. Auf Anfrage des Beklagten teilte der N.-Kreis im Oktober 2013 mit, dass nach § 44 SGB VIII keine Erlaubnis zur Vollzeitpflege erforderlich sei, wenn ein Kind durch das Jugendamt im Rahmen von Hilfen zur Erziehung untergebracht worden sei. Dies sei bei der Klägerin der Fall. Ihm liege keine Pflegeerlaubnis vor. Die Pflegefamilie der Klägerin werde nach wie vor als geeignete Pflegestelle für das Mädchen angesehen. Der Zuschuss für die Alterssicherung werde nicht ausgezahlt, da die Pflegefamilie nie einen Nachweis über deren Alterssicherung vorgelegt habe.
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Durch Bescheid vom 7. Februar 2014 bewilligte der Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 1. März 2014 bis zum 28. Februar 2015 Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in einer Pflegefamilie nach § 54 Abs. 3 SGB XII in Höhe von monatlich 1.046,00 EUR. Die Gewährung der Hilfe werde eng an die Bestimmungen des SGB VIII hinsichtlich der Betreuung von Pflegekindern angelehnt. Demzufolge sei in Bezug auf die Höhe der Leistungen auch die Regelung des § 39 Abs. 4 Satz 5 SGB VIII maßgeblich, nach der die örtlichen Bestimmungen des jeweiligen Landkreises für die Höhe des Pflegegeldes maßgeblich seien. Insofern würden Leistungen analog der im Landkreis ...-Kreis gewährten Leistungen erbracht. Den Widerspruch der Klägerin (Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 4. März 2014) wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 2014 zurück. Da mit dem im September 2009 eingefügten Leistungstatbestand des § 54 Abs. 3 SGB XII eine Gleichbehandlung aller behinderten Kinder erreicht werden solle und der Umfang dieser Hilfe nicht gesondert normiert worden sei, erfolge die Hilfe nach § 54 Abs. 3 SGB XII in analoger Anwendung zu Hilfen für seelisch behinderte Kinder nach dem 4. Abschnitt des SGB VIII. Werde ein Kind oder ein Jugendlicher im Bereich eines anderen Jugendamtes untergebracht, so solle sich die Höhe des zu gewährenden Pauschalbetrages nach den Verhältnissen richten, die am Ort der Pflegestelle gelten (§ 39 Abs. 4 Satz 5 SGB VIII). Sinn und Zweck dieser Regelung sei es, unterschiedliche Leistungen aufgrund der Herkunft für Kinder und Jugendliche an derselben Stelle zu vermeiden. Maßgeblich seien nicht die Sätze, die im Bereich des Jugendamtes gelten, das für die Leistung zuständig ist, sondern diejenigen Sätze des Jugendamtes, in dem die Pflegestelle gelegen sei. Die Klägerin erhalte entsprechend der im N.-Kreis geltenden Leistungssätze einen Betrag von monatlich 1.046,00 EUR.
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Dagegen hat die Klägerin am 1. Juli 2014 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) (S 8 SO 1981/14) erhoben und die Gewährung eines Pflegegeldes in Höhe von monatlich 1.724,57 EUR geltend gemacht. Die Pflegeeltern der Klägerin hätten es gegenüber dem N.-Kreis durchgesetzt, für ihren besonderen erzieherischen Aufwand ein um 300,00 DM (154,00 EUR) erhöhtes Pflegegeld ab 2001 zu erhalten. Eine eingehende Bedarfsprüfung bezüglich des konkreten erzieherischen und Teilhabebedarfs der Klägerin sei durch den N.-Kreis nicht erfolgt. Das begehrte Pflegegeld setze sich wie folgt zusammen: Notwendiger Unterhalt 670,00 EUR, Kosten der Erziehung und der Teilhabe 959,00 EUR, pauschale Beihilfe für sonstige persönliche Ausstattung 48,97 EUR, pauschale Unfall- und Altersversicherung 46,60 EUR. Dieser Betrag entstamme den Ausführungsvorschriften der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung über die Leistung zum Unterhalt des Kindes und des Jugendlichen nach § 39 SGB VIII für Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) und teilstationärer Familienpflege (§ 32 Satz 2 SGB VIII) (AV-Vollzeitpflegegeld vom 1. Januar 2012). Es bestehe Einigkeit, dass sich für die Ermittlung der konkreten Finanzierung einer Familienpflege nach § 54 Abs. 3 SGB XII eine analoge Anwendung der Empfehlung zur Höhe des Pflegegeldes nach § 39 SGB VIII anbiete. Der erzieherische Bedarf der Klägerin sei aufgrund ihrer vielfältigen geistigen, körperlichen und auch seelischen Beeinträchtigungen erheblich erhöht. Der reguläre Betrag für ihren notwendigen Unterhalt, der gemäß § 39 Abs. 1 SGB VIII auch die Kosten ihrer Erziehung umfasse, sei vor diesem Hintergrund nicht ausreichend, um den erzieherischen Aufwand der Pflegeeltern auch finanziell angemessen anzuerkennen. Soweit der bisher zuständige N.-Kreis die Kosten der Erziehung um einen Pauschalbetrag in Höhe von 154,00 EUR erhöht habe, liege dem kein nachvollziehbares Konzept zur Bedarfsermittlung zugrunde. Vielmehr werde nach den Empfehlungen des KVJS vom 18. Mai 2009 zu Leistungen zum Unterhalt (Pflegegeld) für Kinder und Jugendliche in Vollzeitpflege nach dem SGB VIII auf eine individuelle Bedarfsermittlung im Einzelfall abgestellt. Ein angemessenes örtliches Konzept zur Ermittlung und Deckung spezifischer behinderungsbedingter Teilhabebedarfe habe der N.-Kreis nicht zu bieten. Es sei in der Vergangenheit auch keine adäquate Bedarfsprüfung erfolgt. Eine konkrete Bedarfsprüfung entspreche auch der Rechtsprechung zum sogenannten Territorialprinzip. Entscheidend sei nicht die Frage der örtlichen Empfehlungen, sondern der konkrete Bedarf eines Pflegekindes, wenn - wie im Fall der Klägerin - eine Konkretisierung des Bedarfs vor Ort nicht stattgefunden habe, sondern eine Erhöhung des Pflegegeldes ohne Bezug zu den deckenden Bedarfen gewährt werde. So sei nicht ersichtlich, wieso eine solche mangelnde Fallverantwortung einen später in die Zuständigkeit tretenden Träger binden und zu Lasten des anspruchsberechtigten Kindes berücksichtigt werden solle. Vielmehr habe vorliegend entweder eine konkrete Bedarfsermittlung zu erfolgen, mit der der Teilhabebedarf und der erforderliche erzieherische Aufwand zugunsten des Kindes festzustellen und dementsprechend zu decken sei, oder es werde auf die differenzierte Richtlinie des Beklagten zurückgegriffen. Mit der letzten Lösung habe sich die Klägerin wiederholt einverstanden erklärt. Nach Abzug der Pflegeleistungen sowie der Betreuung innerhalb und außerhalb der Schule würden durch die Eltern 43 Wochenstunden aktive Betreuung, Beaufsichtigung und Förderung geleistet. Auch müsse die Klägerin aufgrund der Epilepsie jede Nacht mehrmals kontrolliert werden.
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Auf den Antrag der Klägerin vom 27. Februar 2015, ihr weiterhin Pflegegeld in Höhe von 1.046,00 EUR monatlich zu gewähren, bewilligte der Beklagte durch Bescheid vom 2. März 2015 für die Zeit vom 1. März 2015 bis zum 31. Mai 2015 antragsgemäß ein monatliches Pflegegeld nach § 54 Abs. 3 SGB XII in Höhe von 1.046,00 EUR. Den Widerspruch der Klägerin vom 11. März 2015, mit dem die Klägerin nun ein höheres Pflegegeld begehrt hat, hat der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 1. April 2015 zurückgewiesen. Dagegen hat die Klägerin am 11. Mai 2015 Klage zum SG erhoben (S 2 SO 1394/15) und für die Zeit vom 1. März 2015 bis zum 31. Mai 2015 ein monatliches Pflegegeld in Höhe von 1.724,57 EUR begehrt. Das SG hat die beiden Rechtsstreitigkeiten durch Beschluss vom 24. September 2015 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
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Das SG hat mit den Beteiligten am 31. März 2016 einen Erörterungstermin durchgeführt; hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Niederschrift des SG vom 31. März 2016 (Bl. 117/118 der SG-Akten) Bezug genommen.
9
Das SG hat durch Urteil vom 10. März 2017 den Beklagten unter teilweiser Abänderung des Bescheids vom 7. Februar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juni 2014 und des Bescheids vom 2. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. April 2015 verurteilt, der Klägerin im Zeitraum März 2014 bis 3. April 2015 weitere Leistungen in Höhe von monatlich 587,97 EUR zu gewähren (Ziff. 1). Weiterhin hat das SG den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 2. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. April 2015 verurteilt, über den Antrag der Klägerin auf Zahlung eines höheren monatlichen Betreuungsentgeltes im Zeitraum ab 4. April 2015 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden (Ziff. 2), und die weitergehenden Klagen abgewiesen (Ziff. 3). Es hat dem Beklagten 8/10 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt (Ziff. 4). Zur Begründung hat das SG u.a. ausgeführt, dass die Höhe der Leistungen nach § 54 Abs. 3 SGB XII sich aus einer analogen Anwendung des § 39 SGB VIII ergebe. Nach § 39 Abs. 4 Satz 5 SGB VIII solle sich die Höhe des zu gewährenden Pauschalbetrages nach den Verhältnissen richten, die am Ort der Pflegestelle gelten, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher im Bereich eines anderen Jugendamtes untergebracht werde. Die Klägerin sei im Bereich des Jugendamtes im N.-Kreis und nicht im Bereich des Jugendamtes des Beklagten untergebracht. Grundsätzlich richte sich die Höhe der Leistung daher nach den Verhältnissen im N.-Kreis. Etwas Anderes könne sich nur in einem atypischen Fall ergeben. Ein solcher atypischer Fall liege im Fall der Klägerin vor. Die Pflegeeltern hätten die Klägerin am zehnten Tag nach ihrer Geburt in Unkenntnis ihrer Behinderung aufgenommen. Dennoch hätten sie sich nach Kenntniserlangung hiervon dazu entschlossen, die Pflege fortzusetzen, und, insbesondere die Pflegemutter, sich für das Wohl der Klägerin aufgeopfert. Im Laufe der Zeit sei die Pflegemutter wohl zunehmend durch die notwendige Pflege der Klägerin in den vergangenen Jahren über Gebühr in Anspruch genommen worden. Es sei für das Gericht nicht selbstverständlich, dass sie die Klägerin nicht in stationäre Pflege gegeben habe, die unter Umständen durch den Beklagten in Berlin hätte organisiert und finanziell getragen werden müssen. Hinzu komme, dass eine individuelle Bemessung des notwendigen Betreuungs-, Pflege- und Erziehungsaufwandes durch die Pflegeeltern nach Auffassung des Gerichts nicht möglich erscheine. Genau hierauf stelle die Empfehlung des KVJS ab, die gerade eine individuelle Bemessung in den Vordergrund stelle. Angesichts der geographischen Distanz zwischen dem Aufenthaltsort der Klägerin und dem Sitz des Beklagten gestalte sich die Aufklärung des Pflegebedarfs der Klägerin schwierig. Da im Gegensatz zu den Empfehlungen des KVJS die Ausführungsvorschriften des Beklagten zur Bemessung der Leistungen zum Unterhalt und für die Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege pauschalierte Leistungssätze vorsähen, könnten diese zugrunde gelegt werden. Danach erhielten Personen in Vollzeitpflege mit erweitertem Förderbedarf, der bei der Klägerin unstreitig vorliege, zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr eine Pauschale zum Lebensunterhalt bei Vollzeitpflege mit erweitertem Förderbedarf in Höhe von 670,00 EUR. Hierzu komme eine monatliche Beihilfe in Höhe von 48,97 EUR für sonstige persönliche Ausstattung, Schulfahrten, Reisekostenzuschuss und Weihnachtsbeihilfe. Für die Kosten der Pflege und Erziehung sähen die Ausführungsvorschriften des Beklagten einen Betrag in Höhe von 959,00 EUR bei Vollzeitpflege mit erweitertem Förderbedarf vor. Die geltend gemachten Beträge wegen einer Unfallversicherung bzw. Alterssicherung in Höhe von insgesamt 46,60 EUR könnten dagegen nicht berücksichtigt werden, da keine entsprechenden Aufwendungen nachgewiesen worden seien. Insgesamt ergebe sich somit ein Betrag in Höhe von 1.677,97 EUR. Hiervon müsse jedoch noch ein Betrag in analoger Anwendung des § 39 Abs. 6 SGB VIII abgezogen werden. Nach dieser Vorschrift gelte, werde das Kind oder der Jugendliche im Rahmen des Familienlastenausgleichs nach § 31 des Einkommenssteuergesetzes bei der Pflegeperson berücksichtigt, so sei ein Betrag in Höhe der Hälfte des Betrages, der nach § 66 Einkommenssteuergesetz für ein erstes Kind zu zahlen sei, auf die laufenden Leistungen anzurechnen. Sei das Kind oder der Jugendliche nicht das älteste Kind in der Pflegefamilie, so ermäßige sich der Anrechnungsbetrag für dieses Kind oder diesen Jugendlichen auf ein Viertel des Betrages, der für ein erstes Kind zu zahlen sei. Die Klägerin sei nicht das älteste Kind, da sie zusammen mit ihrem älteren Bruder bei ihren Pflegeeltern lebe. Daher sei ein Betrag in Höhe von 46,00 EUR in Abzug zu bringen. Somit ergebe sich ein monatlicher Anspruch der Klägerin in Höhe von 1.631,37 EUR.
10
Gegen das ihm am 30. März 2017 zugestellte Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner am 27. April 2017 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten „Teilberufung“, soweit das SG ihn verurteilt hat, an die Klägerin für die Zeit vom 1. März 2014 bis zum 3. April 2015 weiteres Pflegegeld in Höhe von monatlich 585,97 EUR zu erbringen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz durch die Anlehnung an Pauschalen sei sinnvoll und möglich, da jederzeit - wie auch im hiesigen Fall - ergänzende Eingliederungshilfe bei vorliegenden Bedarfen beantragt werden könne. Die Pauschalen könnten nicht willkürlich, mal nach dem Wohnort des Hilfeempfängers, mal nach dem Ort des Sozialhilfeträgers, angewendet werden. Der Beklagte habe die gesetzliche Regelung des § 39 Abs. 4 Satz 5 SGB VIII im Fall der Klägerin korrekt herangezogen. Die längste Zeit hätten die Pflegeeltern Leistungen nach § 33 SGB VIII erhalten, weil im Zeitpunkt der Inpflegegabe und des Umzugs nach Baden-Württemberg noch kein gesetzlicher Anspruch nach § 54 Abs. 3 SGB XII bestanden habe. Mit dieser Gesetzesänderung solle bewirkt werden, dass auch für behinderte Kinder vermehrt Angebote in Pflegefamilien zur Verfügung stünden und diese Kinder nicht ausschließlich in Heimeinrichtungen untergebracht werden müssten. Ausführungsvorschriften zu dieser Leistung habe es bundesweit nicht gegeben, zumal es sich um eine Übergangsregelung handele. Die Pflegeeltern hätten im Falle der Klägerin monatlich 728,00 EUR Pflegegeld und zur Entlastung bei Urlaub 3.224,00 EUR im Jahr als Verhinderungs- und Kurzzeitpflegeleistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Elftes Buch (XI) - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI). Hiermit werde der individuelle Mehraufwand im Vergleich zu nichtbehinderten Kindern ausgeglichen.
11
Der Beklagte beantragt,
12
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 10. März 2017 hinsichtlich des Tenors Ziff. 1 (Leistungen in Höhe von monatlich 585,97 EUR für die Zeit vom 1. März 2014 bis zum 3. April 2015) aufzuheben und die Klage auch insoweit abzuweisen.
13
Die Klägerin beantragt,
14
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
15
Die Klägerin ist der Berufung des Beklagten entgegengetreten und hat ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft.
16
Mit Verfügung vom 15. März 2019 hat der Berichterstatter die Klägerseite im Hinblick auf die Regelung der §§ 19 Abs. 3, 82 ff., 90 ff. SGB XII (Hinweis auf Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 25. September 2014 - B 8 SO 7/13 R -) gemäß § 106a Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aufgefordert, binnen sechs Wochen unter Vorlage vollständiger Nachweise (Kontoauszüge, Bewilligungsbescheide, Versicherungs-/Anlageverträge etc.) für die streitige Zeit vom 1. März 2014 bis zum 3. April 2015 monatsweise alle Einnahmen (Kindergeld, Pflegeleistungen, sonstige geldwertige Zuflüsse etc.) sowie alle in diesem Zeitraum vorhandenen Vermögenswerte darzulegen. Die Klägerseite wurde darauf hingewiesen, dass der Senat Erklärungen und Beweismittel, die nach Ablauf der oben genannten Frist vorgebracht werden, nach Maßgabe des § 106a Abs. 3 SGG zurückweisen und ohne weitere Ermittlung entscheiden kann. Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 22. Juli 2019 hat die Klägerin ergänzend vorgetragen, dass neben Kindergeld und Pflegegeld seitens der Pflegekasse die Klägerin nur das Pflegegeld nach § 54 Abs. 3 SGB XII bezogen habe. Ansparungen seien nicht getätigt worden. Über ein eigenes Konto habe sie bis zu ihrer Volljährigkeit nicht verfügt; ebenso wenig über Vermögen (z.B. Versicherungs- und Anlageverträge).
17
Der Senat hat die Akten des VG (8 K 3024/15) und des VGH Baden-Württemberg (12 S 1502/18) einschließlich der Verwaltungskaten des N.-Kreises beigezogen.
18
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten (Band 1 bis 8) sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen. | Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 10. März 2017 hinsichtlich des Tenors Ziff. 1 (Leistungen in Höhe von monatlich 585,97 EUR für die Zeit vom 1. März 2014 bis zum 3. April 2015) aufgehoben und die Klage auch insoweit abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Der Beklagte trägt 1/5 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin in erster Instanz. | 0 |
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VG Berlin 10. Kammer | Berlin | 0 | 1 | 01.02.2019 | 1 | Randnummer
1
Die Klägerin betreibt in Leuna mehrere Anlagen zur Herstellung von Polyethylen, darunter die streitgegenständliche Anlage „Train 4“ mit einer genehmigten Produktionskapazität von über 100 t pro Tag. Das Betreiben von Polymerisationsanlagen ist energieintensiv und verlangt insbesondere den Einsatz von Wärme (Dampf). Dieser Dampf wird aus dem standorteigenen Wärmeverteilnetz entnommen, soweit er nicht in der Anlage selbst erzeugt wird. In der Anlage entstehen CO
2
-Emissionen durch die Verbrennung von Erdgas in einer Folienschweißanlage sowie einer erdgasgestützten Nachverbrennungsanlage für organisch belastete Luftströme. Die Feuerungswärmeleistung beträgt weniger als 20 MW.
Randnummer
2
Die Klägerin beantragte bei der Deutschen Emissionshandelsstelle (im Folgenden: DEHSt) mit Antrag vom 23. Januar 2012 die Zuteilung von kostenlosen Emissionsberechtigungen für die streitgegenständliche Anlage. Die DEHSt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 26. Februar 2014 im Wesentlichen mit der Begründung ab, die Anlage falle nicht in den Anwendungsbereich des TEHG. Die Herstellung des Polymers Polyethylen sei in der abschließenden Auflistung von Stoffen und Stoffgruppen nach Nr. 27 in Anhang 1 Teil 2 des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes (TEHG), die die Herstellung organischer Grundchemikalien erfasse, nicht enthalten. Gegen den Ablehnungsbescheid legte die Klägerin am 13. März 2014 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, der von ihr geltend gemachte Zuteilungsanspruch folge aus der unmittelbaren Anwendung des Unionsrechts, namentlich den Art. 10a, 11 und 2 Abs. 1 i.V.m. Anhang I der Emissionshandelsrichtlinie 2003/87/EG und den Regelungen der einheitlichen EU-Zuteilungsregeln. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 1. September 2015, zugestellt am 4. September 2015, zurück. Dabei führte sie ergänzend aus, auch nach Unionsrecht sei die Anlage nicht emissionshandelspflichtig, da Polymere keine „Grundchemikalien“ seien und die Polymerisation kein „ähnliches Verfahren“ im Sinne des Anhanges I der EH-RL darstelle.
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3
Mit der am Montag, dem 5. Oktober 2015 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
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4
Zwar sei die Anlage nach nationalem Recht nicht emissionshandelspflichtig. Dies sei jedoch gemeinschaftsrechtlich vorgesehen. Nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Anhang I der Richtlinie 2003/87/EG falle jede Tätigkeit zur „Herstellung von organischen Grundchemikalien durch Cracken, Reformieren, partielle oder vollständige Oxidation oder ähnliche Verfahren“ ohne Beschränkung auf bestimmte Stoffe in den Anwendungsbereich der Emissionshandels-Richtlinie (EH-RL). Diese Tätigkeit sei im Rahmen der Anpassung des Katalogs emissionshandelspflichtiger Tätigkeiten durch die Änderungsrichtlinie 2009/29/EG vom 23. April 2009 in die Emissionshandelsrichtlinie aufgenommen werden. Die Umsetzungsfrist für die Mitgliedstaaten sei am 31. Dezember 2012 abgelaufen. Die Europäische Kommission vertrete die Auffassung, dass die Herstellung von Polymeren unter die o.g. Definition falle. Dies werde sowohl im Dokument „Guidance on Interpretation of Annex I of the EU ETS Directive“ ausgeführt als auch in Erwägungsgrund 16 des Beschlusses des Kommission 2013/448/EU vom 5. September 2013. Sämtliche anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gingen von der Emissionshandelspflicht der Polymerisationsanlagen aus. Ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland sei eingeleitet, jedoch noch nicht abgeschlossen.
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5
Die Europäische Kommission habe mit dem bestandskräftigen Beschluss 2013/448/EU die vom Beklagten vorgesehene kostenlose Zuteilung von Emissionsberechtigungen an einige emissionshandelspflichtige Wärmeerzeugungsanlagen untersagt, die Dampf an Polymerisationsanlagen lieferten. Diese Untersagung sei mit der sich nach dem Unionsrecht ergebenden Einbeziehung von Polymerisationsanlagen in den Anwendungsbereich der EH-RL (vgl. Erwägungsgrund 17 des Beschlusses 2013/448/EU) begründet worden. Die einheitlichen EU-Zuteilungsregeln sähen bei Wärmelieferung von einer emissionshandelspflichtigen Anlage an eine andere emissionshandelspflichtige Anlage zwingend vor, dass die Berechtigungszuteilung zu Gunsten der wärmeverbrauchenden Anlage erfolge (vgl. Erwägungsgrund 21 des Beschlusses 2011/278/EU). Somit solle nach dem Beschluss 2011/278/EU eine Zuteilung in diesem Fall an die Polymerisationsanlagen erfolgen.
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6
Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Umsetzung der Emissionshandelsrichtlinie in das nationale Recht durch Anhang 1 Teil 2 Nr. 27 TEHG nur unvollständig erfolgt sei und sie sich für ihren Zuteilungsanspruch unmittelbar auf die Richtlinie 2003/87/EG berufen könne. Die Klägerin regt an, die Fragen der Einbeziehung von Polymeren in die Definition des Herstellens von organischen Grundchemikalien und der unmittelbaren Anwendung dieser Bestimmung dem EuGH (erneut) vorzulegen. Im Parallelverfahren
Trinseo
(C-577/16) habe der EuGH in seinem Urteil vom 28. Februar 2018 die Vorlagefragen nicht beantwortet, weil die in jenem Verfahren streitgegenständliche Anlage – anders als die Anlage der Klägerin – nicht unter das Emissionshandelsregime falle, weil sie selbst kein CO
2
ausstoße. Der Generalanwalt habe in seinem Schlussantrag vom 14. Dezember 2017 zu Recht angenommen, dass die Herstellung von Polymeren grundsätzlich unter die Definition in Anhang I der Richtlinie 2003/87/EG falle. Seiner Ansicht, dass die Bestimmung nicht unmittelbar anwendbar sei, könne dagegen nicht gefolgt werden. Die unmittelbare Wirkung einer Richtlinie setze voraus, dass ein Mitgliedstaat eine Bestimmung nicht fristgerecht umgesetzt habe, die eine unbedingte und hinreichend genaue Verpflichtung enthalte, die den Einzelnen begünstige. Soweit weitere Maßnahmen des Mitgliedstaates und der Kommission erforderlich seien, stünde diesen kein Ermessensspielraum zu. Die kostenlose Zuteilung von Emissionsrechten sei begünstigend. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass die Bundesrepublik Deutschland gemeinschaftsrechtswidrig die Einbeziehung der Anlagen zur Herstellung von Polymeren in das Emissionshandelssystem unterlassen habe. Dies widerspreche dem Sanktionscharakter der unmittelbaren Anwendung von nicht umgesetzten Bestimmungen in Richtlinien.
Randnummer
7
Ursprünglich wandte sich die Klägerin darüber hinaus gegen die Anwendbarkeit und gegen die Höhe des sektorübergreifenden Korrekturfaktors.
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8
In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht das Verfahren abgetrennt, soweit kostenlose Emissionsberechtigungen für die Jahre 2018 bis 2020 begehrt werden (neues Aktenzeichen: VG 10 K 55.19). Für diesen Zeitraum sind die Anlagen inzwischen auch nach deutschem Recht emissionshandelspflichtig, und die Beklagte hat eine Zuteilung kostenloser Emissionszertifikate an die Klägerin bei der EU-Kommission notifiziert.
Randnummer
9
Die Klägerin beantragt,
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10
die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides der Deutschen Emissionshandelsstelle vom 26. Februar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. September 2015 zu verpflichten, den Antrag der Klägerin vom 23. Januar 2012 in Bezug auf die Jahre 2013 bis 2017 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Randnummer
11
Die Beklagte beantragt,
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12
die Klage abzuweisen.
Randnummer
13
Die Beklagte ist der Ansicht, dass es eine unionsrechtliche Verpflichtung zur Einbeziehung von Polymerisationsanlagen in den Emissionshandel nicht gebe. Außerdem spreche gegen die unmittelbare Anwendbarkeit der Emissionshandelsrichtlinie, dass die betreffenden Vorschriften weitere Maßnahmen der Mitgliedsstaaten und der Kommission voraussetzten und die Einbeziehung einer Anlage in die Emissionshandelspflicht für die Anlagenbetreiber grundsätzlich insgesamt belastend wirke.
Randnummer
14
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Streitakte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten verweisen, der vorgelegen hat und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt worden ist. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 1 | 1
Der Antragsteller wendet sich gegen die Satzung über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum in der Stadt Freiburg i. Br.
2
Der Antragssteller ist seit 2006 Eigentümer des am Rande der Altstadt der Antragsgegnerin gelegenen, mit zwei Wohngebäuden (... und ...) bebauten Grundstücks Flst.Nr. ... In zwei Räumen einer im Erdgeschoss des Gebäudes ... befindlichen Wohnung wurde vor einigen Jahren ein Yogastudio eingerichtet. Eine weitere ca. 180 m
2
große Wohnung im zweiten Obergeschoss wird von dem Antragsteller seit Oktober 2011 an ein Finanzierungsberatungsunternehmen als Geschäftsraum vermietet.
3
Im Zuge der Föderalismusreform wurde die Zuständigkeit für das Recht des Wohnungswesens durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28.8.2006 mit Wirkung vom 1.9.2006 vom Bund auf die Länder übertragen. Das Recht zur Gesetzgebung für das Recht des Wohnungswesens steht seither den Ländern zu. Auf dieser Grundlage erließ der Landesgesetzgeber das am 19.12.2013 in Kraft getretene Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (Zweckentfremdungsverbotsgesetz - ZwEWG). Nach § 2 Abs. 1 ZwEWG können Gemeinden, in denen die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist (Gemeinden mit Wohnraummangel), durch Satzung mit einer Geltungsdauer von höchstens fünf Jahren bestimmen, dass im Gemeindegebiet oder in Teilen davon Wohnraum nur mit ihrer Genehmigung überwiegend anderen als Wohnzwecken zugeführt werden darf (Zweckentfremdung). Die Vorschrift löst damit in Baden-Württemberg die gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG als Bundesrecht fortgeltende Regelung in Art. 6 § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen (Mietrechtsverbesserungsgesetz - MRVerbG) vom 4.11.1971 (BGBl. I S. 1745) ab, der die Landesregierungen dazu ermächtigt, für Gemeinden, in denen die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass Wohnraum anderen als Wohnzwecken nur mit Genehmigung der von der Landesregierung bestimmten Stelle zugeführt werden darf.
4
Gestützt auf § 2 Abs. 1 ZwEWG beschloss der Gemeinderat der Antragsgegnerin die Satzung der Stadt Freiburg i. Br. über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum vom28.1.2014, die am 31.1.2014 öffentlich bekannt gemacht wurde und nach ihrem § 15 am 1.2.2014 in Kraft getreten ist. Die Satzung wurde durch eine vom Gemeinderat der Antragsgegnerin am 17.3.2015 beschlossene Satzung geändert, die am 27.3.2015 bekanntgemacht wurde und am 28.3.2015 in Kraft getreten ist.
5
Die Satzung enthält in ihrer geänderten Fassung u.a. folgende Regelungen:
6
§ 1
Gegenstand der Satzung
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(1) In der Stadt Freiburg i. Br. ist die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet (Wohnraummangellage) und diesem Wohnraummangel kann innerhalb der nächsten fünf Jahre nicht mit anderen zumutbaren Mitteln in angemessener Zeit begegnet werden.
8
(2) Die Satzung gilt für die Zweckentfremdung von frei finanziertem Wohnraum im Stadtgebiet. Nicht betroffen ist Wohnraum, so lange er den Bindungen aus den Wohnraumförderungsprogrammen des Landes unterliegt, was der Antragsteller auf Verlangen nachzuweisen hat.
9
…
10
§ 3
Wohnraum
11
(1) Wohnraum im Sinne der Satzung sind sämtliche Räume, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Satzung zur dauerhaften Wohnnutzung objektiv geeignet und subjektiv durch die/den Verfügungsberechtigte(n) bestimmt sind. Dazu zählen auch Werk- und Dienstwohnungen sowie Wohnheime.
12
(2) Objektiv geeignet sind Räume, wenn sie (alleine oder zusammen mit anderen Räumen) die Führung eines selbständigen Haushalts ermöglichen. Die subjektive Bestimmung (erstmalige Widmung oder spätere Umwidmung) trifft die/der Verfügungsberechtigte ausdrücklich oder durch nach außen erkennbares schlüssiges Verhalten.
13
(3) Wohnraum liegt nicht vor, wenn
14
1. der Raum dem Wohnungsmarkt nicht generell zur Verfügung steht, weil das Wohnen in einem engen räumlichen Zusammenhang an eine bestimmte Tätigkeit geknüpft ist (z. B. Wohnraum für Aufsichtsperson auf Betriebsgelände, Hausmeisterwohnung im Schulgebäude) und dies baurechtlich abgesichert ist.
15
2. der Raum bereits vor dem Inkrafttreten dieser Satzung und seitdem ohne Unterbrechung zulässiger Weise anderen als Wohnzwecken diente,
16
3. der Raum (noch) nicht bezugsfertig ist,
17
4. baurechtlich eine Wohnnutzung nicht zulässig und auch nicht genehmigungsfähig ist,
18
5. ein dauerndes Bewohnen unzulässig oder unzumutbar ist, weil der Raum einen schweren Mangel bzw. Missstand aufweist oder unerträglichen Umwelteinflüssen ausgesetzt ist und die Wiederbewohnbarkeit nicht mit einem objektiv wirtschaftlichen und zumutbaren Aufwand hergestellt werden kann. Dies ist stets der Fall, wenn die aufzuwendenden finanziellen Mittel
19
- nicht innerhalb eines Zeitraumes von 10 Jahren durch entsprechende Erträge
ausgeglichen werden können oder
- die Kosten des Abbruchs zuzüglich der Neuerrichtung die eines vergleichbaren Gebäudes erreichen;
20
6. der Raum aufgrund der Umstände des Einzelfalls nachweislich nicht mehr vom Markt angenommen wird, z. B. wegen seiner Größe oder seines Grundrisses.
21
(4) Eine Ferienwohnung gilt nicht als Wohnraum, wenn ihre Nutzung baurechtlich zulässig ist, und ihr Inhaber bis spätestens 01.02.2014 gegenüber der Stadt erklärt hatte, dass der Wohnraum als Ferienwohnung genutzt wird, z. B. durch Stellen eines Bauantrags, eines Antrags auf Zweckentfremdung oder durch Anmeldung gemäß § 7 der Übernachtungssteuersatzung vom 15.10.2013.
22
§ 4
Zweckentfremdung
23
(1) Wohnraum wird zweckentfremdet, wenn er durch die Verfügungsberechtigte/den Verfügungsberechtigten und die Mieterin/den Mieter anderen als Wohnzwecken zugeführt wird. Eine Zweckentfremdung liegt insbesondere vor, wenn der Wohnraum
24
1. überwiegend für gewerbliche oder berufliche Zwecke verwendet oder überlassen wird,
25
2. baulich derart verändert oder in einer Weise genutzt wird, dass er für Wohnzwecke nicht mehr geeignet ist,
26
3. nicht nur vorübergehend gewerblich oder gewerblich veranlasst für Zwecke der Fremdenbeherbergung genutzt wird,
27
4. länger als sechs Monate leer steht, vorbehaltlich der Fälle des Absatzes 2 Nr. 1,
28
5. beseitigt wird (Abbruch).
29
(2) Eine Zweckentfremdung liegt in der Regel nicht vor, wenn
30
1. Wohnraum leer steht, weil er trotz nachweislicher geeigneter Bemühungen über längere Zeit nicht wieder vermietet werden konnte,
31
2. Wohnraum nachweislich zügig umgebaut, instand gesetzt oder modernisiert
32
3. eine Wohnung durch die Verfügungsberechtigte/den Verfügungsberechtigten oder die Mieterin/den Mieter zu gewerblichen oder beruflichen Zwecken mitbenutzt wird, insgesamt jedoch die Wohnnutzung überwiegt (über 50 v. H. der Fläche) und Räume nicht im Sinne von Abs. 1 Nr. 2 baulich verändert wurden,
33
4. Wohnraum nicht ununterbrochen genutzt wird, weil er bestimmungsgemäß der/dem Verfügungsberechtigten als Zweit- oder Ferienwohnung dient,
34
5. der Wohnraum mit anderem Wohnraum zur weiteren Wohnnutzung zusammengelegt oder geteilt wird.
35
§ 5
Genehmigung
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(1) Wohnraum darf nur mit der Genehmigung der Vollzugsbehörde anderen als Wohnzwecken zugeführt werden.
37
(2) Eine Genehmigung ist auf Antrag zu erteilen, wenn vorrangige öffentliche Interessen oder schutzwürdige private Interessen das Interesse an der Erhaltung des betroffenen Wohnraums überwiegen. Eine Genehmigung kann erteilt werden, wenn dem Interesse an der Erhaltung des Wohnraums durch Ausgleichsmaßnahmen, insbesondere durch Ersatzwohnraum oder durch Entrichtung einer Ausgleichszahlung, in verlässlicher und angemessener Weise Rechnung getragen wird.
38
(3) Eine Genehmigung kann ferner erteilt werden
39
1. für Wohnraum, der nachweislich über einen Zeitraum von mindestens 5 Jahren als solcher genutzt wurde, wenn sich die Zulässigkeit der Wohnnutzung nicht klären lässt
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2. für die Umwandlung von Wohnungen nach § 8 Abs. 3, § 9 Abs. 3 BauNVO in gewerblichen Einheiten
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3. wenn städtebauliche/stadtplanerische Ziele dies erfordern.
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(4) Einer Genehmigung bedarf es nicht für die anderweitige Verwendung von Wohnraum, der nach dem erstmaligen Inkrafttreten dieser Satzung unter wesentlichem Bauaufwand aus ehemals nicht Wohnzwecken dienenden Räumen geschaffen wurde. Das Gleiche gilt für den Leerstand von Wohnraum über die Dauer von sechs Monaten hinaus, soweit dieser durch überwiegende schutzwürdige private Interessen gerechtfertigt ist.
43
(5) Die Genehmigung wirkt für und gegen die Rechtsnachfolgerin / den Rechtsnachfolger; das Gleiche gilt auch für Personen, die den Besitz nach Erteilung der Genehmigung erlangt haben.
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(6) Die Genehmigung zur Zweckentfremdung ersetzt keine nach anderen Bestimmungen erforderlichen Genehmigungen (z. B. des Baurechts).
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§ 6
Genehmigung aufgrund vorrangiger öffentlicher Belange und überwiegender privater Interessen
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(1) Vorrangige öffentliche Belange für eine Zweckentfremdung sind in der Regel gegeben, wenn Wohnraum zur Versorgung der Bevölkerung mit sozialen Einrichtungen (z. B. für Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs- oder gesundheitliche Zwecke) oder lebenswichtigen Diensten (z. B. ärztliche Betreuung) verwendet werden soll, die gerade an dieser Stelle der Gemeinde dringend benötigt werden und für die andere Räume nicht zur Verfügung stehen oder nicht zeitgerecht geschaffen werden können.
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(2) Überwiegende schutzwürdige private Interessen sind insbesondere - bei einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz und - bei nicht mehr erhaltungswürdigem Wohnraum gegeben.
48
§ 7
Genehmigung gegen Ersatzwohnraum
49
(1) Ein beachtliches und verlässliches Angebot zur Bereitstellung von Ersatzwohnraum lässt das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Wohnraums in der Regel entfallen, wenn die Wohnraumbilanz insgesamt wieder ausgeglichen wird. Der Interessenausgleich durch Bereitstellung von Ersatzwohnraum ist auch in Kombination mit Ausgleichszahlungen (§ 8 der Satzung) möglich. Etwas anderes gilt, wenn es aus besonderen Gründen im öffentlichen Interesse geboten ist, dass ganz bestimmter Wohnraum nicht zweckentfremdet wird. Das ist z. B. bei einer besonderen Lage (Altstadt) oder kultureller oder historischer Bedeutung des Wohnraums der Fall.
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(2) Ein beachtliches Angebot zur Errichtung von Ersatzwohnraum liegt vor, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
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1. Der Ersatzwohnraum wird im Gebiet der Stadt Freiburg geschaffen.
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2. Der Ersatzwohnraum wird von der Inhaberin/vom Inhaber der Zweckentfremdungsgenehmigung geschaffen.
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§ 8
Genehmigung gegen Entrichtung von Ausgleichsbeträgen
54
(1) Im Einzelfall kann auch durch eine einmalige oder laufende Ausgleichszahlung erreicht werden, dass das öffentliche Interesse an der Erhaltung eines bestimmten Wohnraums hinter das Interesse an einer Zweckentfremdung zurücktritt. Mit der Ausgleichszahlung sollen die durch die Zweckentfremdung bedingten Mehraufwendungen der Allgemeinheit für die Schaffung neuen Wohnraums teilweise kompensiert und so ein Ausgleich für den Verlust an Wohnraum geschaffen werden. Die Ausgleichsbeträge sind zweckgebunden für die Schaffung neuen Wohnraums zu verwenden.
…
55
Der Antragsteller hat am 29.1.2015 einen Normenkontrollantrag gestellt. Zur Begründung macht er geltend, die für den Erlass einer Zweckentfremdungssatzung erforderlichen Voraussetzungen lägen nicht vor. Das Zweckentfremdungsverbotsgesetz ermächtige die Gemeinden nur dann zum Erlass einer solchen Satzung, wenn dem Wohnraummangel nicht in absehbarer Zeit vorrangig durch andere Maßnahmen abgeholfen werden könne. Das beruhe auf der Erkenntnis, dass der Erlass einer entsprechenden Satzung und ihr Vollzug erhebliche Eingriffe in das Eigentum der Betroffenen darstellten. Ein solcher Eingriff dürfe nur als das letzte Mittel zur Minderung eines bestimmten Wohnraummangels ergriffen werden. Das bedeute, dass schon aus verfassungsrechtlichen Gründen jedenfalls andere Maßnahmen bei der Bekämpfung des Wohnraummangels vorrangig sein müssten, z.B. solche der Wohnraumförderung. Die Gemeinden seien außerdem im Rahmen ihres eigenverantwortlich auszuübenden normativen Ermessens zu der Prüfung verpflichtet, ob die Anwendung des Zweckentfremdungsverbots auf einzelne typisierte Anwendungsfälle, beispielsweise nur auf leerstehende Wohnungen beschränkt werden könne. Dies habe die Antragsgegnerin weder beim Erlass der Satzung noch bei deren Vollzug beachtet.
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Soweit sich in den Beratungs- und Beschlussprotokollen der Antragsgegnerin überhaupt Aussagen finden ließen, sei es ihr ausschließlich darum gegangen, dass im Stadtgebiet preisgünstiger Wohnraum für untere und mittlere Einkommen nicht hinreichend zur Verfügung stehe. Dies entspreche auch der tatsächlichen Wohnraummangellage in Freiburg, was sich auch aus dem „Kommunalen Handlungsprogramm Wohnen“ ergebe, das die Grundlage der wohnungspolitischen Ausrichtung der Antragsgegnerin bilde. Die Voraussetzung einer „besonderen Wohnraumgefährdung“ sei aber bei Wohnungen ab einer Wohnfläche von ca. 120 m
2
im Innenstadtbereich nicht erfüllt. Für untere und mittlere Einkommen seien solche Wohnungen nicht erschwinglich. Eine „besondere“ Gefährdung der Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen liege deshalb bei Wohnraum, dessen ortsübliche Kaltmiete mehr als 1.500 EUR betrage, nicht vor. Solche Wohnungen könnten damit auch nicht zu den Wohnungen zählen, welche dem Zweckentfremdungsverbotsgesetz und den damit zusammenhängenden Schutzzweckgedanken unterlägen. Von der Antragsgegnerin werde somit eine allgemeine Mangellage mit preisgünstigem Wohnraum undifferenziert und ohne ausreichende Tatsachengrundlage behauptet. Da die Satzungsvoraussetzungen insoweit nicht erfüllt seien, hätte die Antragsgegnerin zumindest für solche Innenstadtwohnungen eine entsprechende Beschränkung bzw. Ausnahme vom Zweckentfremdungsverbot erlassen müssen, wie dies auch vom Gesetzgeber gewollt sei.
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Der Antragsteller beantragt,
58
die Satzung der Stadt Freiburg i. Br. über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum in der Stadt Freiburg i. Br. vom 28. Januar 2014 in der Fassung der Satzung vom 17. März 2015 für unwirksam zu erklären.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzuweisen.
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Sie erwidert: Die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen sei in ihrem Stadtgebiet gefährdet. Eine solche Gefährdung liege insbesondere vor, wenn ein Zustand unzureichender Wohnraumversorgung breiter Bevölkerungsschichten mindestens latent vorhanden sei und dies mit Umständen zusammenhänge, die in dem jeweiligen Ort den Wohnungsmarkt belasteten. Entgegen der Auffassung des Antragstellers sei der Wohnungsmarkt zweckentfremdungsrechtlich nicht in verschiedene Marktsegmente zu teilen und die Mangellage nicht für alle Segmente gesondert zu beurteilen, da nach der Legaldefinition des § 1 ZwEWG auf die allgemeine Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum abzustellen sei. In der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung sei anerkannt, dass der Wohnungsmarkt als Ganzes maßgeblich sei. Nach der Rechtsprechung könnten als Indizien für den Zustand der Wohnraumversorgung u.a. der Vergleich der Entwicklung der Bevölkerungszahl mit der Entwicklung der im Neubau fertig gestellten Wohnungen, die Entwicklung der durchschnittlichen Mietpreise in den Mietenspiegeln, das Verhältnis von Angebot und Nachfrage nach preisgünstigen Mietwohnungen und die Entwicklung der Zahl der anerkannter Dringlichkeitsfälle herangezogen werden. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe habe die Stadt eine sich seit mehreren Jahren drastisch verschärfende Wohnraummangellage auf ihrem Gebiet festgestellt. Wie sich aus der amtlichen Statistik ablesen lasse, gehöre Freiburg zu den wenigen Städten, in denen bereits seit Anfang der 1990er die Einwohnerzahl stetig gestiegen sei, und zwar um insgesamt ca. 20 %. Die jährliche Wachstumsrate seit 2004 liege bei rd. 0,9 % bzw. 1.100 Personen. Im Vergleich zu anderen bundesdeutschen Großstädten seien in Freiburg seit Jahren sehr hohe Mieten zu verzeichnen. Die mittlere monatliche Nettokaltmiete aller für den Mietspiegel untersuchten Wohnungen habe sich von 2003 bis 2012 um 17 % von 6,42 EUR/m
2
auf 7,53 EUR/m
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Wohnfläche erhöht. Ab 2006 sei vor allem die Mietspiegelmiete für größere Wohnungen ab 90 m
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teurer geworden. Zwischen 2004 und 2013 seien auch die Kaufpreise für Eigentumswohnungen stark gestiegen. Im Jahr 2013 habe der Quadratmeterpreis mit rund 4.000 EUR/m
2
mit knapp 60 % über dem Wert von 2009 gelegen. Auch die Wiederverkaufspreise für bestehende Eigentumswohnungen seien um 33 % von 2009 auf 2013 gestiegen. Neben dem Bevölkerungswachstum habe auch der Trend zur Haushaltsverkleinerung Auswirkungen auf den Wohnraumbedarf, weil hierdurch sowohl die Zahl der Haushalte als auch der Bedarf an Wohnungen steige.
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Die Bauintensität als ein Frühindikator für die Angebotsentwicklung sei in den letzten Jahren gesunken. Während im Jahr 2005 noch über 1.000 Wohneinheiten genehmigt worden seien, seien in den Jahren 2011 und 2012 nur noch 374 bzw. 586 Wohneinheiten genehmigt worden; im Jahr 2013 seien es 719 gewesen. Folge davon sei eine zunehmende Anspannung des Wohnungsmarkts. Des Weiteren sei die Zahl der in der städtischen Wohnungssucherdatei registrierten wohnungssuchenden Haushalte von 590 im Jahr 2004 auf 1.256 im Jahr 2012 und 1.330 im Jahr 2013 gestiegen. Auch in der Zukunft bestehe aufgrund der längerfristig zu erwartenden Bevölkerungs- und Haushaltszunahme eine anhaltend hohe Nachfrage nach Wohnraum in allen Segmenten. Nach der neuen Bevölkerungsvorausrechnung aus dem Jahr 2014 sei von einer Bevölkerungszunahme um 19.000 Personen bis im Jahr 2030 auszugehen. Nach der aktuellen Wohnungsbedarfsanalyse sei bis zu diesem Jahr von einem Neubaubedarf in Freiburg von rund 14.600 bis18.600 Wohnungen auszugehen.
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Der Erlass der Satzung verstoße nicht gegen den in § 1 ZwEWG verankerten Subsidiaritätsgrundsatz. Entgegen der Auffassung des Antragstellers sei dieser Grundsatz nicht derart zu verstehen, dass der Erlass einer Zweckentfremdungssatzung ausgeschlossen sei, solange andere zumutbare Maßnahmen der Entspannung des Wohnungsmarkts möglich seien. Die zumutbaren alternativen Maßnahmen müssten vielmehr auch geeignet sein, in angemessener Zeit dem Wohnraummangel effektiv entgegenzuwirken. Die Stadt habe sämtliche ihr zumutbaren Maßnahmen zur Behebung des Wohnraummangels in einem umfangreichen Maßnahmenkonzept zusammengestellt. Diese Maßnahmen würden derzeit umgesetzt, ohne dass sich dadurch in vertretbarer Zeit eine ausreichenden Entspannung des Wohnungsmarkts durch umfassende Deckung des Wohnraumbedarfs erreichen lasse. Insbesondere die geplante Entwicklung eines neuen Stadtteils erweise sich als zeitintensive Maßnahme, die erst langfristig zur einer Entspannung des Wohnungsmarkts beitragen könne. Angesichts verschiedener Realisierungshemmnisse werde die neue Siedlungsfläche voraussichtlich nicht vor dem Jahr 2020 bebaubar sein. Die aufgestellten Prognosen machten deutlich, dass es trotz der in ihrem Handlungsprogramm genannten weiteren Maßnahmen auch in Zukunft ein hohes Defizit an bezahlbarem Wohnraum geben werde.
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Entgegen der Behauptung des Antragstellers beziehe sich das Handlungs-programm Wohnen der Stadt nicht lediglich auf das mittlere und untere Wohnungsmarktsegment. Zwar liege einer der Schwerpunkte in der Stärkung dieser Segmente, da in diesem die Verknappung und Verteuerung von Wohnraum in Freiburg am spürbarsten sei. Im Zentrum des Handlungsprogramms stehe aber der Neubau von Wohnraum für alle Nachfragegruppen. Wohnungen eines bestimmten Preissegments seien auch nicht per se vom Anwendungsbereich des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes ausgenommen.
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§ 2 Abs. 1 ZwEWG erlaube es den Gemeinden, den Geltungsbereich einer auf der Grundlage dieser Vorschrift erlassenen Satzung räumlich zu beschränken. Eine Beschränkung auf eine bestimmte Art von Wohnraum sei dagegen nicht möglich. Selbst wenn sich das den Gemeinden zustehende Ermessen auch auf die Art der Wohnung erstrecken sollte, folge daraus nicht die Rechtswidrigkeit ihrer Satzung, da sich die gerichtliche Kontrolle einer Satzung auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Entscheidungsergebnisses zu beschränken habe. Die mangelnde Beschränkung des Zweckentfremdungsverbots auf Wohnungen eines bestimmten Preissegments verstoße jedoch weder gegen Verfassungsrecht noch gegen Vorschriften des einfachen Rechts.
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Soweit der Antragsteller der Auffassung sei, dass die Stadt sein Engagement zur Schaffung von Wohnraum beim Vollzug der Satzung hätte berücksichtigen müssen, sei darauf hinzuweisen, dass für die Prüfung etwaiger Anwendungs- bzw. Vollzugsfehler im Normenkontrollverfahren kein Raum sei.
67
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorliegenden Akten der Antragsgegnerin sowie die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten verwiesen. | Der Antrag wird abgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
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Baden-Württemberg | 0 | 1 | 0 | 1
Die Klägerinnen begehren im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Form der Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit von Juli bis Dezember 2005.
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Die 1967 geborene ledige Klägerin zu 1 lebt zusammen mit ihrer 2000 geborenen Tochter, der Klägerin zu 2 seit dem 1. Februar 2003 in einer Zwei-Zimmerwohnung zur Miete. Die Warmwasseraufbereitung erfolgt zentral über die Heizanlage (Gas), wobei der Verbrauch nicht gesondert gemessen wird. Ausweislich einer Mietbescheinigung vom 17. September 2004 hatten sie für die Wohnung eine Grundmiete in Höhe von 275,45 EUR zuzüglich Neben- und Heizkosten in Höhe von 111,39 EUR und damit insgesamt 386,84 EUR monatlich zu zahlen.
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Die Klägerinnen beziehen seit dem 1. Januar 2005 von der Beklagten Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II. Die Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts bzw. das Sozialgeld wird ihnen von der Bundesagentur für Arbeit, AA H. gewährt. Mit Bescheid vom 28. Juni 2005 bewilligte diese für die Zeit von Juli bis Dezember 2005 monatliche Leistungen in Höhe von insgesamt 348,53 EUR. Die Beklagte bewilligte den Klägerinnen für die Zeit von Juli bis Dezember 2005 mit Bescheid vom 26. Juli 2005 Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 275,45 EUR je Monat. Sie legte dabei eine angemessene Kaltmiete in Höhe von 317,84 EUR sowie Heizkosten in Höhe von 69 EUR und damit insgesamt 386,84 EUR monatlich zu Grunde. Hiervon zog sie 13,00 EUR monatlich als Kosten der Warmwasserbereitung ab. Bedarfsmindernd berücksichtigte die Beklagte zudem ein monatliches Einkommen in Höhe von 98,02 EUR.
4
Am 31. Mai 2006 beantragte die Klägerin zu 1 die Überprüfung des Bescheides vom 26. Juli 2005 nach § 44 SGB X. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 26. Juli 2006 mit der Begründung ab, nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sei es mit dem Grundsatz des Sozialhilferechts nicht vereinbar, bestandskräftige Bescheide rückwirkend für die Vergangenheit nach § 44 SGB X zurückzunehmen. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 27. März 2007 zurückgewiesen.
5
Die Klägerinnen haben am 25. April 2007 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben und im Wesentlichen geltend gemacht, dass ihnen für den streitgegenständlichen Zeitraum höhere als die bewilligten Leistungen für Unterkunft und Heizung zustünden. Der bestandskräftige Bescheid, der über diesbezügliche Leistungen entschieden habe, sei nach § 44 SGB X zurückzunehmen. Die Rechtsprechung, auf welche sich die Beklagte stütze, beziehe sich lediglich auf Fälle nach dem Bundessozialhilfegesetz <BSHG>, nicht jedoch auf Fälle nach dem SGB II. § 44 SGB X finde im Rahmen des SGB II Anwendung. Dies begründe sich insbesondere durch den unmissverständlichen Verweis des § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II.
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Mit Urteil vom 6. November 2007 hat das Sozialgericht Heilbronn die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Juli 2006 und des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2007 sowie unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 26. Juli 2005 dem Grunde nach verurteilt, den Klägerinnen höheres Arbeitslosengeld II (Alg II) in Form von Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2005 zu gewähren. Es hat die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, nach dem Gesamtzusammenhang ergebe sich für die Klägerinnen im streitgegenständlichen Zeitraum jeweils ein höherer Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sei ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden sei, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergebe, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich als unrichtig erweise, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden seien. Diese Voraussetzungen seien gegeben. Entgegen der Auffassung der Beklagten finde § 44 SGB X auch im Bereich des SGB II Anwendung. Das Wesen der Grundsicherung schließe eine Anwendung von § 44 SGB X nicht aus. Zwar habe das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) § 44 SGB X auf die Sozialhilfe nicht für anwendbar gehalten und dies mit der Eigenart der Sozialhilfe begründet (BVerwG, Urteil vom 13. November 2003 - 5 C 26/02). Diese Rechtsprechung sei auf die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II jedoch nicht übertragbar. Denn bei dieser Leistungsform bestehe die vom BVerwG als entscheidungserheblich gewichtete Eigenart der Sozialhilfe als eine ausschließlich auf die Gegenwart bezogene, gleichsam täglich neu regelungsbedürftige Hilfe nicht. Zwar seien Leistungen nach dem SGB II ebenfalls bedarfsorientiert. Sie seien jedoch nicht am Bedarfsdeckungsprinzip ausgerichtet, wonach nur der im Einzelfall notwendige Lebensunterhalt sichergestellt werden solle. Vielmehr sollten diese Leistungen den grundlegenden Bedarf für den Lebensunterhalt sicherstellen. Es handele sich hierbei um eine auf Dauer angelegte Sozialleistung, die in der Regel für einen Zeitraum von sechs Monaten bewilligt werde (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II) und mittlerweile nach dem Wortlaut des Gesetzes sogar für einen Zeitraum bis zu zwölf Monaten bewilligt werden könne. Der Bescheid über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II stelle daher einen Dauerverwaltungsakt dar. Entsprechend müsse, wenn sich nachträglich herausstelle, dass Leistungen zu Unrecht nicht erbracht worden seien, ein rechtswidriger Bescheid nach § 44 Abs. 1 SGB X zurückgenommen werden. Darüber hinaus werde in § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II umfassend auf das SGB X verwiesen. § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II modifiziere dann lediglich - über die in Bezug genommene Vorschrift des § 330 Sozialgesetzbuch Drittes Buch <SGB III> - die Regelungen der §§ 44 ff. SGB X, ohne allerdings die Anwendung von § 44 SGB X auszuschließen. Rechtsgrundlage für die Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung für den streitgegenständlichen Zeitraum sei § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Danach würden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen seien. Im streitgegenständlichen Zeitraum ergäben sich für die Klägerinnen schon deshalb höhere Ansprüche, weil die Beklagte für die Warmwasseraufbereitung einen zu hohen Pauschbetrag abgezogen habe. Da die Warmwasseraufbereitung zentral über die Heizanlage (Gas) erfolge und der Verbrauch nicht gesondert gemessen werde, sei es zwar nicht zu beanstanden, dass die Beklagte überhaupt einen Abzug vorgenommen habe. Denn derartige Kosten seien aus der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II (bzw. aus dem Sozialgeld nach § 28 SGB II) zu bestreiten. Wie dem Gericht aus anderen Verfahren bekannt sei, lege die Beklagte selbst ab 1. November 2005 für eine Bedarfsgemeinschaft wie die Klägerinnen nicht mehr einen Pauschbetrag von monatlich 13,00 EUR, sondern von 8,90 EUR (6,23 EUR + 2,67 EUR) zu Grunde. Die genannten Beträge ergäben sich auf Grund einer Nachberechnung der am 11. Juni 1990 vom Sozialministerium Baden-Württemberg für den Landkreistag Baden-Württemberg vorgenommenen Berechnung. Das Gericht weise darüber hinaus darauf hin, dass die Nachberechnung zwar für die Zeit ab 1. November 2005 erfolgt sei, jedoch nach Auffassung des Gerichts auch für die Zeit ab Juli 2005 trage. Zudem werde die Beklagte zu überprüfen haben, ob das von ihr bedarfsmindernd berücksichtigte Einkommen in Höhe von monatlich 98,02 EUR zutreffend sei. Denn die Bundesagentur habe für den streitgegenständlichen Zeitraum einen Einkommensüberhang von lediglich 80,46 EUR je Monat ermittelt. Wenn die Beklagte in Ausführung des Urteils einen Bescheid erlasse, werde sie auch zu berücksichtigen haben, dass es sich bei den (höheren) Ansprüchen der Klägerinnen um individuelle Ansprüche handele. Daher habe sie die Höhe des jedem Einzelnen zustehenden Anspruchs gesondert auszuweisen.
7
Gegen dieses ihr am 21. Januar 2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19. Februar 2008 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt und sich im Wesentlichen auf die vom SG zitierte Rechtsprechung des BVerwG berufen, die sie weiterhin auf Leistungen nach dem SGB II für anwendbar hält.
8
Die Beklagte beantragt,
9
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 6. November 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerinnen beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie halten die angegriffene Entscheidung für zutreffend.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtsakte des SG und der Berufungsakte Bezug genommen. | Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 6. November 2007 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte erstattet den Klägerinnen ihre außergerichtlichen Kosten auch im Berufungsverfahren. | 0 |
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Hessisches Landessozialgericht 7. Senat | Hessen | 0 | 1 | 08.07.1998 | 0 | Randnummer
1
Es geht in dem Rechtsstreit um die sachlich-rechnerische Berichtigung der Honorarabrechnungen des Klägers in den Quartalen I/94 bis I/95.
Randnummer
2
Der Kläger ist in W. als Pathologe niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.
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3
Mit Bescheid vom 29. August 1994 (abgesandt 26.9.1994) teilte die Beklagte dem Kläger hinsichtlich der Honorarabrechnung I/94 (Primärkassen) mit, daß er die GO-Nrn. 7103 und 7140 mehr als einmal je überwiesenen Untersuchungsfall abgerechnet habe, daß die GO-Nr. 7103 jedoch nur einmal je überwiesenen Untersuchungsfall abgerechnet werden könne und damit auch die Kosten für die Übermittlung der Untersuchungsergebnisse abgegolten seien.
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Hiergegen hat der Kläger am 16. Oktober 1994 Widerspruch eingelegt und die Auffassung vertreten, daß ein Material einem Untersuchungsfall entspreche. Dementsprechend seien die Nr. 7103 und 7140 zuzuordnen.
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Mit Bescheid vom 3. Mai 1995 (abgesandt 16. Mai 1995) teilte die Beklagte dem Kläger hinsichtlich der Quartale II/94, III/94 und IV/94 (Ersatz-/Primärkassen) mit, daß folgende Berichtigungen vorgenommen worden seien:
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6
…
in mehreren Behandlungsfällen habe der Kläger die GO-Nrn. 7103, 7120, 7140 und 8023 mehr als einmal je überwiesenen Untersuchungsfall abgerechnet,
…
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Hiergegen hat der Kläger am 7. Juni 1995 sinngemäß Widerspruch eingelegt und die Überweisung des einbehaltenen Betrages in Höhe von DM 4.475,20 begehrt.
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Mit Schreiben vom 8. August 1995 erklärte die Beklagte die weiteren Absetzungen u.a. damit, daß die GO-Nr. 46 als Assistenzgebühr dem Kläger schon früher rechtskräftig abgelehnt worden sei.
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9
Mit Bescheid vom 11. September 1995 (abgesandt am 20. September 1995), betreffend das Quartal I/95 (Ersatz-/Primärkassen) übersandte die Beklagte dem Kläger eine Liste der abgesetzten Leistungen (hauptsächlich Nrn. 7103 und 7140) und erklärte die dementsprechende sachlich-rechnerische Berichtigung. Hiergegen hat der Kläger am 26. September 1995 Widerspruch eingelegt.
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Nachdem die Bezirksstelle W. den Widersprüchen nicht abgeholfen hat, hat die Beklagte die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juli 1996 zurückgewiesen im wesentlichen mit der bisherigen Begründung, wobei die verschiedenen Beanstandungen unter den Buchstaben a) bis g) abgehandelt wurden:
…
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b) Mehrfache Abrechnung der Nr. 7103 EBM’87 [Pauschalerstattung für Versandmaterial, Versandgefäße usw. sowie für die Versendung bzw. den Transport von Untersuchungsmaterial einschl. der Kosten für die Übermittlung von Untersuchungsergebnissen der Laboratoriumsdiagnostik, Histologie, Zytologie, je überwiesenen Untersuchungsfall], sowie der zusätzlich auf diesen Fällen abgerechneten Nrn. 7120, 7140 und 8023 EBM’87.
c) …
d) Absetzung der Nr. 46 EBM’87 [Beistand bei der ärztlichen Leistung eines anderen Arztes (Assistenz), bei Tage]
…
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Zu b) führte die Beklagte u.a. aus, daß der Begriff „je überwiesenen Untersuchungsfall” eindeutig im Kölner Kommentar erläutert werde und mit der Inanspruchnahme gleichzusetzen sei. Demnach sei die mehrfache Abrechnung der Nr. 7103 EBM’87 für die Einsendung mehrerer Präparate eines Patienten an einem Behandlungstag ausgeschlossen. Die im Abschnitt P (Histologie) erläuterte Definition eines Materials stehe in keinem Zusammenhang mit dem Begriff Untersuchungsfall. Die zusätzlich abgerechneten Leistungen nach den Nrn. 7120, 7140 EBM’87 und 8023 (Telefonkosten) seien Bestandteil der Nr. 7103 EBM’87 und somit nicht gesondert abrechnungsfähig.
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Zu d) führte die Beklagte aus, daß der Kläger bei dem Behandlungsfall Wenzel zur Nr. 4816 EBM’87 [Histologische Sofortuntersuchung eines Materials während einer Operation (Schnellschnitt)] die Assistenz nach Nr. 46 EBM’87 abgerechnet habe. Die Tatsache, daß der Kläger bei der Gewebeentnahme anwesend sei und den operierenden Kollegen evtl. beratend unterstütze, rechtfertige nicht den Ansatz einer Assistenzgebühr, zumal der Operateur durchaus in der Lage sei, Gewebematerial selbst zu entnehmen.
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Hiergegen hat der Kläger am 30. Juli 1996 Klage erhoben, die er zuletzt auf die im Widerspruchsbescheid unter b) und d) behandelten Beanstandungen beschränkt hat. Der Kläger hat vorgetragen, daß er anders als die meisten Fachkollegen die Proben nicht von Krankenhäusern auf deren Kosten zugeliefert bekomme, sondern auf seine eigenen Kosten durch einen Kleintransportunternehmer bei den niedergelassenen Ärzten abholen lasse und allein dadurch pro Probe (nicht pro Patient) Kosten von mehr als DM 3,– entstünden. Es kämen noch Gefäßkosten, Kosten für Schachteln, Schreibkosten, Porto und Entsorgung hinzu. Seine Kosten würden durch die Pauschale von DM 5,– je Probe nicht gedeckt. Da er auch für die Untersuchung jeder einzelnen Probe die jeweilige Ziffer abrechnen könne, müsse sich der Begriff des Untersuchungsfalles daran orientieren und die Pauschale nach 7103 auf die jeweilige Probe beziehen.
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Mit Urteil vom 12. Februar 1997 hat das Sozialgericht Frankfurt am Main die Klage abgewiesen und dies im wesentlichen damit begründet, daß die Leistung nach Nr. 7103 EBM nur einmal je Untersuchungsfall und nicht je Probe abgerechnet werden könne. Anderenfalls hätte der EBM-Geber eine andere Formulierung wie z.B. „je Probe” oder je „Untersuchungsmaterial” verwandt. Der Begriff Untersuchungsfall sei mit Inanspruchnahme gleichzusetzen. Die Leistungen nach Nrn. 7120, 7140 und 8023 (nur im Ersatzkassenbereich) würden bereits von der Pauschalerstattung erfaßt, so daß sie nicht gesondert berechnet werden könnten. Soweit der Kläger vortrage, seine Kosten seien höher als die Pauschalerstattung, dürfe nicht auf die tatsächlichen Kosten abgestellt werden. Es sei nicht erkennbar, daß die Pauschalerstattung willkürlich festgelegt sei, also in Bereichen liege, die mit den tatsächlichen Kosten nicht vergleichbar seien. Die Beklagte habe auch zu Recht die Nr. 46 abgesetzt. Es sei grundsätzlich Aufgabe des Operateurs und dieser dürfte auch dazu in der Lage sein, die richtige Gewebsprobe zu entnehmen. Die Notwendigkeit einer Assistenz sei hierbei nicht zu erkennen.
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Gegen das am 28. Februar 1997 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13. März 1997 Berufung eingelegt. Er trägt u.a. vor, bei der Entnahme mehrerer Gewebeteile eines Patienten seien diese gesonderten Proben in gesonderte Gefäße verpackt und müßten gesondert untersucht werden. Mithin handele es sich dabei um jeweils einen gesonderten Untersuchungsfall. Mit seiner Auslegung verstoße das Sozialgericht gegen Grundsätze, die das BSG aufgestellt habe. Danach sei bei der Auslegung der Gebührenordnung größte Zurückhaltung zu üben; entscheidend sei die Orientierung am Wortlaut.
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Was die übrigen Leistungen angehe, werde auf den Schriftsatz der ersten Instanz Bezug genommen.
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Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 12. Februar 1997 aufzuheben, die Bescheide der Beklagten vom 29. August 1994, vom 3. Mai 1995 und vom 11. September 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 1996 bezüglich der im Widerspruchsbescheid unter den Buchstaben b) und d) genannten Beanstandungen abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, das entsprechende Honorar zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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20
Die Beklagte bezieht sich auf die erstinstanzliche Entscheidung und trägt ergänzend vor, daß gerade bei einer am Wortlaut orientierten Auslegung, wie sie der Kläger fordere, ein Ansatz der Gebührenordnungsnummer 7103 je Material nicht möglich sei.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen. | I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 12. Februar 1997 wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen. | 0 |
VG Greifswald 5. Kammer | Mecklenburg-Vorpommern | 0 | 1 | 26.07.2016 | 1 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten über die Erteilung eines Bauvorbescheids für die Errichtung einer Kindertagesstätte (Kita).
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Die Klägerin erwarb die Flurstücke G1, G2 und G3 vom Beklagten, um darauf eine Kita zu errichten.
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Mit ihrem Antrag vom 18.03.2013 beantragte sie beim Beklagten die Erteilung eines Bauvorbescheides für die Errichtung einer Kita auf dem Flurstück G1. Die Flurstücke G2 und G3 sollten hierbei als Spielfläche für die Kinder genutzt werden. Die Erschließung zur nahegelegenen G.-Straße soll über die angrenzenden Flurstücke G4, G5, G6 und G7, für welche ein Wegerecht eingeräumt werden soll, erfolgen.
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Das Vorhabengrundstück befindet sich innerhalb eines Gebiets, das nach Norden von der B.-Straße, nach Osten von der G.-Straße, nach Süden von der Ba.-Straße und nach Westen von einem Bahndamm begrenzt wird. An das Vorhabengrundstück schließen sich nach Osten in einem Abstand von ca. 20 m, nach Süden in einem Abstand von ca. 90 m und nach Norden in einem Abstand von ca. 150 m Wohngebäude an. In Richtung Nordwesten ist in einem Abstand von ca. 90 m - 100 m eine Getreidesiloanlage gelegen. Diese erscheint ca. 30 m - 40 m hoch und ca. 80 m lang. Die Freifläche zwischen den Gebäuden beträgt in Nord-Süd-Richtung ca. 230 m und in Ost-West-Richtung zum Bahndamm ca. 160 m. Die Bebauung entlang der G.-Straße stellt sich so dar, dass östlich von ihr Einfamilienhäuser errichtet wurden, die sowohl in erster als auch in zweiter Reihe angeordnet sind. Die Grundstücke entlang der G.-Straße sind überwiegend eng bebaut und die Gebäudeabstände erscheinen so, dass lediglich die Mindestabstandsflächen eingehalten werden. Zudem befinden sich dort in südlicher Richtung auch Gebäude, die in geschlossener Bauweise errichtet wurden. Westlich der G.-Straße befinden sich in zweiter Baureihe lediglich Nebengebäude, wie Garagen und Gewächshäuser. Entlang der südlich vom Vorhabengrundstück gelegenen Bahnhofstraße befinden sich ausschließlich Gebäude, die in geschlossener Bauweise errichtet wurden.
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Mit Bescheid vom 06.05.2014 wurde der Antrag abgelehnt. Zur Begründung führt der Beklagte an, dass sich das Vorhaben im bauplanungsrechtlichen Außenbereich befinde. Die nähere Umgebung stelle sich so dar, dass sich entlang der G.-Straße Gebäude zur Hauptnutzung befänden und im rückwärtigen Bereich lediglich Nebengebäude verortet seien. Das geplante Gebäude der Klägerin würde sich jedoch im rückwärtigen Bereich ansiedeln und kein Nebengebäude darstellen. Eine Zulässigkeit des Vorhabens nach § 35 Baugesetzbuch (BauGB) wäre nicht zu erkennen, da das Vorhaben kein privilegiertes und somit ein sonstiges Vorhaben darstelle, dem öffentliche Belange entgegenstünden.
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Hiergegen hat die Klägerin mit Schreiben vom 02.06.2014 Widerspruch erhoben. Dieser wurde damit begründet, dass sich das Vorhaben im bauplanungsrechtlichen Innenbereich befinde und sich die Zulässigkeit daher gem. § 34 BauGB beurteile. Außerdem wäre als milderes Mittel die Erteilung von Auflagen in Bezug auf die Versetzung des Vorhabens an einen Standort, der die Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 BauGB ermöglichen würde, zu ergreifen gewesen.
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Der den Widerspruch zurückweisende Widerspruchsbescheid vom 24.06.2014, welcher am 26.06.2014 dem Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin zugestellt wurde, wiederholte die Ausführungen des Ausgangsbescheides. Zudem wurde ergänzt, dass sich die relevanten Flurstücke insgesamt im Außenbereich befinden würden, sodass eine Errichtung an einer anderen als der beantragten Stelle ebenfalls ausscheiden würde.
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Am 25.07.2014 hat die Klägerin sodann Klage erhoben.
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Zur Begründung führte sie aus, dass sich das Vorhabengrundstück auch nach der Einschätzung der Gemeinde im Innenbereich befinden würde. Außerdem füge es sich in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Zudem sei es an einer Parkfläche gelegen, die von den Nutzern der G.-Straße als Wendehammer genutzt werde, da die G.-Straße hinter dem Parkplatz ende. Daher sei das Vorhabengrundstück so zu betrachten, dass es an der G.-Straße liege und somit keine Bebauung in zweiter Reihe darstelle.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 06.05.2014 und des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2014 zu verpflichten, den beantragten Bauvorbescheid für die Errichtung einer Kindertagesstätte auf den Flurstücken G1, G2 und G3 zu erteilen und
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die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
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Der Beklagte beantragt,
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14
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung führt er aus, dass die Einschätzung der Gemeinde nur insoweit Bindungswirkung entfalten würde, wie die Einschätzung rechtmäßig sei. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall. Nach den durch § 34 BauGB und der ergänzenden Rechtsprechung aufgestellten Kriterien sei das Vorhabengrundstück im bauplanungsrechtlichen Außenbereich zu verorten, da es nicht am Bebauungszusammenhang der umliegenden Gebäude teilnehme. Zudem stünden dem Vorhaben öffentliche Belange gem. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB entgegen.
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Am 26.07.2016 wurde die nähere Umgebung des Vorhabengrundstücks durch den Berichterstatter im Rahmen der mündlichen Verhandlung in Augenschein genommen. Des Weiteren erfolgte eine Auswertung von Satelliten- und Überflugbildern der relevanten Grundstücke über das Geoportal GAIA-MV und GoogleMaps. Im Übrigen wird hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten des Beigeladenen, die nicht erstattungsfähig sind.
Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, es sei denn der Beklagte leistet zuvor seinerseits Sicherheit in derselben Höhe. | 0 |
Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern 3. Senat | Mecklenburg-Vorpommern | 0 | 0 | 27.09.2017 | 0 | Randnummer
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Die nach Antragsrücknahmen im Übrigen verbliebenen Antragsteller zu 1., 2. und 3. wenden sich gegen die 3. Änderung des Bebauungsplans mit örtlichen Bauvorschriften Nr. 1 „Am Dorfteich“ der Antragsgegnerin vom 28. Februar 2014. Alle Antragsteller hatten sich insoweit zunächst nur gegen diese Änderung gewandt, als darin in einem der ausgewiesenen Sondergebiete, im sog. Sondergebiet Tourismus („A-hof“), gegenüber dem bisherigen Bebauungsplan die Festsetzungen zu Art und Maß der Bebauung und der zulässigen Nutzung ausgeweitet worden sind.
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Der Antragsteller zu 1. ist Eigentümer des Grundstücks B Nr. 1 in C (Gemarkung C, Flur 2, Flurstücke 3, 4, 5, 6, 7, 8, Grundbuch von C Blatt 1364 und Blatt 40033). Das Grundstück liegt außerhalb des Sondergebiets Tourismus („A-hof“), aber innerhalb des Geltungsbereichs der 3. Änderung des Bebauungsplans und ist mit einem als solches genutztem Wohnhaus bebaut. Die Antragsteller zu 2. und 3. sind Eigentümer des Grundstücks B 9 (Gemarkung C, Flur 2, Flurstück 10), das ebenfalls außerhalb des Sondergebiets Tourismus („A-hof“), aber zu diesem unmittelbar benachbart und innerhalb des Geltungsbereichs der 3. Änderung des Bebauungsplans liegt; es ist mit einem zu Wohnzwecken genutzten Haus bebaut. Die übrigen Antragsteller sind ebenfalls Eigentümer von Grundstücken entlang der Straße B.
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3
Am 29. Oktober 2013 fasste die Gemeindevertretung der Antragsgegnerin den Beschluss über die Aufstellung und öffentliche Auslegung der 3. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 1 „ Am Dorfteich“ als Bebauungsplan der Innenentwicklung gem. § 13 a BauGB. In dem Beschlussvorschlag heißt es, der seit dem 27. Februar 1996 rechtswirksame Bebauungsplan Nr. 1 „Am Dorfteich“ in der Ortslage C (betreffend den Bereich des ehemaligen landwirtschaftlichen Hofes von Frau A), das Baugebiet (ehemals NCC) einschließlich der drei Wohnblocks Richtung D und das Baugebiet am Ortsausgang nach E (westlich der F-straße) solle zum dritten Mal geändert werden. Anlass der Planänderung sei die Nutzungsaufgabe der letzten landwirtschaftlichen Hofstelle im Plangebiet und im Dorf (A-hof) sowie die geplante Umnutzung dieses ehemals landwirtschaftlich genutzten Hofes in eine Wohn- und Ferienanlage. Das Änderungsverfahren müsse jedoch auf den gesamten Geltungsbereich des Bebauungsplans ausgeweitet werden, da ohne Anpassung der Art der baulichen Nutzung die Ausweisung als Dorfgebiet ohne den A-hof als landwirtschaftlichen Betrieb insgesamt funktionslos werde.
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Der Aufstellungsbeschluss ist in der Zeit vom 05. bis zum 22. November 2013 ortsüblich durch Aushang bekannt gemacht worden. Die Bekanntmachung über die öffentliche Auslegung des Entwurfs der 3. Änderung des Bebauungsplans Nr. 1 „Am Dorfteich“ erfolgte in der Zeit vom 13. November 2013 bis zum 04. Dezember 2013. Der Entwurf sowie der Entwurf der Begründung lagen in der Zeit vom 02. Dezember 2013 bis zum 07. Januar 2014 aus.
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Mit Schreiben vom 9. Dezember 2013 wies der Landrat des Landkreises Vorpommern-Rügen in seiner Stellungnahme u.a. darauf hin, dass die geplante Festsetzung von Sondergebieten nach § 11 BauNVO a.F. mit kombinierter Ferienwohn- und Dauerwohnnutzung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unzulässig sei. Unter dem 23. Januar 2014 wies das Amt für Raumordnung und Landesplanung Vorpommern gegenüber der Antragsgegnerin ebenfalls u.a. darauf hin, dass die Ausweisung eines Sondergebiets mit den angestrebten Nutzungen nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Juli 2013 – 4 CN 7.12 – nicht möglich sei.
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Am 28. Januar 2014 erfolgte die Abwägung und erging der Satzungsbeschluss zur 3. Änderung des Bebauungsplans Nr. 1 „Am Dorfteich“. Im Beschlussvorschlag heißt es u.a., das Urteil des Bundesverwaltungsgericht vom 11. Juli 2013 – 4 CN 7.12 – sei nicht einschlägig, was näher ausgeführt wird; auf die entsprechenden Ausführungen wird verwiesen.
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Mit dem angegriffenen Bebauungsplan sind insbesondere folgende Festsetzungen betreffend Sondergebiete getroffen worden:
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„SO Tourismus Sonstige Sondergebiete nach § 11 BauNVO.
Das SO Tourismus dient vorwiegend touristischen Nutzungen sowie ergänzend untergeordnet dem Wohnen. Zulässig sind: …“
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SO Feriengebiet: Sonstige Sondergebiet nach § 11 BauNVO. Das SO Feriengebiet dient gleichwertig touristischen Nutzungen sowie dem Wohnen.
Zulässig sind: …
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U.a. ist in der Planzeichnung ein mit dem Flurstück 11 im Wesentlichen flächenmäßig und in seiner Grenze zu den Grundstücken von Antragstellern identisches Sondergebiet Tourismus festgesetzt, bei dem es sich um das von den Beteiligten als Sondergebiet Tourismus „A-hof“ bezeichnete Gebiet handelt. Für die weiteren Einzelheiten der Änderungen wird auf die bei den Verwaltungsvorgängen befindliche Satzung und Planzeichnung verwiesen.
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In der Begründung des Bebauungsplanes heißt es zur Frage der städtebaulichen Planung u.a.: In Anlehnung an die ursprüngliche Nutzungsgliederung des Bebauungsplanes würden die Baugebiete neu ausgewiesen als Tourismusgebiet (als sonstiges Sondergebiet) entlang der F-straße sowie als Feriengebiet (als sonstiges Sondergebiet) für die kleinteiliger strukturierten, ruhigeren randlichen/rückwärtigen Bereiche, die verstärkt durch Wohnungen mit Fremdenbeherbergung bzw. kleine Beherbergungsbetriebe sowie durch Wohngebäude geprägt seien. Das Tourismusgebiet werde wesentlich durch tourismusorientierte gewerbliche Nutzungen geprägt, was sowohl die Beherbergungsnutzung (Betriebe des Beherbergungsgewerbes) als auch tourismusorientierte Dienstleistungen (Gastronomie, Wellness, Läden für einen vorwiegend touristischen Bedarf) umfasse. Auch eine Wohnnutzung müsse wie überall in der historischen Ortslage weiterhin zulässig sein, um der Entstehung von „Rollladensiedlungen“ vorzubeugen. Die randlichen/rückwärtigen Flächen, für die zum Teil auch bisher schon zum Schutz der Wohnqualität gewerbliche Nutzungen nur eingeschränkt bzw. untergeordnet zulässig gewesen seien, würden als Feriengebiete mit einer qualitativ gleichwertigen Mischung von kleineren Beherbergungsbetrieben bzw. Wohngebäuden mit Fremdenbeherbergung und Wohnungen festgesetzt. Als Gebiete für den Tourismus bzw. die Fremdenbeherbergung im Sinne des § 11 fielen das ausgewiesene „SO Tourismus“ bzw. „SO Feriengebiet“ nicht unter den Begriff der Erholungssondergebiete im Sinne des § 10 BauNVO. Die touristischen Nutzungen im Sinne der im Bebauungsplan festgesetzten Sondergebiete seien Beherbergungsstätten in allen Formen sowie eine auf die Fremdenverkehrsbedürfnisse zugeschnittene Infrastruktur. Wohnungen zur Fremdenbeherbergung würden von den Eigentümern in der Gemeinde C in aller Regel zum Zweck der Erzielung von Einkünften an wechselnde Gäste vermietet und damit als Kapitalanlage betrieben, es handele sich aus Sicht der Erwerber mit anderen Worten nicht um Freizeitwohngelegenheiten im Sinne der BauNVO, sondern um eine gewerbliche fremdenverkehrsbezogene Nutzung. Die Wohnungen seien für Gäste zumindest in der Nebensaison auch tageweise buchbar, so dass von den Gästen eine eigene Haushaltsführung nicht oder nur in Ansätzen realisiert werden könne. Richtig sei zwar, dass das Vermieten von Ferienwohnungen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kein Betrieb des Beherbergungsgewerbes im Sinne der BauNVO darstelle. Das rechtfertige jedoch nicht den Schluss, Ferienwohnungen könnten deshalb auch nicht als Beherbergungsbetriebe im Sinne eines Bebauungsplanes angesehen werden. Die Begründung bezieht sich insoweit auf den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 12. Dezember 2013 – 1 LA 123/13 –. Die Mischung mit ergänzendem Wohnen sei im gesamten Plangebiet nicht nur im Sinne des Eigentumsschutzes geboten, sondern auch hinsichtlich der touristischen Ausrichtung der Baugebiete nicht schädlich. Schließlich suchten die Gäste nicht entleerte monofunktionale Scheindörfer, sondern schätzten authentische, belebte Orte.
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Der Antragsteller zu 1. hat per E-Mail am 05. Februar 2014 zu der geplanten Änderung Stellung genommen. Der Änderungsentwurf weise Abwägungsmängel auf, er sei nicht genehmigungsfähig. Im Ergebnis der vorgeschlagenen Änderung werde dem A-hof eine zu intensive bauliche Nutzung ermöglicht, die zu nicht abgewogenen Konflikten mit der umgebenden Bestandsbebauung führten und das Gebot der Rücksichtnahme verletzen würden. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Stellungnahme verwiesen. Auf die E-Mail teilte das Amt Nord-Rügen dem Antragsteller zu 1. mit, die Stellungnahme sei verspätet eingegangen und habe nicht mehr berücksichtigt werden können. Die Antragsteller zu 2. und 3. nahmen mit am 6. Februar 2014 eingegangenem Schreiben Stellung. Ihnen wurde ebenfalls mitgeteilt, dass die Stellungnahme verspätet erfolgt sei.
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Die 3. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 1 „Am Dorfteich“ ist in der Zeit vom 13. Februar 2014 bis zum 04. März 2014 ortsüblich bekannt gemacht worden und mit Ablauf des 27. Februar 2014 in Kraft getreten.
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Am 11. Dezember 2014 hat (zunächst nur) der Antragsteller zu 1. den vorliegenden Normenkontrollantrag gestellt. Mit am 23. Januar 2015 eingegangen Schriftsatz teilte der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller mit, die Antragsteller zu 2. bis 14. würden sich dem Antrag anschließen. Mit weiterem Schriftsatz hat er erläutert, es handele sich insoweit um eine subjektive Klageänderung in Form der subjektiven Klageerweiterung.
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Zur Begründung des Normenkontrollantrages tragen die Antragsteller im Wesentlichen vor, die Gemeinde habe in dem „Sondergebiet Tourismus“ (A-hof) durch die Zulassung einer zweigeschossigen Bauweise, die Aufhebung der Flächen für die Anpflanzung von Hecken, die Erhöhung der Stellplatzzahl, die Ausweitung der Baufenster, Überschreitung der GRZ mit Nebenanlagen und Ausweitung der Versiegelung sowie die Aufhebung nichtüberbaubarer Bereich an Grundstücksgrenzen das Maß der zulässigen Bebauung ohne tatsächlichen grundstücksbezogenen Anlass im großen Umfang ausgeweitet. Die Nutzungsaufgabe des sogenannten A-hofes werde dabei als Anlass der Änderung genannt, obwohl dieser schon bei Aufstellung des Bebauungsplans 1995 nicht mehr im Betrieb gewesen sei. Das nunmehr ausgewiesene unverhältnismäßige Maß der baulichen Ausnutzung werde weder der dörflichen Struktur der Ortslage C noch den Charakter des A-hofes gerecht. Es stelle einen Fremdkörper in der Ortslage C dar. Insoweit hätte der Bebauungsplan jedenfalls nicht in einem vereinfachten Verfahren nach § 13a BauGB beschlossen werden können. Insbesondere das neu geschaffene Baufeld westlich der Scheune mit zwei Vollgeschossen zuzüglich eines Dachgeschosses, das durch massiv erweiterte Öffnungsmöglichkeiten wie ein Vollgeschoss wirke, finde im Ort kein Vorbild. Die fehlende Begrenzung der Zahl der Wohneinheiten, der Betten und der Parkplätze seien Abwägungsfehler. Der fehlende Nachweis der ortsverträglichen Aufstellung der Stellplätze auf den Grundstücken nebst Fahrstraße werde zu baurechtlich unerwünschten Ergebnissen führen. Der Nachweis der Verträglichkeit im Blick auf die ohnehin belastete Dorfdurchwegung sei nicht erbracht worden. Die Bebauungsplanänderung lasse Neubauten in unbegrenzter Höhe zu. In dem ursprünglichen Bebauungsplan von 1996 sei mit großer Sorgfalt und Deutlichkeit auf den ökologischen Wert der Erhaltungsfläche (Obstwiese mit Saumbepflanzung entlang der Grundstücksgrenzen) westlich der Scheune hingewiesen worden. In der Planänderung werde diese Schutzfläche ohne jeden Ansatz einer Begründung „kassiert“. Die Antragsgegnerin habe zudem bei ihren Bekanntmachungen nicht die erweiterten Anforderungen des § 13 a BauGB erfüllt und nicht darauf hingewiesen, dass der Bebauungsplan im beschleunigten Verfahren ohne Umweltprüfung durchgeführt werde. Die Anwendung des beschleunigten Verfahrens verbiete sich aus in der Planbegründung selbst dargelegten Gründen: Wie darin dargelegt werde durch den Bebauungsplan eine zulässige Grundfläche im Sinne des § 19 Abs. 2 BauNVO mit einer Größe von ca. 50.000 m² überplant. Es sei nicht möglich, dass das vereinfachte Änderungsverfahren der grundlegenden Zielrichtung der Bauleitplanung hinreichend gerecht werde. Das vereinfachte Verfahren sei auch deshalb unzulässig gewesen, weil sich auch auf den unmittelbar angrenzenden Bereich des Bebauungsplans Nr. 9 „Ortslage“ insbesondere Verkehrsauswirkungen ergäben. Die in der Änderungsplanung vorgenommene Festsetzung sei geeignet, Bauvorhaben bis zu 30 Wohnungen/Ferienwohnungen zuzüglich Gastronomie und Gewerbe zuzulassen. Diese Größenordnung entspreche einer sonstigen großen Einrichtung für die Ferien- und Fremdenbeherbergung im Sinne der Anlage zu § 3 UVPG M-V. Danach sei zumindest eine Vorprüfung nach § 3 Abs. 6 Satz 1 UVPG M-V durchzuführen gewesen. Die angegriffene Bebauungsplanänderung sei jedenfalls materiell fehlerhaft. Ihr fehle die erforderliche städtebauliche Rechtfertigung und sie weise schwere Abwägungsfehler auf. Die Abwägung sei auch fehlerhaft, weil eine unzulässige Vorabbindung des Gemeinderates vorgelegen habe.
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Die Antragsteller haben zunächst beantragt,
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die 3. Änderung des Bebauungsplans der Innenentwicklung Nr. 1 „Am Dorfteich“ der Antragsgegnerin vom 28. Februar 2014 insoweit für unwirksam zu erklären, als im Sondergebiet Tourismus (A-hof) gegenüber dem bisherigen Bebauungsplan die Festsetzung zu Art und Maß der Bebauung und der zulässigen Nutzung ausgeweitet worden sind.
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In der mündlichen Verhandlung haben die Antragsteller zu 4., 5., 7., 8., 11., 13. und 14. ihren Normenkontrollantrag unter Zustimmung der Antragsgegnerin zurückgenommen. Am 29. Dezember 2016 hatten zuvor die Antragsteller zu 9. und 10., am 13. Januar 2017 der Antragsteller zu 6. und am 26. Januar 2017 der Antragsteller zu 12. ihre Anträge zurückgenommen.
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In der mündlichen Verhandlung haben die Antragsteller zu 1., 2. und 3. dann beantragt,
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die 3. Änderung des Bebauungsplanes mit örtlichen Bauvorschriften Nr. 1 „Am Dorfteich“ für unwirksam zu erklären.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzuweisen.
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Der Antrag sei bereits unzulässig, weil die Antragsteller gemäß § 47 Abs. 2 a VwGO präkludiert seien. Mit Schriftsatz vom 21. September 2017, auf dessen Inhalt hinsichtlich der näheren Einzelheiten verwiesen wird, hat die Antragsgegnerin zur Genehmigungs- und Nutzungssituation der Baulichkeiten der Antragsteller vorgetragen. In der mündlichen Verhandlung hat sie den angegriffenen Bebauungsplan verteidigt.
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Die Gerichtsakte und die Gerichtsakte des Verfahrens Az.
3 K 267/16
, in dem die 4. Änderung der Bebauungsplans Nr. 1 „Am Dorfteich“ Gegenstand war, sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin aus beiden Verfahren sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden. | Hinsichtlich der Anträge der Antragsteller zu 4., 5., 6., 7., 8., 9., 10., 11., 12., 13. und 14. wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die 3. Änderung des Bebauungsplans mit örtlichen Bauvorschriften Nr. 1 „Am Dorfteich“ der Antragsgegnerin vom 28. Februar 2014 für unwirksam erklärt.
Die Antragsteller zu 4., 5., 6., 7., 8., 9., 10., 11., 12., 13. und 14. tragen die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin jeweils zu einem zweiundzwanzigstel. Die Antragsgegnerin trägt die Gerichtskosten zur Hälfte und die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu 1., 2., und 3. jeweils ganz. Die Antragsteller zu 4., 5., 6., 7., 8., 9., 10., 11., 12., 13. und 14. tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst, die Antragsgegnerin trägt ihre außergerichtlichen Kosten zur Hälfte selbst.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe der jeweils zu vollstreckenden Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
VG Berlin 30. Kammer | Berlin | 0 | 1 | 14.03.2014 | 1 | Randnummer
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Der Kläger begehrt ein Touristenvisum für den Schengenraum.
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Der Kläger ist algerischer Staatsangehöriger. Seinen Antrag auf Erteilung eines Schengenvisums vom 14. August 2013 lehnte die deutsche Botschaft in Algier unter Verwendung des einheitlichen Formblattes zur Unterrichtung über die Verweigerung, Annullierung oder Aufhebung eines Visums und zur entsprechenden Begründung am 21. August 2013 ab. Der Kläger habe den Zweck und die Bedingungen des beabsichtigten Aufenthaltes nicht nachgewiesen, die vorgelegten Informationen über den Zweck und die Bedingungen des beabsichtigten Aufenthalts seien nicht glaubhaft, seine Absicht, vor Ablauf des Visums aus dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates auszureisen, habe nicht festgestellt werden können. Der Bescheid wurde gemäß dem in der Akte befindlichen Empfangsbekenntnis dem Kläger am 23. August 2013 übergeben.
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Dagegen hat der Kläger mit seinem Schreiben vom 7. Oktober 2013 „Beschwerde“ beim Verwaltungsgericht Berlin erhoben.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
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die Beklagte zu verpflichten, ihm unter Aufhebung des Bescheides der deutschen Botschaft in Algier vom 21. August 2013 ein Visum zu Besuchszwecken zu erteilen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält die Klage für verfristet.
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Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs, der vorgelegen hat und Gegenstand der Entscheidung gewesen ist, verwiesen.
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Die Kammer hat das Verfahren mit Beschluss vom 25. November 2013 auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen. Mit Schreiben vom selben Tag hat der Einzelrichter eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid angekündigt und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. | Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Gerichtsbescheides vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. | 0 |
OLG Frankfurt 2. Senat für Notarsachen | Hessen | 0 | 1 | 16.05.2018 | 1 | Die am XX.XX.194X geborene Rechtsanwältin und Notarin wurde am XX.XX.1980 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Urkunde vom XX.XX.1998 wurde sie zur Notarin für den Bezirk des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit dem Amtssitz in Stadt1 bestellt.
Disziplinarrechtlich trat die Notarin bislang nicht in Erscheinung.
Mit Disziplinarverfügung vom 21.02.2017 (Bl.74 d.A. SH 2 zu ...; Bl.38ff.d.A.) verhängte der Präsident des Landgerichts Kassel als zuständige Dienstaufsichtsbehörde nach Anhörung der Notarkammer gegen die Klägerin wegen eines Dienstvergehens als Disziplinarmaßnahme eine Geldbuße in Höhe von 4.000 €, weil die Klägerin schuldhaft gegen ihre Amtspflichten verstoßen habe (§ 10 Abs.4 S.1 BNotO). Dem lagen u.a. folgende tatsächliche Feststellungen zugrunde:
Die Notarin übt ihre Tätigkeit zum einen unter der Anschrift Straße1 in Stadt1 aus, zum anderen aber auch unter der Anschrift Straße2 in Stadt2. Ihr Vorbringen, unter der letztgenannten Anschrift sei sie lediglich als Rechtsanwältin tätig, unterhalte dort aber keine - weitere - Geschäftsstelle als Notarin, ist widerlegt. Bei der Prüfung ihrer Amtsgeschäfte am 27. März 2015 wurde festgestellt, dass Stempel, Siegel, Bücher, Urkunden und Presse in den Räumlichkeiten in Stadt2 aufbewahrt werden, gleiches gilt für die nach § 32 BNotO zu haltenden Zeitschriften.
Mit Schreiben vom 15. Juni 2016 hat die Notarin eine Auflistung der in den letzten Jahren erfolgten Beurkundungen und Beglaubigungen vorgelegt. Danach hat sie ihre Notariatsgeschäfte nicht nur an ihrem Amtssitz in Stadt1, sondern in erheblichem Umfange auch in den von ihr angemieteten Räumlichkeiten in Stadt2 ausgeübt.
Beurkundungen/Beglaubigungen verteilen sich wie folgt:
im Jahr 2013
in Stadt1
in Stadt2
im Jahr 2014
in Stadt1
in Stadt2
im Jahr 2015
in Stadt1
in Stadt2
im Jahr 2016
bis 31. Mai 2016
in Stadt1
in Stadt2
Damit hat die Notarin seit dem Jahr 2013 die Mehrzahl ihrer Dienstgeschäfte in Stadt2 getätigt. Der Umfang dieser Tätigkeit sowie der Umstand, dass Siegelgerätschaften, Zeitschriften pp. in den Räumlichkeiten in Stadt2 aufbewahrt werden, rechtfertigen die Feststellung, dass die Notarin dort eine weitere Geschäftsstelle unterhält. Hinzu kommt, dass sie ihren eigenen Angaben zufolge in diesem Zusammenhang sogenannte Auswärtsgebühren im Sinne von § 58 KostO (für die bis zum Ablauf des 31. Juli 2013 erteilten Aufträge) bzw. nach Nr. 26002/26003 KVfg nur dann erhoben hat, wenn Beurkundungen in Wohnungen bzw. Geschäftsräumen eines Urkundsbeteiligten erfolgt sind. Dagegen sind solche Gebühren bei Beurkundungen in den Räumlichkeiten Straße2 in Stadt2 nicht geltend gemacht worden. Die Notarin sieht Beurkundungen in der Straße2 in Stadt2 nicht als Auswärtsbeurkundungen an.
Eine Erlaubnis, neben ihrer Geschäftsstelle in Stadt1 eine weitere Geschäftsstelle mit Amtssitz in Stadt2 zu unterhalten, ist der Notarin nicht erteilt worden. Wiederholte Anträge auf Verlegung ihres Amtssitzes nach Stadt2 (…) blieben ohne Erfolg.
Die Notarin wurde mehrfach, nämlich zunächst durch den Prüfungsbeamten im Zuge der Prüfung ihrer Amtsgeschäfte vom 7. Mai 2015 sodann nochmals in dem Anschreiben vom 24. November 2015, darauf hingewiesen, dass sie ihre notarielle Tätigkeit grundsätzlich an ihrem Amtssitz zu entfalten habe. Auf die Anfrage vom 25. Mai 2016, in welcher Anzahl Beurkundungen in ihrer Geschäftsstelle in Stadt1 einerseits und in den Räumlichkeiten Stadt2, Straße2, andererseits erfolgt seien, hat sie mit Schreiben vom 15. Juni 2016 eingeräumt, noch im Jahre 2016 die überwiegende Anzahl ihrer Beurkundungen / Beglaubigungen in Stadt2 vorgenommen zu haben.
Damit stehe fest, dass die Notarin ohne aufsichtsbehördliche Genehmigung in den Räumlichkeiten Straße2 in Stadt2 eine weitere Geschäftsstelle unterhalte. Denn die für die Ausübung der notariellen Tätigkeit notwendigen Gerätschaften und Bücher würden in den Räumlichkeiten Straße2 in Stadt2 aufbewahrt; auch sei eine erhebliche Anzahl dort erfolgter Beurkundungen bzw. Beglaubigungen zu verzeichnen. Durch die Nichterhebung von Auswärtsgebühren entspreche das Tätigwerden in Stadt2 auch in gebührenrechtlicher Hinsicht einer Amtstätigkeit in einer erlaubtermaßen unterhaltenen Geschäftsstelle. Es bestünden auch weder verfassungsmäßige Bedenken gegen die der Notarin auferlegte Beschränkung, neben einer Geschäftsstelle an ihrem Amtssitz in Stadt1 eine weitere Geschäftsstelle nur nach erfolgter Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde zu unterhalten, noch liege eine europarechtswidrige Ungleichbehandlung vor.
Zur Ahndung des Dienstvergehens sei es notwendig, aber auch ausreichend, eine Geldbuße von 4.000,00 € zu verhängen, nachdem die Notarin über mehrere Jahre hinweg eine Geschäftsstelle in Stadt2 ohne Genehmigung der Aufsichtsbehörde unterhalten und dort in erheblichem Umfang ihre notarielle Tätigkeit ausgeübt habe. Weiter sei zu berücksichtigen, dass die Notarin durch Nichterheben der Auswärtsgebühr eine gebührenrechtliche Situation geschaffen habe, mit der sie sich in ihr nicht gestattete Konkurrenz zu den Notaren mit Amtssitz in Stadt2 begeben habe. Schließlich habe die Notarin das Dienstvergehen trotz Hinweisen der Dienstaufsicht fortgesetzt.
Auf den näheren Inhalt der Disziplinarverfügung wird verwiesen.
Die Disziplinarverfügung wurde der Klägerin am 01.03.2017 zugestellt (Bl.78 d.A. SH 2 zu ...). Sie legte hiergegen unter dem 30.03.2017, eingehend am 31.03.2017, einen als Beschwerde bezeichneten Widerspruch ein (Bl.84 d.A. ...), dem der Präsident des Landgerichts Kassel mit Verfügung vom 29.06.2017 nicht abhalf (Bl.297 d.A. ...).
Vor dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main als zuständiger Widerspruchsbehörde trug die Klägerin zur Begründung ihres Widerspruchs vor, von den in 2013 erfolgten 96 Geschäften in Stadt2 habe sie auf Wunsch der Beteiligten 28 Beglaubigungen am Firmensitz und eine Beurkundung im Pflegeheim in Stadt3 vorgenommen. Von den in 2014 erfolgten 138 Geschäften in Stadt2 habe sie 47 Beglaubigungen am Firmensitz und sechs Beurkundungen in Stadt2 im Krankenhaus und in der Wohnung der Beteiligten wegen fehlender Wegefähigkeit der Beteiligten vorgenommen. Eine Beurkundung habe wegen der Vielzahl der Beteiligten in Stadt2 stattgefunden. Von den in 2015 vorgenommenen 173 Geschäften in Stadt2 habe sie 61 Beglaubigungen am Sitz von drei Firmen, zehn Beglaubigungen jeweils in der Wohnung der Beteiligten und bei einer Wohnungseigentümerversammlung, drei Beurkundungen in Altenheimen, zwei Beurkundungen in der jeweiligen Wohnung und drei Beurkundungen wegen der Vielzahl der Beteiligten in Stadt2 vorgenommen. Von den in 2016 erfolgten 54 Geschäften in Stadt2 habe sie sechs Beglaubigungen am Firmensitz, eine Beglaubigung bei einer Vereinssitzung, eine Beglaubigung im Altenheim sowie sieben Beurkundungen auf Bitten der Beteiligten jeweils in der Wohnung, dem Altenheim und der Firma der Beteiligten vorgenommen.
Im Übrigen verstoße die Beschränkung der Notartätigkeit auf einen bestimmten Sitz im Amtsbereich gegen den Gleichheitsgrundsatz im europäischen Recht. Denn die ähnlich lautende Sitzbestimmung für Notare sei in Frankreich bereits 1986 aufgehoben worden. Zudem liege ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit vor, da für die Bestellung zum Notar keine Bereichsausnahme gelte. Die Einrichtung von Zweigstellen für den Amtsbereich des Notars werde zur Zeit zwar noch untersagt; Gründe hierfür seien jedoch nicht ersichtlich. Insofern werde der Gesetzgeber an der Einhaltung des § 10 BNotO bezüglich der Auswärtsbeurkundungen nur noch bis zu einer Entscheidung des EuGH festhalten können, zumal die Notartätigkeit bei Anwaltsnotaren nur im „Nebenberuf' ausgeübt werde und Anwälte sich auch bei der Wahl des Besprechungsortes an den Wünschen der Mandantschaft orientieren müssten. Es könne nicht sein und sei mit der Würde des Amtes nicht vereinbar, dass der Anwaltsnotar den an der anwaltlichen Zweigstelle beratenen Mandanten auffordern müsse, mit ihm an den Amtssitz zu fahren, um dort die Beurkundung vorzunehmen.
Auch die Begründung, dass mit dem faktischen Verbot der Auswärtsbeurkundungen die Konkurrenz zwischen den Notaren möglichst vermieden werden solle, könne nicht greifen. Denn die Konkurrenz unter den Notaren sei nicht vom Ort der notariellen Tätigkeit abhängig, sondern von der Person des Notars und seinen Fähigkeiten. Ohnehin seien in Stadt2 wegen fehlender Bewerber mindestens sechs Notarstellen nicht besetzt, so dass an § 10 BNotO nicht deswegen festgehalten werden könne, weil sonst den Stadt2 Notaren Beurkundungen und Beglaubigungen weggenommen würden.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 30.03.2017, vom 24.05.2017 (Bl.84ff., 92ff., d.A. ...), vom 05.10.2017 und 06.10.2017 (Bl.42ff., 52ff. d.A. IIa St 1270/8 - SH 2016 - I/3 -) Bezug genommen.
Den Widerspruch der Klägerin wies der Präsident des Oberlandesgerichts nach ergänzenden Ermittlungen mit Widerspruchsbescheid vom 02.11.2017, der Klägerin zugestellt am 04.11.2017, zurück. Nach Abschluss der disziplinarischen Ermittlungen sei von schuldhaften Verletzungen der Amtspflichten aus § 10 Abs.4 S.1 BNotO auszugehen, weil der Notar, der ohne vorherige Dispenserteilung durch die Justizverwaltung mehr als eine Geschäftsstelle unterhalte, amtspflichtwidrig handele und nach den Ermittlungen davon auszugehen sei, dass die Klägerin eine weitere Geschäftsstelle in den Räumlichkeiten Straße2 in Stadt2 unterhalte und dort in erheblichem Umfang notarielle Leistungen erbringe. Die notarielle Amtstätigkeit dort werde in einem Umfang ausgeübt, dass die Klägerin aus Sicht der rechtssuchenden Bevölkerung in den Räumlichkeiten in Stadt2 regelmäßig für notarielle Amtsgeschäfte zur Verfügung stehe. Dabei seien die tatsächlichen Feststellung durch den Präsidenten des Landgerichts nur dahingehend zu korrigieren, dass es sich um lediglich 239 Fälle von Beurkundungen/Beglaubigungen in den Räumlichkeiten in Stadt2 im Zeitraum von 2013 bis Mai 2016 gehandelt habe; damit sei aber immer noch ein erheblicher Teil der gesamten Urkundstätigkeit der Notarin betroffen. Beurkundungen außerhalb der Geschäftsstelle in einer rechtsanwaltlichen Zweigstelle müssten jedoch die Ausnahme bleiben und lösten zwingend eine Zusatzgebühr nach Nr. 26002 KV GNotKG aus. Dass die Notarin von der Erhebung der Zusatzgebühr bei Beurkundungen in den Räumlichkeiten Straße2 in Stadt2 regelmäßig abgesehen habe belege, dass sie selbst die Räumlichkeiten als weitere Geschäftsstelle angesehen habe. Eine Erlaubnis gemäß § 10 Abs.4 S.1 2.Hs. BNotO sei nicht erteilt worden. Im Übrigen habe die Notarin trotz der bereits ab Mai 2015 erfolgten Beanstandungen der Aufsichtsbehörde von ihrer Praxis nicht Abstand genommen. Da die tatsächlichen Voraussetzungen der Beurkundungstätigkeit bekannt gewesen seien, habe vorsätzliches Handeln vorgelegen.
Hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des § 10 Abs.4 S.1 BNotO bestünden keine Bedenken. Auch seien eine relevante europarechtliche Ungleichbehandlung oder ein Verstoß gegen die Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit der Notare nicht ersichtlich.
§ 10 Abs.1 BNotO stelle im Sinne einer geordneten Rechtspflege, aber auch im Interesse der Notare die notwendige flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Notarleistungen sicher. Die dadurch begründete Beschränkung der örtlichen Zuständigkeit der Notare greife nach der Rechtsprechung des BGH nicht in unzulässiger Weise in die europarechtliche Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit der Notare ein. Der Europäische Gerichtshof habe hervorgehoben, dass die örtliche Zuständigkeit der Notare zur Verfolgung von im Allgemeininteresse liegenden Zielen beschränkt werden könne, soweit die Beschränkung zur Erreichung der Ziele geeignet und erforderlich sei. Diesen Voraussetzungen entspreche das in § 11 Abs.2 BNotO geregelte Amtsbezirksprinzip. Damit solle ein "Reisenotariat" verhindert werden, das die Fundamente des Zulassungswesens unterminieren würde. Der Schutzzweck des Amtsbezirksprinzips gehe auch dahin zu vermeiden, dass Notare, die für einen bestimmten Amtsbereich wegen des dort bestehenden Bedürfnisses bestellt werden, ihre Tätigkeit in erheblichem Maße an einem anderen, ihnen günstiger erscheinenden Ort verlagern und so die bedarfsgerechte Versorgung mit notariellen Dienstleistungen in dem ihnen zugewiesenen Bereich gefährden. Die Beschränkung der Notartätigkeit sei auch geeignet, diese Zwecke zu erreichen; mildere Mittel, die die Ziele in gleicher Weise verwirklichen könnten, stünden nicht zu Gebot. Die Beschränkung sei auch verhältnismäßig, nachdem die Notare nur geringfügig in der Ausübung ihres Berufs beeinträchtigt würden. Denn in aller Regel seien Notare auch ohne Auswärtsbeurkundungen ausgelastet, da Notarstellen nach den Bedürfnissen einer geordneten Rechtspflege einzurichten seien. Die Interessen der Rechtsuchenden würden gleichfalls allenfalls geringfügig betroffen, da es ihnen fast immer zuzumuten sei, sich entweder eines örtlich ansässigen Notars zu bedienen oder sich in die Geschäftsstelle des auswärtigen Notars zu begeben. Das in § 11 geregelte Amtsbezirksprinzip beruhe schließlich auf objektiven, im Voraus bekannten und nicht diskriminierenden Kriterien.
Die verhängte Disziplinarmaßnahme in Form einer Geldbuße in Höhe von 4.000 € sei angesichts der festgestellten Dienstpflichtverletzungen und unter Berücksichtigung aller weiteren Umstände einschließlich der Reduzierung der Zahl der in die Beurteilung einbezogenen Beurkundungs- bzw. Beglaubigungsvorgänge gerade noch ausreichend, erforderlich und angemessen. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme seien grundsätzlich die Bedeutung der verletzten Amtspflicht, die Dauer und die Intensität des Dienstvergehens, der Umfang eines etwaig angerichteten Schadens, die Auswirkungen auf das Ansehen des Notarberufs und des betroffenen Notars, der Grad des Verschuldens, die Motive der Tat, die bisherige Führung des Notars und sein Verhalten nach der Tat sowie die Zukunftsprognose zu berücksichtigen.
Zu Gunsten der Notarin sei zu berücksichtigen, dass sie ihr Amt bisher ohne dienst-aufsichtsrechtliche Beanstandungen geführt habe. Allerdings handele es sich bei der verletzten Plicht um eine gewichtige Amtspflicht, deren fortgesetzte Verletzung regelmäßig eine scharfe Disziplinarmaßnahme erfordere, insbesondere weil die Notarin ihr Verhalten trotz eines entsprechenden Hinweises fortgesetzt habe. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Notarin mit den unzulässig vorgenommenen Notartätigkeiten in erheblichem Umfang Gebühren generiert habe, so allein im Jahr 2016 für die Vorgänge zu den UR-Nr.: …/2016, …/2016, …/2016, …/2016, …/2016, …/2016, …/2016, …/2016, …/2016, …/2016 und …/2016 nahezu 3.500 €.
Hiergegen richtet sich die am 01.12.2017 eingegangene Klage der Notarin, zu deren Begründung die Klägerin ausführt, für den Amtsgerichtsbezirk Stadt2 seien im Justizministerialblatt für Hessen vom 01.10.2013 drei freie Notarstellen, vom 01.10.2014 sieben freie Notarstellen, vom 01.10.2015 neun freie Notarstellen, vom 01.10.2016 und vom 01.11.2016 jeweils acht freie Notarstellen und vom 01.10.2017 elf freie Notarstellen ausgeschrieben worden. Es sei daher davon auszugehen, dass die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Notarleistungen in Stadt2 nicht gewährleistet gewesen sei, so dass § 10 Abs.1 BNotO nur eingeschränkt gelten könne, zumal ihr nicht zur Last gelegt werde, Notarleistungen in Stadt1 abgelehnt zu haben. Ihre Stempel, Siegel und Presse verwahre sie im Übrigen bereits seit längerem nicht mehr in Stadt2, sondern an ihrem Amtssitz in Stadt1 auf.
Nach dem Bundesverfassungsgericht diene die Beschränkung der örtlichen Zuständigkeit der Notare der Sicherung der Lebensfähigkeit und gleichbleibenden Leistungsfähigkeit der Notarstellen sowie der bedarfsgerechten Versorgung mit notariellen Dienstleistungen. Auch wenn die Ablehnung ihrer Anträge auf Sitzverlegung immer mit der Einwohnerzahl von über 10.000 in dem Ort Stadt1 und der damit einhergehenden Notwendigkeit einer Notarstelle dort begründet worden sei, bestünden doch erhebliche Zweifel an der Lebensfähigkeit dieser Notarstelle. Der Bedarf in Stadt1 sei trotz der Einwohnerzahl wesentlich geringer als angenommen, während gleichzeitig die bedarfsgerechte Versorgung mit notariellen Dienstleistungen in Stadt2 nicht gewährleistet sei, weil viele Notarstellen überhaupt nicht besetzt seien. Durch die Beurkundungen und Beglaubigungen der Klägerin in Stadt2 sei daher die Lebensfähigkeit der Stadt2 Notarstellen nicht gefährdet worden.
Zudem sei die Beschränkung der notariellen Dienstleistung eine Soll-Vorschrift und keine Verbotsnorm; sie sei immer im Kontext zu den tatsächlichen Gegebenheiten zu sehen. Bei der hier vorliegenden Klage gehe es demgemäß allein um die Sollvorschrift, dass der Notar die notariellen Tätigkeiten an seinem Amtssitz vornehmen soll. Die Verletzung dieser Sollvorschrift könne aber nicht mit disziplinarischen Maßnahmen geahndet werden, wenn etwa in Frankreich diese Sollvorschrift aufgehoben worden sei. Andernfalls läge eine Ungleichbehandlung der französischen und der deutschen Notare vor, die ohne Vorliegen eines besonderen Grundes willkürlich wäre und nur zu begründen sein könnte, wenn die Lebensfähigkeit der anderen Notarstellen gefährdet sei, was für den Bereich der Stadt2 Notare jedenfalls seit 2013 zu verneinen sei.
Die Klägerin beantragt,
die Disziplinarverfügung vom 21.02.2017 Az: ... - zugestellt am 01.03.2017 - in der Form des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2017 - zugestellt am 04.11.2017 - aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an der Disziplinarverfügung fest.
Richtiger Klagegegner sei das Land Hessen, endvertreten durch die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main und nicht etwa der Präsident des Landgerichts Kassel.
Der Notarin seien durch das im Widerspruchsbescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 02.11.2017 dargelegte Verhalten schuldhafte Verletzungen ihrer Amtspflichten aus § 10 Abs.4 S.1 BNotO anzulasten. Das Vorbringen der Notarin, unter der Anschrift in Stadt2 sei sie lediglich als Rechtsanwältin tätig, sie unterhalte dort aber keine - weitere - Geschäftsstelle als Notarin, sei nach den Ermittlungen sowie den im Widerspruchsverfahren veranlassten Nachermittlungen widerlegt. Vielmehr sei anzunehmen, dass die Notarin eine weitere Geschäftsstelle in den Räumlichkeiten Straße2 in Stadt2 unterhalte und dort in erheblichem Umfang notarielle Leistungen erbringe. Die tatsächliche Feststellung, dass die Notarin im Zeitraum vom 01.01.2013 bis zum 31.05.2016 in 239 Fällen Beurkundungen/Beglaubigungen in ihren Räumlichkeiten in Stadt2 vorgenommen habe, greife die Notarin mit ihrer Klage auch nicht dezidiert an. Der Hinweis der Notarin auf die im Bezirk des Amtsgerichts Stadt2 seit Jahren nicht besetzten Notarstellen sei für das vorliegende Verfahren ohne Belang, zumal mehrere Versuche der Notarin, ihren Amtssitz zu verlegen, ohne Erfolg geblieben seien. Auch komme es nicht darauf an, dass die Notarin entsprechend ihrem Vorbringen in der Klageschrift Stempel- und Siegelgerätschaften inzwischen nicht mehr in Stadt2 verwahre. Im Ergebnis sei festzuhalten, dass die Klagebegründung keine neuen Argumente enthalte, die nicht bei Erlass der Disziplinarverfügung bzw. des Widerspruchsbescheides durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main berücksichtigt worden seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Personalakten ..., des Sonderhefts ... des Landgerichts Kassel sowie des Sonderhefts … - des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main Bezug genommen.
Wegen der Einzelheiten des Vortrags wird auf den Inhalt der Klagebegründung vom 29.11.2016 (Bl.1f.d.A.), des Schriftsatzes vom 27.12.2017 (Bl.24ff.d.A.), der Klageerwiderung vom 03.01.2018 (Bl.58ff.d.A.) und der Replikschrift vom 15.02.2018 (Bl.72ff.d.A.) verwiesen. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Wert des Streitgegenstands wird auf 4.000 € festgesetzt. | 0 |
VG Berlin 13. Kammer | Berlin | 1 | 0 | 11.03.2022 | 0 | Randnummer
1
Die Klägerin begehrt die Erteilung eines positiven Bauvorbescheides für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses.
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2
Sie ist Eigentümerin des bisher unbebauten Grundstücks H... Str. 35 A in Berlin-N... . Dieses befindet sich als Hinterliegergrundstück im Blockinnenbereich des Straßengevierts H... Straße, P... -Platz, G... allee und T... straße, für welches keine verbindliche Bauleitplanung besteht. Das im Norden an das Klägergrundstück angrenzende Grundstück H... Straße 35 ist mit einem eingeschossigen Trafohaus bebaut. Die Grundstücke im Straßengeviert sind überwiegend mit zum Wohnen genutzten ein- bis viergeschossigen Einfamilien-, Doppel- und Mehrfamilienhäusern bebaut, die Grundflächen zwischen 90 und 1180 m² aufweisen und sich überwiegend am Blockrand befinden. In der Nachbarschaft des Klägergrundstücks stehen jedoch mehrere ein- und zweigeschossige Einfamilienhäuser in zweiter Reihe zusammen mit ein- bis zweigeschossigen gewerblich genutzten Gebäuden und Nebenanlagen im Blockinnenbereich. Außerdem ragt die vorwiegend zum Wohnen genutzte gründerzeitliche Blockrandbebauung mit drei bis vier Vollgeschossen entlang der G... allee zum Teil mit Quergebäuden und Seitenflügeln in den Blockinnenbereich. So grenzt das Klägergrundstück im Osten unmittelbar an die Grundstücke G... allee 69, 71 und 73, welche u.a. mit aneinandergereihten viergeschossigen Quergebäuden im Blockinnenbereich bebaut sind. Im Westen grenzt das Klägergrundstück an die mit zweigeschossigen Einfamilienhäusern bebauten Grundstücke H... Straße 37 und 37 A, wobei das hinterliegende Grundstück Nr. 37 A bis zu einer Tiefe von ca. 67 m, gemessen ab der Straßenbegrenzungslinie, bebaut ist. Das südlich an das Klägergrundstück grenzende Grundstück G... allee 67 ist im Blockinnenbereich frei von Bebauung. Im automatischen Liegenschaftskatasterinformationssystem des Landes Berlin (ALKIS) wird die nähere Umgebung des Vorhabenstandorts (mit Kreis markiert) wie folgt dargestellt:
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3
Am 15. August 2019 beantragte die Klägerin beim Bezirksamt P... von Berlin die Erteilung eines Bauvorbescheides für die Errichtung eines Wohngebäudes mit 20 Wohneinheiten in drei Gebäudeteilen mit zwei bis vier Vollgeschossen und für die Errichtung einer Tiefgarage mit 20 Stellplätzen im Untergeschoss. Das Gebäude soll L-förmig an der östlichen und südlichen Grundstücksgrenze errichtet werden, wobei es sich in der Höhe von vier Vollgeschossen im Nordosten bei einer Grundfläche von 380 m² über drei Vollgeschosse im Süden bei einer Grundfläche von 190 m² bis zu zwei Vollgeschossen im Südwesten bei einer Grundfläche von 139 m² abstaffelt. In der Höhe bleibt es unter der Traufhöhe der gründerzeitlichen Quergebäude im Osten. Zur westlichen Grundstücksgrenze wahrt der zweigeschossige Gebäudeteil einen Abstand von mindestens 3,1 m, der viergeschossige Gebäudeteil einen Abstand von mind. 15,5 m. Die Zufahrt zur Tiefgarage soll über einen drei Meter von der westlichen Grundstücksgrenze entfernten Autoaufzug erfolgen. Die Klägerin erfragte mit den Fragen 1, 3 und 4 ihres Antrags auf Vorbescheid das Einfügen des Vorhabens nach der Art der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche. Frage 2 bezog sich auf die Zulässigkeit nach dem Maß der baulichen Nutzung, Frage 5 auf die planungsrechtliche Zulässigkeit der Tiefgarage und des Autoaufzugs und Frage 6 auf den Denkmalschutz.
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4
Mit Bauvorbescheid vom 31. Januar 2020 stellte das Bezirksamt die Zulässigkeit des Bauvorhabens hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung, der Bauweise, der überbauten Grundstücksfläche und im Hinblick auf den Denkmalschutz fest. Es verneinte jedoch die Zulässigkeit nach dem Maß der baulichen Nutzung (Frage 2) und die Zulässigkeit der Tiefgarage (Frage 5). In der Begründung führte die Behörde aus, dass Maßstab für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach dem Maß der Nutzung nicht die Bebauung des gesamten Baublocks, sondern nur im Blockinnenbereich südlich und westlich des Vorhabengrundstücks sei. Die Blockrandbebauung an der G... allee mit den Quergebäuden im Blockinnenbereich bilde einen eigenen Beurteilungsrahmen und sei daher bei der Beurteilung des Bauvorhabens nicht zu berücksichtigen. Das Bauvorhaben überschreite mit seiner Höhe und Grundfläche den Rahmen der näheren Umgebung und könne wegen seiner negativen Vorbildwirkung nicht zugelassen werden. Die Tiefgarage sei ebenfalls unzulässig, weil die Anzahl der zulässigen Stellplätze im Zusammenhang mit dem Wohnbauvorhaben stehe und dieses im beantragten Umfang nicht zulässig sei.
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5
Auf den Widerspruch der Klägerin vom 11. Februar 2020 hob die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen den Ausgangsbescheid mit Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2021 auf, soweit er die Frage 5 zur Zulässigkeit der Tiefgarage verneinte und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Zur Begründung führte der Bescheid aus, dass sich die Bebauungsstruktur der G... allee deutlich von der Bebauungsstruktur des restlichen Baublocks abhebe, insbesondere im Hinblick auf den Anteil der Freiflächen zur Versiegelung, und daher nicht Maßstab sein könne. Im restlichen Baublock gäbe es für das Bauvorhaben aber keine Vorbilder, da die einzelnen Maßfaktoren nicht frei kombiniert werden dürften. Das Bauvorhaben überschreite den so gesetzten Rahmen und würde erstmals ein hohes Nutzungsmaß in den Blockinnenbereich tragen und hätte damit negative Vorbildwirkung für eine städtebaulich unzuträgliche Verdichtung des Blockinnenbereichs. Bei der Frage nach der Zulässigkeit der Tiefgarage könne jedoch eine isolierte Betrachtung vorgenommen werden und der erforderliche gebietsbezogene Bedarf sei vorhanden.
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6
Im Februar 2022 wurde die Gültigkeit des Bauvorbescheides durch das Bezirksamt verlängert.
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Mit der am 9. Februar 2021 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie meint, der räumliche Bereich der näheren Umgebung sei durch den Beklagten fehlerhaft bestimmt worden und stattdessen der gesamte Baublock einzubeziehen. Im Blockinnenbereich gäbe es mehrere drei- bis viergeschossige Gebäude, die zur prägenden näheren Umgebung gehörten. Ebenso gäbe es mehrere Gebäude, die in der Grundfläche und dem Verhältnis zur Freifläche dem klägerischen Bauvorhaben entsprächen. Das Bauvorhaben löse auch keine Konflikte aus, da weder Lärm noch ein erhöhtes Verkehrsaufkommen zu befürchten seien. An der negativen Vorbildwirkung fehle es auch deshalb, weil es nur noch begrenzt freie Flächen im Baublock gäbe. Ein Planungsbedürfnis stehe der Zulässigkeit nicht entgegen.
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8
Die Klägerin beantragt,
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9
den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bezirksamts P... von Berlin vom 31. Januar 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen vom 12. Januar 2021 zu verpflichten, ihr einen auch zu Frage Nr. 2 positiven Bauvorbescheid zu erteilen.
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10
Der Beklagte beantragt,
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11
die Klage abzuweisen.
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12
Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen die Argumente aus dem Ausgangs- und Widerspruchsverfahren.
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13
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakte und des Verwaltungsvorgangs (1 Ordner und ein Halbband) Bezug genommen. Letzterer hat vorgelegen und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung. Die Einzelrichterin hat in der mündlichen Verhandlung die Örtlichkeiten in Augenschein genommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. | Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Bezirksamts P... von Berlin vom 31. Januar 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen vom 12. Januar 2021 verpflichtet, der Klägerin auch hinsichtlich der Frage 2 (Maß der baulichen Nutzung) einen positiven Bauvorbescheid zu erteilen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. | 0 |
LG Hamburg 32. Zivilkammer | Hamburg | 0 | 1 | 12.02.2021 | 1 | Randnummer
1
Der Kläger begehrt von der Beklagten Zahlung aus einer Betriebsschließungsversicherung aufgrund von behördlichen Maßnahmen im Rahmen der Corona-Pandemie.
Randnummer
2
Der Kläger betreibt in H. das italienische Restaurant „R. P.“. Zwischen den Parteien besteht seit dem Jahr 2007 eine Betriebsschließungsversicherung unter der Versicherungsnummer... . Vereinbart waren unter anderem die „AVB-BS – Stand 01 03 2006“ der Beklagten (im Folgenden: „
AVB-BS
“). In den AVB-BS heißt es auszugsweise wie folgt:
Randnummer
3
„§ 1 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren
1. Versicherungsumfang
Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)
a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;
(…)
2. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger
Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die
folgenden
, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:
(…)“
Randnummer
4
Unter Nr. 2. a) und 2. b) folgte sodann eine Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages in den §§ 6 und 7 IfSG genannt waren; SARS-CoV-2 bzw. COVID-19 sind daher nicht in den Bedingungen genannt.
Randnummer
5
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den als Anlage K 1 zur Akte gereichten Versicherungsschein nebst den als Anlage K 2 zur Akte gereichten Versicherungsbedingungen verwiesen.
Randnummer
6
Mit Wirkung zum 01.02.2020 wurde durch die Verordnung „2019-nCoV“ eine Meldepflicht nach §§ 6 und 7 IfSG für das neuartige Coronavirus bzw. COVID-19 angeordnet. Mit Wirkung zum 23.05.2020 wurde COVID-19 in § 6 Abs. 1 Nr. 1 t) IfSG und SARS-CoV-2 in § 7 Abs. 1 Nr. 44a IfSG aufgenommen.
Randnummer
7
Aufgrund der Ausbreitung der Corona-Pandemie erließ die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz Hamburg am 16.03.2020 die Allgemeinverfügung zur Eindämmung des Coronavirus in Hamburg, welche am 17.03.2020 in Kraft trat. Demnach mussten Gaststätten im Sinne des Gaststättengesetzes für den Publikumsverkehr geschlossen werden. Speiselokale durften davon abweichend unter bestimmten Sicherheitsbestimmungen von 6 Uhr bis 18 Uhr Speisen zum Verzehr vor Ort anbieten (Ziffer 8 der Allgemeinverfügung). Nach 18 Uhr mussten auch Speiselokale wie jenes des Klägers schließen und durften Speisen und Getränke nur noch zum Mitnehmen verkaufen. Mit Allgemeinverfügung zur Eindämmung des Coronavirus in Hamburg vom 20.03.2020 wurde mit sofortiger Wirkung der Betrieb von Gaststätten wie der des Klägers zu allen Zeiten untersagt (Ziffer 9 der Allgemeinverfügung). Lediglich die Auslieferung von Speisen und Getränken sowie der Abverkauf zum Mitnehmen blieb erlaubt. Der Kläger schloss aufgrund dieser Allgemeinverfügung vom 24.03.2020 bis zum 03.05.2020 sein Restaurant komplett. Durch die Fünfte Verordnung zur Änderung der Hamburgischen SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung, welche am 13.05.2020 in Kraft trat, wurde der Betrieb von Gaststätten gemäß § 13 wieder unter bestimmten Sicherheitsvorkehrungen erlaubt.
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8
Im Versicherungsschein vom 20.09.2007 wurde die Versicherungssumme bezüglich des Ausfallschadens aufgrund von Betriebsschließung wegen Infektionsgefahr auf € 500,00 pro Tag bis zu einer Dauer von 30 Schließungstagen festgesetzt. Der Kläger meldete der Beklagten die Schließung seines Betriebs und gab eine Schadensmeldung ab. Mit Schreiben vom 08.04.2020 wies die Beklagte ihre Einstandspflicht zurück und bot die freiwillige und abschließende Zahlung von € 2.250,00 an (15 % der vereinbarten Tagesentschädigung für 30 Tage).
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9
Der Kläger ist der Ansicht, dass das neuartige Coronavirus vom Versicherungsschutz umfasst sei. Relevant sei nur, dass es zu einer Schließung des Betriebs aufgrund des IfSG gekommen sei. Davon, dass auch SARS-CoV-2 bzw. COVID-19 grundsätzlich von den Bedingungen erfasst sei, sei auch die Beklagte selbst vorgerichtlich ausgegangen. Der Wortlaut der Versicherungsbedingungen „namentlich“ sei als „besonders“, „vor allem“ oder „hauptsächlich“ zu verstehen, so dass die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger nicht abschließend gemeint sein könne. Jedenfalls sei die Nr. 2 der Versicherungsbedingungen intransparent und folglich unwirksam.
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10
Der Kläger beantragt,
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11
die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 15.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 06.07.2020 zu zahlen,
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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14
Die Beklagte ist der Ansicht, das neuartige Coronavirus sei keine versicherte Gefahr. „Namentlich“ sei als „namentlich genannt“ zu verstehen und ließe auf eine abschließende Aufzählung schließen. Die Versicherungsbedingungen seien auch wirksam. Zudem sei durch die Versicherung lediglich eine betriebsinterne Gefahr versichert und nicht abstrakt-generelle präventive Gesundheitsmaßnahmen.
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15
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätzen und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen. | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 15.000,00 € festgesetzt. | 0 |
AG Frankfurt Einzelrichter | Hessen | 1 | 0 | 20.09.2017 | 0 | Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die vereinbarte Nettokaltmiete unwirksam ist, sowie die Rückzahlung der seiner Ansicht nach zu viel gezahlten Miete für November 2016.
Der Kläger ist seit dem 03.05.2016 Mieter der streitgegenständlichen Wohnung gem. des Mietvertrags (Bl. 6 ff. d. A.), die Beklagte deren Vermieterin. Die gem. Ziffer III. des Mietvertrages vereinbarte Grundmiete beträgt 810,00 Euro. Dies entspricht einer Grundmiete von 13,46 Euro pro qm. Die Wohnung liegt in einem durch Hessische Mietbegrenzungsverordnung vom 17.11.2016 bestimmten Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt. Am 28.10.2016 zahlte der Kläger 810,00 Euro zuzüglich Nebenkosten an die Beklagte.
Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 31.10.2016 (Bl. 11 f. d. A.), der Beklagten zugegangen am selben Tag (Bl. 13 d. A.), rügte der Kläger die Höhe der vereinbarten Nettokaltmiete. Er gab in dem Schreiben an, dass er u. a. von der Anwendung des Mietspiegels 2016, der Baualtersklasse der Immobilie 1918 - 1948, von einem Zuschlag für ein modernisiertes Bad und einem Abschlag dafür, dass die Wohnung mindestens 2 Wohnräume hat und kleiner als 70 qm ist, ausgeht. Er forderte die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 14.11.2016 zur Stellungnahme auf. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 15.11.2016 (Bl. 14 f. d. A.) forderte der Kläger die Beklagte zur Auskunft über diejenigen Tatsachen, die für die Zulässigkeit der vereinbarten Miete maßgeblich sind und zur Zahlung der durch den Kläger zu viel entrichteten Miete für den Monat November 2016 in Höhe von 80,00 Euro bis zum 22.11.2016 auf. Mit Schreiben vom 15.11.2016 (Bl. 17 d. A.) teilte die Beklagte mit, dass sie die Eingruppierung der Wohnung nicht nachvollziehen kann.
Die Parteien sind sich inzwischen darüber einig, dass das Gebäude wegen einer Vollmodernisierung in die Baualtersklasse 2003 - 2013 des Frankfurter Mietspiegels 2014 einzuordnen ist, die Wohnfläche 65,4 qm beträgt und die Zuschläge von 0,63 Euro für Balkon mit einer Mindesttiefe von 2,5 Meter, von 0,49 Euro für 2-Scheiben Wärmeschutz-Verglasung sowie von 0,99 Euro für die zentrale Lage einschlägig sind.
Der Kläger hat zunächst beantragt, festzustellen, dass die zwischen dem Kläger und der Beklagten mit Mietvertrag vom 3. Mai 2016 über die … im ..., …, Frankfurt am Main, mit einer Wohnfläche von ca. 65,40 qm, bestehend aus 2 Zimmern, Küche, Badezimmer, Balkon, unter Ziffer III. getroffene Vereinbarung insoweit unwirksam ist, als dort eine Nettokaltmiete von 810,00 Euro vereinbart ist. Die derzeit geschuldete Nettomiete beträgt vielmehr 730,00 Euro, sowie die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 80,00 Euro nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.11.2016 zu zahlen.
Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 13.03.2017, bei Gericht eingegangen am 13.03.2017, hat der Kläger die Klage teilweise zurückgenommen.
Der Kläger trägt vor, die Basis-Nettomiete für eine Wohnung mit einer Größe von 65,40 qm betrüge 8,28 Euro.
Der Kläger beantragt nunmehr,
festzustellen, dass die zwischen dem Kläger und der Beklagten mit Mietvertrag vom 3. Mai 2016 über die … im ..., …, Frankfurt am Main, mit einer Wohnfläche von ca. 65,40 qm, bestehend aus 2 Zimmern, Küche, Badezimmer, Balkon, unter Ziffer III. getroffene Vereinbarung insoweit unwirksam ist, als dort eine Nettokaltmiete von 810,00 Euro vereinbart ist. Die derzeit geschuldete Nettokaltmiete beträgt vielmehr 746,02 Euro;
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 63,98 Euro nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.11.2016 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, § 556 d BGB sei verfassungswidrig. Die Hessische Mietenbegrenzungsverordnung vom 17.11.2016 sei unrechtmäßig. Der Frankfurter Mietspiegel 2014 verstoße gegen die anerkannten wissenschaftlichen Grundsätze der Mietspiegelerstellung. Für die in der Wohnung vorhandene Einbauküche sei ein Zuschlag in Höhe von 0,74 Euro zu berücksichtigen. Ein Zuschlag in Höhe von 0,30 Euro für das modernisierte Bad sei zuzubilligen. Hilfsweise sei ein Zuschlag von 0,30 Euro wegen der sog. Stichtagdifferenz zuzubilligen. | Es wird festgestellt, dass die zwischen dem Kläger und der Beklagten mit Mietvertrag vom 3. Mai 2016 über die Wohnung … im …, …, Frankfurt am Main, mit einer Wohnfläche von ca. 65,40 qm, bestehend aus 2 Zimmern, Küche, Badezimmer, Balkon, unter Ziffer III. getroffene Vereinbarung insoweit unwirksam ist, als dort eine Nettokaltmiete von 810,00 Euro vereinbart ist. Die derzeit geschuldete Nettokaltmiete beträgt vielmehr 746,02 Euro;
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 63,98 Euro nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.11.2016 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet. | 1 |
Hessisches Landesarbeitsgericht 2. Kammer | Hessen | 0 | 1 | 05.08.2015 | 1 | Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug weiterhin über die Wirksamkeit einer Befristung im Hochschulbereich.
Der 48-jährige (geboren am XX.XX.1966), unverheiratete Kläger, der Vater von zwei erwachsenen und studierenden Kindern ist, die von ihm unterstützt werden, wurde ab dem 20. Dezember 2002 bis zum 31. Dezember 2013 bei dem beklagten Land an der Justus-Liebig-Universität Gießen am Institut für anorganische und analytische Chemie im Rahmen mehrerer befristeter Arbeitsverträge - insgesamt sechzehn - im Hochschulbereich beschäftigt. Die Haupttätigkeit des Klägers zu rund 75 % seiner Arbeitszeit bestand in der Entwicklung von Software für die Forschung mittels Massenspektronomie. Daneben beschäftigte sich der Kläger unter anderem mit der Beschaffung, Ausstattung, Wartung, Zusammenstellung, Zusammenbau und Inbetriebnahme der Instituts-PCs sowie weiteren Aufgaben im Zusammenhang mit der elektronischen Datenverarbeitung. Im Einzelnen schlossen die Parteien Arbeitsverträge für folgende Zeiträume ab:
Arbeitsvertrag
Beschäftigungszeitraum/(umfang
6. Januar 2003
20. Dez. 2002 - 31. Januar 2004 (100 %)
14. Januar 2004
1. Februar 2004 - 29. Februar 2004 (100 %)
26. Februar 2004
1. März 2004 - 30. April 2005 (100 %)
30. März 2005
1. Mai 2005 - 31. Oktober 2005 (75 %)
26. September 2005
1. Nov. 2005. - 30. April 2006 (75 %)
19. April 2006
1. Mai 2006 - 31. Mai 2006 (100 %)
22. Mai 2006
1. Juni. 2006 - 31. Mai 2007 (75 %)
20. März 2007
1. Juni 2007 - 29. Februar 2008 (75 %)
30. Januar 2008
1. März 2008 - 30. Juni 2009 (75 %)
29. Juni 2009
1. Juli 2009 - 31. Dezember 2009 (75 %)
18. Dezember 2009
1. Januar 2010 - 31. Dezember 2010 (75 %)
14. Dezember 2010
1. Januar 2011 - 31. Dezember 2011 (75 %)
19. Dezember 2011
1. Januar 2012 - 31. Dezember 2012 (75 %)
3. Dezember 2012
1. Januar 2013 - 31. März 2013 (75 %)
27. März 2013
1. April 2013 - 31. August 2013 (75 %).
Zuletzt wurde der Kläger, der studierter Diplom-Mathematiker ist, auf Grundlage des Arbeitsvertrages der Parteien vom 20. August 2013 (Bl. 29 d. A.) beschäftigt, der in § 1 auszugsweise wie folgt lautet:
§ 1
(1) Der Obengenannte wird als teilzeitbeschäftigter wissenschaftlicher Mitarbeiter mit 75,00 % der durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit eines entsprechenden Vollzeitbeschäftigten als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit Dienstleistungsaufgaben gemäß § 53 HRG, § 65 HHG ab 01.09.2013 bis 31.12.2013 weiterbeschäftigt auf bestimmte Zeit nach § 40 Nr. 8 TV-H i.V. mit § 65 HHG und § 2 Abs. 2 WissZeitVG.
(2) ...
Zwischen den Parteien wurde die Geltung des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst des Landes Hessen (TV-H) und weitere Tarifverträge vereinbart. Die Kläger erhielt zuletzt Vergütung in Höhe von monatlich € 3.921,45 brutto.
Das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst bewilligte der Justus-Liebig-Universität im Rahmen der Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlichökonomischer Exzellenz (LOEWE) für den am Institut für anorganische und analytische Chemie angesiedelten Forschungsschwerpunkt "Ambi-Probe - Massenspektrometrische in-situ-Analytik für die Problembereiche Gesundheit, Umwelt, Klima und Sicherheit" Mittel zur Projektfinanzierung, und zwar mit Bescheid vom 27. Oktober 2009 (Bl. 94 ff.) für die Haushaltsjahre 2010 bis 2012 in Höhe von € 4.497.000,00 und mit Bescheid vom 21. Mai 2013 (Bl. 75 ff. d. A.) - nach zuvor erteiltem vorläufigem Bewilligungsbescheid vom 12. Dezember 2012 (Bl. 71 ff. d. A.) - für das Haushaltsjahr 2013 in Höhe von € 836.000,00.
Mit Schreiben vom 19. Juni 2013 beantragte der Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. A im Zusammenhang mit dem LOEWE-Schwerpunkt "AmbiProbe - Massenspektrometrische in-situ-Analytik für die Problembereiche Gesundheit, Umwelt, Klima und Sicherheit" eine Zustimmung beim Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst zur Umwandlung von Sachmittel in Personalmittel in Höhe von € 88.200,00 zur Fortsetzung sämtlicher Projekte im Auslaufzeitraum durch die zusätzliche Finanzierung von Doktorand/innen. Die Zustimmung erteilte das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst mit Schreiben aus Juli 2013 (Bl. 70 d. A.).
Ein Promotionsantrag des Klägers an den Fachbereich Biologie/Chemie war bereits am 15. Februar 2005 angenommen worden. Ob und inwieweit Promotionsbemühungen vom Kläger tatsächlich unternommen wurden, ist zwischen den Parteien streitig.
Mit seiner am 21. Januar 2014 bei dem Arbeitsgericht Gießen eingegangenen und dem beklagten Land am 27. Januar 2014 (Bl. 31 d. A.) zugestellten Klage hat sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der Befristung seines Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 2013 gewandt.
Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhalts, des Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug und der dort zuletzt gestellten Anträge wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Gießen vom 1. August 2014 - Az. 10 Ca 14/14 (Bl. 103 -109 d. A.) - Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht Gießen hat mit dem am 1. August 2014 verkündeten Urteil - 10 Ca 14/14 (Bl. 102 - 118 d. A.) - festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 31. Dezember 2013 hinaus unbefristet fortbesteht, und im Übrigen dem beklagten Land die Kosten des Rechtsstreits auferlegt und den Wert des Streitgegenstandes auf € 11.764,35 festgesetzt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Befristung des letzten Arbeitsvertrages der Parteien vom 20. August 2013 für die Zeit vom 1. September 2013 bis zum 31. Dezember 2013 sei bereits deshalb unwirksam, weil ein Fall und damit ein Befristungsgrund nach § 2 Abs. 2 WissZeitVG nicht gegeben gewesen sei. Es habe keine Finanzierung aus Mitteln Dritter vorgelegen. Zwar sei der Kläger seit dem Jahr 2010 mit seinen befristeten Arbeitsverträgen aus dem vom beklagten Land im Rahmen des Loewe-Projekts zur Verfügung gestellten Mitteln finanziert und auch im Bereich eines Loewe-Projekts eingesetzt worden. Das beklagte Land sei bei der Finanzierung der Universität und seiner Forschungsvorhaben aber keine "Drittperson", so dass in diesem Fall die Vorschrift des § 2 Abs. 2 WissZeitVG als Befristungsgrundlage entfalle. Befristungsdauer und Befristungsumfang sprächen auch dafür, dass die zuletzt vereinbarte Befristung wegen institutionellen Rechtsmissbrauchs rechtsunwirksam sei. Diese Frage habe das Gericht allerdings offenlassen können. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 110-117 d. A.).
Das erstinstanzliche Urteil ist dem beklagten Land am 15. August 2014 (Bl. 120 d. A.) zugestellt worden. Die Berufung des beklagten Landes ist am 12. September 2014 (Bl. 121 f. d. A.) und seine Berufungsbegründung am 15. Oktober 2014 (Bl. 129 ff. d. A.) bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangen.
Das beklagte Land wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag. Es vertritt unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und die herrschende Meinung im Schrifttum die Ansicht, Mittel Dritter iSd. § 2 Abs. 2 Satz 1 WissZeitVG seien auch solche Mittel, die der Universität von ihrem Unterhaltsträger aus Sondermitteln für bestimmte Forschungsprojekte zugewiesen werden würden, soweit es sich dabei nicht um der Universität zur Verfügung gestellte laufende Haushaltsmittel handele. Dies sei beim Hessischen Forschungsprogramm LOEWE der Fall gewesen, mit dessen Förderung des Forschungsschwerpunkts "AmbiProbe-Massenspektrometrische in-situ-Analytik für die Problembereiche Gesundheit, Umwelt, Klima und Sicherheit" schließlich auch der Kläger im Zeitraum 1. Januar 2010 bis 31. Dezember 2013 mit 75 % der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollbeschäftigten als wissenschaftlicher Mitarbeiter eingestellt und in diesem Zeitraum aus den LOEWE-Mitteln vergütet worden sei. Auch habe das beklagte Land die Möglichkeit der Befristung wegen vorübergehenden Beschäftigungsbedarfs nicht rechtsmissbräuchlich ausgenutzt. Vielmehr sei der Kläger mit vielfältigen Aufgaben im Rahmen der Projektarbeit beschäftigt worden. Kurzfristigere Arbeitsverträge mit einer Laufzeit von weniger als sechs Monaten seien bedingt gewesen durch entsprechend kurze Restlaufzeiten der jeweiligen Drittmittelprojekte oder durch einen für den Kläger vorteilhaften Wechsel auf ein neues Drittmittelprojekt mit anderen Aufgaben. Die Jahresverträge in den Jahren 2010 bis 2012 seien jeweils bedingt gewesen durch die Absicht des Klägers, seine Promotion innerhalb des jeweiligen Jahres zum Abschluss zu bringen. Entscheidend aber sei die Garantie des Art. 5 Abs. 3 GG, denn die Regeln des allgemeinen Befristungsrechts finden ihre Grenze dort, wo Beschäftigungen im Rahmen des WissZeitVG unter den Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG fallen, was bei der Rechtsmissbrauchskontrolle nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vorrangig zu berücksichtigen sei.
Das beklagte Land beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 1. August 2014, Aktenzeichen 10 Ca 14/14, abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Er vertritt die Ansicht, es habe sich vorliegend um keine Drittmittel iSd. § 2 Abs. 2 Satz 1 WissZeitVG gehandelt. Vielmehr habe es sich bei den Mitteln aus dem Forschungsprogramm LOEWE um Gelder gehandelt, die im Ergebnis vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst als Träger der universitären Einrichtung und damit nicht von Dritten vergeben worden seien. Des Weiteren habe das beklagte Land rechtsmissbräuchlich gemäß § 242 BGB von einem Befristungsgrund Gebrauch gemacht. So habe der Kläger über Jahre hinweg nahezu dieselben (Dauer-)Aufgaben wahrgenommen und sei auf demselben Arbeitsplatz beschäftigt worden, was im Übrigen aufgrund Vertragsschlusses mit der TransMit GmbH nach Ende des letzten Befristungszeitraums bis heute immer noch der Fall sei.
Wegen des weiteren Parteivorbringens im Berufungsrechtszug wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen vom 14. Oktober 2014 (Bl. 134 - 138 d. A.), 15. Dezember 2014 (Bl. 149 -152 d. A.), 12. Mai 2015 (Bl. 172 - 177 d. A.), 24. Juni 2015 (Bl. 208 -222 d. A.), 28. Juli 2015 (Bl. 230 - 236 d. A.) und 4. August 2015 (Bl. 242 - 246 d. A.) sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 25. März 2015 (Bl. 157 und 158 d. A.) und 5. August 2015 (Bl. 248 d. A.) Bezug genommen. | Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 01. August 2014 - Aktenzeichen 10 Ca 14/14 - abgeändert und die Klage abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
VG Neustadt (Weinstraße) 4. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 23.10.2017 | 0 | Randnummer
1
Die Klägerin begehrt die Aufhebung einer der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung zur Errichtung eines Hühnerstalls.
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2
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks A-Straße ..., Flurstück-Nr. ... in der Ortsgemeinde A-Dorf. Diese Ortsgemeinde hat ca. 125 Einwohner und ist umgeben von landwirtschaftlichen Flächen und Wald. In der Ortsgemeinde sind viele Grundstücke außer mit Wohngebäuden auch mit landwirtschaftlichen Nebengebäuden bebaut. Die Landwirtschaft, die früher dominierend war, hat sich aber zwischenzeitlich auf drei Betriebe in der Ortslage reduziert.
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3
Das Grundstück der Klägerin Flurstück-Nr. ... ist mit einem denkmalgeschützten Wohnhaus aus dem Jahr 1818 bebaut, dessen Nord-, West- und Südwand auf den Grenzen zu den Nachbargrundstücken Flurstück-Nr. ... (B-Straße ..) und Flurstück-Nr. ... (A-Straße ..) stehen. Das Anwesen B-Straße .. ist seit dem Jahr 2000 im Eigentum der Beigeladenen und mit einem Wohnhaus und zwei Scheunen bebaut. Die Beigeladene hält rd. 50 Mutterschafe nebst Jährlingen und Lämmern in einer Herde, die ganz überwiegend außerhalb des Dorfes auf wechselnden Weiden untergebracht ist. Weiter werden 24 Ponys gehalten, die die Beigeladene zum Teil zu reittherapeutischen Zwecken verwendet. Dazu nutzt sie einen Reitplatz auf ihrem Grundstück Flurstück-Nr. ..., das - getrennt durch einen Weg - westlich ihres Grundstücks Flurstück-Nr. ... liegt. Auf dem Grundstück Flurstück-Nr. ... züchtet die Beigeladene außerdem Border Collies und hält seit dem Erwerb des Grundstücks im südlichen Teil zur Eiergewinnung auch einige Hühner. Dazu nutzt sie einen 3,30 m x 2,00 m großen Hühnerstall, der an ihre Scheune grenzt. Er ist ca. 3 m von der grenzständigen Hauswand der Klägerin entfernt, in der sich vier Fenster befinden. Entlang dieser Hauswand wurde von der Beigeladenen eine Bretterwand aus Schaltafeln errichtet. Dies geht zurück auf eine Vereinbarung zwischen der Klägerin und der Beigeladenen, die am 28. November 2014 in einem Sühnetermin vor dem zuständigen Schiedsmann als Vergleich geschlossen wurde. Darin verpflichtete sich die Beigeladene nicht nur zur Errichtung der fraglichen Bretterwand, sondern auch zur Entfernung eines zweiten Hahns von ihrem Grundstück. Die Klägerin erklärte sich im Gegenzug mit dem Verbleib des weiteren Hahns vor Ort einverstanden und nahm „die weiteren Anschuldigungen, wie Gerüche etc.“ im Interesse eines gut nachbarlichen Verhältnisses zurück.
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Auf Antrag der Beigeladenen genehmigte der Beklagte im vereinfachten Genehmigungsverfahren mit Bescheid vom 17. November 2016 den Hühnerstall auf dem Grundstück Flurstück-Nr. .... der Beigeladenen, wobei die Hühnerhaltung – wie beantragt – auf 10 Hühner und einen Hahn beschränkt wurde.
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Die Klägerin legte gegen diesen Bescheid am 2. Dezember 2016 Widerspruch ein, den der Kreisrechtsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 14. März 2017 zurückwies. Die Klägerin hat daraufhin am 11. April 2017 Klage erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorträgt:
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Die Baugenehmigung verstoße gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme, weil das Vorhaben zu unzumutbaren Geruchsimmissionen auf ihrem Grundstück führe. Die von der Federviehhaltung ausgehenden Immissionen beeinträchtigten nicht nur die Nutzung ihrer Wohnräume. Auch die Nutzung des Gewölbekellers werde ganz erheblich eingeschränkt. Namentlich sei eine Lagerung von Lebensmitteln in dem Keller nicht mehr möglich. Gerüche gelangten durch die Auslassungen in der Wand nach innen, setzen sich auf den Lebensmitteln ab und machten diese ungenießbar.
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Für die Bewertung der Zumutbarkeit von Geruchsimmissionen könne die „Geruchsimmissions-Richtlinie - GIRL" als Anhaltspunkt und Orientierungshilfe herangezogen werden, wobei ein Immissionswert von 0,10 zugrunde zu legen sei. Das Vorhaben der Beigeladenen befinde sich nämlich nicht in einem faktischen Dorf-, sondern in einem faktischen Mischgebiet. Die Ortsgemeinde ... möge zwar in der Vergangenheit ein faktisches Dorfgebiet dargestellt haben, inzwischen seien jedoch landwirtschaftliche Betriebe nicht mehr in einem hinreichenden Maße vorhanden, um die näher Umgebung zu prägen. Ungeachtet dessen sei der Immissionswert von 0,15 in Dorfgebieten ohnehin nur für Geruchsimmissionen anzuwenden, die durch landwirtschaftliche Tierhaltungsanlagen verursacht würden, nicht aber bei privater Hobbytierhaltung.
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Die genehmigte Hühnerhaltung führe außerdem zu unzumutbaren Lärmimmissionen. Der Hahn krähe mehrmals des Nachts und störe so die Nachtruhe. Die Hühner verursachten zudem ein langanhaltendes, sehr lautes Gackern. Erschwert werde die Situation durch Lärmimmissionen, die von der Hunde- und Lämmerhaltung auf dem Grundstück ... und von der Reitanlage der Beigeladenen auf dem Grundstück Flurstück-Nr. ... ausgingen. Schließlich erreiche die von der Beigeladenen errichtete Bretterschalung entlang ihrer Sandsteinmauer nicht den angestrebten Zweck, nämlich ihre Sandsteinmauer zu schützen. Zwischen Mauer und Bretterschalung sammelten sich nämlich Stroh, Hühnerexkremente sowie Federn.
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Die Klägerin beantragt,
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die Baugenehmigung des Beklagten vom 17. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. März 2017 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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und erwidert im Wesentlichen:
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Der genehmigte Hühnerstall sei planungsrechtlich zulässig. Trotz der zwischenzeitlich überwiegend vorhandenen Wohnbebauung habe die Ortsgemeinde ... einen dörflich-ländlichen Charakter. Die Nutztierhaltung und damit verbunden auch das Krähen eines Hahnes seien seit Jahrzehnten nichts Untypisches oder gar Ortsfremdes in der näheren Umgebung der Klägerin. In einem solchen ländlichen Bereich, der baulich durch „Hofanlagen“ mit Scheunen und anderen ursprünglich landwirtschaftlich genutzten Nebengebäuden geprägt sei, müsse mit derartigen Immissionen gerechnet werden. Ein Hühnerstall in den Ausmaßen, wie er sich auf dem Grundstück der Beigeladenen befinde, verstoße daher nicht gegen das Rücksichtnahmegebot.
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Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
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Auch sie hält ihren Hühnerstall für planungsrechtlich zulässig. Hühner würden seit jeher an mehreren Stellen in A-Dorf gehalten, so z.B. derzeit auch auf dem nahegelegen Anwesen A-Straße ... (Flurstück-Nr. ...).
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17
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Verwaltungsakten. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt die Klägerin.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. | 0 |
AG Wiesbaden | Hessen | 0 | 1 | 06.02.2023 | 0 | Die Beklagte war seit 21.01.2016 Sondereigentümerin zweier Eigentumswohnungen der klagenden Wohnungseigentümergemeinschaft. Diese Objekte übertrug sie auf ihren Ehegatten. Der Eigentumswechsel wurde am 03.08.2021 in das Grundbuch eingetragen.
Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe der Verwalterin die Änderungen der Eigentumsverhältnisse nicht mitgeteilt.
Ab September 2021 wurden für die Objekte keine Hausgelder gezahlt. Für ein Objekt betrug der Rückstand 2.588,52 €, für das andere Objekt 1.513,20 €.
Die Klägerin mahnte durch ihre Verwalterin am 13.01.2022 die Beklagte wegen dieser Beträge fruchtlos.
Die Klägerin beauftragte ihre Prozessbevollmächtigte mit der Beitreibung der Hausgelder.
Mit Schreiben vom 28/30.01.2022 hatte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Beklagte zur Zahlung des rückständigen Hausgeldes aufgefordert. Eine Zahlung erfolgt nicht.
In der Folge hatte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin Grundbuchauszüge eingeholt und festgestellt, dass die oben erwähnte Eigentumsübertragung stattgefunden hatte.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat der Beklagten mit Schreiben vom 10.03.2022 mitgeteilt, dass die Hausgeldrückstände nicht zu zahlen seien und hat die Beklagte allerdings zur Zahlung der durch die anwaltlichen Schreiben vom 28.01.2022 und 30.01.2022 entstandenen Anwaltskosten aufgefordert. Die Beklagte zahlte allerdings nicht.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 587,50 zu zahlen nebst Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 16.02.2022
und weitere Kosten in Höhe von 10,00 € nebst Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins ab 16.02.2022.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, sie habe unmittelbar nach dem 12.08.2021 der Klägerin eine Abschrift der Grundbuchnachricht über den Eigentumswechsel übermittelt.
Darüber hinaus ist sie der Auffassung, dass allenfalls der neue Eigentümer verpflichtet sei einen Eigentumswechsel anzuzeigen, eine derartige Pflicht treffe jedenfalls nicht die Beklagte als ehemalige Eigentümerin. | Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 587,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Prozent über dem Basiszinssatz ab dem 16.02.2022 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreites hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen. | 1 |
SG Berlin 70. Kammer | Berlin | 0 | 1 | 27.05.2011 | 0 | Randnummer
1
Der Kläger wendet sich gegen die Beendigung der freiwilligen Weitersicherung in der Arbeitslosenversicherung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) für die Vergangenheit und begehrt die erneute freiwillige Weiterversicherung.
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Der 1949 geborene Kläger beantragte am 27.03.2006 bei der Beklagten die freiwillige Weiterversicherung anlässlich der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit als Drehbuchautor. Durch Bescheid vom 29.03.2006 teilte die Beklagte ihm mit, dass seinem Antrag auf freiwillige Weiterversicherung entsprochen werde und die freiwillige Weiterversicherung am 27.03.2006 beginne. Der Bescheid enthielt auch einen Hinweis auf die Gründe für die Beendigung der freiwilligen Versicherung in § 28a Abs. 2 S. 3 SGB III in der damals gültigen Fassung. Bei der Zitierung des § 28a Abs. 2 S. 3 Nr. 1 SGB III - Beendigungsgrund des Bezugs einer Entgeltersatzleistung nach dem SGB III - wurde das Arbeitslosengeld als eine mögliche Entgeltersatzleistung beispielhaft genannt.
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Der Kläger meldete sich am 08.06.2006 bei der Agentur für Arbeit Neuruppin arbeitslos. Ihm wurde daraufhin für den Zeitraum 08.06.2006 bis 30.11.2006 Arbeitslosengeld aus einem früher entstandenen und noch nicht ausgeschöpften Anspruch gewährt. Danach nahm der Kläger seine selbständige Tätigkeit als Drehbuchautor wieder auf.
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Durch die Änderungsbescheide vom 05.12.2006, 03.12.2007 und 01.12.2008 wurde der Kläger durch die Beklagte unter Feststellung der maßgeblichen Bezugsgröße zur Zahlung des jeweiligen Jahresbeitrags im Voraus aufgefordert.
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Zum 06.08.2009 meldete sich der Kläger bei der Beklagten arbeitslos. Die Beklagte gewährte ihm daraufhin durch Bewilligungsbescheid vom 17.08.2009 Arbeitslosengeld und hob mit Bescheid vom 10.08.2009 den Bescheid vom 29.03.2006 ab dem 06.08.2009 auf, da die Tätigkeit als Selbständiger am 05.08.2009 geendet habe.
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Im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens gegen den Bewilligungsbescheid vom 17.08.2009 wies der Kläger selbst darauf hin, dass er im Zeitraum 08.06.2006-30.11.2006 Arbeitslosengeld bezogen hat. Die Beklagte nahm danach mit Aufhebungsbescheid vom 22.10.2009 die Bescheide vom 05.12.2006, 03.12.2007, 01.12.2008 und vom 10.08.2009 zurück. Mit Bescheid vom 29.03.2006 sei dem Antrag auf freiwillige Weiterversicherung entsprochen worden. Die Voraussetzungen für die freiwillige Weiterversicherung lägen aber nicht mehr vor, weil die Tätigkeit als Selbständiger am 07.06.2006 geendet habe. Die bewilligende Entscheidung werde deshalb ab 08.06.2006 nach § 48 Abs. 1 S. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i. V. m. § 330 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) aufgehoben. Die überzahlten Beiträge würden dem Kläger erstattet.
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Den Widerspruch des Klägers dagegen wies die Beklagte mit Bescheid vom 16.11.2009 als unbegründet zurück. Die rückwirkende Aufhebung sei zu Recht erfolgt. Die Aufhebungsvoraussetzungen nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und Nr. 4 SGB X lägen vor. Grob fahrlässig handele, wer eindeutige Hinweise in Vordrucken und Merkblättern nicht beachte. Bereits aus dem Inhalt des Bescheides vom 29.03.2006 sei dem Kläger bekannt gewesen, dass die freiwillige Weiterversicherung mit dem Bezug von Arbeitslosengeld ende. Er habe daher wissen müssen, dass die Weiterversicherung entgegen seinem Vortrag nicht „automatisch weitergeführt“ werde. Außerdem sei ihm im Bescheid vom 29.03.2006 aufgegeben worden, alle für die freiwillige Weiterversicherung erheblichen Änderungen in seinen Verhältnissen unverzüglich mitzuteilen, was er nicht getan habe. Sein Vortrag, er habe anlässlich seiner Arbeitslosmeldung am 08.06.2006 in Neuruppin seine freiwillige Weiterversicherung mitgeteilt, sei nicht aktenkundig und daher nicht nachvollziehbar.
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Am 26.11.2009 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben und verfolgt sein Begehren weiter.
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Der Kläger beantragte ferner am 09.11.2009 erneut die freiwillige Weiterversicherung für seine zum 09.11.2009 wieder aufgenommene selbständige Tätigkeit. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15.02.2010 und Widerspruchsbescheid vom 01.04.2010 ab. Sie führte zur Begründung an, dass es an der Unmittelbarkeit zwischen der Aufnahme der Tätigkeit und dem vorausgehenden Versicherungspflichtverhältnis bzw. dem Bezug einer Entgeltersatzleistung nach dem SGB III fehle. Die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit ab dem 06.08.2009 sei zu Recht wegen fehlender Anwartschaftszeit aufgehoben worden.
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Auch gegen diese Bescheide hat der Kläger am 16.04.2010 Klage beim Sozialgericht eingereicht. Dieses Klageverfahren wurde durch Beschluss der Kammer vom 25.10.2010 mit dem hiesigen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
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Der Kläger trägt zur Begründung seiner Klage im Wesentlichen vor:
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Die Aufhebung des Bescheides vom 29.03.2006 sei rechtswidrig. Sie könne insbesondere nicht auf § 48 SGB X, sondern allenfalls auf § 45 SGB X gestützt werden. Er habe keine falschen Angaben gegenüber der Beklagten gemacht. Durch die Arbeitsagentur Neuruppin sei er anlässlich seiner Arbeitslosmeldung zum 08.06.2006 nicht darauf hingewiesen worden, dass durch den Bezug von Arbeitslosengeld die freiwillige Weiterversicherung ende. Dass er freiwillig in der Arbeitslosenversicherung versichert sei, habe er damals der Arbeitsagentur Neuruppin mitgeteilt. Die Beklagte habe nicht erkannt, dass die Aufhebung in ihrem Ermessen stehe und daher fehlerhaft kein Ermessen ausgeübt. Es komme wegen des Beratungsfehlers der Arbeitsagentur Neuruppin auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch in Betracht.
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Er sei auf seinen erneuten Antrag auch ab dem 01.11.2009 freiwillig weiterversichert. Die Beklagte habe zu Unrecht geltend gemacht, dass die Weiterversicherung mangels Unmittelbarkeit des Vorbezugs von Arbeitslosengeld ausscheide. Die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab 06.08.2009 sei rechtswidrig aufgehoben worden, da er zuvor wirksam freiwillig weiterversichert gewesen sei.
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Der Kläger beantragt,
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1. den Aufhebungsbescheid vom 22. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2009 aufzuheben und festzustellen, dass er ab dem 01. Dezember 2006 nach dem SGB III freiwillig weiterversichert gewesen ist,
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2. unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01. April 2010 festzustellen, dass er ab dem 01. November 2009 nach dem SGB III freiwillig weiterversichert ist.
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Die Beklagte beantragt,
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18
die Klage abzuweisen.
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Sie verweist auf die Gründe der angefochtenen Bescheide und ergänzt:
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Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch des Klägers komme nicht in Betracht. Zum Zeitpunkt der Bewilligung von Arbeitslosengeld im Jahr 2006 sei nicht bekannt gewesen, dass der Kläger freiwillig weiterversichert gewesen sei. Bei der Aufhebung handele sich im Gegensatz zur Auffassung des Klägers um eine gebundene Entscheidung, so dass es auf Ermessen nicht ankomme.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. | Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten. | 0 |
Hessisches Landessozialgericht 7. Senat | Hessen | 0 | 0 | 29.06.2005 | 0 | Randnummer
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Die Antragsteller begehren im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
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Die Antragstellerin zu 1. ist die Mutter der 1987, 1989 und 1991 geborenen Antragsteller/innen zu 2. – 4. Leiblicher Vater der Antragstellerin zu 4. ist der im Jahre 1964 in Marokko geborene A. E. (E.). Dieser zahlt seinem Kind Unterhalt zu Händen der Antragstellerin zu 1. in Höhe von monatlich 150 Euro.
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Jedenfalls bis Juli 2004 wohnten die Antragsteller in A.Stadt in der B.Straße X. In dieser Wohnung hatte auch E. ein Zimmer, welches er nach Angaben der Antragstellerin zu 1. gelegentlich genutzt hat. Durch Bescheid vom 6. November 2003 versagte das Sozialamt der Stadt A.Stadt den Antragstellerinnen zu 1. und 4 wegen Vorliegens einer eheähnlichen Gemeinschaft die Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Dagegen legte die Antragstellerin zu 1. Widerspruch ein mit der Begründung, dass sie nicht mit E. in einer „Wohngemeinschaft" lebe. Dieser sei zwar für die Wohnung in der B.Straße X. gemeldet gewesen, die Meldung habe jedoch die Funktion gehabt, dass er seinen Pkw weiterhin in Deutschland zulassen könne. Er habe jedoch in der fraglichen Zeit in M. gewohnt. Demgegenüber erhielten die Antragsteller zu 2 u. 3 weiterhin Sozialhilfeleistungen, da die Antragsgegnerin den E. im Rahmen der Bedarfs- bzw. Einsatzgemeinschaft nach § 11 BSHG für diese Kinder, die nicht Kinder des E. sind, nicht berücksichtigte.
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Am 22. Juni 2004 schloss die Antragstellerin zu 1. einen Mietvertrag über eine 4-Zimmer-Wohnung in der A.Straße in A.Stadt. Das Mietverhältnis sollte am 15. Juli 2004 beginnen; nach einer Melderegisterauskunft erfolgte der Einzug der Antragsteller in die neue Wohnung, für die eine Kaltmiete in Höhe von 550 Euro zu zahlen war, am 1. August 2004.
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Am 21. Oktober 2003 wurde durch das Sozialamt der Stadt A.Stadt ein Hausbesuch in der Wohnung der Antragsteller durchgeführt. Nach dem Vermerk des Mitarbeiters H. befand sich in der Wohnung auch E., der sich jedoch nicht habe zeigen wollen. Auf E. seien ca. 11 Kfz. zugelassen. Auf die Antragstellerin zu 1. sei kein Kfz. zugelassen. Die Wohnung sei normal ausgestattet, keine wertvollen Möbel. Auffällig sei gewesen, dass in jedem Zimmer der 4-Zimmer-Wohnung ein Fernseher vorhanden gewesen sei. Die Antragstellerin zu 1. habe u.a. angegeben, dass E. die meiste Zeit bei ihr in der Wohnung sei und dass sie mit ihm in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebe. Nach dem Bericht des Mitarbeiters N. hatte die Antragstellerin zu 1. zugegeben, dass E. derzeit fest dort mit wohne; er reise öfters mal zu seinen Eltern nach M. Sie habe Angst, sich von ihm abhängig zu machen aufgrund ihrer Erfahrungen in erster Ehe. Sie habe bestätigt, dass E. den Haushalt mitbewirtschafte, so habe er Sachgegenstände wie Fernseher und andere Elektrogeräte besorgt.
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Zuletzt teilte das Sozialamt der Stadt A.Stadt der Klägerin durch Bescheid vom 28. Oktober 2004 mit, dass unter Berücksichtigung ihrer geänderten wirtschaftlichen bzw. persönlichen Verhältnisse die Sozialhilfe für die Antragsteller zu 2. u. 3 neu berechnet worden sei. Nach dieser Berechnung habe die Antragstellerin zu 1. ab Oktober 2004 bis auf Weiteres Anspruch auf Sozialhilfe in Höhe von 754,51 Euro.
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Am 16. November 2004 beantragte die Antragstellerin zu 1. für sich und ihre Kinder Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Dabei gab sie an, mit ihren drei Kindern im gemeinsamen Haushalt zu leben. Die Kinder B. und C. (die Antragsteller zu 2 u. 3) hätten als Einkünfte Kindergeld und Sozialhilfe, ihre Tochter D., die Antragstellerin zu 4., verfügte über Kindergeld und Unterhaltszahlung (150 Euro).
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Durch Bescheid vom 29. Dezember 2004 lehnte die Antragsgegnerin die Zahlungen von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Antragstellerin zu 1. und die mit ihr in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen für die Zeit ab 1. Januar 2005 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die Antragstellerin zu 1. mit E. in eheähnlicher Gemeinschaft lebe. Dieser sei ja immer noch in der A.Straße gemeldet. Die eheähnliche Gemeinschaft sei auch durch den Hausbesuch des Ermittlungsdienstes am 21. Oktober 2003 bestätigt worden. E. gehöre somit nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II zur Bedarfsgemeinschaft. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II sei hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt und den in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht ausreichend aus Einkommen und Vermögen sichern könne. Als Partner habe E. nach § 60 Abs. 4 Nr. 1 SGB II auf Verlangen Auskünfte über sein Einkommen abzugeben. Somit hätten als Einkünfte nicht nur die Mietanteile des E. angegeben werden müssen, er hätte als Lebenspartner mit seinem Einkommen im Antrag auf Arbeitslosengeld angegeben werden müssen. Hiergegen legten die Antragstellerinnen am 26. Januar 2005 Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden ist.
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Mit am 27. Januar 2005 eingegangenem Schriftsatz vom 26. Januar 2005 haben die Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, mit der sie die vorläufige Gewährung von Leistungen nach dem SGB II begehren. Zur Begründung haben sie im Wesentlichen ausgeführt, dass E. die Wohnung in der B.Straße in A.Stadt seit 2003 nicht mehr zu Wohnzwecken regelmäßig genutzt habe. Er sei nur gelegentlich nach Deutschland gekommen, z. B. zu dem Geburtstag seiner Tochter und habe dann ein paar Tage in seinem Zimmer gewohnt. Im Jahre 2004 habe sich E. nur sehr sporadisch dort aufgehalten. Zuerst in der Zeit Anfang März bis Anfang Mai 2004, als er einer Bitte der Antragstellerin zu 1. gefolgt sei, in Deutschland zu verweilen, damit sie ihrer Arbeit nachgehen könne. E. habe praktisch die Osterferien abgedeckt und noch eine Zeit danach. Anfang Mai sei er dann nach M. zurückgekehrt, obwohl die Antragstellerin zu 1. weiter gearbeitet habe. Außerdem sei E. in der Zeit Ende August bis Anfang September 2004 für etwa eine Woche nach Deutschland in Zusammenhang mit dem Geburtstag seiner Tochter gekommen. Dann sei er noch im Oktober für ca. 10 Tage und über die Weihnachtsfeiertage für 5 Tage in Deutschland gewesen. Die Gesamtdauer seines Aufenthaltes in Deutschland im Jahre 2004 habe damit weniger als drei Monate betragen. Seit dem Umzug bewohnten die Antragsteller eine kleinere Wohnung mit 4 Zimmern und einer Fläche von 115 qm. Die beiden Mädchen (die Antragstellerinnen zu 2 u. 4) hätten ein Zimmer, der Antragsteller zu 3. und die Antragstellerin zu 1. hätten jeweils 1 Zimmer. Das vierte Zimmer werde als Wohn- und Esszimmer genutzt; die Küche sei sehr klein. Die Gegenstände, die E. früher in seinem Zimmer gehabt habe, seien im Wesentlichen in dem Keller gelagert worden.
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Die Antragsgegnerin ist diesem Vorbringen entgegengetreten. Das Vorliegen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft bzw. Partnerschaft sei anzunehmen. E. sei fortlaufend in der früheren und jetzigen Wohnung polizeilich gemeldet. Daneben sei er wiederholt bei durchgeführten Hausbesuchen angetroffen worden. Es sei auch von einer Einstehungsgemeinschaft auszugehen. In ihrem Widerspruch gegen den Bescheid vom 6. November 2003 habe die Antragstellerin selbst angegeben, dass sich E. längere Zeit in Deutschland aufhalte und auch Betreuungsleistungen für die Kinder erbringe. Vor allem habe die Antragstellerin zu 1. Zugang zu dem Konto des E. „Unterstellt, dieser habe sich in der Vergangenheit tatsächlich teilweise im Ausland aufgehalten, so sei aufgrund des offensichtlichen Einstehens füreinander und der wirtschaftlichen Verflechtungen weiter vom Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft bzw. Partnerschaft auszugehen. E. habe außerdem zum 1. August 2002 ein Gewerbe angemeldet, das weiterhin bestehe. Offen bleibe, welche Mittel E. besitze und in welchem Umfang diese zur Bedarfsdeckung der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einzusetzen seien. Jedenfalls sei es den Antragstellern über 14 Monate möglich gewesen, den Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel (Sozialhilfe) zu sichern. Bisher sei nicht dargelegt worden, wie dies bewerkstelligt worden und warum dies jetzt nicht mehr möglich sei. Insgesamt sei die wirtschaftliche Lage der Bedarfsgemeinschaft ungeklärt und nicht belegt. Da Leistungen des SGB II, wie ehemals Leistungen nach dem BSHG, nur bedarfsabhängig zu gewähren seien, sei auch im vorliegenden Fall von dem durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) entwickelten Grundsatz auszugehen, dass das Nichtvorhandensein eigener Mittel negatives Tatbestandsmerkmal für den Anspruch auf Sozialhilfe sei. Danach gehe die Nichtaufklärbarkeit eines anspruchsbegründenden Tatbestandes zu Lasten desjenigen, der das Bestehen eines Anspruchs behauptet.
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Nach Trennung der zunächst verbunden gewesenen Verfahren hat das Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) durch Beschluss vom 14. Februar 2002 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die begehrte einstweilige Anordnung sei bereits deshalb abzulehnen, weil nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung eine Erfolgsaussicht im Hauptsacheverfahren nicht gegeben sei. Aufgrund des Akteninhalts und unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragsteller und der Antragsgegnerin lägen nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II nicht vor.
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Gegen diesen ihnen am 16. Februar 2005 zugestellten Beschluss wenden sich die Antragsteller mit ihrer am 24. Februar 2005 eingegangenen Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 28. Februar 2005). Sie wiederholen im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen. Die Antragstellerin zu 1. trägt außerdem vor, seit Januar 2005 Werkverträge über monatlich 300 Euro abgeschlossen zu haben. E. zahle für seine Tochter weiterhin monatlich 150 Euro Unterhalt und als Mietzuschuss bis einschließlich April 2005 weitere 70 Euro.
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Die Antragsgegnerin trägt ergänzend vor, dass die Antragstellerin zu 1. auch aktuell falsche Angaben gemacht habe. So habe sie auf dem „Vermögenszusatzfragebogen" angegeben, dass keine Kraftfahrzeuge vorhanden wären. Dies stehe im Widerspruch zu den Ermittlungen. Danach sei auf die Antragstellerin zu 1. seit dem 30. Juni 1998 ohne Unterbrechung und auch aktuell bis zumindest 7. Februar 2005 ein Kfz. mit dem Kennzeichen X. zugelassen. Nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zum BSHG seien allein durch die Haltung eines Kfz. schon Zweifel an der Hilfebedürftigkeit gerechtfertigt. Die Haltung eines Kfz. aus Mitteln der Sozialhilfe sei nicht leistbar gewesen. Die Antragstellerin zu 1. habe jedoch sogar ein Fahrzeug nach Einstellung der Hilfegewährung nach dem BSHG und angeblicher Mittellosigkeit gehalten. Insofern und insbesondere deshalb seien erhebliche Zweifel an der wirtschaftlichen Situation der Antragstellerin zu 1. begründet.
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Die Antragstellerin zu 1. hat daraufhin unter dem 8. April 2005 eine eidesstattliche Erklärung abgegeben, der zufolge sie das Kfz. mit dem Kennzeichen X. im Jahre 1999 verkauft habe und seitdem nicht mehr im Besitz des Fahrzeugs sei. Zugleich hat sie eine Kopie des Kaufvertrages vom 29. Juli 1999 über den Verkauf des genannten Fahrzeugs vorgelegt. Des Weiteren hat sie eidesstattlich versichert, dass sich E. jetzt eine Wohnung gesucht habe, weil sie weder wisse wie es weitergehen solle noch was aus ihr und ihren Kindern werde. Gegenüber dem Berichterstatter des vorliegenden Beschwerdeverfahrens, den die Antragstellerin zu 1. am 20. Juni 2005 unaufgefordert aufgesucht hat (vgl. dazu den Vermerk vom 20. Juni 2005), hat die Antragstellerin zu 1. versichert, dass sie mit E. nicht in eheähnlicher Gemeinschaft lebe, dieser inzwischen auch nicht mehr in der A.Straße wohne und dort seit dem 1. Mai 2005 auch nicht mehr gemeldet sei.
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Nach Verbindung der Verfahren der Antragsteller zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung (Beschluss des Senats vom 2. Mai 2005) beantragen die Antragsteller
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unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. Februar 2005 die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen vorläufig bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens ab 1. Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu bewilligen, und zwar
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an die Antragstellerin zu 1. in Höhe von 620,26 Euro,
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an die Antragsteller zu 2. und 3 in Höhe von jeweils 273,06 Euro,
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und an die Antragstellerin zu 4. in Höhe von 113,06 Euro,
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hilfsweise, ihnen vorläufig bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens ab 1. Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlichem Umfang zu gewähren
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sowie den Antragstellern für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. zu bewilligen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen. Besonders weist sie auf eine offensichtliche Nutzung von Internet, Telefon und Handy seitens der Antragstellerin zu 1. und darauf hin, dass E. für das gemeinsame Kind Betreuungsleistungen übernommen habe.
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Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der Akte der Antragsgegnerin, der Sozialhilfeakten sowie der Gerichtsakten, die dem Senat vorgelegen haben, Bezug genommen. | I. Die Antragsgegnerin wird unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. Februar 2005 verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit ab 27. Januar 2005 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen des A. E. in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
II. Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten der Verfahren zu erstatten.
III. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt B., B-Stadt, beigeordnet. | 0 |
VG Koblenz 3. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 14.12.2020 | 0 | Randnummer
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Der Kläger begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Beantwortung seiner schriftlichen Anfrage über die Vergütung der Geschäftsführer von vier kommunalen Unternehmen.
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Der Kläger gehört dem Bündnis B... (B...) e.V. an und ist Mitglied des Stadtrates der Stadt A.... Die Stadt A... ist mit 84,16 % unmittelbar und mit 7,81 % mittelbar an der Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft mbH A..., zu 100 % unmittelbar an der Gesellschaft für Beteiligungen und Parken A... mbH sowie an der Stadtwerke GmbH A... mit 0,48 % unmittelbar und mit 50,48 % mittelbar über die Gesellschaft für Beteiligungen und Parken A... mbH beteiligt. Die Stadtwerke GmbH A... halten wiederum 100 % der Anteile an der Betriebsgesellschaft für Schwimmbäder und Nebenbetriebe mbH A....
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Mit Schreiben vom 19. Mai 2020 bat der Kläger die Beklagte um schriftliche Auskunft über die Frage, welche Vergütungen die Mitglieder der Geschäftsführung der Gesellschaften
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- Gesundheit und Tourismus für A... GmbH
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- Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft mbH A...
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- Gesellschaft für Beteiligungen und Parken A... mbH
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- Betriebsgesellschaft für Schwimmbäder und Nebenbetriebe mbH A...
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- Stadtwerke GmbH A...
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pro Jahr erhalten, aufgeteilt nach Fixum, erfolgsbezogenen Komponenten, Sachleistungen und gegebenenfalls erteilten Pensionszusagen oder anderweitigen Zusatzleistungen. Seine Anfrage begründete er damit, dass diese unmittelbar oder mittelbar mehrheitlich von der Stadt A... kontrollierten Unternehmen Aufgaben der Daseinsvorsorge wahrnähmen und ein wichtiger Bestandteil der Organisation und Haushaltsführung in der Stadt A... seien. Da die Geschäftsführer dieser Gesellschaften eine hohe Verantwortung hätten, sei deren Vergütung für den Stadtrat und seiner Mitglieder sehr bedeutsam.
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Unter dem 12. Juni 2020 forderte der Kläger die Beklagte unter Hinweis auf
§ 33 Abs. 4 Gemeindeordnung
(GemO) erneut zur Beantwortung seiner Anfrage auf. Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 2. Juli 2020 mit, seine Anfrage an den zuständigen Dezernatsleiter, Bürgermeister C..., weitergeleitet und darauf bislang keine Antwort erhalten zu haben. Sie verwies den Kläger daher an Herrn C....
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Nachdem sich der Kläger unter dem 20. Juli 2020 nochmals an die Beklagte gewandt hatte, wies diese mit Schreiben vom 12. August 2020 darauf hin, die Anfrage sei an die Geschäftsführer der vom Kläger benannten Unternehmen weitergeleitet und diese seien um Beantwortung der Anfrage gebeten worden. Allerdings seien die Geschäftsführer der Unternehmen Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft mbH A..., Gesellschaft für Beteiligungen und Parken A... mbH, Betriebsgesellschaft für Schwimmbäder und Nebenbetriebe mbH A... sowie Stadtwerke GmbH A... zu dieser Auskunft nicht bereit. In dem Schreiben war die Auskunft des Geschäftsführers der Gesundheit und Tourismus für A... GmbH über dessen Vergütung abgedruckt.
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Am 31. August 2020 hat der Kläger Klage erhoben, mit welcher er sein Begehren bezüglich der Unternehmen Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft mbH A..., Gesellschaft für Beteiligungen und Parken A... mbH, Betriebsgesellschaft für Schwimmbäder und Nebenbetriebe mbH A... sowie Stadtwerke GmbH A... weiterverfolgt. Zur Begründung trägt er vor, er habe einen Anspruch auf Beantwortung seiner Anfrage nach
§ 33 Abs. 4 GemO
. Er benötige die angefragten Informationen, da die Stadt A... ihrer Verpflichtung zur Angabe der Gesamtbezüge der Geschäftsführer von kommunalen Unternehmen in den dem Stadtrat zur Verfügung zu stellenden Beteiligungsberichten nach
§ 90 Abs. 2 GemO
nicht nachgekommen sei. In dem letzten Beteiligungsbericht aus dem Jahr 2015 sei rechtswidrig auf die Angabe der Gesamtbezüge der Gesellschafter verzichtet worden. Seinem Anspruch stünden überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter, insbesondere deren Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht entgegen. Die Aufgabenwahrnehmung der öffentlichen Hand durch privatrechtlich organisierte Unternehmen könne nicht dazu führen, dass ansonsten bestehende Auskunftsrechte kommunaler Organe nicht wahrgenommen werden könnten. Den schutzwürdigen Interessen Dritter könne hinreichend dadurch Rechnung getragen werden, dass die Daten nicht an Personen außerhalb des Gemeinderats weitergegeben würden.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
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die Beklagte zu verurteilen, seine schriftliche Anfrage vom 19. Mai 2020 schriftlich zu beantworten, soweit diese nicht das Unternehmen Gesundheit und Tourismus für A... GmbH betrifft.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung hebt sie hervor, es sei bereits zweifelhaft, ob die Vergütung der Geschäftsführer städtischer Beteiligungsgesellschaften auch der kommunalrechtlichen Befassungskompetenz des Gemeinderats unterliege. Es könne sich dabei um eine ausschließliche Angelegenheit der Gesellschaften handeln. Jedenfalls aber sei nicht ersichtlich, dass die Anfrage des Klägers eine einzelne Angelegenheit betreffe, welche sich auf einen konkreten, nach Ort und Zeit bestimmbaren Lebenssachverhalt beziehe. Denn er habe nicht dargetan, was er mit seiner Anfrage bezwecke. Zudem stehe der Beantwortung seiner Anfrage der berechtigte Schutz der betroffenen Geschäftsführer nach
§ 33 Abs. 5 GemO
entgegen. Angesichts von Ereignissen aus der Vergangenheit bestehe auch die Gefahr einer gesellschaftsfremden und gesellschaftsschädigenden Verwendung der Informationen durch den Kläger. Dieser habe bereits im Jahr 2014 seine Verschwiegenheitspflicht verletzt, wobei es dadurch zu beträchtlichen Rufschädigungen bei der Stadtwerke GmbH A..., der Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft mbH A... sowie der Beklagten gekommen sei. Darüber hinaus habe der B... e.V. Auszüge aus einem Prüfbericht zu einer überörtlichen Prüfung der Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft mbH A... durch den Landesrechnungshof veröffentlicht. Auf die Angabe der Gesamtbezüge der Geschäftsführer der vier vom Kläger benannten Unternehmen sei in den Beteiligungsberichten deshalb verzichtet worden, weil dieser grundsätzlichen Mitteilungspflicht § 286 Abs. 4 Handelsgesetzbuch (HGB) entgegenstehe. Nach dieser Vorschrift könne die Mitteilung der Gesamtbezüge unterbleiben, wenn sich anhand dieser Angaben die Bezüge eines Mitgliedes der Organe der Gesellschaft feststellen ließen. Dies sei bei den vom Kläger benannten Unternehmen der Fall gewesen.
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Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 19. und 20. November 2020 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
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Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätzen der Beteiligten sowie den vorgelegten Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind. | Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger seine schriftliche Anfrage vom 19. Mai 2020 schriftlich zu beantworten, soweit diese die gewährten Gesamtbezüge der Mitglieder der Geschäftsführung der Unternehmen Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft mbH A..., Gesellschaft für Beteiligungen und Parken A... mbH, Betriebsgesellschaft für Schwimmbäder und Nebenbetriebe mbH A... sowie Stadtwerke GmbH A... betrifft. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens haben der Kläger zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3 zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch den Kläger mit einer Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls der Kläger nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen. | 1 |
Hessisches Landessozialgericht 6. Senat | Hessen | 0 | 1 | 18.03.1998 | 0 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Außenprüfung nach § 150 a AFG.
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Die Klägerin betreibt ein Auslieferungs-/Verteiler-Gewerbe mit Hauptsitz in K. und einer Außenstelle in L.. Am 13. September 1995 sowie am 8. November 1995 erhielt die Klägerin eine Prüfungsverfügung der Beklagten, die auf eine Außendienstprüfung vom 24. August 1995 zurückgeht. In diesem Zusammenhang war dem Außendienstmitarbeiter zugesagt worden, die Klägerin werde „eine Liste der bei ihr beschäftigten Personen dem Arbeitsamt zur Verfügung stellen” (vgl. Bl. 4 der VA). Diese Liste legte die Klägerin auch in der Folgezeit nicht vor. In der Prüfungsverfügung wurde angeordnet, daß die Überprüfung in der Außenstelle der Klägerin in Lübeck durchzuführen sei. Der Prüfungsverfügung ist eine Erläuterung zur Verfahrensweise unter Hinweis auf § 150 a AFG, § 107 SGB IV, § 383 ZPO bezüglich des Zeugnis-Verweigerungsrechts aus persönlichen Gründen, zu § 230 AFG und § 111 SGB IV beigefügt.
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Gegen die Prüfungsverfügung legte die Klägerin Widerspruch ein, mit dem sie im wesentlichen geltend gemacht hatte, daß als Verteiler selbständige Kleinspediteure tätig würden. Diesen gegenüber habe die Klägerin keine Arbeitgeberfunktionen, weshalb auch die Meldepflichten entfielen. Die Verteiler seien nicht abhängig beschäftigt und nicht verpflichtet, einen Sozialversicherungsausweis mitzuführen, § 99 SGB IV. Die Betriebsprüfung könne deshalb diese Personen nicht erfassen.
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Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 1995 zurück. Zur Begründung führte sie an, die Prüfung nach § 150 a AFG erfasse u.a. auch den Tatbestand, ob Leistungen nach dem AFG zu Unrecht bezogen würden oder worden seien. Zu diesem Zweck sei die Beklagte berechtigt, Grundstücke und Geschäftsräume des Arbeitgebers während der Geschäftszeit zu betreten und dort Einsicht in Lohn-, Melde- oder vergleichbare Unterlagen des Arbeitgebers zu nehmen. Im Rahmen der Außenprüfung sollten Lohn- und Meldeunterlagen sowie Personallisten sämtlicher Mitarbeiter geprüft werden, um letztlich auch illegale Beschäftigung und ungerechtfertigten Leistungsbezug feststellen zu können. Die Klägerin beschäftige Verteilerkräfte, die als selbständige Kleinspediteure tätig würden bzw. tätig geworden seien. Sinn und Zweck der Regelung schließe es ein, daß ein Arbeitgeber verpflichtet sei, Auskünfte über Tatsachen zu erteilen, die darüber Aufschluß geben könnten, ob Leistungen nach dem AFG zu Unrecht bezogen würden. Diese Auskunftsverpflichtung bestehe auch bezüglich der Selbständigen, die für den Arbeitgeber tätig würden. Es müßten auch entsprechende Unterlagen vorgelegt werden, die Angabe über die behauptete Selbständigkeit enthielten. Der Widerspruchsbescheid wurde am 11. Dezember 1995 zugestellt.
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Die Klägerin hat beim Sozialgericht Kassel am 10. Januar 1996 Klage erhoben und geltend gemacht, die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtswidrig und nicht durch § 150 a AFG sowie § 107 SGB IV gerechtfertigt. Die Beklagte habe keinen Anspruch, Informationen über die selbständigen Kleinspediteure, die für die Klägerin tätig würden, zu erhalten. Diesen gegenüber sei die Klägerin keine Arbeitgeberin. Es entfielen alle Meldepflichten und damit auch die Prüfungsberechtigung der Beklagten bezüglich dieses Personenkreises.
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Das Sozialgericht Kassel hat die Prüfverfügung der Beklagten vom 13. September 1995 sowie den Widerspruchsbescheid aufgehoben. Zur Begründung hat es angeführt, die von der Beklagten beabsichtigte Betriebsprüfung sei unzulässig, wenn diese sich auf die für die Klägerin tätigen Verteiler erstrecke. Diese seien keine Arbeitnehmer, sondern Selbständige. Die Klägerin sei folglich nicht deren Arbeitgeber. Sowohl § 150 a AFG als auch § 107 SGB IV erlaubten nur die Prüfung der Unterlagen von Arbeitgebern. Diese Auslegung finde ihre Rechtfertigung auch in einem Abgleich der Fassung des § 132 a AFG mit der Nachfolgevorschrift des § 150 a AFG, worin Selbständige nicht mehr erwähnt seien. Dies spreche dafür, daß nach dem Willen des Gesetzgebers die Unterlagen von Selbständigen, die für einen Betrieb tätig seien, nicht mehr geprüft werden dürften.
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Gegen dieses der Beklagten am 13. Juni 1996 zugestellt Urteil richtet sich die am 11. Juli 1996 eingelegte Berufung. Mit dieser wird geltend gemacht, die Beklagte sei nach § 150 a AFG auch berechtigt, die Prüfung auf Selbständige auszudehnen, die für einen Betrieb tätig seien und die dort in einer Funktion mit Bezug auf die Geschäftstätigkeit angetroffen würden. Sobald in einem Betrieb auch nur ein Arbeitnehmer beschäftigt würde, sei dieser Betrieb bzw. die Person als Arbeitgeber anzusehen und müsse, um gerade auch Grenzfälle und Fälle des Leistungsmißbrauchs erfassen zu können, die Prüfung hinnehmen. Dies gelte insbesondere für die Feststellung von Fällen mißbräuchlichen Leistungsbezuges. Die Beklagte sei nach § 150 a Abs. 1 Satz 2 AFG ermächtigt, Einsicht in die Lohn-, Melde- oder vergleichbaren Unterlagen des Arbeitgebers zu nehmen. Mit vergleichbaren Unterlagen seien in Bezug auf Selbständige solche Unterlagen gemeint, die Aufschluß darüber gäben, welche Selbständigen für den Arbeitgeber tätig seien, welche Dauer ihre Tätigkeit umfasse und welches Entgelt für die Tätigkeit gezahlt worden sei. Die Außenprüfung der Beklagten im Zeitraum vom 13. Februar bis zum 27. März 1996 habe zu dem Ergebnis geführt, daß 17 Verteiler der Klägerin in Verdacht gestanden hätten, parallel zu ihrer selbständigen Tätigkeit Leistungen der Beklagten zu Unrecht bezogen zu haben; die entsprechenden Ermittlungen liefen noch. Im übrigen werde ihre Rechtsauffassung durch die Rechtsprechung der Landessozialgerichte bestätigt, hier das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 18.7.1996 – L 6/Ar-269/95.
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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 30. Mai 1996 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Die Klägerin bezieht sich inhaltlich auf das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main.
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Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Außenprüfungsakte sowie den weiteren Akteninhalt Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist. | I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 30. Mai 1996 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 1 | 1
Der Kläger wendet sich gegen die Inanspruchnahme aus einer aufenthaltsrechtlichen Verpflichtungserklärung.
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Der Kläger, deutscher Staatsangehöriger, verpflichtete sich am 13.01.2017 schriftlich gegenüber dem Landkreis Darmstadt-Dieburg nach § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG u.a. die Kosten für den Lebensunterhalt für den türkischen Staatsangehörigen XXX, dessen Ehefrau XXX und die beiden Kinder XXX und XXX vom Beginn der voraussichtlichen Einreise am 15.01.2017
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„bis zur Beendigung des Aufenthalts […] oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck“
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zu tragen. Daraufhin erhielten diese Personen ein vom 23.02.2017 bis zum 22.03.2017 gültiges Besuchervisum und reisten damit kurz danach in das Bundesgebiet ein. Den Angaben des Herrn XXX im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 22.05.2018 zufolge sei er mit seiner Frau und den Kindern am 15.03.2017 zu seiner Schwester nach Belgien gereist. Nachweislich eines EURODAC-Ergebnisses stellte die Familie am 29.03.2017 einen Asylantrag in Brüssel, Belgien. Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Übernahmeersuchen Belgiens vom 15.05.2017 am 27.06.2017 zugestimmt (s. Vermerk des Bundesamtes vom 17.04.2018 [Az. XXX, AS 81]). Ausweislich der Angaben des Herrn XXX im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt vom 22.05.2018 habe Belgien ihn und seine Familie am 23.01.2018 zurück nach Deutschland geschickt.
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Das vom Kläger unterzeichnete Formular (Bundesdruckerei 2011, Artikel-Nr. 10150) enthält die folgenden Hinweise und Erklärungen:
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„Die Verpflichtung umfasst die Erstattung sämtlicher öffentlicher Mittel, die für den Lebensunterhalt einschließlich der Versorgung mit Wohnraum und der Versorgung im Krankheitsfall und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden (z.B. Arztbesuch, Medikamente, Krankenhausaufenthalt). Dies gilt auch, soweit die Aufwendungen auf einem gesetzlichen Anspruch beruhen (z.B. Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch oder dem Asylbewerberleistungsgesetz) im Gegensatz zu Aufwendungen, die auf einer Beitragsleistung beruhen.
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[…]
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Der Erstattungsanspruch gegenüber dem Verpflichtenden steht der Behörde zu, die entsprechende öffentliche Mittel für o.g. Ausländer/in aufgewendet hat (§ 68 Abs. 2 S. 3 des Aufenthaltsgesetzes).
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Ich wurde von der Ausländerbehörde/Auslandsvertretung hingewiesen auf
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- den Umfang und die Dauer der Haftung und über die Bindungswirkung dieser Verpflichtung
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- die Notwendigkeit von Versicherungsschutz,
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- die zwangsweise Beitreibung der aufgewendeten Kosten im Wege der Vollstreckung, soweit ich meiner Verpflichtung nicht nachkomme,
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- die Strafbarkeit z. B. bei vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben (§ 95 des Aufenthaltsgesetzes – Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe), sowie
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- die Speicherung meiner Daten gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 2h der Aufenthaltsverordnung.
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Ich bestätige, zu der Verpflichtung aufgrund meiner wirtschaftlichen Verhältnisse in der Lage zu sein.“
16
Am 24.01.2018 stellten Herr XXX und Frau XXX jeweils für sich einen Asylantrag. Seit dem 07.02.2018 sind Frau XXX und ihre beiden Kinder nach einer entsprechenden Zuweisungsentscheidung durch das Regierungspräsidium Karlsruhe in der Gemeinschaftsunterkunft dieses Landkreises in der XXX untergebracht. Herr XXX ist unter einer anderen Anschrift wohnhaft. Ab diesem Zeitpunkt erhielten Frau XXX und ihre beiden Kinder die streitgegenständlichen Leistungen des Landratsamtes nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Mit Bescheid vom 08.03.2019 wurde Herrn XXX und seiner Ehefrau XXX mit Bescheid vom 11.03.2019 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.
17
Mit Bescheid vom 19.03.2018 setzte der Beklagte für den Zeitraum vom 07.02.2018 bis 28.02.2018 für die Unterbringung von Frau XXX und ihren beiden Kindern in der Gemeinschaftsunterkunft eine Gebühr in Höhe von 240 EUR, ab dem 01.03.2018 eine Gebühr von monatlich 300 EUR fest und forderte den Kläger zur Zahlung auf. Zur Begründung führte er aus, dass diese drei begünstigten Personen seit dem 07.02.2018 in der Gemeinschaftsunterkunft wohne und der Kläger als Verpflichtungsgeber die Kosten hierfür zu erstatten habe.
18
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 17.04.2018 Widerspruch ein und machte im Wesentlichen geltend, dass die Verpflichtungserklärung lediglich für den Aufenthalt zu Besuchszwecken abgegeben worden sei. Diese Verpflichtungserklärung sei mit Ausreise der begünstigten Personen nach Belgien erloschen. Die Wiedereinreise sei ohne sein Wissen und Wollen erfolgt.
19
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.10.2018, zugestellt am 15.10.2018, wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, dass die Verpflichtungserklärung nicht dadurch erloschen sei, dass sich die begünstigten Personen nach der Besuchsreise und vor ihrer Antragstellung zwischenzeitlich in Belgien aufgehalten hätten. Ihr Aufenthalt in der Bundesrepublik stelle sich insgesamt als Folge des aufgrund der Verpflichtungserklärung erteilten Visums dar. In dem zwischenzeitlichen Aufenthalt in einem anderen Staat des Schengen-Raumes liege keine „Beendigung des Aufenthalts“ im Sinne des in der Verpflichtungserklärung genannten Erlöschensgrundes der Haftung des Klägers. Auch der jetzige Aufenthalt der Familie in Deutschland sei immer noch auf die durch das Visum erreichte Einreisemöglichkeit zurückzuführen.
20
Mit Schriftsatz vom 12.11.2018 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung verweist er auf seinen bisherigen Vortrag und führt ergänzend aus, die drei begünstigten Personen seien nach ihrem dreiwöchigen Besuch nach Belgien gezogen. Dort hätten sie einen Asylantrag gestellt und seien nach zwölf Monaten, nachdem das dortige Verfahren beendet gewesen sei, nach Deutschland zurückgekehrt. Damit sei die Verpflichtungserklärung erloschen. Es sei auch von einem Ausnahmefall im Sinne des § 68 AufenthG auszugehen, da die Behörde es unterlassen habe, eine eingehende und sorgfältige Bonitätsprüfung des Klägers vorzunehmen. Dies habe sie auch nicht gewollt, da es sich nur um einen Kurzaufenthalt zu Besuchszwecken gehandelt habe, der durch die Weiterreise nach Belgien beendet worden sei. Auch habe die Behörde nicht auf das Kostenrisiko hingewiesen.
21
Der Kläger beantragt,
22
den Bescheid des beklagten Landes vom 19.03.2018 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 09.10.2018 aufzuheben.
23
Der Beklagte beantragt,
24
die Klage abzuweisen.
25
Zur Begründung verweist er auf seine bisherigen Ausführungen sowie auf die anlässlich der Verpflichtungserklärung des Klägers vom 09.02.2016 unterzeichneten Angaben zur Bonitätsprüfung vom 15.01.2016 sowie auf die ebenfalls am 15.01.2016 unterzeichnete Erklärung zu Umfang und Dauer der Verpflichtungserklärung.
26
Die Akten des Beklagten (2 Hefte), des Regierungspräsidiums Karlsruhe sowie die Herrn XXX (Az. XXX) und Frau XXX (Az. XXX) betreffenden Akten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge liegen dem Gericht vor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird hierauf sowie auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze verwiesen. | Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. | 0 |
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Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt 3. Senat | Sachsen-Anhalt | 0 | 0 | 13.05.2015 | 1 | Randnummer
1
I. Die X GmbH, die im Streitjahr noch als Y GmbH firmierte, ist … auf die Antragstellerin, die Z GmbH & Co. KG, verschmolzen worden, was … bei letzterer in das Handelsregister eingetragen worden ist.
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2
Mit Bescheiden vom …Mai 2012 setzte der Antragsgegner die Körperschaftsteuer für 2007 auf 9.025,- € und den Gewerbesteuermessbetrag für 2007 auf 2.045,- € fest.
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3
Die gegen die Bescheide … gerichteten Einsprüche gingen beim Antragsgegner am … Juni 2012 ein. Der Antragsgegner hat über sie bislang nicht entschieden.
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4
Mit Bescheiden vom … Juli 2012 setzte der Antragsgegner die Körperschaftsteuer für 2007 auf 24.724,- € und den Gewerbesteuermessbetrag für 2007 auf 5.185,- € fest. Die gegen die Bescheide vom … Juli 2012 gerichteten Einsprüche gingen beim Antragsgegner am ... August 2012 ein.
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5
Am ... August 2012 setzte der Antragsgegner die Vollziehung des Körperschaftsteuerbescheids für 2007 vom … Juli 2012 i.H.v. 9.108,- € und diejenige des Gewerbesteuermessbescheids selben Datums i.H.v. 575,- €, wobei er bestimmte, über eine Sicherheitsleistung sei bei der Aussetzung der Vollziehung des Folgebescheids zu entscheiden, jeweils unter dem Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs aus und lehnte eine weitere Aussetzung der Vollziehung ab.
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Der Antrag auf gerichtliche Aussetzung der Vollziehung ist beim Finanzgericht am … November 2012 eingegangen.
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Die Einsprüche gegen die Bescheide vom ... Juli 2012 hat der Antragsgegner am ... Februar 2013 als unzulässig verworfen.
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Die Antragstellerin hat, bevor sie den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt hat, ausgeführt, ein Hauptsacheverfahren sei seit dem ... August 2012 im Rahmen des anhängigen Einspruchsverfahrens beim Antragsgegner anhängig, ohne das früher angestrengte Einspruchsverfahren zu erwähnen, und beantragt, wie folgt zu entscheiden: Die Aussetzung der Vollziehung des streitbefangenen Bescheids über Körperschaftsteuer für 2007 vom ... Juli 2012 wird in Höhe der vom Antragsgegner nicht ausgesetzten Körperschaftsteuer gewährt, bis über das anhängige Einspruchsverfahren und das sich ggf. anschließende Klageverfahren in der Hauptsache rechtskräftig entschieden ist. Die Aussetzung der Vollziehung des streitbefangenen Bescheids über Gewerbesteuermessbetrag für 2007 vom ... Juli 2012 wird in Höhe des vom Antragsgegner nicht ausgesetzten Gewerbesteuermessbetrags gewährt, bis über das anhängige Einspruchsverfahren und das sich ggf. anschließende Klageverfahren in der Hauptsache rechtskräftig entschieden ist.
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9
Der Antragsgegner hat vorgetragen, die Antragstellerin habe die Bescheide über Körperschaftsteuer und Gewerbesteuermessbetrag für 2007 nicht nur mit Einsprüchen vom ... August 2012, sondern auch bereits mit Einsprüchen vom ... Juni 2012 angefochten. Die späteren Einsprüche dürften in Ermangelung eines Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig sein. Der Aussetzungsantrag könne sich lediglich auf die älteren Einsprüche stützen.
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Nunmehr hat auch der Antragsgegner den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und trägt vor, die Antragstellerin habe den gerichtlichen Vollziehungsantrag im Rahmen eines unzulässigen Einspruchsverfahrens gestellt. Die streitbefangenen Bescheide vom ... Juli 2012 seien nicht erst am ... Februar 2013, als der Antragsgegner die gegen jene Bescheide gerichteten Einsprüche vom ... August 2012 als unzulässig verworfen habe, zum Gegenstand der noch anhängigen Einspruchsverfahren geworden, sondern bereits mit Bekanntgabe der Änderungsbescheide. | Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen. | 0 |
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern 3. Kammer | Mecklenburg-Vorpommern | 1 | 1 | 20.03.2019 | 0 | Randnummer
1
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch um Zahlungsansprüche aus der Widerklage des Beklagten wegen überhöhter Vergütungszahlungen sowie um Vergütungsansprüche des Klägers gegen den Beklagten für die Zeit vom 01.10.2016 bis zum 15.11.2016 und um Vergütungsansprüche des Klägers gegen den Beklagten für weitere geleistete 35,5 Arbeitsstunden. Der von dem Kläger mit der Klage geltend gemachte weitergehende Zahlungsanspruch wegen geleisteter Überstunden bzw. auf der Grundlage von behaupteten Verzugslohnansprüchen ist nicht mehr Gegenstand des Berufungsverfahrens, da der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 20.03.2019 die zunächst erhobene Anschlussberufung zurückgenommen hat.
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Der Beklagte betreibt einen landwirtschaftlichen Betrieb. Der Kläger, der nicht über eine in der Landwirtschaft förderliche Berufsausbildung verfügt, war in der Zeit vom 01.03.2015 bis zum 15.11.2016 sowie anschließend an weiteren drei Arbeitstagen in der zweiten Hälfte des November 2016 (am 17. oder 18.11.2016 sowie am 23. und 24.11.2016) mit jeweils neun Stunden Arbeitszeit bei dem Beklagten beschäftigt.
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Der Kläger war in der Saison einer Kolonne zugeordnet, die aus einem Vorarbeiter, dem Kläger und einem weiteren gewerblichen Arbeitnehmer neben dem Kläger bestand. Die Kolonne wurde auf den Feldern eingesetzt und ihre Aufgabe bestand darin, unter Maschineneinsatz die typischen saisonal anfallenden Arbeiten zu erledigen (sähen, düngen, spritzen, ernten usw.). Im Winter war der Kläger auf dem Hof mit Arbeiten im Rahmen der Pflege des Maschinenparks beschäftigt.
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Der Schriftliche Arbeitsvertrag (Bl. 6 ff d.A.) beinhaltet ein monatliches Fixgehalt in Höhe von 2.070,00 € brutto. Eine wöchentliche, monatliche oder jährliche Arbeitszeit ist in dem Arbeitsvertrag nicht geregelt. Vielmehr heißt es dort in § 4 wie folgt:
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5
„Die Arbeitszeit richtet sich nach den saisonbedingten Gegebenheiten“.
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Seit Juli 2015 hat der Kläger ein monatliches Festgehalt in Höhe von 2.250,00 € brutto erhalten. Dieser Umstand geht auf ein Vertragsgespräch zwischen den Parteien zurück, über dessen Inhalt die Parteien streiten. Der Beklagte meint, dass erhöhte Entgelt sei dem Kläger zugesagt worden, weil er bereit gewesen sei, mehr Stunden für den Beklagten zu Arbeiten. Der Kläger meint, in der Veränderung des Entgelts drücke sich eine normale Verbesserung der Entgeltabrede ohne zusätzliche Arbeitsverpflichtungen aus.
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7
Aus der von dem Beklagten selbst erstellten Stundenaufstellung ergibt sich für die Zeit vom 01.01.2016 bis zum 15.11.2016 eine erbrachte Arbeitsleistung des Klägers von 1.828,5 Stunden.
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Mit der am 11.04.2018 verkündeten Entscheidung hat das Arbeitsgericht den Beklagten verurteilt, an den Kläger für den Monat Oktober 2016 2.250,00 € brutto abzüglich geleisteter 1.000,00 € netto nebst 5% Zinsen über den Basiszinssatz seit dem 01.11.2016 und für den Monat November 2016 1.125,00 € brutto nebst 5% Zinsen über den Basiszinssatz seit dem 01.12.2016 sowie für weitere 35,5 geleistete Arbeitsstunden ein Bruttobetrag in Höhe von 460,79 € nebst 5% Zinsen über den Basiszinssatz seit dem 01.11.2016 zu zahlen. Die Widerklage des Beklagten hat das Arbeitsgericht abgewiesen. Zur Begründung wird ausgeführt, es sei die Zahlung eines konstanten Monatsentgelts vereinbart worden, so dass der Beklagte verpflichtet sei, die austenorierten Beträge für Oktober und November 2016 an den Kläger zu zahlen. Für die Behauptung der Vereinbarung eines geringeren Auszahlungsbetrages sei der Beklagte beweisfällig geblieben. Auch sei der Beklagte verpflichtet, an den Kläger für weitere 35, 5 Arbeitsstunden einen Bruttobetrag in Höhe von 460,79 € zu zahlen. Die streitige Behauptung des Beklagten es, sei auf der Grundlage des Festgehaltes von 2.070,00 € bzw. seit Juli 2015 auf der Grundlage von 2.250,00 € bei einem mündlich vereinbarten Stundenlohn von 9,00 € eine Arbeitsverpflichtung des Klägers von 230 Arbeitsstunden mtl. bzw. ab Juli 2015 von 250 Arbeitsstunden vereinbart gewesen, stehe dem nicht entgegen. Selbst wenn man diese Behauptung des Beklagten als richtig unterstelle, so wäre eine solche Vereinbarung wegen Verstoßes gegen die gesetzlich zulässigen Höchstarbeitszeiten nach dem ArbZG rechtsunwirksam. Es müsse deshalb – wie im Gerichtsbezirk üblich – von einer fünf Tage Arbeitswoche mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 h ausgegangen werden. Daraus resultiere eine Arbeitsverpflichtung des Klägers für die Zeit vom 01.01.2016 bis zum 15.11.2016 von 1.820 Arbeitsstunden. Da der Beklagte selbst nach seinen Aufzeichnungen von einer erbrachten Arbeitsleistung des Klägers für den vorgenannten Zeitraum von 1.828,5 h ausgehe, resultiere daraus ein Zahlungsanspruch des Klägers von 8,5 h. Unter Berücksichtigung des vereinbarten Festgehalts von 2.250,00 € brutto mtl. und einer Arbeitsverpflichtung des Klägers von 173,33 h mtl. resultiere ein Stundenlohn in Höhe von 12,89 € brutto und mithin ein Betrag in Höhe von 110,33 € brutto. Für die geleisteten 27 Arbeitsstunden in der zweiten Hälfte November 2016 belaufe sich der Betrag auf 350,46 €. Auch diesbezüglich könne der von dem Beklagten behauptete Stundenlohn von 9,00 € nicht zu Grunde gelegt werden. Vertragliche Vereinbarungen im Hinblick auf dieses neue Arbeitsverhältnis seien von den Parteien nicht vorgetragen worden, so dass auf die Vereinbarungen des alten Arbeitsvertrages im gesetzlich zulässigen Umfang zurückzugreifen sei. Die Widerklage sei bereits deshalb unbegründet, weil der Beklagte den geltend gemachten Anspruch auf eine behauptete Vertragsabrede stütze, die wegen Verstoßes gegen das ArbZG rechtsunwirksam sei.
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9
Gegen diese am 03.08.2018 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 03.09.2018 bei dem Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern eingegangene Berufung des Beklagten nebst der am 01.10.2018 eingegangenen Berufungsbegründung.
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Nach Auffassung des Beklagten ist das erstinstanzliche Urteil bereits deshalb rechtsfehlerhaft ergangen, weil die behauptete Stundenlohnvereinbarung von 9,00 € durch das erstinstanzliche Gericht nicht hinreichend gewürdigt worden sei und diesbezüglich kein Beweis erhoben worden sei. Es fehle an einer nachvollziehbaren Begründung des Klägers dafür, dass eine weit über den üblichen Vergütungen für Facharbeiter liegende Entlohnung des Klägers vereinbart worden sein solle. Selbst wenn man mit der erstinstanzlichen Entscheidung von einem Verstoß gegen gesetzliche Höchstarbeitszeiten ausgehen wolle, so habe dies keine Auswirkungen auf den mündlich vereinbarten Stundenlohn von 9,00 €. Ausgehend von dem vereinbarten Festgehalt von 2.070,00 € brutto bzw. 2.250,00 € brutto ab Juli 2015 sei der Kläger verpflichtet gewesen, im Jahr 2015 2.420 Arbeitsstunden und im Jahr 2016 (bis zum 15.11.2016) 2.625 Arbeitsstunden zu erbringen. Da er im Jahr 2015 nur 2.026 h und im Jahr 2016 nur 1.829 h gearbeitet habe ergebe sich bei einem Stundenlohn von 9,00 € brutto eine Überzahlung von 10.714,50 €. Es sei zwischen den Parteien ein Jahresarbeitszeitkonto vereinbarten worden. Dem Kläger sei es für den gesamten Zeitraum des laufenden Arbeitsverhältnisses nicht gelungen, die vereinbarten Arbeitsleistungen von 230 Monatsstunden bzw. 250 h mtl. ab Juli 2015 tatsächlich zu erbringen. Im Hinblick auf die weitergehend zu Gunsten des Klägers austenorierten Zahlungsansprüche führt der Beklagte ausschließlich unter Bezugnahme auf seine erstinstanzlich abgereichten Schriftsätze aus, auch diesbezüglich habe das erstinstanzliche Gericht den unter Beweis gestellten Tatsachenvortrag des Beklagten nicht hinreichend berücksichtigt. Erstinstanzlich hat der Beklagte insoweit vorgetragen, nach Auswertung der vom Kläger tatsächlich geleisteten Stunden hätten die Parteien festgestellt, dass die geschuldeten Stunden bei weitem nicht erbracht worden seien und es sei vereinbart worden, ab August 2016 eine Verringerung des verstätigten Gehaltes auf 2.100,00 € vorzunehmen. Nachdem durch die Parteien festgestellt worden sei, dass auch die verringerten Stunden durch den Kläger nicht erbracht worden seien, habe der Kläger um Absenkung des verstätigten Gehaltes für Oktober 2016 auf 1.000,00 € netto, was einem Bruttogehalt von 1.259,65 € entspreche, gebeten. Damit sei der Beklagte einverstanden gewesen. Im Oktober und November 2016 sei der Kläger nur noch unregelmäßig und zum Schluss gar nicht mehr zur Arbeit erschienen. Darauf angesprochen habe der Kläger angegeben, wegen privater Belange (Baumaßnahmen am Haus, Kitazeiten der Kinder, Krankheit seiner Frau) nicht mehr arbeiten zu können. In der mündlichen Verhandlung vom 20.03.2019 hat der Beklagte ergänzend darauf hingewiesen, dass bezüglich der 27 Arbeitsstunden aus der zweiten Novemberhälfte 2016 allenfalls der vereinbarte Stundenlohn von 9,00 € hätte in Ansatz gebracht werden dürfen. Im Übrigen könne im Hinblick auf den austenorierten Betrag von 460,79 € allenfalls von einem Zinsanspruch ab dem 01.12.2016 jedoch nicht seit dem 01.11.2016 ausgegangen werden.
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Der Beklagte beantragt:
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12
1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin wird aufgehoben.
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2. Die Klage wird abgewiesen.
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3. Der Kläger wird verurteilt, an den Beklagten 10.714,50 € nebst 5%-Punkten Zinsen ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Der Kläger beantragt,
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16
die Berufung zurückzuweisen.
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17
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. | I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 11.04.2018 - 4 Ca 1315/17 – wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte und Berufungskläger zu 40 % und der Kläger und Berufungsbeklagte zu 60 %.
III. Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Hessisches Landesarbeitsgericht 17. Kammer | Hessen | 0 | 1 | 30.01.2012 | 0 | Randnummer
1
Die Parteien streiten darüber, welche Tarifverträge auf ihr Arbeitsverhältnis Anwendung finden.
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2
Der tarifgebundene Kläger wurde von der Beklagten aufgrund befristeten Arbeitsvertrages vom 30. April 2003 (Bl. 11 f d.A.) als Flugbegleiter eingestellt. Dieser Arbeitsvertrag lautet auszugsweise:
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3
1. … Das Arbeitsverhältnis beginnt am 03.05.2003 und endet am 02.05.2005, ohne dass es einer Kündigung bedarf.
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4
…
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5
4. Die gegenseitigen Rechte und Pflichten ergeben sich aus den Regelungen der für A geltenden Tarifverträge (sofern diese auf befristete Arbeitsverträge anwendbar sind), den Betriebsvereinbarungen in ihrer jeweils geltenden Fassung, den gültigen Dienstvorschriften und Arbeitsanweisungen sowie aus den Bestimmungen dieses Vertrages.
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6
Der im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits gültige Manteltarifvertrag Nr. 6 für das Bordpersonal der Beklagten vom 20. Oktober 2000, gültig ab 01. November 2000 (in der Folge: MTV Nr. 6 Bord), lautet auszugsweise:
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7
§ 1 Geltungsbereich
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8
(1) Der Tarifvertrag gilt für die in der Bundesrepublik Deutschland tätigen Mitarbeiter des Bordpersonals (Cockpit und Kabine) der A (A) – im folgenden Mitarbeiter genannt.
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9
(2) Dieser Tarifvertrag gilt nicht für
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10
- Mitarbeiter, die bei der A im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses beschäftigt sind
…
Randnummer
11
(3) Auf Mitarbeiter, die bei der A im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses beschäftigt sind, findet dieser Tarifvertrag entsprechende Anwendung. Die Anwendung von Bestimmungen, die mit dem Wesen eines befristeten Arbeitsverhältnisses nicht vereinbar sind, und die Anwendung des § 24 dieses Tarifvertrages sind ausgeschlossen.
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12
Am 16. März 2005 schlossen die Parteien den hiermit in Bezug genommenen unbefristeten Arbeitsvertrag (Bl. 14 f d.A.), der auszugsweise wie folgt lautet:
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13
1. Beginn, Art und Ort der Beschäftigung
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14
Der Mitarbeiter wird ab 03.05.2005 als Flugbegleiter/in in B beschäftigt.
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15
…
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16
2. Rechte und Pflichten
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17
Die gegenseitigen Rechte und Pflichten ergeben sich aus dem Gesetz, den Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen der C in ihrer jeweils geltenden Fassung sowie aus den Dienstvorschriften der C und den Bestimmungen dieses Vertrages.
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18
3. Vergütung
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19
Im Hinblick auf die vorgesehene Tätigkeit wird der Mitarbeiter in die Beschäftigungsgruppe der Stewardessen/Stewards des geltenden Vergütungstarifvertrages in Verbindung mit der Tarifvereinbarung vom 10.02.2005 zur Übernahme von Flugbegleitern mit befristetem Arbeitsverhältnis bei C eingruppiert.
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20
…
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21
Unter dem Datum 19. September 2006 schlossen die Tarifvertragsparteien einen Manteltarifvertrag Nr. 1a Kabinenpersonal C, gültig ab 01. Februar 2005 (in der Folge MTV Nr. 1a Kabine, Auszug Bl. 16 f d.A.), der auszugsweise wie folgt lautet:
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22
§ 1 Geltungsbereich
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23
(1) Dieser Tarifvertrag gilt für die in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten Mitarbeiter des Kabinenpersonals der C (A), die nach dem 31. Januar 2005 eingestellt werden oder deren zu diesen Zeitpunkt bestehendes befristetes Arbeitsverhältnis nach diesem Zeitpunkt unbefristet fortgesetzt wird.
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24
…
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25
(3) Auf Mitarbeiter, die ihm Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses beschäftigt sind, findet dieser Tarifvertrag entsprechende Anwendung. Die Anwendung von Bestimmungen, die mit dem Wesen eines befristeten Arbeitsverhältnisses nicht vereinbar sind sowie die Anwendung des § 24 Abs. (1), (2), (5) dieses Tarifvertrages sind ausgeschlossen.
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26
…
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27
§ 25 Inkrafttreten und Vertragsdauer
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28
(1) Dieser Tarifvertrag tritt rückwirkend ab 01. Februar 2005 in Kraft.
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29
…
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30
Der Kläger hat im Gegensatz zur Beklagten die Auffassung vertreten, auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fänden nach wie vor der MTV Nr. 6 Bord und der für dessen Geltungsbereich jeweils anwendbare Vergütungstarifvertrag (VTV) Anwendung. Wegen der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, des Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 103 bis 108 d.A.) Bezug genommen.
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31
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat die Klage durch am 24. Mai 2011 verkündetes Urteil, 13 Ca 8395/10, abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Festlegung des Geltungsbereichs in § 1 MTV Nr. 1a Kabine führe zu keiner unzulässigen Diskriminierung wegen der Befristung des Arbeitsvertrages. § 4 Abs. 2 TzBfG bezwecke nicht die Vermeidung von Nachteilen, die erst nach Ablauf eines befristeten Arbeitsverhältnisses entstehen, sondern verbiete nur eine Ungleichbehandlung während der Dauer der Befristung. Die Regelung ziele nicht darauf ab, Arbeitnehmer vor einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen bei Abschluss eines neuen Arbeitsverhältnisses im Anschluss an ein befristetes Arbeitsverhältnis zu schützen. Die Beschäftigung des Klägers zu geänderten und verschlechterten Bedingungen erfolge nicht aufgrund der früheren befristeten Beschäftigung, sondern wegen der dauerhaften Einstellung nach einem bestimmten Stichtag. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz liege nicht vor. Der Kläger werde nicht anders behandelt als alle anderen nach dem 31. Januar 2005 neu bzw. unbefristet eingestellten Arbeitnehmer. Der Kläger werde zwar anders behandelt als solche Arbeitnehmer, die bereits vor dem 01. Februar 2005 in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zur Beklagten gestanden hätten. Diese unterschiedliche Behandlung rechtfertige sich aber durch zulässige Stichtagsregelung, wobei keine Gesichtspunkte ersichtlich seien, aus denen sich eine Sachwidrigkeit des gewählten Stichtages ergebe. Das Verbot der Ungleichbehandlung von befristet beschäftigten Arbeitnehmern verbiete nicht, bei Abschluss eines dauerhaften Arbeitsvertrages nach Befristungsablauf ungünstigere Bedingungen, auch im Verhältnis zu bereits zu einem früheren Zeitpunkt unbefristet eingestellten Arbeitnehmern, zu vereinbaren. Ein Verstoß gegen die Richtlinie 1999/70/EG des Rates zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge vom 28. Juni 1999 (in der Folge: RL 1999/70/EG) liege ebenfalls nicht vor. Diese lege nicht fest, dass Änderungen der Arbeitsbedingungen nach Ende eines Befristungszeitraums bei Abschluss eines neuen, unbefristeten Arbeitsvertrages unzulässig seien. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 108 bis 113 d.A.) verwiesen.
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32
Gegen dieses ihm am 25. Juli 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29. Juli 2011 Berufung eingelegt und diese am 23. September 2011 begründet.
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Er wiederholt und vertieft seinen Vortrag und hält daran fest, die Festlegung des Geltungsbereichs in § 1 Abs. 1 MTV Nr. 1a Kabine stelle eine gemäß § 4 Abs. 2 TzBfG unzulässige Diskriminierung wegen der Befristung des Arbeitsvertrages dar. Er sei nicht nach dem Stichtag neu eingestellt worden, sondern bereits seit 2003 beschäftigt, wobei die Tarifvertragsparteien in unzulässiger Weise zwischen den Arbeitnehmern differenzierten, die zum Stichtag in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis standen, und solchen, die in einem befristeten Arbeitsverhältnis standen. Die Benachteiligung durch Anwendung des ungünstigeren MTV Nr. 1a Kabine knüpfe damit in unzulässiger Weise an eine Vorbefristung an. Jedenfalls angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Auslegung von § 4 der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (in der Folge: Rahmenvereinbarung) könne auch die Auffassung nicht aufrechterhalten bleiben, § 4 Abs. 2 TzBfG verhindere nur eine Ungleichbehandlung während der Dauer der Befristung, schütze jedoch nicht die Arbeitnehmer, die im Anschluss an die Befristung ein neues unbefristetes Arbeitsverhältnis eingingen. Es gehe auch nicht darum, dass § 4 Abs. 2 TzBfG nicht darauf abziele, Arbeitnehmer vor einer Verschlechterung von Arbeitsbedingungen bei Abschluss eines neuen Arbeitsverhältnisses im Anschluss an ein befristetes Arbeitsverhältnis zu schützen, sondern darum, dass die Tarifvertragsparteien erst ca. 1,5 Jahre nachdem der Kläger bereits in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis stand, nämlich im September 2006, festgelegt hätten, dass ua. hinsichtlich unbefristet beschäftigter Arbeitnehmer zu differenzieren sei zwischen schon vor 2005 und erst nach 2005 unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern sowie zwischen vor 2005 unbefristet und nach 2005 eingestellten Arbeitnehmern. Außerdem sei die Wertung des angefochtenen Urteils unzutreffend, § 1 MTV Nr. 1a Kabine knüpfe nicht an die Befristung, sondern an den erstmaligen Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrages an. Damit sei auch unzutreffend, dass sich nur der Umstand auswirke, dass die bisherigen Vertragsbedingungen aufgrund der Befristung ausliefen und die Arbeitsvertragsparteien bei der Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses in der Gestaltung der Arbeitsbedingungen frei seien, wobei im Übrigen zu beachten sei, dass nicht die Arbeitsvertragsparteien nach Beendigung des befristeten Arbeitsverhältnisses frei verschlechternde Regelungen getroffen hätten, sondern die Tarifvertragsparteien rückwirkend für den Kläger als in diesem Zeitpunkt unbefristet und 2005 befristet beschäftigtem Arbeitnehmer eine verschlechternde Regelung eingeführt hätten, für im Zeitpunkt des Tarifabschlusses unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer, die bereits 2005 unbefristet tätig waren, dagegen der alte Besitzstand erhalten worden sei. Diesen werde ihre vorherige Beschäftigung angerechnet, dem Kläger dagegen seine ebenfalls ununterbrochene, allerdings zunächst befristete, vorherige Beschäftigung nicht. Es werde damit unzulässig differenziert zwischen unbefristeten Arbeitnehmern mit früherer Vorbefristung und schon immer unbefristeten Arbeitnehmern. Der Kläger hält ferner daran fest, der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz sei verletzt, nachdem Anknüpfungsmerkmal die frühere befristete Beschäftigung sei. Ungleichbehandlung könne nicht deswegen verneint werden, weil der Kläger mit den nach dem 01. Februar 2005 neu eingestellten Arbeitnehmern gleich behandelt werde. Denn er sei nicht mit diesen vergleichbar, sondern mit den Arbeitnehmern, die wie er bereits vor dem 01. Februar 2005 beschäftigt waren, wenn auch bereits unbefristet. Im Übrigen habe die Beklagte auch nichts dazu vorgetragen, aus welchen Gründen der Stichtag sachlich vertretbar sei, wobei wiederum bei einer Stichtagsregelung auf die Dauer der Beschäftigung abzustellen sei und nicht auf das der Beschäftigung zugrunde liegende Vertragswerk.
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34
Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 24. Mai 2011, 13 Ca 8395/10, abzuändern und
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festzustellen, dass auf sein Arbeitsverhältnis der Manteltarifvertrag Nr. 6 für das Bordpersonal zwischen der Arbeitsrechtlichen Vereinigung D und der Deutschen Angestelltengewerkschaft DAG bzw. der Vereinigung Cockpit e.V., gültig ab dem 01.01.2000 – Manteltarifvertrag für das Bordpersonal der A (A) – Anwendung findet;
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festzustellen, dass er in den jeweils gültigen Vergütungstarifvertrag, der auf Mitarbeiter Anwendung findet, die unter den Manteltarifvertrag Nr. 6 für das Bordpersonal der A (A) fallen, einzugruppieren und hiernach zu vergüten ist.
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38
Die Beklagte beantragt,
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39
die Berufung zurückzuweisen.
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40
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens.
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41
Aus anderen Rechtsstreiten vor der Kammer (ua. 17 Sa 1731/07) ist gerichtsbekannt, dass unter dem Datum 23. Juli 2004 für die „E/C“ sowie für die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft F als Rechtsnachfolgerin der DAG eine „Tarifvereinbarung zwischen E/C und F vom 18./19.07.2004“ (Anlage zum Sitzungsprotokoll vom 30. Januar 2012, Bl. 216 f d.A.) unterzeichnet wurde, die auszugsweise wie folgt lautet:
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3. Laufzeit
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Die Laufzeit des Vergütungstarifvertrags der heutigen Mitarbeiter wird auf den 31.12.2005 verlängert.
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Die Laufzeit des Manteltarifvertrags der heutigen Mitarbeiter wird auf den 31.12.2006 verlängert.
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4. Neue Tarifverträge für künftig eingestellte Kabinenmitarbeiter
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Die bestehenden Tarifverträge finden auf künftig eingestellte Kabinenmitarbeiter keine Anwendung. Nach nachstehenden Maßgaben werden für diese Mitarbeiter neue Tarifverträge verhandelt:
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a. Für künftig eingestellte Flugbegleiter wird ein neuer Vergütungstarifvertrag vereinbart. Dieser Vergütungstarifvertrag entspricht in Eckwerten dem geltenden Vergütungstarifvertrag der C G. Hierfür werden die auf Einsatztage bezogene Vergütungsstruktur der C G auf Basis von 4,5 Flugstunden pro Einsatztag umgerechnet und die Vergütungsbeträge entsprechend angepasst.
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b. Der Manteltarifvertrag für die künftigen Mitarbeiter orientiert sich am Manteltarifvertrag der C G. Es besteht Einvernehmen darüber, dass die Urlaubsregelung eine Urlausstaffel enthalten soll.
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c. Es besteht Einvernehmen darüber, dass für die künftigen Mitarbeiter ein neuer Tarifvertrag Altersversorgung verhandelt wird.
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Ebenso ist hieraus gerichtsbekannt, dass unter dem Datum 10. Februar 2005 für die „E/C/C G“ einerseits und F sowie die Gewerkschaft H andererseits eine weitere Vereinbarung mit Erklärungsfrist bis 22. Februar 2005 unterzeichnet wurde (weitere Anlage zum Sitzungsprotokoll vom 30. Januar 2012, Bl. 219 f d.A.), die auszugsweise wie folgt lautet:
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3. Übernahme der I der A
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Die I werden in die erste Stufe der neuen Tabelle eingestuft und insgesamt nach dem neuen VTV/MTV behandelt mit folgender Abweichung: …
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4. Neuer MTV für die künftigen Mitarbeiter
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Grundsätzlich wird der MTV der J übernommen.
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…
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Nach vorstehender Ziffer 3 weiterbeschäftigte I werden bei der Urlaubsstaffel im 3. Beschäftigungsjahr geführt.
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…
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Diese Umstände wurden im Verhandlungstermin vom 30. Januar 2012 mit den Parteien erörtert. Die Parteien erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme und erklärten, eine weitere Stellungnahmefrist werde nicht benötigt.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen. | Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 24. Mai 2011, 13 Ca 8395/10, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen | 0 |
Verwaltungsgericht des Saarlandes 5. Kammer | Saarland | 1 | 1 | 30.06.2021 | 0 | Randnummer
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Die Klägerin begehrt von der beklagten Rechtsanwaltskammer Auskunft über die Wohnanschrift eines ehemaligen Rechtsanwalts.
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Die Klägerin hatte die ehemalige, aus den Rechtsanwälten A und B bestandene Anwaltssozietät ... mit seinerzeitigem Sitz in ..., ... in einer zivilrechtlichen Angelegenheit beauftragt.
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Mit Urteil vom 06.07.2020 - ... - wurden die Rechtsanwälte ... unter anderem zum Ersatz des Schadens verurteilt, der der Klägerin aufgrund der Empfehlung in der zivilrechtlichen Angelegenheit Klage zu erheben entstanden war. Gegen das Urteil wurde Berufung eingelegt.
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Mit Schreiben vom 03.08.2020 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Mitteilung der Privatanschriften der Rechtsanwälte ....
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Die Beklagte antwortete unter dem 06.08.2020, dass die Privatanschrift aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht weitergegeben werden dürfe.
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Mit Schreiben an die Beklagte vom 12.08.2020 beschränkte die Klägerin ihr Auskunftsersuchen auf Rechtsanwalt A, für den sie keinen Hinweis auf einen Kanzlei hatte. Jungfer habe insoweit in BRAK-Mitt. 2001, 167 formuliert, dass wenn eine Kanzleianschrift nicht mehr feststellbar sei, die Privatanschrift auch die Kanzleianschrift sei.
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Die Beklagte antwortete unter dem 19.08.2020, dass datenschutzrechtliche Gründe einer Weitergabe der Wohnanschrift entgegenstünden. Selbst wenn Rechtsanwalt A an der Kanzlei kein Kanzleischild angebracht haben sollte, führe das nicht dazu, dass seine Wohnanschrift zur Kanzleianschrift werde. Diesen Automatismus kenne das Berufsrecht nicht. Die Kammer werde das berufsrechtlich Erforderliche veranlassen.
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Mit Schriftsatz vom 31.08.2020 legte die Klägerin gegen den Bescheid vom 19.08.2020 Widerspruch ein: Die Beklagte habe die Anwendbarkeit des SIFG nicht in Betracht gezogen. Sie habe nach § 1 SIFG Anspruch auf Auskunftserteilung. Die Beklagte sei Behörde im Sinne von § 1 SIFG. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 SIFG sei der ansonsten bedingungslose Auskunftsanspruch nach § 1 SIFG abhängig von der Abwägung des Auskunftsinteresses einerseits und des Datenschutzinteresses andererseits.
1
Vgl. Abschnitt 1 Ziffer 4 zu § 5 IFGAnwH vom 21.11.2005 (GMBl S. 1346)
Vgl. Abschnitt 1 Ziffer 4 zu § 5 IFGAnwH vom 21.11.2005 (GMBl S. 1346)
Dieser Abwägung bedürfe es in Fällen besonderer, qualifizierter Daten nicht. Diese qualifizierten Daten im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 27.04.2016 seien nach § 5 Abs. 1 Satz 2 IFG abwägungsfest, sie dürften nur mit Einwilligung des Betroffenen zugänglich gemacht werden.
2
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.03.2016 - 7 C 2.15 -, juris Rn. 26
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.03.2016 - 7 C 2.15 -, juris Rn. 26
Auf der anderen Seite habe der Gesetzgeber in Art. 9 Abs. 2 DSGVO die Qualifizierung nach Art. 9 Abs. 1 DSGVO gegenüber den in Art. 9 Abs. 2 DSGVO aufgeführten Auskunftslagen wieder entzogen. Darin sei eine vom Gesetzgeber angeordnete Qualifizierung von Auskunftslagen zu sehen, die bei deren Vorliegen den ansonsten bestehenden besonderen Schutz von besonders sensiblen Daten des Art. 9 Abs. 1 DSGVO überwögen. Diese gesetzliche Wertung erfordere im Falle des Aufeinandertreffens von nicht nach § 5 Abs. 1 S. 2 IFG qualifizierten Daten und einer nach Art. 9 Abs. 2 DSGVO qualifizierten Auskunftslage dem Auskunftsinteresse den Vorrang in der Weise zu gewähren, dass die Auskunftserteilung nicht von einer Entscheidung des Betroffenen abhängig gemacht werden könne. In diesem Sinne seien die besonderen Auskunftslagen des Art. 9 Abs. 2 DSGVO nach § 5 Abs. 1 Satz 2 IFG abwägungsfest, sie müssten ohne Einwilligung des Betroffenen zugänglich gemacht werden. Die Wohnanschrift des ehemaligen Rechtsanwalts zähle der Art nach nicht zu den besonderen personenbezogenen Daten im Sinne des Art. 9 Abs. 1 DSGVO. Andererseits verfolge die Klägerin ein nach Art. 9 Abs. 2 lit. f) 1. Alt. DSGVO qualifiziertes Interesse, da die Auskunft „zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen .... erforderlich“ sei. Sie benötige die Auskunft zur Geltendmachung von Rechtsansprüchen, die sie gegen den ehemaligen Rechtsanwalt unter dessen Wohnanschrift verfolgen wolle. Es sei ihr nicht verwehrt, ihn unter seiner Wohnanschrift in Anspruch zu nehmen. Unabhängig davon, ob er unter der Kanzleianschrift seiner Kollegin auch eine Kanzlei unterhalte oder nicht, sei nach keinem Rechtssatz ein Rechtsanwalt anders als jeder andere Freiberufler ausschließlich nur an seiner Kanzleianschrift verklagbar. Die Klägerin habe einen Rechtsgewährungsanspruch, den ehemaligen Rechtsanwalt unter seiner Wohnanschrift in Anspruch nehmen zu können. Die Verweigerung der Auskunft würde daher sie in ihrem grundgesetzlichen Anspruch auf Gewährung von Rechtsschutz durch die Organe der Justiz verletzen. Aufgrund dieses Grundrechtsbezugs seien die allgemeinen Überlegungen des BVerwG, a.a.O., Seite 113 Rn. 25, zum relativen Vorrang des Datenschutzes vorliegend nicht einschlägig, da hier anders als im Fall der in Bezug genommenen Entscheidung des BVerwG der grundgesetzlich verankerte Datenschutz nicht nur auf einen einfachgesetzlichen Auskunftsanspruch treffe, sondern auf den gleichrangig grundgesetzlich verankerten Rechtsgewährungsanspruch, der in Art. 9 Abs. 2 Ziffer f) 1. Alternative DSGVO seinen Ausdruck gefunden habe. Stünden wie hier das Datenschutzinteresse und das Auskunftsinteresse sich gleichrangig gegenüber, wolle man also kein Interesse per se den Vorrang einräumen, dann führe das nach Abschnitt 1 Ziffer 4 IFGAnwH angeordnete Regel-Ausnahme-Verhältnis zu einem Durchdringen des Informationsinteresses. Nach Abschnitt 1 Ziffer 4 IFGAnwH sei die Auskunft nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Die allgemeine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit genüge anders als zu der Zeit vor Erlass des IFG nicht mehr, um die Information zu verweigern. Ausnahmegründe müsse die Behörde darlegen. Der Informationsanspruch in § 1 SIFG sei auch nicht aufgrund der gesetzlichen Wertung in § 5 Abs. 2 IFG ausgeschlossen. Nach § 5 Abs. 2 IFG überwiege das Informationsinteresse generell nicht bei Informationen aus Unterlagen, soweit sie mit dem Dienst- oder Amtsverhältnis des Dritten in Zusammenhang stehen, worunter die Personalakte des Rechtsanwalts verstanden werden könne (vgl. AGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.5.2015 - AGH 16/2014 (I), II. 2. c.). Allerdings unterfielen nicht alle Daten diesem Schutz der Personalakte, selbst wenn die Information gegebenenfalls dem mit Personalakte bezeichneten Aktenstück zu entnehmen sein sollte, da der Begriff der Personalakte in der BRAO nach einhelliger Auffassung materiell zu verstehen sei, die Information also in einem inneren Zusammenhang mit dem Status als Anwalt stehen müsse (vgl. BGH vom 22.09.2015 - AnwZ (Brfg) 44/15 -, S. 5, Rn. 9 m.w.N.) Vorliegend handele es bei der Wohnanschrift des Kollegen A um keine den Status des Kollegen A betreffende Information. § 5 Abs. 2 IFG sei mithin nicht einschlägig und stehe daher dem Informationsanspruch nicht entgegen. Sollte der Widerspruch nach § 9 Abs. 4 Satz 1 IFG nicht an die Rechtsanwaltskammer gerichtet werden können, werde um Nachholung der von § 3 SIFG gebotenen und im Schreiben vom 19.08.2020 unterlassenen Rechtsbehelfsbelehrung gebeten. Zur Abkürzung des Verfahrens werde das Einverständnis erklärt, die Wohnanschrift des Kollegen A dem Saarländischen Oberlandesgericht ... mitzuteilen und über die erfolgte Bekanntgabe zu informieren. In diesem Zusammenhang werde daran erinnert, dass die Auskunft zur erforderlichen Rubrumsberichtigung benötigt werde. Die ordnungsgemäße Durchführung des gerichtlichen Verfahrens müsse gewährleisten, dass ein Kläger einen Beklagten wahlweise unter der geschäftlichen oder unter der Wohnanschrift in Anspruch nehmen könne. Um diesen verfahrensrechtlichen Anspruch der Klägerin Geltung zu verleihen, dürfte von einer Verpflichtung zur Rechts- und Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Ziffer f) 2. Alternative DSGVO auszugehen sein.
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Mit Schriftsatz vom 24.09.2020 hat Rechtsanwalt A im Berufungsverfahren ... am Saarländischen Oberlandesgericht gegen das vorgenannte landgerichtliche Urteil u.a. vorgetragen, dass er bereits seit 2014 aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr als Anwalt tätig sei. Die Aufgabe seiner anwaltlichen Tätigkeit offenbarte er, indem er auf den Geschäftspapieren der Sozietät A & B seinem Namen spätestens seit November 2016 den Zusatz „i.R." hinzufügte.
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Mit dem Widerspruchsbescheid vom 12.10.2020 wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen: Der Widerspruch sei nach § 9 Abs. 4 IFG zulässig, aber nicht begründet. Nach der Systematik des Saarländischen Informationsfreiheitsgesetzes (SIFG) und des IFG Bund, auf welches in § 1 SIFG verwiesen werde, gewährten die Informationsfreiheitsgesetze einen voraussetzungslosen Anspruch des Bürgers auf Zugang zu Informationen bei Behörden. Das SIFG sei auf die Rechtsanwaltskammer des Saarlandes als Körperschaft des öffentlichen Rechtes anwendbar. Der voraussetzungslose Informationsanspruch eines Bürgers könne aber beschränkt sein, insbesondere durch öffentliche oder private Belange der §§ 3-6 IFG (Ausnahmegründe). Diese Ausnahmegründe müsse die Behörde darlegen, d.h. Informationen seien die Regel und die Nichterteilung von Informationen die Ausnahme. Vorliegend komme als Ausnahmegrund für die Nichterteilung der Information (Wohnanschrift) allein § 5 IFG In Betracht. Danach könne die Auskunft zum Schutze personenbezogener Daten verweigert werden, wenn eine Abwägung des Informationsinteresses mit dem Datenschutzinteresse des Dritten (Rechtsanwalt) ergebe, dass das Datenschutzinteresse überwiege. Es habe also eine Abwägung zwischen dem Informationsinteresse und dem Datenschutzinteresse des Dritten zu erfolgen. Aus den Anwendungshinweisen zum IFG Bund ergebe sich, dass in das Schutzinteresse des Dritten (Rechtsanwalt) bei der Abwägung auch der Verwendungszweck der zu erteilenden Auskunft einfließe. Danach überwiege ein rein privates Interesse an der Information/Auskunft regelmäßig nicht das schutzwürdige Interesse des Dritten. Die Geltendmachung eines zivilrechtlichen Anspruches - wie vorliegend - erfolge aber grundsätzlich im privaten Interesse, so dass das schutzwürdige Interesse des Dritten überwiege. Absolute Grenzen ergäben sich aber insbesondere bei Personalakten und vergleichbaren Akten, sowie aus besonderen Berufs- und Amtsgeheimnissen (§ 5 Abs. 2 IFG). Dies spiegele sich auch in § 3 Nr. 4 IFG wieder, wonach ein Anspruch auf Informationszugang dann nicht bestehe, wenn die Information einem Berufs- oder besonderen Amtsgeheimnis unterliege. Die Klägerin meine, dass Daten/ Informationen in der Personalakte eines Mitgliedes nur soweit geschützt seien, als Informationen in einem inneren Zusammenhang mit dem Status als Rechtsanwalt stünden; dies sei bei der Wohnanschrift allerdings nicht der Fall, da die Wohnanschrift keine den Status betreffende Information darstelle. Hierbei verkenne sie, dass gerade die statusbildenden Informationen nach § 31 Abs. 3 BRAO zu veröffentlichen seien und damit grundsätzlich nicht geschützt seien. Die Wohnanschrift gehöre allerdings nicht zu den nach § 31 Abs. 3 BRAO zu veröffentlichenden Daten. Die Information über die Wohnanschrift sei Bestandteil der bei der Beklagten geführten Personalakte des Rechtsanwalts. Mit Ausnahme der in § 31 Abs. 3 BRAO aufgeführten Daten (z.B. Familienname, Vornamen, Name der Kanzlei und deren Anschrift, vom Rechtsanwalt mitgeteilte Telekommunikationsdaten, Berufsbezeichnung, Fachanwaltsbezeichnung, Zeitpunkt der Zulassung) dürften alle weiteren Informationen, die sich aus der Personalakte ergäben, nicht an Dritte weitergegeben werden, da sie der Verschwiegenheitsverpflichtung nach § 76 BRAO unterlägen. Lediglich die in § 31 Abs. 3 BRAO aufgeführten Daten und Informationen dürften in den Verzeichnissen der Rechtsanwaltskammer und dem Gesamtverzeichnis der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAV) öffentlich bekannt gemacht werden. Soweit die Klägerin meine, dass wegen Art. 9 Abs. 2 lit. f) DSGVO (qualifiziertes Interesse, da die Auskunft zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen erforderlich sei) ihr Informationsinteresse das Datenschutz-Interesse des Rechtsanwalts überwiege, verkenne sie, dass Art. 9 Abs. 2 Ziffer f) DSGVO lediglich der Rechtsanwaltskammer die Ermächtigung einräume, bestimmte Daten (hier: Wohnanschrift) zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung eigener Rechtsansprüche zu nutzen und nicht die Ermächtigung, diese Daten anderen Personen zur Verfügung zu stellen, damit diese dann ihre Rechtsansprüche geltend machen könnten. Der Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin am 13.10.2020 zugestellt.
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Am 13.11.2020 hat sie Klage erhoben. Zur Begründung macht sie geltend, die Rechtsanwälte A und B hätten etwa im Sommer 2020 die Sozietät in Saarbrücken aufgelöst. Aus dem amtlichen Anwaltsverzeichnis ergebe sich, dass die Anwaltssozietät unter der neuen Anschrift ..., ..., fortgeführt werde und Rechtsanwalt A unter dieser Anschrift als Rechtsanwalt praktiziere. Die Angaben im amtlichen Anwaltsverzeichnis seien allerdings unzutreffend. Mit Schriftsatz vom 24.09.2020 habe Rechtsanwalt A im Berufungsverfahren ... am Saarländischen Oberlandesgericht gegen das vorgenannte landgerichtliche Urteil u.a. vorgetragen, dass er bereits seit 2014 aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr als Anwalt tätig sei. Die Aufgabe seiner anwaltlichen Tätigkeit offenbare er, indem auf den Geschäftspapieren der Sozietät A & B seinem Namen spätestens seit November 2016 der Zusatz „i.R." hinzugefügt sei. Spätestens seit Aufgabe der in Saarbrücken ansässig gewesenen Sozietät betreibe er keine Kanzlei mehr. Unter der im amtlichen Anwaltsverzeichnis notierten Anschrift ... unterhalte er keinen Kanzleibetrieb. Es gebe am Anwesen weder ein Kanzleischild noch einen Briefkasten noch ein Klingelschild von Rechtsanwalt A und im Anwesen keine Kanzleiorganisation. Von den Sozien der Sozietät A & W. weise allein B auf ihre Kanzlei hin, und zwar als Einzelrechtsanwältin. Der Klägerin sei nicht bekannt, ob Rechtsanwalt A der Beklagten die Aufgabe seiner Kanzlei angezeigt habe. Einerseits stelle Rechtsanwalt A im Verfahren vor dem Saarländischen Oberlandesgericht dar, er führe seit 2016 Korrespondenz mit der Beklagten über seinen Antrag nach § 17 Abs. 2 BRAO. Andererseits hätte die Mitteilung der Aufgabe der Kanzlei aus gesundheitlichen Gründen zur Aufforderung zum Verzicht auf die Rechte aus der Zulassung führen müssen, wenn nicht gar direkt zum Widerruf der Zulassung nach § 14 Abs. 2 Ziffer 3 BRAO oder § 14 Abs. 3 Ziffer 4 BRAO, was ausweislich des Inhalts des amtlichen Anwaltsverzeichnisses nicht der Fall sei. Jedenfalls habe die Klägerin die Beklagte über die Aufgabe der Anwaltstätigkeit des Beigeladenen informiert. Obwohl sich aus dem Vortrag der Klägerin im Antrags- und Widerspruchsverfahren ergebe, dass Rechtsanwalt A unter der im amtlichen Anwaltsverzeichnis angegebenen Anschrift keine Kanzlei betreibe und damit dort keine zustellungs- und vollstreckungsfähige Anschrift besitze, glaube die Beklagte, dem Datenschutz per se einen Vorrang einräumen zu können. Zur weiteren rechtlichen Begründung des Auskunftsanspruchs werde auf die Ausführungen in der Widerspruchsbegründung vom 31.08.2020 Bezug genommen. Die Beklagte meine, das Datenschutzinteresse überwiege stets das Auskunftsinteresse, wenn die Auskunft privaten Interessen diene. Im Übrigen berufe sie sich auf das Geheimhaltungsgebot in § 76 BRAO. Damit verkenne sie die Rechtslage. Zwar erkenne sie das Erfordernis der Abwägung nach § 5 IFG, ohne jedoch das Ermessen auszuüben oder zu sehen, dass die Klägerin einen unbedingten Auskunftsanspruch habe. Unausgesprochen berufe sie sich auf Ziffer III, 8. d) Absatz 2 Satz 2 der Anwendungshinweise des Bundesministers des Inneren zum Informationsfreiheitsgesetz. Dabei verkenne sie den Begriff der „rein privaten Interessen". Die Klägerin habe deutlich gemacht, dass sie die Auskunft zur ordnungsgemäßen Durchführung des u.a. von Rechtsanwalt A eingeleiteten Berufungsverfahrens vor dem Saarländischen Oberlandesgericht benötige, um das falsch gewordene Passivrubrum zu berichtigen. Dass ein Bürger, der von seinem Informationsrecht Gebrauch mache, in aller Regel auch private Interessen mit seinem Informationsbegehren verfolge und sich nicht allein zum Sachwalter öffentlicher Interessen aufschwinge, bedürfe keiner Begründung. Davon gehe auch der Gesetzgeber aus, was seinen Ausdruck auch in den Anwendungshinweisen zum IFG finde. So heiße es in Ziffer III, 8. d) Absatz 2 Satz 1 der Anwendungshinweise, dass auch das öffentliche Interesse an der Offenbarung der Information in das Informationsinteresse des Antragstellers und auch der Verwendungszweck in das Interesse des Dritten fließe. Dies habe die Beklagte verkannt und rechtsfehlerhaft das Anliegen der Klägerin als „rein privates Interesse" gewürdigt. Dabei habe die Klägerin im Vorverfahren auch deutlich gemacht, dass die Aufrechterhaltung und Gewährleistung des funktionierenden Rechtsstaats in Frage stehe, wenn es einer Berufsgruppe gestattet sein solle, sich durch stillschweigende Aufgabe der Kanzlei der Verantwortung zu entziehen, und so die Durchführung rechtsstaatlicher Verfahren zu verhindern. Ohne Kenntnis der zustellungs- und vollstreckungsfähigen Anschrift könne kein zivil- und verwaltungsrechtliches Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt werden. Vollstreckungsverfahren gingen ins Leere. Damit seien öffentliche Interessen angesprochen. Selbstverständlich nehme die Klägerin die Mühen des Rechtsstreits mit der Beklagten aus eigenen, privaten Gründen auf sich, da sie sich um die Durchsetzung ihrer berechtigten Interessen sorge. Zur Durchsetzung ihrer privaten Interessen sei sie aber auf das Funktionieren des Rechtsstaats angewiesen. Aus diesem Grund sei sie durch die Weigerung der Beklagten in ihrem grundgesetzlich verankerten Rechtsgewährungsanspruch verletzt. Ein „rein privates Interesse", wie die Beklagte annehme, sei mithin nicht gegeben.
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Soweit die Beklagte behaupte, dass der Informationsanspruch nach § 3 Nr. 4 IFG nicht bestehe, übersehe sie, dass § 3 Nr. 4 IFG im Unterschied zu § 5 Abs. 2 IFG „besondere Amtsgeheimnisse" meine, die durch spezielle Geheimhaltungsvorschriften geschützt seien. Eine spezielle Geheimhaltungsvorschrift, wie von § 3 Nr. 4 IFG gefordert, sei vorliegend nicht einschlägig. So handele es sich gerade bei § 76 BRAO nicht um eine solche, sondern lediglich um eine allgemeine Verschwiegenheitspflicht.
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vgl. OVG Nordrhein-Westfalen vom 03.05.2017 - 15 B 457/17 - zu der vergleichbaren Bestimmung in § 4 Abs. 2 Nr. 2 PresseG NRW, Rn. 20 ff. m.w.N.
vgl. OVG Nordrhein-Westfalen vom 03.05.2017 - 15 B 457/17 - zu der vergleichbaren Bestimmung in § 4 Abs. 2 Nr. 2 PresseG NRW, Rn. 20 ff. m.w.N.
Bei der Beklagten bestehe offenbar Unverständnis, wie die ständige Rechtsprechung den Schutz der Amtsgeheimnisse, hier der Personalakte des Rechtsanwalts nach § 5 Abs. 2 IFG eingrenze. Danach sei die Personalakte des Rechtsanwalts nur insoweit geschützt, als die Information in einem inneren Zusammenhang mit dem Status des Rechtsanwalts stehe.
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vgl. BGH vom 22.09.2015 - AnwZ (Brfg) 44/15 -, S. 5, Rn. 9 m.w.N.
vgl. BGH vom 22.09.2015 - AnwZ (Brfg) 44/15 -, S. 5, Rn. 9 m.w.N.
Hierzu zählten beispielsweise Informationen über Disziplinarmaßnahmen, Beschwerdeverfahren oder Ermittlungsergebnisse, Stellungnahmen im Zusammenhang mit Verfahren über den Widerruf der Zulassung. Unverständlich sei, was die Beklagte mit ihrem Hinweis auf § 31 Abs. 3 BRAO zum Ausdruck bringen möchte. Soweit die Beklagte annehme, das Informationsinteresse würde nach § 5 Abs. 2 IFG bei allen Informationen bis auf die in § 31 Abs. 2 BRAO genannten generell nicht überwiegen, gehe sie fehl. Auch gehe die Beklagte mit der Annahme fehl, die allgemeine Verschwiegenheitspflicht aus § 76 BRAO könne dem spezialgesetzlichen Informationsanspruch aus § 1 SIFG entgegenstehen. Die Beklagte verkenne auch die Bedeutung der Bezugnahme in § 5 Abs. 1 Satz 2 IFG auf Artikels 9 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) - in Deutschland DSVGO. Es möge zwar so sein, dass Art. 9 Abs. 2 Ziffer f) DSVGO bei unmittelbarer Anwendung das Verarbeitungsrecht desjenigen meine, der die Daten erhoben habe. Nicht gesehen habe die Beklagte aber, dass der Gesetzesverweis im IFG dazu führe, dass in Art 9 Abs. 2 Ziffer f) DSVGO nicht mehr derjenige angesprochen werde, der die Daten erhebe, sondern der, der das Informationsrecht nach dem IFG geltend mache. Wie in der Widerspruchsbegründung vom 31.08.2020 ausführlich dargelegt, habe bei Vorliegen eines qualifizierten Verwendungsinteresses aus Art 9 Abs. 2 DSVGO die Auskunft ohne Abwägung des Informationsinteresses mit dem Datenschutzinteresse und ohne Zustimmung des Dritten zu erfolgen. So lägen die Dinge hier. Die Beklagte sei deshalb antragsgemäß zu verurteilen, ihr die Wohnanschrift des Rechtsanwalts A mitzuteilen. An sich sei dieser als Betroffener der Auskunft auch beizuladen, was allerdings an der unbekannten Adresse derzeit scheitere.
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Mit Schriftsatz vom 17.05.2021 macht die Klägerin zur Äußerung des Beklagten vom 29.04.2021 geltend, bereits im Ansatz müsse an der Argumentation der Beklagten verwundern, dass die gesetzliche Verpflichtung aus § 31 Abs. 3 Ziffer 2 BRAO durch eine einfache Verordnung grundsätzlich aufgehoben werden können solle. Davon abgesehen kenne die BRAO eine Unterscheidung von Daten, die in die Verzeichnisse aufzunehmen und einsehbar seien einerseits, und solchen eingetragenen Daten, die für die interessierte Öffentlichkeit nicht einsehbar seien andererseits, nur beim Verlust der Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltschaft (§ 31 Abs. 5 BRAO). Nach § 31 Abs. 2 BRAO sei eine Kategorie von Daten, die zwar einzutragen, aber nicht einsehbar seien, nur im gesetzlich geregelten Fall der Beendigung der Mitgliedschaft zulässig. Für Daten, die in das Verzeichnis einzutragen seien, schreibe § 31 Abs. 2 Satz 2 BRAO im Übrigen vorbehaltslos vor, dass sie von jedem einsehbar seien.
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Zwar enthalte die Verordnung in § 6 RAVPV eine Regelung der bereits in § 31 Abs. 2 Satz 2 BRAO als uneingeschränkt postulierten Einsichtnahme und in § 6 Abs. 2 RAVPV die Aufhebung der Uneingeschränktheit der Einsichtnahme.
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Diese Aufhebung sei nicht durch die Verordnungsermächtigung in § 31c BRAO legitimiert. Würde der Gesetzgeber gemeint haben, dass die Ermächtigung zur Regelung der Einzelheiten der Einsichtnahme auch beinhalte, bestimmte Daten von der Einsichtnahme auszuschließen, dann wäre der Verordnungsgeber nicht gehindert, jede Art der einzutragenden Daten von der Einsichtnahme auszuschließen. Da § 31c Ziffer 1 und 2 BRAO weder die Daten bezeichne, die von der Einsichtnahme ausgeschlossen werden könnten, noch ein Kriterium benenne, nach welchem der Kernbestand von Daten bestimmbar sei, der unbedingt öffentlich zugänglich gemacht werden müsse, würde die Auffassung der Beklagten dazu führen, dass es im Belieben der Verwaltung stünde, welche der nach § 31 Abs.3 BRAO einzutragenden Daten öffentlich zugänglich seien. Dies widerspräche dem in § 31 Abs. 2 BRAO festgelegten Zweck der Verzeichnisse. In der Begründung der Beschlussempfehlung (Bundestagsdrucksache 18/6915, Seite 18) heiße es hierzu:
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„Auch Rechtsanwälte, die keine Kanzlei führen, müssen für die Rechtsanwaltskammer erreichbar sein. Insbesondere muss die Möglichkeit bestehen, Zustellungen an sie zu bewirken. Hierzu bedarf es einer zustellfähigen Anschrift, für deren Erhebung und Speicherung § 31 Absatz 3 Nummer 2 zweiter Halbsatz BRAO-E nunmehr eine klarstellende Regelung enthält. Dem fehlenden Bedürfnis für eine Information des Rechtsverkehrs über die zustellfähige Wohnanschrift und der nach § 76 Absatz 1 Satz 1 BRAO bestehenden Verschwiegenheitspflicht der Rechtsanwaltskammer ist durch entsprechende Vorgaben zur Einsichtnahme Rechnung zu tragen, die durch die Rechtsverordnung nach § 31c BRAO-E erfolgen sollen.“
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Die im Gesetzgebungsverfahren leitenden Erwägungen könnten dann schon nicht in die Auslegung einfließen, wenn diese Erwägungen rechtstechnisch fehlerhaft umgesetzt worden seien. Es habe kein Hinderungsgrund bestanden, die angestrebte Einschränkung der Einsichtnahme dort zu regeln, wo sie geregelt gehöre. Es bleibe daher dabei, dass § 6 Abs. 2 RAVPV nicht durch 31c Ziffer 1 BRAO gedeckt sei. Würde man die vorzitierten Erwägungen für die Auslegung bestimmend halten, dann würde sich eine Gesetzeslücke ergeben. Grundlage der Erwägungen sei erklärtermaßen die Annahme, dass für die Bekanntgabe der Wohnanschrift kein Bedürfnis bestehe. Es werde ein Bedürfnis der Kammern gesehen, nicht aber ein Bedürfnis des Rechtsverkehrs, welches als nicht existent erklärt werde. Es möge sein, dass diese Erwägungen von der Vorstellung geleitet gewesen seien, dass Rechtsanwälte den Regelungen gemäß handeln und demgemäß ihre Kanzlei bestimmungsgemäß führten und abwickelten. Man habe sich schlicht nicht vorstellen können, dass ein entsprechendes Bedürfnis bestehen könnte. Demgegenüber brauche man nur an die Vielzahl möglicher krimineller Handlungen, wie Unterschlagung, Veruntreuung zu denken. Es sei nicht zu begründen, dass es z.B. einem veruntreuenden Rechtsanwalt möglich sein solle, sich der Verantwortung durch faktische Aufgabe der im Verzeichnis angegebenen Kanzlei zu entziehen. Oder die Fälle der in Vermögensverfall geratenen oder vor der Zahlungsunfähigkeit stehenden Rechtsanwälte, die ihre Kanzlei zur Reduzierung der Kostenlast aufgäben. Auch hier stünden die Mandanten vor dem Problem, ihre Ansprüche gegen den Anwalt geltend zu machen und durchzusetzen, da sie mangels Kenntnis des Aufenthaltsortes entweder kein Rechtsverfahren einleiten oder titulierte Ansprüche nicht durchsetzen könnten. So sei auch das von der Beklagten angeführte Beispiel nicht plausibel. Es sei demgegenüber nicht erkennbar, aus welchen Gründen ein am Rechtsleben teilnehmender Rechtsanwalt keine zustellfähige Anschrift veröffentlichen solle. Es sei seine Sache, ob er mit Zulassung zur Anwaltschaft als zustellungsfähige Anschrift seine weitsichtig gegründete Kanzlei oder seine Wohnanschrift angebe. Aus welchen Gründen solle das rechtsuchende Publikum den Nachteil tragen, dass keine zustellfähige Anschrift dem Verzeichnis zu entnehmen sei, weil der beauftragte und z.B. schadensersatzpflichtig gewordene Rechtsanwalt längstmöglich darauf verzichte, eine Kanzlei zu gründen und der Kammer mitzuteilen. Was sei mit den Mandanten, die erst nach gewisser Zeit, etwa erst nach zwei Jahren nach Beendigung des Mandats feststellten, dass sie gegen den Anwalt Schadensersatzansprüche haben könnten, und damit konfrontiert seien, dass der Anwalt zwischenzeitlich seine Kanzlei aufgelöst und der Kammer keine Mitteilung gemacht habe, und die Verzeichnisse keine zustellfähige Anschrift öffentlich machten oder - wie im vorliegenden Fall - nur die Anschrift der real aufgegebenen Kanzlei enthielten. Diese Gefährdung der Rechtsposition des rechtsuchenden Publikums sei unerträglich. Schließlich sei der Fall der Beklagten ein weiterer Beleg für das Bestehen eines Interesses an der Einsichtnahme. Die Klägerin habe Rechtsanwalt A und seine Sozia B in einer erbrechtlichen Angelegenheit beauftragt. Diese hätten Gelder der Klägerin in Höhe von 11.000,-- € einbehalten, indem sie sie nicht bestimmungsgemäß verwandt und sich geweigert hätten, der Klägerin den Betrag zurückzuerstatten. Vielmehr hätten sie die Klägerin veranlasst, eine Honorarvereinbarung für eine von Anfang an unschlüssige Klage zu akzeptieren, so dass für sie der Einbehalt des Geldes zumindest auf dem Papier gerechtfertigt erschienen sei. Die aus der Führung des von Anfang an unschlüssigen Klageverfahrens resultierenden Ansprüche der Klägerin gegen RA A und RAin B seien Gegenstand des vor dem Saarländischen Oberlandesgericht ... anhängigen Berufungsverfahrens, u.a. auch die vorerwähnten 11.000,-- €. Neben diesen 11.000,-- € seien weitere Klagegegenstände nicht von einer eventuell eintrittspflichtigen Haftpflichtversicherung gedeckt. Im Zuge des schadensersatzpflichtigen Klageverfahrens habe die Beklagte von finanziellen Nöten ihre Rechtsanwälte erfahren, da diese Zahlungsaufforderungen mehrmals damit begründet hätten, dass der baldige Gebühreneingang für die Liquidität erforderlich sei. In diesem Kontext sehe die Klägerin auch die Aufgabe der in Saarbrücken ansässig gewesenen Kanzlei der zum Schadensersatz verpflichteten Sozietät. Der eine Sozius, der ehemalige Rechtsanwalt A, unterhalte seitdem keine Kanzlei mehr, die Sozia, RAin B, habe ihre Kanzlei ... verlegt. Die Klägerin habe sich das Anwesen angeschaut, welches u. a. die Kanzlei der RAin B beherbergen solle. Es handele sich um ein zweigeschossiges Einfamilienhaus mit Anbau, das von RA C bewohnt werde, der dort auch seine Kanzlei unterhalte. Daneben sollten RA D, RAin E, RA F und seit Auflösung der Sozietät auch RAin B ihre Kanzleien dort betreiben. Aufgrund der beschränkten Größe des Anwesens gehe die Klägerin davon aus, dass RAin B in diesem Anwesen kein Arbeitsraum zur Verfügung stehe und dass RAin B unter dieser Kanzleianschrift nicht regelmäßig anzutreffen sei. Diese Anzeichen rechtfertigten die Annahme der Klägerin, dass es sich bei der im Verzeichnis der Beklagten verzeichneten Kanzleianschrift der RAin B um eine Art von Briefkastenfirma handele. Die Klägerin stehe daher vor dem Problem, dass sie nach Abschluss des Berufungsverfahrens zwar einen vollstreckungsfähigen Titel in Händen halte, aber diesen mangels Kenntnis des Aufenthaltsorts der Schuldner nicht durchsetzen könne. Wenn die Rechtsordnung nicht gewährleisten könne, dass Recht auch zwangsweise durchgesetzt werden könne, dann sei die Klägerin in ihrem grundgesetzlichen Anspruch auf Rechtsgewährung (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Denn im Rahmen einer Vollstreckung sei der Klägerin die Anrufung des Vollstreckungsgerichts ohne Angabe des Aufenthaltsorts des Schuldners verwehrt. Möge man auch die Anzeichen anders deuten, so könne eine Gefährdung des Grundrechts der Klägerin nicht abgesprochen werden. Es könne nicht sein, dass die Klägerin erst vor der Anrufung des Gerichts stehen müsse, um die Verletzung ihres Grundrechts geltend machen zu können. Im Ergebnis wäre die Bereitschaft zur freiwilligen Erfüllung des titulierten Anspruchs denkbar gering, wenn dem Schuldner bewusst wäre, dass ihm keine Zwangsmaßnahmen drohten. Jedenfalls könne der Klägerin nicht abgesprochen werden, dass sie ein rechtlich schützenswertes Informationsinteresse habe, also ein Bedürfnis bestehe, dass die Wohnanschrift in den Verzeichnissen einsehbar sei.
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Letztlich sei der erste Teil der Begründung der Entwurfsempfehlung inhaltlich verfehlt, soweit das Interesse der Rechtsanwaltskammern thematisiert sei. § 31 BRAO habe zum Gegenstand das Interesse des Rechtsverkehrs, über den Bestand und die Erreichbarkeit der Rechtsanwaltschaft informiert zu sein. Nicht Gegenstand der Vorschrift seien die Interessen der Rechtsanwaltskammern, so auch nicht das Interesse der Kammern, die Wohnanschrift des Rechtsanwalts zu kennen. Diese Erwägungen wären allenfalls im Zusammenhang mit einer Bestimmung sinnig, die die Mitteilungspflicht der Rechtsanwälte betreffe (vgl. § 24 Abs. 1 Ziffer 2 BORA). Von der von § 31 BRAO geregelten Eintragung der Daten in die Verzeichnisse hätten die Kammern rein gar nichts, da die Daten von den Kammern stammten. Die Eintragung in die Verzeichnisse stelle daher für die Kammern auch keine Informationsquelle dar. So sei nicht ersichtlich, welchen sachlichen Zusammenhang die Begründung mit der Regelung in § 31 BRAO haben solle. Hinsichtlich der weiter in der Berichtsempfehlung angeführten Verschwiegenheitspflicht der Rechtsanwaltskammern sei geltendes Recht aus der Verordnung über Informationspflichten für Dienstleistungserbringer (DL-lnfoV) unberücksichtigt geblieben.
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Zusammenfassend sei festzustellen, dass die in der Entwurfsempfehlung dargelegten Erwägungen nicht geeignet seien, in die Auslegung der Ermächtigung in § 31c Ziffern 1 und 2 BRAO einzufließen. Wollte man demgegenüber die Erwägungen für relevant halten, ergäbe sich daraus die Gesetzeslücke, dass real nicht existierende Verhältnisse geregelt würden. Es sei offen, was der Gesetzgeber geregelt hätte, wenn er die Realität geregelt hätte, dass nämlich ein Interesse der am Rechtsleben Teilnehmenden an der Kenntnis der Wohnanschrift des Rechtsanwalts im Falle des Fehlens einer Kanzlei bestehe. Jedenfalls habe der Gesetzgeber diese Situationen nicht geregelt. Gleichzeitig sei festzustellen, dass die Verweigerungshaltung der Beklagten die Klägerin in ihren Grundrechten verletze.
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Auch wenn die Klägerin ihren Klageanspruch auf die zutreffenden Erwägungen des Gerichts als begründet ansehe, gehe es ihr nicht nur um die Pflicht der Beklagten zur Veröffentlichung der Wohnanschrift, sondern auch um ihren persönlichen Anspruch aus dem SIFG auf Bekanntgabe der Wohnanschrift. Soweit die Beklagte davon ausgehe, dass die Zwecke der Verpflichtung der Rechtsanwälte, der Kammer die Wohnanschrift mitzuteilen, für den Auskunftsanspruch der Klägerin relevant seien, gehe sie fehl. Zumindest in der verwaltungsrechtlichen Theorie handele keine Behörde ohne Zweck. Es möge zutreffend sein, wie die Beklagte die Zwecksetzung der Datenerhebung in Bezug auf die Wohnanschrift darstelle. Da keine Behörde Daten erhebe, um einen eventuellen oder tatsächlich geltend gemachten Informationsanspruch aus dem IFG und den entsprechenden Ländergesetzen zu erfüllen, würde der Informationsanspruch ins Leere gehen, wenn man mit der Beklagten meine, die Zwecksetzung der Datenerhebung sei für das Bestehen des Informationsanspruchs entscheidend. Die hier nicht gegebenen gesetzlichen Ausnahmefälle könnten vorliegend unberücksichtigt bleiben. Zum Zweck der Vermeidung von Wiederholungen erinnere die Klägerin an die in der Begründung des Widerspruchs vom 31.08.2020 enthaltene schlüssige Darlegung ihres Informationsanspruchs. Der daraus erkennbare Grundsatz, dass der Gesetzgeber vermeiden möchte, dass ein am Rechtsleben Beteiligter abtauchen könne, habe auch in der Verordnung über Informationspflichten für Dienstleistungserbringer (DL-lnfoV) Ausdruck erhalten. Nach § 2 Abs. 1 Ziffer 2 DL-lnfoV hätten Rechtsanwälte eine ladungsfähige Anschrift dem Mandanten mitzuteilen. Unterhalte der Anwalt eine Kanzlei, dann sei die Kanzleianschrift zu offenbaren, im anderen Fall die Wohnanschrift. Nach § 6 Ziffer 1 DL-lnfoV sei die Offenbarungsverpflichtung bußgeldbewehrt. Inhaltlich liege ein vollständiger Gleichklang mit § 31 Abs. 3 Ziffer 2 BRAO vor. Da die von der Beklagten angeführte RAVPV die Offenbarungspflicht der DL-lnfoV nicht einschränken könne, verbleibe auch nach dem Vorbringen der Beklagten der Individualanspruch der Klägerin auf Mitteilung der Wohnanschrift. In der Konsequenz könne sich die Beklagte der Klägerin gegenüber nicht auf ihre Verschwiegenheitspflicht berufen. Über Daten, die der Anwalt ordnungsgeldpflichtig einem Mandanten vorenthalte, habe die Kammer keine Verschwiegenheit zu üben. Die Verschwiegenheitspflicht der Kammer könne nicht weitergehen als das Recht des Mitglieds zum Verschweigen. Damit stünden dem Informationsanspruch der Klägerin keine Rechtsgründe entgegen.
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Auf die Anfrage des Gerichts, ob sie versucht habe, die Wohnanschrift durch eine Anfrage nach § 44 BMG zu erfahren, erklärt die Klägerin mit Schriftsatz vom 14.06. 2021, sie habe bislang bewusst darauf verzichtet, da sie weder die gegenwärtige oder frühere Wohnanschrift noch das Geburtsdatum des Herrn A kenne. So sei bereits nicht erkennbar, bei welchem Einwohnermeldeamt eine Anfrage anzubringen wäre. Unabhängig davon sei nicht zu erwarten, dass das Einwohnermeldeamt von einer geschäftlichen Anschrift ausgehend die Wohnanschrift des Geschäftstreibenden mitteilen könne. Nach § 2 Abs. 1 BMG hätten die Einwohnermeldeämter die Aufgabe, die in ihrem Zuständigkeitsbereich wohnhaften Personen (Einwohner) zu registrieren, um deren Identität und deren Wohnungen festzustellen. Welche Daten erhoben werden dürften, ergebe sich aus § 3 BMG. Hierzu gehörten nicht Daten über Firmen, Gewerbetreibende, geschäftliche Niederlassungen oder Freiberufler. Diese Daten hätten die Einwohnermeldeämter nicht zu erheben oder zu speichern. Die Anschrift der ehemaligen Sozietät des Herrn A dürfe daher von dem Einwohnermeldeamt nicht erhoben oder gespeichert werden. Es sei daher unwahrscheinlich, dass eine an das Saarbrücker EMA gerichtete Anfrage zu Herrn A mit der ehemaligen Kanzleianschrift die Wohnanschrift des Herrn A erbringe, da die von § 44 Abs. 3 Ziffer 1 BMG geforderte Eindeutigkeit der Identität mit der Angabe „nur" der Kanzleianschrift nicht gegeben sei. Die ehemalige Kanzleianschrift sei dem EMA nicht bekannt. Ohne Angabe der letztbekannten Wohnanschrift werde die Eindeutigkeit durch Angabe des Geburtsdatums hergestellt (§ 44 Abs. 3 Ziffer 1 d) BMG). Der Klägerin sei das Geburtsdatum von Herrn A nicht bekannt. Dieses Datum sei auch vor dem Verlust der Zulassung dem amtlichen Anwaltsverzeichnis nicht zu entnehmen gewesen. Nach alledem könne die Klägerin nicht verpflichtet sein, eine kostenpflichtige EMA-Anfrage durchzuführen, da der Erfolg unwahrscheinlich sei. Dennoch habe sie der gerichtlichen Anregung folgend beim EMA Saarbrücken mit den ihr zur Verfügung stehenden Daten angefragt. Die Anfrage habe das Ergebnis erbracht, dass die Auskunft aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen derzeit nicht erteilt werden könne.
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Die Klägerin beantragt,
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die Bescheide des Beklagten vom 06.08.2020 und vom 19.08.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.10.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin die Wohnanschrift des Rechtsanwalts A mitzuteilen
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sowie die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Ihrer Ansicht habe die Klägerin kein qualifiziertes Interesse an der Bekanntgabe der Wohnanschrift des früheren Rechtsanwalts A, welches das Datenschutzinteresse überwiege. Zunächst werde darauf hingewiesen, dass Herr A nicht mehr zur Rechtsanwaltschaft zugelassen sei. Ob er während seiner Zulassung unter dem im bundesweiten amtlichen Anwaltsverzeichnis (BRAV) angegebenen Kanzleianschrift auch tatsächlich eine Kanzlei im Sinne von § 27 Abs. 1 BRAO eingerichtet und unterhalten habe, sei ausschließlich berufsrechtlich relevant. Jedenfalls werde, wenn das nicht der Fall gewesen sein sollte, die Wohnanschrift dadurch nicht automatisch zum Kanzleisitz. Sie verkenne nicht der Begriff der „rein privaten Interessen“. Aus den Anwendungshinweisen zum IFG Bund gehe hervor, dass bei der vorliegend gebotenen Abwägung zwischen dem Informationsinteresse und dem Datenschutzinteresse auch der Verwendungszweck der zu erteilenden Auskunft einfließe und ein rein privates Interesse an der Information/Auskunft regelmäßig das schutzwürdige Interesse des Dritten an der Nichterteilung der Auskunft überwiege. Vorliegend werde die Wohnanschrift zur Geltendmachung eines zivilrechtlichen Anspruchs und später möglicherweise im Vollstreckungsverfahren benötigt. Entgegen der Auffassung der Klägerin seien dies „rein private Interessen“ und eben keine öffentlichen Interessen, da ausschließlich die Risikosphäre der Klägerin betroffen sei. Soweit die Klägerin meine, der Schutz der Personalakte eines Rechtsanwalts sei nur insoweit geschützt, als die Information in einem inneren Zusammenhang mit dem Status des Rechtsanwalts stehe, möge das grundsätzlich zutreffend sein. Allerdings verkenne die Klägerin hier, dass der frühere Rechtsanwalt seine Wohnanschrift gerade im Zusammenhang mit seinem Status als Rechtsanwalt mitgeteilt habe. Die Klägerin verkenne auch, dass das Recht auf Informationszugang im Sinne des IFG ausschließlich dazu diene, die Kontrolle und Transparenz der Staatstätigkeiten einerseits und dem Bürger die Teilnahme an der politischen Willensbildung andererseits zu gewährleisten (Öffentliches Informationsinteresse). Das rein private Interesse an der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche falle bereits nicht unter den Schutzzweck des IFG. Die Klägerin irre auch, wenn sie meine, dass ihr gegenüber der Beklagten ein qualifiziertes Verwendungsinteresse nach Art. 9 Abs. 2 lit. f) DSGVO zustehe und die Auskunft daher ohne Abwägung des Informationsinteresses mit dem Datenschutzinteresse zu erfolgen habe. Bei einem solchen Verständnis wäre die Beklagte unter den Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 Ziffer 9 DSGVO zur Preisgabe sämtlicher Daten bei entsprechender Geltendmachung verpflichtet. Das könne nicht sein, zumal dann auch ein Widerspruch zu den Anwendungshinweisen zum IFG entstünde. Im Übrigen werde auf die Begründung des Widerspruchsbescheides verwiesen.
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Nachdem das Gericht die Beklagte mit Verfügung vom 15.04.2021 darauf hingewiesen hat, dass es in § 31 Abs. 3 Nr. 2 BRAO heiße, dass einzutragen ist „der Name der Kanzlei und deren Anschrift; wird keine Kanzlei geführt, eine zustellfähige Anschrift“, hat diese mit Schriftsatz vom 29.04.2021 ausgeführt: Zum weiteren Verständnis müsse zwischen den elektronischen Verzeichnissen der Rechtsanwaltskammern und dem von der Bundesrechtsanwaltskammer zu führenden Gesamtverzeichnis (vergleiche § 31 Abs. 1 BRAO) unterschieden werden. Die Zusammenfassung aller elektronischen (Regional-) Verzeichnisse der Rechtsanwaltskammern ergebe das Gesamtverzeichnis, das durch die Bundesrechtsanwaltskammer geführt werde ("Bundesweites amtliches Anwaltsverzeichnis"). Die regionalen Verzeichnisse und das Gesamtverzeichnis würden im Übrigen nicht näher durch das Gesetz definiert. Die Einzelheiten der Führung des Gesamtverzeichnisses und der regionalen Verzeichnisse würden allerdings mittlerweile durch die §§ 1 ff. der Rechtsanwaltsverzeichnis- und Postfachverordnung (RAVPV) näher geregelt (vergleiche § 31 c BRAO). Bezüglich der Wohnanschrift treffe die Rechtsanwaltskammer die Verschwiegenheitsverpflichtung nach § 76 Abs. 1 S. 1 BRAO. Lediglich für interne Zwecke dürfe die Wohnanschrift notiert werden und insoweit sei die Aufnahme der Wohnanschrift in die interne Mitgliederverwaltung datenschutzrechtlich zulässig (vergleiche Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 31 Rn. 54). Die in § 31 Abs. 3 Nr. 2 Alt. 2 BRAO getroffene Regelung ("wird keine Kanzlei geführt, eine zustellfähige Anschrift") diene ausschließlich der Erreichbarkeit durch die Rechtsanwaltskammer, wenn keine Kanzlei geführt werde, beispielsweise weil in den ersten drei Monaten nach Zulassung noch keine Kanzlei eingerichtet worden sei (vgl. § 14 Abs. 3 Nr. 1 BRAO). Nur für diese Zwecke enthalte § 31 Abs. 3 Nr. 2 Alt. 2 BRAO eine klarstellende Regelung (vergleiche BT-Drs. 18/6915, Seite 18). Nach § 6 Abs. 2 RAVPV ("Eine anstelle der Kanzleianschrift in das Verzeichnis eingetragene zustellungsfähige Anschrift ist nicht einsehbar") sei die Eintragung der zustellfähigen Anschrift daher in das Verzeichnis nicht vorgesehen (Gaier/Wolf/Göcken, § 31 Rn. 60). So laute es in BT-Drs. 417/16, Seite 27: "Die anstelle der Kanzleianschrift in die Verzeichnisse einzutragende zustellungsfähiger Anschrift dient in erster Linie der Erreichbarkeit durch die Rechtsanwaltskammer und nicht der Information des Rechtsverkehrs. Eine Einsichtnahme darf daher nach Abs. 2 insofern nicht ermöglicht werden." Letztendlich verbleibe es daher dabei, dass die Beklagte insbesondere aus datenschutzrechtlichen Gründen daran gehindert sei, die Wohnanschrift an die Klägerin weiterzugeben.
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Auf die Anfrage des Gerichts vom 10.06.2021, ob sie den ehemaligen Rechtsanwalt nach § 8 Abs. 1 IFG zu dem Antrag angehört habe, hat diese mit Schriftsatz vom 23.06.2021 erklärt, sie habe im Hinblick auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit und des darauf beruhend fehlenden Anspruchs auf Informationszugang davon abgesehen.
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Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Beratung war. | Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 06.08.2020 und vom 19.08.2020 und des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2020 verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Mitteilung der Wohnanschrift des ehemaligen Rechtsanwalts ... unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten der Klägerin im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, falls nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt. | 0 |
Baden-Württemberg | 1 | 1 | 0 | 1
Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit zwei Optionsgeschäften, die die klagende Bauunternehmerin bei der beklagten Bank zur Zinssicherung abgeschlossen hat.
2
Jedenfalls seit 2006 bestand zwischen den Parteien eine Geschäftsbeziehung. Die Klägerin finanzierte verschiedene Bauvorhaben bei der Beklagten und wurde von der Mitarbeiterin K. der Beklagten betreut. Sie hatte Darlehen mit variablen Zinssätzen. Im Jahr 2007 stiegen diese Zinssätze an.
3
Wegen der Zinssteigerungen kam es zunächst zwischen dem Geschäftsführer der Klägerin und Frau K. zu einem Gespräch, in dem es um Zinssicherungen ging. Wenige Tage nach diesem Gespräch rief die Zeugin Sch. von der Beklagten den Geschäftsführer der Klägerin an. In diesem Gespräch stellte die Zeugin Sch. dem Geschäftsführer der Klägerin Zinssicherungsgeschäfte vor, mit denen sich die Klägerin gegen weiter steigende Zinssätze absichern konnte. Die Zeugin Sch. meinte, sie könne der Klägerin solche Geschäfte prämienneutral anbieten.
4
Nachdem der Kläger am 11. September 2007 einen „Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte“ unterzeichnet hatte (Anl. K 1), vereinbarten der Geschäftsführer der Klägerin und die Zeugin Sch. am Tag darauf telefonisch den Abschluss folgender zweier Zinsbegrenzungsgeschäfte:
5
a) Nach der Vereinbarung X (Anl. K 3) sollte die Klägerin am 14. September 2007 eine Prämie in Höhe von 25.000,00 Euro an die Beklagte zahlen und die Beklagte bis zu viermal jährlich an die Klägerin einen Ausgleichsbetrag leisten. Dieser Ausgleichsbetrag sollte zahlbar werden, wenn der dem Geschäft zugrunde liegende veränderliche Zinssatz, der 3-Monats-EURIBOR, zu den Fälligkeitstagen die Marke von 4,75 % überschritt. Der Ausgleichsbetrag sollte sich aus dem Bezugsbetrag von 2,5 Mio. Euro und der Differenz zwischen dem tatsächlichen EURIBOR-Zinssatz und den 4,75 % errechnen.
6
b) Die Vereinbarung mit der Referenz-Nr. Y der Beklagten (Anl. K 2) sah vor, dass die Beklagte an die Klägerin eine Prämie in Höhe von 25.000,00 Euro am 14. September 2007 zahlen sollte.
7
Die Klägerin verpflichtete sich im Gegenzug, bis zu viermal im Jahr Ausgleichszahlungen an die Klägerin zu leisten. Diese Ausgleichszahlungen sollten zu bestimmten Fälligkeitsterminen dadurch entstehen, dass der EURIBOR-Zinssatz die Marke von 4,2 % unterschritt. Der Ausgleichsbetrag berechnete sich aus dem Bezugsbetrag von 2.500.000 Euro und der Differenz des vereinbarten Zinssatzes von 4,2 % und der tatsächlichen Zinshöhe.
8
Beide Vereinbarungen sollten vier Jahre laufen.
9
Aufgrund der Zinsentwicklung leistete zunächst bis Dezember 2008 die Beklagte an die Klägerin insgesamt 3.911,79 Euro, weil der EURIBOR zeitweise die Marke von 4,75 % überschritten hatte. Seit Dezember 2008 sank der Referenzzinssatz jedoch stark, so dass in der Folgezeit die Klägerin aus der zweiten Vereinbarung an die Beklagte bis Dezember 2009 insgesamt 61.715,70 Euro zahlen musste. Im Jahr 2010 forderte die Beklagte die Klägerin zur Zahlung weiterer Raten in Höhe von 22.101,28 Euro (Stand 15. März 2010), 22.434,03 Euro (14. Juni 2010) und 22.246,11 Euro (14. September 2010) auf. Diese Beträge (insgesamt 67.786,10 Euro) zahlte die Klägerin trotz entsprechender Aufforderungen (Anl. WK 4, 5, 7, 8) nicht.
10
Stattdessen wandte sie sich mit anwaltlichem Schreiben vom 13. Juli 2010 an die Beklagte und forderte diese auf, die Verträge zu beenden und den der Klägerin bereits entstandenen Schaden auszugleichen. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 22. September 2010 ab (Anl. K 8). Gleichwohl löste die Beklagte beide Verträge zum 22. Oktober 2010 auf. Der Zahlungsaufforderung kam sie nicht nach, forderte ihrerseits von der Klägerin einen weiteren Differenzbetrag in Höhe von 76.800 Euro (Anl. WK 8). Dies führte zur Klageschrift vom 22. Dezember 2010, die am selben Tag beim Landgericht Stuttgart einging. Außergerichtlich wandte die Klägerin für ihren Rechtsanwalt 3.429,58 Euro auf.
11
Die Klägerin behauptet, von der Beklagten vor Abschluss der streitgegenständlichen Geschäfte fehlerhaft beraten worden zu sein. So habe die Beklagte die Klägerin nicht darüber aufgeklärt, dass es sich um ein synthetisches, von ihr konstruiertes Finanzprodukt und Glücksspiel handele. Bei Abschluss der Verträge hätten diese einen negativen Marktwert gehabt. Die Beklagte habe die Interessen des Klägers nicht richtig eingeschätzt. Die Klägerin sei (nur) an einer Zinssicherung interessiert gewesen. Insbesondere habe die Beklagte den Bezugsbetrag auf 2,5 Mio. Euro festgesetzt, obwohl die Klägerin nur Darlehensverbindlichkeiten in Höhe von etwa 1,5 Mio. Euro gehabt und auch keine weiteren Bauvorhaben geplant hätte. Hätte die Beklagte die Klägerin insbesondere auf die Risiken und die Höhe der zu leistenden Zahlungen aufgeklärt, hätte die Klägerin das Geschäft nicht abgeschlossen und die entsprechenden Zahlungen nicht geleistet. Sie könne daher die Rückabwicklung des Gesamtgeschäfts verlangen und müsse sich die erhaltenen Zinszahlungen anrechnen lassen.
12
Die Klägerin beantragt daher:
13
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 57.803,91 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
14
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, sämtliche weiteren Schäden der Klägerin zu ersetzen, die ihr aus dem am 13. September 2007 mit der Referenz-Nr.: X geschlossenen Zinsbegrenzungsgeschäft in der Form einer Mindestsatzvereinbarung („Floor“) und dem am 13. September 2007 mit der Referenz-Nr.: Y geschlossenen Zinsbegrenzungsgeschäft in der Form einer Höchstsatzvereinbarung („Cap“) noch entstehen.
15
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.429,58 Euro zu zahlen.
16
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
18
Im Wege der Widerklage stellt sie den Antrag:
19
Die Klägerin wird verurteilt, an die Beklagte 143.509,72 Euro zzgl. Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
20
a) aus 22.029,58 Euro seit 16. März 2010,
b) aus weiteren 22.434,03 Euro seit 14. Juni 2010,
c) aus weiteren 22.246,11 Euro seit 14. September 2010 sowie
d) aus weiteren 76.800,00 Euro seit 23. Oktober 2010
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zu zahlen.
22
Die Beklagte trägt vor, dass der Geschäftsführer der Klägerin die streitgegenständlichen Geschäft inhaltlich voll erfasst und für richtig befunden habe. Der Kläger habe bereits Erfahrungen mit Zinssicherungsgeschäften gehabt. Die Beklagte sei dem Bedürfnis nach einer kostenneutralen Zinsobergrenze nachgekommen. Dabei sei es dem Geschäftsführer der Klägerin bewusst gewesen, dass er Ausgleichsbeträge für den Fall zahlen müsste, dass die gleichzeitig vereinbarte Untergrenze unterschritten würde. Über den negativen Marktwert zum Geschäftsbeginn habe die Beklagte nicht aufklären müssen, weil dieser null sei und nur durch die eingepreiste Marge negativ würde. Die sich bei der Beklagten in Abwicklung befindenden Bauträgermaßnahmen hätten ein Volumen von 7.345.000,00 Euro gehabt. Bei Abschluss der Geschäfte sei der Geschäftsführer der Klägerin selbst von der Gefahr steigender Zinsen ausgegangen. Die Klägerin sei weiter selbst davon ausgegangen, dass sie immer einen Grundbedarf an Fremdfinanzierungen in Höhe von 2,5 Mio. Euro haben würde. Schließlich mache die Klägerin ihre Ansprüche auch zu spät geltend. Nachdem die Klägerin ihre Zahlungen zu Unrecht eingestellt habe, sei die Beklagte im Oktober 2010 zur außerordentlichen Kündigung beider Vereinbarungen berechtigt gewesen.
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Das Gericht ließ die Klage am 29. Dezember 2010 zustellen. Es hat den Geschäftsführer der Klägerin persönlich angehört und Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugin Sch. Insoweit wird auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung des Landgerichts Stuttgart vom 06. Juli 2011 (Bl. 64 bis 77 d. A.) verwiesen. | 1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 57.803,91 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 30. Dezember 2010 zu zahlen.
2. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin sämtliche weitere Schäden zu ersetzen, die ihr aus den am 13. September 2007 mit der Beklagten geschlossenen Zinsbegrenzungsgeschäften mit den Nummern X und Y noch entstehen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.748,42 Euro zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Widerklage wird abgewiesen.
6. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
7. Das Urteil ist für die Klägerin vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 150.000,00 Euro.
Wert:
201.313,63 Euro
Klageantrag Ziff. 1:
57.803,91 Euro
Klageantrag Ziff. 2:
143.509,72 Euro
Widerklage: wie Klageantrag Ziffer 2, kein zusätzlicher Wert. | 1 |
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Hessisches Landesarbeitsgericht 6. Kammer | Hessen | 1 | 0 | 29.03.2006 | 0 | Randnummer
1
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte zur Entgeltfortzahlung verpflichtet ist.
Randnummer
2
Die Klägerin klagt aus übergegangenem Recht. Bei ihr war die Arbeitnehmerin der Beklagten A gesetzlich krankenversichert. Die Versicherte und die Beklagte schlossen am 21. Mai 2004 einen Arbeitsvertrag (Bl. 15, 16 bzw. 43, 44 d.A.). Das Arbeitsverhältnis sollte nach diesem schriftlichen Arbeitsvertrag am 01. Juli 2004 beginnen. Die Versicherte wurde als Apothekerin eingestellt. Der Arbeitsvertrag nimmt auf den Bundesrahmentarifvertrag für Apothekenmitarbeiter Bezug. Er enthält eine zweistufige Verfallfrist für die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis und eine Schriftformklausel.
Randnummer
3
Die Arbeitnehmerin war seit dem 14. Juni 2004 arbeitsunfähig krank. Die Klägerin zahlte ab dem 29. Juli 2004 Krankengeld in Höhe von € 55,83 täglich.
Randnummer
4
Die Arbeitsvertragsparteien haben nach dem 01. Juli 2004 eine mündliche Vereinbarung getroffen, den Arbeitsbeginn auf den 01. August 2004 zu verschieben (vgl. Schreiben der Arbeitnehmerin vom 15. Juli 2004, Bl. 28, 29 d.A.). Die Beklagte kündigte dann das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29. Juli 2004 (Bl. 29 d.A.). Im Kündigungsschreiben heißt es:
Randnummer
5
"… wie bereits am 19. Juli 2004 telefonisch besprochen, muss ich leider den Arbeitsvertrag, der am 01.08.2004 beginnen sollte, kündigen, da Sie ja leider bis zu diesem Zeitpunkt nicht wieder arbeitsfähig sind und ich dringend jemand brauche."
Randnummer
6
Die Klägerin begehrt aus übergegangenem Recht 6-wöchige Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 29. Juli bis 08. September 2004 in Höhe von insgesamt € 2.286,75, hilfsweise für die Zeit ab dem 23. August 2004. Die Klägerin machte ihre Ansprüche mit Schreiben vom 11. August, 26. August und 08. September 2004 (Bl. 11 - 14 d.A.) erfolglos geltend und stellte am 21. Dezember 2004, eingegangen beim Arbeitsgericht am 29. Dezember 2004 den Antrag auf Mahnbescheid.
Randnummer
7
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, dass durch die mündlich vereinbarte Verlegung des Beginns des Arbeitsverhältnisses auf den 01. August 2004 der Arbeitsvertrag nicht aufgehoben worden sei. Die ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses stehe im Zusammenhang mit der Arbeitsunfähigkeit und lasse den Anspruch auf Entgeltfortzahlung über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus für insgesamt 6 Wochen nach Ablauf der Wartezeit nicht entfallen. Die Klägerin hat weiter gemeint, dass auch eine Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zum 01. Juli 2004 den Entgeltfortzahlungsanspruch nicht aufhebe. Die Klägerin verweist auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Gleichstellung von Aufhebungsvertrag und Kündigung beim Ausscheiden eines Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis aus Anlass einer Arbeitsunfähigkeit und meint, dass auch die einvernehmliche Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zum 01. Juli 2004 aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit der Versicherten den zu diesem Zeitpunkt bereits aufschiebend bedingt für den Zeitpunkt nach Ablauf der Wartefrist entstandenen Entgeltfortzahlungsanspruch nicht beseitigen konnte.
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Die Klägerin hat beantragt,
Randnummer
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die Beklagte zu verurteilen, an sie € 2.286,75 zuzüglich 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 10. Februar 2005 zu zahlen.
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10
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, dass das Arbeitsverhältnis mit der fristlosen Kündigung vom 29. Juli 2004 wegen des einvernehmlich und unter stillschweigender Aufhebung der arbeitsvertraglichen Schriftformvereinbarung verschobenen Beginns des Arbeitsverhältnisses auf den 01. August 2004 vor seiner Entstehung beendet worden sei; ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall setze jedoch das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses voraus.
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11
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 25. Juli 2005 die Klage abgewiesen. Es hat sich der Rechtsmeinung der Beklagten angeschlossen. Es ist davon ausgegangen, dass ein Arbeitsverhältnis der Parteien nicht begründet wurde, weil dieses Arbeitsverhältnis rechtswirksam erst zum 01. August 2004 entstehen sollte und vor diesem Zeitpunkt durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 29. Juli 2004 beendet wurde. Es hat weiter mit der Beklagten angenommen, dass damit eine Voraussetzung für das Entstehen eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, nämlich das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses nicht gegeben ist. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
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Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin innerhalb der zur Niederschrift über die Berufungsverhandlung am 29. März 2006 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt.
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Die Klägerin meint, das Arbeitsgericht verkenne, dass § 3 Abs. 1 EFZG den Entgeltfortzahlungsanspruch nicht an die tatsächliche Beschäftigung des Arbeitnehmers während de Wartefrist des § 3 Abs. 3 EFZG knüpfe, sondern dass vielmehr der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses genüge. Die Klägerin meint weiter, dass im Streitfall unstreitig ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien, beginnend ab dem 01. Juli 2004, begründet wurde. Die Klägerin meint, dass dieses Arbeitsverhältnis nach dem 01. Juli 2004 nicht mehr mit Rechtswirkung für den Entgeltfortzahlungsanspruch aufgehoben werden konnte. Die Klägerin verweist auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 26. Mai 1999 - 5 AZR 476/98 - und meint, dass Bundesarbeitsgericht habe entschieden, dass auch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses während der Wartezeit die Entstehung eines Entgeltfortzahlungsanspruchs für die Zeit nach Ablauf der Wartezeit nicht vermeiden könne. Die Klägerin meint unter Bezugnahme der Kündigung der Beklagten vom 29. Juli 2004, dass Gleiches für eine krankheitsveranlasste Kündigung nach Ablauf der Wartezeit zu gelten habe.
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14
Die Klägerin beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Gießen vom 25. Juli 2005 - 7 Ca 55/05 - die Beklagte zu verurteilten, an sie € 2.286,75 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 10. Februar 2005 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angegriffene Urteil und meint, dass vorliegend die Kündigung vom 29. Juli 2004 aufgrund des einvernehmlich auf den 01. August 2004 verschobenen Arbeitsbeginns weder während noch nach der Wartefrist des § 3 Abs. 3 EFZG erklärt worden sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf den Berufungsbegründungsschriftsatz der Klägerin vom 11. November 2005 (Bl. 83 - 87 d.A.) und auf den Berufungserwiderungsschriftsatz der Beklagten vom 16. Dezember 2005 (Bl. 91, 92 d.A.) verwiesen. | Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 25. Juli 2005 - 7 Ca 55/05 - abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 2.286,75 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 12. Februar 2005 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird zugelassen. | 0 |
Hessisches Landessozialgericht 6. Senat | Hessen | 0 | 0 | 28.04.2004 | 0 | Randnummer
1
Es geht in dem Rechtsstreit um ein Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wegen Zahlung einer Abfindung gemäß § 117 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) noch für die Zeit vom 1. Oktober 1998 bis zum 4. Februar 1999.
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Die am 7. Juni 1940 geborene Klägerin war ab Oktober 1979 bei der A. Hausgeräte GmbH im Werk A-Stadt als Montiererin beschäftigt. Durch Aufhebungsvertrag vom 12. März 1998 wurde das Arbeitsverhältnis beendet zum 30. September 1998. Der Name der Klägerin befand sich als Nr. 114 auf einer sog. Freisetzungsliste, die dem Betriebsrat übergeben worden war und als Anlage 1b Bestandteil des Vereinbarungspakets aus Betriebsvereinbarung, Interessenausgleich und Sozialplan geworden ist. Nach Auskunft der A. vom 15. Dezember 2000 sei denjenigen, die weder den Aufhebungsvertrag unterschrieben, noch ein befristetes Arbeitsverhältnis mit einer Auffang- und Qualifizierungsgesellschaft abgeschlossen hätten, betriebsbedingt gekündigt worden. Unabhängig von der Form des Ausscheidens hätten alle MitarbeiterInnen, die auf der Freisetzungsliste gestanden hätten, eine Abfindung aufgrund des Sozialplanes erhalten.
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Die Klägerin erhielt eine Abfindung in Höhe von DM 42.000,-.
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Am 17. September 1998 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld.
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Mit Bescheid vom 17. Dezember 1998 stellte die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit bei der Klägerin für die Zeit vom 1. Oktober 1998 bis zum 23. Dezember 1998 fest. Widerspruch und Klage hiergegen führten in dem Verfahren S 5 AL 1212/99 (Sozialgericht Kassel) zu einer Aufhebung des Bescheides durch Anerkenntnis der Beklagten.
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Mit weiterem Bescheid vom 17. Dezember 1998 stellte die Beklagte ein weiteres Ruhen des Leistungsanspruchs nach § 117a AFG für die Zeit vom 24. Dezember 1998 bis zum 25. Februar 1999 fest.
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Mit Bescheid vom 8. März 1999 stellte die Beklagte fest, dass der Leistungsanspruch der Klägerin wegen der gezahlten Abfindung in Höhe von DM 42.000,- gemäß § 117 Abs. 2 und 3 AFG für die Zeit bis zum 4. Februar 1999 ruhe. Durch den gleichzeitigen Eintritt einer Sperrzeit sei die Abfindung zusätzlich noch nach § 117 a AFG zu berücksichtigen. Dadurch errechne sich ein weiteres Ruhen für die Zeit vom 5. Februar bis zum 5. März 1999. Nach § 110 Abs. 1 Nr. 1a AFG
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mindere sich die Dauer des Leistungsanspruchs um 29 Tage. Den Bescheid vom 17. Dezember 1998 über das Ruhen vom 24. Dezember 1998 bis zum 25. Februar 1999 hob die Beklagte wieder auf, ebenso das damit zusammen hängende weitere Ruhen vom 5. Februar bis zum 5. März 1999.
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Gegen den Bescheid vom 8. März 1999 hat die Klägerin am 12. März 1999 Widerspruch eingelegt und u.a. darauf verwiesen, dass § 21 Ziff. 5 des Gemeinsamen Manteltarifvertrages (GMTV) der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Hessen für unwirksam erklärt worden sei, um Ruhenszeiträume zu verhindern. Des Weiteren habe ein Sozialplan vorgelegen, so dass ein Ausscheiden unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist möglich gewesen sei.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. In der Begründung (begrenzt auf die noch streitbefangene Zeit) führte sie aus: Gemäß § 242 Abs. 4 AFG in der bis zum 31.12.97 geltenden Fassung i.V.m. § 427 Abs. 6 Sozialgesetzbuch 3. Buch (SGB 3) seien die Vorschriften der §§ 117, 117a AFG im vorliegenden Fall weiterhin anzuwenden, da die Klägerin in der Rahmenfrist (§ 124 SGB 3) vom 1.10.1995 bis zum 30.9.1998 mehr als 360 Kalendertage vor dem 1. April 1997 beitragspflichtig beschäftigt gewesen sei. Der Klägerin habe nach § 21 Ziff. 5 des maßgeblichen Manteltarifvertrages nur aus wichtigem Grund gekündigt werden können. Entsprechend der Öffnungsklausel habe bei Vorliegen eines Sozialplanes wieder ordentlich gekündigt werden können. Die Klägerin habe eine Abfindung in Höhe von DM 42.000,- erhalten, weshalb trotz Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Ende des Kalendervierteljahres § 117 Abs. 2 Satz 4 AFG zur Anwendung komme. Danach sei eine fiktive Kündigungsfrist von einem Jahr zugrunde zu legen (11. März 1999). Während der letzten Beschäftigungszeit habe die Klägerin kalendertäglich DM 115,58 Einkommen erzielt, woraus sich bei Berücksichtigung von 35 % der Abfindung (DM 14.700,-) ein Ruhen von 127 Kalendertagen, also bis zum 4. Februar 1999 ergebe.
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Gegen den am 26. Juli 1999 zur Post aufgegebenen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 24. August 1999 Klage erhoben und den Zentralen Sozialplan vom 16. Februar 1998 (Anlage 3) vorgelegt sowie eine Betriebsvereinbarung (zugleich Interessenausgleich, Sozialplan und Tarifvertrag), die u.a. eine Tariföffnung hinsichtlich § 21 Ziff. 5 des Manteltarifvertrages enthielt.
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Die Klägerin hat u.a. die Auffassung vertreten, mit den vorgelegten Regelungen sei nachgewiesen, dass ihr nach Aufhebung der Kündigungsschutzklausel wieder habe ordentlich gekündigt werden können, unabhängig vom Vorliegen eines Sozialplanes, nur abhängig von der Zustimmung des Betriebsrates. Die Beklagte hat u.a. vorgetragen, im Falle der Klägerin habe nach Auskunft der Arbeitgeberin § 5 des Sozialplanes, der integraler Bestandteil der Betriebsvereinbarung gewesen sei, Anwendung gefunden. Danach habe der Klägerin nur bei Zahlung einer Abfindung gekündigt werden können, weshalb vorliegend § 117 Abs. 1 Satz 4 AFG Anwendung finde.
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Mit Urteil vom 3. Juli 2001 hat das Sozialgericht Kassel die Klage abgewiesen und dies u.a. damit begründet, die Klägerin habe wegen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses eine Abfindung von DM 42.000,- erhalten. Das Arbeitsverhältnis sei zwar unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist beendet worden, jedoch gelte nach § 117 Abs. 2 Satz 4 AFG (in der bis zum 31.3.1997 geltenden Fassung), der nach § 427 Abs. 6 SGB 3 a.F. i.V.m. § 242 x Abs. 3 AFG Anwendung finde, eine Kündigungsfrist von einem Jahr, da der Klägerin nur bei Zahlung einer Abfindung habe ordentlich gekündigt werden können. Die Alterssicherung nach § 21 Ziff. 5 des Manteltarifvertrages (ab 55. Lebensjahr und 10-jährigem Arbeitsverhältnis Kündigung nur noch aus wichtigem Grund) sei in der Vereinbarung vom 16. Februar 1998 zwischen der A.-Hausgeräte GmbH, dem Gesamtbetriebsrat, den Betriebsräten für die Standorte N., R. und X. sowie den Tarifvertragsparteien außer Kraft gesetzt worden. Dies bedeute, dass der Klägerin wieder habe ordentlich gekündigt werden können. Nach dem Sozialplan habe der Klägerin in diesem Fall jedoch eine Abfindung zugestanden. Zwar sei der Klägerin nicht betriebsbedingt gekündigt worden, sondern es sei ein Aufhebungsvertrag geschlossen worden. Jedoch wäre der Klägerin betriebsbedingt gekündigt worden, wenn sie den Aufhebungsvertrag nicht abgeschlossen hätte. Der Aufhebungsvertrag stehe daher einer betriebsbedingten Kündigung gleich. Eine Abfindung hätte die Klägerin in jedem Fall erhalten. Demzufolge habe der Anspruch auf Arbeitslosengeld nach der zutreffenden Berechnung der Beklagten bis zum 4. Februar 1999 geruht. Verfassungsrechtliche Bedenken habe die Kammer nicht. Sie verweise insoweit auf das Urteil des BSG vom 5.2.1998 (B 11 AL 65/97 R).
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Gegen das am 12. Juli 2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10. August 2001 Berufung eingelegt.
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Die Klägerin trägt vor, durch die Außerkraftsetzung des § 21 Ziff. 5 des einschlägigen Manteltarifvertrages sei sie wieder ordentlich kündbar gewesen. Die maßgebliche Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres sei eingehalten worden. Ergänzend sei auf das Urteil des BSG vom 29.1.2001 (B 7 AL 62/99 R) hinzuweisen, wonach aus verfassungsrechtlichen Gründen eine teleologische Reduktion der einjährigen (fingierten) Kündigungsfrist zu erfolgen habe, wenn die Arbeitgeberin – ohne die tarifliche Kündigungsmöglichkeit bei Vorliegen eines Sozialplanes – im Hinblick auf die Teilbetriebsstilllegung das Recht und damit die Möglichkeit einer fristgebundenen Kündigung aus wichtigem Grund gehabt hätte. Es könne deshalb auch bei ihr (der Klägerin) nur die ordentliche Kündigungsfrist gelten, die eingehalten worden sei.
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16
Die Klägerin hat den zwischen dem Verband der Metall- und Elektrounternehmen Hessen e.V. und der Bezirksleitung Frankfurt der Industriegewerkschaft Metall abgeschlossenen Gemeinsamen Manteltarifvertrag für Arbeiter und Angestellte in der Eisen- Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen (GMTV) i.d.F. vom 18. Dezember 1996 vorgelegt, sowie die Vereinbarung vom 16. Februar 1998, die zwischen den Tarifvertragsparteien des GMTV abgeschlossen worden ist und zugleich als Vertragspartner die Fa. A. Hausgeräte GmbH, den Gesamtbetriebsrat der A.-Hausgeräte GmbH, die Bezirksleitung München der Industriegewerkschaft Metall sowie den Verband der Bayerischen Metall- und Elektro-Unternehmen enthält. In § 3 dieser Vereinbarung ist von den Tarifvertragsparteien des MTV die Außerkraftsetzung der Alterssicherungsregelungen gem. § 21 Ziff. 5 des GMTV vereinbart worden.
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17
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Kassel vom 3. Juli 2001 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 8. März 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juli 1999 über das Teilanerkenntnis vom 12. Februar 2001 hinaus in vollem Umfang aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr vom 1. Oktober 1998 bis zum 4. Februar 1999 Arbeitslosengeld in gesetzlichem Umfang zu zahlen,
hilfsweise
die Revision zuzulassen.
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18
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise
die Revision zuzulassen.
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19
Die Beklagte trägt vor, entscheidend sei, dass der Klägerin nach der zwischen der Arbeitgeberin und dem Gesamtbetriebsrat geschlossenen Betriebsvereinbarung nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich habe gekündigt werden können. Eine weitere realisierbare Möglichkeit zu einer Kündigung ohne Abfindung habe nicht bestanden. Damit sei vorliegend § 117 Abs. 2 Satz 4 AFG anwendbar. Aus eben diesem Grunde komme auch eine Reduzierung der fingierten Kündigungsfrist nach der von der Klägerin zitierten BSG-Entscheidung vom 29. Januar 2001 nicht in Betracht.
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20
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten, der Akte des Sozialgerichtes Kassel (S 5 AL 1212/99) sowie der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen. | I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichtes Kassel vom 3. Juli 2001 aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 8. März 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juli 1999 sowie des Teilanerkenntnisses vom 12. Februar 2001 wird in vollem Umfang aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 1. Oktober 1998 bis zum 4. Februar 1999 in gesetzlichem Umfang zu gewähren.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen. | 1 |
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 9. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 24.08.2012 | 0 | Randnummer
1
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch um die Wirksamkeit der von der Beklagten mit Schreiben vom 20.09.2011 (hilfsweise) erklärten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.10.2011.
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2
Die Klägerin war aufgrund des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 29.04.2008 bei der Beklagten, die regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer i. S. d. § 23 Abs. 1 KSchG beschäftigt, als Diplom-Betriebswirtin in den Bereichen Steuern und Prüfungswesen zu einer Bruttomonatsarbeitsvergütung in Höhe von 2.550,-- € beschäftigt. Zu ihren arbeitsvertraglichen Aufgaben gehörten nach § 1 des Arbeitsvertrages u. a. die Erstellung von Jahresabschlüssen, Gewinnermittlungen und Steuererklärungen, die Erstellung von Finanz- und Lohnbuchhaltungen sowie die fachliche Mitbetreuung dieser Bereiche sowie die Tätigkeit als Prüfungsassistentin bei freiwilligen Prüfungen und Pflichtprüfungen.
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§ 8 des Arbeitsvertrags enthält folgende Bestimmung:
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"(1) Die Arbeitnehmerin hat ihre gesamte Arbeitskraft ausschließlich für die Belange des Arbeitgebers zur Verfügung zu stellen. Jede auf Erwerb gerichtete Nebentätigkeit bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Arbeitgebers. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung berechtigt den Arbeitgeber zur fristlosen Kündigung.
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(2) Die Zustimmung nach Absatz 1 Satz 2 kann nur erteilt werden, wenn die Nebentätigkeit die Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben nicht behindert und sonstige Interessen des Arbeitgebers nicht beeinträchtigt werden."
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Der Lebensgefährte der Klägerin, der mit dieser in häuslicher Gemeinschaft in K. lebt und von dem die Klägerin zum Zeitpunkt des Zugangs der genannten Kündigung ein Kind erwartete, betreibt in M. selbständig ein Steuerbüro, welches nach der eigenen Darstellung im Internet (Bl. 60 ff. d. A.) in weitem Umfang Leistungen anbietet, die auch von der Beklagten angeboten werden. Die Entfernung zwischen dem Betriebssitz der Beklagten und dem Steuerberaterbüro des Lebensgefährten der Klägerin in M. beträgt ca. 67 km. Nach eigenem Sachvortrag der Klägerin befinden sich Unterlagen der Berufsausübung ihres Lebensgefährten nicht nur in dessen M. Büro, sondern auch in der gemeinsamen Wohnung in K.. Dort werden auch Tätigkeiten im Zusammenhang mit der steuerberatenden Tätigkeit ihres Lebensgefährten wahrgenommen so, das Einheften von Unterlagen in Ordner, sonstige Ablage, Einscannen von Dokumenten und entsprechende Zuordnungen in einer Software. In der Wohnung der Klägerin besteht ein D.-Zugang.
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Unter dem 28.12.2010 kam es zwischen der Klägerin und ihrem Lebensgefährten zum Abschluss eines Anstellungsvertrags für geringfügig Beschäftigte (Bl. 323 ff. d. A.). Danach wurde die Klägerin mit Wirkung ab 01.01.2011 als Bürokraft bei einer vertraglich vorgesehenen regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Stunden pro Monat zu einer Vergütung von 400,-- € eingestellt. Nach den Behauptungen der Klägerin belief sich der zeitliche Umfang der tatsächlichen Arbeitszeit hingegen auf lediglich 5 Stunden.
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Die Klägerin informierte die Beklagte über die Tätigkeit bei ihrem Lebensgefährten nicht.
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Vor Abschluss des genannten Anstellungsvertrages geringfügig Beschäftigte versandte die Klägerin von ihrem bei der Beklagten bestehenden E-Mail-Account hinsichtlich dessen streitig ist, ob er auch privat genutzt werden darf, folgende E-Mails:
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10
- Mail vom 19.02.2009 an den Lebensgefährten der Klägerin, Inhalt: Weiterleitung einer am gleichen Tag von der Beklagten an ihre Mitarbeiter übermittelten Mail (Bl. 44 d. A.), der als Anhang eine Verfügung der Oberfinanzdirektionen X und Y. vom 13.02.2009 zum Thema steuerliche Berücksichtigung von Reisekosten ab 2008 beigefügt war (zum Inhalt der Richtlinien vgl. Bl. 326 ff. d. A.).
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- 04.11.2010 E-Mail an Herrn S. (Bl. 47 d. A.) welcher eine Checkliste hinsichtlich der Erstellung von Bilanzen beigefügt war (vgl. Bl. 342 ff. d. A.). Es handelt sich um eine Checkliste, die über einen D.-Zugang abgerufen werden kann. Herr S. war zum Zeitpunkt der Übersendung der E-Mail als Steuerberater in K. tätig.
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- E-Mail vom 25.02.2011 an den Lebensgefährten und an Herrn S. (Bl. 66 d. A.). Weiterleitung eines Rundschreibens des (beitragspflichtigen) Steuerberaterverbandes, welches die Beklagte an alle Mitarbeiter per Mail verteilt hatte.
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Die Klägerin war im Jahre 2011 mit einem voraussichtlichen Entbindungstermin am 27.09.2011 schwanger. Ab dem 05.04.2011 bestanden bis zum Beginn der Mutterschutzfrist vor der Geburt (25.08.2011) durchgängig partielle (Arbeitszeit nicht als mehr 4 Stunden täglich) und absolute ärztliche Beschäftigungsverbote. Ab dem 06.06.2011 bis zum Beginn der Mutterschutzfrist bestand ein absolutes Beschäftigungsverbot.
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Unter dem 18. August 2011 teilte die Klägerin per E-Mail dem Geschäftsführer der Beklagten im Hinblick auf eine Korrektur der Lohnabrechnung mit, dass sie noch einer geringfügigen Beschäftigung nachgegangen sei. Erstmals mit E-Mail vom 19. August 2011 teilte die Klägerin dem Geschäftsführer der Beklagten mit, dass es sich bei der geringfügigen Beschäftigung um eine solche bei ihrem Lebensgefährten handelte.
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Unter dem 30.08.2011 beantragte die Beklagte bei der zuständigen S. und G.die Zulässigerklärung der Kündigung gem. § 9 Abs. 3 MuSchG, welche mit bestandskräftigem Bescheid vom 19.09.2011 (Bl. 28 ff. d. A.) erteilt wurde.
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Die Beklagte kündigte sodann das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 20.09.2011 fristlos und hilfsweise ordentlich zum 31.10.2011. Gegen diese Kündigungen wendete sich die Klägerin mit ihrer am 26.09.2011 beim Arbeitsgericht Kaiserslautern eingegangenen Kündigungsschutzklage.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten, insbesondere des wechselseitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 07.12.2011, Az.: 1 Ca 1549/11 (Bl. 99 ff. d. A.).
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Durch das genannte Urteil hat das Arbeitsgericht unter Abweisung der Klage im Übrigen festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 20.09.2011 aufgelöst worden ist, sondern bis zum 31.10.2011 fortbestanden hat.
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Soweit für das Berufungsverfahren von Interesse, hat das Arbeitsgericht zur Begründung zusammengefasst ausgeführt:
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20
Die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei aus verhaltensbedingten Gründen i. S. d. § 1 KSchG sozial gerechtfertigt. Durch ihre Nebentätigkeit bei ihrem Lebensgefährten, der in einem unmittelbaren Konkurrenzverhältnis zu der Beklagten stehe, habe die Klägerin in schwerwiegender Weise gegen ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen verstoßen. Die Konkurrenztätigkeit beinhalte auch eine unmittelbare Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der Beklagten. Sie habe nicht nur gegen § 8 des Arbeitsvertrages verstoßen, wobei sie nicht habe davon ausgehen können, dass bei Stellung eines entsprechenden Antrags die Nebentätigkeit bei ihrem Lebensgefährten von der Beklagten genehmigt worden wäre. Es liege auch keine nur untergeordnete Hilfstätigkeit ohne Wettbewerbsbezug vor. Dies ergebe sich auch aus den E-Mails vom 09.02.2009 und 25.02.2011. Auch die Interessenabwägung falle zu Lasten der Klägerin aus.
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21
Das genannte Urteil ist der Klägerin am 20.01.2012 zugestellt worden. Sie hat hiergegen mit einem am 13.02.2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der mit Beschluss vom 20.03.2012 bis zum 20.04.2012 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 20.04.2012, beim Landesarbeitsgericht am gleichen Tag eingegangen, begründet.
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Nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie des weiteren Schriftsatzes vom 13.08.2012, auf die jeweils wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 159 ff., 303 ff. d. A.), macht die Klägerin zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen geltend:
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Ein Verstoß gegen das arbeitsvertragliche Nebentätigkeitsverbot scheide aus, da dieses bereits nach § 307 BGB rechtsunwirksam sei. Zu einer Beeinträchtigung des Hauptarbeitsverhältnisses sei es tatsächlich aufgrund des nur geringen zeitlichen tatsächlichen Arbeitsumfanges und der nur untergeordneten Hilfstätigkeiten nicht gekommen.
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Auch ein Verstoß gegen das allgemeine Wettbewerbsverbot scheide aus. Dieses bestehe nicht während des Ruhens des Arbeitsverhältnisses. Das Arbeitsgericht habe auch nicht ausreichend die vom Bundesarbeitsgericht (24.03.2010, 10 AZR 66/09) aufgestellten Grundsätze beachtet. Ebenso wie dem dieser Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt handele es sich bei den für ihren Lebensgefährten ausgeführten um einfache Tätigkeiten, die allenfalls zu einer untergeordneten wirtschaftlichen Unterstützung ohne Berührung schutzwürdiger Interessen der Beklagten habe führen können. Insbesondere auch das Einscannen und die Zuordnung von Dokumenten in der Software D. sei unkompliziert und nach einer kurzen Einweisung ohne Ausbildung ausführbar. Auch im Übrigen seien nur einfachste Bürotätigkeiten ausgeübt worden. Zu berücksichtigen sei ferner, dass sie auf die Einnahmen angesichts der nur geringen Vergütung bei der Beklagten angewiesen gewesen sei. Auch durch die Versendung der E-Mails habe sie nicht gegen das Wettbewerbsverbot verstoßen. Bei dem mit E-Mail vom 19.02.2009 weitergeleiteten Dokument handele es sich um ein solches, welches allgemein verfügbar und zugänglich sei. Auch bei der mit E-Mail vom 04.11.2010 weitergeleiteten Checkliste handele es sich um eine solche, die von jedem Nutzer über D. zugänglich sei und nicht um bei der Beklagten entstandenes geistiges Eigentum. Zudem fehle es in Bezug auf Herrn S. an einer Wettbewerbssituation im Hinblick darauf, dass Herr S. seinerzeit in K. tätig war. Auch bei dem mit E-Mail vom 25.02.2011 weitergeleiteten Rundschreiben des Steuerberaterverbandes handele es sich nicht um interne Informationen oder geistiges Eigentum der Beklagten.
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Auch hinsichtlich ihres Lebensgefährten fehle es im Hinblick auf die räumliche Distanz an einer Konkurrenzsituation. Zudem bestehe ein freundschaftliches Verhältnis. Die Klägerin verweist insoweit darauf, dass ihr Lebensgefährte die Beklagte einem Unternehmen empfahl (vgl. E-Mail Verkehr Bl. 351 ff. d. A.). Die E-Mails seien zudem wegen Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz nicht verwertbar. Es habe zudem kein Verbot der privaten Nutzung des dienstlichen E-Mail-Accounts bestanden. Jedenfalls müsse die Interessenabwägung zu ihren Gunsten ausfallen. Hierbei sei die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bestehende Schwangerschaft, die erhebliche Dauer des Beschäftigungsverhältnisses und die Tatsache zu berücksichtigen, dass sie bereits einem Kind aus einer früheren Beziehung zum Unterhalt verpflichtet sei. Hinsichtlich der Mail vom 25.02.2011 sei zu berücksichtigen, dass die darin liegende Unterstützung ihres Lebensgefährten als Vater des Kindes aufgrund der Schwangerschaft in gewissem Maße hormonell beeinflusst gewesen sei.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 07.12.2011, Az.: 1 Ca 1549/11 teilweise abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die mit Schreiben der Beklagten vom 20.09.2011 hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung zum 31.10.2011 beendet wurde.
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Die Beklagte beantragt,
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29
die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil mit ihren Schriftsätzen vom 23.05. und 23.08.2012, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 240 ff., 359 ff. d. A.). Sie hält die in § 8 des Arbeitsvertrages getroffene Regelung für wirksam. Sie bestreitet, dass die Klägerin nur einfachste Bürotätigkeiten ausgeübt habe. Selbst aber die Zuordnung von Unterlagen in Ordnern oder deren Zuordnung in einer Software setzten Kenntnisse im Steuerberatungsbereich voraus. Die Klägerin habe zudem bereits vor offizieller Aufnahme ihrer Nebentätigkeit ausweislich der vorgelegten E-Mails Konkurrenz unterstützt. Zu berücksichtigen sei insoweit auch, dass die Beklagte überregional tätig sei. Das Arbeitsgericht sei daher zutreffend davon ausgegangen, dass durch die Tätigkeit der Klägerin bei ihrem Lebensgefährten Interessen der Beklagten beeinträchtigt würden. Hinzu komme, dass eine private Nutzung des E-Mail-Accounts nicht gestattet sei. Dass von der Beklagten gezahlte Gehalt sei unter Berücksichtigung der finanziellen Situation vergleichbarer Berufsanfänger angemessen. Die vom Lebensgefährten der Klägerin an diese übermittelten Mails ließen vermuten, dass die Klägerin auch während ihrer Arbeitszeit bei der Beklagten Tätigkeiten für ihren Lebensgefährten entfaltet habe.
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Im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. | I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 07.12.2011, Az.: 1 Ca 1549/11 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
II. Die Revision wird für die Klägerin zugelassen. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 1 | 1
Der seinen Angaben zufolge am 16.01.1988 geborene ledige Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger. Er gehört der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an. Im März 2004 reiste der Kläger nach seinen Angaben auf dem Luftweg in das Bundesgebiet ein und stellte am 17.03.2004 einen Asylantrag. Im Rahmen seiner am 18.03.2004 durchgeführten Anhörung machte der Kläger geltend, er sei in Pakistan wegen seines Glaubens in der Schule schikaniert, insbesondere von Mitschülern, belästigt, beleidigt und geschlagen worden. Die Lehrer hätten zu keinem Zeitpunkt eingegriffen. Nachdem er im Juni 2003 an einer Bushaltestelle von einem Pkw angefahren worden und deshalb zwei Tage im Krankenhaus gewesen sei, habe sein Vater Angst um ihn gehabt und sei der Meinung gewesen, er solle ausreisen.
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Mit Bescheid vom 14.05.2004 - als Übergabeeinschreiben am 24.05.2004 zur Post gegeben - lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen; darüber hinaus wurde dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan angedroht.
3
Am 27.05.2004 hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht erhoben und geltend gemacht: Die Angehörigen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya würden in Pakistan als Gruppe verfolgt. Im Hinblick auf die Regelungen der Qualifikationsrichtlinie vom 29.04.2004 könne der Verfolgungsgrund der Religion nicht mehr nur auf das „forum internum“ beschränkt werden, sondern es seien nunmehr ausdrücklich auch Glaubensausübungen im öffentlichen Bereich mitumfasst. Ahmadis würden in Pakistan vielfach stigmatisiert und ausgegrenzt.
4
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
5
Der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat sich nicht zum Verfahren geäußert.
6
Durch Urteil vom 25. Oktober 2007 - A 2 K 11194/04 - hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Es könne nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Kläger wegen einer asylrelevanten individuellen Vorverfolgung sein Heimatland verlassen habe. Die von ihm geltend gemachten Widrigkeiten in der Schule erreichten nicht das Maß dessen, was verlangt werde, um davon ausgehen zu können, dass seine Flucht aus einer tatsächlich ausweglosen Lage erfolgt sei. Hinsichtlich des vom Kläger geltend gemachten Autounfalls mutmaße er lediglich, wegen seiner Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft von einem Pkw angefahren worden zu sein. Objektive Anhaltspunkte für die Richtigkeit dieser Vermutung habe er nicht benennen können. Soweit sich der Kläger daneben auf die allgemeine Situation von Ahmadis in Pakistan berufe, führe dies ebenfalls nicht zum Erfolg. Es entspreche ständiger Rechtsprechung, dass Angehörigen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unter dem Gesichtspunkt der Anerkennung als Asylberechtigte in Pakistan keiner Gruppenverfolgung ausgesetzt seien. Was die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG betreffe, könne zwar nicht mehr uneingeschränkt davon ausgegangen werden, die Religionsausübung sei nur noch im privaten Bereich geschützt. Die im Hinblick auf Ahmadis in Pakistan dokumentierten Verfolgungsfälle reichten jedoch weiterhin nicht zur Annahme einer für eine Gruppenverfolgung erforderlichen Verfolgungsdichte aus. Bei der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft handele es sich um keine in Pakistan verbotene Sekte. Wegen der bloßen Glaubenszugehörigkeit geschehe den Ahmadis deshalb von staatlicher Seite nichts. Auch mit den muslimischen Nachbarn lebe der weitaus größte Teil der Ahmadis friedlich zusammen. Berichtet werde lediglich weiterhin über einzelne Fälle von Repressionen Dritter gegen Ahmadis. Im Übrigen seien derzeit gegen Ahmadis über 1.000 Strafverfahren nach § 298 C des pakistanischen Strafgesetzbuches anhängig, der es Nicht-Muslimen, zu denen die Ahmadis gerechnet würden, verbiete, sich als Muslime zu bezeichnen oder sich wie Muslime zu verhalten. Angesichts einer Gruppe von nach eigenen Angaben vier Millionen Ahmadis sei dies jedoch zu wenig, um die erforderliche Verfolgungsdichte feststellen zu können. Dies gelte auch dann, wenn man als Vergleichsgröße lediglich 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder zugrunde lege. Die Kammer verkenne nicht, dass Ahmadis darüber hinaus durch eine speziell gegen sie gerichtete Gesetzgebung diskriminiert würden und darüber hinaus Benachteiligungen durch die unteren Instanzen der Verwaltung sowie in den Schulen, Hochschulen und bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst, namentlich bei der Beförderung ausgesetzt seien. Auch wenn nunmehr nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Qualifikationsrichtlinie eine Verfolgungshandlung bereits dann anzunehmen sei, wenn diese in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte bestehe, so müssten diese Verfolgungshandlungen jedoch auch dann so gravierend sein, dass sich die Maßnahmen insgesamt als eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellten. Hierfür reichten die Diskriminierungen und Benachteiligungen, auch wenn man sie zusammenrechne, nach Ansicht der Kammer nicht aus.
7
Das Urteil wurde dem Kläger am 12.11.2007 zugestellt.
8
Am 26.11.2007 hat der Kläger die Zulassung der Berufung beantragt.
9
Durch Beschluss vom 08.01.2008 hat der Senat die Berufung zugelassen, soweit der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, und im Übrigen den Zulassungsantrag abgelehnt.
10
Der Beschluss wurde dem Kläger am 14.01.2008 zugestellt.
11
Am 14.02.2008 hat der Kläger die Berufung unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Zulassungsantrag begründet und einen Antrag gestellt.
12
Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus: Als Verfolgung i. S. des Art. 9 Abs. 2 Abs. 1 Buchst. a QRL gälten nunmehr Handlungen, die sich nach ihrer Art oder Wiederholung als eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellten. Als Verfolgung seien aber nach Buchst. b auch Maßnahmen anzusehen, die so gravierend seien, dass eine Person auf eine ähnliche Weise wie nach Buchst. a betroffen sei. Die Religionsfreiheit sei ein Menschenrecht im Sinne dieser Vorschrift, was sich insbesondere aus Art. 18 Abs. 1 und 27 IPbpR sowie aus Art. 9 Abs. 1 EMRK ergebe. Vor diesem Hintergrund sei ein Rückgriff auf die Rechtsprechung zum Begriff der politischen Verfolgung im Sinne des Art. 16a GG nicht zulässig. Einschränkungen der Religionsfreiheit dürften nur unter Beachtung des Art. 18 Abs. 3 IPbpR sowie Art. 9 Abs. 2 EMRK vorgenommen werden. Die hiernach erforderlichen Gesetze müssten allgemeiner Natur sein, d.h. für alle Staatsbürger, egal welcher religiösen Ausrichtung sie angehörten, gelten. Bezogen auf die Ahmadis in Pakistan bedeutet dies, dass sämtliche gegen die Ahmadis gerichteten Strafgesetze offensichtlich nicht diesen Anforderungen genügten. Bereits diese Regelungen seien für sich genommen daher geeignet, als schwerwiegende Verletzung eines Menschenrechts zu gelten. Mit einzubeziehen seien aber auch die staatlichen Regelungen, wonach Ahmadis, um einen Nationalpass ausgestellt zu bekommen, ihre Glaubensgrundsätze dadurch verleugnen müssten, dass sie sich schriftlich auf einem Sonderformular als Nicht-Moslems bezeichnen müssten. Weiter seien die diskriminierenden Regelungen des Wahlrechts zu berücksichtigen, die es Ahmadis seit längerem unmöglich machten, sich auf normalen Wahllisten als Kandidat aufstellen zu lassen oder die normalen Kandidaten zu wählen, was bewirke, dass Ahmadis an den Parlamentswahlen nicht mehr teilnähmen und daher im Parlament nicht mehr vertreten seien. Es werde insoweit auf den sog. Präsidentenerlass Nr. 15 vom 17.06.2002 zur Ergänzung des Erlasses über die allgemeinen Wahlen 2002 verwiesen. Hiernach müsse unter bestimmten Voraussetzungen ein Formular mit einer Erklärung über die Finalität des Propheten unterzeichnen werden. Falls der Betreffende sich weigere, werde er als Nicht-Muslim betrachtet und sein Name werde aus dem allgemeinen Wahlverzeichnis gestrichen und der Zusatzliste für Nicht-Muslime zugeteilt. Damit werde sowohl das aktive wie auch das passive Wahlrecht deutlich eingeschränkt. Weiter müssten auch die Regelungen bei der Registrierung von Geburten in Betracht gezogen werden, weil bei den öffentlichen Registrierungsstellen die Religion des Kindes bzw. der Eltern angegeben werden müsse. Ahmadis müssten dort „Ahmadi“ angeben und dürften nicht entsprechend ihrem Selbstverständnis „Moslem“ eintragen lassen. Dies führe in Pakistan faktisch zu einer stigmatisierenden Ausgrenzung. Weiter seien die faktischen Beeinträchtigungen im Schul-, Hochschul- und Ausbildungsbereich sowie die Benachteiligungen bei der Einstellung bzw. Beförderung im öffentlichen Dienst zu berücksichtigen. In Bezug auf das Bildungswesen sei darauf zu verweisen, dass die Studenten auf den Antragsformularen ihre Religionszugehörigkeit angeben müssten. Bezeichneten die Ahmadis sich auf diesem Formular als Moslem riskierten sie eine Freiheitsstrafe. Bezeichneten sie sich als Ahmadi, müssten sie damit rechnen, dass ihnen der Zugang verwehrt werde. Würden sie dennoch zugelassen, dürften sie in der Regel nicht am Pflichtfach „Islamyyat“ teilnehmen, was zur Benachteiligung beim Schulabschluss führe. Weiter sei zu verweisen auf die weit verbreiteten Entweihungen der ahmadischen Grab- und Gebetsstätten, der Ausschluss von der Beerdigung auf den meisten Friedhöfen, die Beschränkung der Rede- und Versammlungsfreiheit sowie die Beschränkungen im Bereich der Publizistik. Betrachte man dieses Bündel von diskriminierenden und ausgrenzenden Maßnahmen unterschiedlichen Charakters einerseits sowie andererseits die Tatsache, dass bei einer Gesamtzahl von ca. 2 bis 4 Millionen Ahmadis in Pakistan nur noch ca. 500.000 sog. bekennende Ahmadis lebten, so liege es nahe, dass die weit überwiegende Anzahl der Ahmadis sich nur deshalb nicht traue, sich in der Öffentlichkeit zu ihrem Glauben zu bekennen, um dem auf ihnen lastenden Ausgrenzungsdruck zu entgehen, wobei auch die Existenz und der Vollzug der religiösen Strafgesetze berücksichtigt werden müsse Auch die Anzahl der tätlichen Angriffe von privaten Dritten in Bezug auf religiöses Verhalten der Ahmadis müsse einbezogen werden.
13
Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 25.10.2007 - A 2 K 11194/04 - zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sowie den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 14.05.2004 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
17
Zur Begründung führt sie aus: § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Buchst. b QRL führten grundsätzlich zu keiner anderen Bewertung. Ob Eingriffe in die Religion hinreichend schwerwiegende Rechtsgutverletzungen darstellten, bestimme sich nach Art. 9 QRL. Einschränkungen der religiösen Betätigung als solche stellten nur dann hinreichend schwerwiegende Eingriffe dar, wenn die Religionsausübung gänzlich unterbunden werde oder sie zu einer Beeinträchtigung eines unabdingbaren Teils des religiösen Selbstverständnisses des Gläubigen führten und daher ein Verzicht nicht zugemutet werden könne.
18
Der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten äußert sich wie folgt: Ahmadis würden in Pakistan durch eine speziell gegen sie gerichtete Gesetzgebung diskriminiert. Ihnen sei unter Strafandrohung verboten, sich als Muslime zu bezeichnen oder sich wie Muslime zu verhalten. Bezogen auf die Gesamtzahl der in Pakistan lebenden etwa drei Millionen Ahmadis sei die Gefahr als gläubiger und praktizierender Ahmadi mit einem Ermittlungs- oder Strafverfahren wegen religiöser Delikte überzogen zu werden, jedoch nach wie vor so gering, dass die Verfolgungsdichte für die Annahme einer Gruppenverfolgung nicht ausreiche. Gleiches gelte für die bisher dokumentierten Fälle von Strafverfahren nach dem Antiterrorismusgesetz. So ließen sich bis 2001 etwa 40 Fälle feststellen, in den aufgrund dieses Gesetzes gegen Ahmadis vorgegangen worden sei. Eine andere Bewertung ergebe sich auch nicht aus der nunmehr zu berücksichtigten Qualifikationsrichtlinie. Insoweit werde die Sicht der Beklagten geteilt. Ohnedies könne der Kläger nach Art. 8 QRL auf einen internen Schutz verwiesen werden. Er könne im Schutz der Ahmadyya-Gemeinde in einer der großen Städte Pakistans unbehelligt leben. Davon ausgenommen seien nur solche Personen, die einen überregionalen Bekanntheitsgrad erlangt hätten. Dies sei jedoch im Falle des Klägers nicht anzunehmen.
19
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung ergänzend angehört. Er hat in diesem Zusammenhang folgende Angaben gemacht:
20
Auf Frage, nach seinen Tätigkeiten, die er in Pakistan wie in Deutschland für seinen Glauben ausgeübt habe: Er habe seine religiösen Pflichten erfüllt, er habe Broschüren verteilt. Er habe seine Gebete verrichtet und sei regelmäßig in die Moschee gegangen. Sie hätten Probleme gehabt, sehr viele sogar. In Deutschland arbeite er für die Moschee, er verrichte die Gebete, er gehe zu Veranstaltungen in andere Städte. Er bringe Sachen von einem Ort zum anderen.
21
Auf Frage, ob es eine Gemeinde in Mannheim gebe: Ja, in der Stadtmitte, hinter dem Paradeplatz. Es sei eine Wohnung, die als Moschee genutzt werde.
22
Auf Frage, wie häufig er dort hingehe: Morgens, mittags, nachmittags und abends, er gehe dorthin, um zu beten.
23
Auf Frage: Er habe Zeit, da er nicht arbeiten dürfe.
24
Auf Frage: Normalerweise mache er dies jeden Tag. Manchmal habe er aber auch keine Zeit.
25
Auf Frage: Wenn er auf Ämter gehen müssen oder wenn er Einkaufen gehe.
26
Auf Vorhalt, dass man doch zwischen den Gebeten einkaufen gehen könne: Er habe keine Fahrkarte und auch kein Geld, weshalb er zu Fuß von seiner Wohnung zum Paradeplatz gehen müsse, dies dauere 1 bis 2 Stunden.
27
Auf Frage, ob er jeden Tag vier Mal zu Fuß hin und her gehe: Nach dem Gebet am Nachmittag um 16.00 Uhr bleibe er bis zum Abend.
28
Auf Frage: Morgens gehe er aber immer wieder zurück, auch mittags. Er rufe gelegentlich auch seinen Schwager an, der ihn mit dem Auto mitnehme. Der Schwager habe aber manchmal keine Zeit.
29
Auf Frage nach den Veranstaltungen in anderen Städten: Letztes Wochenende in Bensheim, auch in Groß-Gerau, am Maimarkt, im August werde wieder eine Veranstaltung auf dem Maimarkt sein.
30
Auf Frage: In Bensheim seien sie alle zusammengekommen, sie hätten gebetet und gespielt.
31
Auf Frage: Auf dem Maimarkt, das sei eine große Veranstaltung gewesen. Der religiöse Führer, der Hazur, sei auch gekommen und habe einen Vortrag gehalten. Die Vorbereitungen hätten einen Monat gedauert.
32
Auf Frage, was er dort gemacht habe: Er habe Anweisungen befolgt.
33
Auf nochmalige Frage: Er habe geholfen, das Zelt aufzubauen und habe bei der Reinigung geholfen.
34
Auf Frage nach weiteren Aktivitäten: Es habe Essen gegeben, deutsches und pakistanisches, die Leute hätten miteinander gesprochen und zusammen gebetet.
35
Auf Frage, worüber sie gesprochen hätten: Über den Islam, über die Ahmadiyya, was ein Ahmadi mache, was ein Nicht-Ahmadi mache.
36
Auf Frage, was das bedeute und was er damit meine: Er könne das nicht so genau erklären.
37
Auf erneute Frage: Er habe immer dort seinen Dienst gehabt, er habe Wasser verteilt.
38
Auf Frage, ob er sich also nicht an den Gesprächen beteiligt habe: Doch, doch, er habe alles gehört.
39
Auf Frage des Prozessbevollmächtigten, ob er statt von Gesprächen von einer Ansprache rede: Nach der Ansprache des Hazur hätten die Leute zusammen gesessen und geredet, dann sei die Zeit des Gebets gekommen und sie hätten gebet. Danach seien alle wieder raus gegangen, auch der Hazur. Draußen habe es Essen gegeben, manchmal sei man auch wieder in die Halle zurückgegangen.
40
Auf Frage, ob er sich also nicht an Gesprächen beteiligt habe: Ja.
41
Auf Frage, was der Hazur bei der Ansprache im Einzelnen gesagt habe: Sie sollten dem richtigen Weg folgen, sie sollten zu den Leute gehen und diese überzeugen, dass die Ahmadis eine gute Gemeinde seien, sollten den Leuten sagen, dass sie zu uns kommen sollten, alle Ahmadis sollten das Heilige Buch, den Koran lesen.
42
Auf Frage, ob auch er selbst zu den Leuten gegangen sei, um sie zu überzeugen: In Deutschland ja.
43
Auf Frage, wann, wo und wie er dies mache: Weil er die deutsche Sprache nicht beherrsche, sage er sie sollten in die Moschee kommen.
44
Auf Frage, wem er solches sage: Den Deutschen und anderen Menschen.
45
Auf Vorhalt, dass er doch nicht deutsch spreche: Er spreche gebrochen Deutsch, er sage sie sollten in die Moschee kommen.
46
Der Senat hat den Kläger daraufhin aufgefordert, auf Deutsch zu sagen, wie und mit welchen Worten er andere auffordere, in die Moschee zu kommen.
47
Auf Frage, ob er auch Pakistani anspreche, die keine Ahmadis seien: Nein.
48
Auf Frage, ob er also nur Deutsche anspreche: Nein, alle.
49
Auf Frage, warum er keine Landsleute anspreche: Es habe mal mit einem Landsmann Streit gegeben.
50
Den Vorhalt, dass, wenn er gläubig wäre, er dieses doch in Kauf nehmen müsste, beantwortete der Kläger nicht.
51
Auf Frage nach dem Verteilen von Broschüren in der Heimat: In den Broschüren sei über die Gebete, über unseren Kalifen, über unsere Geschichte geschrieben gewesen. Es seien ein kleines Büchlein und eine Zeitschrift gewesen.
52
Auf Frage, ob dies offiziell von der Ahmadiyya herausgegeben worden sei: Ja.
53
Auf Frage nach dem Namen: Al Khalid und Al Fazal.
54
Auf Frage, wie oft er verteilt habe: Das wisse er nicht.
55
Auf Frage, weshalb er dies nicht wisse: Oft.
56
Auf nochmalige Frage: Wie solle er dies erklären.
57
Auf Frage, wie er verteilt habe: In den Häusern.
58
Auf Frage nach Einzelheiten: Er habe an der Tür geklopft, dann sei jemand gekommen und er habe ihm die Zeitschrift gegeben. Er habe dann den Namen notiert und dies in der Moschee gemeldet. Er habe auch in den Häusern von Nicht-Ahmadis verteilt.
59
Auf Frage, wie er gewusst habe, an wen er verteilten müsse: Sie hätten gewusst, wo Ahmadis gewohnt hätten.
60
Auf Frage, wie viele Jahre er dies gemacht habe: Vier Jahre.
61
Auf Frage, ob dies vom Zeitpunkt der Ausreise gerechnet sei: Ja.
62
Auf Frage, ob es richtig sei, dass er dann mit 12 Jahren begonnen habe: Ja.
63
Auf Frage, ob ihm einmal beim Verteilen etwas zugestoßen sei: Nein.
64
Auf Frage, nach welchen Gesichtspunkten bzw. welchem System er an Nicht-Ahmadis verteilt habe: Der Imam in der Moschee habe es gesagt.
65
Auf Frage, ob er seine Aktivitäten vollständig geschildert habe oder ob er noch etwas anderes gemacht habe: Dies sei alles gewesen.
66
Auf nochmalige Frage, ob er sich da ganz sicher sei: Ja.
67
Auf Vorhalt, dass er bei der Anhörung durch das Bundesamt davon gesprochen habe, dass er Mitgliedsbeiträge gesammelt habe: Ja, das sei richtig.
68
Auf Frage, wie lange er gesammelt habe: 1 ½ bis 2 Jahre.
69
Auf Frage, warum er soeben nichts davon gesagt habe: Es sei nicht in seinen Kopf gekommen.
70
Auf Frage nach den genauen Inhalten seines Glaubens und was diesen von dem anderer Muslime unterscheide: Sie stritten nicht miteinander, sie unterstützten sich gegenseitig, die anderen seien egoistisch. Die anderen seien die Sunniten und Schiiten.
71
Auf Frage, ob dies alle Unterschiede zwischen Ahmadis und Schiiten und Sunniten seien: Er habe alles gesagt.
72
Auf Frage nach dem eigentlichen Grund und Anlass für seine Ausreise: Er habe nicht in die Schule gehen können, er habe Schläge bekommen, er habe deshalb Angst bekommen.
73
Auf Frage, von wem er Schläge bekommen habe: Von Nicht-Ahmadis.
74
Auf Frage, ob dies nur in der Schule gewesen sei: Auch an der Bushaltestelle; die Lehrer hätten nicht eingegriffen, sie hätten sie gehasst.
75
Auf Frage, wie oft dies geschehen sei: Jeden Tag, mit Stöcken und der flachen Hand.
76
Auf Frage, wer geschlagen habe: Mitschüler und andere.
77
Auf Frage, ob dies jeden Tag geschehen sei: Ja, jeden Tag, er habe seinen Eltern davon erzählt, die Polizei habe nicht geholfen, deshalb sei er hier.
78
Auf Frage, wie lange dies angedauert habe: In der Oberschule, 6. Klasse, habe es begonnen, zwei Jahre.
79
Auf Frage, wohin er geschlagen worden sei: Überall hin, z.B. auf den Kopf.
80
Auf Frage, ob man ihm gesagt habe, weshalb man ihn schlage: Weil er ein Ahmadi sei, ein Ungläubiger.
81
Auf Frage, ob er dies tatsächlich zwei Jahre erduldet habe: Ja, jedes Mal, wenn er nach Hause gekommen sei, sei er verletzt gewesen, am Kopf, an den Beinen, Armen.
82
Auf Frage, ob er dies zwei Jahre ausgehalten habe: Ja, die Eltern hätten ihn dann nach Deutschland geschickt.
83
Auf Frage, ob er deswegen auch im Krankenhaus gewesen sei: Nein, nicht richtig im Krankenhaus, immer nur in einer Arztpraxis.
84
Auf Frage, wie lang er dort gewesen sei: Nach der Behandlung sei er wieder nach Hause zurückgekehrt.
85
Auf nochmalige Frage: Nach 10 Minuten oder ¼ Stunde.
86
Auf Frage, wie oft er in dieser Art beim Arzt gewesen sei: Fast jeden Tag.
87
Auf Frage, ob er auch mal länger habe bleiben müssen: Nein, die Eltern hätten ihn immer gleich nach Hause genommen.
88
Auf Vorhalt, dass er beim Bundesamt von einem zweitägigen Krankenhausaufenthalt gesprochen habe: Ja, das sei ein großer Unfall gewesen.
89
Auf Frage, warum er soeben davon nicht berichtet habe: Das Krankenhaus sei nicht in ihrer Stadt gewesen.
90
Auf Frage: Er habe das Bein gebrochen gehabt.
91
Auf Frage, ob er deshalb heute noch Schmerzen habe: Ja.
92
Auf Frage, wie es zu dem Unfall gekommen sei: Er sei in Richtung Bushaltestelle gegangen, dort habe ein weißer Bus gestanden, die hätten gewusst, dass er Ahmadi sei und seien losgefahren und hätten ihn angefahren.
93
Auf Frage, ob er die Leute erkannt habe: Nein.
94
Auf Frage, weshalb er dann wisse, dass die Leute gewusst hätten, dass er Ahmadi sei und ihn gerade deshalb angefahren hätten: Deshalb hätten sie es doch gemacht.
95
Auf Frage des Prozessbevollmächtigten, ob er gebürtiger Ahmadi sei: Ja.
96
Auf dessen Frage, ob er sich vorstellen könne, seinen Glauben zu wechseln: Nein, weil er Ahmadi sei, er sei stolz Ahmadi zu sein.
97
Auf dessen Frage, ob er wisse, warum sie anders seien: Sie glaubten an Mirza Ghulam Ahmad.
98
Auf dessen Frage, warum er Probleme habe: Die anderen glaubten Mohamed sei gestorben, sie glaubten an Quadiani.
99
Auf dessen Frage, ob er etwas von ihm gelesen habe: Nein
100
Auf dessen Frage, ob er im Koran lese: Ja.
101
Auf dessen Frage, warum er Broschüren an Nicht-Ahmadis verteilt habe: Sie glaubten nicht an sie, sie würden unsere Sachen verbrennen, es brächte gar nichts.
102
Auf Frage des Senats, warum sie dann aber die Broschüren verteilt hätten: Sie hätten sie eingeladen.
103
Auf Frage des Prozessbevollmächtigten, ob er ein Bedürfnis habe, Nicht-Ahmadis anzusprechen, auch wenn es Streit gebe: Ja.
104
Auf Frage der Vertreterin der Beklagten, ob auch der Bruder in die Schule gegangen sei und Probleme gehabt habe: Er sei in eine andere Schule gegangen.
105
Auf deren Frage, ob die Eltern es hätten einrichten und mit ihren sonstigen Pflichten hätten vereinbaren können, ihn jeden Tag zum Arzt zu bringen; Ja.
106
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
107
Dem Gericht lagen die Verwaltungsakten des Bundesamtes sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vor. | Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 25. Oktober 2007 – A 2 K 11194/04 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten, die dieser selbst trägt.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
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VG Berlin 29. Kammer | Berlin | 0 | 1 | 07.07.2016 | 1 | Randnummer
1
Die 1960 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige und begehrt die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis. Sie war bereits vom 1979 bis 1991 mit ihrem jetzigen Ehemann verheiratet; aus der ersten Ehe mit ihm sind vier zwischen 1980 und 1989 geborene Kinder hervorgegangen. Der Ehemann lebt seit 1992 in Deutschland und verfügt über eine Niederlassungserlaubnis.
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2
Am 12. April 2000 heiratete sie erneut ihren Ehemann und erhielt am 19. Oktober 2000 eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Ehegattennachzuges, die in der Folgezeit regelmäßig verlängert wurde, zuletzt bis zum 26. Juli 2013. Seit dem 1. September 2012 bezog sie durchgängig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Sie war jedenfalls vorübergehend krankheitsbedingt erwerbsgemindert; eine endgültige Feststellung einer Erwerbsminderung ist nicht erfolgt.
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3
Anlässlich der Vorsprache zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis am 25. Juni 2013 teilte sie mit, seit Dezember 2012 von ihrem Ehemann getrennt zu leben, woraufhin der Beklagte die Aufenthaltserlaubnis gestützt auf § 31 Abs. 1 AufenthG bis zum 31. Dezember 2013 verlängerte. Seitdem stellte der Beklagte ihr nur noch Fiktionsbescheinigungen aus. Mit Bescheid vom 8. Oktober 2015 lehnte der Beklagte die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab, forderte die Klägerin zur Ausreise auf, drohte ihr widrigenfalls die Abschiebung an und befristete die Wirkung einer etwaigen Abschiebung auf zwei Jahre. Zur Begründung wird auf die fehlende Sicherung des Lebensunterhaltes verwiesen; es liege kein Grund vor, von dieser Regelerteilungsvoraussetzung abzusehen. Rechte nach dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 habe sie – soweit ersichtlich – nicht erworben, da sie nicht hinreichend lange erwerbstätig gewesen sei und ihr Ehemann während der ersten drei Jahre ihres Aufenthaltes in Deutschland nicht durchgängig dem Arbeitsmarkt angehört habe.
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4
Gegen die Befristungsentscheidung legte sie am 26. Oktober 2015 Widerspruch ein, der – soweit ersichtlich – noch nicht beschieden ist. Mit der gegen den Bescheid im Übrigen am 22. Oktober 2015 erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, der angegriffene Bescheid berücksichtige nicht hinreichend ihre familiären Bindungen und ihre gesundheitliche Situation. Mit ihrem Ehemann habe sie sich versöhnt; er ist seit dem 26. Januar 2016 wieder unter der gleichen Anschrift gemeldet. Sie beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 8. Oktober 2015 zu verpflichten, die Aufenthaltserlaubnis der Klägerin zu verlängern.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen,
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und verteidigt den angegriffenen Bescheid. Die gesundheitliche Situation stehe – wie durchgeführte Reisen zeigten – einer Rückkehr in die Türkei nicht entgegen. Angesichts der langen Trennung komme eine Verlängerung der bisherigen Aufenthaltserlaubnis zur Wahrung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht in Betracht, sondern lediglich eine Neuerteilung.
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Den mit der Klage gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat das Gericht mit Beschluss vom 4. Januar 2016 – VG 29 L 301.15 – zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 18. Februar 2016 – OVG 11 S 3.16 – zurückgewiesen. Die Klägerin wurde am 19. Mai 2016 in die Türkei abgeschoben. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Ehemannes der Klägerin als Zeugen mit dem aus dem Sitzungsprotokoll vom 7. Juli 2016 ersichtlichen Ergebnis.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die vom Beklagten vorgelegte Ausländerakte der Klägerin verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. | 0 |
LG Hamburg 12. Zivilkammer | Hamburg | 0 | 1 | 20.04.2023 | 0 | Randnummer
1
Die Parteien streiten um Äußerungen der Beklagten im Internet, die die Klägerin für herabsetzend und verunglimpfend bzw. kreditschädigend und behindernd hält.
Randnummer
2
Die Klägerin betreibt eine Internetplattform unter https:// c.. com, die es den Benutzern ermöglicht, BTC, ETH und DFI direkt zu kaufen und auf möglichst transparente Weise Cashflow für ihre Kryptowährungen zu erhalten. Zu den Leistungen der Klägerin gehört das „Lending“, welches dem Nutzer ermöglicht, ein passives Einkommen zu erzielen. Bei dem Programm „Freezer“ legt der Nutzer sein Kapital für einen festgelegten Zeitraum bei der Klägerin an. In beiden Programmen wird das eingesetzte Kapital für einen festen Zeitraum gebunden, beim „Lending“ für die nächsten vier Wochen in Optionskontrakten, beim „Freezer“ für einen festgelegten Zeitraum von einem Monat bis zu zehn Jahren.
Randnummer
3
Die Klägerin hat keine Erlaubnis nach dem KWG zum Betreiben von Bankgeschäften oder Erbringen von Finanzdienstleistungen und wird nicht von der BaFin beaufsichtigt. Die BaFin veröffentlichte am 7.1.2022 die aus der Anlage K 14 ersichtliche Mitteilung, in der sie darüber informierte, dass sie gegen die Klägerin ermittle. In der Mitteilung heißt es: „
Die Inhalte auf der von der C. P.. Ltd. betriebenen Webseite c..com rechtfertigen die Annahme, dass die Gesellschaft unerlaubt Bankgeschäfte bzw. Finanzdienstleistungen in Deutschland betreibt.
“
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4
Die Beklagte betreibt eine Website https://www. b..de, über die sie Informationen zu den Themen Bitcoin, Kryptonwährungen und Blockchain anbietet. Sie unterhält auf ihrer Website und auf ihrem Y.-Kanal auch Empfehlungslinks unter Werbevideos für diverse Krypto-Unternehmen wie N. und andere. So wirbt die Beklagte gemäß der Anlage K4 auf ihrer eigenen Website für Sparpläne des Kryptobrokers N. mit einem 30 €-Willkommensbonus für Neukunden, wenn die Anmeldung über den bereitgestellten Empfehlungslink erfolgt. Gemäß Anlage K3 bittet die Beklagte um finanzielle Unterstützung z.B. durch Spenden oder das Benutzen von Empfehlungslinks z.B. zu den Krypto-Unternehmen N., K., eT und anderen.
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5
Am 7.1.2022 stellte die Beklagte über die Plattform Y. ein Video online, das die Mitteilung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, vom 7.1.2022 über Ermittlungen gegen die Beklagte thematisierte. Bei dem Sprecher des Videos handelte es sich um den Geschäftsführer der Beklagten, Herrn R. R1. Das Video enthielt die mit den Anträgen angegriffenen Äußerungen. Die mit dem Antrag zu I.3 angegriffene Aussage wurde von der Beklagten noch am selben Tag auf Hinweise ihrer Community hin aus dem Video entfernt und ist nicht mehr abrufbar. Die Entfernung wurde von der Beklagten gemäß Anlage K 13 kommentiert und als „falsch dargestellt“ bezeichnet.
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6
Die Klägerin ließ die Beklagte mit Schreiben vom 2.2.2022 unter Fristsetzung bis zum 9.2.2022 abmahnen (Anlage K 15), die Beklagte ließ mit Schreiben vom 9.2.2022 die geltend gemachten Ansprüche zurückweisen (Anlage K 16).
Randnummer
7
Die Klägerin meint, dass die Beklagte Tatsachen verbreite, die nicht erweislich wahr und daher geeignet seien, Betrieb und Kredit der Klägerin zu schädigen. Dies sei nach § 4 Nr. 2 UWG rechtswidrig.
Randnummer
8
Weil die mit dem
Antrag zu I.1
angegriffene Äußerung nicht erweislich wahr sei, seien die Warnung, „dass dort etwas im Gange“ sei und die Aufforderung, sämtliche Bestände von der Plattform der Klägerin abzuziehen, gegenstandslos. Die Beklagte müsse die Wahrheit beweisen, um eine Haftung nach § 4 Nr. 2 UWG auszuschließen.
Randnummer
9
Auch die mit dem
Antrag zu I.2
angegriffene Aussage
„weil C. nicht in Deutschland operieren darf und keine Finanzdienstleistungen in Deutschland anbieten darf, was sie halt tut“;
entspreche nicht den Tatsachen. Denn in der BaFin-Meldung sei nur davon die Rede, dass die Klägerin keine Erlaubnis nach dem KWG besitze, es werde aber nicht festgestellt, dass sie in Deutschland nicht operieren dürfe. Dementsprechend hebe die BaFin in der Überschrift hervor zu ermitteln. Zu dem Begriff "operieren“ sei zu sagen, dass der Geschäftsführer der Klägerin, Herr J. H., ebenfalls Informationen und Schulungen auf Y. per Video anbiete, sodass die Angaben der Beklagten über die Klägerin auch auf ihn ausstrahlten.
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10
Mit der mit dem
Antrag zu I.3
angegriffenen Aussage werde suggeriert, dass nunmehr entsprechende Transfers von der Klägerin, auch vor dem Hintergrund der BaFin-Meldung, bewusst nicht mehr zugelassen würden und somit ein Exit-Scam zu befürchten sei. Die Äußerung, zu raten, die „Funds abzuziehen“ „um sicher zu gehen, dass nichts Schlimmeres passiert“ enthalte Tatsachenbehauptungen. Soweit in der Aussage mit der Warnung und Aufforderung schnell zu handeln, um „das Schlimmste“ [...] zu vermeiden Meinungsäußerungen enthalten seien, seien diese jedenfalls gemäß § 4 Nr. 1 UWG rechtswidrig, da sie die Dienstleistungen der Klägerin herabsetzten bzw. verunglimpften. Ein dringendes Informationsinteresse oder ein schutzwürdiges Aufklärungsinteresse der angesprochenen Verkehrskreise bestehe nicht.
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11
Zwischen den Parteien bestehe ein Wettbewerbsverhältnis im Sinne des § 2 Nr. 3 UWG, die Beklagte hafte als Förderer fremden Wettbewerbs der N. GmbH. Die Wettbewerbsförderungsabsicht werde daran deutlich, dass die Beklagte direkt unter dem Beitrag einen unmittelbaren Affiliate-Link zur Anmeldung auf der Homepage der N. GmbH gesetzt habe. Soweit es sich bei den Äußerungen um Meinungsäußerungen handeln sollte, seien diese gemäß § 4 Nr. 1 UWG rechtswidrig, weil sie die Dienstleistungen der Klägerin herabsetzten bzw. verunglimpften. Es bestehe weder ein dringendes Informationsinteresse noch ein schutzwürdiges Aufklärungsinteresse der angesprochenen Verkehrskreise. Außerdem hielten sich die Äußerungen wegen der enthaltenen Falschbehauptungen nicht im Rahmen des Erforderlichen oder sachlich Gebotenen. Das Verhalten der Beklagten verstoße als unlautere Behinderung auch gegen § 4 Nr. 4 UWG.
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12
Weiter habe die Klägerin einen Unterlassungsanspruch wegen Verletzung Ihres Unternehmenspersönlichkeitsrechts und ihres Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb aus §§ 823 I, 824, 1004 BGB analog. Sie und ihre Tätigkeit würden zu Objekten einer herabwürdigenden Kritik gemacht. Für die warnenden Äußerungen der Beklagten fehle es am Tatsachenkern.
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13
Der Auskunftsanspruch beruhe auf § 242 BGB. Der Schadensersatzfeststellungsanspruch ergebe sich aus §§ 823, 249 BGB.
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14
Der Klagantrag zu IV betreffe die Abmahnkosten nach einem Gegenstandswert von 100.000 € in Höhe einer 1,3-Geschäftsgebühr nebst Telekommunikationspauschale und sei aus § 13 III UWG und den Grundsätzen der GoA gerechtfertigt.
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15
Die Klägerin meint, das Landgericht Hamburg sei örtlich nach § 14 II S. 3 Nr. 1 UWG zuständig, da es vorliegend nicht um Zuwiderhandlungen im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien gehe.
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16
Die Klägerin hatte zu I.1 und zu I.3 zunächst angekündigt zu beantragen:
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17
I. Die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu 2 Jahren,
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18
zu unterlassen,
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19
wörtlich oder sinngemäß Folgendes über die Klägerin öffentlich zu verbreiten:
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20
1. „dementsprechend ist es meine Pflicht, euch darauf hinzuweisen, dass dort was im Gange ist und ihr eventuell noch Handlungsspielraum habt eure Funds vorerst von dieser Plattform abzuziehen, um sicher zu gehen, dass da nichts Schlimmeres bei passiert“;
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21
[...]
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22
3. „mich haben aber ebenfalls Leute kontaktiert, die mittlerweile nicht in der Lage sind, aus dem Lending und Freezer Programm dieser C. D. ihre Funds abzuziehen, also ihre Bestände abzuziehen. Dementsprechend möchte ich hier gerade einfach nur zur Vorsicht raten und euch ja, einen Warnhinweis geben, dass ihr vielleicht in der Lage seid jetzt noch zu handeln und das Schlimmste vielleicht zu vermeiden. Also, dass ihr hier nicht in einem Wertverlust oder im schlimmsten Fall in einen Totalverlust hineinläuft.“;
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23
[...]
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24
In der mündlichen Verhandlung vom 21.3.2023 hat die Klägerin den Antrag zu I.1 um die Worte „meiner Meinung nach“ und den Antrag zu I.3 um das Wort „Plattform“ ergänzt.
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25
Die Klägerin beantragt nunmehr,
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26
I. die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu 2 Jahren,
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27
zu unterlassen,
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28
wörtlich oder sinngemäß Folgendes über die Klägerin öffentlich zu verbreiten:
Randnummer
29
1. „dementsprechend ist es meine Pflicht, meiner Meinung nach euch darauf hinzuweisen, dass dort was im Gange ist und ihr eventuell noch Handlungsspielraum habt eure Funds vorerst von dieser Plattform abzuziehen, um sicher zu gehen, dass da nichts Schlimmeres bei passiert“;
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30
2. „weil C. nicht in Deutschland operieren darf und keine Finanzdienstleistungen in Deutschland anbieten darf, was sie halt tut“;
Randnummer
31
3. „mich haben aber ebenfalls Leute kontaktiert, die mittlerweile nicht in der Lage sind, aus dem Lending und Freezer Programm dieser C. D. Plattform ihre Funds abzuziehen, also ihre Bestände abzuziehen. Dementsprechend möchte ich hier gerade einfach nur zur Vorsicht raten und euch ja, einen Warnhinweis geben, dass ihr vielleicht in der Lage seid jetzt noch zu handeln und das Schlimmste vielleicht zu vermeiden. Also, dass ihr hier nicht in einem Wertverlust oder im schlimmsten Fall in einen Totalverlust hineinläuft.“;
Randnummer
32
wenn dies geschieht, wie in dem Y.-Video vom 07.01.2022 mit dem Titel „ B. ermittelt gegen C. D. von J. H.!“ unter der URL https://www. y..com/ <leer> wie in der Anlage K 8 dargestellt und dessen Inhalt der Video-Datei in Anlage K 10 zu entnehmen ist.
Randnummer
33
II. Die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Auskunft zu erteilen über den Umfang der in Ziffer I. ersichtlichen Handlungen, insbesondere durch Mitteilung der Verbreitungsorte und der entsprechenden Abrufzahlen.
Randnummer
34
III. Festzustellen, dass die Beklagte der Klägerin allen Schaden zu ersetzen hat, der ihr aus der vorstehenden unter Ziffer I. bezeichneten Handlungen entstanden ist oder noch entstehen wird.
Randnummer
35
IV. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.171,50 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Randnummer
36
Der Beklagte beantragt,
Randnummer
37
die Klage abzuweisen.
Randnummer
38
Die Beklagte rügt die örtliche Zuständigkeit, da nach § 14 II S. 3 Nr. 1 UWG i.V.m. § 1 Nr. 2 Konzentrations-VO Wettbewerbstreitsachen das Landgericht Bochum zuständig sei.
Randnummer
39
Die Beklagte meint, dass der Klägerin keine Unterlassungsansprüche zustünden.
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40
Die Berichterstattung der Beklagten über die Mitteilung der BaFin vom 7.1.2022 sei von der Meinungs- und Pressefreiheit sowie der Rundfunkfreiheit der Beklagten gedeckt.
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41
Ansprüche nach dem UWG bestünden nicht, weil die Parteien keine Mitbewerber seien und die Klägerin somit nicht aktivlegitimiert sei. Die Klägerin biete Finanzdienstleistungen an, wohingegen die Beklagte einen Bildungskanal zu den Themen Bitcoin, Kryptowährungen und Blockchain unterhalte und keine Finanzdienstleistungen anbiete. Der Beklagten gehe es einzig, so behauptet sie, um die Information der Öffentlichkeit über die Ermittlungstätigkeit der BaFin gegen die Klägerin.
Randnummer
42
Auch ein mittelbares Wettbewerbsverhältnis liege nicht vor. Das Unterhalten von Affiliate-Links wie vorliegend konkret zur Anmeldung auf der Website der N. GmbH gemäß Anlage K4 sei keine Förderung eines fremden Unternehmens und keine geschäftliche Handlung im Sinne des UWG. Für die Förderung eines fremden Unternehmens sei nicht ausreichend, dass eine Handlung objektiv geeignet sei, ein Unternehmen zu begünstigen.
Randnummer
43
Auch zwischen der N. GmbH und der Klägerin bestehe kein konkretes Wettbewerbsverhältnis, sodass ein mittelbares Wettbewerbsverhältnis aus diesem Grund ausscheide. Die Klägerin sei im Bereich der unmittelbaren Wertschöpfung tätig, wohingegen es sich bei der N. GmbH nur um einen Broker handele. Außerdem verfüge die N. GmbH im Gegensatz zur Klägerin über eine Erlaubnis nach dem Gesetz über das Kreditwesen (KWG) zum Betreiben von Bankgeschäften oder Erbringen von Finanzdienstleistungen. Es handele sich daher nicht um unmittelbare Wettbewerber.
Randnummer
44
Aus Äußerungen des Forumsmitgliedes „ r.“, Klarname R. A., könne nicht auf ein Wettbewerbsverhältnis geschlossen werden, zumal dieser erst mit Wirkung zum 1.4.2021 Mitarbeiter der Beklagten geworden sei
Randnummer
45
Die beanstandeten Äußerungen seien aus dem Zusammenhang gerissen worden, zudem seien sie deutlich als Meinungsäußerungen und eigene Schussfolgerungen gekennzeichnet gewesen. Die Klägerin habe im
Antrag zu I.1
den Text nicht vollständig zitiert, sondern den Bestandteil „meiner Meinung nach“ ausgelassen. Die Angabe I.1 sei zudem wahr, denn mit den Ermittlungen der BaFin sei „etwas“ im Gange.
Randnummer
46
Auch die Angabe gemäß dem
Antrag zu I.2
treffe zu, erkennbar beziehe sie sich auf die Meldung der BaFin, da während der Aussage der Sprecher in den Hintergrund gerückt und die Meldung der BaFin gemäß Anlage B2 im Vollbild dargestellt werde. Die Klägerin dürfe keine Finanzdienstleistungen in Deutschland anbieten, weil sie keine Erlaubnis nach dem KWG habe, biete diese aber dennoch deutschen Kunden an. Die Äußerung, dass die Klägerin nicht in Deutschland operieren dürfe, beziehe sich erkennbar auf die Finanzdienstleistungen.
Randnummer
47
Auch bei der Äußerung gemäß dem
Antrag zu I.3
handele es sich um eine wahre Tatsachenbehauptung, der Geschäftsführer der Beklagten sei in diesem Sinne angesprochen worden. Der Beitrag sei entfernt worden, eine Wiederholungsgefahr bestehe nicht.
Randnummer
48
Die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung seien nicht anwendbar, jedenfalls sei aber von einem hinreichenden Wahrheitsgehalt der behördlichen Information der BaFin auszugehen. Amtlichen Quellen dürfe ein gesteigertes Vertrauen entgegengebracht werden.
Randnummer
49
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die eingereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.3.2023 verwiesen. | I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu 2 Jahren,
zu unterlassen,
wörtlich oder sinngemäß Folgendes über die Klägerin öffentlich zu verbreiten:
[...]
3. „mich haben aber ebenfalls Leute kontaktiert, die mittlerweile nicht in der Lage sind, aus dem Lending und Freezer Programm dieser C. D. Plattform ihre Funds abzuziehen, also ihre Bestände abzuziehen. Dementsprechend möchte ich hier gerade einfach nur zur Vorsicht raten und euch ja, einen Warnhinweis geben, dass ihr vielleicht in der Lage seid jetzt noch zu handeln und das Schlimmste vielleicht zu vermeiden. Also, dass ihr hier nicht in einem Wertverlust oder im schlimmsten Fall in einen Totalverlust hineinläuft.“;
wenn dies geschieht, wie in dem Y.-Video vom 07.01.2022 mit dem Titel „ B. ermittelt gegen C. D. von J. H.!“ unter der URL https://www. y..com/ <leer> wie in der Anlage
K 8
dargestellt und dessen Inhalt der Video-Datei in Anlage
K 10
zu entnehmen ist.
II. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft zu erteilen über den Umfang der in Ziffer I. ersichtlichen Handlungen, insbesondere durch Mitteilung der Verbreitungsorte und der entsprechenden Abrufzahlen.
III. Es wird festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin allen Schaden zu ersetzen hat, der ihr aus der vorstehenden unter Ziffer I. bezeichneten Handlungen entstanden ist oder noch entstehen wird.
IV. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 723,83 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.4.2022 zu zahlen.
V. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
VI. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3 zu tragen.
VII. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Diese beträgt 28.000€ hinsichtlich des Tenors zu I., 3.000 € hinsichtlich des Tenors zu II und im Übrigen 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages. | 1 |
LArbG Berlin-Brandenburg 26. Kammer | Berlin | 0 | 1 | 12.03.2015 | 0 | Randnummer
1
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
Randnummer
2
Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Randnummer
3
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, bei dem dem Kläger vorgeworfenen Verhalten habe es sich um ein steuerbares Verhalten gehandelt. Es habe daher grundsätzlich einer Abmahnung bedurft. Diese sei hier auch nicht entbehrlich gewesen. Fehle es an einem wichtigen Grund, erübrige sich eine Interessenabwägung. Die Beklagte habe angesichts der vereinbarten Probezeit die Möglichkeit gehabt, das Arbeitsverhältnis sehr kurzfristig zu beenden.
Randnummer
4
Die Beklagte hat gegen das ihr am 16. September 2014 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Berlin am 16. Oktober 2014 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 17. Dezember 2014 am 8. Dezember 2014 begründet.
Randnummer
5
Zur Begründung nimmt sie im Wesentlichen Bezug auf ihren erstinstanzlichen Vortrag. Außerdem behauptet sie wieder, dass der Kläger trotz mehrfacher Hinweise auf die mangelhafte Erfüllung seines Arbeitsvertrags sein Verhalten nicht geändert habe. Er sei mehrfach aufgefordert worden, seinen Dokumentationspflichten nachzukommen. Hierauf habe er trotz Fristsetzung entweder gar nicht reagiert oder ungeachtet der Fristsetzung die notwendigen Eintragungen nicht vorgenommen. Ihm sei aber bereits aufgrund der ihm anlässlich des Bewerbungsgesprächs ausgehändigten Unterlagen über das Qualitätsmanagement bei der Beklagten bekannt gewesen, dass gerade die Dokumentation bei der Beklagten von zentraler Bedeutung sei. Wenn er dennoch nicht reagiert habe, sei ihr nichts anderes übrig geblieben, als die fristlose Kündigung auszusprechen.
Randnummer
6
Die Beklagte beantragt,
Randnummer
7
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 22. August 2014 - 26 Ca 7395/14 – teilweise abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit das Arbeitsgericht festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung nicht aufgelöst worden ist.
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8
Der Kläger beantragt, die Klage abzuweisen. Er nimmt ebenfalls im Wesentlichen Bezug auf seinen erstinstanzlichen Vortrag. Er habe die ihm übertragenen Arbeitsaufgaben ordnungsgemäß erfüllt. Er sei im Rahmen von Schulungen in die Durchführung der Aufgaben eingewiesen worden, was unter den Parteien nicht streitig ist. Weder Frau H. noch andere Vorgesetzte hätten ihm gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass seine Arbeitsleistungen mangelhaft seien. In der Berufungsverhandlung hat er seinen Vortrag dahingehend ergänzt, dass es ihm aufgrund seines eigenen Anspruchs bei dem Umgang mit den ihm anvertrauten Personen zeitlich zum Teil nicht mehr möglich gewesen sei, die Dokumentationen in dem durch die Beklagte geforderten Umfang durchzuführen.
Randnummer
9
Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien vom 8. Dezember 2014 und vom 19. Januar 2015. | 1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 22.08.2014 – 26 Ca 7395/14 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Baden-Württemberg | 1 | 1 | 0 | 1
Der Kläger, ein Polizeibeamter des beklagten Landes, erstrebt dessen Verpflichtung zur Gewährung von Heilfürsorge durch Erstattung der Aufwendungen für das Medikament Levitra gemäß Rezept vom 12.07.2007.
2
Im Jahr 2001 wurde beim Kläger ein Adenokarzinom der Prostata diagnostiziert, das eine Prostatektomie erforderlich machte. In der Folge wurde er auf Veranlassung des Polizeiarztes von einem Facharzt für Urologie untersucht, der bei ihm u.a. eine erektile Dysfunktion diagnostizierte. Mit Schreiben vom 20.05.2003 teilte die Landespolizeidirektion Karlsruhe dem Kläger mit, aufgrund der Besonderheiten seines Falls habe der Polizeiarzt einer Ausnahmegenehmigung gemäß § 2 Abs. 5, § 4 Abs. 1 Heilfürsorgeverordnung - HVO - zur Kostenübernahme des Arzneimittels Levitra im Rahmen der Krebsnachsorge zugestimmt. Die Kostenübernahmeerklärung wurde zweimal, zuletzt bis zum 31.12.2005, verlängert.
3
Mit Verfügung vom 16.11.2005 teilte das Landesamt für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg (im Folgenden: Landesamt) dem Kläger mit, nach der Änderung der Arzneimittelverordnung seien Arzneimittel, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund stehe, von der Versorgung ausgeschlossen. Ausgeschlossen seien insbesondere u.a. diejenigen Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz dienten. Nach den vorliegenden Unterlagen sei „Levitra“ zur Nachsorge bzw. zur Behandlung der erektilen Dysfunktion verordnet worden, die Heilfürsorge könne daher die Kosten nicht mehr übernehmen. Im anschließenden Gerichtsverfahren vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe (2 K 1442/06) nahm der Beklagte die Verfügung vom 16.11.2005 und den darauf ergangenen Widerspruchsbescheid mit Vergleich vom 16.07.2007 zurück, nachdem das Gericht dargelegt hatte, für die Beurteilung eines Kostenerstattungsanspruchs nach der Heilfürsorgeverordnung sei allein eine ärztliche Verordnung ausschlaggebend und deshalb sei ein entsprechender Anspruch nur aufgrund einer konkreten ärztlichen Verordnung feststellbar.
4
Am 24.07.2007 beantragte der Kläger beim Landesamt die Erstattung der Kosten des mit Rezept vom 12.07.2007 ärztlich verordneten Medikaments Levitra in Höhe von 164,98 EUR. Diesen Antrag lehnte das Landesamt mit Bescheid vom 06.08.2007 ab; den Widerspruch des Klägers wies es mit Widerspruchsbescheid vom 20.08.2007 zurück.
5
Auf die hierauf erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe den Beklagten mit Urteil vom 06.12.2007 unter Aufhebung des Bescheids des Landesamts vom 06.08.2007 und dessen Widerspruchsbescheids vom 20.08.2007 verpflichtet, dem Kläger Heilfürsorge für die mit Rezept vom 12.07.2007 nachgewiesenen Aufwendungen für das Medikament Levitra in Höhe von 164,98 EUR zu gewähren. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, nach dem hier einschlägigen § 10 Abs. 1 HVO würden Arznei- und Verbandmittel, die zur Behandlung einer Erkrankung oder Verletzung notwendig seien, gewährt, wenn sie vom Arzt, Zahnarzt oder Heilpraktiker verordnet oder verabreicht seien. Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 HVO seien hier erfüllt. Entgegen der Ansicht des Beklagten sei die beim Kläger diagnostizierte erektile Dysfunktion unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendung eine Erkrankung. Das Medikament sei dem Kläger auch (fach-)ärztlich verordnet worden. Zwar könne es die erektile Dysfunktion nicht endgültig heilen, wohl aber das beim Kläger bestehende Funktionsdefizit vorübergehend beseitigen. Dies sei ausreichend, um von einer Behandlung einer Erkrankung im Sinne der Heilfürsorgeverordnung ausgehen zu können. Dem Beklagten sei auch nicht darin zu folgen, dass die Verordnungsfähigkeit des Medikaments Levitra zu Lasten der Heilfürsorge durch die Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums zur Heilfürsorgeverordnung vom 21.12.1998 ausgeschlossen sei. Denn eine Verwaltungsvorschrift könne weder das Gericht binden noch einen Rechtsanspruch des Beamten ausschließen, der sich aus den Vorschriften eines materiellen Gesetzes, hier der Heilfürsorgeverordnung, selbst ergebe. Die Entscheidung darüber, welche Behandlungsmethoden oder Arzneien jeweils ausgeschlossen oder dem Aufwand nach begrenzt seien, müsse sich aus dem „Programm“ der Rechtsverordnung selbst ergeben und könne nicht ohne jegliche bindende Vorgabe in die Zuständigkeit des Vorschriftenanwenders übertragen werden.
6
Gegen dieses ihm am 02.01.2008 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 07.01.2008 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 04.02.2008 begründet. Er beantragt,
7
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 06. Dezember 2007 - 2 K 2793/07 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
8
Zur Begründung trägt er vor, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts seien die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 HVO hier nicht erfüllt. Die Heilfürsorgeverordnung gehe davon aus, dass die Heilfürsorge in der Regel als Sachleistung gewährt werde. Eine solche Sachleistung begehre der Kläger vorliegend nicht; vielmehr begehre er Erstattung der angefallenen Aufwendungen. Demzufolge seien im vorliegenden Fall nicht Vertragsleistungen im Sinne von § 2 Abs. 5 Satz 1 HVO streitgegenständlich. Nach § 2 Abs. 5 Satz 2 HVO könnten die Kosten außervertraglicher Leistungen in Ausnahmefällen grundsätzlich nach Genehmigung übernommen werden. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien nicht erfüllt, denn es fehle an der erforderlichen vorherigen Genehmigung. Diese sei nach § 2 Abs. 5 Satz 2 HVO zwar nur „grundsätzlich“ erforderlich. Im vorliegenden Fall lägen jedoch keine Umstände für die Annahme eines Ausnahmefalls vor, insbesondere sei die Anschaffung des Mittels nicht unaufschiebbar gewesen. Im Rahmen der in § 2 Abs. 5 Satz 2 HVO eröffneten Ermessensentscheidung sei nicht zu beanstanden, dass er sich auf den Ausschluss von Arzneimitteln, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion dienten, nach Nr. 10.1.1 der Verwaltungsvorschrift zur Heilfürsorgeverordnung i.V.m. Nr. 18.2 der Arzneimittel-Richtlinien berufe. Dieser Ausschluss sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts wirksam. Bei der Verwaltungsvorschrift zu § 10 HVO handle es sich um eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift. § 10 HVO enthalte einen offenen Tatbestand. Das Tatbestandsmerkmal „notwendig“ eröffne einen Beurteilungsspielraum, der durch eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift ausgefüllt werden könne. Der Ausschluss potenzsteigernder Mittel von der Heilfürsorge durch eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift begegne daher keinen Bedenken, vor allem im Hinblick darauf, dass diese Verwaltungsvorschrift vom Innenministerium erlassen worden sei, das gemäß § 141 Abs. 2 LBG auch für den Erlass der Heilfürsorgeverordnung zuständig sei. Es sei auch zulässig, den Ausschluss von Medikamenten von der Heilfürsorge durch einen Verweis in der Verwaltungsvorschrift auf die Arzneimittel-Richtlinien vorzunehmen. Das Innenministerium habe durch diesen Verweis zum Ausdruck gebracht, dass die Versorgung der Polizeibeamten mit Arzneimitteln der Versorgung gesetzlich Versicherter entsprechen solle. Durch den Verweis auf die Arzneimittel-Richtlinien habe sich das Innenministerium die fachliche Kompetenz des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zunutze gemacht. Es habe damit nicht die Kompetenz zur Konkretisierung der Heilfürsorgeverordnung an den Gemeinsamen Bundesausschuss abgegeben. Das Innenministerium habe nämlich weiterhin die Möglichkeit, durch Verwaltungsvorschrift die Arzneimittel-Richtlinien zu ergänzen oder einzelne Regelungen der Arzneimittel-Richtlinien auszuschließen. Im Übrigen folge der Ausschluss potenzsteigernder Mittel von der Heilfürsorge auch direkt aus § 10 Abs. 1 HVO. Medikamente, die zur Behandlung der erektilen Dysfunktion dienten, seien keine Arzneimittel im Sinne des § 10 Abs. 1 HVO. Solche potenzsteigernden Mittel dienten nicht der Behandlung einer Krankheit, sondern es stehe die Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund. Das zeige sich vor allem darin, dass die erforderliche Menge sich nach der jeweiligen individuellen Lebensgestaltung und nicht nach einem Krankheitsbild richte. Levitra diene auch nicht der Behandlung der Erkrankung des Klägers. Seine Krankheit sei das Karzinom der Prostata, die erektile Dysfunktion sei lediglich eine Folge dieser Krankheit. Levitra diene der Linderung einer Begleiterscheinung bzw. eines Symptoms. Demnach sei Levitra dem Kläger auch nicht zur Behandlung einer Erkrankung i.S.d. § 10 Abs. 1 HVO verordnet worden. Der Ausschluss potenzsteigernder Mittel von der Heilfürsorge sei auch mit höherrangigem Recht vereinbar. Es lägen keine Verstöße gegen die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, gegen die gesetzliche Fürsorgepflicht gemäß § 98 LBG und gegen Art. 3 GG vor.
9
Der Kläger beantragt,
10
die Berufung zurückzuweisen.
11
Er verteidigt das angefochtene Urteil und macht geltend, der Beklagte verkenne bereits, dass vorliegend eine Sachleistung und keine außervertragliche Leistung im Streit stehe. Die Verordnung eines Medikaments für einen Polizeibeamten durch den behandelnden Arzt stelle gerade die Sachleistung dar. Kein Arzt halte einen Medikamentenschrank vor, mit dem er Polizeibeamte mit Medikamenten versorgen könne. Die in § 10 Abs. 1 HVO beschriebene Sachleistung sei das Gewähren des Arzneimittels durch Verordnung des Arztes. Nichts anderes sei vorliegend geschehen. Die eigentlich streitgegenständliche Frage, ob potenzsteigernde Mittel wirksam nach § 10 Abs. 1 HVO i.V.m. Nr. 10.1.1 der Verwaltungsvorschrift zur Heilfürsorgeverordnung und den Arzneimittel-Richtlinien von der Heilfürsorge ausgeschlossen worden seien, habe das Verwaltungsgericht zutreffend verneint.
12
Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze, wegen der sonstigen Einzelheiten auf die dem Senat vorliegenden Akten des Verwaltungsgerichts Karlsruhe (2 K 1442/06 und 2 K 2793/07) und die einschlägigen Akten des Beklagten verwiesen. | Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 06. Dezember 2007 - 2 K 2793/07 - wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
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VG Neustadt (Weinstraße) 5. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 13.08.2019 | 1 | Randnummer
1
Der Kläger betreibt eine Zahnarztpraxis in S. Bereits aufgrund einer Begehung vom 3. Februar 2015 gelangte das Gesundheitsamt des Beklagten zu der Einschätzung, dass die Aufbereitung der Medizinprodukte in der Praxis nicht sachgerecht erfolgte. Mit Bescheid vom 18. August 2015 wurde dem Kläger daraufhin die Einhaltung der Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert-Koch-Institut (RKI) mit Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten in insgesamt elf Punkten aufgegeben, u.a. betraf dies die fehlende Risikobewertung gemäß den Anforderungen der KRINKO, das Fehlen von Standardarbeitsanweisungen für die manuellen Aufbereitungsschritte der Medizinprodukte und die mangelnde chargenbezogene Kontrolle und Dokumentation von Aufbereitungsschritten. Weitere Beanstandungen betrafen die räumlichen Voraussetzungen für die Aufbereitung und den Sachkundenachweis. Nachdem sich zunächst im dagegen gerichteten Widerspruchsverfahren mehrere Beanstandungen erledigt hatten, weil der Kläger dem nachgekommen war, hob der Beklagte die Verfügung im Rahmen der Anfechtungsklage (5 K 349/17.NW) im Termin vom 16. Januar 2018 auf.
Randnummer
2
Zur Vorbereitung einer weiteren Kontrolle in der Praxis forderte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 16. Februar 2018 auf, bestimmte Fragen zu beantworten bzw. Unterlagen vorzulegen. Daraufhin legte dieser u.a. einen Hygieneplan (Stand 1. März 2018, Bl. 646 der Verwaltungsakte) vor. Die Begehung der Praxis durch den Beklagten erfolgte am 26. April 2018. Mit Schreiben vom 7. Mai 2018 wurden im Anschluss erneut mehrere Verstöße gegen die KRINKO-Empfehlungen aufgelistet. Zugleich wurde der Kläger aufgefordert, innerhalb von vier Wochen den kompletten Aufbereitungsprozess von der Ablage nach Benutzung am Patienten bis zur Lagerung vor Wiederanwendung für alle Instrumentengruppen, insbesondere die Hand- und Winkelstücke, Übertragungsinstrumente und Bohrer gemäß seiner Einstufung durch einen externen Validierer validieren zu lassen und einen entsprechenden Validierungsbericht vorzulegen. Weiter hieß es in dem Schreiben, die Aufbereitung von Medizinprodukten in der Praxis werde untersagt, sollte eine fristgemäße Vorlage nicht erfolgen.
Dagegen wandte sich der Kläger mit einem anwaltlichen Widerspruchsschreiben vom 6. Juni 2018.
Randnummer
3
Mit Verfügung vom 13. Juni 2018 untersagte der Beklagte dann dem Kläger die Aufbereitung und Anwendung von bestimmungsgemäß keimarm oder steril zur Anwendung kommenden Medizinprodukten in seiner Praxis (Ziff. 1). Unter Ziff. 2 erklärte er, die Verwendung von Einmalmaterial sowie die Anwendung von Medizinprodukten, die extern aufbereitet wurden, sei möglich. Die Verwendung von Einmalmaterial sei dem Gesundheitsamt innerhalb von zwei Wochen mitzuteilen. Die externe Aufbereitung sei unter Nennung des Namens und der Anschrift des externen Aufbereiters sowie der Vorlage der entsprechenden Vereinbarung innerhalb von zwei Wochen anzuzeigen. Unter Ziff. 3 erklärte der Beklagte, die Untersagung der Aufbereitung der Medizinprodukte entfalle, wenn dem Gesundheitsamt ein vollständiger Nachweis darüber erbracht werde, dass die KRINKO-Empfehlungen beachtet werden oder ein vollständiger Nachweis durch einen externen Validierer darüber erbracht werde, dass in der Praxis ein anderes gleichwertiges validiertes Verfahren zur Aufbereitung von Medizinprodukten angewendet werde. Außerdem wurde bei Verstößen gegen Ziff. 1 der Verfügung die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 5.000,00 € angedroht (Ziff. 4).
In der Begründung bezog sich der Beklagte insbesondere auf die Begehung vom 26. April 2018, bei der mehrere Abweichungen von den KRINKO-Empfehlungen festgestellt worden seien. Der Ablauf des Aufbereitungsprozesses stimme damit nicht überein, weil unklar bleibe, ob die angewandten Reinigungs- und Desinfektionslösungen aufeinander abgestimmt seien. Die praktizierte manuelle Aufbereitung von Hand- und Winkelstücken dürfe nur erfolgen, wenn nach dokumentierten Standardarbeitsanweisungen vorgegangen werde und die Wirksamkeit der Maßnahmen periodisch überprüft werde. In der Praxis finde aber keinerlei Erfolgskontrolle der manuellen Aufbereitung der Hand- und Winkelstücke statt. Eine Validierung erfolge laut Validierungsprotokoll vom 21. März 2017 nur für zuvor maschinell gereinigte und desinfizierte Medizinprodukte. Weitere Beanstandungen betrafen die Aufstellung des Sterilisationsgeräts im Keller (unreiner Bereich). Hierin liege ein Verstoß gegen Anlage 5 der KRINKO-Empfehlungen, wonach nach Möglichkeit eigene Aufbereitungsräume geschaffen werden sollten. Es müsse eine Bereichstrennung in „unrein-rein“ stattfinden. Insofern habe sich auch mangelnde Sachkunde der mit der Aufbereitung betrauten Personen gezeigt. Weil die betreffenden Mitarbeiterinnen ihre Ausbildung vor 2001 als Zahnarzthelferin abgeschlossen hätten, benötigten sie den Nachweis der aktuellen Kenntnis durch Teilnahme an fachspezifischen Fortbildungsmaßnahmen. Hierzu reiche die insoweit vom Kläger angeführte Schulung durch Fa. P. im Jahr 2007 mangels Aktualität nicht aus. Die Untersagung sei auch verhältnismäßig, insbesondere angesichts der Möglichkeit, Einmalmaterial zu verwenden.
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4
Der Kläger legte am 19. Juni 2018 Widerspruch ein und suchte unter dem Aktenzeichen 5 L 849/18.NW um einstweiligen Rechtsschutz nach.
Dazu machte er geltend, die Verfügung komme einer Praxisuntersagung gleich, denn eine Behandlung ohne diverse Medizinprodukte, die nicht als Einmalmaterial zur Verfügung stünden, sei unmöglich.
Der Kläger legte dar, er verwende ein validiertes Verfahren, um den rechtlichen Anforderungen zu entsprechen. Dies könne ohne Weiteres durch einen Sachverständigen beurteilt werden. Die KRINKO-Empfehlungen würden beachtet. Er bezog sich auf die Standardarbeitsanweisungen in seiner Praxis und führte im Einzelnen aus, wie vorgegangen werde. Die „kritisch B“ zu behandelnden Instrumente würden visuell inspiziert und mit dem Alpro-Verfahren innen und außen gereinigt und desinfiziert. Anschließend erfolge eine visuelle Inspektion. Äquivalenznachweise würden durch Restproteinbestimmungen in vierwöchentlichen Abständen erbracht. Unrichtig sei daher, dass eine Validierung der manuellen Reinigung und Desinfektion der Hand- und Winkelstücke nicht erfolge. Der Kläger legte insoweit Laborberichte der Fa. H. vom 18. Juli 2018 über eine „Reinigungsleistungsprüfung gemäß DIN ISO 15883“ betreffend Hand- und Winkelstücke (Bl. 260 ff der Gerichtsakte im Eilverfahren) vor.
Weiter trug er vor, auch die Aufstellung des Sterilisationsgeräts im Keller werde zu Unrecht beanstandet, denn dies führe nicht zu negativen Einflüssen auf den Aufbereitungsprozess. Auch fehle es den Verantwortlichen nicht an der Sachkunde, denn die Mitarbeiterinnen würden mehrfach jährlich geschult. Dazu seien Nachweise vorgelegt worden.
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Der Beklagte erklärte im Eilverfahren, die Ausführungen des Klägers zur Einhaltung der KRINKO-Empfehlungen seien widersprüchlich. Es sei aber korrekt, dass er manuelle Reinigungsschritte durchführe, die in Standardarbeitsanweisungen beschrieben würden. Ein tragfähiger Äquivalenznachweis der manuellen Aufbereitung der Übertragungsinstrumente werde allerdings nicht geführt, denn dies müsse von einer unabhängigen Stelle geführt werden. Weiter legte der Beklagte dar, welche Kenntnisse die aufbereitenden Personen haben müssten. Nach seiner Ansicht sei der Nachweis der geforderten Kenntnisse beispielsweise erbracht mit einem Zertifikat eines Fachkundelehrgangs II nach Qualifizierungsrichtlinie der DGSV (Deutschen Gesellschaft für Sterilgutversorgung). Es müsse eine externe Bescheinigung vorgelegt werden, eine praxisinterne Validierung sei insofern nicht möglich.
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Nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom 23. Juli 2018 den kompletten Validierungsbericht der Firma M. vom 3. März 2018 (Bl. 224 ff GA Eilverfahren) und weitere Erklärungen der Firma zur Frage der Vorbehandlung (Bl. 268 GA Eilverfahren) vorgelegt hatte, erging unter dem Datum 24. Juli 2018 ein neuer Bescheid, mit dem ihm die Aufbereitung und Anwendung von Medizinprodukten, die als
semikritisch A/B
eingestuft sind und in dem RDG (Reinigungs- und Desinfektionsgerät) der Fa. Miele gereinigt und desinfiziert werden, wieder gestattet wurde.
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7
Anschließend stellte die Kammer mit Beschluss vom 31. Juli 2018 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Verfügung vom 13. Juni 2018 hinsichtlich der Untersagung wieder her, soweit sich die Verfügung nicht durch den neuen Bescheid vom 24. Juli 2018 betreffend die Wiedergestattung der Aufbereitung und Anwendung von Medizinprodukten, die als
semikritisch A/B
eingestuft sind, erledigt hatte. Zur Begründung wurde ausgeführt, im Eilverfahren könne nicht abschließend bewertet werden, ob ein zum Einschreiten berechtigender Verstoß gegen die Vorschriften des Medizinproduktegesetzes – MPG – vorliegt. Die bei noch offenem Verfahrensausgang im Eilverfahren vorzunehmende Interessensabwägung falle zugunsten des Klägers aus. Dabei erwartete die Kammer zur Frage der ausreichenden Erfolgskontrolle des Reinigungsergebnisses bei der manuellen Reinigung der Hand- und Winkelstücke eine Erledigung im Hauptsacheverfahren, nachdem der Kläger bereits mit der Beauftragung eines externen Labors insoweit Schritte eingeleitet hatte. Es bestand der Eindruck, dass der Kläger den Forderungen des Beklagten aus der (alten) Verfügung vom 18. August 2015 in erheblichem Maße nachgekommen war und damit zeigte, dass er in zentralen Punkten an seiner ursprünglich vertretenen Auffassung nicht mehr festhielt. Weiterhin wurde darauf abgestellt, dass die strittigen Punkte des Standorts des Sterilisators und der Sachkunde der mit der Aufbereitung der Medizinprodukte in der Praxis des Antragstellers beauftragten Personen bereits Gegenstand der Verfügung des Antragsgegners vom 18. August 2015, ohne dass seinerzeit die sofortige Vollziehung angeordnet worden war.
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8
Im Widerspruchsverfahren gab das Gesundheitsamt unter dem Datum 28. September 2018 eine ausführliche Stellungnahme ab, die insbesondere die Frage der manuellen Aufbereitung von Medizinprodukten
kritisch B
betraf. Darin wurde ausgeführt, die KRINKO empfehle bei dieser Kategorie grundsätzlich maschinelle Reinigung und fordere im Übrigen eine Äquivalenz der Leistungsfähigkeit manueller und maschineller Verfahren. In Nordrhein-Westfalen würden nur begründete Ausnahmen von maschineller Reinigung akzeptiert. Dies gelte, wenn der Instrumentenhersteller eine maschinelle Reinigung ausschließe und als Alternative keine maschinell aufbereitbaren Medizinprodukte auf dem Markt verfügbar seien. Auch in Baden-Württemberg werde entsprechend einem Leitfaden grundsätzlich die Reinigung und Desinfektion im RDG, d.h. maschinell gefordert.
Der Beklagte selbst vertrat die Ansicht, die manuelle Aufbereitung bei Instrumenten
kritisch B
sei nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Dies werde auch dem Kläger zugestanden, wenn eine externe Validierung erfolge. Der Kläger, der in seiner Praxis kieferchirurgische Maßnahmen an Patienten durchführe und dafür sehr komplex aufgebaute Hand- und Winkelstücke nutze, die er selbst als
kritisch B
einstufe, bereite diese manuell auf, obwohl es maschinelle Möglichkeit seitens der Hersteller gebe und er durch Nachrüsten des RDG (mit bestimmten Aufsätzen) oder Anschaffung eines neuen Geräts der KRINKO folgen könne. Die Eignung des von ihm durchgeführten Alpro-Spraydosen-Verfahrens sei als fraglich anzusehen, da es damit keinen sicheren Nachweis der Reinigung innerer Oberflächen gebe. Außerdem liege für die Abweichung im Prozedere keine externe Überprüfung bzw. Validierung der manuellen Schritte vor. Selbst durchgeführte Proteintests könnten der Eigenkontrolle dienen, aber keinen Beweis für ein validiertes Verfahren bieten, sie stellten keinen Äquivalenznachweis dar. Ohne entsprechende Qualifikation könne ein Betreiber nicht selbst validieren. Die Validierung solle gerade eine unabhängige Prüfung der durchgeführten Prozesse sein. Anforderungen an Validierer, wie sie sich aus der Anlage 7 zur Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Sterilgutversorgung von 2013 ergäben, erfülle der Kläger nicht. Entschließe er sich zur maschinellen Aufbereitung von Instrumenten
kritisch B
im RDG nach einer entsprechenden technischen Nachrüstung oder in einem Zusatzgerät und lasse dieses Vorgehen validieren, liege ein komplett validierter maschineller Prozess vor, womit sich der Streitgegenstand erledigt habe. Entschließe sich der Kläger jedoch, ausgerechnet die am schwierigsten aufzubereitende Gruppe manuell aufzubereiten, verlasse er den KRINKO-Rahmen und müsse sein manuelles Verfahren validieren lassen, um eine Gleichwertigkeit nachzuweisen. Der Kläger habe mit von ihm selbst durchgeführten Restproteinbestimmungen keinen Äquivalenznachweis für die Medizinprodukte
kritisch B
geliefert. Das im eilverfahren (Bl. 288 GA Eilverfahren) vorgelegte Schreiben der Firma M. vom 23. Juli 2018 sei insofern nicht ausreichend, denn die Firma nehme keine Validierung manueller Prozesse vor. Die Laborberichte Fa. H. vom 18. Juli 2018 genügten ebenfalls nicht zur Erbringung eines Äquivalenznachweises, da der Kläger die Proben selbst genommen habe und sie vom Labor lediglich ausgewertet worden seien. Validierung bedeute aber nicht nur die Beibringung eines Belegs über die erfolgreiche Reinigungsleistung. In der fachlichen Diskussion und im Austausch mit anderen Behörden habe sich die Auffassung etabliert, dass für
kritisch B
eingestufte Medizinprodukte die Restproteinbestimmung als Kontrolle einer ausreichenden Reinigungsleistung von einem unabhängigen Labor durchgeführt und ausgewertet werden müsse.
Es wurde klargestellt, dass der sog. Fachkundelehrgang II nicht für die Aufbereitung, sondern nur für die Validierung der Medizinprodukte gefordert werde. Die Erwartung der Kammer im Eilbeschluss, dass wegen der Beauftragung eines externen Labors die Frage der ausreichenden Erfolgskontrolle des Reinigungsergebnisses sich erledigen dürfte, sei unzutreffend gewesen.
Unter dem Datum 27. November 2018 wurde eine ergänzende Stellungnahme des Gesundheitsamts abgegeben. Danach habe der Kläger bisher keine Validierung seiner manuellen Prozesse durch einen externen Validierer vornehmen lassen. Dieser hätte die Parameter festgelegt, mit denen die einzelnen manuellen Schritte auf ihren Erfolg im Prozess kontrolliert werden könnten, z.B. Proteinnachweis zur Kontrolle des Reinigungserfolgs. Der Validierer lege nach seiner Einschätzung der Prozess-Beobachtung die Art und die Häufigkeit der Durchführung fest. Grundsätzlich werde zu einer externen Prüfung im Rahmen der jährlichen Validierung geraten, weil letztlich nur dieses Fremd-Ergebnis als unabhängig gelten könne. Die Fa. H. habe nur die eingeschickten Proben ausgewertet.
Was die räumlichen Anforderungen anbelange, so werde bei allen Zahnarztpraxen ein separater Aufbereitungsraum gefordert. Dieses habe auch in den vergangenen Fällen der Begehungen nach Erläuterung der Sinnhaftigkeit mit den Praxisbetreibern ausnahmslos umgesetzt werden können.
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9
Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2018 wies der Kreisrechtsausschuss die Widersprüche des Klägers insgesamt zurück.
Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 13. Juni 2018 sei unbegründet. Die Fachbehörde habe dies umfassend schriftlich und in der mündlichen Verhandlung des Kreisrechtsausschusses nachvollziehbar und plausibel dargelegt. Insbesondere sei durch die vom Kläger durchgeführte Restproteinbestimmung nicht der Äquivalenznachweis erbracht worden und damit für die manuell aufbereiteten, als
kritisch B
eingestuften Hand- und Winkelstücke eine Validierung nicht vorgelegt. Es liege grundsätzlich im Kompetenzbereich des Beklagten, welche konkreten Anforderungen er in Bezug auf das gewünschte Ergebnis stelle. Im Übrigen habe der Kläger zwar in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass er sich ebenso wie seine Mitarbeiterinnen zwischenzeitlich einer 16-stündigen Schulung unterzogen habe, ohne allerdings hierfür einen Nachweis vorzulegen.
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10
Am 21. Januar 2019 hat der Kläger Klage erhoben und bezieht sich zur Begründung auf sein Vorbringen im Eilverfahren.
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Er beantragt,
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die Verfügung des Beklagten vom 13. Juni 2018, soweit diese sich nicht durch die Anordnung des Beklagten vom 24. Juli 2018 erledigt hat, und den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 19. Dezember 2018 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er verweist zur Begründung auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Zudem legt er eine Stellungnahme des Landesamts für Soziales, Jugend und Versorgung vom 31. Juli 2019 vor (Bl. 47 GA), in denen die Voraussetzungen aufgelistet sind, unter denen nach Auffassung der Fachbehörde eine manuelle Aufbereitung von
kritisch B
-Instrumenten akzeptiert werden kann.
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16
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren 5 L 849/18.NW sowie auf die von dem Beklagten vorgelegten Verwaltungs- und Widerspruchsakten; ihr Inhalt ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 13. August 2019 gewesen. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. | 0 |
VG Berlin 2. Kammer | Berlin | 0 | 1 | 24.10.2019 | 1 | Randnummer
1
Der Kläger ist ein eingetragener Verein, der ausweislich seiner Satzung die Förderung des demokratischen Staatswesens durch die Förderung der Informationsfreiheit bezweckt. Er begehrt Zugang zu einer Weisung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (im Folgenden: Bundesjustizministerium) an den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (im Folgenden: Generalbundesanwalt) zum Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Landesverrats gegen Mitarbeiter der Organisation „Netzpolitik.org“, deren Vorliegen zwischen den Beteiligten streitig ist, zu dem Schriftverkehr hierzu sowie zu den vom Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Generalbundesanwalt zu diesem Komplex gefertigten Gutachten.
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2
Am 12. August 2015 beantragte der Kläger Zugang zu diesen Informationen beim Bundesjustizministerium durch Übersendung von Kopien unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz. Nachdem ihm mit Schreiben vom 3. September 2015 mitgeteilt worden ist, dass die Bearbeitung seines Antrages noch Zeit in Anspruch nehmen werde, hat der Kläger am 15. September 2015 Klage erhoben, mit der er sein Informationsbegehren weiterverfolgt. Mit Bescheid des Bundesjustizministeriums vom 21. September 2015 hat die Beklagte den Antrag des Klägers abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, die vom Kläger begehrten Unterlagen seien ein Abbild der Ermittlungsakte des Generalbundesanwalts. Sie unterfielen daher den nach § 1 Abs. 3 IFG vorrangigen Regelungen der §§ 474 ff. StPO, so dass das Informationsfreiheitsgesetz keine Anwendung finde.
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3
Die Kammer hat die Klage durch Urteil vom 27. Juni 2016 – VG 2 K 534.15 – abgewiesen, weil sie die Klage mangels Durchführung des erforderlichen Vorverfahrens für unzulässig hielt. Auf die von der Kammer wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassene Sprungrevision hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 22. März 2018 – BVerwG 7 C 21.16 – das Urteil der Kammer vom 27. Juni 2016 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen. Der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat entschieden, dass ein Widerspruchsverfahren ausnahmsweise entbehrlich gewesen ist.
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Zur Begründung der Klage trägt der Kläger vor, das Bundesjustizministerium habe durch die damalige Staatssekretärin Frau H... dem ehemaligen Generalbundesanwalt Herrn R... eine in den Akten des Bundesjustizministeriums dokumentierte Weisung erteilt, einen vom Generalbundesanwalt beauftragten externen Gutachtenauftrag zur Frage des Staatsgeheimnisses zurückzunehmen. Der geltend gemachte Anspruch stehe ihm über § 1 Abs. 1 IFG hinaus auch nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 10 EMRK zu.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 21. September 2015 zu verpflichten bzw. zu verurteilen, ihm Zugang zu der Weisung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz in Sachen Ermittlungsverfahren „Landesverrat“ gegen Herrn B... und andere an den Generalbundesanwalt bzw. dem gesamten Schriftverkehr in dieser Angelegenheit zwischen diesen beiden Behörden und aller vom Bundesamt für Verfassungsschutz und Generalbundesanwalt zu diesem Komplex gefertigten Gutachten durch Übersendung von Kopien zu gewähren.
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7
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bezieht sich auf die Gründe des ergangenen Bescheides. Ergänzend macht sie geltend, amtliche Informationen zu einer Weisung seien nicht vorhanden. Die vom Kläger als Weisung bezeichnete gemeinsame Verabredung von Bundesjustizministerium und Generalbundesanwalt sei mündlich getroffen worden. Die vom Kläger begehrten Informationen seien nicht bei einer Verwaltungstätigkeit angefallen. Vielmehr gehe es hier um Strafrechtspflege, denn das Bundesjustizministerium habe die Informationen als Aufsichtsbehörde des Generalbundesanwalts erhalten. Soweit die vom Kläger begehrten Dokumente vom Bundesamt für Verfassungsschutz verfasst worden seien, sei das Bundesjustizministerium nicht verfügungsberechtigt. Schließlich stünden dem Informationsbegehren des Klägers die Ausschlussgründe des § 3 Nr. 4, § 3 Nr. 8 und § 3 Nr. 1c IFG entgegen.
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10
Der Kläger hat drei Beweisanträge gestellt, die die Kammer mit in der mündlichen Verhandlung verkündetem Beschluss abgelehnt hat. Wegen der Einzelheiten hierzu wird auf die Sitzungsniederschrift vom 24. Oktober 2019 verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen; diese haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. | Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen. | 0 |
Finanzgericht Berlin-Brandenburg 12. Senat | Berlin | 0 | 1 | 06.09.2018 | 1 | Randnummer
1
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob Kapitalertragsteuer in Höhe von 132,09 € auf die Einkommensteuer 2012 anzurechnen ist.
Randnummer
2
Der Kläger erzielte im Jahr 2009 Dividenden aus spanischen und norwegischen Aktien, für die die B… Bank nach Einführung der Abgeltungsteuer in 2009 unter Berücksichtigung angerechneter ausländischer Quellensteuer von insgesamt 132,09 € Kapitalertragsteuer in Höhe von 88,10 € einbehalten hatte:
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3
Aktien
Dividenden
25% Kapitalertragsteuer
darauf angerechnete ausländische Quellensteuer – begrenzt auf 15% der Einnahmen
einbehaltene Kapitalertragsteuer
Spanien
€ 563,75
€ 140,94
€ 84,56
€ 56,40
Norwegen
€ 317,02
€ 79,26
€ 47,55
€ 31,70
Randnummer
4
Im Streitjahr 2012 belastete die B… Bank den Kläger für die Dividendeneinnahmen von 2009 mit dem Betrag von 132,90 € durch Steuernachforderungen vom 31. Oktober 2012 in Höhe von 84,56 € und vom 4. Dezember 2012 in Höhe von 47,55 €.
Randnummer
5
Der Kläger wandte sich zunächst an die B… Bank und forderte die Rückgängigmachung der Buchung. Die B… Bank erklärte mit ihrem Schreiben vom 28. Dezember 2012, die durchgeführte Korrektur habe ihre Grundlage in den BMF-Schreiben zur Anrechnung spanischer Quellensteuer vom 8. September 2011 - IV C 1-S 2406/10/10001: 002, FMNR3d7000011 – BStBl I 2011, 854 I 2011, 854 (veröffentlicht am 17. Oktober 2011) und zur Anrechnung norwegischer Quellensteuer vom 15. November 2011 - IV C 1-S 2406/10/ 10001:002, 2011/0883660 - BStBl I 2011, 1113 (veröffentlicht am 7. Dezember 2011). Die Bank habe als auszahlende Stelle nach § 44 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Satz 4 Nr. 3a Einkommensteuergesetz (EStG) den Kapitalertragsteuerabzug für Rechnung des Gläubigers vorzunehmen und hierbei den Auslegungen der Finanzverwaltung durch die BMF-Schreiben Folge zu leisten. Das Ziel einer Fehlerkorrektur von Transaktionen ohne Verpflichtung zur Stornierung für bereits abgeschlossene Jahre (sog. Deltakorrektur) sei mit dem Jahressteuergesetz 2010 in § 20 Abs. 3a EStG i.V.m. § 43a Abs. 3 Satz 7 EStG durch den Gesetzgeber vorgeschrieben worden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Schreibens der B… Bank vom 28.12.2012 wird auf Bl. 19 der Gerichtsakte verwiesen.
Randnummer
6
Der Kläger hat das Recht auf Erstattung der ihm für 2009 belasteten spanischen bzw. norwegischen Quellensteuer nicht wahrgenommen.
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7
Aufgrund der Nachforderung von insgesamt 132,09 € erklärte der Kläger im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung 2012 geminderte Kapitalerträge, um eine Erstattung der nachgeforderten Steuerbeträge zu erreichen. Der Beklagte berücksichtigte im geänderten Einkommensteuerbescheid vom 5. September 2013 diesen Minderungsbetrag nicht. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos. Das Klageverfahren, das bei dem Finanzgericht Berlin-Brandenburg unter dem Aktenzeichen 5 K 5382/13 geführt wurde, endete mit einer Hauptsachenerledigung, nachdem die Beteiligten übereinkamen, dass die Anrechnung von Kapitalertragsteuer nicht im Wege der Einkommensteuerfestsetzung, sondern im Erhebungsverfahren im Wege eines Abrechnungsbescheides zu erfolgen habe.
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8
Den daraufhin gestellten Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheides und Anrechnung der Kapitalertragsteuer von 132,09 € lehnte der Beklagte mit Abrechnungsbescheid vom 15. Januar 2016 ab. Das hiergegen geführte Einspruchsverfahren blieb ohne Erfolg.
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9
Mit Einspruchsentscheidung vom 3. März 2016 wies der Beklagte den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück.
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Zur Begründung führte er im Wesentlichen folgendes aus:
Randnummer
11
Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer zu. Erst durch die von der B… Bank als auszahlende Stelle insgesamt in 2009 und 2012 für die in 2009 zugeflossenen Dividenden einbehaltene Kapitalertragsteuer (220,19 €) zuzüglich des darauf entfallenden Solidaritätszuschlages (12,04 €) sei die Steuer zutreffend entsprechend der gesetzlichen Regelungen des § 43 EStG ermittelt worden. Für die im Jahre 2009 vom Kläger erzielten Dividenden aus spanischen und norwegischen Aktien sei gemäß §§ 43 Abs. 1 Nr. 1, 43a Abs. 1 Nr. 1 EStG die Einkommensteuer i.H.v. 25 % des Kapitalertrags durch Abzug vom Kapitalertrag durch die auszahlende Stelle (= B… Bank) zu erheben gewesen. Ausländische Steuern auf den Kapitalertrag seien nach Maßgabe des § 32d Abs. 5 EStG zu berücksichtigen (§ 43a Abs. 3 Satz 1 EStG) gewesen. Danach sei auf die Abgeltungsteuer i.S. § 32d Abs. 1 EStG (= § 43a Abs. 1 Nr. 1 EStG) die auf ausländische Kapitalerträge festgesetzte und gezahlte und um einen entstandenen Ermäßigungsanspruch gekürzte ausländische Steuer auf die deutsche Steuer anzurechnen. Anzurechnen sei eine ausländische Quellensteuer daher nur gemindert um einen bestehenden Ermäßigungs-(=erstattungs-)anspruch. Da sowohl für spanische, als auch für norwegische Dividenden ein Erstattungsanspruch bestanden habe, habe die Kapitalertragsteuer von 25 % des Ertrages nicht um ausländische Quellensteuer gemindert werden dürfen, weshalb der Kläger für die Dividenden die Kapitalertragsteuer in voller Höhe von 25 % schulde und sich folgende Nachforderung ergeben habe:
Randnummer
12
Aktien
Dividenden
25% Kapitalertragsteuer
ursprünglich in 2009 einbehaltene Kapitalertragsteuer
in 2012 nachgeforderte Steuer
Spanien
€ 563,75
€ 140,94
€ 56,40
€ 84,54
Norwegen
€ 317,02
€ 79,26
€ 31,10
€ 47,55
Gesamt
€ 880,77
€ 220,20
€ 88,10
€ 132,09
Solidaritätszuschlag
€ 12,11
€ 4,79
€ 7,25
Randnummer
13
Die Korrektur des fehlerhaften Steuerabzuges durch die Bank sei in zulässiger Weise erfolgt. Den für den Steuereinbehalt geltenden Vorschriften (§§ 43 - 45e EStG) sei weder ein Hinweis auf eine nur eingeschränkte bzw. fehlende Korrekturmöglichkeit eines fehlerhaften Steuereinbehalts zu entnehmen, noch ein Verweis auf die analoge Anwendung der für Verwaltungsakte geltenden Vorschriften der Abgabenordnung (hier bzgl. der Frage Bestandskraft, Änderung usw.). Insoweit existiere keine gesetzliche Regelung, welche es der Bank verwehren könnte, einen festgestellten Fehler bei dem gesetzlich vorgeschriebenen Kapitalertragsteuereinbehalt entsprechend zu korrigieren. Auch aus dem vom Kläger angeführten § 43a Abs. 3 Satz 7 EStG könne nicht abgeleitet werden, dass im Jahre 2012 keine Korrektur des ursprünglich fehlerhaften Steuerabzugs mehr hätte erfolgen dürfen. Zwar sei diese Regelung, wonach die entsprechende Korrektur erst zum Zeitpunkt ihrer Kenntnisnahme durch die Bank vorzunehmen sei, erst mit dem Jahressteuergesetz 2010 eingefügt worden. Eine entsprechende gleichlautende Regelung sei aber bereits im BMF-Schreiben vom 22. Dezember 2009 („Einzelfragen zur Abgeltungsteuer") urspr. Fassung in Rz. 251 enthalten gewesen, wo ausgeführt worden sei, dass im Vorgriff auf eine gesetzliche Änderung Korrekturen beim Kapitalertragssteuerabzug nur mit Wirkung für die Zukunft, d. h. nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Bekanntwerdens des Fehlers vorzunehmen seien. § 43a Abs. 3 Satz 7 EStG regele nicht die Berechtigung der Bank zur Fehlerkorrektur, sondern bestimme nur den Zeitpunkt der Korrektur, indem vorgegeben werde, den beim Steuereinbehalt aufgetretenen materiellen Fehler im Jahr der Kenntnisnahme des Fehlers (hier 2012) und nicht rückwirkend in dem Jahr, in welchem die Kapitalerträge zugeflossen seien (hier 2009) zu beheben, sog. Deltakorrektur.
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14
Der Kläger hat fristgerecht Klage erhoben.
Randnummer
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Zur Klagebegründung beruft er sich im Wesentlichen auf Folgendes:
Randnummer
16
Die streitgegenständliche Kapitalertragsteuer habe im Jahre 2012 nur unter den Voraussetzungen des § 43a Abs. 3 Satz 7 EStG entstehen können. Dessen tatbestandliche Voraussetzungen seien jedoch nicht gegeben. Weder sei eine für die Korrektur erforderliche Veränderung einer Bemessungsgrundlage oder einer Kapitalertragsteuer gegeben, da sich an den in Spanien und Norwegen in 2009 abzuführenden und abgeführten Quellensteuern nichts geändert habe und auch die in Deutschland geltenden Anrechnungsvorschriften unverändert geblieben seien. Geändert habe sich allenfalls die Rechtsmeinung des BMF, wonach jegliche Anrechnung dann unterbleiben solle, wenn im ausländischen Staat Erstattungsansprüche für die anrechenbare Steuer entstehen könnten. Die Änderung einer Rechtsmeinung des BMF erfülle indessen nicht den Tatbestand des § 43a Abs. 3 S. 7 EStG. Weiter hätte eine tatbestandlich zulässige Korrektur nur zum Zeitpunkt der Kenntnisnahme des Kreditinstituts von den änderungsbegründenden Umständen erfolgen dürfen. Aufgrund der Veröffentlichung der BMF-Schreiben im Jahr 2011 sei die Kenntnisnahme durch die betroffenen Banken im gleichen Jahr anzunehmen. Außerdem habe die depotführende Bank schon in 2010 für die laufenden Dividenden aus dem Ausland eine Änderung ihrer Anrechnungspraxis für die ausländische Quellensteuer vorgenommen. Aus diesen Gründen sei im vorliegenden Fall die erst in 2012 erfolgte Korrektur in jedem Fall zu spät erfolgt. Schließlich sei die so genannte Delta-Korrektur erst mit dem Jahressteuergesetz 2010 aus Dezember 2010 eingeführt worden. Eine echte Rückwirkung von Steuergesetzen für bereits abgeschlossene Jahre sei jedoch unzulässig. Einem Anspruch auf Steuernachforderung für das Jahr 2009 stehe des Weiteren auch als (rechtshemmende) Einwendung der vorherige Eintritt der Bestandskraft des Steuerbescheides für 2009 vom 28. Juli 2010 entgegen. Die unstreitig im Ausland abgeführte Quellensteuer müsse im anrechnungsfähigen Umfang auch materiell-rechtlich angerechnet werden. Die Auslegungspraxis der BMF-Schreiben vom 8. September 2011 und 15. November 2011 berühre verfassungsrechtliche Gleichheitsgesichtspunkte, weil die Geltendmachung von Ermäßigungsansprüchen nach dem Antragsprinzip im Ausland in der jeweiligen Landessprache für Kleinanleger unangemessene Übersetzungskosten verursache, so dass er im Vergleich zu institutionellen Großanlegern wirtschaftlich an der Antragstellung gehindert sei.
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17
Zum weiteren ausführlichen Vortrag des Klägers wird auf Blatt 4 bis 14 der Akte verwiesen.
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18
Der Kläger hat bei Klageerhebung zudem die Verzinsung der Erstattungsforderung aus § 233a AO begehrt und zwar ab dem 31. Oktober 2012 auf 84,56 € und bzw. ab 4. Dezember 2012 auf 47,55 €. Diese Begehren hat er nicht aufrechterhalten.
Randnummer
19
Der Kläger beantragt,
den Abrechnungsbescheid zur Einkommensteuer für 2012 vom 15. Januar 2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. März 2016 dahingehend zu ändern, dass die Kapitalertragsteuer für Dividenden des Jahres 2009 aus Spanien und Norwegen in Höhe von € 132,09 angerechnet wird.
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20
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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21
Er hält an den Gründen der Einspruchsentscheidung fest.
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22
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die vom Beklagten vorgelegten Steuerakten verwiesen. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt. | 0 |
AG Gießen Einzelrichter | Hessen | 0 | 1 | 18.01.2019 | 1 | Von der Darstellung eines Tatbestandes wird abgesehen, da ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung nicht gegeben ist (§§ 313a, 511 ZPO). | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. | 0 |
VG Frankfurt 9. Kammer | Hessen | 0 | 1 | 22.01.2003 | 0 | Randnummer
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Der Kläger ist srilankischer Staatsangehöriger tamilischer Volkszugehörigkeit, geboren am 14.03.1968 in Kankesanthurai. Er traf am 11.09.1996 auf dem Flughafen Frankfurt am Main ein und stellte am 14.09.1996 einen Asylantrag. Der Kläger wurde sodann an die Hessische Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge, Außenstelle Kavalleriesand in Darmstadt, weitergeleitet und mit Zuweisungsbescheid des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 23.10.1996 dem Hochtaunuskreis zugewiesen.
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Mit Bescheid vom 19.11.1996 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Die daraufhin vom Kläger am 01.04.1997 erhobene Klage wies das erkennende Gericht durch Urteil vom 14.09.1998 (Geschäfts-Nr.: 9 E 30488/97.A(2)) ab. Das Urteil ist rechtskräftig geworden.
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Am 12.12.2000 stellte der Kläger einen Folgeantrag gem. § 71 AsylVfG unter Hinweis auf die veränderte tatsächliche Lage in seinem Heimatland. Außerdem legte er einen Brief seiner Schwägerin vom 02.08.2000 vor. Mit Bescheid vom 02.03.2001 (Bl. 25 ff. d. Verwaltungsvorgänge) zum Az.: 2636285-431 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Anträge auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und auf Abänderung des Bescheids vom 19.11.1996 bezüglich der Feststellung zu § 53 AuslG ab, da sich die Sach- und Rechtslage im Heimatland des Klägers nicht wesentlich geändert habe. Auch im Hinblick auf den vom Kläger vorgelegten Brief seiner Schwägerin komme ein Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens nicht in Betracht. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Ausführungen im Bescheid vom 02.03.2001 Bezug genommen. Der Bescheid wurde dem Klägerbevollmächtigten am 22.03.2001 zugestellt.
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Der Kläger hat am 05.04.2001 Klage erhoben. Am 25.09.2001 hat der Kläger zudem die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen die ihm mit Schreiben des Landrats des Main-Taunus-Kreises vom 01.08.2001 angekündigte Abschiebung nach Sri Lanka beantragt. Den Antrag hat das erkennende Gericht durch rechtskräftigen Beschluss vom 02.11.2001 (Geschäfts-Nr.: 9 G 3987/01.A(2)) abgelehnt.
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Zur Begründung seines Begehrens bezieht der Kläger sich im wesentlichen auf seinen Vortrag im Verwaltungsverfahren. Darüber hinaus legt er ein Schreiben des Senior Vice President der TULF vom 09.04.2001 vor (Bl. 56 d. A.). Außerdem beruft er sich - erstmals mit Schriftsatz vom 28.02.2002 - darauf, dass er an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, die in seinem Heimatland nicht entsprechend behandelt werden könne. Zur Begründung bezieht er sich auf eine ärztliche Bescheinigung eines Facharztes für innere Medizin vom 22.02.2002 sowie ein nervenärztliches Gutachten von Dr. Martin vom 27.05.2002 (Bl. 200 ff. d. A.). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen in dem nervenärztlichen Gutachten Bezug genommen.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 02.03.2001, Az.: 2636285-431, zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid. Auf eine posttraumatische Belastungsstörung könne der Kläger sich nicht mit Erfolg berufen. Zum einen liege ein Kausalzusammenhang zwischen den Erlebnissen des Klägers in Sri Lanka und der erst jetzt festgestellten Krankheit nicht vor, nachdem sich der Kläger bereits über 7 Jahre in der Bundesrepublik Deutschland vor Auftreten der Krankheit aufgehalten habe. Zum anderen könne das Gutachten seine Behauptung nicht stützen, da eine Erläuterung zu dem späten Auftreten der Traumatisierung darin nicht einmal im Ansatz enthalten sei, vielmehr das Vorbringen des Klägers ungeprüft übernommen worden sei. Selbst wenn man unterstelle, dass der Kläger tatsächlich an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt sei, ergebe sich in Bezug auf die rechtliche Beurteilung keine wesentliche Änderung, da eine entsprechende medizinische Behandlung in Sri Lanka möglich sei.
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Die Verwaltungsvorgänge des Bundesamts sowie die Akten der vorausgegangenen Verfahren 9 G 3987/01.A(2) und 9 E 30488/97.A(2) zwischen den selben Beteiligten wurden zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht, ebenso die Erkenntnisquellen der Kammer betreffend Sri Lanka, wie sie in der zuletzt übersandten Erkenntnisquellenliste aufgeführt sind, des weiteren die Berichte des Auswärtigen Amts über die Lage in Sri Lanka in der Folgezeit. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die genannten Unterlagen sowie die Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen. | Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 02.03.2001 (Az.: 2636285-431) verpflichtet, festzustellen, dass hinsichtlich des Klägers Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG in Bezug auf Sri Lanka vorliegen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens haben der Kläger 5/6 und die Beklagte 1/6 zu tragen.
Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kostenschuld abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. | 0 |
Baden-Württemberg | 1 | 1 | 0 | 1
Der Kläger begehrt die Gewährung des Familienzuschlags der Stufe 2 (§ 40 Abs. 2 BBesG) bzw. des kinderbezogenen Teils des Familienzuschlags (§§ 40, 41 Abs. 3 LBesGBW in der seit 01.01.2011 geltenden Fassung).
2
Der Kläger ist Beamter im Polizeidienst des Beklagten (PHMz, A 9 mit Zulage). Seit dem 30.07.2004 lebt er in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Sein Lebenspartner ist nicht im öffentlichen Dienst tätig.
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Unter dem 20.02.2009 reichte der Kläger beim Landesamt für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg (im Folgenden: Landesamt) das ausgefüllte Formular „Erklärung zum Familienzuschlag“ ein. In diesem Formular sind Angaben zum Lebenspartner des Klägers enthalten. Unter 4. „Angaben zur Berücksichtigung von Kindern" sind die ledigen Kinder seines Lebenspartners ... (geb. 06.07.1992) und ... (geb. 17.03.1994) aufgeführt. Zu beiden Kindern wird vermerkt, dass Kindergeld an den Lebenspartner gezahlt werde. Dem Formular waren zwei Presseberichte („Familienzuschlag für Homobeamte“ und „Urteil: Bei Homo-Ehe doch Anspruch auf Familienzuschlag“) zu einem Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart beigefügt. Mit Schreiben des Landesamts vom 20.03.2009 wurde der Kläger unter Bezugnahme auf seine Erklärung vom 20.02.2009 formlos darauf hingewiesen, dass trotz des Urteils des Verwaltungsgerichts Stuttgart, das im Übrigen noch nicht rechtskräftig sei, ein Familienzuschlag der Stufe 1 nicht gezahlt werden könne, da hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorlägen.
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Am 23.11.2010 beantragte der Kläger, ihm für seine Stiefkinder ... und ... den Familienzuschlag der Stufe 2 zu zahlen, und zwar ab November 2008 für ... und ab Januar 2009 für ... Die Tochter ... seines Lebenspartners, die sich noch in Ausbildung befinde, sei am 01.09.2007 und dessen Sohn ... am 01.01.2009 in die gemeinsame Wohnung eingezogen. Sein Lebenspartner erhalte seit November 2008 für seine Tochter ... und seit Januar 2009 für seinen Sohn ... Kindergeld. Ihm, dem Kläger, stehe ein Anspruch auf den Familienzuschlag der Stufe 2 nach § 40 Abs. 2 BBesG i.V.m. § 63 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu, weil die Beschränkung des Familienzuschlags auf verheiratete Beamte gegen die Richtlinie 2000/78/EG und Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Mit Bescheid vom 13.12.2010 lehnte das Landesamt den Antrag des Klägers auf Zahlung des Familienzuschlags der Stufe 2 ab, dessen Widerspruch wies es mit Widerspruchsbescheid vom 21.12.2010 zurück.
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Am 03.01.2011 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben, mit der er die Gewährung des Familienzuschlags der Stufe 2 ab November 2008 für ... und ab Januar 2009 für ... begehrt hat. Mit Urteil vom 30.03.2011 hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, dem Kläger den Familienzuschlag der Stufe 2 (bzw. den kinderbezogenen Teil des Familienzuschlages) ab dem 01.07.2009 für die in seinen Haushalt aufgenommenen Kinder ... und ... zu gewähren zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basissatz ab dem 03.01.2011 auf den zu diesem Zeitpunkt fälligen Betrag und ab dem jeweiligen Monatsersten für die ab dem 01.02.2011 fällig gewordenen bzw. fällig werdenden Beträge. Den Bescheid des Landesamts vom 13.12.2010 und dessen Widerspruchsbescheid vom 21.12.2010 hat es aufgehoben, soweit sie dem entgegenstehen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, der Kläger, der eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen sei, erfülle die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 40 Abs. 2 BBesG bzw. - für den Zeitraum ab dem 01.01.2011 - § 41 Abs. 3 LBesGBW nicht, weil diese Vorschriften ausdrücklich an das Vorliegen einer Ehe anknüpften. Der Kläger weise aber zu Recht darauf hin, dass der Ausschluss des in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebenden Beamten vom Familienzuschlag eine unmittelbare Diskriminierung nach der Richtlinie 2000/78/EG darstelle. Die Kammer habe mit Urteil vom 30.03.2011 unter Bezugnahme auf die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.10.2010 und den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 07.07.2009 entschieden, dass dem Kläger seit dem 01.07.2009 der Familienzuschlag der Stufe 1 nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG (bzw. § 41 Abs. 1 Nr. 1 LBesGBW) unmittelbar aus der Richtlinie 2000/78/EG zustehe. Sie habe in dieser Entscheidung ausführlich dargelegt, dass es - in Bezug auf den Familienzuschlag der Stufe 1 - seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 07.07.2009 an einer tragfähigen Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung von verheirateten und in eingetragener Lebenspartnerschaft lebenden Personen fehle. Gleiches gelte auch in Bezug auf den im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Familienzuschlag der Stufe 2 bzw. den kinderbezogenen Teil des Familienzuschlags. Auch die unterschiedliche Behandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft in § 40 Abs. 2 BBesG (bzw. § 41 Abs. 3 LBesGBW) i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG könne seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 07.07.2009 nicht mehr als sachlich gerechtfertigt angesehen werden. Dass der Bundesfinanzhof einen Anspruch auf Kindergeld für in den Haushalt des Berechtigten aufgenommene Kinder des Partners einer eingetragenen Lebenspartnerschaft weiterhin verneine und im Rahmen des § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nur die in den Haushalt aufgenommenen Kinder des Ehegatten berücksichtige, sei für das vorliegende Verfahren unbeachtlich. Unionsrecht gebiete eine Gewährung des Familienzuschlags nach § 40 Abs. 2 BBesG (bzw. § 41 Abs. 3 LBesGBW) allerdings erst ab dem Zeitpunkt des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 07.07.2009, da erst durch diesen Beschluss die normative Vergleichbarkeit hergestellt worden sei. Erst ab diesem Zeitpunkt unterfalle damit die Leistung dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG.
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Auf die Anträge des Klägers und des Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 12.04.2012 - 4 S 1326/11 - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 30. März 2011 - 8 K 2/11 - zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm den Familienzuschlag der Stufe 2 auch ab 01.11.2008 bis 30.06.2009 für das in seinen Haushalt aufgenommene Kind ... und auch ab 01.01.2009 bis 30.06.2009 für das in seinen Hauhalt aufgenommene Kind ... zu zahlen, jeweils zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, und den Bescheid des Landesamts für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg vom 13.12.2010 und dessen Widerspruchsbescheid vom 21.12.2010 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.
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Zur Begründung trägt er vor, soweit sich das Gericht hinsichtlich des Zeitpunkts, ab dem der Gleichstellungsanspruch beim Familienzuschlag der Stufe 1 begründet sei, der Auffassung des Bundesverwaltungsgericht anschließe, verkenne es, dass es nach dem Urteil des EuGH vom 01.04.2008 nicht darauf ankommen dürfe, dass das nationale Verfassungsgericht die Vergleichbarkeit herstelle. Vielmehr sei der Verstoß gegen die Richtlinie 2000/78/EG nach dem Urteil des EuGH vom 01.04.2008 bereits dann gegeben, wenn sich Ehegatten und Lebenspartner in Bezug auf die streitbefangene Leistung in einer vergleichbaren Situation befänden. Im Urteil vom 10.05.2011 bestätige der EuGH die Auffassung, dass die Ungleichbehandlung eingetragener Lebenspartner gegenüber Ehepartnern beim Entgelt gegen die Richtlinie 2000/78/EG verstoße, dies bereits seit dem 03.12.2003. Die dortigen Ausführungen ließen sich in vollem Umfang auf den Familienzuschlag der Stufe 1 und auch auf den vorliegend streitbefangenen Familienzuschlag der Stufe 2 übertragen. Hiervon unabhängig sei festzustellen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu einem Anspruch auf rückwirkende Gleichstellung führen könne.
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Entgegen den Angaben des Beklagten habe er seinen streitbefangenen Anspruch nicht erst mit Antrag vom 23.11.2011 geltend gemacht, sondern bereits am 23.11.2010. Ohnehin stehe der Begründetheit der Klage nicht der Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber dem Dienstherrn entgegen, dies aus mehreren Gründen: Zum einen stütze sich das Bundesverwaltungsgericht in dem vom Beklagten in Bezug genommenen Urteil vom 27.05.2010 maßgeblich auf die vorangegangene Vollstreckungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts, mit der die Rückwirkung ausdrücklich beschränkt worden sei. Eine derartige Beschränkung stehe ausschließlich dem Bundesverfassungsgericht zu und sei in den vorliegend maßgeblichen Entscheidungen vom 07.07.2009 und 21.07.2010 gerade nicht vorgenommen worden. Es komme hinzu, dass ein Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber dem Dienstherrn europarechtlich ohnehin nicht begründbar sei. Zudem wäre es jedenfalls treuwidrig, wenn der Beklagte, der die europarechtlichen Vorgaben nicht fristgerecht umgesetzt habe, sich seinen Beamten gegenüber darauf berufe, diese hätten ihre Ansprüche nicht fristgerecht geltend gemacht. Vorliegend habe der Beklagte in dem von ihm herausgegebenen Antragsformular sogar aktiv darauf hingewirkt, Anträge auf Zahlung des Familienzuschlags der Stufe 2 bzw. des kinderbezogenen Teils des Familienzuschlages für Kinder des eingetragenen Lebenspartners nicht zu stellen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Insoweit verteidigt er das angefochtene Urteil und trägt vor, das einfachgesetzliche deutsche Recht, das bei verschiedenen Eltern-Kind-Regelungen auch weiterhin zwischen Ehen und Lebenspartnerschaften differenziere, verstoße nicht gegen europäisches Recht oder deutsches Verfassungsrecht. Darüber hinaus sei eine im Fortbestehen des bisherigen Kindergeldrechts liegende mögliche Ungleichbehandlung aus nicht diskriminierenden Gründen gerechtfertigt. Die Anbindung an das Kindergeldrecht einschließlich der Rangfolgeregelungen zwischen mehreren Berechtigten sei ein als solches diskriminierungsfreies allgemeines Rechtsprinzip. Zur Wahrung dieses Prinzips werde beispielsweise auch ein Eingriff in das Alimentationsprinzip zugelassen. So könne beispielsweise auch ein sogenannter „Zahlvater“ im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BBesG (bzw. § 41 Abs. 1 Nr. 3 LBesGBW) nach § 40 Abs. 3 Satz 1 BBesG (bzw. § 41 Abs. 3 LBesGBW) i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 EStG den kindbezogenen Teil der Bezüge bei Eheschließung der Kindesmutter mit einem anderen Beamten verlieren. Die Ungleichbehandlung zwischen verheirateten Beamten und verbeamteten eingetragenen Lebenspartnern durch § 40 Abs. 2 BBesG (bzw. § 41 Abs. 3 LBesGBW) sei daher durch dieses Rechtsprinzip gerechtfertigt. Denn die Entscheidung über den kindbezogenen Familienzuschlag könne auch in anderen Konstellationen in die Rechte des bisher begünstigten anderen Elternteils eingreifen. Im Übrigen werde an der Rechtsauffassung, dass die Ungleichbehandlung von Beamten in eingetragener Lebenspartnerschaft gegenüber verheirateten Beamten im Bereich der beamtenrechtlichen Alimentation hinsichtlich des Familienzuschlags der Stufe 2 im vorliegenden Fall durch Art. 6 Abs. 1 GG gerechtfertigt sei, - auch in Bezug auf die Zeit nach dem 30.06.2009 - festgehalten. Unabhängig davon dürfte auch der Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber dem Dienstherrn anwendbar sein, so dass dem Kläger, dessen Antrag auf die Gewährung des Familienzuschlags der Stufe 2 für seine „Stiefkinder“ vom 23.11.2011 datiere, aus diesem Grund frühestens ab dem Jahr 2011 ein Anspruch zustehen könne.
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Der Beklagte beantragt weiter,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 30. März 2011 - 8 K 2/11 - zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
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Er macht geltend, das Urteil sei rechtsfehlerhaft, soweit es der Klage ab dem 01.07.2009 stattgegeben habe. Das Verwaltungsgericht habe die Bindungswirkung der Kindergeldentscheidung gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG hinsichtlich des kindbezogenen Familienzuschlags nach § 40 Abs. 2 BBesG bzw. § 41 Abs. 3 LBesGBW verkannt. Zwar diene Kindergeld nach § 31 Abs. 1 Satz 1 EStG der steuerlichen Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes und verfolge damit eine andere Zielrichtung als die Gewährung des Familienzuschlags der Stufe 2 (bzw. des kinderbezogenen Anteils), da diese die amtsangemessene Alimentation des Beamten sicherstellen solle. Das Gericht verkenne jedoch, dass die Kindergeldentscheidung als Rechtsverweisung für den kindbezogenen Familienzuschlag nach § 40 Abs. 2 BBesG bzw. § 41 Abs. 3 LBesGBW ohne Ausnahme verbindlich sei. Die von der Kindergeldentscheidung unabhängige Prüfung eines Anspruchs auf den kindbezogenen Familienzuschlag sei ihm daher verwehrt. Eine über den Wortlaut „Kinder des Ehegatten“ hinausgehende (richtlinienkonforme) ergänzende Auslegung des § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG scheide vorliegend aus. Der Bundesfinanzhof habe entschieden, dass ein Anspruch auf Kindergeld für in den Haushalt des Berechtigten aufgenommene Kinder des Partners einer eingetragenen Lebenspartnerschaft weiterhin nicht bestehe und im Rahmen des § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nur die in den Haushalt aufgenommene Kinder des Ehegatten berücksichtigungsfähig seien. Nach dieser - ihn bindenden - Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs stehe dem Kläger als eingetragenem Lebenspartner kein Anspruch auf Kindergeld nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG und damit nach § 40 Abs. 2 BBesG bzw. § 41 Abs. 3 LBesGBW auch kein Anspruch auf den kindbezogenen Familienzuschlag zu. Diese Ungleichbehandlung sei aufgrund des Abs. 22 der Richtlinie 2000/78/EG auch nicht rechtswidrig, da einzelstaatliche Rechtsvorschriften über den Familienstand und davon abhängige Leistungen von dieser Richtlinie unberührt blieben.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sowohl Art. 3 Abs. 1 GG als auch die Richtlinie 2000/78/EG stellten gegenüber den besoldungsrechtlichen Regelungen und dem von dem Beklagten für sich in Anspruch genommenen Grundsatz der Bindung an die Voraussetzungen des Einkommensteuergesetzes vorrangiges Recht dar.
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Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze, wegen der sonstigen Einzelheiten auf die einschlägigen Akten des Beklagten und die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Stuttgart verwiesen. | Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 30. März 2011 - 8 K 2/11 - geändert. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger den Familienzuschlag der Stufe 2 auch ab 01.11.2008 bis 30.06.2009 für das in seinen Haushalt aufgenommene Kind ...... und auch ab 01.01.2009 bis 30.06.2009 für das in seinen Haushalt aufgenommene Kind ...... zu zahlen, jeweils zzgl. 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 03.01.2011. Der Bescheid des Landesamts für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg vom 13.12.2010 und dessen Widerspruchsbescheid vom 21.12.2010 werden aufgehoben, soweit sie dem entgegenstehen.
Die Berufung des Beklagten gegen das genannte Urteil wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 10% über dem aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrag abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 10% über dem zu vollstreckenden Betrag leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 1 |
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LG Hamburg 12. Zivilkammer | Hamburg | 0 | 1 | 16.09.2014 | 0 | Randnummer
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Die Parteien streiten über Unterlassungsansprüche im Zusammenhang mit der Verwendung bestimmter Formulierungen in Mahnschreiben zu Bearbeitungsgebühren.
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Bei dem Kläger handelt es sich um den Dachverband aller 16 Verbraucherzentralen und 25 weiterer verbraucher- und sozialorientierter Organisationen in Deutschland. Er ist in der vom Bundesamt für Justiz geführten Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen.
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Die Beklagte bietet Verbrauchern im Internet unter http://www.....de kostenpflichtige Partnervermittlungsdienstleistungen an. Verbrauchern, die mit der Beklagten einen Partnervermittlungsvertrag geschlossen hatten und sich mit der Erfüllung ausstehender Forderungen in Verzug befanden, schickte die Beklagte per E-Mail eine erste Mahnung zu. Die erste Mahnung enthielt unter anderem die folgende Formulierung:
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„Nach Versand der zweiten Mahnung wird der ausstehende Gesamtbetrag zuzüglich einer Bearbeitungsgebühr fällig.“
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Wegen der weiteren Einzelheiten dieser E-Mail wird auf den als Anlage K1 zur Akte gereichten Ausdruck Bezug genommen.
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Hatten die Verbraucher die Forderung nach Erhalt der ersten Mahnung nicht beglichen, sandte die Beklagte den Verbrauchern per E-Mail eine zweite Mahnung zu. Die zweite Mahnung enthielt unter anderem die folgende Formulierung:
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„Wie in der ersten Mahnung bereits angekündigt, müssen wir nun auf den noch ausstehenden Gesamtbetrag in Höhe von [...] Euro zuzüglich einer Bearbeitungsgebühr von 12,50 Euro bestehen und bitten um Überweisung innerhalb der nächsten sieben Werktage auf das untenstehende Konto.“
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Wegen der weiteren Einzelheiten der zweiten E-Mail wird auf den als Anlage K2 zur Akte gereichten Ausdruck verwiesen.
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Bei Vertragsschluss traf die Beklagte mit den Verbrauchern keine Vereinbarung über die Höhe der in den Mahnungen geforderten Bearbeitungsgebühr.
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Mit Schreiben vom 25. September 2013 vertrat der Kläger die Auffassung, dass es sich bei den Formulierungen um Allgemeine Geschäftsbedingungen handele und forderte die Beklagte auf, die streitgegenständlichen Formulierungen nicht mehr zu verwenden und insoweit eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Wegen der Einzelheiten des Abmahnschreibens wird auf die Anlage K3 verwiesen. Die Beklagte wies die Ansprüche des Klägers zurück.
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Der Kläger war ursprünglich - wie auch in dem Abmahnschreiben gemäß Anlage K3 zum Ausdruck gekommen - der Ansicht, bei den Formulierungen handele es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen, die nicht mit § 309 Nr. 5 lit. a und b BGB zu vereinbaren seien.
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Er hat zunächst angekündigt zu beantragen,
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I. der Beklagten unter Androhung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel zu untersagen,
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bei mit Verbrauchern geschlossenen Partnervermittlungsverträgen
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die nachfolgende oder eine inhaltsgleiche Klausel als Allgemeine Geschäftsbedingung zu verwenden sowie sich auf die Bestimmung bei der Abwicklung derartiger Verträge zu berufen:
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1. „Nach Versand der zweiten Mahnung wird der ausstehende Gesamtbetrag zuzüglich einer Bearbeitungsgebühr fällig.“
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2. „Wie in der ersten Mahnung bereits angekündigt, müssen wir nun auf den noch ausstehenden Gesamtbetrag in Höhe von [...] Euro zuzüglich einer Bearbeitungsgebühr von 12,50 Euro bestehen und bitten um Überweisung innerhalb der nächsten sieben Werktage auf das untenstehende Konto.“,
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II. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 214,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagerhebung zu zahlen.
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Mit Verfügung vom 2.7.2014 hat die Kammer darauf hingewiesen, das sie die streitgegenständlichen Klauseln nicht für Allgemeine Geschäftsbedingungen hält, da es sich nicht um Vertragsbedingungen handele, die bei Abschluss eines Vertrages gestellt würden.
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Der Kläger behauptet, die Beklagte verwende die streitgegenständlichen Formulierungen in Mahnschreiben standardisiert. Er ist deshalb der Auffassung, dass durch diese Formulierungen entsprechende unzulässige Allgemeine Geschäftsbedingungen umgangen würden.
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Der Kläger beantragt nunmehr,
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die Beklagte zu verurteilen,
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I. es bei Vermeidung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel es zu unterlassen, bei mit Verbrauchern geschlossenen Partnervermittlungsverträgen die nachfolgenden Formulierungen in Mahnschreiben zu verwenden:
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1. „Nach Versand der zweiten Mahnung wird der ausstehende Gesamtbetrag zuzüglich einer Bearbeitungsgebühr fällig.“, wenn dies geschieht wie in Anlage K1,
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und
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2. „Wie in der ersten Mahnung bereits angekündigt, müssen wir nun auf den noch ausstehenden Gesamtbetrag in Höhe von [...] Euro zuzüglich einer Bearbeitungsgebühr von 12,50 Euro bestehen und bitten um Überweisung innerhalb der nächsten sieben Werktage auf das untenstehende Konto.“, wie in Anlage K2 ersichtlich.
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II. an den Kläger 214,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagerhebung zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie meint, der klägerische Vortrag zu einer angeblich einheitlichen Handhabung sei spekulativ ins Blaue hinein gehalten worden und deshalb unbeachtlich. Auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung hat der Justiziar der Beklagten erklärt, ihm sei nicht bekannt, ob die Beklagte solche Schreiben standardisiert aussende. Die Beklagte ist der Ansicht, dass durch die Verwendung der Formulierungen in Mahnschreiben auch nicht die Vorschriften über Allgemeine Geschäftsbedingungen umgangen würden, da die schlichte Forderung einer Bearbeitungspauschale in Mahnschreiben weniger effizient sei als die Aufnahme einer derartigen Formulierung als Allgemeine Geschäftsbedingung in das Vertragswerk, sodass man nicht von einer wirtschaftlichen Gleichwertigkeit im Sinne der BGH-Rechtsprechung ausgehen könne.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen. | I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, diese zu vollstrecken an der Geschäftsführung,
zu unterlassen,
bei mit Verbrauchern geschlossenen Partnervermittlungsverträgen die nachfolgenden Formulierungen in Mahnschreiben zu verwenden:
1. „Nach Versand der zweiten Mahnung wird der ausstehende Gesamtbetrag zuzüglich einer Bearbeitungsgebühr fällig.“, wenn dies geschieht wie in Anlage K1,
und
2. „Wie in der ersten Mahnung bereits angekündigt, müssen wir nun auf den noch ausstehenden Gesamtbetrag in Höhe von [...] Euro zuzüglich einer Bearbeitungsgebühr von 12,50 Euro bestehen und bitten um Überweisung innerhalb der nächsten sieben Werktage auf das untenstehende Konto.“, wie in Anlage K2 ersichtlich.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
III. Das Urteil ist zu Ziffer I vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.500 €, zu Ziffer II gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. | 1 |
VG Berlin 12. Kammer | Berlin | 0 | 1 | 22.02.2022 | 1 | Randnummer
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Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung, sie habe eine Modulprüfung endgültig nicht bestanden, sowie gegen die darauf erfolgte Exmatrikulation.
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Seit dem Wintersemester 2015/2016 studiert die Klägerin an der Beklagten im dualen Bachelorstudiengang Betriebswirtschaftslehre – Fachrichtung Steuern und Prüfungswesen. Am 1. Oktober 2015 begann sie ihre studienbegleitende Ausbildung in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Die Prüfungen der Klägerin im Modul „Management“ am 2. November 2017, am 23. Februar 2018 sowie am 25. Oktober 2018 wurden jeweils mit der Note 5,0 „nicht ausreichend“ bewertet. Die Beklagte hat dieses Modul in die Lehrveranstaltungen „Unternehmensführung“ und „Mitarbeiterführung“, die von Prof. Dr. P ... V ... unterrichtet wurden, sowie die von Prof. Dr. F ... K ... durchgeführte Lehrveranstaltung „Controlling“ unterteilt. In den von der Klägerin absolvierten Abschlussklausuren waren für diese drei Lehrveranstaltungen jeweils eigene Aufgabenteile vorgesehen, die getrennt voneinander zu lösen waren. In den Prüfungen stellten und bewerteten jeweils diejenigen Lehrkräfte die Aufgabenteile, die zu den von ihnen durchgeführten Lehrveranstaltungen zu bearbeiten waren. In Bezug auf den Letztversuch der Klägerin am 25. Oktober 2018 erfolgte eine Zweitbeurteilung durch Prof. Dr. S ... B ... , die ebenfalls zu dem Ergebnis kam, dass die Prüfung mit der Note 5,0 „nicht ausreichend“ zu bewerten sei.
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Der Fachleiter für die Fachrichtung Steuern und Prüfungswesen an der Beklagten, Prof. Dr. M ... , teilte der Klägerin mit einem als „Abschlussbescheinigung“ überschriebenen Schreiben vom 7. November 2018 mit, dass ihr Studium seit dem 30. September 2018 beendet sei, weil sie mindestens eine Prüfung endgültig nicht bestanden habe. Nachdem der Klägerin mit Schreiben vom 16. Januar 2019 die Möglichkeit gegeben wurde, zur beabsichtigten Exmatrikulation Stellung zu nehmen, informierte sie der Dekan der Beklagten mit einem Bescheid vom 14. März 2019, der mit „Exmatrikulation“ überschrieben war, dass sie das Modul „Management“ endgültig nicht bestanden habe und aus diesem Grund ihre Zulassung zum Studium mit sofortiger Wirkung widerrufen werde.
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Mit der am 27. November 2018 bei Gericht eingegangenen Klage wendet sich die Klägerin gegen das endgültige Nichtbestehen des Moduls „Management“. Ferner erhob sie am 4. April 2019 gegen den Bescheid vom 14. März 2019 Klage, die unter dem Aktenzeichen VG 12 K 140.19 geführt wurde. Das Gericht hat diese Verwaltungsstreitsache mit dem Beschluss vom 18. Januar 2022 zu hiesigem Verfahren hinzuverbunden. Zur Begründung trägt die Klägerin im Wesentlichen vor: Die Modulprüfungen seien verfahrensfehlerhaft durchgeführt worden. Sie seien entgegen der gesetzlichen Vorgaben keine einheitlichen Prüfungen gewesen, weil diese aus insgesamt drei Teilprüfungen verschiedener Einheiten bestanden hätten. Hinzu komme, dass die Aufgaben der abgeprüften Einheiten „Unternehmensführung“ und „Mitarbeiterführung“ auf der einen Seite und „Controlling“ auf der anderen Seite auch von verschiedenen Lehrkräften gestellt und bewertet worden seien. Die Prüfer hätten die Klausuren daher weder gemeinsam abgenommen noch gemeinsam bewertet. Hinsichtlich der für den Letztversuch vorgenommenen Zweitbeurteilung wird die ordnungsgemäße Prüferbestellung gerügt. Darüber hinaus fehle für die streitgegenständliche Prüfungsordnung der Beklagten eine Bestätigung der für Hochschulen zuständigen Senatsverwaltung. Eine solche wäre erforderlich gewesen, weil es sich um eine Satzung zur Regelung der dualen Ausbildung handele. Zudem sei in der Prüfungsordnung nicht festgelegt worden, in welcher Form die Prüfungen im Modul „Management“ abzulegen seien.
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Die Klägerin beantragt,
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die Bescheide der Beklagten über das Nichtbestehen der Modulprüfung „Management“ im Rahmen des Dualen Studiengangs Betriebswirtschaftslehre – Fachrichtung Steuern und Prüfungswesen – von Oktober 2017, vom 23. Februar 2018 und vom 25. Oktober 2018, die Exmatrikulation der Klägerin vom 30. September 2018, den Bescheid von 7. November 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. März 2019 – „Exmatrikulation“ – aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Bei den von der Klägerin im Modul „Management“ als Klausur zu erbringenden Prüfungsleistungen habe es sich um einheitliche Prüfungen gehandelt, die jeweils aus drei Aufgabenteilen bestanden hätten. Die von der Klägerin abgelegten Klausuren seien von Prof. Dr. V ... und Prof. Dr. K ... gemeinsam abgenommen und bewertet worden, indem jeder Aufgabenteil von demjenigen Prüfer bewertet worden sei, der die Aufgaben erstellt und die Lehrveranstaltungen durchgeführt habe. Prof. Dr. B ... sei für die Zweitkorrektur des letzten Wiederholungsversuchs der Klägerin ordnungsgemäß von dem für die Fachrichtung Steuern und Prüfungswesen zuständigen Fachleiter Prof. Dr. P ... bestellt worden. Die möglichen Prüfungsformen der Abschlussprüfung im Modul „Management“ seien vorab in der Modulbeschreibung sowie in dem Studien- und Prüfungsplan des Studiengangs der Klägerin, der als Anlage der einschlägigen Prüfungsordnung beigefügt war, bestimmt worden. Schließlich sei für die Prüfungsordnung keine Zustimmung der für Hochschulen zuständigen Senatsverwaltung erforderlich gewesen, weil diese Satzung keine duale Ausbildung, sondern einen dualen Studiengang regele. Denn eine duale Ausbildung setze voraus, dass neben dem Studien- auch ein Ausbildungsabschluss erworben werde. Dies sei im Studiengang der Klägerin aber nicht der Fall.
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Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 17. Januar 2022 dem Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet. | 0 |
VG Mainz 4. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 23.04.2021 | 1 | Randnummer
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Der Kläger begehrt den Zugang zu Aktenmaterial betreffend den Fünfzehnten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge – 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, 15. RÄndStV –.
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Mit E-Mail vom 23. April 2018 beantragte er unter Bezugnahme auf das Landestransparenzgesetz – LTranspG – Zugang zu dem Aktenmaterial der Staatskanzlei des beklagten Landes betreffend die Vorbereitung, Einführung und Umsetzung des 15. RÄndStV.
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Mit Bescheid vom 14. Mai 2018 teilte die Staatskanzlei des Beklagten dem Kläger mit, dass die von ihm abgefragten Unterlagen die Kommunikation mit anderen Ländern betreffe. Nach
§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LTranspG
sei der Antrag auf Informationszugang abzulehnen, da das Bekanntwerden der Information nachteilige Auswirkungen auf die Beziehungen zu anderen Bundesländern hätte. Dem Schreiben wurde eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt.
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Mit Schreiben vom 11. Juni 2018 erhob der Kläger dagegen Widerspruch. Diesen begründete er damit, die Ablehnung enthalte keine Begründung zu den dort angeführten nachteiligen Auswirkungen des Bekanntwerdens der Informationen für die Beziehungen zu anderen Ländern. Sein Grundanliegen sei es, den gesamten Vorgang des Gesetzgebungsprozesses (von der Vorbereitung, Planung, Konzeption und Durchführung bis zum Abschluss) in seiner Komplexität bestmöglich zu verstehen und nachvollziehen zu können. Ferner konkretisierte er seinen Antrag auf Zugang zu dem gesamten Aktenmaterial betreffend den 15. RÄndStV und forderte bestimmte Informationen an.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 15. April 2019 gab der Beklagte dem Widerspruch insoweit statt, als dem Kläger Zugang zu den in einer Anlage 1 aufgeführten 148 Dokumenten gewährt wurde. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Dies begründete der Beklagte wie folgt: Der Widerspruch sei nur teilweise begründet. Der Bescheid vom 14. Mai 2018 sei lediglich insoweit rechtswidrig und verletze den Anspruch des Klägers aus
§ 2 Abs. 2 Satz 1 LTranspG
lediglich insoweit, als die in Anlage 1 aufgeführten Dokumente betroffen seien. Im Übrigen sei die Ablehnung des Zugangs zu den begehrten Informationen recht- und zweckmäßig.
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Die vom Kläger begehrten Informationen unterfielen – soweit sie nicht in Anlage 1 aufgeführt seien und ihm zur Verfügung gestellt würden – schon nicht dem Anwendungsbereich des LTranspG. Denn die Tätigkeit der Staatskanzlei im Zusammenhang mit der Vorbereitung und dem Abschluss des 15. RÄndStV seien der Rechtsetzung zuzuordnen. Im Gegensatz zur Entstehung formeller Parlamentsgesetze erfolgten bei Staatsverträgen die weit überwiegende gesetzgeberische Gestaltung, die Beratung, die Diskussion und die Entscheidung über die (abschließende) Fassung des Normtextes nicht im Landesparlament, sondern in den Verhandlungen und Abstimmungen der Regierungschefinnen und -chefs sowie ihrer Gremien und Behörden. Hier vollzögen sich die inhaltliche Abstimmung und die eigentliche Ausgestaltung, mithin die gesamte gesetzgebende Gestaltung, die sonst dem Parlament und dessen Ausschüssen vorbehalten sei. All dies spiele sich in den Konferenzen der Regierungschefinnen und -chefs bzw. der Chefs der Staatskanzleien sowie den weiteren länderübergreifenden Gremien ab, die wiederum von den Staatskanzleien vorbereitet und begleitet würden. Der sodann von den Regierungschefinnen und -chefs final ausgehandelte und von ihnen unterzeichnete Staatsvertrag werde in einem letzten Teilakt den Landesparlamenten zur Ratifikation übermittelt. Dem Landtag werde dabei kein Gesetzentwurf zur Beratung vorgelegt, sondern der von den Regierungschefinnen und -chefs ausgehandelte und unterzeichnete Staatsvertrag. Dem Landtag obliege lediglich, dem Staatsvertrag in der vorgelegten Form zuzustimmen oder die Zustimmung insgesamt zu verweigern. Mithin finde die gesetzgeberische Gestaltung im materiellen Sinne nicht im Parlament, sondern zwischen den Regierungschefinnen und -chefs und deren Gremien statt. Der Ministerpräsident und die Staatskanzlei, derer sich der Ministerpräsident bei der Wahrnehmung der rechtsetzenden Aufgabe bediene, hätten deshalb im Zusammenhang mit den Vorbereitungen und dem Abschluss des 15. RÄndStV keine öffentlich-rechtlichen Verwaltungsaufgaben wahrgenommen, sondern seien vom Beginn der Vorbereitungs- und Abstimmungsprozesse bis hin zu dessen Umsetzung in geltendes Landesrecht ausschließlich im Bereich der Rechtsetzung tätig geworden. Dieser Bereich sei vom Anwendungsbereich des Landestransparenzgesetzes ausgenommen.
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Die Ausnahme vom Anwendungsbereich des Landestransparenzgesetzes erfasse dabei nicht nur die Vorgänge in den Konferenzen der Regierungschefinnen und -chefs bzw. der Chefs der Staatskanzleien sowie den weiteren länderübergreifenden Gremien, sondern auch deren Vor- und Nachbereitung in den Senats- und Staatskanzleien. Soweit die Vorbereitung von (Parlaments-)Gesetzen durch die gesetzesvorbereitende Tätigkeit der Regierungsbehörden regelmäßig Verwaltungsaufgabe sei und erst durch die Umsetzung in und durch politische Erwägungen in den Bereich der Rechtsetzung hineinwachse, gelte für die Rechtsetzung durch Staatsverträge etwas anderes. Eine inhaltliche Trennung, vergleichbar der Situation bei einem Gesetzentwurf, der vom Kabinett in den Landtag eingebracht werde und damit gewissermaßen den Verfügungsbereich der Ministerialverwaltung verlasse, sei im Fall der Verhandlungen über den Abschluss eines Staatsvertrages nicht möglich. Es fehle bereits an einer zeitlichen Zäsur, da die Verhandlungen über einen Staatsvertrag bis zu dessen Abschluss eng durch die Landesverwaltung begleitet und Verhandlungsführung, Position und Haltung der Landesregierung in den Verhandlungen immer wieder neu abgestimmt würden. In den länderübergreifenden Verhandlungsrunden getroffene Zwischenergebnisse würden dabei ebenso aufgenommen und gewürdigt wie Position und Haltung der anderen beteiligten Länder bzw. deren Veränderung. Die dabei entstehende enge Verflechtung der Vorgänge auf der Ebene der Länderkollegien einerseits und der Ebene der Landesverwaltung andererseits sei nicht trennbar.
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Ungeachtet dessen sei der Antrag auf Informationszugang – soweit die Informationen nicht in Anlage 1 aufgeführt sind und dem Kläger zur Verfügung gestellt würden – gemäß
§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LTranspG
abzulehnen, weil das Bekanntwerden dieser Informationen nachteilige Auswirkungen auf die Beziehungen zu den anderen Ländern hätte. Im Zusammenhang mit den Verhandlungen über den Abschluss des 15. RÄndStV sei eine möglichst enge Abstimmung mit den übrigen Ländern zur Schaffung einer länderübergreifenden Regelung erforderlich. Die Verhandlungen hierzu seien essenziell darauf angewiesen, dass ein freier und offener Meinungsaustausch der Ministerpräsidenten sowie ihrer Gremien und Behörden in einem vertraulichen Rahmen stattfinden könne. Dies gelte umso mehr, als eine Änderung der Rundfunkstaatsverträge Einstimmigkeit voraussetze. Mithin sei Vertraulichkeit, die zur Wahrung der jedem Land selbst zustehenden auf das eigene Land beschränkten Gesetzgebungskompetenz gerade auch durch
§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LTranspG
geschützt werde, Geschäftsgrundlage der länderübergreifenden Zusammenarbeit. Dass nicht alle Länder einer Weitergabe von Informationen zu den Verhandlungen von Staatsverträgen zustimmten, sei aus der Länderabfrage zu der parallel gelagerten Anfrage zur Änderung des Glückspielstaatsvertrages bekannt. Würde der begehrte Informationszugang gewährt, wäre eine vertrauensvolle weitere Zusammenarbeit in der bisherigen Weise nicht mehr möglich. Es bestehe die Gefahr, dass sich die betroffenen Länder an künftigen Verhandlungen nicht mehr oder nur sehr zurückhaltend beteiligten.
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Soweit das Aktenmaterial betreffend den Prozess der Gesetzgebung zum 15. RÄndStV nicht der Rechtssetzung unterfalle bzw. dessen Bekanntwerden keine nachteiligen Auswirkungen auf die Beziehung zu anderen Ländern hätte, werde dem Kläger Informationszugang zu den in Anlage 1 aufgeführten Unterlagen gewährt.
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Am 16. Mai 2019 hat der Kläger Klage erhoben.
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Im Rahmen einer im Juni 2019 durchgeführten Länderabfrage haben die Länder Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Bayern, Hessen, Berlin, Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt ihr Einverständnis zur Herausgabe der begehrten Informationen verweigert.
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Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor, der Beklagte lege nicht nachvollziehbar dar, inwieweit der Anwendungsbereich des Landestransparenzgesetzes wegen Zuordnung der Vorbereitung und des Abschlusses des 15. RÄndStV zur Rechtsetzung nicht eröffnet sei. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass es sich um eine „im öffentlichen Recht wurzelnde Verwaltungsaufgabe“ der Staatskanzlei handele und ihr Handeln insoweit nicht der Gesetzgebung zuzurechnen sei. Weder im Landestransparenzgesetz noch in der Gesetzesbegründung finde sich ein spezifischer Ausschluss hinsichtlich der Aktivitäten der Beklagten im Zusammenhang mit Staatsverträgen. Die konkrete Ausgestaltung der insoweit vom Anwendungsbereich des Landestransparenzgesetzes ausgenommenen Rechtsetzung in der Landesverfassung Rheinland-Pfalz – LV – spreche gegen die Einschlägigkeit der Bereichsausnahme im vorliegenden Fall. Es liege auch nahe, dass der Gesetzgeber mit dem Ausschluss der Rechtsetzung die gesetzgebenden Körperschaften gemäß Art. 107 LV im Blick gehabt habe. Die Rechtsetzung im Parlament werde schließlich dem Gebot größtmöglicher Transparenz schon dadurch gerecht, dass der Landtag den Grundsatz weitgehender Verhandlungsöffentlichkeit im Rahmen seiner Befugnisse bereits umfassend ausgeformt habe.
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Jedenfalls aber sei widersprüchlich, warum trotz der angeblichen Sperrwirkung 148 Dokumente freigegeben worden seien, die alle die Vorbereitung und den Abschluss des 15. RÄndStV betreffen. Der Begründung des Widerspruchsbescheides sei nicht zu entnehmen, anhand welcher Maßstäbe die Abgrenzung zwischen freigegebenen und zurückgehaltenen Dokumenten erfolgt sei. Dass sich der Beklagte trotz Freigabe der 148 Dokumente darauf berufe, der Anwendungsbereich des Landestransparenzgesetzes sei nicht eröffnet, verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Tatsächlich habe der Beklagte bei ihm – dem Kläger – durch die Freigabe der Unterlagen einen Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen, dass ein Informationszugang für die vorliegende Materie grundsätzlich eröffnet sei. Mit dem Widerspruchsbescheid habe der Beklagte deutlich gemacht, dass er nennenswerte Teile des Aktenbestandes, der Vorbereitung und Abschluss des 15. RÄndStV betreffe, als öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit einstufe. Insoweit habe er – der Kläger – darauf vertrauen können, dass der Anwendungsbereich für die vorliegende Materie grundsätzlich eröffnet sei. Sofern die pauschale Berufung auf den Ausschlussgrund Rechtsetzung nicht schon rechtsmissbräuchlich sei, liege jedenfalls die Darlegungslast für die Einschlägigkeit dieses Ausschlussgrundes beim Beklagten.
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Zur Frage, inwieweit ggf. ein Fall der Rechtsetzung vorliege, sei ergänzend zeitpunktbezogen zu differenzieren. Aus den zur Verfügung gestellten Unterlagen ergebe sich, dass der „Startschuss“ für den 15. RÄndStV erst nach einer gemeinsamen Willensbekundung der Ministerpräsidenten der Länder auf einer am 9. Juni 2010 stattgefundenen Sitzung zur künftigen Rundfunkfinanzierung erfolgt sei. Alle ihm – dem Kläger – freigegebenen Arbeitsentwürfe zum 15. RÄndStV seien mit einem späteren Datum versehen. Insofern liege nahe, dass vor dem 9. Juni 2010 die Tätigkeiten der zentral für das Rundfunkrecht zuständigen Abteilung 4 der Staatskanzlei der öffentlich-rechtlichen Verwaltungstätigkeit zuzuordnen seien. Da der Beklagte fast ausschließlich Vorgänge freigegeben habe, die nach diesem Tag stattgefunden hätten, könne er sich nach Treu und Glauben bzw. ohne konkrete Darlegung von Sachgründen auch für den Zeitraum nach dem 9. Juni 2010 nicht auf den Ausschlussgrund einer verwaltungsinternen Rechtsetzung berufen.
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Die Begründung der Ablehnung des Antrages auf Informationszugang damit, dass das Bekanntwerden weiterer Informationen nachteilige Auswirkungen auf die Beziehungen zu anderen Bundesländern zur Folge hätte, entspreche zwar den tatsächlich herausgegebenen Unterlagen, genüge aber nicht den insoweit gegebenen Darlegungsanforderungen.
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Er beantragt,
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unter Aufhebung des Bescheides vom 14. Mai 2018 und des Widerspruchsbescheides vom 15. April 2019 – bis auf die in Anlage 1 benannten freigegebenen Dokumente – die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger auch Einsicht zu gewähren
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1. in sämtliche Protokolle, Memos, den Korrespondenz-Austausch und sonstige Materialien der organisatorisch in Abteilung 4 der Staatskanzlei eingegliederten Rundfunkkommission der Länder hinsichtlich möglicher Änderungen im Rundfunkstaatsvertragsrecht im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2006 und dem 31. Dezember 2011, soweit damit keine nachteiligen Auswirkungen auf andere Bundesländer einhergehen,
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2. in alle Protokolle, Memos, Dokumente, den Korrespondenz-Austausch und sonstige Aufzeichnungen zwischen der Landesregierung Rheinland-Pfalz und den beteiligten Landesregierungen anderer Länder im Zusammenhang mit der Ausarbeitung des 15. RÄndStV, soweit damit keine nachteiligen Auswirkungen auf andere Bundesländer einhergehen,
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3. in alle Protokolle, Memos und Dokumente, den Korrespondenz-Austausch und sonstige Aufzeichnungen, die den Gutachtern R. L., I. K. Q. und I. Q. C. und den Rundfunkreferenten der anderen Länder von der Beklagten zur Verfügung gestellt wurden, um den Willensbildungsprozess hinsichtlich möglicher Änderungen im Rundfunkstaatsvertragsrecht in die Wege zu leiten (einschließlich möglicher Dokumente des Instituts für Rundfunkökonomie und der seinerzeit bestehenden Gebühreneinzugszentrale der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik Deutschland [GEZ], insbesondere die Dokumente „Prognose des Rundfunkgebührenaufkommens“, „Langfristige Prognose der Gebührenerträge nach geltendem Recht im Vergleich zu den Erträgen einer vereinfachten Rundfunkgebühr und einer geräteunabhängigen Medienabgabe“ sowie „Gutachterliche Bewertung von Modellen und Modellvarianten in Verbindung mit der künftigen Rundfunkfinanzierung“),
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4. in den Arbeitsentwurf zum 15. RÄndStV Stand 31. März 2010 sowie mögliche frühere bzw. spätere Entwurfsfassungen, soweit diese nicht schon mit dem Widerspruchsbescheid freigegeben wurden (also mögliche weitere Dokumente neben den in den Nummern 134 bis 140 der Anlage 1 des Widerspruchsbescheides angegebenen Arbeitsentwürfen),
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5. in mögliche Protokolle, Memos und Dokumente der – gemäß Anlage Nr. 87 der Anlage 1 des Widerspruchsbescheides „Rundfunkkommission der Länder sieht Reformbedarf bei der Rundfunkgebühr nach L. -Gutachten bestätigt“ (Seite 2) – am 9. Juni 2010 stattgefundenen Sitzung der Ministerpräsidenten der Länder zum Thema der künftigen Rundfunkfinanzierung vor dem Hintergrund der Ergebnisse des Gutachtens von R. L., soweit damit keine nachteiligen Auswirkungen auf andere Bundesländer einhergehen,
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6. in mögliche Protokolle, Memos und Dokumente einer – gemäß Anlage Nr. 87 der Anlage 1 des Widerspruchsbescheides „Rundfunkkommission der Länder sieht Reformbedarf bei der Rundfunkgebühr nach L. -Gutachten bestätigt“ (Seite 1) – offensichtlich am 6. Juni 2010 oder früher stattgefundenen „Beratung der Chefinnen und Chefs der Staatskanzleien der Länder über eine Reform der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ im Rahmen der Vorstellung des finanzverfassungsrechtlichen Gutachtens von R. L. an diesem Tag, soweit damit keine nachteiligen Auswirkungen auf andere Bundesländer einhergehen,
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7. in mögliche Protokolle, Memos und Dokumente der Arbeitsgemeinschaften (AG) „Beitragsstabilität“ und „Zukunft der Rundfunkgebühren“ im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2006 und dem 31. Dezember 2011, soweit damit keine nachteiligen Auswirkungen auf andere Bundesländer einhergehen,
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8. in mögliche Protokolle, Memos und Dokumente einer – gemäß der Anlage Nr. 79 der Anlage 1 des Widerspruchsbescheides – offensichtlich am 11. Oktober 2010 stattgefundenen „Anhörung der Länder zum Entwurf eines 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrages“, soweit damit keine nachteiligen Auswirkungen auf andere Bundesländer einhergehen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er trägt ergänzend zur Begründung des Widerspruchsbescheides vor, die Verpflichtungsklage sei teilweise bereits unzulässig.
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Die Staatskanzlei habe im Zusammenhang mit den Vorbereitungen zum Abschluss des 15. RÄndStV keine öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit ausgeübt, sondern sei vom Beginn der Vorbereitungs- und Abstimmungsprozesse bis hin zu dessen Umsetzung in jeweils geltendes Landesrecht ausschließlich im Bereich der Rechtssetzung tätig geworden. Dieser Bereich sei vom Anwendungsbereich des Landestransparenzgesetzes jedoch ausgenommen.
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Es komme dabei nicht darauf an, ob das für den Kläger nachvollziehbar sei. Vielmehr unterliege es allein der Einschätzung und der Eigenverantwortung des Beklagten, welche Dokumente dem Bereich der öffentlich-rechtlichen Verwaltungstätigkeit, und welche Dokumente der Rechtsetzung zuzuordnen seien. Würde der Beklagte hier Abgrenzungskriterien aufstellen, müsste er Informationen aus den Dokumenten, die der Rechtsetzung unterliegen, inhaltlich offenlegen, um die Abgrenzung transparent zu machen. Selbst wenn es sich bei den in Anlage 1 aufgeführten Unterlagen um Vorgänge der Rechtsetzung handele, resultiere daraus, dass der Kläger mehr Informationszugang erhalten habe als er erhalten müsste, kein Anspruch für den Kläger auf weitere Dokumente aus dem Rechtsetzungsvorgang zum 15. RÄndStV.
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Mit dem Widerspruchsbescheid seien die Dokumente herausgegeben worden, die nicht als zum Gesetzgebungsverfahren gehörend bewertet worden seien. Hieraus ergebe sich weder ein widersprüchliches Verhalten noch begründe dies einen Vertrauenstatbestand, auf den sich der Kläger erfolgreich berufen könnte. Es liege auch keine widersprüchliche Freigabe von Unterlagen vor. Ein Vertrauenstatbestand könne schon deshalb nicht begründet worden sein, weil mit der Herausgabe, die angeblich das Vertrauen begründen solle, gleichzeitig mitgeteilt worden sei, dass der Rest zur Gesetzgebung gehöre und deshalb nicht dem Anwendungsbereich unterliege. Der Darlegungslast sei genügt worden. Der Kläger begehre ausdrücklich, die Vorgänge zum 15. RÄndStV und damit Informationen zu einem Gesetzgebungsverfahren einzusehen. Dass ihm 148 Dokumente zur Verfügung gestellt worden seien, liege daran, dass diese im Wesentlichen begleitend angefallen seien. Es gehe hierbei nicht um einen Ausschlussgrund, sondern um den Anwendungsbereich. Die länderübergreifende Arbeit gehöre zur Gesetzgebung. Der Kläger verkenne den Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens in länderübergreifenden Staatsvertragsverfahren. Der als solcher von ihm bezeichnete „Startschuss“ stelle nicht den Beginn des Gesetzgebungsverfahrens dar.
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Daneben greife der Ausschlussgrund des
§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LTranspG
. Insoweit reiche die hypothetische Möglichkeit einer Beeinträchtigung aus, so dass ein konkreter Nachweis entgegen der Auffassung des Klägers nicht erfolgen müsse. Die Begründung des Ausschlusses des Zugangs zu über den in Anlage 1 genannten hinausgehenden Informationen und Unterlagen im Widerspruchsbescheid genüge zudem den Darlegungsanforderungen. Ausweislich der Verwaltungsakten seien die nachteiligen Folgen nicht allein aus der Länderabfrage zum Glücksspielstaatsvertrag abgeleitet worden, sondern aus einer konkreten Länderabfrage zum 15. RÄndStV, wonach die Länder mit einer Weitergabe der Informationen an Dritte im Jahr 2019 nicht einverstanden gewesen seien.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, den übrigen Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Verwaltungsakten sowie die Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Sämtliche Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. | Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. | 0 |
ArbG Gera 1. Kammer | Thüringen | 0 | 1 | 10.11.2021 | 0 | Randnummer
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit betriebsbedingter Kündigungen und damit im Zusammenhang stehenden Ansprüchen auf Weiterbeschäftigung und Annahmeverzug.
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Außerdem begehrt der Kläger ein qualifiziertes Arbeitszeugnis.
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Die Beklagten zu 1) und 2) gehören zur U..
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Die Beklagte zu 1) betreibt 24 Kinos im Bundesgebiet.
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Die Beklagte zu 2) betrieb lediglich 1 Kino in G..
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Der am 27.05.1967 geborene Kläger ist verheiratet und hat keine Unterhaltspflichten.
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Er war seit dem 20.10.1997 von der Beklagten zu 1) als stellvertretender Theaterleiter in der U G. angestellt. Auf den Anstellungsvertrag vom 23.10.1997 (Bl. 11 ff. bzw. Bl. 71 ff. d. A.) sowie die dazugehörende Stellenbeschreibung vom 23.10.1997 (Bl. 19 ff. bzw. Bl. 71 ff. d. A.) wird Bezug genommen. Aufgrund des Änderungsvertrags mit der Beklagten zu 1) vom 04.08.1999 (Bl. 26 ff. bzw. Bl. 86 ff. d. A.) und der dazugehörenden Stellenbeschreibung vom 04.08.1999 (Bl. 34 ff. bzw. Bl. 94 ff. d. A.) wurde er ab dem 01.09.1999 als Theaterleiter in der U G. angestellt.
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Aufgrund eines weiteren Änderungsvertrages mit der Beklagten zu 1) vom 06.04.2000 (Bl. 101 ff. d. A.) wurde er für die Dauer von 4 Monaten ab dem 01.03.2000 als Theaterleiter der U. in G. und C. beschäftigt. Ab dem 01.07.2000 wurde er wieder als Theaterleiter der U. G. zu den bis zum 29.02.2000 arbeitsvertraglich geltenden Bedingungen weiterbeschäftigt.
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Seine Vergütung betrug zuletzt 3.958,77 € brutto monatlich. Er bezog 13 Vergütungen pro Kalenderjahr.
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Mit Schreiben vom 25.05.2000 (Bl. 41 d. A.) wurde dem Kläger bestätigt, dass sein Arbeitsverhältnis mit der Firma U. GmbH auf die K. GmbH mit Wirkung ab dem 01.06.2000 gemäß § 613 a BGB übergeht.
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In der Folgezeit hat der Kläger als Theaterleiter diverse Verträge mit Mitarbeitern im Namen der K. GmbH abgeschlossen. Auf das Anlagenkonvolut B2 (Bl. 105 bis 124 d. A.) wird Bezug genommen.
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Im Kalenderjahr 2019 hat die K. GmbH umfirmiert in U. GmbH und ihren Sitz von G. nach B. verlegt.
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Die Beklagte zu 2) betrieb das Kino im G in angemieteten Räumlichkeiten. Nach ihrem Vortrag wiesen die Räumlichkeiten erhebliche Mängel in der Bausubstanz auf, die unter anderem durch den Starkregen Mitte August 2020 verursacht wurden und eine Wiederaufnahme des Betriebs nach der Covid-19-bedingten Schließung unmöglich gemacht hätten. Der Vermieter sei nicht bereit gewesen, die Schäden zu beseitigen. Deswegen habe die Beklagte zu 2) am 16.11.2020 die unternehmerische Entscheidung getroffen, den laufenden Gewerbemietvertrag über die Kinoräumlichkeiten fristlos zu kündigen und den Betrieb des Kinos endgültig und dauerhaft zu schließen.
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Am 19.11.2020 hat eine Betriebsversammlung stattgefunden, die geleitet worden ist von Frau W. in ihrer Funktion als People Business Partner.
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Ebenfalls am 19.11.2020 erfolgte die Anhörung des Betriebsrats zur beabsichtigten ordentlichen fristgerechten Kündigung sämtlicher Mitarbeiter (Bl. 142 ff. d. A.).
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Am 23.11.2020 erfolgte die außerordentliche fristlose Kündigung des Gewerbemietvertrages.
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Unter dem 26.11.2020 hat der Betriebsrat Widerspruch zur ordentlichen fristgerechten Kündigung erhoben (Bl. 147 f. d. A.).
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Mit Schreiben vom 27.11.2020 (Bl. 42 f. d. A.) haben die Beklagten zu 1) und 2) das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der U. GmbH sowie vorsorglich auch ein etwaig bestehendes Arbeitsverhältnis mit der U. ordentlich fristgemäß zum 30.06.2021 gekündigt.
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Hiergegen richtet sich die vom Kläger am 14.12.2020 erhobene Kündigungsschutzklage.
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Der Kläger hält die ausgesprochenen Kündigungen für sozial ungerechtfertigt.
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Er bestreite mit Nichtwissen, dass es per 01.06.2000 zu einem wie auch immer gearteten Betriebsübergang im Sinne des § 613 a BGB von der Beklagten zu 1) auf die K. GmbH gekommen sei. Demzufolge bestehe kein Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der Beklagten zu 2).
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Die Kündigung sei rechtsunwirksam, weil die die Kündigung erklärende Frau W. eine Vollmachtsurkunde nicht vorgelegt habe und der Kläger die Kündigung unverzüglich zurückgewiesen habe.
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Die Anhörung des Betriebsrats sei nicht ordnungsgemäß erfolgt.
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Eine dauerhafte Betriebsschließung werde bestritten, es würden noch Verhandlungen mit dem Vermieter geführt. Die Sozialauswahl habe auch auf andere Standorte erstreckt werden müssen, weil es sich bei allen von der U. Gruppe betriebenen Kinos um einen gemeinsamen Betrieb handele.
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Eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei wegen des arbeitsvertraglich vorgesehenen Versetzungsvorbehaltes möglich.
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Der Kläger beantragt,
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1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) durch die Kündigung vom 27.11.2020 nicht aufgelöst worden ist.
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28
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 2) durch die ordentliche Kündigung vom 27.11.2020 nicht aufgelöst worden ist.
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29
3. die Beklagte zu 1), hilfsweise die Beklagte zu 2), zu verurteilen, dem Kläger ein vorläufiges Arbeitszeugnis zu erteilen, das sich auf Art und Dauer sowie Verhalten und Leistung während des Arbeitsverhältnisses erstreckt.
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30
4. die Beklagte zu 1), hilfsweise die Beklagte zu 2), zu verurteilen, dem Kläger zu den bisherigen Arbeitsbedingungen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Feststellungsanträge als Theaterleiter mit einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden weiter zu beschäftigen.
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31
5. hilfsweise, für den Fall, dass die Feststellungsanträge zu 1. und 2. abgewiesen werden, die Beklagte zu 1), hilfsweise die Beklagte zu 2), zu verurteilen, dem Kläger ein endgültiges Arbeitszeugnis, dass sich auf Art und Dauer sowie Verhalten und Leistung während des Arbeitsverhältnisses erstreckt, zu erteilen.
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32
6. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, an den Kläger 15.835,08 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 3.958,77 € seit dem 01.08.2021, 01.09.2021, 01.10.2021 und 01.11.2021 abzüglich erhaltener Leistungen der Agentur für Arbeit in Höhe von 7.237,20 € netto zu zahlen.
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33
Die Beklagte beantragt,
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34
1. die Klage abzuweisen.
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2. hilfsweise, für den Fall, dass die Klageanträge Ziffer 1. oder 2. begründet sind, die Beklagte zu 2) von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung zu entbinden.
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36
Die Beklagten zu 1) und 2) tragen vor, das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten zu 1) sei am 01.06.2000 auf die K. GmbH übergegangen. Der Kläger habe dem Betriebsübergang nicht widersprochen. Im Zeitpunkt des Betriebsübergangs habe es noch keine gesetzliche Unterrichtungspflicht gegeben, weil § 613 a Abs. 5 BGB erst im Kalenderjahr 2002 in Kraft getreten sei.
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37
Die Beklagte zu 2) habe als einziges Kino die U.t in G. betrieben. Diese sei aufgrund nicht zu beanstandender unternehmerischer Entscheidung dauerhaft und endgültig geschlossen. Die Kündigung sei durch die dazu bevollmächtigte Frau W. ausgesprochen worden. Die Zurückweisung durch den Kläger sei nicht unverzüglich erfolgt. Eine Sozialauswahl sei entfallen, weil allen betroffenen Mitarbeitern gekündigt worden sei. Ein gemeinsamer Betrieb der Beklagten zu 2) mit anderen Gesellschaften, die zur U. Gruppe gehören, liege nicht vor. Dies gelte insbesondere für die Beklagte zu 1). Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus würde zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung führen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des umfangreichen Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst allen dazugehörenden Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 22.03.2021 und 10.11.2021 Bezug genommen. | 1. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, dem Kläger ein Arbeitszeugnis zu erteilen, das sich auf Art und Dauer der Tätigkeit sowie auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis erstreckt.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu 92 Prozent und die Beklagte zu 2) zu 8 Prozent zu tragen.
4. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 47.505,24 € festgesetzt. | 1 |
VG Trier 1. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 19.01.2010 | 1 | Randnummer
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Die Klägerin begehrt die dauerhafte Übertragung der Funktion einer Rektorin als Leiterin der Realschule plus ... sowie die Einweisung in eine Planstelle nach der Besoldungsgruppe A 15.
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2
Die Klägerin wurde 2002 zur Realschulrektorin an der ...-Realschule in ... ernannt. Als Rektorin einer Realschule mit 181 bis 360 Schülerinnen und Schülern wurde sie in diesem Amt nach der Besoldungsgruppe A 14 Z besoldet.
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Mit Schreiben vom 05. Februar 2009 beantragte die Klägerin bei der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (im Folgenden: ADD) unter Berufung auf die gestiegene Schülerzahl im Dezember 2008 ihre Höhergruppierung in die Besoldungsgruppe A 15. Mit Bewerbungsschreiben vom 16. Februar 2009 bewarb sie sich sodann um die im Amtsblatt des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur Nr. 1 vom 28. Januar 2009 zum 01. August 2009 ausgeschriebene Stelle der Rektorin/des Rektors an der Realschule plus in .... Weitere Bewerbungen lagen nicht vor.
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Die neugeschaffene Realschule plus in ... wurde zum Schuljahr 2009/2010 unter Aufhebung der Realschule ... und der ...-Hauptschule ... gebildet.
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5
Nach Durchführung der funktionsbezogenen Überprüfung am 30. April 2009 schlug die ADD mit Schreiben vom 06. Juli 2009 dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur vor, die Stelle mit der Klägerin zu besetzen. Diese sei in besonderem Maße geeignet, die angestrebte Funktion zu übernehmen. Mit Schreiben des Ministeriums vom 24. Juli 2009 wurde die Klägerin mit ihrem Einverständnis aus dienstlichen Gründen mit Wirkung vom 01. August 2009 von der ...-Realschule in ... an die Realschule plus in ... versetzt. Gleichzeitig wurde sie kommissarisch zur Leiterin dieser Schule bestellt. Es wurde darauf hingewiesen, dass durch die kommissarische Bestellung in der Höhe der Dienstbezüge keine Änderung eintrete. Nachdem sich die Klägerin zunächst geweigert hatte, den Brief mit ihrer Bestellung zur kommissarischen Schulleiterin in Empfang zu nehmen, unterzeichnete sie unter Vorbehalt einer weiteren rechtlichen Prüfung am 09. Oktober 2009 die Empfangsbestätigung zum Zwecke der Dokumentation ihrer kommissarischen Bestellung.
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Bereits mit Schreiben vom 20. August 2009 hatte die Klägerin gegen die mit Bescheid vom 24. Juli 2009 vorgesehene kommissarische Bestellung Widerspruch eingelegt. Mit gesondertem Schreiben gleichen Datums wurde die ADD aufgefordert, innerhalb angemessener Frist über den von ihr mit Schreiben vom 05. Februar 2009 gestellten Antrag auf Höhergruppierung zu entscheiden.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 18. September 2009 wies die ADD den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe kein Anspruch auf sofortige Beförderung ohne Ableistung einer Probezeit zu, weshalb die kommissarische Bestellung zur Leiterin der Realschule plus ... zu Recht erfolgt sei. Nach den gesetzlichen Vorgaben sei eine Beförderung nur nach Ableistung einer Probezeit, in der die Eignung für den höher bewerteten Dienstposten festgestellt werde, möglich. Diese Erprobungszeit betrage nach der maßgeblichen Verwaltungsvorschrift zwölf Monate. Sei jedoch mit der Übernahme des neuen Amtes eine Beförderungsmöglichkeit verbunden, könne eine Bestellung nur kommissarisch erfolgen. Die Klägerin habe sich zunächst als Realschulrektorin in der Besoldungsgruppe A 14 Z befunden und habe nun kommissarisch die mit der Besoldungsgruppe A 15 ausgeschriebene Stelle der Rektorin der Realschule plus ... übernommen. Dieses Verfahren sei üblich und werde zum Beispiel auch dann angewandt, wenn ein Schulleiter einer kleinen Grundschule die Leitung einer größeren Grundschule mit höherer Dotierung übernehme. Da sich für die Schulleitungen an den sogenannten optierten Realschulen plus in Folge der geänderten Schulform ein Großteil an neuen Aufgaben stelle, sei auch von langjährig erfahrenen Schulleiterinnen und Schulleitern bei bestehender Beförderungsoption eine Erprobungszeit zu erbringen. Neben der Beförderung habe vorliegend eine Versetzung erfolgen müssen, da sie sich auf eine Funktionsstelle an einer anderen als der bisherigen Einsatzschule beworben habe.
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Mit gesondertem Schreiben gleichen Datums wurde die Klägerin seitens der ADD darauf hingewiesen, dass ihr bereits in einem Telefonat vermittelt worden sei, dass die beantragte Höhegruppierung erst im Rahmen der Neuerrichtung der Realschule plus möglich sei.
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Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 21. Oktober 2009 fristgerecht die vorliegende Klage erhoben. Sie trägt vor, der angefochtene Bescheid vom 24. Juli 2009 gehe selbst davon aus, dass nicht eine Beförderung, sondern lediglich eine Versetzung erfolgt sei. Unter Zugrundelegung der gesetzlich vorgesehenen Einreihung der Ämter in die Besoldungsgruppen auf der Basis der Zahl der Schüler einer Schule habe sie seit dem 01. Januar 2009 eine Funktion ausgeübt, der die Wertigkeit eines Amtes nach der Besoldungsgruppe A 15 zukomme. Dies deshalb, weil die Schülerzahl von 360 Schülern seit Dezember 2008 überschritten sei. Wenn auch grundsätzlich aus der Wahrnehmung der Obliegenheiten eines höherwertigen Amtes in aller Regel kein Anspruch des Beamten auf Verleihung eines entsprechenden Status folge, so könne jedoch ausnahmsweise aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber dem Beamten eine solche Verpflichtung folgen. In ihrem Falle stelle sich die Beförderung in die Besoldungsgruppe A 15 auf Grund der gestiegenen Schülerzahlen nur noch als exekutive Maßnahme zur Verwirklichung des bereits geäußerten Willens des Gesetzgebers dar. Komme für die Besetzung der höher zu bewertenden Stelle - wie hier - kein anderer Beamter in Betracht, verdichte sich der Anspruch des Beamten aus der Fürsorgepflicht zu einem Ernennungsanspruch gegenüber dem Dienstherrn. Die kommissarische Ernennung verletze sie in ihren Rechten und verstoße auch gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung. Die bestehenden Hauptschulen, dualen Oberschulen und Regionalschulen seien im Zuge der Schulreform kraft Gesetzes in Realschulen plus umgewandelt worden. Den Leitern dieser Schulen sei die Leitung der umgewandelten Realschulen plus sofort und auf Dauer übertragen worden. Der Umstand, dass demgegenüber die bestehenden Realschulen nicht automatisch sondern nur auf Antrag in Realschulen plus umgewandelt würden, stelle keinen sachlichen Grund für die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung der verbeamteten Schulleiter dar. In dem einen wie in dem anderen Fall seien die früheren Schulleiter mit neuen Aufgaben betraut.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 24. Juli 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2009 zu verpflichten, ihr ab dem 01. August 2009 die Funktion einer Rektorin als Leiterin der ... -Realschule plus in ... auf Dauer zu übertragen und sie in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 15 einzuweisen,
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hilfsweise,
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sie im Wege des Schadensersatzes entsprechend zu stellen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er trägt vor, der Klägerin stehe der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Er weist darauf hin, dass der Widerspruch vom 20. August 2009 zunächst ins Leere gelaufen sei, da die Klägerin das Bestellungsschreiben zur kommissarischen Rektorin nicht akzeptiert habe. Dennoch habe sich der Beklagte mit Widerspruchsbescheid der ADD vom 18. September 2009 zur Sache eingelassen. Obwohl die ADD zum Erlass des Widerspruchsbescheides nicht zuständig gewesen sei, mache sich das zuständige Ministerium die Ausführungen des Widerspruchsbescheides zu eigen. Ergänzend zum Widerspruchsbescheid wird ausgeführt, dass allein das Erreichen einer festgelegten Schülerzahl keinen Anspruch auf Besoldung aus dem zugeordneten Amt begründe. Dies folge bereits aus § 19 Abs. 2 Bundesbesoldungsgesetz. Zudem sei nach den maßgeblichen Vorschriften für die Einreihung der Ämter in die Besoldungsgruppen die Schülerzahl nach der amtlichen Schulstatistik vom Beginn des folgenden Haushaltsjahres maßgebend. Die amtliche Schulstatistik für das Schuljahr 2008/2009 sei zum Stichtag 21. August 2008 erstellt worden. An diesem Stichtag habe die Schülerzahl an der ... -Realschule in ... unter der für eine Anhebung der Stelle nach Besoldungsgruppe A 15 maßgeblichen Zahl von 360 Schülerinnen und Schülern gelegen. Die Übertragung des kommissarisch zugewiesenen, nach Besoldungsgruppe A 15 bewerteten, neuen Amtes einer Rektorin der Realschule plus ... stelle sich mithin für die korrekterweise nach Besoldungsgruppe A 14 Z besoldete Klägerin als Beförderungsmöglichkeit dar. Eine Beförderung sei nur nach Ableistung einer Probezeit möglich. Die im Bewerbungsverfahren vorgelegte Leistungsbewertung stelle die funktionsbezogene Überprüfung hinsichtlich ihrer voraussichtlich künftigen Eignung dar und könne die tatsächliche Eignung auf dem konkreten Dienstposten nicht nachweisen. Eine Verletzung des Gleichheitsgebots nach Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz - GG - sei nicht gegeben. Auf Grund der unterschiedlichen Gegebenheiten der bestehenden Schularten bei Einführung der Realschule plus sei die Weiterführung der Regionalen Schulen in Realschulen plus und die Überleitung der Hauptschulen und Realschulen in Realschulen plus differenziert geregelt worden. Diese unterschiedlichen Überleitungswege hätten personell zur Folge, dass das Schulleitungspersonal an den Regionalen Schulen im Amt bliebe, während die Leitungspositionen an den neu zu errichtenden Schulen ausgeschrieben und im Wege eines Auswahlverfahrens besetzt würden. Zur besoldungsrechtlichen Überleitung des Personals an den Regionalen Schulen sei explizit eine entsprechende Regelung getroffen worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu der Gerichtsakte gereichten Schriftsätze sowie auf die Verwaltungsvorgänge verwiesen. Diese lagen dem Gericht vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Vollstreckungsschuldnerin bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Zahlung oder Hinterlegung einer Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckungsfähigen Betrages abzuwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet. | 0 |
Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern 6. Senat | Mecklenburg-Vorpommern | 0 | 0 | 17.07.2013 | 0 | Randnummer
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Streitig ist, ob die Beklagte der Klägerin eine Dermolipektomie an den Armen und den Oberschenkeln beidseits sowie Abdominoplastik nach starkem Gewichtsverlust im Anschluss an eine operative Magenverkleinerung als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren hatte.
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Die 1956 geborene Klägerin ist Verkäuferin in einem Möbelfachgeschäft und bei der Beklagten versichert. Sie litt unter einer morbiden Adipositas mit einem Gewicht von 150 kg bei einer Größe von 168 cm, weswegen im Mai 2010 zu Lasten der Beklagten eine operative Magenverkleinerung erfolgte. Im Anschluss verlor die Klägerin massiv an Gewicht, d. h. im Oktober 2011 betrug das aktuelle Körpergewicht 94 kg.
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Am 20. Juni 2011 beantragte die Klägerin unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung des Universitätsklinikums C. die Kostenübernahme für eine Dermolipektomie (Hautstraffung) an den Armen und Oberschenkeln, jeweils beidseits, sowie einer Abdominoplastik (Bauchdeckenstraffung). Die Ärzte des Universitätsklinikums C. führten aus, es bestünden Haut-Weichteilüberschüsse an den Armen und Beinen beidseits, Abdomen und Mammae beidseits. Aufgrund des vorliegenden Befundes bestünde eine medizinische Indikation zur Durchführung der geplanten Eingriffe, die sequentiell im Rahmen mehrerer stationärer Aufenthalte erfolgen sollten.
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Der von der Beklagten beauftragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK), Dr. B., verneinte in einem Gutachten vom 01. September 2011 (nach Aktenlage, Fotodokumentation lag vor) eine Indikation für die beantragten Eingriffe. Es bestünden nach ausgeprägter Gewichtsabnahme nach Magenverkleinerung Haut/Weichteilüberschüsse im Bereich beider Oberarme, Oberschenkel sowie im Bereich der Bauchdecken. Funktionsbehinderungen seien weder beschrieben, noch aus den Unterlagen ersichtlich. Auch seien keine therapieresistenten Hautveränderungen beschrieben oder ersichtlich. Ein dermatologischer Befundbericht sei trotz expliziter Nachfrage nicht vorgelegt worden. Die vorliegenden Veränderungen nach Gewichtsreduktion stellten keine Entstellung im Sinne der Gesetzgebung dar, da sie durch Wahl geeigneter Kleidung zu kaschieren seien.
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Mit Bescheid vom 05. September 2011 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme mit der Begründung ab, die medizinischen Voraussetzungen hierfür lägen nicht vor. Hierzu bezog sie sich auf das eingeholte Gutachten des MDK.
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6
Mit dem am 21. September 2011 bei der Beklagten eingegangenem Widerspruch kritisierte die Klägerin die Begutachtung nach Aktenlage ohne körperlichen Befund. Nach Empfehlung der Ärzte des Universitätsklinikums C. sei ein plastischer Eingriff unumgänglich. Sicherlich sei es aufgrund der nicht so perfekten privaten Fotoaufnahmen zur Ablehnung gekommen. Die Klägerin legte eine erneute Fotodokumentation bei sowie eine Bescheinigung der Fachärztin für Neurologie/Psychiatrie Dr. L. vom 19. September 2011 und eine hautfachärztliche Bescheinigung des Dr. D. vom gleichen Tag. Dr. L. führte im Wesentlichen aus, ihre Patientin habe mit der viel zu großen Haut nach der massiven Gewichtsreduktion Probleme bekommen. Sie hänge überall herum und behindere sie in der Beweglichkeit. Auch habe sie immer die Angst, schlecht zu riechen, auch durch die „Hautlappen“ eine Pilzinfektion zu bekommen. Sie traue sich auch nicht in die Öffentlichkeit, schon gar nicht an den Strand, ohne lange Bekleidung (lange Arme, lange Hosen). Die sonst sehr lebhafte, agile Frau ziehe sich immer mehr zurück, vermeide zunehmend soziale Kontakte. Wenn die völlig inakzeptablen Veränderungen nicht wären, wäre sie der glücklichste Mensch. Der Einsatz von Antidepressiva wäre eine Lösung, aber nicht die Richtige. Sie empfehle die Übernahme der Kosten der operativen Hautentfernung. Dr. D. führte im Wesentlichen aus, die Hautlappen würden die Beweglichkeit im Arm- und Beinbereich deutlich beeinträchtigen. Aufgrund der daraus resultierenden Störung der Beweglichkeit und der Neigung zum Intertrigo durch die Fettschürzenbildungen sei eine plastische Operation hautärztlicherseits dringend angeraten.
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Dr. P. vom MDK schätzte in einem Gutachten nach Aktenlage vom 11. Oktober 2011 ein, es läge unter Wertung der vorliegenden Befunde und ärztlichen Bescheinigungen weiterhin keine hinreichende medizinische Begründung für die geplanten Eingriffe vor. Ein regelwidriger Körperzustand sei nicht festzustellen. Eine Entstellung im Sinne der Gesetzgebung liege hier nicht vor, da die Veränderungen durch die Auswahl geeigneter Bekleidung zu kaschieren seien. Aus der vom Hautarzt beschriebenen Neigung zum Intertrigo sei eine therapierefraktäre Hauterkrankung mit regelmäßiger hautärztlicher Behandlung nicht ersichtlich. Funktionsbehinderungen und deutliche Einschränkungen der Beweglichkeit seien nicht erkennbar. Die beschriebene psychische Problematik begründe keine medizinische Indikation für einen operativen Eingriff. Der von der behandelnden Neurologin/Psychiaterin beschriebene soziale Rückzug der Versicherten sei mit den Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu behandeln.
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8
In einer weiteren Bescheinigung von 22. November 2011 führten die Ärzte des Universitätsklinikums C. ergänzend aus, im Rahmen der Gewichtung der aktuellen Behandlungskosten sowie der Möglichkeiten weiterer entstehender Kosten aufgrund weiterer Hauterkrankungen und unter Umständen notwendiger psychiatrischer Behandlung wäre aus ihrer Sicht die dringende medizinische Indikation gegeben.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 28. März 2012 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit der Begründung zurück, eine medizinische Indikation sei nach dem Ergebnis der erneuten MDK-Begutachtung weiterhin zu verneinen.
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Mit der am 18. April 2012 beim Sozialgericht (SG) Schwerin erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, die Beklagte habe ihr wegen ihrer Krankenvorgeschichte (Hypertonie, Arthrose, Kniebeschwerden, Sodbrennen usw.) die Magenverkleinerung genehmigt und die Kosten übernommen. Nach großem Gewichtsverlust von 60 kg sei es nicht ausgeblieben, dass sich große Haut- und Weichteilüberschüsse an Armen, Beinen und Bauch gebildet hätten. Diese seien trotz großer Anstrengung ihrerseits durch Sport etc. nicht zu reduzieren. Der MDK habe ausschließlich nach Aktenlage entschieden. Sie könne nicht ihr Leben lang auf weite Kleidung verwiesen werden. Sie wolle sich modern und selbstbewusst kleiden können, auch einmal baden gehen, ärmellose oder kurzärmlige T-Shirts usw. tragen. Bei ihrem jetzigen Aussehen sei sie dazu aber nicht in der Lage und schäme sich, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Von anderen Betroffenen habe sie erfahren, dass es schon Entscheidungen gebe, in denen die Kasse zur Übernahme der Nachfolgeoperationen nach einer bewilligten Magenverkleinerung verpflichtet worden sei. Sämtliche Ärzte würden ihr zu diesen Eingriffen raten. Seit der Operation im Jahre 2010 sei sie nicht wieder arbeitsunfähig gewesen. Um völlig zu genesen und vor allem ihre Lebensqualität ohne Einschränkung und ohne psychische Belastung wiederzuerlangen, wäre sie über eine positive Entscheidung dankbar.
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Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,
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den Bescheid vom 05. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. März 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Dermolipektomie sowie eine Abdominoplastik nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat an ihrer Auffassung festgehalten, eine medizinische Indikation zur Beseitigung der Hautlappen bestünde nicht.
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Die Klägerin hat auf Befragen des SG näher zu den Beeinträchtigungen durch die Hautlappen vorgetragen. Sie hat dargelegt, es sei ihr zum Beispiel unangenehm, Kunden die Schlaffunktion einer Couch vorzuführen, da sie sich dann bücken müsse und dabei die Bein- und Bauchlappen mächtig schwabbeln würden, was der Kunde gewiss bemerke. Zu Pilzinfektionen sei es aufgrund ihrer sorgfältigen hygienischen Hautpflege bisher nicht gekommen. Sportlich laufe sie nach vorangegangenem Rehasport jetzt jeden Tag Nordic Walking - vier bis fünf km -, um Muskeln aufzubauen und die Haut zu straffen. Gleichwohl könne sich die überschüssige Haut aus ihrer Sicht – und aller ihrer Ärzte – nicht ohne medizinische Hilfe von selbst zurückbilden.
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Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten die Klage durch Gerichtsbescheid vom 10. Oktober 2012 abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, ein Anspruch auf Kostenübernahme der begehrten Eingriffe gegenüber der Beklagten bestünde nicht. Weder sei die Klägerin in ihren Körperfunktionen beeinträchtigt, noch liege eine entstellende anatomische Abweichung vor. Eine Beeinträchtigung der Körperfunktionen der Arme, Beine und des Bauches über ein „Schwabbeln“ der Hautlappen hinaus werde von der Klägerin nicht vorgetragen. Auch führten die Hautlappen nicht zu dermatologischen Erkrankungen, wie z. B. Pilzinfektionen. Schließlich liege auch keine Entstellung vor. Es möge aus Sicht der Klägerin verständlich sein, dass sie sich in der Öffentlichkeit nicht mit unbekleideten Oberarmen oder auch beim Baden nur mit einem Badeanzug bekleidet zeigen wolle. Der krankenversicherungsrechtliche Maßstab stelle jedoch auf das Zeigen in der Öffentlichkeit im bekleideten Zustand ab. Durch Kleidung seien die Hautlappen jedenfalls so zu be- und verdecken, dass sie hier keine abnorme Auffälligkeit darstellten. Die psychischen Belastungen rechtfertigten ebenfalls keinen operativen Eingriff auf Kosten der GKV. Insoweit seien psychologische/psychiatrische Behandlungen vorrangig. Zudem sei die Klägerin trotz der von ihr als unangenehm oder peinlich empfundenen Umstände durch ihre Arbeit und sportlichen Aktivitäten in der Gesellschaft eingegliedert und im Alltag mobil.
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Die Klägerin hat gegen den ihr am 12. Oktober 2012 zugestellten Gerichtsbescheid am 22. Oktober 2012 Berufung eingelegt. Sie sei über die Genehmigung der Magenverkleinerung und die große Gewichtsabnahme sehr glücklich gewesen und könne nicht verstehen, dass nun die Nachoperationen abgelehnt würden. Die Begründung, sie könne die Hautlappen mit Kleidung kaschieren und zudem seien keine Hautinfektionen aufgetreten, empfinde sie als menschenunwürdig. Sie müsse wohl in Zukunft ihren Körper nicht waschen und pflegen, damit es zu extremen Pilzinfektionen und Komplikationen käme. Sie sei auch nicht in der Gesellschaft und im Alltag so mobil eingegliedert, wie im Urteil beschrieben. Sie mache alles mit großen Einschränkungen und Handicaps. Gerne würde sie sich sportlich und sommerlich kleiden, mal Baden und Schwimmen gehen, was ihr alles nicht möglich sei. Eine Entscheidung ohne persönliche Vorstellung und Begutachtung, nur nach Aktenlage, sei für sie auch keine akzeptable Rechtsprechung.
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Die Klägerin beantragt,
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den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Schwerin vom 10. Oktober 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 05. September 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. März 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Dermolipektomie an den Armen beidseits, an den Oberschenkeln beidseits sowie eine Abdominoplastik zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
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Sie bezieht sich auf die erstinstanzliche Entscheidung. | Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des SG Schwerin vom 10. Oktober 2012 und der Bescheid der Beklagten vom 05. September 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. März 2012 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine Dermolipektomie an den Armen und an den Oberschenkeln, jeweils beidseits, sowie eine Abdominoplastik zu gewähren.
Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen. | 1 |
VG Berlin 3. Kammer | Berlin | 0 | 1 | 13.12.2016 | 1 | Randnummer
1
Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung seiner Abschiebung nach Ungarn im Wege einer sogenannten Dublin-Überstellung.
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2
Der 1991 geborene Kläger ist iranischer Staatsangehöriger, reiste Anfang März 2016 nach Deutschland ein und ersuchte um internationalen Schutz. In seinem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates und der Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrages gab er an, keine Verwandten in der Bundesrepublik Deutschland zu haben. Über ein Aufenthaltsdokument bzw. ein Visum für die Bundesrepublik Deutschland oder einen anderen Mitgliedstaat verfüge er nicht. Den Iran habe er Ende 2015 verlassen und sei über die Türkei, Griechenland, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland gelangt. Dokumente über diese Voraufenthalte habe er nicht. In Ungarn seien ihm Fingerabdrücke abgenommen worden. Die Frage nach Beschwerden, Erkrankungen, Gebrechen oder Behinderungen verneinte der Kläger.
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Aufgrund des Eurodac-Treffers HU1..., wonach der Kläger bereits in Ungarn im Februar 2016 um internationalen Schutz nachgesucht hat, richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) Mitte April 2016 ein Wiederaufnahmegesuch an Ungarn. Die ungarische Dublin-Einheit bestätigte den Erhalt des Gesuchs mit Email vom gleichen Tag.
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Mit Bescheid vom 19. Mai 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheidtenors), ordnete die Abschiebung des Klägers nach Ungarn an (Nr. 2 des Bescheidtenors) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 3 des Bescheidtenors).
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Hiergegen hat der Kläger am 2. Juni 2016 Klage erhoben. Seinem zugleich gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat der Einzelrichter mit Beschluss vom 26. August 2016 - VG 3 L 202.16 A - stattgegeben.
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Der Kläger hat seine Klage nicht weiter begründet.
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Dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 13. Dezember 2016 ist er fern geblieben.
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8
Die Beklagte beantragt,
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9
die Klage abzuweisen.
Randnummer
10
Die Kammer hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 13. Dezember 2016 den Liaison-Beamten des Bundesamtes beim Ungarischen Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft T... (nachfolgend: Liaison-Beamter) informatorisch angehört. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift (Blatt 65 bis 66 R der Streitakte) sowie den überreichten Lagebericht für Dublin-Rückkehrer zum Mitgliedstaat Ungarn vom 30. November 2016 (Bl. 68 bis 75 der Streitakte) nebst Ergänzung vom 9. Dezember 2016 (Bl. 76 f. der Streitakte, nachfolgend: Ergänzung), ferner auf die überreichte Übersicht zu den Prüffällen und Übernahmeersuchen nach der Dublin-Verordnung (Bl. 78 f. der Streitakte) verwiesen.
Randnummer
11
Die Kammer hat den Bundesamtsvorgang 6621296-439 sowie die Ausländerakte des Klägers beigezogen. Die genannten Vorgänge sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. | Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. | 0 |
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht 3. Senat | Hamburg | 0 | 1 | 11.01.2018 | 1 | Randnummer
1
Der Kläger begehrt die Zulassung zu einer mündlichen Ergänzungsprüfung.
Randnummer
2
Der Kläger studiert seit dem Wintersemester 2007/2008 Fahrzeugbau bei der Beklagten mit dem Ziel des Bachelorabschlusses. Am 23. Februar 2012 nahm er ohne Erfolg an der zweiten Wiederholung der Modulprüfung „Mathematik 2“ teil. Seine Arbeit wurde mit der Note 5,0 bewertet. Der Kläger beantragte am 6. April 2012 eine mündliche Überprüfung im Fach „Mathematik 2“ und machte zur Begründung im Wesentlichen geltend: Nach der Allgemeinen Prüfungs- und Studienordnung für Bachelor- und Masterstudiengänge an der Fakultät Technik und Informatik der Beklagten (im Folgenden: Allgemeine Prüfungs- und Studienordnung Technik/Informatik) könnten die studiengangspezifischen Prüfungs- und Studienordnungen die Möglichkeit einer mündlichen Ergänzungsprüfung vorsehen. Die Prüfungs- und Studienordnung für die maschinenbaulichen Studiengänge (Studiengangspezifische Prüfungs- und Studienordnung für die Bachelorstudiengänge Maschinenbau/ Energie- und Anlagensysteme, Maschinenbau/ Entwicklung und Konstruktion, sowie Produktionstechnik und -management am Department Maschinenbau und Produktion der Fakultät Technik und Informatik, im Folgenden: Prüfungs- und Studienordnung Maschinenbau) sähe diese Möglichkeit für den Fall vor, dass eine Klausur bei der zweiten Wiederholung mit „nicht ausreichend“ bewertet worden sei. Es sei ihm ein Rätsel, warum die für ihn maßgebliche Fachspezifische Prüfungs- und Studienordnung für die Bachelorstudiengänge Fahrzeugbau und Flugzeugbau (im Folgenden: Prüfungs- und Studienordnung Fahrzeugbau) weniger studentenfreundlich sei. Als einer der ersten Bachelorstudenten fühle er sich zudem regelrecht als Versuchskaninchen. Die für ihn maßgebliche (frühere) Regelung über die Pflichtanmeldung zu Klausuren habe ihn dazu gezwungen, Klausuren zu schreiben, auch wenn er schlecht vorbereitet gewesen sei.
Randnummer
3
Der Prüfungsausschuss der Beklagten lehnte den Antrag des Klägers unter dem 13. April 2012 mit der Begründung ab, dass die für den Kläger maßgebliche Prüfungs- und Studienordnung Fahrzeugbau eine mündliche Überprüfung nach einer Prüfungsnote von 5,0 nicht vorsehe.
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4
Der Kläger hatte bereits am 11. April 2012 „Widerspruch gegen die Ablehnung einer mündlichen Ergänzungsprüfung in MA2“ erhoben. Mit seiner Begründung rügte er im Kern seine Benachteiligung aufgrund der für ihn geltenden Verpflichtung zur Teilnahme an Prüfungen aus dem ersten Studienjahr und der fehlenden Möglichkeit einer mündlichen Ergänzungsprüfung im Studiengang Fahrzeugbau im Falle einer Bewertung einer Klausur mit der Note 5,0.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2013, zugestellt am 12. März 2013, wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. § 11 Abs. 2 der für ihn geltenden Prüfungs- und Studienordnung Fahrzeugbau sehe die Möglichkeit einer mündlichen Überprüfung vor, sofern eine Klausur der oder des Studierenden mit 4,3 bewertet worden sei. Im Fall des Klägers sei die Durchführung einer mündlichen Prüfung abzulehnen gewesen, weil sein dritter Prüfungsversuch mit einer schlechteren Note als 4,3 bewertet worden sei. Die Regelung verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Selbst die Beschränkung auf nur eine Wiederholungsmöglichkeit einer Prüfung sei mit Art. 12 GG vereinbar. Auch die Teilnahmepflicht an den Prüfungen des ersten Studienjahres der seinerzeit für den Kläger geltenden Prüfungs- und Studienordnung sei rechtmäßig gewesen. Die Regelung habe einen zügigen Studienverlauf während der ersten zwei Semester gefördert.
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Mit seiner daraufhin erhobenen Klage hat der Kläger erneut auf die unterschiedlichen Regelungen in den Prüfungs- und Studienordnungen der Studiengänge Fahrzeugbau und Maschinenbau sowie die Möglichkeit, sich im Falle eines Studiengangwechsels Prüfungsleistungen anrechnen zu lassen, verwiesen. An einen späteren Maschinenbauingenieur seien nicht geringere Anforderungen zu stellen als an einen Fahrzeugbauingenieur. Die Begründung der Regelung zu den Pflichtanmeldungen sei für ihn unvollständig. Sie trage der unterschiedlichen individuellen Situation der Studierenden nicht ausreichend Rechnung. Eine Kontrolle der Regelung habe auch nicht sichergestellt werden können. Er fordere mit seiner Klage auch die Streichung aller seiner Fehlversuche im Kurs „Mathematik 2“.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 13. April 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Februar 2013 zu verpflichten, ihn zur mündlichen Überprüfung im Modul „Mathematik 2“ im Studiengang Fahrzeugbau zuzulassen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat ergänzend zu ihrem Vorbringen im Widerspruchsbescheid ausgeführt, dass eine Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG nur vorliege, wenn wesentlich Gleiches willkürlich ungleich und Ungleiches willkürlich gleich behandelt werde. Im vorliegenden Fall seien die Studierenden verschiedener Studiengänge schon nicht derselben Vergleichsgruppe zuzuordnen. Es sei zulässig, dass jeder Studiengang bei der Anzahl der Wiederholungsmöglichkeiten der Prüfungsversuche an die entsprechende Qualifikation seiner Studierenden anknüpfe und hierbei im Vergleich zu anderen Studiengängen unterschiedlich hohe Anforderungen stelle. Insbesondere sei auch keine Willkür darin zu erkennen, dass zwei verschiedene Studiengänge einer Fakultät bei der Gewährung der dritten und verfassungsrechtlich nicht gebotenen Wiederholungsmöglichkeit unterschiedliche Anforderungen an den Grad der Note „nicht bestanden“ stellten. Eine Streichung aller bisherigen Fehlversuche des Klägers im Modulfach „Mathematik 2“ komme u.a. nicht in Betracht, weil alle drei Prüfungsversuche Bestandskraft erlangt hätten.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2014 abgewiesen. Die Klage sei unbegründet. Auf das Studium des Klägers finde die Prüfungs- und Studienordnung Fahrzeugbau Anwendung. Danach könne die oder der Studierende eine mündliche Überprüfung nur dann beantragen, wenn die Prüfungsleistung mit 4,3 bewertet worden sei. Der Kläger habe sich der Klausur im Modul „Mathematik 2“ wiederholt gestellt. Die Bewertungen seien bestandskräftig geworden. Doch sei die Prüfungsleistung auch im letzten Wiederholungsversuch nicht mit 4,3 Punkten, sondern mit 5,0 Punkten bewertet worden. Die einschlägigen prüfungsrechtlichen Bestimmungen griffen in die Berufswahlfreiheit des Klägers gemäß Art. 12 Abs. 1 GG durch eine subjektive Zulassungsvoraussetzung ein. Dieser Eingriff sei am Maßstab der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt. Jeder berufsbezogenen Prüfung wohne die Möglichkeit des Misserfolgs inne. Die Ausgestaltung der Bestehensregelung obliege grundsätzlich der Einschätzung des Normgebers. Die Entscheidung des Departments Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau, nur im Fall der Bewertung in der zweiten Wiederholung bzw. im dritten Prüfungsversuch mit der Note 4,3 die Möglichkeit zur mündlichen Nachprüfung zu eröffnen, lasse keine Ermessenfehler erkennen. Diese Regelung verstoße nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Soweit für die Studiengänge am Department Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau eine andere Bestehensregelung gelte als für die am Department Maschinenbau und Produktion angebotenen grundständigen Studiengänge, bestünde schon aus der Natur der Sache ein Grund, unterschiedliche Studiengänge hinsichtlich der Bestehenserfordernisse unterschiedlich zu behandeln. Unabhängig davon fehle es jedoch bereits an einer nach Art. 3 Abs. 1 GG zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung. Denn die an unterschiedlichen Departments angebotenen Studiengänge würden nicht von derselben Stelle öffentlicher Gewalt unterschiedlich behandelt.
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Auf den Antrag des Klägers hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom 4. Dezember 2015, dem Kläger zugestellt am 14. Dezember 2015, die Berufung zugelassen. Der Kläger habe mit Erfolg ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung geltend gemacht. Die vom Kläger beim Verwaltungsgericht mit der Klagebegründung erstmals angebrachte Forderung nach „Streichung aller meiner Fehlversuche im Kurs Mathe 2“ sei dagegen nicht Gegenstand des Zulassungsverfahrens geworden. Denn der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung seinen Antrag ausdrücklich darauf beschränkt, die Beklagte zu verpflichten, ihn zur mündlichen Überprüfung im Modul „Mathematik 2“ im Studiengang Fahrzeugbau zuzulassen.
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14
Am 7. Januar 2016 hat der Kläger die Berufung begründet und im Wesentlichen vorgetragen: Die Nichtzulassung zur mündlichen Ergänzungsprüfung verletze ihn in seiner Berufsfreiheit in Verbindung mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Regelung, die eine mündliche Ergänzungsprüfung auf die Fälle einer Bewertung einer Prüfungsleistung mit der Note 4,3 beschränke, sei rechtswidrig und daher nichtig. Die Allgemeine Prüfungs- und Studienordnung Technik/Informatik sehe die Note 4,3 für eine reguläre Studienleistung nicht vor. Soweit die Prüfungs- und Studienordnung Fahrzeugbau die Möglichkeit einer Notenverbesserung grundsätzlich vorsehe, müsse diese Möglichkeit dann auch bei einer Bewertung einer Prüfungsleistung mit der Note 5,0 bestehen. Darüber hinaus sei der Gleichheitssatz verletzt. Soweit das Verwaltungsgericht auf die unterschiedlichen Departments als Satzungsgeber zur Ablehnung einer Ungleichbehandlung abgestellt habe, erfolge eine rechtswidrige Aufspaltung derselben juristischen Person, der die Handlung zuzurechnen sei. Die Departments seien keine Träger von Hoheitsgewalt. Die Fakultät bzw. die Hochschule als juristische Person behandele die Studierenden aufgrund der unterschiedlichen Erfordernisse in Bezug auf die mündliche Ergänzungsprüfung ungleich. Die Veranstaltung „Mathematik 2“ gehöre zu den Grundlagenveranstaltungen. Wie sich aus den Prüfungs- und Studienordnungen der Bachelorstudiengänge Fahrzeug- und Flugzeugbau einerseits und der maschinenbaulichen Bachelorstudiengänge andererseits ergebe, und auch unabhängig davon, dienten die Grundlagenfächer dazu, die Studierenden auf ein allgemeines fachliches Niveau zu bringen, welches erst im Aufbaustudium bzw. in der Profilbildung berufsspezifisch vertieft werde. Insoweit seien die Studierenden, die gemeinsam Grundlagenfächer besuchten und an den Prüfungen teilnähmen, im Hinblick auf das weitere Prüfungsverfahren vergleichbar und im Übrigen auch gleich zu behandeln. Das gelte auch, weil die Möglichkeit bestehe, von dem Studiengang Maschinenbau unter - jedenfalls teilweiser - Anrechnung der erworbenen Scheine in den Studiengang Fahrzeugbau zu wechseln, und zwar auch dann, wenn die Scheine im Fach Maschinenbau unter erleichterten Voraussetzungen mittels einer mündlichen Ergänzungsprüfung erworben worden seien. Die Studiengänge seien unter Berücksichtigung der für ihn maßgeblichen Vorschriften vergleichbar. Der Studiengang Fahrzeugbau sei aus dem Studiengang Maschinenbau hervorgegangen. Ein sachlicher Grund zur Differenzierung zwischen den Studiengängen bestehe nicht. Bei fachlich eingegrenzten Prüfungen seien Ausgleichsmechanismen in verschiedenen Prüfungsarten zu gewähren, so dass etwaige Beschränkungen der Prüfungsart der mündlichen Ergänzungsprüfung allenfalls restriktiv zulässig seien. Die maßgebliche Satzung des Beklagten sei mit
§ 65 Abs. 3 HmbHG
(in der Fassung vom 18.7.2001) unvereinbar, soweit sie Anmeldefristen vorgesehen und die Anzahl der Prüfungsversuche beschränkt habe. Sämtliche Prüfungsvoraussetzungen hätten daher als nicht unternommen zu gelten. Die Fristenregelung habe jedenfalls gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, weil die Einhaltung der Anmeldefristen nicht habe kontrolliert werden können. Eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung bestehe auch gegenüber den Studierenden des zum Sommersemester 2012 ausgelaufenen Diplomstudiengangs. Er - der Kläger - habe mit den Studierenden des Diplomstudiengangs dieselben Vorlesungen besucht und die gleichen Klausuren geschrieben, so dass die Gruppen vergleichbar seien. Die Studierenden des Diplomstudiengangs hätten aber nicht dem Zwang der Pflichtanmeldung unterlegen und die Regelung im Hinblick auf eine mündliche Nachprüfung sei eine andere gewesen.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2014 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. April 2012 und des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2013 zu verpflichten, ihn zur mündlichen Ergänzungsprüfung im Modul Mathematik 2 im Studiengang Fahrzeugbau zuzulassen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie macht geltend: Die hier einschlägige Vorschrift des § 11 Abs. 2 Satz 1 der für den Kläger geltenden Prüfungs- und Studienordnung Fahrzeugbau sei rechtmäßig. Die Vergabe einer Note von 4,3 sei auch in anderen Vorschriften ausdrücklich vorgesehen. Die Prüfungs- und Studienordnung Fahrzeugbau weise für die Bewertung von Prüfungsleistungen, die mit „nicht ausreichend“ bewertet werden sollten, ausdrücklich die Noten 4,3, 4,7 und 5,0 aus. Die Allgemeine Prüfungs- und Studienordnung Technik/Informatik greife die Bewertung mit der Notenziffer 4,3 zur Beantragung eines zweiten Gutachtens ebenfalls auf. Die Ungleichbehandlung der Studierenden nach den hier in Rede stehenden Prüfungs- und Studienordnungen sei zudem gerechtfertigt. Die Grundlagenfächer in den unterschiedlichen Studiengängen, insbesondere die „Mathematik 2“-Module, seien nicht gleichen Inhalts. Die maschinenbaulichen Kernfächer könnten für den Bachelorstudiengang Fahrzeug- und Flugzeugbau allenfalls teilweise angerechnet werden. Eine Anrechnung des Moduls „Mathematik 2“ sei nicht möglich. Selbst wenn von einer Nichtigkeit des § 11 Abs. 2 der Prüfungs- und Studienordnung Fahrzeugbau auszugehen wäre, wäre nach der dann heranzuziehenden Prüfungs- und Studienordnung für die maschinenbaulichen Studiengänge die mündliche Ergänzungsprüfung erst noch zu bewilligen gewesen. Eine derartige Bewilligung hänge davon ab, ob eine erfolgreiche Fortsetzung des Studiums, insbesondere im Modulfach „Mathematik“, welches für einen Großteil des weiteren Studiums benötigt würde, prognostiziert werden könne.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens und auf die zum Verfahren eingereichte Sachakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. | Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Hinsichtlich der Kosten des Berufungsverfahrens ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Verwaltungsgericht des Saarlandes 10. Kammer | Saarland | 0 | 1 | 25.02.2011 | 1 | Randnummer
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Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung der Führung eines Fahrtenbuches.
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Am 02.04.2010 gegen 15.44 Uhr wurde mit dem auf den Kläger zugelassenen PKW mit dem amtlichen Kennzeichen xxx auf der A 8, zwischen dem Autobahnkreuz Neunkirchen und der Anschlussstelle Heusweiler, Höhe Sulzbachtalbrücke, Fahrtrichtung Neunkirchen die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 100 km/h um 30 km/h (abzüglich Toleranz) überschritten.
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Mit Schreiben der Zentralen Bußgeldbehörde des Landesverwaltungsamtes des Saarlandes vom 26.04.2010 wurde der Kläger zu der mit seinem Fahrzeug begangenen Ordnungswidrigkeit angehört. Der Anhörbogen kam nicht in Rücklauf.
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Ausweislich des Vermerks der Polizeibezirksinspektion B-Stadt vom 09.06.2010 wurde der Kläger am 02.06.2010 an seiner Wohnanschrift aufgesucht, dort aber nicht persönlich angetroffen. Er sei allerdings am Abend des gleichen Tages auf der Dienststelle der Polizeibezirksinspektion B-Stadt erschienen und habe angegeben, dass er aufgrund der schlechten Bildqualität den Fahrzeugführer nicht erkennen könne. Das Fahrzeug werde in der Regel von vielen unterschiedlichen Personen geführt, die er nicht nennen werde. Er werde von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen. Im Weiteren führt die Polizeibezirksinspektion B-Stadt in dem genannten Vermerk aus, dass der Kläger mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit nicht der Fahrzeugführer sei. Als möglicher Fahrer sei ein Verwandter des Klägers ermittelt worden, dessen Anschrift mehrfach vergeblich aufgesucht worden sei. Von diesem sei ein Lichtbild beim Einwohnermeldeamt der Kreisstadt B-Stadt angefordert worden. Dieses Lichtbild zeige aber eine Person, die ebenfalls mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit als Fahrzeugführer ausgeschlossen werden könne. Weitere Ermittlungsansätze lägen nicht vor.
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Mit Schreiben der Zentralen Bußgeldbehörde des Landesverwaltungsamtes vom 01.07.2010 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass das Ordnungswidrigkeitenverfahren eingestellt worden sei, da der Fahrzeugführer nicht habe ermittelt werden können.
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Mit Schreiben des Beklagten vom 26.07.2010 wurde der Kläger zu der beabsichtigten Auferlegung eines Fahrtenbuchs für die Dauer von zwanzig Monaten angehört.
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Mit Bescheid des Beklagten vom 31.08.2010, zugestellt am 02.09.2010, wurde dem Kläger für die Dauer von zwölf Monaten ab Bestandskraft des Bescheides die Führung eines Fahrtenbuches für den Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen xxx oder ein Ersatzfahrzeug auferlegt. In der Begründung ist u.a. ausgeführt, dass die Feststellung des Fahrzeugführers nach der oben genannten Ordnungswidrigkeit unmöglich gewesen sei. Es seien alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten bei der Fahrerfeststellung ausgeschöpft worden.
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Hiergegen legte der Kläger am 14.09.2010 Widerspruch ein.
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Durch aufgrund mündlicher Verhandlung vom 09.12.2010 ergangenen Bescheid wies der Kreisrechtsausschuss beim Landkreis B-Stadt den Widerspruch zurück. Zur Begründung ist ausgeführt, dass mit dem Fahrzeug des Klägers im erforderlichen Umfange gegen Verkehrsvorschriften verstoßen worden sei. Ein Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mehr als 25 km/h führe gemäß Punkt 5.4 der Anlage 13 zur FeV zum Eintrag von drei Punkten in der Führerscheinakte des Fahrzeugführers im Verkehrszentralregister. Die Feststellung des Fahrzeugführers sei innerhalb der dreimonatigen Verjährungsfrist nach § 26 Abs. 3 StVG unmöglich gewesen. Die zuständige Bußgeldstelle habe den Ermittlungsaufwand betrieben, der üblicherweise zur Ermittlung des Fahrzeugführers ausreiche. Sie habe dem Kläger einen Anhörbogen übersandt und die örtlich zuständige Vollzugspolizei um Ermittlungen an seinem Wohnort gebeten. Mögliche Fahrzeugführer seien bei den Ermittlungen berücksichtigt worden. Die Beamten hätten den Fahrzeugführer letztlich nicht feststellen können. Die Feststellung des Fahrzeugführers sei nicht etwa deshalb nicht möglich gewesen, weil dem Kläger im Ordnungswidrigkeitenverfahren der Anhörbogen nicht unverzüglich zugesendet worden sei. Zwar nehme die Rechtsprechung innerhalb vierzehn Tagen eine unverzügliche Zusendung an. Es sei jedoch gleichermaßen anerkannt, dass eine verzögerte Anhörung für die Ermittlungsbemühungen der Ordnungswidrigkeitsbehörde dann unschädlich sei, wenn die Verzögerung in keinem Ursachenzusammenhang zu der Reaktion des Fahrzeughalters stehe, wenn also aufgrund seiner Äußerungen deutlich werde, dass er ohnehin nicht zur Ermittlung des Fahrzeugführers beitragen wolle. Hiermit hätte es sich nämlich bei rechtzeitiger Anhörung genauso verhalten. Durch seine sehr wenigen Äußerungen habe der Kläger zu erkennen gegeben, dass er keinen Beitrag zur Ermittlung des Fahrzeugführers leisten wolle. Er habe sich ausdrücklich auf sein Aussageverweigerungsrecht berufen. Dies stehe der Auflage nicht entgegen, weil dieses Recht allein die Folgen des Verkehrsverstoßes als Strafe oder Ordnungswidrigkeit betreffe, nicht aber vor Maßnahmen zur Abwendung vor Gefahren für den Straßenverkehr schütze. Aus diesem Grund sei die Berufung auf dieses Recht dem Halter denknotwendig unbenommen. Er müsse als Konsequenz gegebenenfalls jedoch hinnehmen, dass ihm die Führung eines Fahrtenbuches auferlegt werde. Im Übrigen sei hierauf schon im Anhörbogen hingewiesen worden. Weiterhin sei anerkannt, dass mangelnde Kooperationsbereitschaft des Fahrzeughalters die Ermittlungsbemühungen der Bußgeldbehörde begrenze. Die Bußgeldbehörde habe auch nicht etwa naheliegende Ermittlungsmöglichkeiten nicht genutzt. Die Entscheidung der Ausgangsbehörde sei auch unter Berücksichtigung und bei Ausübung des durch § 31 a StVZO eingeräumten Ermessens rechtmäßig. Weder eine Ermessensüberschreitung, noch ein Ermessensfehlgebrauch, noch eine nicht hinlängliche Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ließen sich feststellen. Vielmehr habe sie diesem durch die Reduzierung der (angedrohten) Dauer der Fahrtenbuchauflage (von zwanzig auf zwölf Monate) erkennbar – auch bezüglich der Angemessenheit der Auflage – Rechnung getragen. Zudem machten die Ausführungen in der Begründung des Bescheides deutlich, dass sie sich bei ihrer Entscheidung ausschließlich vom Zweck des § 31 a StVZO habe leiten lassen.
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Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger zu Händen seines Prozessbevollmächtigten am 15.12.2010 zugestellt.
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Mit am 11.01.2011 eingegangener Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die angefochtenen Bescheide gäben den Sachverhalt nicht korrekt wieder. Er habe mit Schreiben vom 26.04.2010 den Anhörbogen übersandt erhalten. Nach anwaltlicher Beratung habe er von seinem Recht, nicht zur Sache aussagen, Gebrauch gemacht und den Anhörbogen nicht zurückgesandt. Er habe nicht bestritten, der verantwortliche Fahrzeugführer gewesen zu sein. Er habe erklärt, dass er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch mache. Er habe weder zugegeben noch bestritten, dass er der Fahrzeugführer gewesen sei. Er habe lediglich im Gespräch mit den Beamten deren Auffassung bestätigt, dass das Beweisfoto von schlechter Qualität sei. Da der Fahrer auf dem Beweisfoto eine Brille trage und er ohne Brille auf dem Revier erschienen sei, hätten die Beamten gefolgert, dass er nicht der Fahrer gewesen sein könne. Er habe dies weder bestätigt noch bestritten. Weitere Ermittlungen diesbezüglich seien nicht erfolgt. Er habe auf Nachfrage erklärt, dass das Fahrzeug von mehreren Personen geführt werde. Nicht habe er gesagt, dass das Fahrzeug von vielen unterschiedlichen Personen geführt werde. Er habe nicht gesagt, er werde diese Person nicht nennen, sondern auf sein Recht verwiesen, die Aussage zu verweigern. Zusammenfassend sei zu sagen, dass er niemals bestritten habe, das Fahrzeug geführt zu haben. Er habe lediglich gesagt, dass er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch mache. Weiter habe er niemals behauptet, ein Dritter habe zum Tatzeitpunkt das Fahrzeug geführt. Er habe erklärt, das Fahrzeug werde von mehreren Personen geführt. Im Übrigen habe er nur bestätigt, dass das Beweisfoto von schlechter Qualität sei. Aus seiner Sicht habe der Beklagte nicht ausreichend ermittelt, wer der Fahrer sein könne. Schon aus diesem Grund scheide die Auferlegung eines Fahrtenbuches aus. Im Übrigen habe der Beklagte das ihm zustehende Ermessen überhaupt nicht ausgeübt. Der Beklagte habe in der Verhandlung vor dem Kreisrechtsausschuss erklärt, dass in B-Stadt jedem Fahrzeughalter die Führung eines Fahrtenbuches auferlegt werde, wenn die Ordnungswidrigkeit mit drei Punkten im Zentralregister geahndet werde. Der Vorsitzende des Kreisrechtsausschusses habe auf Nachfrage seines Prozessbevollmächtigten erklärt, ihm sei bekannt, dass dies in den angrenzenden Landkreisen nicht so gehandhabt werde, in B-Stadt sei dies aber so. Der Beklagte habe also weder den konkreten Tatvorwurf, noch die persönlichen Umstände geprüft. Zur Prüfung stehe lediglich, wie die Ordnungswidrigkeit im Verkehrszentralregister zu ahnden sei. Der Beklagte habe nicht berücksichtigt, dass es sich um ein privates Fahrzeug und nicht um ein Firmenfahrzeug handele, er seinen Führerschein seit 58 Jahren habe, im Verkehrszentralregister für ihn keine Eintragungen vorlägen und auch kein Wiederholungsfall gegeben sei. Es sei vielmehr das erste Verfahren gegen ihn als Halter, das eingestellt worden sei, weil der Fahrer nicht zu ermitteln gewesen sei. Diese persönlichen Umstände hätte die Behörde in ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigen müssen, was indes nicht erfolgt sei.
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12
Der Kläger hat sinngemäß schriftsätzlich beantragt,
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13
den Bescheid des Beklagten vom 31.08.2010 in der Gestalt des aufgrund mündlicher Verhandlung vom 09.12.2010 ergangenen Widerspruchsbescheides aufzuheben.
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14
Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
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15
die Klage abzuweisen.
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16
Zur Begründung ist ergänzend ausgeführt, dass die Rechtsprechung in den Fällen, in denen der Fahrzeughalter von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch mache, das zumutbare Maß weiterer Ermittlungstätigkeiten erheblich einschränke. Dies müsse erst recht gelten, wenn aus Sicht der Ermittlungsbehörden für weitere Ermittlungen konkrete Anhaltspunkte fehlten. Der vom Kläger erhobene Einwand der schlechten Bildqualität des Beweisfotos sei letztlich nicht verfahrensgegenständlich. Nur bei einem kooperativen Verhalten des Klägers hätte die Bildqualität gewürdigt werden müssen. Ohne Mithilfe des Fahrzeugführers lasse die schlechte Bildqualität im Rahmen der Fahrerfeststellung keine Rückschlüsse auf den in Frage kommenden Fahrzeugführer zu. Die vom Kläger geforderten weiteren Nachforschungen hätten die Ermittlungsbehörden unter Zugrundelegung des geschuldeten Überprüfungsauftrages nicht anstellen müssen. Auch verfange das Argument des Klägers nicht, er sei seit 58 Jahren im Besitz der Fahrerlaubnis und verkehrsordnungsrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten. Entscheidend sei vielmehr, dass eine bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit mit dem Fahrzeug des Klägers begangen worden, eine Fahrerermittlung jedoch nicht möglich gewesen sei. Hieraus erfolge unmittelbar die Notwendigkeit, solchen Beweisnöten künftig entgegenzuwirken. Die vom Beklagten angestellten Ermessenserwägungen hätten im Ergebnis dazu geführt, dass die gemäß Anhörung vorgesehene Dauer der Auferlegung des Fahrtenbuches von zwanzig auf zwölf Monate reduziert worden sei. Darüber hinaus entspreche es ständiger Rechtsprechung, ab einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 21 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften von einer Erheblichkeit auszugehen, welche die Auferlegung eines Fahrtenbuchs unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit rechtfertige.
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Mit Schriftsätzen vom 07.02.2011 und 16.02.2011 haben der Kläger und der Beklagte auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
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18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsunterlagen des Beklagten einschließlich der Widerspruchsakte verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der Beratung der Kammer war. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet. | 0 |
Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein 5. Senat | Schleswig-Holstein | 0 | 1 | 29.11.2021 | 1 | Randnummer
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Die Kläger wenden sich gegen die Errichtung von acht Windkraftanlagen durch die Beigeladene. Die Genehmigungsbescheide des Beklagten vom 30. April 2020 sind Gegenstand der beim Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht seit dem 21. August 2020 anhängigen Klage unter dem Aktenzeichen 6 A 201/20. Am 15. Februar 2021 erließ der Beklagte Änderungsgenehmigungen wegen einer Änderung des Anlagentyps. Gegen diese Änderungsgenehmigungen richtet sich die hiesige, am 11. Juni 2021 eingegangene Klage.
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Auf die Rüge der Kläger hat sich das angerufene Gericht mit Beschluss vom 20. Oktober 2021 für sachlich zuständig erklärt.
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Die Kläger erheben Einwendungen gegen die angefochtenen Bescheide. Sie beantragen sinngemäß zu erkennen:
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Die Änderungsgenehmigungen des Beklagten vom 15. Februar 2021 zu Gunsten der Beigeladenen in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 2021 werden aufgehoben.
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5
Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,
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6
die Klage abzuweisen. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 0 | 0 | 1
Der Kläger begehrt die Aufhebung der seinem Nachbarn, dem Beigeladenen, erteilten Baugenehmigung zur Errichtung einer Grenzgarage mit Dachstellplätzen.
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Der Kläger ist Teil einer Wohnungseigentümergemeinschaft, in deren gemeinschaftlichem Eigentum das Grundstück Flurstück-Nr. ..., ... Straße ..., in ..., steht. Auf diesem Grundstück befindet sich ein Mehrfamilienhaus mit vier Wohnungen. Die Wohnungen im Erdgeschoss und im Obergeschoss auf der Nordseite des Gebäudes stehen im Sondereigentum des KIägers. Das Grundstück grenzt im Norden an das Baugrundstück des Beigeladenen, Flurstück-Nr. ..., ... Straße ..., und im Westen an die ... Straße. Von der ... Straße fällt das Gelände auf dem Baugrundstück angeböscht von Westen nach Osten ab. Die Böschung wird durch eine mehrere Meter hohe, L-förmig ausgeführte Stützmauer nach Osten und Süden hin abgefangen. Auf dem Grundstück der Wohnungseigentümergemeinschaft befindet sich ebenfalls eine Stützmauer, die parallel zur ... Straße verläuft.
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Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Nördliches Bürgfeld“ der Stadt ... vom 01.06.1966/12.05.1967 in einem als reines Wohngebiet (WR) ausgewiesenen Bereich. Der Bebauungsplan setzt straßenseitig auf Höhe der vorhandenen westlichen - versetzt ausgeführten - Gebäudeabschlüsse Baugrenzen fest. Zwischen den Gebäuden sieht der Bebauungsplan innerhalb der Baugrenzen Flächen für Garagen vor. Nebenanlagen in Form von Gebäuden lässt er außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen nicht zu.
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Am 18.08.2014 beantragte der Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau einer auf Grundstücksniveau über einen rückwärtigen Weg anfahrbaren Doppelgarage mit zwei auf Straßenniveau von der ...-Straße aus anfahrbaren Dachstellplätzen. Diese soll außerhalb der nach dem Bebauungsplan überbaubaren Grundstücksfläche unmittelbar an der Grenze zum Grundstück der Wohnungseigentümergemeinschaft errichtet werden. Geplant ist eine Gebäudelänge von 6 m bei einer Höhe von 4,315 m bis zur Oberkante eines auf dem Dach vorgesehenen, 25 cm hohen Geländers. In den Bauvorlagen ist die Höhe der südlichen Wand der Garage auf der Westseite - offensichtlich ausgehend von der in diesem Bereich zur ... Straße hin beibehaltenen Böschung - mit 1,875 m angegeben; die Wandfläche wird mit 24,4 m
2
berechnet.
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Die bisher auf dem Baugrundstück bestehende Stützmauer soll durch die Garage ersetzt werden. Deren südliche Außenwand soll unmittelbar an die im Grenzbereich (vom Baugrundstück gemessen) 2,35 m hohe und 0,4 m breite Stützmauer auf dem Grundstück der Wohnungseigentümergemeinschaft anschließen; weitere 15 cm werden nach der Genehmigungsplanung von der dortigen Böschung überdeckt.
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Im durchgeführten Angrenzerbenachrichtigungsverfahren erhob der Kläger mit Schreiben vom 30.09.2014 Einwendungen. Der Bebauungsplan sehe in dem für die Errichtung der Garage vorgesehenen Bereich unbebaute Flächen vor. Er habe seine Wohnungen im Vertrauen auf die freie Sicht auf die angrenzenden Flächen erworben. Die geplante Doppelgarage mit überliegenden Stellplätzen beeinträchtigte die Sicht aus dem Wohnbereich erheblich und sei deswegen in keinem Fall hinnehmbar. Seine Wohnungen verlören hierdurch erheblich an Wert. Auf dem Baugrundstück seien außerdem genügend ebene Flächen zur Errichtung von Garagen oder Stellplätzen vorhanden, welche die Nachbarschaft nicht beeinträchtigten.
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Die Stadt ... erteilte mit Schreiben vom 15.10.2014 ihr Einvernehmen zu dem Vorhaben.
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Mit dem angegriffenen Bescheid vom 18.06.2015 erteilte das Landratsamt dem Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung unter Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans zur überbaubaren Grundstücksfläche.
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Auf Antrag des Klägers ordnete das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 23.03.2016 - 11 K 4760/15 - zunächst die aufschiebende Wirkung des von ihm am 06.07.2015 erhobenen Widerspruchs an, da die Wandfläche 25 m
2
überschreite und daher die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 2 LBO für eine Privilegierung des Vorhabens als Grenzgarage nicht erfüllt seien. Bei der Berechnung müsse die Ansichtsfläche des Handlaufs zu der reinen Wandfläche addiert werden.
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Das Regierungspräsidium Stuttgart wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 20.10.2016 zurück. Die Privilegierungsvoraussetzungen seien erfüllt, da die zulässige Wandfläche mit 24,39 m
2
eingehalten werde. Der Unterschied zur Berechnung des Verwaltungsgerichts ergebe sich daraus, dass dieses zum einen den Luftraum zwischen dem Handlauf und dem Wandabschluss hinzugerechnet, aber die vorhandene, parallel zur ... Straße verlaufende Stützmauer nicht abgezogen habe. Die vorgesehenen Stellplätze auf dem Garagendach könnten auch nicht mit einer Dachterrasse gleichgesetzt werden, von der sie sich in ihrer Nutzungsintensität deutlich unterschieden. Da kein Verstoß gegen die Abstandsflächenvorschriften gegeben sei, liege auch keine unzumutbare Beeinträchtigung der nachbarlichen Belange ausreichender Belichtung, Belüftung und Besonnung oder der Aussichtsmöglichkeit vor. Die Befreiung von den Baugrenzenfestsetzungen des Bebauungsplans verletze den Kläger ebenfalls nicht in seinen Rechten, da diese allein auf städtebaulichen Gründen beruhten und nicht nachbarschützend seien.
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Am 15.11.2016 hat der Kläger Klage erhoben, die das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Urteil vom 22.01.2019 abgewiesen hat. Auf eine mögliche Rechtsverletzung im Zusammenhang mit der erteilten Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans zur überbaubaren Grundstücksfläche könne sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen, da diese nicht seinem Schutz dienten. Einer vorderen, straßenseitigen Baugrenze komme regelmäßig keine nachbarschützende Wirkung, sondern lediglich die Funktion zu, die Anordnung der Gebäude zur Straße aus städtebaulichen Gründen zu gestalten. Hinweise, die hier gleichwohl für einen Nachbarschutz sprechen könnten, ergäben sich weder aus den Planunterlagen noch aus der Verfahrensakte zur Aufstellung des Bebauungsplans. Die Grenzgarage erweise sich auch nicht dem Kläger gegenüber als rücksichtslos. Sie halte die Abstandsvorschriften ein. Die Errichtung der Garage sei nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBO ohne eigene Abstandsfläche entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze zulässig, da sie die dort genannten Höchstmaße einer Wandhöhe bis 3 m und einer Wandfläche bis 25 m
2
nicht überschreite. Da der Ermittlung der Wandhöhe gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 LBO der höchste Punkt der Geländeoberfläche zugrunde zu legen sei, betrage diese auch unter Einbeziehung der auf dem Dach vorgesehenen niedrigen Mauer samt Geländer nur 1,875 m. Den Bauunterlagen sei zu entnehmen, dass die dem Kläger zugewandte Wand der Garage 4,315 m hoch und 6 m breit sein werde, so dass sich rechnerisch eine Wandfläche von 25,89 m
2
ergebe. Hiervon müsse allerdings die Ansichtsfläche der Stützmauer auf dem Grundstück der Wohnungseigentümergemeinschaft von 0,94 m
2
abgezogen werden, da diese einen Teil der diesem Grundstück zugewandten Wandfläche verdecken werde und sich somit die Wand
ansichts
fläche reduziere. Auch der Umstand, dass auf dem Dach der Garage zwei Stellplätze für Kraftfahrzeuge errichtet werden sollten, führe nicht dazu, dass die Grenzgarage ihre abstandsflächenrechtliche Privilegierung verliere. Insbesondere falle die Nutzung des Garagendachs als Stellplatzfläche für Kraftfahrzeuge - im Unterschied zur Nutzung eines Garagendachs als Dachterrasse - dem Garagenbegriff. Zwar sei die Nutzungsintensität der Garage durch die beiden Dachstellplätze im Vergleich zu einer Grenzgarage ohne Dachstellplätze höher. Unzulässige, vom Gesetzgeber nicht als hinnehmbar erachtete Störungen gingen mit der Nutzung der Dachstellplätze jedoch nicht einher. Es sei auch nicht gerechtfertigt, die Ausmaße eines auf dem Dach der Garage abgestellten Kraftfahrzeugs bei der Berechnung der Wandhöhe und der Wandansichtsfläche zu berücksichtigen, da dieses nicht Teil der Garage bzw. der Garagenwand sei. Besondere Umstände, die es rechtfertigen würden, trotz Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots anzunehmen, lägen nicht vor. Insbesondere gehe von dem Vorhaben auch unter Berücksichtigung der beiden Dachstellplätze keine rücksichtlos erdrückende Wirkung auf das benachbarte Wohnhaus aus.
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Am 08.03.2019 hat der Kläger die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung gegen das ihm am 20.02.2019 zugestellte Urteil eingelegt. Zur Begründung führt er aus, nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könnten Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung bei alten Bebauungsplänen unter Umständen nachbarschützende Wirkung entfalten, auch wenn sich eine solche nicht direkt aus dem Bebauungsplan, seiner Begründung oder den sonstigen Planunterlagen ergebe. Dies lasse sich auf die Festsetzung nicht überbaubarer Grundstücksflächen übertragen. Auch diese könnten ein die Planbetroffenen verbindendes Austauschverhältnis beinhalten. Der hier maßgebliche Bebauungsplan aus dem Jahr 1967 enthalte zum Nachbarschutz zwar keine Regelungen. Die Festsetzung der Baugrenzen trage aber der schwierigen Topografie Rechnung. So liege die ... Straße deutlich höher als die Gebäude und sei die Baugrenze gestaffelt derart festgesetzt, dass zur Straße und zur steilen Böschung hin noch genügend Abstand vorhanden sei, um gesunde Belichtungs- und Beleuchtungsverhältnisse zu erreichen und auch ein angemessenes Wohnklima zu gewährleisten. Gerade im Hinblick auf die besondere Topografie sei auch eine besondere Rücksichtnahme der einzelnen Grundstücksnachbarn notwendig und erforderlich, die in der Festsetzung der Baugrenzen zum Ausdruck komme.
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Bei der Errichtung der geplanten Garage und der Dachstellplätze entstünde für den Kläger insbesondere im Bereich seiner Erdgeschosswohnung, die hieran unmittelbar angrenze, eine unzumutbare Beeinträchtigung. Es drohe eine nachhaltige Verschattung insbesondere seiner Erdgeschosswohnung. Abgesehen davon, dass sich regelmäßig Personen auf dem Garagendach aufhielten und eine nachhaltige Einsichtsmöglichkeit in die Wohnungen gegeben sei, entfalte das Vorhaben eine erdrückende Wirkung in Form eines Abriegelungseffekts. Zwischen den Wohnungen und dem geplanten Garagengebäude lägen gerade einmal 2,50 m Abstand, so dass - auch wenn die Besonnung aufgrund der Nordlage nicht beeinträchtigt werde - dieses als „massiver Block“ in Erscheinung träte, der die Belichtungs- und Beleuchtungsverhältnisse gerade in dem Eckbereich des Gebäudes unzumutbar beeinträchtige. Selbst dann, wenn die Abstandsflächen eingehalten wären, bestünde doch im vorliegenden Fall eine Sondersituation durch den nachhaltigen Höhenunterschied zwischen der ...-... Straße und dem Gebäude. Jede weitere Beeinträchtigung der Belichtungs- und Beleuchtungssituation ginge damit einher, dass eine ausreichende Belichtung und Beleuchtung in seiner Erdgeschosswohnung nicht mehr gewährleistet wäre. Demgegenüber könne der Beigeladene keine nachvollziehbaren Gründe anführen, weshalb er eine Doppelgarage mit Dachstellplätzen außerhalb der Baugrenzen des Bebauungsplans benötige.
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Schließlich habe das Verwaltungsgericht die Wandfläche fehlerhaft berechnet und sei deswegen zu Unrecht von der abstandsflächenrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens ausgegangen. Der Berechnung müsse die gesamte Garagenwand zugrunde gelegt werden, d.h. auch diejenige, die hinter der vorhandenen Stützmauer verschwinde. Maßgeblich sei insoweit nicht die Wandfläche, die vom Grundstück der Wohnungseigentümergemeinschaft aus sichtbar sei, sondern diejenige, die die Garage an der Grundstücksgrenze tatsächlich aufweise und die dort nicht durch Erdreich überdeckt sei. Unerheblich sei hingegen, ob an der gemeinsamen Grundstücksgrenze auf dem Nachbargrundstück bereits eine zulässige bauliche Anlage (mit einer bestimmten Wandfläche) vorhanden sei oder nicht. Auch die Stellplätze auf dem Garagendach seien ohne Abstandsflächen unzulässig. Diese müssten - wie Dachterrassen - getrennt von der abstandsflächenrechtlichen Zulässigkeit der Garage beurteilt werden. In beiden Fällen werde das Garagendach nicht als Dach, sondern als Fläche zu anderweitigen Zwecken genutzt. Eine Regelung, nach der diese Stellplätze auf dem Dach der geplanten Garage baurechtlich ohne Abstandsfläche zulässig sein könnten, sei nicht ersichtlich. Werde ein Fahrzeug auf dem Garagendach geparkt, so vergrößere sich außerdem die vom Nachbargrundstück aus zu sehende „Wandfläche“. Denn diese bestehe dann aus der Garagenwand und dem unmittelbar an der Grundstücksgrenze geparkten Fahrzeug, welches ebenfalls eine Höhe von ca. 1,5 - 1,8 m aufweise und die Beeinträchtigung der Belichtungsverhältnisse damit deutlich verstärke.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 22. Januar 2019 - 11 K 7631/16 - zu ändern und die Baugenehmigung des Landratsamts Rems-Murr-Kreis vom 18. Juni 2015 sowie den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 20. Oktober 2016 aufzuheben.
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Das beklagte Land beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen
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Das Vorhaben sei dem Kläger gegenüber nicht rücksichtslos. Die Größe der Wandfläche beurteile sich nach der Größe der Wandansichtsfläche, also unter Abzug der vorhandenen Stützmauer. Diese stelle eine grundstücksbezogene Besonderheit dar. Sie sei auf dem Grundstück des Klägers notwendig, um den Hang abzustützen, und kein bloßes gartengestalterisches Element, das leicht entfernt oder verändert werden könnte. Da die Stützmauer kein Bestandteil der geplanten Garage sei, könne sie der Wandansichtsfläche nicht „zum Nachteil gereichen“.
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Das Bauvorhaben der Beigeladenen vermittle für das Klägergrundstück auch nicht den Eindruck eines „Eingemauertseins“. Vielmehr liege die sich durch die Garage ergebende Verschlechterung auf dem Nachbargrundstück im zumutbaren Bereich. Durch die Erstellung der Garage ergebe sich eine rechtwinklige Ecke, bestehend aus Garage zur einen und Erdwall bzw. Stützmauer zur anderen Schenkelseite. Diese Ecke betreffe zum einen lediglich die nordwestliche Seite des Gebäudes und die Länge der Garage überschneide sich mit dem Wohnhaus des Klägers nur um ca. 2,20 m.
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In Bezug auf die Anordnung der Häuser und die daraus folgende Festsetzung der Baugrenzen könne dem Bebauungsplan ein nachbarschützender Grund nicht entnommen werden. Die Mehrfamilienhäuser seien mit einem seitlichen Mindestabstand geplant und gebaut worden. Möglicherweise gehe die Staffelung der Häuser darauf zurück, dass sich die jeweiligen Bewohner der Wohnungen nicht direkt von Angesicht zu Angesicht in die Fenster schauen sollten. Letztlich seien aber alle in Betracht kommenden Begründungen für die Anordnung der Mehrfamilienhäuser reine Spekulation.
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Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich auch sonst nicht zu der Berufung geäußert.
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Der Kläger und der Beklagte haben zur Verdeutlichung der Situation vor Ort jeweils Lichtbilder vom Vorhabengrundstück und vom Nachbargrundstück der Wohnungseigentümergemeinschaft vorgelegt.
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Dem Senat liegen die Akten des Verwaltungsgerichts zum Klageverfahren und zum Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO, das Baugesuch des Beigeladenen, die Behörden- einschließlich der Vorverfahrensakten sowie die Akten zum Bebauungsplan „Nördliches Bürgfeld“ vor. Hierauf sowie auf den Inhalt der Senatsakte wird ergänzend Bezug genommen. | Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 22. Januar 2019 - 11 K 7631/16 - geändert. Die Baugenehmigung des Landratsamts Rems-Murr-Kreis vom 18. Juni 2015 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 20. Oktober 2016 werden aufgehoben.
Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, der diese selbst trägt.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
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Baden-Württemberg | 0 | 1 | 0 | 1
Der Rechtsstreit wird geführt über einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung.
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Der Kläger mit Geburtsdatum … 1965 stammt aus der türkischen Schwarzmeer-Region. 1980 kam er ins Inland. Seit Oktober 1982 war er bei verschiedenen Unternehmen als ungelernter oder kurzfristig angelernter Arbeiter beschäftigt, zuletzt seit 1989 als „Schreiner“ bei der H. M. GmbH in G.. Er sei im Holzzuschnitt an verschiedenen Arbeitsplätzen eingearbeitet worden, Rohholzzuschnitt, Oberflächenbearbeitung und Maßzuschnitt. Längere Zeiten der Arbeitsunfähigkeit bestanden nicht.
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Am 10. März 2002 wurde der Kläger im österreichischen Salzkammergut bei einem - nicht berufsbedingten - Autounfall schwer verletzt. Die Erstversorgung erfolgte im Landeskrankenhaus G.. Diagnostiziert wurden eine Gehirnerschütterung, eine offene Fraktur des rechten Oberarmknochens mit Verletzung des Nervus radialis, eine Fraktur der 12. Rippe links, eine Kopfplatzwunde sowie eine Distorsion der Halswirbelsäule (Verletzungsanzeige Dr. N. vom 13. März 2002). Am 14. März 2002 wurde der Kläger ins Klinikum O. (Unfall- und Handchirurgie) verlegt, wo er bis 05. April 2002 verblieb (Arztbrief Oberarzt Dr. L. vom 08. Mai 2002). Ab 10. April 2002 nahm er Krankengymnastik in Anspruch. Bei einem nochmaligen stationären Aufenthalt vom 27. bis 31. Mai 2002 erfolgte aufgrund des Zustands nach Durchtrennung des Nervus radialis rechts eine Nerventransplantation von drei Faszikeln (Arztbrief Oberarzt Dr. G. vom 28. Juni 2002). Internist Dr. K. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Baden-Württemberg in O. erstattete die Stellungnahmen vom 11. Juli und 16. Oktober 2002; körperlich leichte Tätigkeiten in wechselnder Haltung bei Einarmigkeit seien möglich und Reha-Maßnahmen zu empfehlen. Der Kläger bezog nach Ende der Entgeltfortzahlung vom 22. April 2002 bis 06. September 2003 Krankengeld, anschließend bis 31. August 2004 Arbeitslosengeld und bis 31. Dezember 2004 Arbeitslosenhilfe, die sodann von den Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) abgelöst wurde. Die Beklagte teilte dem Kläger unter dem 22. Oktober 2003 mit, die Voraussetzungen zur Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben seien erfüllt und über die Art der Leistungen erhalte er weitere Nachricht.
4
Für die damalige A. Versicherungs-AG erstattete zunächst Oberarzt Dr. G. vom Klinikum O. den Ärztlichen Bericht vom 16. November 2003, sodann Prof. Dr. W. von der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. das unfallchirurgische Fachgutachten vom 29. August 2005 (mit Ergänzung vom 26./27. Oktober 2005) sowie Neurologe Prof. Dr. St. das Gutachten vom 12. Oktober 2005. Nach diesen Gutachten bestanden eine vollständige Schädigung des rechten Nervus radialis im Oberarmbereich, eine Kraftminderung der Muskulatur (Minderung der Ellbogen-, Handgelenks- und Fingerstreckung rechts) sowie subjektive Beschwerden mit Missempfindungen und Gefühlsstörungen an der Unterarmstreckseite und am Handrücken; es bestehe eine erhebliche Beeinträchtigung der Greiffunktion und der Geschicklichkeit der rechten Hand für einen Rechtshänder. Nach Angaben des Klägers setze er die rechte Hand zum Ankleiden und zum Zähneputzen ein.
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Am 10. Januar 2006 beantragte der Kläger Rente wegen Erwerbsminderung. Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Z. (Anästhesiologie/Chirotherapie/Sozialmedizin) erstattete das Gutachten vom 03. Februar 2006. Er nannte eine hochgradige Kraftminderung und Bewegungseinschränkung des rechten Armes nach distaler Oberarmfraktur und Zerreißung des Nervus radialis, ferner eine Sensibilitätsstörung am rechten Unterschenkel nach Nerventransplantation. Es verbleibe bei der Empfehlung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. In den letzten ein bis zwei Jahren habe sich noch eine leichte Besserung ergeben. Es bestehe ein über sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten ohne besondere Anforderungen an die Motorik und Sensibilität des rechten Armes. Das Leistungsvermögen entspreche funktionellen Einhändern oder Linkshändern. Durch Bescheid vom 13. Februar 2006 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da der Kläger noch mindestens sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein könne.
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Zur Begründung des hiergegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger vor, die Gutachten für die private Versicherung hätten eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 60 v.H. ergeben. Er könne nicht mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein. Die kurze Untersuchung durch Dr. Z. im Antragsverfahren reiche nicht aus. Es sei kein Einsatz des rechten Körperbereichs mit Hand und Arm - auch als Beihand - mehr möglich. Damit seien alle industriellen Hilfsarbeiten verwehrt. Andere Arbeitsplätze scheiterten an der mangelnden Schul- und Ausbildung. Rehabilitationsversuche seien erfolglos geblieben. Seit dem Unfall leide er auch unter Angstzuständen und Depressionen. Der Kläger legte den Bericht vom 22. Dezember 2003 und den Zwischenbericht vom 23. August 2004 der „rehacare“ vor sowie die Stellungnahme des Allgemeinarztes Dr. Tr. vom 21. Dezember 2005. Dr. Z. verblieb bei seiner Beurteilung (Vermerk vom 26. April 2006). Unter nochmaligem Hinweis auf das Gutachten des letztgenannten Arztes vom 03. Februar 2006 erließ der Widerspruchsausschuss der Beklagten den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2006. Allein dass der Kläger wegen der beschränkten Einsatzfähigkeit der rechten Hand nicht mehr alle Hilfsarbeitertätigkeiten verrichten könne, begründe noch keine verminderte Erwerbsfähigkeit. Es gebe genügend Arbeitsplätze für Einhänder, wie etwa der Pförtner an einer Nebenpforte.
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Mit der am 27. Juli 2006 zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Er verwies auf die Gutachten für die A. Versicherungs-AG, wiederholte die Begründung seines Widerspruchs und machte ergänzend geltend, nicht nur die beschränkte Einsatzfähigkeit der rechten Hand, sondern auch die sprachlichen Schwierigkeiten und psychischen Belastungen führten dazu, dass ihm der Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt vollständig verschlossen sei. Eine Verweisung auf eine Tätigkeit als Pförtner an der Nebenpforte sei schon wegen der geringen Zahl solcher Arbeitsplätze in der Umgebung seines Wohnorts verwehrt. Er sei Rechtshänder und könne mit der linken Hand kaum noch einen Löffel halten. Computerkenntnisse habe er nicht. Ebenso wenig könne er Rechenvorgänge nachvollziehen. Eine Besserung werde es nicht mehr geben (Verweis auf das vorgelegte Attest des Arztes für Unfallchirurgie und des Chirurgen Dr. Me. vom 10. Mai 2007). Dem günstigen Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. Mi. vom 03. September 2007 (vgl. hierzu im Folgenden) sei zuzustimmen. Mit dem Angebot eines Heilverfahrens wolle er sich nicht begnügen. Schmerztherapie oder Antidepressiva reichten nicht aus.
8
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie legte die Stellungnahmen der beratenden Ärztin für Psychiatrie Dr. Ho. vom 19. Dezember 2007 und 11. Juni 2008 vor. Es bestehe noch eine erhebliche therapeutische Reserve. Eine schwerwiegende depressive Störung könne nicht nachvollzogen werden. Allein dass es sich um die psychische Situation eines Migranten handle, bedinge kein reduziertes oder aufgehobenes Leistungsvermögen.
9
Das SG befragte die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen. Oberarzt Dr. G. vom Klinikum O. stellte unter dem 06. November 2006 klar, die dortige Behandlung habe am 23. September 2002 geendet. Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Tr. nannte in der Aussage vom 14. November 2006 neben den bekannten Unfallfolgen, aufgrund deren der Kläger funktioneller Einhänder sei, einen - freilich nicht behandlungsbedürftigen - Bluthochdruck.
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Arzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie Dr. Mi. erstattete das Gutachten vom 03. September 2007 (ergänzende Stellungnahme vom 01. April 2008). Im Rahmen der Anamnese gab der Kläger u.a. an, über die Arbeitsvermittlung sechs Monate einen so genannten Ein-Euro-Job in einer Wäscherei mit einer täglichen Arbeitszeit von vier Stunden ausgeübt zu haben, meistens jedoch arbeitsunfähig gewesen zu sein. Der Kläger leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung im Sinne einer rezidivierend depressiven Störung, die einhergehe mit Antriebsstörung, Freudlosigkeit, Hilflosigkeit, Ohnmachtsgefühlen, Ein- und Durchschlafstörungen, Alpträumen und Flashbacks. Es bestehe neben der Radialisparese und einer zunehmenden Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenks ein chronisches Schmerzsyndrom. Leichte Tätigkeiten könnten allenfalls stundenweise geleistet werden. Bei leichten Anlerntätigkeiten bestünden Sprachschwierigkeiten. Der Kläger sei derzeit nicht in der Lage, regelmäßig mehr als drei Stunden zu arbeiten. Die Einschränkungen bestünden seit dem Unfall vom März 2002. Auch die Regelmäßigkeit der Wegefähigkeit sei anzuzweifeln. Allenfalls unregelmäßige Teilzeitarbeit sei vorstellbar. Der Kläger werde als schwerkranker und leidender Mensch erlebt.
11
Durch Urteil vom 15. Juli 2008 verurteilte das SG unter Aufhebung des Bescheids vom 13. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Juni 2006 die Beklagte, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01. Januar 2006 zu gewähren. Zur Begründung legte es im Wesentlichen dar, zwar sei das Gutachten Dr. Mi. nicht hinreichend nachvollziehbar, so dass es (das SG) sich nicht davon überzeugen könne, dass das Leistungsvermögen des Klägers für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts auf weniger als sechs Stunden täglich abgesunken sei. Hierauf komme es jedoch letztlich nicht an, nachdem die Funktionseinschränkung der rechten Hand eine schwere spezifische Leistungsbehinderung darstelle und die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich sei. Für eine Tätigkeit als Pförtner an der Nebenpforte komme der Kläger nicht in Betracht. Dort werde Lesen und Schreiben zwingend vorausgesetzt. Ein Pförtner müsse in der Lage sein, Papiere zu lesen und abzuzeichnen, Besucherscheine auszufüllen, Gesprächsvermerke und Telefonnummern zu notieren, und auch sonst seien Kommunikationsfähigkeit, Zuverlässigkeit, Lernverhalten, psychische und physische Belastbarkeit sowie sprachliches Ausdrucksvermögen vorausgesetzt. Diese Voraussetzungen erfülle der Kläger nicht. Allein auf die fehlenden Sprachkenntnisse komme es nicht an. Der Zustand sei bereits mit dem Unfall im März 2002 eingetreten. Da ein Endzustand anzunehmen sei, bestehe Anspruch auf unbefristete Rente.
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Gegen das ihr am 28. Juli 2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 06. August 2008 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, die Verletzung des rechten Armes habe in der Folgezeit nicht dazu geführt, dass der Kläger nur noch den linken Arm einsetzen könne. Er könne die rechte Hand durchaus benutzen, die Zähne zu putzen, verschiedene Handreichen beim Ankleiden auszuführen, den Pinzettengriff zu ermöglichen oder leichte Gegenstände anzunehmen, wodurch noch eine zufriedenstellende Beweglichkeit von Handgelenk und Fingern erkennbar sei. Er habe auch zeitweise eine Tätigkeit in einer Wäscherei übernehmen können. Verständigung in deutscher Sprache sei ausreichend möglich und ein muttersprachlicher Analphabetismus bestehe nicht. Fehlende Beherrschung der deutschen Sprache dürften ausländische Versicherte nicht geltend machen. Für die Tätigkeit eines Pförtners an der Nebenpforte seien auch keine besonderen sprachlichen Anforderungen an das Kommunikationsvermögen gestellt. Praktisch Einarmige könnten durchaus in Besucherempfang, Schlüsselverwaltung oder Personenaufsichtskontrolle eingesetzt werden. Pförtner an einer Nebenpforte habe es mit Stand 2005 noch über 165.000 gegeben. Schließlich komme auch die Beschäftigung als Museumswärter oder Museumsaufsicht in Betracht.
13
Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15. Juli 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er entgegnet, es bestehe eine schwere spezifische Leistungsbehinderung. Der Beruf des Pförtners stelle auch an der Nebenpforte so hohe Anforderungen, dass er (der Kläger) diese nicht erfüllen könne. Die von der Beklagten genannten Alltagstätigkeiten seien nur noch mühsam und für wenige Sekunden eröffnet. Er könne auch keineswegs Papiere in deutscher Sprache ordnungsgemäß lesen oder ausfüllen. Im Übrigen verbleibe es dabei, dass der Sachverständige Dr. Mi. seine regelmäßige Einsatzfähigkeit verneint habe. Eine Tätigkeit als Museumswärter komme keinesfalls in Betracht. Im Übrigen sei er keinesfalls mehr überörtlich mobil. Das Ergebnis des vorliegenden Verfahrens sei jedenfalls für die Differenzberechnung seines Verdienstausfalls in einem Schadensersatzprozess gegen den Unfallverursacher und dessen Haftpflichtversicherung von Bedeutung.
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Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. | Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15. Juli 2008 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. | 0 |
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Hessisches Landessozialgericht 1. Senat | Hessen | 0 | 1 | 31.01.1973 | 0 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin das Kindergeld für die gemeinsamen drei ehelichen Kinder steht (§§ 3 Abs. 3 und 12 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes– BKGG –).
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Aus der im Jahre 1955 geschlossenen Ehe der Klägerin mit dem Beigeladenen sind der 1956 geborene Sohn R., die 1966 geborene Tochter N. und der 1967 geborene Sohn M. hervorgegangen. Seit September 1967 leben die Klägerin und der Beigeladene getrennt. Durch Beschluss des Amtsgerichts G. vom 3. Dezember 1968 wurde der Klägerin das Personensorgerecht für die Kinder übertragen; diese leben auch bei ihr.
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Die Klägerin erhielt von der Beklagten durch Verfügung vom 9. Januar 1969 für ihre drei Kinder ab Januar 1969 Kindergeld in Höhe von 75,– DM monatlich.
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Mit Bescheid vom 27. August 1969 ordnete die Beklagte gem. § 12 Abs. 3 BKGG an, dass das der Klägerin für die Kinder N. und M. gewährte Kindergeld in Höhe von monatlich insgesamt 50,– DM ab September 1969 an den Beigeladenen ausgezahlt werde, da er diese Kinder überwiegend unterhalte.
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Den von der Klägerin eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 1969 zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, für den Sohn R. erbringe die Klägerin den überwiegenden Unterhalt; denn einer Unterhaltsleistung des Beigeladenen von monatlich 100,– DM stehe die Betreuungsleistung der Klägerin, die mit monatlich 102,– DM anzusetzen sei, gegenüber. Für den Unterhalt der Kinder N. und M. könne dagegen der Beigeladene überwiegend auf; denn im Vergleich zu einer monatlichen Unterhaltszahlung von 100,– DM für jedes Kind betrage der Wert der Betreuungsleistung der Klägerin für diese Kinder monatlich jeweils 69,– DM.
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Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin, die Bescheide der Beklagten aufzuheben und ihr das volle Kindergeld zu gewähren. Der Beigeladene verlangte dagegen, das gesamte Kindergeld an ihm auszuzahlen.
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Durch Urteil vom 10. Juni 1970 änderte das Sozialgericht Marburg/L. die genannten Bescheide dahin, dass ab Februar 1970 ein anteiliges Kindergeld, das auf das Kind R. entfalle, in Höhe von monatlich 25,– DM an den Beigeladenen zu zahlen sei und wies im übrigen die Klage sowie den Antrag des Beigeladenen ab.
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In den Entscheidungsgründen führte es aus, entgegen der Ansicht der Beklagten unterhalte die Klägerin ihre Kinder N. und M. überwiegend. Da Kinder unter sechs Jahren einer dauernden umfangreichen Betreuung ihrer Mutter bedurften als ältere Kinder, seien die Leistungen der Klägerin für die Kinder mit 122,– DM und ab 1. Juni 1970 mit 133,– DM monatlich anzusetzen, während die Unterhaltszahlung des Beigeladenen monatlich nur 100,– DM betrage.
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Ihren Sohn R. habe die Klägerin jedenfalls bis Ende Januar 1970 überwiegend unterhalten, da er zu jener Zeit noch der Gruppe der 7- bis 13-jährigen zuzurechnen gewesen sei, und der Beigeladene seine Unterhaltszahlungen in der zweiten Hälfte des Jahres 1969 nicht immer pünktlich erfüllt habe. Ab Februar 1970 habe der Beigeladene seinen Unterhaltsbeitrag für R. aber auf monatlich 125,– DM erhöht, so dass mit der Abzweigung eines Kindergeldanteils an den Beigeladenen die Beklagte das ihr in § 12 Abs. 3 BKGG eingeräumte Ermessen nicht überschritten habe.
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Die Widerklage des Beigeladenen sei unbegründet, da es nach § 12 Abs. 3 BKGG nur darauf ankomme, welche tatsächlichen Unterhaltsleistungen der Beigeladene im Verhältnis zur Klägerin erbracht habe.
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Gegen das am 19. Juli 1970 bei der Post aufgegebene Urteil hat der Beigeladene am 29. Juni 1970 schriftlich beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Er bestreitet, seiner Unterhaltsverpflichtung nicht immer pünktlich nachgekommen zu sein. Der Geldwert der Betreuungsleistungen der Klägerin mit 122,– DM bzw. mit 133,– DM sei ihm nicht verständlich berechnet.
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Die Beklagte hat unselbständige Anschlussberufung eingelegt.
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Sie hat mit Bescheid vom 1. September 1970 den Bescheid vom 27. August 1969 sowie den Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 1969 mit der Begründung aufgehoben, eine erneute Prüfung der Kindergeldangelegenheit habe ergeben, dass der Klägerin das Kindergeld in voller Höhe zustehe.
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14
Der Beigeladene beantragt sinngemäß,
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das Urteil des Sozialgerichts Marburg/L. vom 10. Juni 1970 abzuändern sowie den Bescheid der Beklagten vom 1. September 1970 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilten, dem Beigeladenen ab September 1969 das Kindergeld unter Berücksichtigung vom drei ehelichen Kindern auszuzahlen.
Randnummer
16
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
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17
die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklage hat beantragt – im Wege der Entscheidung nach Lage der Akten –, das Urteil des Sozialgerichts Marburg/L. vom 10. Juni 1970 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Berufung des Beigeladenen als unbegründet zurückzuweisen.
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Zur Begründung trägt sie vor, sowohl in den angefochtenen und von ihr aufgehobenen Bescheiden als auch in dem Urteil des Sozialgerichts Marburg/L. sei lediglich von der Vorschrift des § 12 Abs. 3 BKGG ausgegangen, obwohl § 3 Abs. 4 Satz 2 BKGG habe angewendet werden müssen. Danach sei das Vormundschaftsgericht für die Abänderung seiner Entscheidung zuständig, und es verbiete sich eine Anordnung nach § 12 Abs. 3 BKGG.
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Leistungsakten der Beklagten Bezug genommen. | Die Berufung des Beigeladenen gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg/L. vom 10. Juni 1970 wird zurückgewiesen und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 1. September 1970 abgewiesen.
Auf die Anschlussberufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg/L. vom 10. Juni 1970 aufgehoben.
Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Im übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 1 | 1
Die Parteien streiten über Auskunfts-, Rechnungslegungs-, Schadensersatzfeststellungs- und Entschädigungsfeststellungsansprüche wegen behaupteter Patentverletzung.
2
Die Klägerin, eine Patentverwertungsgesellschaft, ist eingetragene Inhaberin des dem hiesigen Rechtsstreit zugrunde liegenden deutschen Patents DE 1999 10 239 B 4 (nachfolgend: Klagepatent), welches ein Verfahren zur Vergabe von Zugriffsrechten auf einen Telekommunikationskanal an Teilnehmerstationen eines Telekommunikationsnetzes und eine Teilnehmerstation, der der Zugriff auf mindestens einen von mehreren Teilnehmerstationen gemeinsam nutzbaren Telekommunikationskanal erteilbar ist, betrifft. Die Erteilung des am 08.03.1999 angemeldeten Patents wurde am 05.01.2011 veröffentlicht. Die Klägerin hat das dem hiesigen Rechtsstreit zugrunde liegende Klagepatent durch Schriftsatz vom 07.05.2013 im Wege der Klageerweiterung in das Verfahren 2 O 53/12 eingeführt, woraufhin die Kammer mit Beschluss vom 27.05.2013 das Verfahren hinsichtlich des Klagepatents abgetrennt und in das hiesige Verfahren überführt hat.
3
Das Klagepatent ist Gegenstand eines Einspruchsverfahrens vor dem Deutschen Patent- und Markenamt, dem die Beklagte zu 1 am 08.08.2013 beigetreten ist. Das DPMA hat mit Beschluss vom 06.03.2013 (Anlage FBD 15) Klagepatentanspruch 6 dergestalt abgeändert, dass dieser - in der Nomenklatur der Klägerin und des Deutschen Patent- und Markenamtes als Anspruch 5 bezeichnete - Anspruch nunmehr folgenden Wortlaut hat (Fettdruck für die Änderungen im Vergleich zum ursprünglich erteilten Anspruch):
4
„5. Teilnehmerstation, der der Zugriff auf mindestens einen von mehreren Teilnehmerstationen gemeinsam nutzbaren Telekommunikationskanal erteilbar ist,
5
mit Mitteln zum Empfang von Informationssignalen,
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wobei die Teilnehmerstation derart ausgestaltet ist, dass die Zugehörigkeit zu einer Nutzerklasse anhand einer Zugangsberechtigungskarte entnehmbar ist,
7
dadurch gekennzeichnet, dass
8
eine Auswerteeinheit derart ausgestaltet ist, dass eine Prüfung bei mit den Informationssignalen empfangenen Zugriffsberechtigungsdaten anhand der Zugriffsklassenbits erfolgt,
9
wobei die Zugriffsberechtigungsdaten als Bitmuster ausgeführt sind und Zugriffsschwellwertbits für einen Zugriffsschwellwert
10
und Zugriffsklassenbits, die für die Nutzerklassen der mehreren Teilnehmerstationen stehen, enthalten,
11
und dass die Prüfung derart erfolgt,
12
dass die Teilnehmerstation unabhängig vom Zugriffsschwellwert auf den Telekommunikationskanal zugreift, wenn das der Nutzerklasse der Teilnehmerstation zugeordnete Zugriffsklassenbit
0 ist
,
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und dass ihr in Abhängigkeit von dem Vergleichsergebnis des Zugriffsschwellwerts mit einer Zufallszahl oder einer Pseudo-Zufallszahl der Zugriff auf den Telekommunikationskanal freigegeben wird, wenn das Zugriffsklassenbit
1 ist
.“
14
Die Beklagte zu 1 hat gegen diese Einspruchsentscheidung am 09.08.2013 Beschwerde eingelegt, um den vollständigen Widerruf des Klagepatents zu erreichen. Die Klägerin hat am 01.08.2013 (Anlage K 41) Beschwerde eingelegt.
15
Hinsichtlich des weiteren Inhalts, insbesondere der Patentbeschreibung, wird auf die Klagepatentschrift (Anlage K 32) verwiesen.
16
Die Beklagte zu 1 ist ein amerikanischer Hersteller von Computern, Mobiltelefonen und anderen elektronischen Geräten der Unterhaltungsindustrie, die Beklagte zu 2 die europäische Vertriebsgesellschaft der Beklagten zu 1, die auch für die Verkäufe in der Bundesrepublik Deutschland verantwortlich zeichnet. Die Beklagte zu 3 ist die für den Einzelhandelsvertrieb in Deutschland zuständige Tochtergesellschaft mit Sitz in Frankfurt. Die Beklagten vertreiben u.a. die Modelle […], die UMTS-fähig sind. Die Klägerin führt zu diesen Verletzungsformen stellvertretend für alle UMTS-fähigen Mobilfunkgeräte der Beklagten (zukünftig einheitlich als angegriffene Ausführungsform bezeichnet) aus.
17
UMTS (Universal Mobile Telecommunications System) beruht auf Mobilfunkstandards des 3rd-Generation-Partnership-Projects (3GPP), die in einzelnen Dokumenten des European Telecommunications Standards Institute (ETSI) niedergelegt sind.
18
Im standardrelevanten Dokument mit der Bezeichnung ETSI TS 125 321, Version 6.14.0 (Anlage K 10 in 2 O 53/12) wird in Abschnitt 11.2 (
Control of RACH Transmissions
) ein Zugriffskontrollverfahren auf den wahlfreien Zugriffskanal RACH (
Random Access Channel
) beschrieben, über den Mobilstationen auf Dienste des Netzwerks zugreifen. Die physikalischen Ressourcen des RACH können zwischen verschiedenen „
Access Service Classes
“ (ASC) aufgeteilt werden, um so verschiedene Nutzungsprioritäten einzuräumen (Anlage K 10 in 2 O 53/12, Abschnitt 11.2.1, 1. Abs.). Zu diesem Zweck sind im Standard acht
Access Service Classes
von ASC#0 bis ASC#7 vorgesehen, wobei ASC#0 die höchste Zugriffspriorität aufweist, ASC#7 die niedrigste (Anlage K 10 in 2 O 53/12, Abschnitt 11.2.1, 2. Abs.).
19
Der Zugriff der jeweiligen Mobilstation auf den RACH hängt nach dem in Figur 11.2.2.1 der Anlage K 10 grafisch dargestellten Verfahrensablauf von einem Vergleich eines in der Mobilstation berechneten und unter Umständen (vgl. Anlage K 11 in 2 O 53/12, TS 125.331, Abschnitt 8.5.12, 5. Absatz: “
Scaling factors s
i
are provided
optionally
…“ [Hervorhebung diesseits]) skalierten Persistenzwertes P
i
mit einer in der Mobilstation generierten Zufallszahl R (0 ≤ R <1) ab, wobei die Verbindlichkeit des in der Figur dargestellten Verfahrensablaufs zwischen den Parteien in Streit steht. Entsprechend der Figur ist der Zugriff der Mobilstation auf den RACH frei, wenn die generierte Zufallszahl R ≤ P
i
ist:
20
Sobald die Mobilstation ihren Zugriffswunsch (
RRC Connection Request
) über den RACH an die Basisstation senden will, muss sie zunächst ermitteln, welche ASC ihr zugewiesen ist. Diese Bestimmung erfolgt über die der jeweiligen Mobilstation zugewiesene „
Access Class“
(AC) (Anlage K 10 in 2 O 53/12, Abschnitt 11.2.1, 5. Abs.: „
When an RRC CONNECTION REQUEST message is sent RRC determines ASC by means of the access class [7]
.“) Die Referenz „[7]“ verweist gemäß Abschnitt 2 (
References
) des Standards ETSI 125 321 auf das Dokument 3GPP TS 125.331: „
Radio Resource Control (RRC); protocol specification
“ (Anlage K 11 in 2 O 53/12).
21
In dessen Abschnitten 8.5.12 und 8.5.13 wird die Beziehung zwischen
Access Class
(AC) und
Access Service Class
(ASC) näher beschrieben. Die Zuordnung der Mobilstation zu einer bestimmten ASC erfolgt entsprechend der auf der SIM-Karte festgelegten (vgl. Anlage K 12 in 2 O 53/12, ETSI TS 122 011, Abschnitt 4.2: „
All UEs are members of one out of ten randomly allocated mobile populations, defined as Access Classes 0 to 9. The population number is stored in the SIM/USIM.
“) Access Class (AC), nach dem von der Basisstation übermittelten Informationselement „
Mapping of Access Classes to Access Service Classes
“ („
AC to ASC Mapping
“, Anlage K 11 in 2 O 53/12, ETSI TS 125 331, Version 6.16.0, Abschnitt 8.5.13):
22
Der für die Zugriffsentscheidung maßgebliche Persistenzwert P
i
wiederum ergibt sich gemäß nachstehender Tabelle in Abhängigkeit von der der Mobilstation jeweils zugeordneten ASC (Anlage K 11 in 2 O 53/12, ETSI TS 125.331, Abschnitt 8.5.12):
23
Mit Ausnahme der ASC#0, der immer ein Zugriff möglich ist, weil ihr feststehend der Persistenzwert P
i
= 1 zugewiesen ist und der Wert damit immer größer oder gleich R ist und ein Zugriff erfolgen kann, bestimmt sich für die übrigen ASC der Persistenzwert P
i
in Abhängigkeit vom dynamischen Persistenzniveau N („
dynamic persistence level N = 1, …, 8
“) nach der feststehenden Beziehung P(N) = 2
-(n-1)
, wobei gegebenenfalls in die Berechnung der Skalierungsfaktor s
i
einfließt. Das dynamische Persistenzniveau N wird von der Basisstation bestimmt und an alle Mobilstationen im
System Information Block (SIB) type 7
permanent übertragen (ETSI TS 125 331, 8.5.12, Anlage K 11 in 2 O 53/12), während die Skalierungsfaktoren und das Informationselement „AC to ASC mapping“ im
SIB type 5
oder
5bis
übertragen werden (ETSI TS 125 331, 8.5.13, Anlage K 11 in 2 O 53/12).
24
Das „AC to ASC mapping“ - Informationselement besteht dabei immer aus insgesamt 21 Bit, wobei jeweils 3 Bit auf eine Access Service Class entfallen.
25
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die zitierten Standarddokumente verwiesen.
26
Die Klägerin ist der Auffassung, die durch die Beklagten hergestellten und vertriebenen UMTS-fähigen Mobilfunkgeräte seien dazu geeignet und bestimmt, die durch das Klagepatent gelehrte Erfindung zu benutzen. Mangels Berechtigung verletzten die Beklagten Anspruch 5 des Klagepatents in der von der Einspruchsabteilung aufrecht erhaltenen Fassung, weil die standardgemäß arbeitenden Mobilfunkgeräte sämtliche Merkmale des Anspruchs wortsinngemäß, jedenfalls aber äquivalent verwirklichten.
27
Insbesondere werde auch Merkmal 6 wortsinngemäß verwirklicht, da auch der Standard anhand des für die Nutzerklasse relevanten Zugriffsklassenbits ermittle, ob der Zugriff auf den wahlfreien Zugriffskanal abhängig oder unabhängig von den empfangenen Zugriffsschwellwert-Bits erfolgen könne. Eine Einordnung des Parameters „AC to ASC mapping“ als patentgemäßes Zugriffsklassenbit scheide nicht deshalb aus, weil das damit einer Nutzerklasse jeweils zugeordnete Informationselement im Standard aus 3 Bits und nicht aus lediglich einem Bit bestehe, da der Fachmann dem Klagepatent bei funktionaler Auslegung kein Gebot entnehme, dass jeder Zugriffsklasse maximal ein einziges Zugriffsklassenbit zugeordnet sein dürfe. Vielmehr bezeichne dieser Begriff funktional ein digitales Informationselement, welches der Mobilstation im Hinblick auf ihre Nutzerklasse mitteile, welchen der beiden Zugriffswege sie zu beschreiten habe, ohne dass es auf die konkrete Anzahl der für die Darstellung dieser Information verwendeten Bits ankäme.
28
Selbst wenn man jedoch das Merkmal 6 so verstehe, dass genau ein einziges Bit die Entscheidung über einen der beiden in Merkmal 6 gelehrten Zugriffswege treffen müsse, sei dies im Standard verwirklicht, denn die der patentgemäßen Nutzerklasse entsprechende Access Service Class 0 sei standardgemäß binär mit [000] codiert, wohingegen das Informationselement für die Zuordnung zur Access Service Class 1 binär mit [001] codiert sei, so dass auch im Standard allein ein Bit darüber entscheide, welcher Zugriffsweg eingeschlagen werde. Darüber hinaus sei es für die Mobilstation irrelevant, an welcher Stelle der drei übertragenen Bits die 1 stehe.
29
Gehe man indes davon aus, dass anspruchsgemäß das Informationselement „Zugriffsklassenbit“ nur mit einem einzigen Bit codiert sein dürfe, und die Zuweisung der Zugriffsklasse mit 3 Bits pro Access Service Class durch ein „AC to ASC mapping“ Informationselement keine wortsinngemäße Merkmalsverwirklichung darstelle, so liege jedenfalls eine Verwirklichung des Merkmals 2d und damit auch der anspruchsgemäßen Erfindung mit äquivalenten Mitteln vor. Der Austausch der Zuweisung mit einem einzigen Bit durch die Zuweisung mit 3 Bits sei objektiv gleichwirkend, naheliegend und gleichwertig.
30
Die Entscheidung der Einspruchsabteilung des DPMA sei rechtsfehlerhaft, daher werde der Anspruch auch in seiner ursprünglich erteilten Fassung hilfsweise weiterverfolgt. Auch dieser sei wortsinngemäß, jedenfalls aber äquivalent im Standard umgesetzt.
31
Die Klägerin beantragt:
32
I. Die Beklagten werden verurteilt,
33
1.1 der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie seit dem 21. Oktober 2000 im Geltungsbereich des deutschen Teils des deutschen Patentes DE 199 10 239
34
Teilnehmerstationen, denen der Zugriff auf mindestens einen von mehreren Teilnehmerstationen gemeinsam nutzbaren Telekommunikationskanal erteilbar ist, mit Mitteln zum Empfang von Informationssignalen, wobei die Teilnehmerstation derart ausgestaltet ist, dass die Zugehörigkeit zu einer Nutzerklasse anhand einer Zugangsberechtigungskarte entnehmbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass eine Auswerteeinheit derart ausgestaltet ist, dass eine Prüfung bei mit den Informationssignalen empfangenen Zugriffsberechtigungsdaten anhand der Zugriffsklassenbits erfolgt, wobei die Zugriffsberechtigungsdaten als Bitmuster ausgeführt sind und Zugriffsschwellwertbits für einen Zugriffsschwellwert und Zugriffsklassenbits, die für die Nutzerklassen der mehreren Teilnehmerstationen stehen enthalten, und dass die Prüfung derart erfolgt, dass die Teilnehmerstation unabhängig von dem Zugriffsschwellwert auf den Telekommunikationskanal zugreift, wenn das der Nutzerklasse der Teilnehmerstation zugeordnete Zugriffsklassenbit 0 ist, und dass ihr in Abhängigkeit von dem Vergleichsergebnis des Zugriffsschwellwerts mit einer Zufallszahl oder einer Pseudo-Zufallszahl der Zugriff auf den Telekommunikationskanal freigegeben wird, wenn das Zugriffsklassenbit 1 ist,
35
angeboten, in den Verkehr gebracht, gebraucht oder zu den genannten Zwecken eingeführt oder besessen haben, und zwar unter Angabe
36
a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie für die Zeit seit dem 1. September 2008 der bezahlten Preise,
37
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und - preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
38
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und - preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnung) sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
39
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
40
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
41
wobei die Beklagten zum Nachweis der Angaben zu a) und b) entsprechende Belege (Rechnungen oder Lieferscheine) in Kopie vorzulegen haben,
42
wobei von den Beklagten die Angaben zu e) erst seit dem 5. Februar 2011 zu machen sind,
43
und wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkretes Befragen mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.
44
(Wortsinngemäße Verletzung des Klagepatentanspruches in der aufrechterhaltenen Fassung)
45
hilfsweise:
46
1.2 der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie seit dem 21. Oktober 2000 im Geltungsbereich des deutschen Teils des deutschen Patentes DE 199 10 239
47
Teilnehmerstationen, denen der Zugriff auf mindestens einen von mehreren Teilnehmerstationen gemeinsam nutzbaren Telekommunikationskanal erteilbar ist, mit Mitteln zum Empfang von Informationssignalen, wobei die Teilnehmerstation derart ausgestaltet ist, dass die Zugehörigkeit zu einer Nutzerklasse anhand einer Zugangsberechtigungskarte entnehmbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass eine Auswerteeinheit derart ausgestaltet ist, dass eine Prüfung bei mit den Informationssignalen empfangenen Zugriffsberechtigungsdaten anhand der Zugriffsklassenbits erfolgt, wobei die Zugriffsberechtigungsdaten als Bitmuster ausgeführt sind und Zugriffsschwellwertbits für einen Zugriffsschwellwert und Zugriffsklassenbits, die für die Nutzerklassen der mehreren Teilnehmerstationen stehen enthalten, und dass die Prüfung derart erfolgt, dass die Teilnehmerstation unabhängig von dem Zugriffsschwellwert auf den Telekommunikationskanal zugreift, wenn das der Nutzerklasse der Teilnehmerstation zugeordnete
und mit drei Bits kodierte
Zugriffsklassenbit 0 ist, und dass ihr in Abhängigkeit von dem Vergleichsergebnis des Zugriffsschwellwerts mit einer Zufallszahl oder einer Pseudo-Zufallszahl der Zugriff auf den Telekommunikationskanal freigegeben wird, wenn das
mit drei Bits kodierte
Zugriffsklassenbit 1 ist,
48
angeboten, in den Verkehr gebracht, gebraucht oder zu den genannten Zwecken eingeführt oder besessen haben, und zwar unter Angabe
49
a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie für die Zeit seit dem 1. September 2008 der bezahlten Preise,
50
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und - preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
51
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und - preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnung) sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
52
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
53
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
54
wobei die Beklagten zum Nachweis der Angaben zu a) und b) entsprechende Belege (Rechnungen oder Lieferscheine) in Kopie vorzulegen haben,
55
wobei von den Beklagten die Angaben zu e) erst seit dem 5. Februar 2011 zu machen sind,
56
und wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkretes Befragen mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.
57
(Äquivalente Verletzung des Klagepatentanspruches in der aufrechterhaltenen Fassung)
58
höchst hilfsweise:
59
1.3 der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie seit dem 21. Oktober 2000 im Geltungsbereich des deutschen Teils des deutschen Patentes DE 199 10 239
60
Teilnehmerstationen, denen der Zugriff auf mindestens einen von mehreren Teilnehmerstationen gemeinsam nutzbaren Telekommunikationskanal erteilbar ist, mit Mitteln zum Empfang von Informationssignalen, wobei die Teilnehmerstation derart ausgestaltet ist, dass die Zugehörigkeit zu einer Nutzerklasse anhand einer Zugangsberechtigungskarte entnehmbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass eine Auswerteeinheit derart ausgestaltet ist, dass eine Prüfung bei mit den Informationssignalen empfangenen Zugriffsberechtigungsdaten anhand der Zugriffsklassenbits erfolgt, wobei die Zugriffsberechtigungsdaten als Bitmuster ausgeführt sind und Zugriffsschwellwertbits für einen Zugriffsschwellwert und Zugriffsklassenbits, die für die Nutzerklassen der mehreren Teilnehmerstationen stehen enthalten, und dass die Prüfung derart erfolgt, dass die Teilnehmerstation unabhängig von dem Zugriffsschwellwert auf den Telekommunikationskanal zugreift, wenn das der Nutzerklasse der Teilnehmerstation zugeordnete Zugriffsklassenbit einen ersten Wert hat, und dass ihr in Abhängigkeit von dem Vergleichsergebnis des Zugriffsschwellwerts mit einer Zufallszahl oder einer Pseudo-Zufallszahl der Zugriff auf den Telekommunikationskanal freigegeben wird, wenn das Zugriffsklassenbit einen zweiten Wert hat,
61
angeboten, in den Verkehr gebracht, gebraucht oder zu den genannten Zwecken eingeführt oder besessen haben, und zwar unter Angabe
62
a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie für die Zeit seit dem 1. September 2008 der bezahlten Preise,
63
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und - preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
64
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und - preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnung) sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
65
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
66
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
67
wobei die Beklagten zum Nachweis der Angaben zu a) und b) entsprechende Belege (Rechnungen oder Lieferscheine) in Kopie vorzulegen haben, wobei von den Beklagten die Angaben zu e) erst seit dem 5. Februar 2011 zu machen sind,
68
und wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkretes Befragen mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.
69
(Wortsinngemäße Verletzung des Klagepatentanspruches in der erteilten Fassung)
70
äußerst hilfsweise:
71
1.4 der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie seit dem 21. Oktober 2000 im Geltungsbereich des deutschen Teils des deutschen Patentes DE 199 10 239
72
Teilnehmerstationen, denen der Zugriff auf mindestens einen von mehreren Teilnehmerstationen gemeinsam nutzbaren Telekommunikationskanal erteilbar ist, mit Mitteln zum Empfang von Informationssignalen, wobei die Teilnehmerstation derart ausgestaltet ist, dass die Zugehörigkeit zu einer Nutzerklasse anhand einer Zugangsberechtigungskarte entnehmbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass eine Auswerteeinheit derart ausgestaltet ist, dass eine Prüfung bei mit den Informationssignalen empfangenen Zugriffsberechtigungsdaten anhand der Zugriffsklassenbits erfolgt, wobei die Zugriffsberechtigungsdaten als Bitmuster ausgeführt sind und Zugriffsschwellwertbits für einen Zugriffsschwellwert und Zugriffsklassenbits, die für die Nutzerklassen der mehreren Teilnehmerstationen stehen enthalten, und dass die Prüfung derart erfolgt, dass die Teilnehmerstation unabhängig von dem Zugriffsschwellwert auf den Telekommunikationskanal zugreift, wenn das der Nutzerklasse der Teilnehmerstation zugeordnete
und mit drei Bits kodierte
Zugriffsklassenbit einen ersten Wert hat, und dass ihr in Abhängigkeit von dem Vergleichsergebnis des Zugriffsschwellwerts mit einer Zufallszahl oder einer Pseudo-Zufallszahl der Zugriff auf den Telekommunikationskanal freigegeben wird, wenn das
mit drei Bits kodierte
Zugriffsklassenbit einen zweiten Wert hat,
73
angeboten, in den Verkehr gebracht, gebraucht oder zu den genannten Zwecken eingeführt oder besessen haben, und zwar unter Angabe
74
a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie für die Zeit seit dem 1. September 2008 der bezahlten Preise,
75
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und - preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
76
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und - preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnung) sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
77
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgem, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
78
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
79
wobei die Beklagten zum Nachweis der Angaben zu a) und b) entsprechende Belege (Rechnungen oder Lieferscheine) in Kopie vorzulegen haben,
80
wobei von den Beklagten die Angaben zu e) erst seit dem 5. Februar 2011 zu machen sind,
81
und wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkretes Befragen mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.
82
(Äquivalente Verletzung des Klagepatentanspruches in der erteilten Fassung)
83
II. Es wird festgestellt,
84
1. dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin für die in Ziffer I. bezeichneten, in der Zeit vom 21. Oktober 2000 bis zum 5. Februar 2011 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;
85
2. dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin durch die zu Ziffer I. bezeichneten Handlungen seit dem 5. Februar 2011 entstanden ist und noch entstehen wird.
86
Die Beklagten beantragen,
87
die Klage abzuweisen,
88
hilfsweise
89
den Beklagten zu gestatten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung, die auch durch Bank- und Sparkassenbürgschaft erbracht werden kann, ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung der Klägerin abzuwenden.
90
hilfsweise
91
das Verfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Einspruchsverfahrens gegen das Klagepatent bzw. bis zum Abschluss des Verfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache RS. C-170/13 gem. § 148 ZPO auszusetzen.
92
Die Beklagten sind der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform mache vom Wortlaut des Anspruchs 5 in seiner jetzigen Fassung keinen Gebrauch, weil der UMTS-Standard, anhand dessen die Verletzungsfrage von der Klägerin dargelegt werde, die Merkmale der erfinderischen Lehre nicht verwirkliche. Insbesondere sei Merkmal 6 deshalb nicht gegeben, weil klagepatentgemäß ein Zugriffsklassenbit nur in einem Bit pro Nutzerklasse bestehen könne. Im Standard werde hingegen die von der Klägerin als patentgemäße Nutzerklasse in Anspruch genommene Access Service Class stets mit 3 Bit codiert. Zugriffsklassenbit im Sinne des Klagepatents sei nicht die auf der logischen Ebene (über den BCCH) übermittelte Information darüber, welches Verfahren (d.h. abhängig oder unabhängig von den Zugriffschwellwertbits) zur Anwendung komme, sondern die auf der physikalischen Ebene stattfindende Codierung dieser Information in alleine einem Bit.
93
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags - insbesondere zum Verletzungsvorwurf betreffend die weiteren Merkmale des Patentanspruchs und zur Erörterung kartellrechtlicher Fragen - wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 11.02.2014 ergänzend Bezug genommen.
94
Die Klägerin und die Beklagten haben zuletzt mit Schriftsätzen vom 18.02.2014 weiter vorgetragen. | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. | 0 |
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LG Hamburg 18. Zivilkammer | Hamburg | 0 | 1 | 16.08.2019 | 1 | Randnummer
1
Die Kläger begehren die Rückabwicklung eines von ihnen bei der Beklagten abgeschlossenen Darlehensvertrages nach Widerruf.
Randnummer
2
Die Kläger schlossen im April 2013 einen Darlehensvertrag über einen Nettodarlehensbetrag von 189.000 € bei der Beklagten ab. Das Darlehen wurde mit einem bis zum 31.03.2028 gebundenen Sollzinssatz in Höhe von nom. 3,64 % p.a. vereinbart. Als Monatsleistung nach Vollvalutierung wurde ein Betrag in Höhe von 888,30 € vereinbart. Das Darlehen wurde am 30.01.2014 ausgezahlt. Das Darlehen ist mit einer Grundschuld im Grundbuch von B.-H. (Bl. …) gesichert und dient der Finanzierung einer privat genutzten Immobilie. Die Parteien erfüllten nach Vertragsschluss ihre wechselseitigen Pflichten aus dem Darlehensvertrag.
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3
Unter Ziffer 14 des Darlehensvertrages findet sich eine Widerrufsinformation. Zu den Einzelheiten der Widerrufsinformation und zum weiteren Inhalt des Darlehensvertrages wird auf die Anlage K1 verwiesen.
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Mit Schreiben vom 07.01.2018 widerriefen die Kläger ihre auf den Abschluss des Darlehensvertrages gerichteten Willenserklärungen und forderten die Beklagte auf, den Darlehensvertrag ohne Berechnung einer Vorfälligkeitsentschädigung abzurechnen. Ihre Zahlungen stellten die Kläger fortan unter dem Vorbehalt der Rückforderung. Zu den Einzelheiten des klägerischen Schreibens vom 07.01.2018 ist auf die Anlage K5 zu verweisen.
Randnummer
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Die Beklagte teilte den Klägern hierauf mit Schreiben vom 24.01.2018 mit, dass ein Widerruf des Darlehens nicht mehr möglich sei, da die Widerrufsfrist seit langer Zeit verstrichen sei. Zu den weiteren Einzelheiten des Schreibens sei auf die Anlage K6 verwiesen.
Randnummer
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Mit anwaltlichen Schreiben vom 26.2.2018, vom 28.02.2018 und vom 15.03.2018 wiesen die Prozessbevollmächtigten der Kläger die Beklagte nochmals auf die Rechtsauffassung der Kläger hin. Zum genauen Inhalt der Schreiben sei auf die Anlagen K7-K9 verwiesen.
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7
Die Kläger sind der Auffassung, dass die Widerrufsfrist noch nicht abgelaufen war, als sie den Widerruf erklärt haben, da sie nicht hinreichend über ihr Widerrufsrecht informiert worden seien und der Vertrag auch nicht in ordnungsgemäßer Weise alle notwendigen Pflichtangaben enthalten habe. Sie bringen folgendes vor:
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Der Satz der unter Ziffer 14 abgedruckten Widerrufsinformation, wonach der Darlehensnehmer der Sparkasse im Falle des Widerrufs auch die Aufwendungen zu ersetzen habe, die diese an öffentliche Stellen erbracht hat und nicht zurückverlangen kann, mache die Widerrufsinformation fehlerhaft, da die dort genannten Aufwendungen durch die Beklagte nicht erfolgt seien und der Hinweis auf eine Erstattungspflicht des Darlehensnehmers insoweit geeignet sei, den durchschnittlichen Verbraucher von der Ausübung des Widerrufsrechts abzuhalten, da er aufgrund der unzutreffenden Formulierung eine Erstattungspflicht fürchten müsse, die es aber nicht gebe.
Randnummer
9
Die Beklagte informiere unter Ziffer 2.4 des Darlehensvertrages entgegen Art. 247 § 3 Nr. 10 EGBGB unzureichend über die Pflichtangabe betreffend die Kosten des Darlehens. Als Pflichtangabe hätten die Kosten für die Grundschuldbestellung im Darlehensvertrag aufgeführt werden müssen.
Randnummer
10
Die Angabe einer Internetadresse, ohne dass dort eine Widerrufsmöglichkeit gegeben sei, führe ebenfalls zur Fehlerhaftigkeit der verwendeten Belehrung.
Randnummer
11
Der Verweis zum Fristbeginn in der Widerrufsinformation auf den § 492 Abs. 2 BGB (sog. Kaskadenverweis) sei weder klar noch verständlich. Der Verweis bürde dem Verbraucher ein umfassendes Gesetzesstudium auf. Die Widerrufsinformation sei daher fehlerhaft. Die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes widerspreche den europarechtlichen Vorgaben. Unter Bezugnahme auf einen Vorlagebeschluss des Landgerichts Saarbrücken sind die Kläger der Auffassung, dass das Verfahren gem. § 148 ZPO bis zur Entscheidung des EuGH auszusetzen sei, sofern das Gericht ihrer Rechtsauffassung nicht folgen und der Klage auch nicht aus anderen Gründen stattgeben sollte. Hilfsweise begehren sie die Aussetzung und Vorlage zur Vorabentscheidung der von ihnen aufgeworfenen Rechtsfrage an den EuGH.
Randnummer
12
Ferner machen die Kläger geltend, dass die Klausel hinsichtlich des Aufrechnungsverbotes in Nr. 11 der AGB der Beklagten unwirksam sei. Das führe auch zu einer Unwirksamkeit der in der Widerrufsinformation erteilten Angaben zur Rückzahlungsverpflichtung nach Widerruf, weil beide vorformulierten Vertragsbedingungen inhaltlich die Rechtsfolgen des Widerrufs beschreiben würden und damit derart verknüpft seien, dass beide Regelungen nur als zusammengehörige betrachtet werden könnten. Das mache die Widerrufsinformation fehlerhaft. Eine richtlinienkonforme Auslegung verbiete eine Teilbarkeit der Regelungen und eine geltungserhaltende Reduktion. Sollte das Gericht anderer Auffassung sein, begehren die Kläger auch in diesem Punkt eine Aussetzung gem. § 148 ZPO und eine Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung der von ihnen aufgeworfenen Rechtsfrage.
Randnummer
13
Die Kläger beantragen,
Randnummer
14
1. festzustellen, dass der Beklagten aus dem Rückgewährschuldverhältnis zum Darlehensvertrag Nr. … am 30.08.2018 gegen die Kläger ein Anspruch von nicht mehr als 156.599,57 € zustand,
Randnummer
15
2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Zahlung gemäß Antrag zu 1) in Annahmeverzug befindet,
Randnummer
16
3. festzustellen, dass die Beklagte den Klägern alle nach dem 30.08.2018 auf den Darlehensvertrag Nr. … bzw. auf das diesbezügliche Rückgewährschuldverhältnis noch geleisteten Zahlungen zu erstatten hat,
Randnummer
17
4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Klägern sämtlichen Schaden zu ersetzen, der ihnen daraus entsteht, dass die Beklagte die Durchführung der Rückabwicklung des Darlehensvertrages Nr. … verweigert hat,
Randnummer
18
5. die Beklagte zu verurteilen, weitere 2.399,99 € an Nebenforderungen zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen, hiervon einen Teilbetrag in Höhe von 2.149,99 € an die R. Rechtsschutz-Versicherung AG sowie von 250,00 € an die Kläger.
Randnummer
19
Die Beklagte beantragt,
Randnummer
20
die Klage abzuweisen.
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21
Sie sind der Auffassung, dass die von den Klägern angeführten Beanstandungen zu der im streitgegenständlichen Darlehensvertrag enthaltenen Widerrufsinformation unbeachtlich seien und den Fortbestand eines Widerrufsrechts nicht begründeten. Die verwendete Widerrufsinformation habe den gesetzlichen Anforderungen des § 495 BGB in der Fassung vom 30.07.2010 bis zum 12.06.2014 in Verbindung mit § 355 BGB in der zwischen dem 11.06.2010 und dem 12.06.2014 geltenden Fassung entsprochen.
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22
Wegen der weiteren Einzelheiten hinsichtlich des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze verwiesen. | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 70.601,79 € festgesetzt. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 1 | 1
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger zur Erteilung von Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse verpflichtet ist.
2
Der am … April 1961 geborene Kläger ist Sohn der am ... Juni 1938 geborenen G. V. (Hilfeempfängerin), die seit 16. Dezember 2014 Leistungen der Hilfe zur Pflege sowie Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII) durch den Beklagten erhält.
3
Das Amtsgericht Wolfenbüttel übertrug durch Beschluss vom 24. Oktober 1974 (9 X 347/73) das „Recht zur Ausübung der elterlichen Gewalt“ auf S. M., den Vater des Klägers und geschiedenen Ehemann der Hilfeempfängerin. Das Landgericht Braunschweig wies die Beschwerde der Hilfeempfängerin gegen diese Entscheidung durch Beschluss vom 9. Mai 1975 (8 T 236/75) zurück.
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Mit Schreiben vom 22. Januar 2015 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die Hilfeempfängerin seit Dezember 2014 Hilfen nach dem Vierten und Siebten Kapitel des SGB XII erhalte, er zu den in §§ 1601 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bezeichneten Personen, die vorbehaltlich ihrer Leistungsfähigkeit verpflichtet seien, Unterhalt zu gewähren, gehöre und gemäß § 94 SGB XII dieser bürgerlich-rechtliche Unterhaltsanspruch bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen kraft Gesetzes auf den Beklagten als Träger der Sozialhilfe übergehe. Durch Bescheid vom 22. Januar 2015 forderte der Beklagte den Kläger unter Übersendung eines Fragebogens zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nach § 117 SGB XII auf, Auskunft über sein Einkommen und Vermögen zu erteilen. Dagegen legte der Kläger am 4. Februar 2015 Widerspruch ein und machte geltend, dass er mit der Hilfeempfängerin mehr als vier Jahrzehnte keinerlei Umgang mehr habe. Ursache seien hierfür gravierende Verfehlungen hinsichtlich der elterlichen Fürsorge. Infolge dieser Verfehlungen, u.a. in Form schwerer körperlicher und seelischer Gewalt gegen ihn über Jahre hinweg, sei er im Alter von zwölf Jahren aus dem Haushalt der Hilfeempfängerin geflohen. Im Zuge des sich anschließenden Prozesses sei der Hilfeempfängerin durch das Amtsgericht Wolfenbüttel das Sorgerecht entzogen worden. Diese Entscheidung sei vom Landgericht Braunschweig nach Einholung eines Gutachtens bestätigt worden. Die Hilfeempfängerin habe sich an den für ihn seit seinem 12. Lebensjahr anfallenden Kosten für Unterhalt und Ausbildung nicht beteiligt. Auf Grund dieser Sachlage halte er - der Kläger - es für nicht zumutbar, wenn eine Unterhaltspflicht für die Hilfeempfängerin geltend gemacht werde.
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Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 2. März 2015 zurück. Bei Vorliegen der in § 1611 Abs. 1 BGB genannten Tatbestände brauche ein zum Unterhalt Verpflichteter nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, der der Billigkeit entspreche. Die Verpflichtung falle nur dann ganz weg, wenn die Inanspruchnahme grob unbillig wäre. In die Billigkeitsabwägungen seien neben der Schwere der Verfehlung u.a. auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unterhaltspflichtigen einzubeziehen. Nur wenn im Einzelfall nach dieser erfolgten Prüfung auch der danach ermittelte Betrag aus besonderen Gründen grob unbillig wäre, könne dieser gänzlich wegfallen. Von grober Unbilligkeit sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) nur dann auszugehen, wenn die Gewährung von Unterhalt dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widersprechen würde. Neben der Schwere der Verfehlung sei auch maßgeblich, ob die unterhaltspflichtige Person in Verhältnissen lebe, bei denen sie durch Unterhaltsleistungen in spürbarer Weise in ihrer eigenen Lebensführung beeinträchtigt werden würde. Die nach § 117 SGB XII geforderte Auskunftserteilung sei somit notwendig, um über einen möglichen Wegfall der Verpflichtung zur Unterhaltsleistung entscheiden zu können.
6
Dagegen hat der Kläger am 2. April 2015 Klage zum Sozialgericht Braunschweig erhoben (S 32 SO 46/15), das sich durch Beschluss vom 27. April 2015 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Stuttgart (SG) verwiesen hat. Dort ist der Rechtsstreit unter dem Aktenzeichen S 20 SO 2502/15 fortgeführt worden.
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Der Kläger hat zur Begründung seiner Klage ausgeführt, ein gemäß § 1601 BGB bestehender Anspruch der Hilfeempfängerin auf Gewährung von Familienunterhalt gegen ihn - den Kläger - sei jedenfalls gemäß § 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB vollständig entfallen. Danach brauche der Verpflichtete nur einen Betrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, die der Billigkeit entspreche, wenn der Unterhaltsberechtigte durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden sei, er seiner eigenen Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt oder sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen schuldig gemacht habe. Die Unterhaltsverpflichtung falle gemäß § 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB ganz weg, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre. Vorliegend habe die Hilfeempfängerin grobes Fehlverhalten an den Tag gelegt. Seit 1974 bestehe kein Kontakt mehr. Ihr sei durch Beschluss des Amtsgerichts Wolfenbüttel vom 24. Oktober 1974 das Sorgerecht entzogen und seinem Vater übertragen worden. Grund für den Entzug des Sorgerechts seien u.a. die Konfrontationen des Klägers durch die Hilfeempfängerin mit deren sexuellen Problemen und Unternehmungen gewesen, die ihn - den Kläger - dazu gezwungen hätten, vor dieser zu flüchten. Besonders gravierend seien körperliche Misshandlungen, die darin gegipfelt hätten, dass die Hilfeempfängerin ihn mit einem Brotmesser traktiert und versucht habe, ihn vom Balkon zu stoßen. Eine Tötungsabsicht sei offensichtlich gewesen. Der Kläger hat den Beschluss des Amtsgerichts Wolfenbüttel vom 24. Oktober 1974 (Blatt 36/39 der SG-Akten), das Protokoll des Amtsgerichts Schorndorf vom 14. Juni 1974 über die Vernehmung des Klägers (Blatt 40/42 der SG-Akten), das Protokoll des Amtsgerichts Schorndorf vom 14. Juni 1974 über die Vernehmung des Vaters des Klägers (Blatt 43/44 der SG-Akten) sowie ein Schreiben der Hilfeempfängerin vom 29. März 1964 (Bl. 70/72 der SG-Akten) vorgelegt.
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Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Ein Fall der sogenannten Negativevidenz liege nicht vor. Zwar würden die vom Kläger vorgetragenen Umstände und Vorkommnisse betreffend das Verhältnis zu seiner Mutter in Richtung des Vorliegens eines Verwirkungstatbestandes hindeuten, jedoch sei mit Blick auf den Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 9. Mai 1975 zu beachten, dass die früher im Rahmen einer Zeugenaussage durch den Kläger geäußerten Vorwürfe über Handlungen im Bereich einer Körperverletzung bis hin zu versuchten Tötungen dort nicht weiter betrachtet worden seien. Zudem sei die Frage nach einem Verschulden der Hilfeempfängerin bewusst offengelassen worden. Durch das vorgelegte Material werde eine offenkundige und vollständige Unbilligkeit eines Unterhaltsanspruchs nicht begründet. Darüber hinaus dürften auch im Rahmen der noch durchzuführenden Prüfung, ob und inwieweit Unterhaltsansprüche verwirkt seien, die wirtschaftlichen Verhältnisse des dem Grunde nach Unterhaltspflichtigen von Bedeutung sein.
9
Das SG hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 1. April 2016 abgewiesen. Ein Fall der sogenannten Negativevidenz liege nicht vor. Vorliegend sei keineswegs gänzlich ausgeschlossen, dass der Kläger als Sohn der Hilfeempfängerin und damit als Verwandter in grader Linie nach § 1601 BGB zur Gewährung von Unterhalt verpflichtet sei. Soweit der Kläger sinngemäß vortrage, die Hilfeempfängerin habe ihren Unterhaltsanspruch ihm gegenüber jedenfalls verwirkt, weil sie ihn jedenfalls ab dem 12. Lebensjahr finanziell nicht mehr unterhalten habe und sich zuvor schweren Verfehlungen im Verhältnis zum Kläger schuldig gemacht habe, erscheine ein Unterhaltsanspruch allein aus diesem Grund jedenfalls nicht als offensichtlich ausgeschlossen. Die Prüfung eines solchen Anspruchs - einschließlich einer etwa notwendigen Beweiserhebung zu tatsächlichen Umständen - obliege allein den Zivilgerichten.
10
Gegen den seinem Bevollmächtigten am 11. April 2016 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich der Kläger mit seiner am 9. Mai 2016 zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung, mit der er - unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens - sein Begehren weiterverfolgt. Bezüglich der Anforderungen an die Negativevidenz sei den Ausführungen des LSG Nordrhein-Westfalen im Urteil vom 1. September 2010 (L 12 SO 61/09) zu folgen. Auch wenn das Bundessozialgericht (BSG) diesen Ausführungen nicht gefolgt sei, so seien diese doch zutreffend. Denn auch in anderen Rechtsbereichen würden die Spruchkörper der Sozialgerichte inzident Überprüfungen von Rechtsfragen vornehmen, für deren abschließende Entscheidung Spruchkörper anderer Gerichtsbarkeiten zuständig seien. Beispielsweise erfolge eine Überprüfung arbeitsrechtlicher Fragen im Bereich des Sperrzeitrechts des Sozialgesetzbuchs Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) oder eine strafrechtliche Prüfung im Bereich des Opferentschädigungsgesetzes. Die Anforderungen an die Negativevidenz dürften daher nicht überspannt werden. Der Kläger hat u.a. den Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 9. Mai 1975 zu den Akten gereicht (Bl. 39/47 der Senatsakten).
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Der Kläger beantragt,
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den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 1. April 2016 sowie den Bescheid des Beklagten vom 22. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. März 2015 aufzuheben, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Beklagte ist der Berufung entgegengetreten. Nach der maßgeblichen sozialhilferechtlichen Rechtsprechung sei es nicht Aufgabe der Sozialgerichte, unterhaltsrechtlichen Fragen näher nachzugehen. Die Prüfung unterhaltsrechtlicher Fragen obliege vielmehr den zuständigen Zivilgerichten. Nur wenn ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch nach objektivem, materiellem Recht offensichtlich ausgeschlossen sei, sei eine gleichwohl erlassene, erkennbar sinnlose Überleitungsanzeige aufzuheben. Eine Negativevidenz könne im Rahmen des § 117 Abs. 1 SGB XII nur dann vorliegen, wenn von vornherein, d.h. ohne nähere Prüfung, ohne Beweiserhebung und ohne eingehende rechtliche Überlegung ersichtlich sei, dass der Unterhaltsanspruch nicht bestehe. Vorliegend könne eine Unterhaltsverpflichtung des Klägers keineswegs von vornherein gänzlich ausgeschlossen werden. Dieser sei als Sohn in gerader Linie mit der Hilfeempfängerin verwandt und falle in den Kreis der in § 1601 BGB genannten und dem Grunde nach Unterhaltspflichtigen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen. | Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 1. April 2016 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits. | 0 |
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SG Marburg 12. Kammer | Hessen | 0 | 1 | 24.01.2007 | 0 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten um den Umfang der Ermächtigung der Beigeladenen zu 1) und hierbei um die Feststellung, dass die Ermächtigung auch zur Mitbehandlung im Rahmen des Überweisungsauftrags durch Polikliniken des Klinikums der KM Universität, A-Stadt berechtige.
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Die Klägerin ist eine Kassenärztliche Vereinigung nach § 77 Abs. 1 SGB V. Die Beigeladene zu 1) ist Radiologin und Ärztin für Radiologische Diagnostik mit Teilgebietsbezeichnung Kinderradiologie. Sie ist Leiterin der selbständigen Funktionseinheit Pädiatrische Radiologie am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Zentrum für Radiologie des Klinikums der KM Universität, A-Stadt.
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Die Beigeladene zu 1) war zuletzt mit Beschluss des Zulassungsausschusses vom 25.02.2003, befristet bis zum 31.03.2005, zur Durchführung besonderer Untersuchungsmethoden bei Kindern auf Überweisung durch Vertragsärzte, abzurechnen nach im Einzelnen aufgeführten Leistungsnrn., ferner zur Erbringung der Nr. 152 EBM auf Überweisung durch Pädiater und Orthopäden, die selbst sonographische Untersuchungen der Säuglingshüfte vornehmen, und zur Erbringung der Nr. 5023 EBM auf Überweisung durch Endokrinologen zur Bestimmung des Skelettalters ermächtigt worden. Mit Beschluss vom 03.08.2004 stellte der Zulassungsausschuss fest, dass die Ermächtigung auch zur Mitbehandlung im Rahmen des Überweisungsauftrags durch Polikliniken des Klinikums der KM Universität, A-Stadt berechtige.
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Unter Datum vom 14.10.2004, eingegangen am 18.10., beantragte die Beigeladene zu 1) die Verlängerung ihrer Ermächtigung. Die Klägerin befürwortete den Antrag mit Ausnahme einiger Leistungen, für die die Beigeladene keine Abrechnungsgenehmigung besitze. Dem widersprach die Beigeladene zu 1).
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Der Zulassungsausschuss für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen sprach mit Beschluss vom 15.03.2005 eine weitere Ermächtigung, befristet bis zum 31.03.2007, aus. Im Leistungskatalog unter Nr. 1 nahm er allerdings die Leistungen nach Nrn. 671, 672, 680, 686, 1745 und 1746 EBM aus, weil entsprechende Qualifikationsnachweise nicht vorlägen. Ferner enthielt der Beschluss nicht mehr die Feststellung, dass die Ermächtigung auch zur Mitbehandlung im Rahmen des Überweisungsauftrags durch Polikliniken des Klinikums der KM.-Universität, A-Stadt berechtige. Hiergegen legte die Beigeladene zu 1) am 31.05.2005 Widerspruch ein. Sie trug vor, es fehle die Möglichkeit zur Mitbehandlung von Fällen der Hochschulambulanzen des Klinikums. Für die aus dem Ermächtigungskatalog herausgenommenen Leistungen besitze sie einen Qualifikationsnachweis. Unter Datum vom 10.02.2006 teilte sie dem Beklagten mit, sie akzeptiere die Entscheidung hinsichtlich der Begrenzung des Leistungskatalogs.
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Die Klägerin trug im Widerspruchsverfahren unter Datum 28.02.2006 vor, die Berechtigung im Rahmen der Ermächtigung Fälle der Hochschulambulanzen des Klinikums mitzubehandeln, ergebe sich aus § 117 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 4 des Poliklinikvertrages. Möglicherweise fehle die Klarstellung unbeabsichtigt. Das Fehlen ergebe sich jedenfalls nicht aufgrund ihrer Stellungnahme. Unter Datum vom 12.04.2006 teilte sie dann mit, sie gehe nicht mehr von einem unbeabsichtigten Fehlen der Klarstellung aus. Seit dem 01.01.2003 rechneten Polikliniken nicht mehr über sie ab. Ab diesem Zeitpunkt hätten die Kassen Direktverträge mit den Polikliniken abgeschlossen und würden die notwendigen Leistungen direkt über die Krankenkasse mit einer Pauschale abgegolten werden. Das Fehlen der Berechtigung zur Mitbehandlung sei somit korrekt.
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Mit Beschluss vom 03.05.2006, ausgefertigt am 04.07. und der Beigeladenen zu 1) zugestellt am 05.07.2006, hat der Beklagte dem Widerspruch stattgegeben und den Beschluss des Zulassungsausschusses wie folgt ergänzt: „Diese Ermächtigung berechtigt auch zur Mitbehandlung im Rahmen des Überweisungsauftrags durch Polikliniken des Klinikums der KM Universität, A-Stadt“. Zur Begründung führte er aus, § 1 Abs. 2 Grundlagenvertrages sehe nämlich ausdrücklich vor, das die Bestimmungen des bisherigen Poliklinikvertrages unverändert weiter gelten würden. Vergleichbar sei die Situation mit einer „hausinternen Überweisung“. Soweit die Rechtsprechung nunmehr klargestellt habe, dass hierfür allein aus Gründen der Erleichterung des Verfahrensablaufs eine Ermächtigung nicht ausgesprochen werden könne, handele es sich nicht um eine „neue gesetzliche Bestimmung“ i. S. des § 1 Abs. 2 des Grundvertrages. Ob und inwieweit aus dieser Berechtigung zur Mitbehandlung auch ein gesonderter Vergütungsanspruch folge oder ob dieser in der pauschalen Vergütung der überweisenden Poliklinik und somit intern zu verrechnen sei, habe er nicht zu entscheiden.
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Hiergegen hat die Klägerin am 27.07.2006 die Klage erhoben. Sie trägt unter Verweis im Übrigen auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren vor, die Klage betreffe allein den umstrittenen Zusatz. Die Ermächtigung nach § 31a Ärzte-ZV diene der Deckung von Bedarfslücken. Für eine Ermächtigung zur Mitbehandlung im Rahmen des Überweisungsauftrages durch Polikliniken sei jedoch eine Rechtsgrundlage nicht gegeben. Die Ermächtigung der Poliklinik sei auf die Durchführung der Forschung und Lehre beschränkt. § 4 Abs. 2 Satz 1 Poliklinikvertrag sehe vor, dass grundsätzlich das Recht zur Überweisung an andere Ärzte und Institute nicht bestehe. Der strittige Zusatz habe aber nicht nur deklaratorische Bedeutung. Er gehe über den Poliklinikvertrag hinaus. Hierdurch sei sie beschwert.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beschluss des Beklagten vom 03.05.2006 insoweit aufzuheben, als darin der Beschluss des Zulassungsausschusses vom 15.03.2005 ergänzt wird und den Beklagten zu verpflichten, den Widerspruch der Klägerin zurückzuweisen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er trägt unter Verweis des angefochtenen Beschlusses im Übrigen vor, die Bestimmungen des Poliklinikvertrages würden weiterhin unverändert gelten. Danach sei eine Mitbehandlung im Rahmen des Überweisungsauftrages an Ärzte oder sonstige ärztlich geleitete Einrichtungen des Klinikums möglich. Eine über § 117 SGB V hinausgehende Ermächtigung sei nicht erteilt worden. Eine Präjudizierung der späteren Finanzierung der Leistungen bestehe nicht. Möglicherweise folge aus der Mitbehandlung kein weitergehender Vergütungsanspruch. Auch nach Inkrafttreten der neuen Finanzierungsregelungen habe die Klägerin gegen die inhaltsgleiche Ermächtigung keinen Widerspruch eingelegt.
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Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt. Sie haben sich schriftlich inhaltlich zur Klage nicht geäußert.
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Die Kammer hat mit Beschluss vom 14.08.2006 die Beiladung ausgesprochen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und bei gezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen. | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beklagten und die Gerichtskosten zu tragen.
Weitere Kosten sind nicht zu erstatten. | 0 |
VG Berlin 10. Kammer | Berlin | 0 | 1 | 25.08.2010 | 1 | Randnummer
1
Die Klägerin betreibt in 0... das Kraftwerk S.... Mit diesem hat sie eigenen Angaben zufolge das früher betriebene Altkraftwerk S... im Jahr 1998 ersetzt. Sie erhielt in der ersten Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 eine Zuteilung von Berechtigungen nach den Zuteilungsregeln für frühzeitige Emissionsminderungen gem. § 12 Abs. 5 des Gesetzes über den nationalen Zuteilungsplan für Treibhausgas-Emissionsberechtigungen in der Zuteilungsperiode 2005 bis 2007- ZuG 2007 - . Dies bedeutete, dass bei der Zuteilung ein (ungekürzter) Erfüllungsfaktor von 1 zu Grunde gelegt wurde. Obwohl die genannte Norm diese Privilegierung u. a. einer - wie hier - im Jahr 2000 in Betrieb genommenen Anlage für 12 auf das Jahr der in Betriebnahme folgende Kalenderjahre vorsah, regelt das für die zweite Handelsperiode geltende Gesetz über den nationalen Zuteilungsplan für Treibhausgas-Emissionsberechtigungen in der Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 - ZuG 2012 - eine solche Privilegierung für Neuanlagen nicht mehr, sondern in § 4 Abs. 3 Satz 3 ZuG 2012 nur noch für emissionsmindernde Modernisierungsmaßnahmen im Sinne von § 12 Abs. 1 ZuG 2007.
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Dem entsprechend erhielt die Klägerin mit dem hier streitgegenständlichen Zuteilungsbescheid der Deutschen Emissionshandelsstelle - DEHSt - vom 21. Februar 2008 eine (gem. § 4 Abs. 3 Satz 1 ZuG 2012) gekürzte Zuteilung mit einer Menge von (später aufkorrigiert)Emissionsberechtigungen für die zweite Handelsperiode. Ihr dagegen im Wesentlichen mit der Begründung eingelegter Widerspruch, der Gesetzgeber habe die frühere Privilegierung im neuen Gesetz lediglich vergessen, so dass eine planwidrige Regelungslücke vorliege, die überdies das Gleichbehandlungsgebot des Artikel 3 Grundgesetz verletze, blieb ohne Erfolg. Mit Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2009 wies die DEHSt ihn im Wesentlichen mit der (ausführlichen) Begründung zurück, die geltend gemachten Rügen griffen nicht durch.
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Mit der am 26. August 2009 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
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Die Honorierungsregel des § 4 Abs. 3 Satz 3 ZuG 2012 müsse auf das Kraftwerk S...analog angewendet werden. Das Gesetzgebungsverfahren zeige, dass der Gesetzgeber die nunmehr geltende Regelung für Neuanlagen so nicht habe treffen wollen. Das Gesetz enthalte daher eine Lücke. Sollte die Kammer anders als die Klägerin eine analoge Anwendung der Honorierungsregel nicht bejahen, sei die Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 1 ZuG 2012 jedenfalls als verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Anlagenbetreibern zu qualifizieren, die - wie die Klägerin mit ihrem Kraftwerk S... - durch die Stilllegung von Altanlagen und die Inbetriebnahme von Neuanlagen nachweislich frühzeitige Emissionsminderungen erzielt hätten. Für diesen Fall begehre die Klägerin mit ihrem Hilfsantrag eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zwecks konkreter Normenkontrolle.
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Nicht Gegenstand der vorliegenden Klage sei die Frage, ob die in § 4 Abs. 3 Satz 1 ZuG 2012 geregelte anteilige Kürzung als solche mit höherrangigen Recht vereinbar sei. Auch strebe die Klägerin keine Überprüfung der Frage an, ob die teilweise Nichtfortführung der Zuteilungsregeln gegen das Rückwirkungsverbot verstößt. Eine Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Kürzung nach §§ 19, 20 ff ZuG 2012 werde ebenfalls nicht begehrt.
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Schließlich habe sie tatsächliche Emissionsminderungen in Höhe von 40,4 % nachweislich erzielt. Dies belege die entsprechende Verifizierung der TÜV Rheinland Industrie Services GmbH in ihrem - als Anlage zur Klageschrift eingereichten - Bericht vom 24. August 2008. Diese Minderung sei weitaus höher, als sie für Anlagen gefordert werde, die im Jahr 1998 modernisiert wurden.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung ihres Zuteilungsbescheides vom 21. Februar 2008 (AZ E 2.2-14310-0916/109) und ihres Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2009 (AZ.: 1.4.-14310-0916/113-Wb) zu verpflichten, den Zuteilungsantrag der Klägerin für das Kraftwerk S... unter analoger Anwendung der Honorierungsregel des § 4 Abs. Satz 3 des Gesetzes über den nationalen Zuteilungsplan für Treibhausgas-Emissionsberechtigungen in der Zuteilungsperiode 2008 - 2012 (Zuteilungsgesetz 2012-ZuG 2012) vom 7. August 2007 (BGBl. I S. 1788) neu zu bescheiden.
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hilfsweise
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das Klageverfahren auszusetzen und im Wege einer konkreten Normenkontrolle gem. Art. 100 Abs. 1 GG, §§ 13 Nr. 11, 80 ff BVerfGG eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob die Regelung in § 4 Abs. 3 Satz 3 ZuG 2012 insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, als durch diese Regelung Anlagen, die in der Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 eine Zuteilung von Emissionsberechtigungen nach § 12 Abs. 5 des Gesetzes über den nationalen Zuteilungsplan für Treibhausgas-Emissionsberechtigungen in der Zuteilungsperiode 2005 - 2007 (Zuteilungsgesetz 2007 - ZuG 2007) vom 26. August 2004 (BGBl. I S. 2211) erhalten haben und frühzeitige Emissionsminderungen in dem in § 12 Abs. 1 Satz 4 ZuG 2007 geregelten Umfang nachweisen können, in der Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 nicht in die Honorierung als frühzeitig Emissionsminderung mit einbezogen werden.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie wiederholt und vertieft die Begründung des Widerspruchbescheides. Insbesondere fehle es an der geltend gemachten Regelungslücke, weil der Gesetzgeber bewusst die Privilegierung nur auf Zuteilungen nach § 12 Abs. 1 ZuG 2007 bezogen habe. Selbst wenn sie dabei die Entscheidung der Europäischen Kommission vom 29. November 2006 über den nationalen Plan zur Zuteilung von Treibhausgasemissionszertifikaten, die in Deutschland gemäß der Richtlinie 2003/87/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates übermittelt hatte, hinsichtlich der darin beanstandeten Privilegierung von Neuanlagen um derer selbst willen missverstanden haben sollte, wäre dies irrelevant. Es handelte sich dann um einen Motivirrtum, der eine Lücke nicht begründen könne. Für die Ungleichbehandlung von Modernisierungsmaßnahmen und Neuanlagen habe der Gesetzgeber sachliche Gründe gehabt. Ein wesentlicher Unterschied bestehe schon darin, dass die neueren Anlagen zwangsläufig anderen technischen Anforderungen ausgesetzt gewesen sein für die Genehmigung als ältere Anlagen. Sie hätten demzufolge bereits durch die emissionsschutzrechtlichen Anforderungen eine umweltschonendere Technik einsetzen müssen, während Modernisierungsmaßnahmen an Altanlagen freiwillig vorgenommen werden konnten. Damit verbiete sich eine Bevorzugung neuerer Anlagen. Im Übrigen gebe es auch Unterschiede im Zuteilungssystem. So erführen neuere Bestandsanlagen mit Inbetriebnahme zwischen 2003 und 2007 eine Zuteilung anhand von Benchmarks inklusive anteiliger Kürzung (Energiebereich). Da Anlagen mit Inbetriebnahme bis 2002 technisch eher diesen als alten Bestandsanlagen ähnelten, sei es vom Gesetzgeber auch angemessen, gerade die Gruppe von Anlagen mit Inbetriebnahme zwischen 1984 und 2002 mit solchen mit Inbetriebnahme zwischen 2002 und 2007 gleichzusetzen.
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Schließlich könne sich die Klägerin nicht mit Erfolg auf die geltend gemachten Emissionsminderungen berufen. Sie habe diese - so sie denn überhaupt eingetreten seien - im Zuteilungsantrag gegenüber der DEHSt nicht geltend gemacht. Wegen der Präklusionswirkung des § 10 Abs. 3 des Treibhausemissionshandelsgesetzes - TEHG - könne die erstmals im Klageverfahren vorgelegte Verifizierung des TÜV Rheinland vom 24. August 2008 nicht berücksichtigt werden.
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Hierzu hat die Klägerin erwidert, ihr Zuteilungsantrag sei von Anfang an auf eine Zuteilung unter Nichtanwendung der anteiligen Kürzung gerichtet gewesen. Nähere Ausführungen hierzu habe sie erst in der Klagebegründung gemacht, weil bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung offenkundig gewesen sei, dass die Klägerin den ihr zustehenden Zuteilungsanspruch erst im Wege eines Gerichtsverfahrens würde durchsetzen können. Ungeachtet dessen sei es unbillig, der Klägerin ein Antragsversäumnis vorzuwerfen, insbesondere, wenn durch die Berücksichtigung der verspäteten Anmeldung der Zweck der gesetzlichen Fristenregelung nicht verfehlt würde. Dies sei hier der Fall. Einmal hätte die Beklagte dem Antragsbegehren auch bei rechtzeitiger umfassender Darlegung ohnehin nicht entsprochen. Zum Anderen könne der restliche Zuteilungsanspruch der Klägerin aus der Reserve gemäß § 5 Abs. 1 ZuG 2012 erfüllt werden. Die darin für jedes Jahr der zweiten Zuteilungsperiode enthaltenen 23 Millionen Berechtigungen dienten unter anderem der Erfüllung von Ansprüchen in den Fällen, in denen diese nach Abschluss des Zuteilungsverfahrens rechtskräftig festgestellt worden seien (§ 5 Abs. 2 b ZuG 2012). Hilfsweise sei die mit der Klage geltend gemachte Nichtanwendung der anteiligen Kürzung als zulässiger Zusatzantrag zu werten.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakte sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und - soweit wesentlich - Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. | 0 |
OLG Frankfurt 17. Zivilsenat | Hessen | 0 | 1 | 26.10.1994 | 0 | Randnummer
1
Der Kläger erlitt mit dem PKW X, amtl. Kennzeichen …, am ...2.1988 gegen 14.00 Uhr auf der BAB … (...) einen Verkehrsunfall, bei dem ein im Ausland zugelassener und bei einer italienischen Versicherungsgesellschaft versicherter PKW Y von hinten auf den abbremsenden X auffuhr.
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Die Pflichten eines Haftpflichtversicheres des ausländischen Halters und Eigentümers des Y sind vom beklagten A-Verband übernommen worden; die volle Haftung des Beklagten gemäß §§ 3 Nr. 1 PflVG, 2,6 AuslPflVG für den klägerischen Unfallschaden ist dabei außer Streit.
Auf den Sachschaden des Klägers, beziffert mit
erforderliche Reparaturkosten
= 2.975,57 DM,
Wertminderung
= 375,-- DM,
Entschädigung für 10 Tage Nutzungsfall
= 580,-- DM,
Gutachterkosten
= 350,55 DM und
Unfall-Auslagenpauschale
= 30,-- DM,
zusammen:
4.311,12 DM,
wurden vom Beklagten vorgerichtlich
3.867,12 DM
bezahlt, desgleichen für Unfallverletzungen des Klägers 2.000,-- DM
Schmerzensgeld.
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3
Wegen darüber hinaus ersetzt verlangter restlicher (4.311,12 - 3.867,12 =) 444,-- DM, ferner 2.250,17 DM Heilbehandlungskosten (= von der Krankenkasse nicht getragener Teil der Kosten einer Badekur des Klägers in B vom 29.9. bis 22.11.1988), unfallbedingten Verdienstausfalls in der Zeit zwischen ...2.1988 und 26.3.1989 in Höhe von 90.326,76 DM, weiterer 4.821,95 DM Vermögensschaden (= Lagerkosten für eine Segelyacht, die Anfang 1988 nach … habe verbracht werden sollen) und mindestens noch 2.000,-- DM weiteren Schmerzensgelds hat der Kläger den Beklagten klageweise in Anspruch genommen.
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4
Der Kläger hat behauptet, bei dem Unfall habe er ein HWS-Schleudertrauma mit Nervenwurzel-Läsion und Verdacht auf Fraktur des 6. Halswirbelknochens davongetragen. An seiner linken Hand bestünden Lähmungserscheinungen. Auf Grund außerordentlich starker Schmerzen im Nacken-/Schulter-/Hinterkopfbereich, die bis heute nicht wesentlich abgeklungen seien, habe er rd. ein halbes Jahres eine Schanz ‘sche Krawatte tragen müssen. Autofahren sei ihm bis über Ende März 1989 hinaus nicht möglich gewesen, so dass er seinem Beruf als Immobilienmakler praktisch nicht habe nachgehen können. Verglichen mit seinen Maklereinkünften in 1987 (s. die klägerische Einnahmen-/Ausgaben-Überschussrechnung Bl. 41 d.A.) seien ihm dadurch bis 26.3.1989 90.326,73 DM Einkommen (vor Steuern) verloren gegangen.
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5
Zur Linderung seiner fortdauernden Schmerzbeschwerden und Leiden habe er sich auf ärztliche Verordnung Ende September 1988 einer sechswöchigen Badekur in B unterzogen, von deren Kosten er 2.250,17 DM habe selbst tragen müssen (Eigenanteil für Unterbringung und Behandlung: 1.385,-- DM + 149,17 DM; Fahrtkosten 716,-- DM).
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6
Nach Art und Umfang seiner nicht folgenlos ausgeheilten Verletzungen und deren Auswirkungen erscheine ferner das gezahlte Schmerzensgeld von 2.000,-- DM zu gering; angemessen sei für die Zeit bis 23.1.1990 zumindest die doppelte Summe.
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7
Wegen des weiteren anspruchsbegründenden Vorbringens des Klägers im ersten Rechtszug wird auf die Klageschrift und deren Anlagen (Bl. 1-44 d.A.) verwiesen.
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8
Der Kläger hat beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 97.842,85 DM sowie ein angemessenes Schmerzensgeld für den Zeitraum vom ...2.1988 bis 23.1.1990 von mindestens - über erhaltene 2.000,-- DM hinaus - noch 2.000,-- DM nebst jeweils 4% Zinsen aus den Hauptsummen ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
2. die Verpflichtung des Beklagten festzustellen, ihm allen weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus dem Unfallereignis vom ...2.1988 zu ersetzen, soweit kein Anspruchsübergang auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte erfolgt ist.
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9
Der Beklagte hat Klageabweisung begehrt.
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10
Er hat die geltend gemachten Unfallschäden des Klägers in Abrede gestellt. Bei dem Geschehen vom ...2.1988 habe es sich lediglich um einen leichten Auffahrunfall gehandelt, durch den der Kläger nicht erheblich verletzt worden sein könne; insbesondere habe er sich einen Halswirbelknochen nicht gebrochen. Seine danach über lange Zeit bis heute geklagten Schmerzen im Nacken- und Schulterbereich hätten ihre eigentliche Ursache vielmehr bei dem damals …-jährigen Kläger in degenerativer Veränderung der Wirbelsäule. Lähmungserscheinungen an einer Hand seien bei ihm indes nicht festzustellen. Mit den vorgerichtlich gezahlten 2.000,-- DM Schmerzensgeld erscheine sein immaterieller Unfallschaden unter den gegebenen Umständen durchaus angemessen ausgeglichen.
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11
Verdienstausfall bis Ende März 1989 in der behaupteten Höhe habe der Kläger keinesfalls erlitten; die von ihm selbst gefertigt Einnahmen- Ausgaben-Überschuss-rechnung bzw. Aufstellung für das Jahr 1987 erweise insoweit nichts.
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12
Auch habe seine, des Klägers, Ende September 1988 angetretene sechswöchige Badekur in B mit dem Unfall vom ...2.1988 in keinem erkennbaren Zusammenhang gestanden.
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13
Hinsichtlich der übrigen erstinstanzlichen Rechtsverteidigung des Beklagten wird auf die in dieser Instanz eingereichten Schriftsätze und Schriftsatzanlangen seines Prozessbevollmächtigten verwiesen.
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14
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung der sachverständigen Zeugen Dr. SV1, Dr. SV2 und Dr. SV3 sowie durch Einholung eines Gutachtens des orthopädischen Sachverständigen Prof. Dr. SV4 vom 19.9.1991. Wegen der Angaben der Zeugen wird auf Bl. 141, 141 R, 143 und 145, 145 R d.A., wegen des Inhalts des Gutachtens auf Bl. 156-179 d.A. Bezug genommen.
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15
Mit Urteil vom 19.5.1992 hat das Landgericht die Klage danach insgesamt abgewiesen.
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16
Gegen diese ihm am 15.6.1992 zugestellte Entscheidung hat der Kläger in aus den Akten ersichtlicher Form und Frist Berufung eingelegt und begründet.
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17
Er wendet sich gegen die landgerichtliche Feststellung, dass ihm nach Art und Ausmaß seiner unfallbedingt gesundheitlichen Beeinträchtigung ein Einkommensausfall als Makler in der Zeit vom ...2.1988 (Unfalltag) bis 26.3.1989 nicht erweislich entstanden sei, und wiederholt hierzu sein bisheriges Vorbringen. Ergänzend führt er aus, zwar sei er, da er selbst keine Maklerlizenz nach § 34 c GewO besitze, nach außen im Maklerunternehmen seiner Frau bis zum Unfalltag tätig gewesen, dies jedoch nicht als Angestellter bzw. Arbeitnehmer und auch nicht auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage. Vielmehr habe jeder der beiden Ehegatten für die von ihm erfolgreich akquirierten Objekte intern die volle Provision bekommen; steuerlich seien seine, des Klägers, Provisionseinkünfte dabei seiner Frau zugeschlagen worden, mit der er allerdings nunmehr einkommensteuerlich getrennte Veranlagung gewählt habe. Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1987 ff. könne er z.Zt. nicht vorlegen, weil er für diese Jahre neue Steuererklärungen werde abgeben müssen und diesbezüglich erst eine Besprechung mit dem zuständigen Finanzamt-Sachbearbeiter bevorstehe.
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18
Was die Badekur in B anbelange, so sei sie ihm wegen seiner seit dem Unfall bestehenden Beschwerden ärztlich verordnet worden. Entgegen dem Landgericht bestehe daher kein Grund, ihm Ersatz des (von der Krankenkasse nicht getragenen) verbliebenen Anteils von 2.250,17 DM an diesen Kurkosten gegen die Beklagte zu versagen.
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19
Unrichtig sei schließlich auch die Feststellung des Landgerichts, dass er, der Kläger, unfallbedingt mehr als eine HWS-Distorsion erweislich nicht erlitten habe und deswegen nur wegen Vorschädigung der Wirbelsäule bis zum Ablauf des ersten Jahrs nach dem Unfall mit 20% und anschließend für ein weiteres Jahr noch mit 10% als Makler erwerbsbeeinträchtigt gewesen sei. Tatsächlich habe er vor dem Unfall keinerlei Beschwerden gehabt, seitdem bis heute jedoch ganz beträchtliche. Ein Schmerzensgeld von lediglich (gezahlten) 2.000,-- DM werde seinen bisherigen und fortbestehenden Leiden nicht gerecht. Mit Entstehung weiterer unfallbedingter materieller und immaterieller Schäden müsse - in bezug auf den Feststellungsantrag - bei ihm, dem Kläger, nach Lage der Dinge ferner gerechnet werden.
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20
Die erstinstanzlich ersetzt verlangten 444,-- DM restlichen Unfall-Sachschaden und 4.821,95 DM Segelyacht-Lagerkosten verfolgt der Kläger mit der Berufung nicht mehr weiter.
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21
Er beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und
1. die Beklagte zur Zahlung von 92.570,75 DM
sowie eines angemessenen Schmerzensgeldes, abzüglich auf letzteres gezahlter 2.000,-- DM, nebst jeweils 4% Zinsen ab Rechtshängigkeit an ihn zu verurteilen,
2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm allen weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom ...2.1988 auf der BAB ... zu ersetzen, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist oder übergeht.
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22
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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23
Er verteidigt das klageabweisende Urteil und wiederholt seinerseits seine Sach- und Rechtsausführungen in erster Instanz, insbesondere die Einlassung, dass auf der Grundlage des eingeholten fachorthopädischen Gutachten Prof. Dr. SV4 von gravierenden Unfallverletzungen des Klägers nicht ausgegangen werden könne. Für dessen aus vorgeschädigter Wirbelsäule herrührende Beschwerden und deren materielle wie immaterielle Folgen sei er, der Beklagte, aber dem Kläger nicht einstandspflichtig. Für unfallbedingte Erwerbseinbuße in der Zeit bis Ende März 1989 habe der Kläger nach wie vor weder Beweis erbracht noch dazu geeigneten angetreten. Seine Badekur in B vom 29.9. bis 22.11.1988 habe - auch wenn ärztlich verordnet - eine Heilmaßnahme für die am ...2.1988 erlittenen Unfallverletzungen in Wahrheit nicht dargestellt. Auch rechtfertigten sich mehr als die gezahlten 2.000,-- DM Schmerzensgeld, wie der Beklagte meint, für den Kläger hier keinesfalls, und schließlich bestehe auch kein zureichender Anhalt dafür, dass dem Kläger aus dem Unfallereignis vom ...2.1988 künftig noch weiterer materieller oder immaterieller Schaden erwachse.
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24
Zur Darstellung der übrigen Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Berufungsverfahren wird auf die hier gewechselten, inhaltlich vorgetragenen anwaltlichen Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen. | I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt/Main vom 19. Mai 1992 - Az.: 2/26 O 202/90 - abgeändert.
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
a) 2.250,17 DM mit 4% seit 26.3.1990 und
b) weitere 2.000,-- DM Schmerzensgeld mit 4% Zinsen seit 26.3.1990
zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen künftig noch entstehenden weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom ...2.1988 auf der BAB ... zu ersetzen, soweit der Anspruch nicht auf Träger der Sozialversicherung oder sonstige Dritte übergegangen ist.
3. Die weitergehende Klage bleibt abgewiesen.
II. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 95% und der Beklagte 5%. Hiervon ausgenommen sind die durch die Anrufung des sachlich unzuständigen Amtsgerichts Frankfurt/Main entstandenen Mehrkosten, die dem Kläger zur Last fallen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung des Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 13.000,-- DM, die auch durch unbedingte, unbefristete Bürgschaft eines als Zoll- und Steuerbürge zugelassenen inländischen Kreditinstituts erbracht werden kann, abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Art und Höhe leistet.
Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 6.500,-- DM - ebenfalls erbringbar durch unbedingte, unbefristete Bürgschaft eines als Zoll- und Steuerbürge zugelassenen inländischen Kreditinstituts - abwenden, falls nicht der Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Art und Höhe Sicherheit leistet.
V. Der Wert der Beschwer des Klägers beträgt 90.326 DM, der der Beschwer des Beklagten (2.250 + 2.000 + 1.500 =) 5.750 DM. | 1 |
Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt 1. Senat | Sachsen-Anhalt | 0 | 1 | 28.09.2017 | 1 | Randnummer
1
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin investitionszulagebegünstigt ist, insbesondere weil ihre überwiegenden Tätigkeiten dem verarbeitenden Gewerbe zuzuordnen sind.
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2
Im Wesentlichen ist die Klägerin in den Bereichen Gewinnung und Aufbereitung von Hartsteinen, von Kies und Sanden und daneben in der Herstellung von Transportbeton tätig. Aus den gewonnenen Hartsteinen werden durch mehrmaliges Brechen, Mahlen, Sieben und Waschen sowie Beimischen Splitte und Mineralgemische erzeugt. Die abgebauten Kiese und Sande werden durch Sieben, Waschen und Brechen aufbereitet. Die fertigen Endprodukte müssen bestimmten Industrienormen genügen, um beispielsweise im Straßenbau eingesetzt zu werden.
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3
Im Rahmen des Klageverfahrens wegen Investitionszulage 2002 (Az. 1 K 1584/06) fand eine Augenscheinseinnahme statt, bei der die einzelnen Verarbeitungsschritte dokumentiert wurden. Auf das hierzu existierende Protokoll vom 17. November 2008 nebst der Bilddokumentation wird Bezug genommen.
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4
Am 1. März 2005 beantragte die Klägerin beim Beklagten eine Investitionszulage nach dem Investitionszulagengesetz 1999 für das Kalenderjahr 2004. Ihre ausgeübten Tätigkeiten bezeichnete sie mit „Gewinnung, Aufbereitung: Kies, Sand, Schotter, Splitt“. Weiter gab sie an, dass der Betrieb, in dem die (zu fördernden) Wirtschaftsgüter verbleiben oder verwendet werden, nach der (jeweils anzuwendenden) Klassifikation der Wirtschaftszweige (WZ) einer des verarbeitenden Gewerbes „nach Wertschöpfung 26.7 bzw. 26.8“ sei. Ausgehend von einer Bemessungsgrundlage von 2.192.964,38 € und einem Investitionszulagensatz von 25% beantragte sie eine Investitionszulage i.H.v. 548.241,10 €.
Randnummer
5
Nach einer beim Beklagten eingereichten Wertschöpfungsberechnung für 2005, welche aber auch für andere Jahre, insbesondere 2004, repräsentativ sei, ergibt sich Folgendes:
Randnummer
6
Gesamt
Sand/Kies
Sand/Kies
Hartstein
Hartstein
Gewinnung
Verarbeitung
Gewinnung
Verarbeitung
Produktionsmenge, in t
4.014.957,25
3.174.422,44
2.746.217,58
2.640.015,26
Umsatzerlöse, in €
21.468.895,36
610.785,68
8.306.910,28
138.159,99
12.413.039,41
+ Innenumsatz Hartstein (Gewinnung-Verarbeitung), in €
7.085.039,99
+3.362.051,66
+3.722.988,32
- Innenbezug, in €
-7.085.039,99
-3.362.051,66
-3.722.988,32
- RHB/Energie, in €
-7.016.938,68
-1.955.730,57
-1.679.967,72
-2.081.086,60
-1.300.153,79
- Abschreibungen, in €
-2.099.565,30
-186.585,69
-1.138.669,38
-117.041,66
-657.268,57
Wertschöpfung, in €
12.352.391,38
1.830.521,08
2.126.221,52
1.663.020,05
6.732.628,73
Wertschöpfung je t, in €
0,46
0,67
0,61
2,55
Randnummer
7
Die Klägerin wies darauf hin, dass sich hieraus ein deutliches Überwiegen der Wertschöpfung aus der Verarbeitung (8.858.850,25 €, 71,7%) im Verhältnis zur Wertschöpfung aus Bergbau (3.493.541,13 €, 28,3%) ergeben würde.
Randnummer
8
Mit Bescheid vom 16. Mai 2006 lehnte der Beklagte den Antrag auf Investitionszulage für das Kalenderjahr 2004 ab. Dagegen legte die Klägerin am 30. Mai 2006 Einspruch ein.
Randnummer
9
Den Einspruch vom 30. Mai 2006 wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 3. Juni 2014 zurück. Am 1. Juli 2014 wurde Klage erhoben.
Randnummer
10
Im Rahmen der Klage hat die Klägerin folgende Wertschöpfungsberechnung für das Streitjahr 2004 vorgelegt:
Randnummer
11
Gesamt
Sand/Kies
Sand/Kies
Hartstein
Hartstein
Gewinnung
Verarbeitung
Gewinnung
Verarbeitung
Produktionsmenge, in t
4.487.903,20
3.625.554,83
2.807.504,14
2.690.915,23
Umsatzerlöse, in €
22.296.287,06
745.815,25
8.612.486,30
240.465,34
12.697.520,17
+ Innenumsatz Hartstein (Gewinnung-Verarbeitung), in €
7.738.004,34
+3.859.767,98
+3.878.236,36
-Innenbezug, in €
7.738.004,34
-3.859.767,98
-3.878.236,36
-RHB/Energie, in €
-7.835.981,06
-2.315.461,84
-1.907.937,79
-2.084.970,89
-1.527.610,54
-Abschreibungen, in €
-2.539.880,61
-186.360,96
-1.349.868,65
-288.987,65
-714.663,35
Wertschöpfung, in €
11.920.425,39
2.103.760,43
1.494.911,88
1.744.743,16
6.577.009,92
Wertschöpfung je t, in €
0,47
0,41
0,62
2,44
Randnummer
12
Hieraus ergebe sich ein deutliches Überwiegen der Wertschöpfung aus der Verarbeitung (8.071.921,80 €, 67,7%) im Verhältnis zur Wertschöpfung aus Bergbau (3.848.503,59 €, 32,3%).
Randnummer
13
Die Klägerin meint, sie unterhalte einen Betrieb des verarbeitenden Gewerbes und sei investitionszulagebegünstigt.
Randnummer
14
Es habe bereits wegen Investitionszulage 2002 ein Verfahren beim Finanzgericht (FG) gegeben (Az. 1 K 1584/06), in welchem die Produktionsstätte in S besichtigt worden sei. Das FG sei in seinem abweisenden Urteil zu der Auffassung gelangt, es werde ein „anderes Produkt“ hergestellt, gleichwohl sei die Klage abgewiesen und die nachfolgende Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen worden.
Randnummer
15
Die Klägerin produziere in mehrstufigen Prozessen verschiedene normierte Produkte. Hierzu sei das abgebaute Material zu zerkleinern, auf Größe und Qualität zu brechen und zu sieben und anschließend noch mit Wasser und zugekauftem Natursand und Splitt zu mischen.
Randnummer
16
Der Herstellungsprozess sei aufwändig, erfordere eine komplexe Technik und geschultes, hochqualifiziertes und spezialisiertes Fachpersonal. Die hergestellten Produkte verfügten über Eigenschaften, die der Ausgangsstoff nicht besitze, wie z.B. Kornform, Wasseraufnahme, Bruchfähigkeit, Widerstand gegen Frost-Tausalz-Beanspruchung etc. Es erfolge eine stetige Güteüberwachung. Die Produkte durchliefen zum Teil ein besonderes Zulassungsverfahren und es seien bindende Normen einzuhalten.
Randnummer
17
Der Beklagte verkenne die Sach- und Rechtslage. Die Auslegung des Begriffes „Betrieb des verarbeitenden Gewerbes“ führe dazu, dass die überwiegenden Tätigkeiten der Klägerin hierunter einzuordnen seien.
Randnummer
18
Höchst vorsorglich werde Revisionszulassung beantragt, weil es um eine auch vor anderen Gerichten anhängige Rechtsfrage gehe und die Sache damit grundsätzliche Bedeutung habe.
Randnummer
19
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 16. Mai 2006 und die Einspruchsentscheidung vom 3. Juni 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, für das Kalenderjahr 2004 eine Investitionszulage i.H.v. 469.143,35 € festzusetzen, sowie vorsorglich
die Revision zuzulassen.
Randnummer
20
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Randnummer
21
Der Beklagte meint, die Klägerin sei ausgehend von den dargestellten Tätigkeiten nach der WZ 2003 dem nicht begünstigten Bereich des Bergbaus zuzuordnen.
Randnummer
22
Dem Senat haben die vom Beklagten für die Klägerin geführten Akten vorgelegen (Investitionszulage- und Rechtsbehelfsakten, zwei Bände). | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Die Revision wird zugelassen. | 0 |
LG Frankfurt 8. Zivilkammer | Hessen | 0 | 0 | 27.11.2013 | 1 | Randnummer
1
Der Beklagte ist mit Wirkung vom 11.10.2004 in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § UKlaG eingetragen.
Randnummer
2
Die Klägerin warb mit einem vierseitigen Einhefter in der Ausgabe des Automagazins Y vom ….4.2013 für den X1, den X2 und den X3. Auf Seite 2 des Einhefters befand sich ganz unten in weißer Schrift auf schwarzem Grund folgender Text
Randnummer
3
„Kraftstoffverbrauch gemäß RL 80/1268/EWG: kombiniert 6,8 – 4,0 l/100 km. CO2-Emission: kombiniert 157 – 98 g/km.“
Randnummer
4
Wegen der weiteren Einzelheiten des Einhefters wird auf die Anlage B 1 in Bl. 49 d. A. verwiesen.
Randnummer
5
In einer Pressemitteilung der Klägerin vom 5.3.2013 (Bl. 69 – 74 d. A.) heißt es unter anderem
Randnummer
6
„Weltpremiere: X1 …
Exclusive X1 “…” feiert Debüt auf dem Z
Limitierte Auflage: 400 Einheiten für Europa, Afrika und den Nahen Osten …
Bestellungen in Deutschland zum Preis von 61.000,00 EUR ab sofort möglich
… Der im hauseigenen … X gezeichnete X1 wird im A-Werk O1 gebaut; er kommt noch im Laufe des Jahres 2013 auf den Markt“
Randnummer
7
In einer weiteren Presse-Information B …/2013 (Bl. 75 – 79 d. A.) heißt es unter anderem wörtlich
Randnummer
8
„Deutschland Premiere: X1
…
X zeigt auf der 25. D in O2 als Deutschlandpremiere die Serienversion des neuen X1.“
Randnummer
9
Die D fand vom …-….4.2013 in O2 statt.
Randnummer
10
Der X1 ging im Oktober 2013 in Serienproduktion.
Randnummer
11
Der Beklagte mahnte die Klägerin mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 04.07.2013 (Bl. 13-15 d. A.) ab.
Randnummer
12
Die Klägerin trägt vor, dass der X1 zum Zeitpunkt der Werbung in dem Automagazin Y von ….4.2013 noch nicht auf dem Markt eingeführt gewesen sei. Insbesondere sei die Serienproduktion im April 2013 noch nicht angelaufen und Bestellungen hätten noch nicht entgegen genommen werden können. Der X1 habe deshalb zum Zeitpunkt der Werbung nicht die Voraussetzungen eines neuen Personenkraftwagens im Sinne von § 2 Ziff. 1 Pkw-EnVKV erfüllt. Die Bewerbung des X1 sei deshalb nicht der Pkw-EnVKV unterfallen.
Randnummer
13
Bei dem vor der Werbung erhältlichen X1 … handele es sich um eine limitierte Herstellung. Der X1 … sei spätestens am 27.3.2013 ausverkauft und am …4.2013 gar nicht mehr erhältlich gewesen.
Randnummer
14
Der Verkaufsstart des X1 sei erst im Oktober 2013 gewesen. Vorher sei der X1 weder im Markt eingeführt noch zu bestellen gewesen Deshalb habe im Einhefter auch noch keine Bewerbung des X1 stattgefunden.
Randnummer
15
Außerdem sei der Hinweis auf der zweiten Seite unten in weiß und schwarz ausreichend gewesen, um die Verbrauchs- und CO2-Werte der im Einhefter abgebildeten X-Modelle anzugeben. Insbesondere sei es unerheblich, auf welcher Seite -1, 2, 3 oder 4- der Hinweis gegeben werde.
Randnummer
16
Die Beklagte beantragt im Wege der Widerklage, die Klägerin zu verurteilen,
1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu unterlassen, für das Modell X1 zu werben, ohne in dieser Werbung Angaben über dessen offiziellen Kraftstoffverbrauch und dessen offizielle CO2-Emissionen zu machen, wie geschehen in der Anlage B 1 (Werbeschrift vom …4.2013);
2. an den Beklagten sind 227,50 EUR nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p. A. hieraus seit 12.9.2013 zu zahlen.
Randnummer
17
Der Beklagte macht mit seiner Widerklage einen Unterlassungsanspruch aus §§ 3, 4 Nr. 11, 5 a UWG i. V. m. § 5 Abs. 1 Pkw-EnVKV geltend.
Randnummer
18
Der Beklagte trägt vor, dass es sich bei dem im Einhefter beworbenen X1 um einen neuen Personenkraftwagen im Sinne von § 2 Nr. 1 Pkw-EnVKV handele. Der X1 sei zum Zeitpunkt schon käuflich bzw. bestellbar gewesen. Außerdem greife die Pkw-EnVKV schon dann ein, wenn für neue Personenkraftwagen geworben werde, was mit dem Einhefter für den X1 geschehen sei.
Randnummer
19
Die Krafstoffverbrauch- und CO2-Angabe auf Seite 2 des Einhefters unten erfülle die Voraussetzungen von Nr. 2 der Anlage 4 zu § 5 Pkw-EnVKV in zweierlei Hinsicht nicht.
Randnummer
20
Zum einen sei der Hinweis nicht leicht verständlich, weil für den angesprochenen Verbraucher nicht erkennbar sei, dass sich die Angaben zu Kraftstoffverbrauch und CO2-Angabe auf alle im Einhefter beworbenen Neufahrzeugmodelle beziehe. Gerade beim flüchtigen Lesen bringe der Verbraucher den Hinweis auf Seite 2 nur mit dem auf dieser Seite beworbenen X2 in Verbindung, keinesfalls aber mit dem Modell X1, das erst auf der Rückseite beworben werde.
Randnummer
21
Außerdem werde der Hinweis weniger hervorgehoben als der Hauptteil der Werbebotschaft. Der Hauptteil der Werbebotschaft werde in großen Bildern dargestellt. Demgegenüber befinde sich der Hinweis auf Kraftstoffverbrauch und CO2-Emission am unteren Rand der Werbeanzeige graphisch abgedrängt unterhalb eines Fließtexts und mit einer Trennlinie versehen. Deshalb sei die vom Verordnungsgeber verlangte Gleichrangigkeit mit dem Hauptteil der Werbebotschaft nicht gegeben.
Randnummer
22
Der Verstoß gegen die Kennzeichnungsvorschriften sei auch wettbewerblich relevant.
Randnummer
23
Die Klägerin beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Randnummer
24
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die zwischen Ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Randnummer
25
Die Parteien haben die Klage in der mündlichen Verhandlung am 27.11.2013 übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt. | Die Klägerin wird verurteilt,
1.
es bei Meidung von Ordnungsgeld bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Wochen, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu unterlassen,
für das Modell X1 zu werben, ohne in dieser Werbung Angaben über dessen offiziellen Kraftstoffverbrauch und dessen offizielle CO2-Emissionen zu machen, wie geschehen in der Anlage B 1 (Werbeschrift vom ….04.2013);
2.
an den Beklagten 227,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit 12. 09. 2013 zu zahlen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 30.000 EUR vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 25.000 EUR festgesetzt. | 1 |
AG Tempelhof-Kreuzberg | Berlin | 1 | 0 | 23.10.2019 | 0 | Randnummer
1
Der Parteien streiten über die Räumung einer Mietwohnung.
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2
Der Beklagte mietete gemeinsam mit zwei weiteren Mietern, die inzwischen nicht mehr in der Wohnung wohnen, mit Vertrag vom 28. September 2015 die streitgegenständliche Wohnung von der Rechtsvorgängerin der Klägerin. Die Klägerin ist seit dem 18. Juli 2018 neue Eigentümerin der Immobilie.
Randnummer
3
Zuletzt war eine monatliche Nettokaltmiete i.H.v. 760,- EUR zuzüglich Vorauszahlungen auf Heizkosten vereinbart, woraus sich ein monatlicher Gesamtbetrag i.H.v. 1.000,- EUR errechnet.
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4
Das Mietkonto wies am 7. Mai 2019 einen Rückstand in Höhe von 2.600,- EUR auf, weil für die Monate Juli 2018 bis April 2019 monatlich statt der geschuldeten 1.000,- EUR nur 840,- EUR gezahlt worden waren (1.000,- EUR - 840,- EUR = 160,- EUR. 10 x 160,- EUR = 1.600,- EUR) und die Miete für den Monat Mai 2019 (1.000,- EUR) in Gänze nicht eingegangen war.
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5
Die Klägerin erklärte daraufhin gegenüber den Mietern mit Schreiben vom 7. Mai 2019 wegen der Zahlungsrückstände die fristlose, hilfsweise die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses. Wegen der Einzelheiten wird auf das vorgenannte Kündigungsschreiben verwiesen (Bl. 9 f. d.A.). Den anderen beiden Mietern wurde parallel ein gleichlautendes Schreiben unter der Adresse ihrer aktuellen Wohnung zugestellt.
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Die Klage ist dem Beklagten am 8. Juni 2019 zugestellt worden. Die Beklagte hat den Zahlungsrückstand durch Zahlungen am 21. Juni 2019 (1.000,- EUR) und am 22. Juni 2019 (1.600,- EUR) beglichen.
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7
Die Kläger sind der Ansicht, die Zahlungen des Beklagten würden zwar die fristlose Kündigung heilen, aber die ordentliche Kündigung wirke fort.
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8
Die Klägerin beantragt,
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9
den Beklagten zu verurteilen, die ca. 97 qm große Wohnung (...) Berlin, Vorderhaus, EG links zu räumen und an die Klägerin geräumt herauszugeben.
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10
Der Beklagte beantragt,
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11
die Klage abzuweisen.
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12
Der Beklagte behauptet erstmals im Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. Oktober 2019, er habe der Vermieterseite im März 2019 einen Mangel an der Badezimmerdecke angezeigt und habe die Miete gemindert.
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13
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. | 1. Der Beklagte wird verurteilt, die ca. 97 qm große Wohnung (...) Berlin, Vorderhaus, EG links zu räumen und an die Klägerin geräumt herauszugeben.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung der Klägerin hinsichtlich der Räumung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 4.560,- EUR (sechs Monatsmieten), die sich - sofern die Räumung vorher nicht erfolgt sein sollte - ab dem 01. Mai 2020 um monatlich 760,- EUR erhöht, abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Im Übrigen ist das Urteil vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
4. Dem Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 31. Januar 2020 eingeräumt. | 1 |
Verwaltungsgericht des Saarlandes 5. Kammer | Saarland | 1 | 0 | 16.01.2013 | 0 | Randnummer
1
Die Klägerin begehrt die Aufhebung eines Gebührenbescheides, mit dem von ihr eine Gebühr in Höhe von 150,33 Euro für eine von ihr veranlasste Überprüfung baulicher Anlagen verlangt wurde.
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2
Mit folgender E-Mail wandte sich die Klägerin am 02.08.2011 an das Ordnungsamt der Gemeinde C-Stadt:
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3
Betreff: Vorsorgliche Information für Ordnungsamt
Sehr geehrte Damen und Herren,
bereits in den Jahren 2008 und 2009 habe ich das Ordnungsamt … auf den desolaten Zustand des Anwesens …straße … in C-Stadt aufmerksam gemacht.
Zwischenzeitlich hat sich bezüglich Pflege oder Instandhaltung keine Veränderung ergeben, außer dass aufgrund der nicht möglichen Wartung die Gaszufuhr zu diesem Anwesen stillgelegt wurde.
An dem Haus selbst ist seit geraumer Zeit das Fallrohr der Dachrinne verrostet und total zerfallen. Das Regenwasser läuft also über den Bürgersteig bzw. versickert an der Hauswand. In der jetzigen Jahreszeit stellt dies sicher kein Problem dar. Bei Frost führt dies jedoch zu erheblicher Glatteisgefahr auf dem Bürgersteig und somit – wie sich ein Jurist ausdrücken würde – zu einer Gefahr für Leib und Leben.
Vorsorglich mache Sie auf diesen Zustand aufmerksam. Welche Mängel das Anwesen sonst noch aufweist wäre vor Ort zu prüfen. Es muss ja nicht immer erst etwas passieren – z.B. auch durch herabfallende Ziegeln vom Dach, welches ebenfalls desolat ist – bevor gehandelt wird.
Die …straße wird u.a. auch stark als Fußweg zu dem gemeindeeigenen Kindergarten genutzt.
Bitte geben Sie mir eine kurze Information, ob Sie und wenn ja, wie Sie weiter vorgehen wollen.
Vielen Dank
Mit freundlichen Grüßen
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Diese E-Mail leitete das Ordnungsamt der Gemeinde formlos als E-Mail an den Beklagten als Bauaufsichtsbehörde weiter. Dieser bat die Klägerin per E-Mail um ihre Anschrift, da ansonsten eine weitere Bearbeitung nicht möglich sei. Die Klägerin teilte ihre Anschrift am 02.11.2011 mit dem Zusatz mit, das sie froh sei, dass „in dieser Angelegenheit mal reagiert werde“, obgleich sie nicht verstehe, was ihre Anschrift mit einer Weiterbearbeitung zu tun habe.
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Mit der „Eingangsbestätigung über die durch Dritte veranlasste baurechtliche Überprüfung“ vom 02.11.2011 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass in den nächsten Tagen eine Ortsbesichtigung durchgeführt und bei Handlungsbedarf das Erforderliche veranlasst werde. Sollte die aufgrund der E-Mail veranlasste Überprüfung keinen Handlungsbedarf durch die Untere Bauaufsicht auslösen, würden die hierdurch entstehenden Kosten nach Nummer 17 der Verordnung über den Erlass des Besonderen Gebührenverzeichnisses für die Bauaufsichtsbehörden von ihr erhoben. Zu gegebener Zeit erhalte sie weitere Nachricht.
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Am 18.01.2012 fand die Ortsbesichtigung durch den Beklagten statt. Diese ergab, dass das Fallrohr der Dachentwässerung zur Straßenseite beschädigt war, so dass das Regenwasser über den Bürgersteig laufen konnte. Andere Schäden, wie heruntergefallene Dachziegel am und um das Haus seien nicht festgestellt worden.
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Mit „Bescheid über eine durch Dritte veranlasste baurechtliche Überprüfung“ vom 19.01.2012 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass seitens der Unteren Bauaufsichtsbehörde kein Handlungsbedarf bestehe, weil keine Anhaltspunkte für das Herabfallen von Dachziegeln bestünden und das defekte Fallrohr nicht zu einer erheblichen Glatteisgefahr auf dem Bürgersteig und damit zu einer Gefahr für Leib und Leben führe. Weiterhin erhob der Beklagte von der Klägerin eine Gebühr gemäß dem Besonderen Gebührenverzeichnis für die Bauaufsichtsbehörden in Höhe von 150,33 Euro.
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Gegen den ihr am 25.01.2012 zugestellten Bescheid erhob die Klägerin am 03.02.2012 Widerspruch: Sie habe der Gemeinde ihre Bedenken gegen den Zustand des seit Jahren leer stehenden Hauses mitgeteilt, bei dem das Fallrohr in Höhe des Sockels abgerostet sei, das Regenwasser auf den Bürgersteig laufe und es „bei den jetzigen Temperaturen“ zu Unfällen kommen könne. Auch im Übrigen mache das Haus einen desolaten Eindruck. Wenn die Gemeinde das Schreiben an den Beklagten weitergeleitet habe, möge der Gebührenbescheid an die Gemeinde gesandt werden, die die UBA offensichtlich beauftragt habe. Sie – die Klägerin – habe für ein Tätigwerden der UBA keinen Anlass gegeben. Unabhängig davon überrasche es, dass die Gemeinde einen mit Glatteis überzogenen Bürgersteig nicht als Gefahrenquelle ansehe. Das sei allerdings letztlich Sache des Haftpflichtversicherers der Gemeinde und nicht der UBA.
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9
In seiner Stellungnahme an den Rechtsausschuss erläuterte der Beklagte die Höhe des Betrages von 150,33 € mit einem Zeitaufwand von 2,5 Stunden für das Anlegen der Akte, die Fertigung der Eingangsbestätigung, die Ortsbesichtigung sowie die Fertigung des Bescheides. Für Leistungen nach Zeitaufwand würden je angefangene Arbeitsstunde eines Beamten des gehobenen Dienstes oder vergleichbaren Angestellten 58,90 € zu Grunde gelegt. Daraus ergebe sich der gerundete Betrag von 147,00 € nach Ziffer 37.1.2 des Besonderen Gebührenverzeichnisses. Hinzu komme die Gebühr von 3,33 € für die Postzustellung (§ 3 Abs. 2 Buchstabe a) SaarlGebG).
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Am 28.06.2012 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Untätigkeitsklage gegen die Gebührenerhebung erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, sie habe den Beklagten nicht mit der Überprüfung des Anwesens beauftragt. Ob der Beklagte Handlungsbedarf sehe, sei dessen Entscheidung. Über den Bürgersteig laufendes Regenwasser berühre die Verkehrssicherungspflicht der Gemeinde. Insoweit habe es beim Verwaltungsgericht schon Klageverfahren gegeben, in denen es darum gegangen sei, ob Grundstückseigentümer verpflichtet seien, ihr Fallrohr so umzugestalten, dass kein Wasser mehr auf den Bürgersteig laufen könne. Das zeige, dass ihr Hinweis an die Gemeinde zu Recht erfolgt sei. Umso unverständlicher sei es, dass sie dafür mit einem Gebührenbescheid abgestraft werde.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß,
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den Bescheid über die durch Dritte veranlasste baurechtliche Überprüfung vom 19.01.2012 hinsichtlich der Gebührenerhebung aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Seiner Ansicht nach sei die Bauaufsicht aufgrund der Aufforderung vor Ort zu prüfen, ob vom desolaten Zustand des Daches Gefahren für Leib und Leben ausgingen und welche Mängel das Haus noch habe, gehalten gewesen, eine örtliche Überprüfung vorzunehmen. Gebührentatbestand Nr. 17 des Besonderen Gebührenverzeichnisses (GebVerzBauaufsicht) unterscheide nicht danach, ob die Angabe mittelbar oder unmittelbar gegenüber der Bauaufsicht erfolgt sei. Maßgeblich sei, dass sich die Angaben als offensichtlich unrichtig erwiesen, was hier im Ergebnis zutreffe. Die Durchführung einer Ortsbesichtigung des Anwesens …straße … habe die Klägerin in ihrer Mitteilung an die Gemeinde für erforderlich gehalten. Sie sei Eigentümerin der Grundstücke …straße … und … und deshalb Nachbarin und nicht nur besorgte Bürgerin. Sie habe selbst darauf hingewiesen, dass sie sich bereits mehrfach wegen des desolaten Zustandes von Haus … an die Gemeinde gewandt habe. Die Gebühr sei nach Zeitaufwand mit einer Mindestgebühr von 50,00 € zu erheben. Die geforderte Gebühr halte sich in diesem Rahmen.
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Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten einschließlich der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der Beratung war. | Der Bescheid des Beklagten vom 19.01.2012 wird hinsichtlich der Gebührenanforderung aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, falls nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Der Streitwert wird auf 150,33 Euro festgesetzt. | 0 |
Verwaltungsgericht des Saarlandes 1. Kammer | Saarland | 0 | 1 | 14.10.2021 | 1 | Randnummer
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Die Klägerin begehrt die Erstattung von Vorverfahrenskosten.
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2
Sie war seit Februar 1999 mit einem privaten Teilnehmer- bzw. Beitragskonto (XX) bei dem Beklagten angemeldet.
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3
Mit Festsetzungsbescheid vom 01.10.2019 setzte der Beklagte gegen die Klägerin für den Zeitraum vom 01.07.2019 bis 30.09.2019 einen Rundfunkbeitrag einschließlich Säumniszuschlag in Höhe von 60,50 € fest und forderte die Klägerin zur unverzüglichen Zahlung eines durch vorangegangene Bescheide festgesetzten offenen Gesamtbetrages von 1.468,04 € auf. Unter dem 19.11.2019 erfolgte eine Mahnung und Ankündigung der Zwangsvollstreckung, wobei der Gesamtrückstand nunmehr auf 1.522,09 € beziffert wurde.
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4
Am 13.12.2019 erhielt die Klägerin von der Gemeinde A-Stadt eine Vollstreckungsvorankündigung bezüglich offenstehender Rundfunkbeiträge für die Zeit von Oktober 2013 bis Juni 2019 in Höhe von 1.428,79 €.
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5
Am 03.01.2020 erließ der Beklagte einen weiteren Festsetzungsbescheid für den Zeitraum von 01.10.-31.12.2019 und forderte die Klägerin nunmehr zur Zahlung eines Gesamtbetrags von 1.530,09 € auf.
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6
Gegen diesen Festsetzungsbescheid legte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 21.01.2020 Widerspruch ein mit der Begründung, dass die Rundfunkbeiträge für das der Klägerin unter der o.g. Beitragsnummer zugerechnete Hausanwesen bereits seit Jahren vom Ehemann der Klägerin unter der Beitragsnummer XX entrichtet würden. Unter dieser Beitragsnummer seien sämtliche Rundfunkbeiträge beglichen.
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Daraufhin hob der Beklagte im Hinblick auf die durch den Ehemann der Klägerin entrichteten Rundfunkbeiträge mit Widerspruchsbescheid vom 09.12.2020 den Festsetzungsbescheid vom 03.01.2020 auf. Des Weiteren wurde der Klägerin mitgeteilt, dass ihr Beitragskonto abgemeldet worden sei und der Beklagte zu Gunsten der Klägerin aus den vorangegangenen Bescheiden vom 02.05,2014, 01.06.2014, 04.07.2014, 01.10.2014, 02.01.2015, 01.04.2015, 02.07.2015, 02.10.2015, 03.01.2016, 01.04.2016, 01.07.2016, 01.10.2016, 02.01.2017, 01.04.2017, 03.07.2017, 02.10.2017, 02.01.2018, 06.04.2018, 05.07.2018, 02.10.2018, 02.01.2019, 01.04.2019, 02.07.2019 und 01.10.2019 keine Rundfunkbeiträge mehr geltend mache. Das Vollstreckungsersuchen wurde mit Schreiben vom 09.12.2020 zurückgenommen.
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Mit Schreiben vom 19.02.2021 übersandte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin eine Kostenrechnung über 255,85 € an den Beklagten und bat um Ausgleich.
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Mit Schreiben vom 23.02.2021 wurde diesem mitgeteilt, dass keine Kosten für das Widerspruchsverfahren erstattet würden. Hierfür gebe es keine rechtliche Grundlage.
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Hierauf erhob die Klägerin am 30.03.2021 die vorliegende Klage.
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Zur Begründung trägt sie vor, aus § 80 SVwVfG einen Anspruch auf Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens zu haben. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei § 80 SVwVfG als Rechtsgrundlage vorliegend nicht durch § 2 Abs. 1 SVwVfG ausgeschlossen. § 2 Abs. 1 SVwVfG bedürfe insoweit nach seinem Sinn und Zweck, den Schutz des Kernbereichs der Rundfunkfreiheit im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu gewährleisten, einer einschränkenden Auslegung. Denn der Beklagte werde bei der Heranziehung der Rundfunkteilnehmer zu Rundfunkgebühren nicht in diesem vor staatlichem Einfluss zu schützenden Kernbereich der Rundfunkfreiheit tätig, sondern übe hierbei eine originäre Verwaltungstätigkeit aus.
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12
Die Beauftragung eines Rechtsanwalts sei im vorliegenden Fall auch erforderlich gewesen, nachdem die Klägerin zuvor mehrfach versucht habe, die Angelegenheit selbst aufzuklären, sämtliche dahingehenden Versuche jedoch gescheitert seien. Überdies habe schon eine Vollstreckungsvorankündigung der Gemeinde A-Stadt vorgelegen. Insofern habe die Klägerin die Einschaltung eines Rechtsanwalts für erforderlich und zweckdienlich halten dürfen.
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13
Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,
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14
die Hinzuziehung ihres Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären und in entsprechender Abänderung des Bescheids vom 23.02.2021 bezüglich der Kostenentscheidung zum Widerspruchsbescheid des Eufach0000000008s vom 09.12.2020 den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin die notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung zu erstatten.
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15
Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
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16
die Klage abzuweisen.
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17
Zur Begründung macht er geltend, dass es für die begehrte Erstattung der im Vorverfahren entstandenen Rechtsanwaltskosten keine Rechtsgrundlage gebe. Vorprozessuale Kosten seien nur dann erstattungsfähig, wenn eine außerprozessuale selbstständige Rechtsgrundlage bestehe. § 80 SVwVfG sei weder direkt noch analog anwendbar. Es gebe auch keine andere Regelung, auf die ein Kostenerstattungsanspruch gestützt werden könne. Ergänzend weist der Beklagte darauf hin, dass eine Kostenerstattung für die Gebühren und Auslagen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Vorverfahren selbst dann nicht möglich wäre, wenn es eine gesetzliche Grundlage hierfür gebe. Die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten sei nicht notwendig gewesen. Zum Zeitpunkt der Beauftragung des Prozessbevollmächtigten seien keine rechtlichen Fragen zu klären, sondern in erster Linie der Sachverhalt aufzuklären gewesen. Der Klägerin sei es durchaus zumutbar gewesen, sich zunächst selbst an den Beklagten zu wenden und darzustellen, dass die Rundfunkbeiträge für die in Rede stehende Wohnung bereits durch ihren Ehemann unter der Beitragsnummer XX entrichtet würden. Die Klägerin habe stattdessen direkt einen Rechtsanwalt eingeschaltet, ohne selbst einen Klärungsversuch zu unternehmen. Obwohl über Jahre hinweg zahlreiche Schreiben und Festsetzungsbescheide an sie gerichtet worden seien, habe sie sich selbst gegenüber dem Beklagten nie geäußert.
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18
Die Beteiligten haben mit Schreiben vom 12.04.2021 und 27.04.2021 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
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19
Mit Beschluss vom 12.10.2021 hat die Kammer den Rechtsstreit der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.
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20
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsunterlagen des Beklagten Bezug genommen. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet. | 0 |
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht 6. Senat | Schleswig-Holstein | 0 | 1 | 17.09.2018 | 0 | Randnummer
1
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Bescheids, mit dem der Beklagte (u.a.) Erstattung wegen der Überzahlung vorläufig bewilligter Leistungen für den Zeitraum 1. September 2013 bis 28. Februar 2014 verlangt.
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2
Die am ... 1982 geborene Klägerin zu 1. war im streitigen Zeitraum selbstständig tätige Rechtsanwältin mit schwankendem Erwerbseinkommen. Sie lebte zusammen mit ihrem am ... 1978 geborenen Ehemann und ihrem am ... 2010 geborenen Sohn, dem Kläger zu 2., in einer Bedarfsgemeinschaft. Die Kläger und der Ehemann bezogen beim Beklagten seit längerem aufstockend Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Die Familie bewohnte eine Mietwohnung in Kiel, für die eine Nettokaltmiete von monatlich 336,00 EUR zzgl. Betriebskosten- (104,00 EUR) und Heizkostenvorauszahlung (86,00 EUR) zu entrichten war.
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3
Für den hier streitigen Zeitraum bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft mit Bescheid vom 28. August 2013 vorläufig Leistungen für die Zeit vom 1. September 2013 bis 28. Februar 2014 in Höhe von 1.201,68 EUR monatlich. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf Bl. 879 der Leistungsakte Bezug genommen. Bei der vorläufigen Bewilligung wurde ein Einkommen der Klägerin zu 1. aus selbstständiger Tätigkeit in Höhe von monatlich 54,32 EUR berücksichtigt, ausgehend von einem durchschnittlichen Betriebsgewinn von monatlich 167,90 EUR. Zugrunde gelegt wurde dieser Einkommensberechnung die vorläufige EKS für den vorangehenden Bewilligungszeitraum.
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4
Unter dem 2. September 2013 erhielt der Ehemann der Klägerin zu 1. einen Zulassungsbescheid der Fachhochschule L. für den Studiengang Medieninformatik (online) und wurde aufgefordert, sich bis zum 16. September 2013 einzuschreiben. Die Klägerin zu 1. legte für den Ehemann im September 2013 eine Immatrikulationsbescheinigung vor, die einen Gültigkeitszeitraum vom 1. September 2013 bis zum 28. Februar 2014 auswies (Bl. 694 der Leistungsakte). Daraufhin wurde die vorläufige Bewilligungsentscheidung mit Änderungsbescheid vom 17. Oktober 2013 dergestalt abgeändert, dass die Bedarfe des Ehemannes jeweils beginnend ab 1. September 2013 mit 0,00 EUR angesetzt, bei den Klägern als Bedarfe für Unterkunft und Heizung jeweils ein Drittel der Gesamtmietkosten berücksichtigt wurden und das bereinigte Erwerbseinkommen der Klägerin zu 1. bedarfsanteilig auf die Bedarfe (nur) der Kläger angerechnet wurde. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 888 der Leistungsakte Bezug genommen.
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5
Am 18. November 2013 wurde die vorläufige EKS für den Zeitraum September 2013 bis Februar 2014 erstellt, die einen monatlichen Betriebsgewinn der Klägerin zu 1. in Höhe von 385,84 EUR auswies.
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6
Mit Änderungsbescheid vom 23. November 2013 wurde die vorläufige Bewilligungsentscheidung nochmals wegen der Erhöhung der Regelbedarfe zum 1. Januar 2014 abgeändert. Bei dieser Änderung fand die am 18. November 2013 erstellte vorläufige EKS keine Anwendung. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 895 der Leistungsakte Bezug genommen.
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7
Nachdem dem Beklagten im April 2014 die Angaben der Klägerin zu 1. zum endgültigen Einkommen aus selbständiger Tätigkeit für den streitigen Zeitraum vorgelegen hatten, forderte er mit Bescheid vom 2. Juni 2014 die Erstattung von Leistungen für die Zeit vom 1. September 2013 bis zum 28. Februar 2014, und zwar von der Klägerin zu 1. in Höhe von insgesamt 766,80 EUR und vom Kläger zu 2. in Höhe von 318,12 EUR. Dem Bescheid waren Horizontalübersichten mit Leistungsberechnungen für die Leistungen im streitgegenständlichen Zeitraum beigefügt. Wörtlich hieß es in dem an die Klägerin zu 1. adressierten Bescheid: „Mit Bescheiden vom 28. August 2013, 17. Oktober 2013 und 23. November 2013 wurden Ihnen und dem mit Ihnen in der Bedarfsgemeinschaft lebenden minderjährigen Kind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (…) vorläufig bewilligt (…). Da nun über Ihren Leistungsanspruch endgültig entschieden werden konnte, wurde festgestellt, dass Sie einen geringeren Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts haben. Bitte entnehmen Sie dem beiliegenden Bescheid die Ihnen tatsächlich zustehenden Leistungen. Sie und das minderjährige Mitglied ihrer Bedarfsgemeinschaft haben wie folgt Leistungen erhalten, ohne dass hierauf ein Anspruch bestand: (…)“
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8
Gegen diesen Bescheid legten die Kläger Widerspruch ein, begründeten diesen jedoch nicht.
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9
Mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2014 wegen „endg. Festsetzung u. Erstattung 09/13 – 02/2014“ wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, er habe der Klägerin zu 1. mit Bescheid vom 2. Juni 2014 mitgeteilt, dass die mit Bescheiden vom 28. August 2013, 17. Oktober 2013 und 23. November 2013 vorläufig bewilligten Leistungen für den Zeitraum November 2013 bis Februar 2014 endgültig festgesetzt würden und die Erstattung von zu viel gezahlten Leistungen gefordert würde. Dieser Bescheid entspreche den gesetzlichen Bestimmungen.
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Gegen den Bescheid vom 2. Juni 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. August 2014 haben die Kläger am 25. September 2014 Klage beim Sozialgericht Kiel erhoben.
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Zur Begründung haben sie vorgetragen, dass der tatsächliche Gewinn im streitigen Zeitraum mit 7,75 EUR unter dem nach der vorläufigen EKS erwarteten Gewinn gelegen habe. Dennoch mache der Beklagte mit Erstattungsbescheiden vom 2. Juni 2014 Rückforderungen in Höhe von insgesamt 2.080,06 EUR (einschließlich der in diesem Verfahren nicht streitigen Rückforderungssumme gegenüber dem Ehemann) geltend. Beim Ehemann berücksichtige er nicht, dass die Einschreibung tatsächlich erst Mitte September 2013 erfolgt sei. Die hohe Überzahlung resultiere im Übrigen aus dem Umstand, dass der Beklagte die ausgezahlten Leistungen nach Eingang der vorläufigen EKS nicht entsprechend angepasst habe, obgleich es sich um eine sehr exakte Prognose für den streitigen Zeitraum gehandelt habe. Die Überzahlung sei nicht aufgefallen. Sie (die Klägerin zu 1.) sei davon ausgegangen, dass die von ihr gemachten Angaben zur EKS spätestens ab dem Bescheid vom 23. November 2013 Berücksichtigung gefunden hätten. Ferner sei ihr bei den relevanten EKS-Terminen versichert worden, dass die Überzahlung lediglich gering sei und das tatsächliche Einkommen sogar unter dem erwarteten geblieben sei. Sie (die Klägerin zu 1) habe auf diese Angaben vertraut und die zu viel gezahlten Leistungen daher verbraucht.
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Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
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Mit Urteil vom 26. November 2015 hat das Sozialgericht Kiel der Klage stattgegeben und den angefochtenen Bescheid vom 2. Juni 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. August 2014 ganz aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Erstattungsbescheid rechtswidrig sei und die Kläger beschwere. Der Beklagte habe den Klägern zwar zu Recht Leistungen zunächst nur vorläufig bewilligt. Tatsächlich hätten die Kläger nach der endgültigen EKS auch höhere Leistungen erhalten, als ihnen für den streitigen Zeitraum zugestanden hätten. Das rechnerische Ergebnis des Beklagten sei insoweit nicht zu beanstanden. Voraussetzung für die Erstattungsforderung sei aber ein Verwaltungsakt, der die Leistungen für den streitigen Zeitraum endgültig festsetze. Eine solche endgültige Festsetzungsentscheidung liege jedoch nicht vor. Insbesondere habe der Beklagte eine solche Entscheidung nicht im Bescheid vom 2. Juni 2014 getroffen. Die mit dem Bescheid übersandten Horizontalübersichten reichten dafür nicht aus. Eine Horizontalübersicht habe nicht die rechtliche Qualität eines Verwaltungsakts. Es handele sich um eine bloß erläuternde Berechnungsübersicht. Der Bescheid vom 2. Juni 2014 sei auch nicht der Auslegung zugänglich. Es fehle an irgendeinem Anhaltspunkt in einem Verfügungssatz oder zumindest in der Begründung der Entscheidung, der zu entnehmen wäre, dass unmittelbar mit der angefochtenen Entscheidung eine endgültige Leistungsbewilligung im Sinne von § 328 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) habe getroffen werden sollen. Auch eine Umdeutung eines fehlerhaften Verwaltungsakts in einen anderen komme hier nach Lage der Dinge nicht in Betracht.
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Gegen das dem Beklagten am 28. April 2016 zugestellte Urteil hat dieser am 11. Mai 2016 Berufung beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht erhoben.
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Er hat zur Begründung ausgeführt dass sich das Sozialgericht Kiel mit seiner Bewertung des Bescheids vom 2. Juni 2014 in Widerspruch setze zu der Bewertung, die das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht in seiner Entscheidung vom 7. Dezember 2015 (Az. L 6 AS 36/13) in einem vergleichbaren Fall vorgenommen habe. Das Landessozialgericht vertrete die Auffassung, dass ausreichende Klarheit im Rahmen der Bestimmtheit eines Verwaltungsakts auch dann bestehen könne, wenn zur Auslegung des Verfügungssatzes auf die Begründung des Verwaltungsakts, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen zurückgegriffen werden müsse. Nach diesen Maßstäben habe das Landessozialgericht auch den in jenem Verfahren streitgegenständlichen Festsetzungs- und Erstattungsbescheid für als hinreichend bestimmt erachtet. Der vorliegend in Streit stehende Bescheid sei mit jenem Bescheid vergleichbar. Er weise die gleiche Betreffzeile und die gleiche Formulierung in der Begründung aus. Es seien ebenfalls die Horizontalübersichten beigefügt gewesen, aus denen sich der endgültige Leistungsanspruch ergeben habe. Dass die Entscheidung materiellrechtlich nicht zu beanstanden sei, erkenne bereits das Sozialgericht an.
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16
Der Beklagte beantragt,
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17
das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 26. November 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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18
Die Kläger beantragen,
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19
die Berufung zurückzuweisen.
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20
Sie haben sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.
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21
Dem Senat haben die Leistungsakten des Beklagten vorgelegen. Auf diese Akten und auf die Gerichtsakte wird wegen des der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts ergänzend Bezug genommen. | Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 26. November 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 3. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 07.05.2018 | 0 | Randnummer
1
Im vorliegenden Rechtsstreit streiten die Parteien darüber, ob die Klägerin, die Witwe eines vormaligen Mitarbeiters der Beklagten, von dieser die Erhöhung ihrer Betriebsrente verlangen kann.
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2
Die 87-jährige Klägerin ist Witwe von Herrn A., der bei der Beklagten als leitender Mitarbeiter beschäftigt war. Diesem wurde am 22.12.1976 eine Ruhegehaltszusage am erteilt. Diese hat u. a. folgenden Wortlaut:
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3
"Betreff:
Ruhegehaltszusage
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4
Sehr geehrter Herr A.
In Übereinstimmung mit den Leitlinien für die betriebliche Altersversorgung der Mitarbeiter der oberen Führungsebene wird Ihre Versorgungszusage vom 10.12.62 ergänzt und durch die nachstehende Zusage ersetzt:
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5
Aus der Verbundenheit mit ihren Mitarbeitern hat die Gesellschaft ein Versorgungswerk geschaffen, nach dem allen Betriebsangehörigen ein Anspruch auf einen Beitrag zu ihrer Versorgung im Alter oder bei Erwerbsunfähigkeit und nach ihrem Tod zur Unterstützung der Hinterbliebenen gewährt wird.
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6
In Anerkennung Ihres Einsatzes und Ihrer Leistungen für O. an verantwortlicher Stelle gibt die Gesellschaft Ihnen die folgende, über den allgemeinen Rahmen der Versorgungsordnung hinausgehende Versorgungszusage, die in Verbindung mit der Versorgungsforderung integrierender Bestandteil Ihres Anstellungsvertrages ist:
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1. Ihr Ruhegehalt beträgt bei Eintritt des Versorgungsunfalles 53 % des pensionsfähigen Einkommens.
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2. Pensionsfähiges Einkommen ist das Bruttoentgelt einschließlich Tantieme, Gratifikationen und ähnlichen Leistungen.
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3. Die bei Eintritt des Versorgungsfalles festgestellten Versorgungsbezüge gelten als Mindestleistung.
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Sollten sich nach diesem Zeitpunkt die Tarifgehälter der Angestellten der Pfälzischen Eisen- und Metallindustrie ändern, so ändern sich die Versorgungsbezüge im gleichen Verhältnis wie die höchste Tarifgruppe für kaufmännische Angestellte. Der Anspruch auf die Mindestleistung wird hierdurch nicht berührt.
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4. Zur Sicherstellung der von uns übernommenen Versorgungsverpflichtungen haben wir beim G. eine Rückdeckungsversicherung genommen.
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Unsere Ansprüche aus der Rückdeckungsversicherung werden Ihnen hiermit aufschiebend bedingt mit der Maßgabe abgetreten, ..."
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Hinsichtlich des weiteren Inhalts der Ruhegehaltszusage wird auf Bl. 6, 7 d. A. Bezug genommen.
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Die Beklagte hat die entsprechenden Gehaltserhöhungen für die Angestellten der pfälzischen Eisen- und Metallindustrie langjährig immer an Herr A., bzw. nach seinem Versterben an die Klägerin weiter gegeben. Mit Schreiben vom 19.01.2016 hat die Beklagte allerdings gegenüber der Klägerin erklärte, dass sie die Betriebsrente entgegen der Vereinbarung der Ruhegehaltszusage nicht weiter anpassen und erhöhen werde; hinsichtlich des weiteren Inhalts des Schreibens der Beklagten wird auf Bl. 9 ff d. A. Bezug genommen. Die Beklage hat sich dabei auf § 16 Abs. 1 BetrAVG gestützt.
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Mit Schreiben vom 28.07.2016 hat die Beklagte gegenüber der Klägerin erklärt, sie berufe sich auf die Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB und werde die Verpflichtung aus der Ruhegehaltszusage vom 22.12.1976 unter Abs. 4 Ziff. 3 künftig nicht mehr wie bisher erfüllen, sondern zukünftig Erhöhungen ausschließlich nach § 16 BetrAVG vornehmen. Hinsichtlich des weiteren Inhalts dieses Schreibens wird auf Bl. 21 d. A. Bezug genommen.
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16
Die IG-Metall und der Arbeitgeberverband haben eine Tariflohnerhöhung für die Tarifgruppe der kaufmännischen Angestellten (E10) für die Zeit ab dem 01.07.2016 in Höhe von 2,8 % und eine weitere Erhöhung ab dem 01.04.2017 um 2 % vereinbart. Den Steigerungsbetrag zum 01.07.2016 hat die Beklagte gegenüber der Klägerin nicht mehr weiter gegeben.
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Die Betriebsrente der Klägerin betrug bis zum 30.06.2016 5.975,50 EUR brutto.
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Bei der Beklagten bestand bereits 1976 für alle Arbeitnehmer eine Versorgungsordnung. Deren Inhalt ist allerdings nicht mehr bekannt. Bezüglich leitender Mitarbeiter wurden, wie beim verstorbenen Ehemann der Klägerin, unterschiedliche Ruhegehaltszusagen im Rahmen von Direktzusagen gegeben. Das Versorgungswerk der Beklagten wurde insgesamt im Jahre 2006 geschlossen. Zum heutigen Zeitpunkt arbeiten keine leitenden Angestellten bei der Beklagten mehr, die - in welcher Form auch immer - hohe Gehaltszusagen im Wege von Direktzusagen erhalten haben.
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Die Klägerin hat vorgetragen,
die Voraussetzungen für den Wegfall der Geschäftsgrundlage seien vorliegend nicht gegeben. Jedenfalls seien sie ihr seitens der Beklagten nicht ordnungsgemäß und nachvollziehbar dargelegt worden. Die Beklagte sei folglich uneingeschränkt weiterhin an die Regelungen in der Ruhegehaltszusage vom 22.12.1976 gebunden.
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Die Klägerin hat beantragt,
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21
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.003,86 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 02.01.2017 zu zahlen;
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2. die Beklagte zu verurteilen, an sie zum 01. eines jeden Monats ab dem 01.02.2017 eine Betriebsrente in Höhe von derzeit 6.142,81 EUR brutto unter Berücksichtigung der Erhöhung von 2,8 % der höchsten Tarifgruppe für kaufmännische Angestellte (E10) bis zum 31.02.2017 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat vorgetragen,
sie sei befugt gewesen, die Ruhegeldzusage aus dem Jahr 1976 einseitig zu ändern und künftig das Ruhegeld der Klägerin nur noch im Rahmen des § 16 BetrAVG anzupassen. Insofern könne sie sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB berufen. Die Pensionsrückstellungen der Beklagten für alle Betriebsrentner hätten sich vom Geschäftsjahr 2011 in Höhe von 21.479.608,00 EUR auf 30.825.327,00 EUR für das Geschäftsjahr 2015 erhöht. Dies sei eine Steigerung allein in diesem Zeitraum um 43,5 %. Damit sei die Opfergrenze von 40 % der Erhöhung der Rückstellungen, die in Rechtsprechung und Literatur definiert werde, mit dem Jahresende 2015 überschritten worden. Die Gründe für die Erhöhung der Rückstellungen seien in Gesetzesänderungen zu sehen, die 1976 weder vorhersehbar gewesen noch der Beklagten zu vertreten seien. Sie beruhten darauf, dass mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz 2010 der durchschnittliche Marktzinssatz eingeführt worden sei und mit diesem seither die Höhe von Pensionsrückstellungen in der Firmenbilanz ermittelt werden müsse. Dies sei bis 2010 nicht der Fall gewesen und habe nunmehr zu einem Auseinanderfallen von Handelsbilanz und Steuerbilanz geführt. Im Zusammenwirken mit anhaltender und durch die Europäische Zentralbank weiterhin verstärkter Niedrigzinsphase sowie durch das Absenken des BilMoG-Zinses bei der Anpassung des Barwertes habe dies die Steigerung der Pensionsrückstellungen bewirkt. Eine Anpassung nach § 16 BetrAVG sei im Jahre 2016 nicht durchzuführen. Die wirtschaftliche Lage der Beklagten habe zu einem negativen Eigenkapital geführt. Es könne keine angemessene Eigenkapitalverzinsung mehr erwirtschaftet werden.
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Das Arbeitsgericht Kaiserslautern hat daraufhin durch Urteil vom 26.01.2017 - 3 Ca 985/16 - die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 1.003,86 Euro brutto nebst Zinsen, des Weiteren ab dem 01.02.2017 eine Betriebsrente in Höhe von 6.142,81 Euro brutto bis zum 31.03.2017 zu zahlen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 176 bis 184 d. A. Bezug genommen.
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27
Gegen das ihr am 13.02.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch am 13.03.2017 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Er hat die Berufung durch am 13.06.2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor auf ihren begründeten Antrag hin durch Beschluss vom 31.03.2017 die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung bis zum 13.06.2017 einschließlich verlängert worden war.
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Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, die vorgetragene Steigerung des Dotierungsrahmens in einem Teilzeitraum gelte erst recht für den Gesamtzeitraum. Die Beklagte habe nunmehr aufgrund des erstinstanzlichen Verfahrens Anlass genommen, die Barwerte der dem verstorbenen Ehemann der Klägerin 1976 erteilten Versorgungszusage bezogen auf den Zeitpunkt der Erteilung dieser Zusage und bezogen auf das Jahr 2016 und versicherungsmathematisch berechnet durch einen Aktuar des Beratungsunternehmens W. ermitteln zu lassen. Ausgehend von dem Geburtsdatum 1928 des verstorbenen Ehemannes der Klägerin und ausgehend von dessen Eintrittsdatum 1955 ergebe sich bei einem Pensionierungsalter mit Ablauf des 65. Lebensjahres für eine lebenslang zu zahlende Altersrente in Höhe von 53 % des pensionsfähigen Einkommens am 31.12.1976 in Höhe von 67.491,00 Euro Jahresgehalt ein Anwartschaftsbarwert nach dem 1976 für die handelsfinanzielle Bewertung verwendeten Bemessungs- und Rechnungsgrundlagen in Höhe von 213.168,00 Euro. Der Anwartschaftsbarwert bei Ansatz des zum 31.12.2016 maßgeblichen BilMoG - Zinssatzes (10 Jahresdurchschnitt) einschließlich Trend für Anwaltschaft und Rentendynamik habe sich auf 442.000,20 Euro belaufen. Aus dem Vergleich der Barwerte der Versorgungszusage zum Zeitpunkt der Erteilung und dem Jahre 2016 ergebe sich damit insgesamt eine Steigerung um 107,36 % auf mehr als das doppelte (207,35 %) des Ursprungswertes. Hinsichtlich des Inhaltes des von der Beklagten vorgelegten Gutachtens im Einzelnen wird auf Bl. 231 bis 240 d. A. Bezug genommen. Damit ergebe sich auch ausgehend von der Argumentation des Arbeitsgerichts in der angefochtenen Entscheidung aus einen zutreffend berechneten Barwertvergleich eine deutliche Überschreitung der Opfergrenze, die die Beklagte wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage zur Anpassung der Versorgungszusage nach billigem Ermessen berechtige. Vorliegend habe sich die Beklagte darauf beschränkt, eine weitere Erhöhung der laufenden Rentenzahlung in Höhe von fast 6.000,00 Euro monatlich an die Klägerin als Witwe des verstorbenen Zusageempfängers zu unterlassen. Im Hinblick sowohl auf die Steigerung der erforderlichen Rückstellung allein im Teilzeitraum von 2011 bis 2016 von 43,5 % als auch im Hinblick auf die Steigerung des Barwertes der Versorgungszusage seit dem Zeitpunkt der Erteilung um 107,36 % entspreche diese Entscheidung der Verweigerung einer weiteren Erhöhung billigem Ermessen. Die Barwertberechnung beruhe auf einen betriebswirtschaftlichen versicherungsmathematisch standardisierten Berechnungsverfahren, dass ausgehend von den Personal- und Beschäftigungsdaten des verstorbenen Ehemanns der Klägerin und ausgehend von der Versorgungszusage der Beklagten die Berechnung nur zu dem im Gutachten dargestellten Ergebnis führen könne. Hinsichtlich einer weiteren Aufschlüsselung der Berechnungsschritte im Einzelnen wird auf das von der Beklagten im Berufungsverfahren vorgelegte ergänzte Gutachten vom 12.06.2017 (Bl. 257 bis 267 d. A.) Bezug genommen.
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Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 12.06.2017 (Bl. 226 bis 230 d. A.) nebst Anlagen (Bl. 231 bis 240 d. A.) sowie der Schriftsätze vom 19.06.2017 (Bl. 255, 256 d. A.) nebst Anlagen (Bl. 257 bis 267 d. A.) sowie vom 15.09.2017 (Bl. 277 bis 279 d. A.) Bezug genommen.
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Die Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 26.01.2017 - Az. 3 Ca 985/16 - die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
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Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, das von der Beklagten vorgelegte Zahlenwerk sei zum einen als verspätet nicht zu berücksichtigen und zum anderen zu bestreiten. Auch sei es inhaltlich einschließlich der vorgelegten Berechnung nicht nachvollziehbar. Demgegenüber sei nach wie vor die vertragliche Einzelzusage des verstorbenen Ehemannes des Klägers zu vollziehen; es sei zu bestreiten, dass diese bei der Beklagten zu erheblichen Mehrbelastungen geführt habe, die ihr nicht weiter zuzumuten seien. Die Beklagte lege nicht substantiiert dar, wie hoch der seit Erteilung der Versorgungszusage eingetretene Steigerungssatz gegenüber dem ursprünglichen Dotierungsrahmen bei Vergleich der Pensionslasten aller vergleichbarer bestehender Betriebsrentner eingetretener Steigerungssatz gegenüber dem ursprünglichen Dotierungsrahmen sei. Eine ordnungsgemäße Gegenüberstellung der Barwerte der derzeitigen Versorgungsanwartschaften und der Renten mit und ohne zwischenzeitlich eingetretenen gesetzliche Änderung der Rahmenbedingungen seit der Versorgungszusage der Klägerin habe der Beklagte nicht gegenübergestellt oder ansatzweise nachvollziehbar berechnet. Die angegebene Steigerung von 107,36 % entspreche nicht der Gegenüberstellung der Barwerte der Versorgungszusage.
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Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Klägerin im Berufungsverfahren wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 13.07.2017 (Bl. 251 bis 254 d. A.) sowie ihre Schriftsätze vom 15.08.2017 (Bl. 169 bis 271 d. A.) sowie vom 17.08.2017 (Bl. 271 bis 276 d. A.) und schließlich vom 05.10.2017 (Bl. 281 bis 283 d. A.) Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.
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Schließlich wird Bezug genommen auf die Sitzungsprotokolle vom 09.10.2017 und vom 07.05.2018. | 1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 26.01.2017 - 3 Ca 985/16 - aufgehoben.
2. Die Klage wird abgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.
4. Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Hessisches Landessozialgericht 13. Senat | Hessen | 0 | 1 | 09.12.1996 | 0 | Randnummer
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Streitig ist, ob dem Kläger ein Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit zusteht.
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Der 1955 geborene Kläger erlernte in den Jahren 1973 bis 1976 den Beruf des technischen Zeichners und in den Jahren 1977 bis 1979 im Rahmen einer Umschulungsmaßnahme des Arbeitsamts B den Beruf des Kraftfahrzeugmechanikers, den er in der Folgezeit auch rentenversicherungspflichtig ausübte. Im Jahr 1982 absolvierte er die Meisterprüfung für das Kfz-Handwerk. Anschließend war er bis Juni 1986 als technischer Angestellter (Techniker-Trainer) bei der Firma H beschäftigt. Seit Juli 1986 ist der Kläger selbständig erwerbstätig als Mitinhaber des Autohauses D und F (F-Vertragshändler) mit nunmehr 10 Mitarbeitern. Er hat bis April 1989 Pflichtbeiträge nach dem Handwerkerversicherungsgesetz entrichtet. Der Kläger und sein Mitgesellschafter F sind jeder zur Hälfte an dem Autohaus beteiligt.
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1988 erlitt der Kläger einen Bandscheibenvorfall bei L4/L5. Im Mai 1989 wurde eine percutane Bandscheibenoperation und nach erneutem Auftreten der Beschwerdesymptomatik im Juli 1989 eine Radikolyse bei L5 durchgeführt.
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Am 25. Oktober 1989 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit. Auf deren Veranlassung wurde er daraufhin von der Sozialmedizinerin Frau Dr. H von der ärztlichen Untersuchungsstelle D der Beklagten untersucht. In ihrem Gutachten vom 20. Februar 1990 diagnostizierte Frau Dr. H einen Bandscheibenvorfall median bei Lendenwirbel 4/5 und Bandscheibenvorwölbung bei L5 links, Zustand nach Absaugung (Nukleotomie) am 2. Mai 1989 und Entlastung der Nervenwurzel L5 (Radicolyse) am 24. Juli 1989 sowie eine Herzrhythmusstörung (ventrikuläre Extrasystolen). Das Leistungsvermögen beurteilte sie dahingehend, daß der Kläger noch in der Lage sei, leichte bis gelegentlich auch mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, ohne besonderen Zeitdruck und ohne längeres Stehen, häufiges Bücken, Klettern oder Steigen auf Leitern und Gerüsten zu verrichten. Im übrigen befürwortete sie für den damals 35-jährigen Kläger eine Berufsförderung bzw. Umschulung nach einer ambulanten medizinischen Rehabilitation. Mit Schreiben vom 9. Dezember 1989 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß die Voraussetzungen für die Gewährung von berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation durch den Rentenversicherungsträger nicht erfüllt seien, und die Unterlagen daher an die für die weitere Bearbeitung zuständige Dienststelle der Bundesanstalt für Arbeit in D weitergeleitet worden seien. Im Zusatzfragebogen zum Antrag auf berufliche Rehabilitation vom 25. Oktober 1989 hatte der Kläger geltend gemacht, daß die Möglichkeit bestehe, an einer innerbetrieblichen Umschulungsmaßnahme teilzunehmen, die zwei Jahre Laufzeit haben werde. Eine weitere Tätigkeit in der Verwaltung und als Automobilverkäufer in dem Autohaus D und F sei dann möglich unter Berücksichtigung der Behinderung.
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Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag durch Bescheid vom 28. März 1990 ab, weil weder Erwerbs- noch Berufsunfähigkeit vorliege. Mit dem verbliebenen Leistungsvermögen könne der Kläger noch als Verwalter und Aufseher des Fuhrparks bei einem größeren Unternehmen oder bei städtischen Betrieben, als Kundendienstberater, Ersatzteildisponent oder als Leiter einer Großtankstelle beschäftigt sein.
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Der Kläger erhob daraufhin am 14. April 1990 Klage bei dem Sozialgericht Darmstadt. Das Sozialgericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Befundberichte von den behandelnden Ärzten eingeholt und ferner Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens auf orthopädischem Fachgebiet durch Prof. Dr. med. R. In seinem Gutachten vom 17. April 1991 diagnostizierte Prof. R Narben nach perkutaner Nukleotomie durch Absaugen im Segment L4/5 wegen Ischialgie rechts und nach operativer Freilegung der Wurzel L5 links im Segment L4/5 (bei kernspintomographisch, computertomographisch und kontrastmyelographisch sowie operativ nachgewiesenem Fehlen einer Bandscheibenprotrusion), Gefühlsstörungen im Bereich des rechten Beines an der Außenseite des Oberschenkels ohne motorische Ausfälle oder Reflexausfälle sowie Angaben über Beschwerden und Funktionseinschränkungen von seiten des Rumpfes, die jedoch durch den klinischen und röntgenologischen Befund zumindest nicht in diesem Ausmaß gedeckt seien. Zum Leistungsvermögen führte der Sachverständige aus, daß der Kläger zumindest noch vollschichtig leichte körperliche Tätigkeiten unter arbeitsmarktüblichen Bedingungen verrichten könne. Das Sozialgericht hat sodann zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts eine berufs- und wirtschaftskundliche Auskunft des Landesarbeitsamtes Hessen vom 30. Oktober 1991 eingeholt, in welcher der Kläger noch für in der Lage erachtet wird, u.a. die berufsnahe Verweisungstätigkeit eines Kundendienstberaters/Antragsannehmers zu verrichten.
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Durch Urteil vom 15. Januar 1992 hat das Sozialgericht sodann die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, daß der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit habe, weil er nicht berufsunfähig sei. Nach dem Ergebnis der Beweiserhebung auf medizinischem Gebiet stehe fest, daß der Kläger noch regelmäßig ganztags körperlich leichte Arbeiten mit gewissen Einschränkungen verrichten könne. Mit diesem Leistungsvermögen könne der Kläger möglicherweise die zuletzt versicherungspflichtig ausgeübte Tätigkeit eines mitarbeitenden selbständigen Meisters im Kraftfahrzeughandwerk nicht mehr verrichten, mit dem verbliebenen gesundheitlichen Restleistungsvermögen könne er jedoch die objektiv und subjektiv zumutbare Tätigkeit eines Kundendienstberaters/Auftragsannehmers im Kraftfahrzeughandwerk ausüben. Dem stehe nicht entgegen, daß dem Kläger eine Berufstätigkeit mit häufigem Bücken gesundheitlich nicht zugemutet werden könne. Die genannte Verweisungstätigkeit sei dem Kläger auch subjektiv zumutbar, denn nach ihrem qualitativen Wert entspreche diese Tätigkeit zumindest derjenigen eines gelernten Facharbeiters mit einer regelmäßigen Ausbildungsdauer von mehr als zwei Jahren und werde tarifvertraglich sogar häufig als Meistertätigkeit eingestuft.
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Der Kläger hat gegen das ihm am 30. Januar 1992 zugestellte Urteil des Sozialgerichts am 3. Februar 1992 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, daß er die Verweisungstätigkeit eines Kundendienstberaters oder Auftragsannehmers nicht verrichten könne, da diese Tätigkeit mit häufigem Bücken verbunden sei. Auch sei die vom Gericht auf der Grundlage des Gutachtens von Prof. Dr. R zugrunde gelegte Leistungsbeurteilung zu optimistisch. Er könne keinerlei vollschichtige Tätigkeit mehr verrichten, was durch die behandelnden Ärzte Dr. M und Prof. Dr. med. P bestätigt werde. Zum Nachweis hierfür reicht er von diesen Ärzten ausgefüllte Fragebögen der Hamburg-Mannheimer Versicherungs AG zu den Akten. Er bekomme Beschwerden nach längerem Sitzen, Stehen und Gehen sowie beim Autofahren und könne daher keine regelmäßige vierstündige Tätigkeit mehr verrichten, weder vor- noch nachmittags. Tatsächlich arbeite er als Mitinhaber und Geschäftsführer in dem Autohaus D und F im Durchschnitt lediglich drei bis dreieinhalb Stunden täglich.
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Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 15. Januar 1992 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28. März 1990 zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Oktober 1989 zu gewähren,
hilfsweise,
ein medizinisches Sachverständigengutachten zum Beweis dafür einzuholen, daß der Kläger eine ganz- oder halbtägige Tätigkeit als Werkstattmeister, Kundendienstberater, Auftragsannehmer, Sachbearbeiter oder kaufmännischer Angestellter nicht mehr ausüben kann durch ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. W, c/o Städtische Kliniken D, hilfsweise,
ein berufskundliches Gutachten zum Beweis dafür einzuholen, daß die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit keinen "Unternehmerlohn" auslöst, der der Lohnhälfte des § 43 Abs. 2 SGB VI entspricht.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie sieht sich in ihrer Auffassung durch das erstinstanzliche Urteil sowie durch das Ergebnis der im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme bestätigt. Nach den vorliegenden medizinischen Sachverständigengutachten könne der Kläger unter Berücksichtigung der qualitativen Einschränkungen nicht nur halbschichtig, sondern auch vollschichtig Arbeiten verrichten, z.B. als Kundendienstberater, Auftragsannehmer in der Kfz-Branche, Sachbearbeiter oder kaufmännischer Angestellter in einem Autohaus, einem Gebrauchtwagenhandel oder einer Mietwagenfirma sowie als Leiter einer Großtankstelle. Im übrigen sei Berufsunfähigkeit bereits deshalb ausgeschlossen, weil die von dem Kläger im eigenen Gewerbebetrieb geleistete Tätigkeit mindestens die Hälfte des Wertes der bisherigen Tätigkeit vor Eintritt der gesundheitlichen Leistungsminderung erreiche.
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Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Befundberichte eingeholt und zwar von dem praktischen Arzt H M vom 16. Juni 1992 sowie von Prof. Dr. med. P vom 15. Juli 1992. Beide Ärzte gelangen hierin zu dem Ergebnis, daß der Kläger nurmehr unterhalbschichtig tätig sein könne. Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat der Senat ferner Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädisches Sachverständigengutachten von Prof. Dr. med. N. In seinem Gutachten vom 9. Dezember 1992 diagnostizierte Prof. Dr. med. N eine Narbe über der unteren Lendenwirbelsäule nach Bandscheibenoperation, eine röntgenologisch erkennbare Vernarbung nach Bandscheibenoperation in der Etage L4/5, eine Bandscheibenvorwölbung bei L5/S1 und mit hinteren Randzackenbildungen und stellt ferner fest, daß der Kläger kaum Bewegungen mit der Wirbelsäule ausführt und ein Taubheitsgefühl ohne motorische Störungen angibt. Das Leistungsvermögen beurteilte Prof. Dr. med. N dahingehend, daß der Kläger noch in der Lage sei vollschichtig tätig zu sein, jedoch nicht mehr als körperlich mitarbeitender oder aufarbeitender Meister im Kfz-Handwerk, weil sich dabei schweres Heben und Tragen, häufiges Bücken und auch längere körperliche Zwangshaltungen (Vorneigung über Motoren oder sonstige Teile von Kraftfahrzeugen, evtl. auch Liegen unter dem Fahrzeug oder hocken) nicht vermeiden ließen. Als Verwalter oder Aufseher eines Fuhrparks sei er jedoch vollschichtig einsatzfähig. Für die damit verbundenen, im Sitzen zu verrichtenden Schreibtischtätigkeiten könne der Kläger durchaus mit einem leidensgerechten Stuhl versorgt werden. Als Kundendienstberater oder Auftragsannehmer in einer großen Kfz-Werkstatt sei er ebenfalls vollschichtig einsatzfähig unter den bereits dargelegten funktionalen Einschränkungen. Gleiches gelte für die Tätigkeit als Einzeldisponent oder als Leiter einer Großtankstelle, wenn er dabei Verwaltungstätigkeiten ausübe oder Mitarbeiter beaufsichtige, die die körperlichen Arbeiten unter seiner Anleitung verrichteten. Körperliche Tätigkeiten könnten nach alledem nur leicht sein, mit Abstützung der Wirbelsäule könnten gelegentlich aber auch kurzfristig mittelschwere Tätigkeiten verrichtet werden. Es bestehe Aussicht auf eine Beschwerdebesserung und damit auch eine Besserung des Leistungsvermögens dahingehend, daß für die Zukunft auch wieder länger anhaltende mittelschwere Arbeiten möglich sein werden. Der Kläger sei im übrigen auf sein Krankheitsbild psychisch erheblich fixiert, dieser würde nach eigenen Angaben nur etwa drei Stunden mit Unterbrechungen in seinem Betrieb die Post durchsehen und Anweisungen geben. Das Rentenbegehren spiele dabei eine offensichtliche Rolle, ansonsten hätten sich keine Hinweise dafür ergeben, daß die geistige Umstellungsfähigkeit oder die Anpassungsfähigkeit beeinträchtigt sei. Zur Abklärung der unterschiedlichen Beurteilung des Leistungsvermögens des Klägers holte der Senat eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. med. P vom 3. Mai 1993 ein. Er bemängelt hierin, daß die bei dem Kläger objektiv bestehenden schweren hypertrophischen Arthrosen der kleinen Wirbelgelenke in Höhe von L3 bis S1 in dem Gutachten von Prof. Dr. med. N nicht entsprechend berücksichtigt worden seien, obwohl er die klinische Symptomatik in seinem Gutachten beschrieben habe. Wahrscheinlich sei es so, daß er (Prof. Dr. med. P) den Kläger in einer besonderen Schmerzphase am 9. Juni 1992 untersucht habe. Seine Entscheidung weiche von der des Orthopäden Prof. Dr. med. N ab, weil sich der Beschwerdekomplex im Kreuz aus den vorliegenden Arthrosen und im Vorliegen eines wahrscheinlich spondylogenen oder gar diskogenen inkompletten Wurzelirritationssyndroms rechts zusammensetze. Möglicherweise habe Prof. Dr. med. N den Kläger damals in einer schmerzarmen Phase untersucht. In einer weiteren von Prof. Dr. med. N durch den Senat eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 27. August 1993 kommt dieser zu dem Ergebnis, daß sich keine wesentlichen Unterschiede in den Feststellungen durch Prof. Dr. med. P und seinen eigenen Feststellungen ergeben würden. Er komme allerdings nach den objektivierbaren Befunden zu einer eindeutig anderen Beurteilung des Leistungsvermögens des Klägers als Prof. Dr. med. P, für ihn ergebe sich jedoch auch nach der Stellungnahme von Prof. Dr. med. P keine andere Beurteilung des Leistungsvermögens. Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat der Senat sodann einen neuerlichen Befundbericht von dem praktischen Arzt H M vom 21. April 1994 sowie ein orthopädischen Sachverständigengutachten von Prof. Dr. med. H eingeholt. In seinem Gutachten vom 4. Januar 1995 diagnostizierte Prof. Dr. med. H einen Zustand nach perkutaner Nukleotomie in Höhe L4/L5 rechts, einen Zustand nach erweiterter interlaminärer Fensterung und Radikolyse L5 links, eine dorso-median gelegene rechtsbetonte Bandscheibenprotrusion in Höhe L5/S1, eine Arthrose der Facettengelenke rechtsbetont im Bereich der unteren beiden Segmente der Lendenwirbelsäule sowie eine chronische rechtsbetonte Lumboischialgie ohne nennenswerte neurologische Defizite. Hieraus ergebe sich für den Kläger eine dauerhafte Verminderung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben dahingehend, daß diesem nur noch leichte bis mittelschwere Arbeiten vollschichtig zuzumuten seien. Hinsichtlich der Tätigkeit als selbständiger Vertragshändler einer großen Automarke könne der Kläger unter den vorbeschriebenen Bedingungen Tätigkeiten ausführen, die insbesondere organisatorische, administrative und überprüfende Tätigkeiten umfasse. Im übrigen sollten die Tätigkeiten abwechselnd sitzend und stehend ohne Zwangshaltungen, Heben und Bücken und allenfalls mit kurzfristigen Über-Kopf-Arbeiten sowie ohne Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten verrichtet werden können. Nach Möglichkeit sollte der Kläger in geschlossenen und warmen Räumen arbeiten können.
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Seit Mai 1995 bat der Kläger um Gelegenheit zur Einholung einer fachärztlichen Stellungnahme zu diesem Gutachten mit insgesamt siebenmaligem Ersuchen um Fristverlängerung. Mit Schriftsatz vom 27. August 1996 reichte der Kläger schließlich ein von ihm privat in Auftrag gegebenes neurologisches Fachgutachten von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. med. E vom 14. August 1996 zu den Akten. Prof. Dr. E führt als Diagnosen eine degenerative Wirbelsäulenerkrankung mit rezidivierender Lumboischialgie mit intermittierenden sensiblen Reiz- und Ausfallsymptomen im Segment L 4/L 5 und L 5/S 1 beiderseits rechts betont, ein degeneratives Facettensyndrom der unteren Lumbalsegmente rechts betont mit Blockierung der Lendenwirbelsäule bzw. eingeschränkter Lendenwirbelsäulenbeweglichkeit, ein chronisches Lendenwirbelsäulensyndrom mit Schmerzen, Muskelverspannungen und Bewegungseinschränkung, einen Zustand nach Nukleotomie L 4/L 5 rechts und offener Radikolyse L 4/L 5 links mit Radikulopathie im gleichen Segment rechts betont bei reizlosen Narbenverhältnissen sowie eine depressive Entwicklung bei chronisch rezidivierendem Schmerzsyndrom fest. Er kommt zu dem Ergebnis, daß der Kläger zum jetzigen Zeitpunkt aufgrund seines Gesundheitszustandes auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht arbeitsfähig sei. Bei fortgesetzter gutachterlicher und gerichtlicher Auseinandersetzung über die Erkrankung werde keine Besserung eintreten. Die Berufsunfähigkeit für die Tätigkeit als Kfz-Meister sei von allen Gutachtern anerkannt, sie sei unabhängig von dem prozentualen Grad der Behinderung anzuerkennen. Die Erwerbsfähigkeit beschränke sich zum jetzigen Zeitpunkt auf stundenweise Tätigkeiten in dem eigenen Betrieb. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht sei eine intensive physikalische Therapie und psychologische Führung durchzuführen. Für eine operative Behandlung bestünde zur Zeit keine Indikation. Zu einer manifesten psychiatrischen Diagnose wie einer reaktiven Depression sei es bei dem Kläger noch nicht gekommen. Die Beklagte reicht hierzu eine Stellungnahme ihrer ärztlichen Beraterin Frau Dr. med. T vom 16. September 1996 zu den Akten, in der diese im wesentlichen ausführt, daß sich aus dem Fachgutachten von Prof. Dr. med. E keine wesentliche gesundheitliche Verschlechterung von gegebenenfalls leistungsrelevanter Bedeutung ergebe. Der Leistungsbeurteilung sei entgegenzuhalten, daß die als klinische Verschlechterung angegebene rezidivierende S 1-Symptomatik rechts bereits bei Rentenantragstellung bekannt gewesen und in sämtlichen maßgeblichen Vorgutachten sozialärztlich berücksichtigt worden sei. Bei Beachtung der im Krankheitsverlauf seit März 1989 computertomographisch und kernspintomographisch erhobenen lumbalen Befunde mit der beschwerdeverursachenden Bandscheibenprotrusion im Segment L 5/S 1 rechts. Auch eine neu beschriebene Imprimierung der Wurzeltasche S 1 könne keine dauerhafte quantitative oder qualitative Leistungsminderung begründen. Auch eine klinische Verschlechterung der Funktionalität sei nicht ersichtlich, nachdem klinisch-funktionelle Prüfungen nicht durchgeführt worden seien.
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Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts mit den Beteiligten und zur Beweisaufnahme am 24. September 1996 wurde der Mitgeschäftsführer und Mitinhaber des Autohauses D und F, Herr R F, als Zeuge vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 24. September 1996 verwiesen.
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Auf Anforderung des Gerichts reichte der Kläger die Bilanzen des Autohauses D und F mit Gewinn- und Verlustrechnung für die Jahre 1987 bis 1995 sowie eine Bestätigung des Steuerberaters Dipl. -Kaufmann G P vom 29. Oktober 1996 zu den Akten. Hiernach hat der Kläger in diesen Jahren keine Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit bezogen, sondern hatte als Gesellschafter des Autohauses D und F Gewinnanteile zwischen 79.879,00 DM (1994) und 209.702,00 DM (1991) zu versteuern. Nach den Kennzahlen zur Vermögens- und Kapitalstruktur dieser Firma, die den Bilanzen teilweise beigefügt sind, beträgt der Eigenkapitalanteil bzw. die Anlageintensität zwischen 13,95 % und 36,87 %, der Verschuldungsgrad zwischen 196,89 % und 496,20 %, die Eigenkapitalrentabilität vor Steuern zwischen 88,59 % und 663,38 % sowie die Gesamtkapitalrentabilität zwischen 32,88 % und 136,37 %.
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Im einzelnen ergeben sich für die Jahre 1987 bis 1995 nachfolgende Beträge und Werte:
1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995
1. Gewinn je Miteigentümer
103.279, 99.879, 134.123, 168.575 209.702 125.857, 126.892 79.649,-
120.840,-20.840,
2. Miete
31.200,- 31.750, 32.027,4 40.102,80 39.650, 40.283,- 47.342, 62.682,-
134.52034.520,
3. Festkapital Miteigentümer D.
34.000,- 1.353,- 64.658 45.859, 34.808,- 39.590, 92.511,-
76.547.547,-
4. Eigenkapitalanteil in % (Anlageintensität in %)
36,87 36,49 16,77 18,90 13,95 33,68
5. Verschuldungsgrad in %
496,20 616,76 196,89
6. Eigenkapitalrentabilität
663,38 363,78 88,59
7. Gesamtkapitalrentabilität
125,47 136,37 113,10 91,23 52,77 32,88
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Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstands im übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Rentenakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. | I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 15. Januar 1992 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Hessischer Verwaltungsgerichtshof 6. Senat | Hessen | 0 | 0 | 21.09.2011 | 0 | Randnummer
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Die am … 1968 in Teheran geborene Klägerin 1. und ihre am … 1992 - ebenfalls in Teheran - geborene Tochter, die Klägerin zu 2., sind iranische Staatsangehörige. Die Klägerinnen verließen ihr Heimatland am 28. Juni 2007 und reisten nach ihren Angaben, von Teheran kommend, auf dem Luftweg über den Flughafen Hamburg in das Bundesgebiet ein.
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2
Die Klägerinnen wurden am 12. Juli 2007 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu den Gründen ihres Asyl- und Flüchtlingsgesuchs angehört. Die Klägerin zu 1. gab hierbei im Wesentlichen an, ihr Ehemann habe vor sieben oder acht Monaten den Iran wegen politischer Probleme verlassen. Danach habe er sich bei seiner Familie nicht mehr gemeldet. Sie wisse nicht, wo er sich jetzt aufhalte. Er habe Schwierigkeiten mit Freunden in der Regierung bekommen, mit denen er zuvor zusammengearbeitet habe. Kurz bevor er weggegangen sei, habe er ihr - der Klägerin zu 1. - Unterlagen übergeben. Hierbei habe es sich um ein paar Überweisungen, Geldtransferscheine und Fotos von Mullahs gehandelt, die beim Rauchen von Opium fotografiert worden seien. Ihr Ehemann habe ihr gesagt, dass es sich um geheime Unterlagen handele, die sie zunächst einmal verstecken und später, falls er das Land verlassen habe und in Sicherheit sei, veröffentlichen solle. Ihre Tochter - die Klägerin zu 2. - habe die Unterlagen dann als Dateien auf CD gespeichert und sie selbst habe die CDs zwischen Dezember und Januar 2006/2007 an verschiedene Zeitungen geschickt. Einige Exemplare habe ihre Tochter an Freundinnen verteilt. Hiervon habe sie nichts gewusst. Eine der CDs habe man bei einer Freundin ihrer Tochter, die wegen Verstoßes gegen die islamischen Kleidervorschriften festgenommen worden sei, bei einer Hausdurchsuchung gefunden. Im Mai oder Juni hätten sie während eines Ausflugs zum Kaspischem Meer mit einer Freundin ihrer Tochter in Teheran telefoniert. Diese habe ihrer Tochter gesagt, dass sie in Teheran gesucht würden. Das gleiche habe sie von ihrer Schwester gehört, die bei einem Telefongespräch gleichfalls davor gewarnt habe, nach Teheran zurückzukehren. Danach hätten sie dann das Land verlassen. Um die Ausreise finanzieren zu können, habe sie ihr Auto in Zahlung gegeben.
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Mit Bescheid vom 19. Februar 2009 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag der Klägerinnen auf Anerkennung als Asylberechtigte ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen und forderte die Klägerinnen auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides, im Falle der Klageerhebung innerhalb eines Monats nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens, zu verlassen. Im Falle der Nichteinhaltung der Ausreisefrist wurde den Klägerinnen die Abschiebung in den Iran oder in einen anderen Staat angedroht, in den sie einreisen dürfen oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigte seien im vorliegenden Fall schon aufgrund der Ausschlussbestimmung in Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG nicht erfüllt, denn die Klägerinnen hätten nicht nachweisen können, auf direktem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein. Es bestehe auch kein Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes nach 60 Abs. 1 AufenthG. Der unglaubhafte Vortrag der Klägerinnen biete keine Grundlage für die Annahme, sie hätten aus begründeter Furcht vor politischer Verfolgung den Iran verlassen. Vielmehr seien sie offensichtlich aus rein persönlichen Gründen ausgereist. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor.
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Am 25. Februar 2009 erhoben die Klägerinnen bei dem Verwaltungsgericht Kassel Klage.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, sie - die Klägerinnen - hätten entgegen der Ansicht des Bundesamtes einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte, den sie hätten, wie von Verwandten, die sie am Flughafen in Hamburg abgeholt hätten, bezeugt werden könne, Deutschland auf dem Luftweg erreicht. Ihr Asylvortrag sei auch nicht, wie in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausgeführt werde, unglaubhaft. Vielmehr hätten sie in ihrer Anhörung vor dem Bundesamt eindeutig politische Verfolgungsgründe angegeben. Diese Verfolgungsgründe hätten deshalb einen politischen Hintergrund, weil der Ehemann bzw. Vater der Klägerinnen nicht nur im Besitz von brisantem politischem Material, sondern sogar Zeuge entsprechender Vorgänge gewesen sei. Zum einen gelte dies für das in hochrangigen Kreisen der iranischen Gesellschaft untersagte Opiumrauchen, zum anderen für die auf den CDs dokumentierten finanziellen Unterlagen. Es sei zu vermuten, dass diese Gelder auf illegale Weise erworben worden seien und dass der Kauf eines Autos als Geldwäsche gedient habe. Deshalb sei der Ehemann bzw. Vater der Klägerinnen als Zeuge sehr stark gefährdet gewesen, so dass er habe verschwinden müssen. Weiterhin könnten sich die Klägerinnen auf relevante Nachfluchtgründe berufen. Die Klägerin zu 1. habe in Deutschland den Aufruf der "Kampagne für Gleichheit" der iranischen Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi unterzeichnet und sich darüberhinaus im iranischen Menschenrechtsverein in Hannover engagiert. Insbesondere aber unterhalte sie unter ihrem eigenen Namen eine eigene Website, in der sie seit Monaten regierungs- bzw. regimekritische Stellungnahmen abgebe. In der vom iranischen Menschenrechtsverein Hannover herausgegebenen Zeitung "Azadegy" (Freiheit) habe sie mehrfach Artikel über die Lage der Frauen im Iran mit kritischem Unterton sowie Beiträge verfasst, in denen sie sich in außerordentlich kritischer Weise über die schlechte Arbeit der iranischen Regierung geäußert habe. Im Magazin "Bashariyat" Nr. 91 vom September 2009 habe sie zusammenfassend einen Artikel der Journalistin Christina Paterson wiedergegeben, die unter der Überschrift "Prostitutionsgefühl unter obligatorischer Verschleierung im Iran" die Eindrücke einer Besuchsreise im Iran geschildert habe. In ähnlicher Weise habe sich die Klägerin zu 2. politisch betätigt. Sie unterhalte ebenfalls eine eigene Website, in der sie regimekritische Stellungnahmen veröffentliche. Darüber hinaus habe die Klägerin zu 2. in der Zeitschrift "Azadegy" vom Juni 2009 sowie im Magazin "Bashariyat" selbstverfasste Gedichte mit regimefeindlichem Hintergrund veröffentlicht. In der Ausgabe Nr. 93 des Magazins "Bashariyat", in der Gedichte der Klägerin zu 2. abgedruckt seien, werde auch die Klägerin zu 1. erwähnt, und zwar als Verantwortliche der monatlichen Versammlungen der Gießener Ortsgruppe der Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte im Iran.
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Die Klägerinnen beantragten,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 19. Februar 2008 (richtig: 2009) zu verpflichten, die Klägerinnen als Asylberechtigte anzuerkennen sowie festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG,
hilfsweise Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2-7 AufenthG vorliegen.
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7
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
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Mit Urteil vom 25. Januar 2010 wies das Verwaltungsgericht Kassel die Klage ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Klägerinnen hätten weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte und Feststellung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG, noch könne zu ihren Gunsten ein Abschiebungshindernis im Sinne von § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festgestellt werden. Die Klägerinnen seien unverfolgt aus ihrem Heimatland ausgereist und müssten auch im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit politische Repressalien des iranischen Staates befürchten. Die von Ihnen geschilderten Vorgänge vor der Ausreise seinen unglaubhaft. Die Klägerinnen hätten auch aufgrund ihrer politischen Betätigung in Deutschland mit keinen politisch begründeten Maßnahmen im Iran zu rechnen. Die Gefahr einer politischen Verfolgung könne bei vernünftiger Betrachtung der persischen Exilszene nur bei solchen Emigranten angenommen werden, die bei ihren Aktivitäten besonders hervorträten und deren Gesamtverhalten den iranischen Stellen als ernsthafte, auf die Verhältnisse im Iran einwirkende Regimegegnerschaft erscheinen müsse. Eine politische Verfolgung wegen oppositioneller Betätigung im Ausland sei nur dann zu befürchten, wenn die konkrete Betätigung mit einer gewissen Qualität gegen das iranische Regime gerichtet sei und die iranischen Behörden aufgrund dieser Betätigung und des Vorlebens des Betroffenen davon ausgehen müssten, dass es sich um einen ernsthaften Regimegegner handele. Diese Voraussetzungen seien im Falle der Klägerinnen nicht erfüllt. Zwar hätten sie mehrere Artikel bzw. Gedichte mit regimekritischem Unterton in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht und seien beide Mitglieder der regimekritischen Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte im Iran e.V. Angesichts der Vielzahl exiliranischer Publikationen, die sich allesamt kritisch mit dem derzeitigen Regime auseinandersetzten, höben sich die Klägerinnen auf diese Weise aber nicht in signifikanter Weise aus der Masse der in Westeuropa lebenden Exiliraner heraus. Auch seien sie nicht an führender Stelle innerhalb der Exilorganisation tätig. Auch der Umstand, dass die Klägerinnen Internetbloggs unterhielten, in denen sie unter Nennung des eigenen Namens regimekritische Texte und Fotos veröffentlicht hätten, führe zu keiner anderen Betrachtungsweise. Ungeachtet der intensiven Überwachung von Internetbeiträgen im Iran sei die Gefahr für solche Webblogger, bei denen es sich um eher private Aktivitäten handele, vergleichsweise gering. Ein Filtersystem sorge dafür, dass verdächtige Seiten mit bestimmten Wörtern nicht mehr zugänglich seien und damit auch politische Seiten gesperrt würden. Zwar sei es mit Rücksicht auf die in letzter Zeit zu beobachtenden verstärkten Anstrengungen des iranischen Regimes, die im Internet aktive Opposition unter Kontrolle zu bringen und angesichts der Ausweitung der Strafbarkeit auf bestimmte Handlungen im Internet mit dem Erlass des Gesetzes gegen Cyberkriminalität im Juli 2009 nicht völlig auszuschließen, dass auch die Klägerinnen ins Blickfeld iranischer Stellen gerieten. Angesichts der Vielzahl vergleichbarer kritischer Webbloggs und mit Rücksicht darauf, dass die Klägerinnen wie auch andere Blogger offensichtlich auf einen Pool bestimmter Bilder und Texte zurückgriffen, um ihrer Kritik Ausdruck zu verleihen, fehle es jedoch an der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung gerade der Klägerinnen.
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Auf Antrag der Klägerinnen wurde die Berufung gegen das vorgenannte Urteil vom 25. Januar 2010 zugelassen.
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Zur Begründung der zugelassenen Berufung verweisen die Klägerinnen auf ihr Vorbringen erster Instanz und tragen ergänzend vor, das Verwaltungsgericht sei zwar prinzipiell zu Recht von der Strafbarkeit regimekritischer Äußerungen im Internet im Iran ausgegangen, habe jedoch unzutreffend die Auffassung vertreten, dass nur solche Autorinnen und Autoren in Verfolgungsgefahr gerieten, die in besonderer Weise aus dem Kreis der Oppositionellen herausgehoben seien. Die Verfolgungsmaßnahmen des iranischen Staates richteten sich bereits seit längerer Zeit nicht mehr nur gegen besonders herausgehobene Oppositionelle oder Anführer der Opposition, sondern schonungslos gegen jedweden, der sich regimekritisch äußere und identifizierbar sei. Ihr bereits erstinstanzlich vorgetragenes exilpolitisches Engagement hätten sie - die Klägerinnen - kontinuierlich fortgeführt; sie seien beide weiterhin aktive Mitglieder in der Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte im Iran und veröffentlichen regelmäßig Beitrage in den Zeitschriften "Bashariyat" und "Azadegy".
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Die Klägerinnen haben in der mündlichen Verhandlung am 21. September 2011 ihre Klage insoweit zurückgenommen, als diese auf die Verpflichtung der Beklagten gerichtet war, sie - die Klägerinnen - als Asylberechtigte anzuerkennen.
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Sie beantragen,
die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Kassel vom 25. Januar 2010 und des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 19. Februar 2009 zu verpflichten, den Klägerinnen die Flüchtlingseigenschaft gem. §§ 3 Abs. 1 AsylVfG, 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen,
hilfsweise,
Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festzustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Die Klägerinnen wurden im Berufungsverfahren durch den Vorsitzenden des Senats als Beteiligte ergänzend zu den Gründen ihrer Ausreise und zu ihren exilpolitischen Aktivitäten in Deutschland vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Verhandlungsniederschrift vom 8. September 2010 (Bl. 243-245 der Gerichtsakten) verwiesen. Der Senat hat gutachterliche Stellungnahmen des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und von Herrn Uwe Brocks sowie eine Auskunft des Auswärtigen Amtes eingeholt. Hinsichtlich der Einzelheiten des Auskunftsersuchens wird auf Bl. 184-186 der Gerichtsakten, wegen des Inhalts der den Senat zugegangen gutachterlichen Stellungnahmen von Uwe Brocks vom 22. Oktober 2010 und Dr. Jörn Thielmann vom Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa vom 21. Februar 2011 wird auf Bl. 277-289 und Bl. 324-330 der Gerichtsakten, wegen des Inhalts der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 9. August 2010 auf Bl. 225-227 der Gerichtsakten verwiesen.
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Dem Senat liegen die Behördenakten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (ein Hefter) vor. Sie waren, ebenso wie die Auskünfte und Gutachten, die dem Senat zu Iran vorliegen und die den Beteiligten in Form einer Erkenntnisquellenliste mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung zugänglich gemacht worden sind, Gegenstand der mündlichen Verhandlung. | Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klägerinnen die gegen Nr. 1 des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 19. Februar 2009 gerichtete Klage zurückgenommen haben.
Auf die Berufung der Klägerinnen wird die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Kassel vom 25. Januar 2010 und teilweiser Abänderung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 19. Februar 2009 verpflichtet, den Klägerinnen die Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 Abs. 1 AsylVfG, 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen.
Die Beklagte hat die Kosten des gesamten Verfahrens einschließlich der Kosten des Verfahrens auf Zulassung der Berufung zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerinnen vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 1 | 1
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für eine Werbegroßfläche.
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Am 06.03.2014 hatte die Klägerin eine Baugenehmigung für die Errichtung einer unbeleuchteten Werbegroßfläche für das Grundstück xxxstr. 32 in Oberhausen-Rheinhausen, Flst. Nr. xxx, beantragt. Dieser Bauantrag wurde vom Landratsamt Karlsruhe mit Schreiben vom 20.06.2014 abgelehnt. Zur Begründung ist auf das fehlende Einvernehmen abgestellt. Des Weiteren ist ausgeführt, die Eigenart der näheren Umgebung des Baugrundstücks entspreche einem Wohngebiet. Gewerbliche Anlagen, wie es eine Werbetafel mit Fremdwerbung sei, seien in einem allgemeinen Wohngebiet nicht zulässig.
3
Am 04.02.2015 beantragte die Klägerin erneut die Errichtung einer unbeleuchteten Werbegroßfläche für wechselnden Plakatanschlag am gleichen Standort auf dem zuvor genannten Anwesen.
4
Mit Schreiben vom 23.02.2015 teilte das Landratsamt Karlsruhe der Klägerin mit, dass sich die Sach- und Rechtslage seit der Entscheidung vom 20.06.2014 nicht geändert habe, weshalb die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens (§ 51 LVwVfG) nicht erfüllt seien. Bei einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Ablehnungsbescheids vom 20.06.2014 seien ferner keine Fehler erkennbar gewesen, welche zu einem Wiederaufgreifen des Falles nötigen würden. Im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessen hätten sie sich dazu entschieden, keinen Zweitbescheid zu erlassen, sondern die bestandskräftige Entscheidung vom 20.06.2014 zu bestätigen. Dem Bescheid war keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt. Dagegen wendete sich die Klägerin mit Schreiben vom 28.03.2015 und legte hilfsweise Widerspruch ein.
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Mit Bescheid vom 01.04.2015 wies das Landratsamt den Bauantrag zurück. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 LVwVfG für ein Wiederaufgreifen lägen nicht vor. Im Übrigen sei die Frist des § 51 Abs. 3 LVwVfG verstrichen. Auch ohne dass die Wiederaufgreifensvoraussetzungen vorlägen, habe die Behörde auf einen zweiten Bauantrag hin zu prüfen, ob es sich noch um dasselbe Verfahren handelt und ob die vorausgegangenen Entscheidung Fehler aufweise, die die Behörde im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens zum Wiederaufgreifen nötigen. Die Änderungen der LBO seien nicht entscheidungserheblich. In planungsrechtlicher Hinsicht sei keine Änderung erfolgt. Bei einer Überprüfung des Ablehnungsbescheids seien ferner keine Fehler erkennbar gewesen, welche zum Wiederaufgreifen des Falles nötigen würden. Im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens hätten sie sich dazu entschieden, keinen Zweitbescheid zu erlassen, sondern ihre bestandskräftige Entscheidung vom 20.06.2014 zu bestätigen.
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Am 29.04.2015 legte die Klägerin dagegen Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie geltend machte, ihr könne das Rechtsschutzinteresse an dem Bauantrag vom 04.02.2015 nicht abgesprochen werden. Auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 28.10.1974 - I VB 313.74, BRS 28 Nr. 105) werde verwiesen.
7
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 24.07.2015 als unbegründet zurückgewiesen. Darin ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Schreiben der Klägerin vom 27.03.2015 und 28.04.2015 seien dahingehend zu verstehen, dass mit zwei Widersprüchen die jeweilig zuzuordnenden Bescheide angegriffen werden sollten, was zulässig sei. Die Widersprüche seien jedoch unbegründet. Der Bescheid vom 20.06.2014 sei bestandskräftig geworden. Es liege im Ermessen der Baurechtsbehörde, ob sie mit ihrer erneuten Entscheidung über einen identischen Bauantrag ihre erste Entscheidung lediglich bestätige oder wiederhole (wiederholende Verfügung) oder ob sie eine neue Sachentscheidung treffe, die den Erstbescheid in vollem Umfang ersetze. Deshalb sei nicht zu beanstanden, dass das Landratsamt eine lediglich den Erstbescheid wiederholende Entscheidung ohne Prüfung in der Sache erlassen habe. Ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 LVwVfG bestehe nur dann, wenn hinsichtlich des behördlichen Ermessens eine „Ermessensreduzierung auf null“ vorliege. Von einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 20.06.2014 könne hier nicht ausgegangen werden. Das Landratsamt habe das betreffende Baugebiet zu Recht als allgemeines Wohngebiet klassifiziert, in welchem gewerbliche Nutzungen wie eine Fremdwerbungsanlage unzulässig seien (§ 34 Abs. 1 BauGB). Der Widerspruchsbescheid wurde am 28.07.2015 zugestellt.
8
Am 21.08.2015 hat die Klägerin Klage erhoben; sie beantragt,
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den Bescheid des Landratsamtes Karlsruhe vom 01.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 24.07.2015 aufzuheben
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und das beklagte Land zu verpflichten, die Baugenehmigung zur Anbringung einer statischen unbeleuchteten Werbetafel auf dem Grundstück xxxstr. 32, Oberhausen-Rheinhausen gemäß ihrem Bauantrag vom 04.02.2015 zu erteilen.
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Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Mit ihrem Bauantrag vom 04.02.2015 habe sie keinen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 VwVfG gestellt, sondern ausdrücklich einen Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung, über den nicht entschieden worden sei. Der vorherige Ablehnungsbescheid aus dem Jahr 2014 hindere nicht an der erneuten Bauantragstellung, die dann ordnungsgemäß in der Sache selbst zu bescheiden sei. Für den neu gestellten Bauantrag vom 04.02.2015 sei ein Sachbescheidungsinteresse gegeben. Auf die einschlägige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 28.10.1974 - IVB 313.74 - BRS Nr. 195) werde verwiesen. Falls die Behörde weiterhin der Auffassung sei, dass der Bauantrag vom 04.02.2015 aufgrund mangelndem Sachbescheidungsinteresse zurückzuweisen sei, sei auch dies zu bescheiden. Die Behörde habe auf ihren Antrag vom 04.02.2015 fadenscheinige Ausführungen zum Wiederaufgreifen gemacht, was so von ihr nie beantragt worden sei. .
12
Das zur Genehmigung gestellte Vorhaben sei materiell-rechtlich genehmigungsfähig. Der Nahbereich sei aufgrund der vorhandenen Gewerbebetriebe als Mischgebiet oder jedenfalls als Gemengelage zu klassifizieren, sodass insgesamt die Genehmigungsfähigkeit des Werbevorhabens bauplanungs- und bauordnungsrechtlich erkennbar sei.
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Das beklagte Land betragt,
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die Klage abzuweisen.
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Es ist der Ansicht, die Klage sei unbegründet. Zur Begründung verweist es auf die angefochtenen Bescheide.
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Die Beigeladene beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht durch Einnahme eines Augenscheins Beweis erhoben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die darüber gefertigte Niederschrift sowie auf die aufgenommenen Fotos verwiesen. Dem Gericht liegen die Verwaltungsakten des beklagten Landes (2 Hefte) sowie die Widerspruchsakten des Regierungspräsidiums Karlsruhe (1 Heft) vor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf deren Inhalt und den der gewechselten Schriftsätze verwiesen. | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. | 0 |
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Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht 5. Senat | Schleswig-Holstein | 1 | 1 | 23.08.2018 | 0 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.
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Rechtsvorgängerin der Klägerin war bis 2013 die katholische Wohltätigkeitsanstalt zur heiligen Elisabeth, eine rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts mit Sitz in R…. Im Krankenhaus der Klägerin in L… war die bei der Beklagten versicherte F… (Versicherte) ab dem 1. November 2010 in stationärer Behandlung. Die Aufnahme erfolgte wegen vaginaler Blutungen. Ausweislich des Entlassungsberichts vom 16. November 2010 bestanden unter anderem ein hochgradiger Verdacht auf einen Harnblasentumor, eine Makrohämaturie unter oraler Antikoagulation mit Marcumar – induziertem Quick (7 %), ein Verdacht auf begleitenden Harnwegsinfekt, eine Multiple Sklerose seit dem 18. Lebensjahr, eine tiefe Beinvenenthrombose und tiefe Beckenvenenthrombose 9/2003, seitdem orale Antikoagulation mit Coumadin, aktuell ausgesetzt, Verdacht auf Leberzirrhose mit unklarer Genese, arterielle Hypertonie und Folsäuremangel.
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Am 3. November 2010 wurde die Versicherte in die Gemeinschaftsklinik K…–…/K… in K… verlegt. Ausweislich des Entlassungsberichts des E.krankenhauses L… sollte eine weitere Diagnostik und Therapie wegen des im CT gesehenen hochgradigen Verdachts auf Harnblasenkarzinom durchgeführt werden. Außerdem sollte noch geklärt werden, ob eine weiterführende orale Antikoagulation erforderlich war.
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In der Zeit vom 3. November 2010 bis zum 11. November 2010 war die Versicherte in dem Krankenhaus K… in K… in stationärer Behandlung. Ausweislich des Entlassungsberichts vom 11. November 2010 wurde die Versicherte mit einer Antibiose weiterbehandelt. Im Rahmen einer diagnostischen Zystoskopie wurde ein Blasentumor ausgeschlossen. Die Versicherte wurde am 11. November 2010 nach Hause entlassen. Die Uhrzeit der Entlassung lässt sich den von der Beklagten vorgelegten Akten nicht entnehmen.
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Am 12. November 2010 um 10:20 Uhr wurde die Versicherte durch den Notarzt wegen eines Kollapses in das E.krankenhaus L… eingewiesen. Ausweislich des Entlassungsberichts vom 19. Januar 2012 wurden dort die Diagnosen einer Gastroenteritis nach antibiotischer Therapie gestellt. Die Patientin wurde am 10. Dezember 2010 in die Kurzzeitpflege verlegt.
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Die Rechtsvorgängerin der Klägerin machte mit Rechnung vom 26. November 2010 Krankenhausbehandlungskosten für den Zeitraum vom 1. November 2010 bis zum 3. November 2010 in Höhe von 1.127,55 EUR geltend. Diese Rechnung wurde am 17. Dezember 2010 von der Beklagten bezahlt. Mit Rechnung vom 27. Dezember 2010 machte die Rechtsvorgängerin der Klägerin Kosten der Krankenhausbehandlung für den Zeitraum vom 12. November 2010 bis zum 10. Dezember 2010 in Höhe in Höhe von 5.181,62 EUR geltend. Diese Rechnung wurde am 17. Februar 2011 bezahlt.
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Mit Schreiben vom 10. November 2011 teilte die Beklagte der Rechtsvorgängerin der Klägerin mit, dass die Behandlungen vom 1. November 2010 bis zum 3. November 2010 und vom 12. November 2010 bis zum 10. Dezember 2010 nicht gesondert abgerechnet werden könnten. Es sei vielmehr eine Fallzusammenführung vorzunehmen, da die Patientin innerhalb 30 Kalendertagen ab Entlassungsdatum des ersten Krankenhausfalls in dasselbe Krankenhaus rückverlegt worden sei. Mit Schreiben vom 28. November 2011 lehnte das Krankenhaus eine Fallzusammenführung und Stornierung der Rechnungen ab.
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Die Beklagte verrechnete daraufhin am 12. Dezember 2011 einen Betrag in Höhe von 5.181,62 EUR. Am 16. Juni 2012 verrechnete sie 1.127,55 EUR. Am gleichen Tag zahlte sie an die Klägerin 5.526,72 EUR.
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Am 30. Juli 2012 hat die Rechtsvorgängerin der Klägerin beim Sozialgericht Lübeck Klage auf Zahlung von 1.910,00 EUR nebst Zinsen erhoben. Während des Klageverfahrens hat sie die Klage teilweise zurückgenommen und zuletzt nur noch die Zahlung von 782,45 EUR nebst Zinsen verlangt.
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Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, eine Stornierung der Rechnungen vom 26. November 2010 und 27. Dezember 2010 vorzunehmen. Sie habe die Frist des § 275 Abs. 1c SGB V versäumt. Außerdem habe es die Beklagte unterlassen, den medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) einzuschalten. Im Übrigen sei eine Verrechnung der Forderungen nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ausgeschlossen, weil zwischen der Rechnungsstellung am 26. November 2010 und dem Schreiben der Beklagten vom 10. November 2011 ein Zeitraum von einem Jahr liege. Im Übrigen seien die Voraussetzungen einer Fallzusammenführung nicht erfüllt. Die Versicherte sei am 11. November 2010 regulär aus dem Krankenhaus K… nach Hause entlassen worden. Aufgrund von gesundheitlichen Problemen, die am 12. November 2010 aufgetreten seien, sei die Versicherte am selben Tag erneut in das Krankenhaus der Klägerin stationär aufgenommen worden. Sie sei nicht vom K… verlegt worden. Eine Einstufung des Behandlungsfalls ab 12. November 2010 sei auch nicht nach derselben Basis–DRG vorgenommen worden wie im Zeitraum vom 1. November 2010 bis zum 3. November 2010.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 782,45 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12. Dezember 2011 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass eine gesonderte Abrechnung der beiden streitbefangenen Krankenhausaufenthalte nicht korrekt sei. Nach § 3 Abs. 3 Satz 1 der Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser in Rheinland–Pfalz für das Jahr 2010 (FPV 2010) sei eine Fallzusammenführung vorzunehmen. Nach dieser Vorschrift seien bei einer Rückverlegung eines Patienten innerhalb von 30 Tagen nach Entlassungsdatum des ersten Krankenhausaufenthalts in dasselbe Krankenhaus die Falldaten des ersten Krankenhausaufenthalts und aller weiteren, innerhalb dieser Frist in diesem Krankenhaus aufgenommenen Fälle zusammenzufassen und eine Neueinstufung nach den Vorgaben des § 2 Abs. 4 Satz 1–7 FPV 2010 in eine Fallpauschale durchzuführen. Der Fallzusammenführung stehe auch nicht entgegen, dass nicht innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1c SGB V der MDK beauftragt worden sei. Einer Hinzuziehung des MDK habe es vorliegend nicht bedurft. Die Rechnungsprüfung der Beklagten verstoße schließlich auch nicht gegen Treu und Glauben.
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Mit Urteil vom 7. Mai 2015 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, der Klägerin 782,45 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12. Dezember 2011 zu zahlen. Zur Begründung hat das Sozialgericht unter anderem ausgeführt, dass die Klägerin die streitbefangenen Zeiträume zutreffend abgerechnet habe. Insbesondere habe die Berechtigung bestanden, die geltend gemachten DRG für die beiden streitbefangenen Verhandlungszeiträume geltend zu machen. Eine Neueinstufung in eine Fallpauschale nach § 3 Abs. 3 iVm § 2 Abs. 4 Satz 1–6 FPV 2010 sei nicht durchzuführen. Nach § 3 Abs. 3 Satz 1 FPV 2010 habe das wiederaufnehmende Krankenhaus die Falldaten des ersten Krankenhausaufenthalts und aller weiteren, innerhalb dieser Frist in diesem Krankenhaus aufgenommenen Fälle zusammenzufassen und eine Neueinstufung nach den Vorgaben des § 2 Abs. 4 Satz 1–6 in einer Fallpauschale durchzuführen sowie Abs. 2 Satz 1 anzuwenden, wenn ein Patient oder eine Patientin aus einem Krankenhaus in weitere Krankenhäuser verlegt und von diesen innerhalb von 30 Kalendertagen ab dem Entlassungsdatum des ersten Krankenhausaufenthalts in dasselbe Krankenhaus zurückverlegt werde (Rückverlegung). Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt. Zwar sei die Versicherte aus dem Krankenhaus der Klägerin in ein weiteres Krankenhaus (K…) verlegt worden und innerhalb von 30 Kalendertagen ab dem Entlassungsdatum in dem Krankenhaus der Klägerin wieder aufgenommen worden. Es fehle jedoch an dem Tatbestand der Rückverlegung. Die Versicherte sei aus dem K… nicht in das Krankenhaus der Klägerin zurückverlegt worden. Vielmehr sei die Versicherte nach Durchführung der Diagnostik zum Ausschluss einer Tumorerkrankung nach Hause entlassen worden. Damit sei der Behandlungsverlauf, der mit der Aufnahme der Versicherten im Krankenhaus der Klägerin am 1. November 2010 begonnen habe, abgeschlossen gewesen. Die Versicherte sei erst am 12. November 2010 aufgenommen worden. Die Wiederaufnahme sei nicht auf Veranlassung des Krankenhauses K… erfolgt. Es habe sich vielmehr um eine Einweisung durch einen Notarzt gehandelt. Grund für die Einweisung sei auch nicht ein Krankheitsgeschehen, das bereits während des ersten Krankenhausaufenthaltes in der Zeit vom 1. November 2010 bis zum 3. November 2010 vorgelegen habe.
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Gegen dieses der Beklagten am 11. August 2015 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung, die am 17. August 2015 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Die Beklagte ist weiterhin der Auffassung, dass die beiden stationären Behandlungsaufenthalte in dem Krankenhaus der Klägerin zusammenzuführen und mit nur einer Fallpauschale abzurechnen seien. Gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 FPV 2010 habe das wiederaufnehmende Krankenhaus für Patienten, die in andere Krankenhäuser verlegt und innerhalb von 30 Kalendertagen ab dem Entlassungsdatum des ersten Krankenhausaufenthalts in dasselbe Krankenhaus zurückverlegt werden (Rückverlegung), die Falldaten des ersten Krankenhausaufenthalts und aller weiteren, innerhalb dieser Frist in diesem Krankenhaus aufgenommenen Fälle zusammenzufassen und eine Neueinstufung nach den Vorgaben des § 2 Abs. 4 Satz 1 bis 7 FPV 2010 in eine Fallpauschale durchzuführen. Diese Vorgaben seien von der Klägerin verletzt worden. Die §§ 1 Abs. 1 Satz 4, 3 Abs. 3 Satz 1 FPV 2010 seien einer Auslegung nicht zugänglich und Vergütungsregelungen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grundsätzlich streng nach ihrem Wortlaut auszulegen, um Fehlinterpretationen und Missverständnisse zu vermeiden. Die Regelung des § 3 FPV sei wie die Regelung des § 2 Abs. 2 Satz 1 FPV so angelegt, dass über die Fallzusammenführung anhand von DRG-Nummern und konkreten Fristen entschieden werde. Soweit das Sozialgericht meine, den Tatbestand der Rückverlegung verneinen zu können, liege eine fehlerhafte Auslegung der FPV 2010 zugrunde. Die Definition der Verlegung finde sich in § 1 Abs. 1 Satz 4 FPV. Danach liege eine Verlegung vor, wenn zwischen der Entlassung aus einem Krankenhaus und der Aufnahme in einem anderen Krankenhaus nicht mehr als 24 Stunden vergangen seien. Maßgeblich für die Feststellung der Verlegung sei danach allein der zwischen Entlassung und Aufnahme liegende Zeitraum. Entsprechendes gelte für die Rückverlegung, die einen Unterfall der Verlegung darstelle. Die Beklagte beruft sich insoweit auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 1. Juli 2014 – B 1 KR 2/13 R – und Urteil vom 17. Dezember 2013 – B 1 KR 57/12 –) und des Hessischen Landessozialgerichts (Urteil vom 14. Juni 2017 – L 8 KR 27/16 –). Danach fordere § 1 Abs. 1 Satz 4 FPV im Gegensatz zu § 2 Abs. 2 FPV keinen prägenden sachlichen Zusammenhang, sondern stelle lediglich auf die Zeitkomponente ab und sei streng nach Wortlaut auszulegen.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 7. Mai 2015 aufzuheben
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und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend und macht geltend, dass eine Fallzusammenführung nach § 2 FPV 2010 nur vorzunehmen sei, wenn bei der Wiederaufnahme eine Einstufung in dieselbe Basis-DRG vorgenommen werde. Das sei hier nicht geschehen. Die Abrechnung für den ersten Aufenthalt sei nach DRG I.62.A und für den zweiten nach DRG G87A erfolgt. Weiterhin regele § 2 Abs. 2 FPV 2010, dass eine Zusammenführung der Falldaten zu einem Fall und eine Neueinstufung der Fallpauschale nur dann vorzunehmen sei, wenn innerhalb der gleichen Hauptdiagnosegruppe (MDC) die zuvor abrechenbare Fallpauschale in die „medizinische Partition“ oder die „andere Partition“ und die anschließende Fallpauschale in die „operative Partition“ einzugruppieren sei. Die Versicherte sei bei ihrem ersten stationären Aufenthalt in die Hauptdiagnosegruppe (MDC) 11 und bei dem stationären Aufenthalt ab 2. November 2010 in die Hauptdiagnosegruppe 06 eingestuft worden. Mithin sei keine Fallzusammenführung vorzunehmen. Ein Rückverlegungsabschlag gemäß § 3 Abs. 3 FPV 2010 sei ebenfalls nicht zu berücksichtigen. Die Versicherte sei aus dem K… K… am 11. November 2010 regulär entlassen worden. Die Aufnahme im Krankenhaus der Klägerin sei am 12. November 2010 aufgrund notärztlicher Einweisung erfolgt. Der Wortlaut von § 3 Abs. 3 FPV 2010 fordere eine Rückverlegung durch das Krankenhaus (hier des K…s K…) in das verlegende Krankenhaus (St. Elisabeth-Krankenhaus L…). Hier ergebe sich jedoch eindeutig aus den Entlassungsberichten, dass die Behandlung im K… K… abgeschlossen gewesen und die Patientin nach Hause entlassen worden sei. Außerdem macht die Klägerin geltend, dass die Beklagte nicht nachgewiesen habe, dass zwischen der Entlassung der Versicherten am 11. November 2010 und der erneuten Aufnahme am 12. November 2010 ein Zeitraum von 24 Stunden liege.
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Die Beteiligten haben sich schriftsätzlich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten das Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsakten der Beklagten und der Krankenakten. Diese haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen. | Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 7. Mai 2015 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 782,45 EUR festgesetzt. | 0 |
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg 16. Senat | Berlin | 0 | 1 | 10.04.2019 | 0 | Randnummer
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Der Kläger ist als Rechtsanwalt seit dem 14. Dezember 1999 kraft Gesetzes Mitglied des Versorgungswerkes der Rechtsanwälte in Berlin (VWR-B). Im September 2013 beantragte er für seine am 1. Oktober 2013 beginnende Tätigkeit als Geschäftsführer der V B H GmbH (VBH) bei der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – [SGB VI]). Auf den Geschäftsführerdienstvertrag vom 5. April 2013 wird Bezug genommen. Mit Schreiben vom 2. Januar 2014 wies das VWR-B den Kläger unter Übersendung des Beitragsbescheides vom selben Tag darauf hin, dass er mangels einer Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht ab 1. Oktober 2013 (nur) den Mindestbeitrag nach § 30 Abs. 1 der Satzung des VWR-B in Höhe von einem Zehntel des höchsten Beitrags in der allgemeinen Rentenversicherung zu zahlen habe. Sofern eine Befreiung noch erfolge, werde der Beitragsbescheid von Amts wegen aufgehoben und die Beitragspflicht richte sich nach § 30 Abs. 7 der Satzung (Beitragszahlung aus Anstellung). Im 3. Quartal 2013 entrichtete der Kläger die im Beitragsbescheid festgesetzten monatlichen Mindestbeiträge in Höhe von (iHv) 109,62 €. Im 1. Quartal 2014 leistete er entsprechend der Anpassungsmitteilung des VWR-B vom 8. Januar 2014 monatliche Mindestbeiträge iHv 112, 46 €.
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Mit Bescheid vom 13. Dezember 2013, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 17. April 2015, lehnte die Beklagte den Befreiungsantrag ab. Dagegen erhob der Kläger Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin (Aktenzeichen: S 97 R 2303/15 = S 97 R 2900/16 WA). Dieses Verfahren ist noch anhängig.
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Im März 2016 beantragte der Kläger für seine Tätigkeit als Geschäftsführer der VBH bei der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung als Syndikusrechtsanwalt (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI). Gleichzeitig stellte der Kläger einen Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 231 Abs. 4b SGB VI) und einen Antrag auf Erstattung zur Unrecht gezahlter Pflichtbeiträge an die berufsständige Versorgungseinrichtung. Mit Bescheid vom 11. Oktober 2016 ließ die Rechtsanwaltskammer Berlin den Kläger für sein Arbeitsverhältnis mit der VBH als Syndikusrechtsanwalt zu. Mit Bescheid vom 24. November 2016 befreite die Beklagte den Kläger für seine Tätigkeit bei der VBH von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ab 19. Oktober 2016.
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Mit Bescheid vom 21. Dezember 2016 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die während der Zeit vom 1. Oktober 2013 bis 31. März 2014 ausgeübte Beschäftigung als Geschäftsführer der VBH ab, denn der Kläger habe in diesem Zeitraum keine einkommensbezogenen Pflichtbeiträge an ein berufsständiges Versorgungswerk gezahlt, wie es § 231 Abs. 4b SGB VI vorschreibe.
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Mit Bescheid vom 22. Dezember 2016 befreite die Beklagte den Kläger für seine Tätigkeit bei der VBH von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung rückwirkend für die Zeit vom 1. April 2014 bis 18. Oktober 2016.
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Der gegen den Bescheid vom 21. Dezember 2016 erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 3. April 2017 zurückgewiesen.
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Auf die hiergegen erhobene Klage hat das SG Berlin mit Gerichtsbescheid vom 19. März 2018 die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 21. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. April 2017 verurteilt, den Kläger für die Zeit vom 1. Oktober 2013 bis zum 31. März 2014 von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs. 4b SGB VI für die Beschäftigung bei der VBH zu befreien. Zur Begründung ist ausgeführt: Die zulässige Klage sei begründet. Der Kläger habe einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 231 Abs. 4b SGB VI für den Zeitraum vom 1. Oktober 2013 bis 31. März 2014. Eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, die unter Berücksichtigung der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) in der ab 1. Januar 2016 geltenden Fassung oder der Patentanwaltsordnung in der ab 1. Januar 2016 geltenden Fassung erteilt worden sei, wirke gemäß § 231 Abs. 4b SGB VI auf Antrag vom Beginn derjenigen Beschäftigung an, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt werde. Sie wirke auch vom Beginn der vorliegenden Beschäftigung an, wenn während dieser Beschäftigung eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestanden habe. Die Befreiung nach den Sätzen 1 und 2 wirke nach Satz 3 frühestens ab dem 1. April 2014. Sie wirke jedoch auch für Zeiten vor dem 1. April 2014, wenn für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt worden seien (§ 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI). Es sei zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Voraussetzungen des § 231 Abs. 4b Satz 1 bis Satz 3 SGB VI grundsätzlich erfüllt seien. Die Beklagte habe die Befreiung ab 1. April 2014 insoweit anerkannt. Zusätzlich seien jedoch auch die Voraussetzungen für eine Befreiung für Zeiten vor dem 1. April 2014 erfüllt. Zwar habe der Kläger in der Zeit vom 1. Oktober 2013 bis 31. März 2014 nach § 30 Abs. 1 der Satzung des VWR-B nur Mindestbeiträge an das VWR-B gezahlt. Mindestbeiträge seien aber ebenfalls „einkommensbezogene Pflichtbeiträge“ im Sinne des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI, auch wenn sie nicht anhand der Höhe des (konkreten) Einkommens ermittelt worden seien. Dies habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Nichtannahmebeschluss vom 19. Juli 2016 – 1 BvR 2584/14 – festgestellt. Die Auslegung des BVerfG sei auch in der Literatur auf Zustimmung gestoßen. Die Auffassung, dass Mindestbeiträge, die wie hier nach § 30 Abs. 1 der Satzung des VWR-B in Höhe von einem Zehntel des Höchstbetrages in der allgemeinen Rentenversicherung erhoben worden seien, von dem Anwendungsbereich des § 231 Abs. 4b SGB VI ausgeschlossen seien, überzeuge nicht. Denn der Begriff einkommensbezogen solle verhindern, dass die Beitragshöhe von anderen, das Versicherungsrisiko bestimmenden Faktoren wie Eintritts- und Lebensalter, eingebrachte Gesundheitsrisiken, Familienstand und Dauer der Zugehörigkeit abhänge (vgl. Gürtner, in KassKomm, Stand: Dezember 2017, § 6 SGB VI Rn. 15). Diese Schutzfunktion werde durch die Einbeziehung des Mindestbeitrages aber nicht verletzt, weil die Höhe des Mindestbeitrages sich hier allein nach dem höchsten Risiko in der allgemeinen Rentenversicherung richtet. Andere, das Versicherungsrisiko bestimmende Faktoren würden gerade nicht berücksichtigt.
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8
Mit der Berufung wendet sich die Beklagte gegen den angegriffenen Gerichtsbescheid und trägt vor: Die Vorschrift des § 231 Abs. 4b SGB VI sei im Rahmen des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zu Änderung der Finanzgerichtsordnung mit Wirkung zum 1. Januar 2016 eingeführt worden um insbesondere den versicherungsrechtlichen Status Quo des Personenkreises, der eine anwaltliche Tätigkeit bei nichtanwaltlichen Arbeitgebern ausgeübt habe und aufgrund der Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3. April 2014 (B 5 RE 13/14 R; B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 3/14 R) nicht mehr von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI befreit werden konnte, weitestgehend wiederherzustellen. Lediglich zur Vermeidung zwischenzeitlicher Versicherungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund der BSG-Rechtsprechung sei die Möglichkeit einer Rückwirkung der Befreiung geschaffen worden. Die Rückwirkung sei, anknüpfend an den Zeitpunkt der BSG-Urteile, nach § 231 Abs. 4b Satz 3 SGB VI grundsätzlich begrenzt auf Zeiten bis zum 1. April 2014. Intention dieser Begrenzung sei es, dass nur für solche Zeiten eine Rückabwicklung der zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlten Beiträge ermöglicht werden solle. Damit werde vermieden, dass in Sonderfällen, in denen zwar eine Befreiung nach neuem Recht, nicht aber nach alter Rechtspraxis möglich gewesen sei oder angestrebt worden sei, unter Umständen eine langjährige Beitragszahlung der gesetzlichen Rentenversicherung rückabzuwickeln wäre. Einer Begrenzung der Rückwirkung auf den 1. April 2014 hätte es hingegen nicht bedurft, wenn eine Rückabwicklung von Beiträgen auch für vor diesem Datum liegende Zeiten gewollt gewesen wäre. Die ausnahmsweise über den Stichtag hinausreichende rückwirkende Befreiungsregelung des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI verfolge ausweislich der Gesetzesbegründung das Ziel, im Ergebnis nachträglich eine ausschließlich in der berufsständischen Versorgung durchgeführte Versicherung zu legalisieren, obwohl keine gültige Befreiung für die seinerzeit ausgeübte Beschäftigung vorgelegen habe und demzufolge eigentlich eine Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung hätte erfolgen müssen. Die über den 1. April 2014 hinausreichende rückwirkende Befreiung vermeide in derartigen Fallkonstellationen Beitragsnachforderungen zur gesetzlichen Rentenversicherung bzw. eine Rückabwicklung der zur berufsständischen Versorgung entrichteten Beiträge. Der Gesetzgeber habe mit dieser Vorschrift eine großzügige Amnestieregelung getroffen, welche aber sachgerecht voraussetze, dass einkommensbezogene Pflichtbeiträge zur berufsständischen Versorgungseinrichtung geleistet und damit entsprechende Versorgungsansprüche aus der zu befreienden Beschäftigung erworben worden seien. Denn dies wäre Voraussetzung einer (in diesen Fällen vermeintlich) wirksamen Befreiung von der Rentenversicherungspflicht wegen der gleichzeitig bestehenden Pflichtversicherung in der berufsständischen Versorgungseinrichtung. Die Vorschrift des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI knüpfe deshalb folgerichtig an den Wortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI an, welcher ebenfalls als eine Voraussetzung der Befreiung die Zahlung einkommensbezogener Pflichtbeiträge für die konkrete Beschäftigung erfordere. Beiträge aus einer neben der zu befreienden Beschäftigung ausgeübten selbstständigen Tätigkeit und Mindestbeiträge, die keinen unmittelbaren Bezug zum Einkommen aus der zu befreienden Beschäftigung hätten, sondern sich pauschal als prozentualer Anteil des auf der Grundlage des Höchstbeitrages zur gesetzlichen Rentenversicherung ermittelten Regelpflichtbeitrages ergeben, zählten hierzu nicht. Die Begründung für das Recht der Pflichtmitglieder berufsständischer Versorgungseinrichtung, sich als Ausnahme von der grundsätzlichen Versicherungspflicht abhängig Beschäftigter von dieser befreien zu lassen, sei der Vermeidung doppelter Beitragspflichten aus dieser Beschäftigung. Das Ausnahmerecht setze jedoch voraus, dass die anstelle der gesetzlichen Rentenversicherung tretende anderweitige Absicherung der Absicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung gleichwertig sei, was bei einer Zahlung von Beiträgen zur berufsständischen Versorgungseinrichtung, die sich ausschließlich pauschal als prozentualer Anteil des auf der Grundlage des Höchstbeitrages zur gesetzlichen Rentenversicherung ermittelten Regelpflichtbeitrages ergebe, nicht gewährleistet wäre.
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9
Die Beklagte beantragt,
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10
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 19. März 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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11
Der Kläger beantragt,
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12
die Berufung zurückzuweisen.
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Er trägt vor, nach der Rechtsprechung des BVerfG sei es eindeutig, dass als einkommensbezogene Beiträge im Sinne des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI auch Mindest- und Pflichtbeiträge nach den jeweiligen Satzungen der Versorgungswerke anzusehen sei.
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14
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
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15
Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. | Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 19. März 2018 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
VG Berlin 1. Kammer | Berlin | 0 | 1 | 11.01.2016 | 1 | Randnummer
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Die 27 Jahre alte iranische Klägerin begehrt die Erteilung eines Schengen-Besuchsvisums für einen Verwandtenbesuch in Deutschland.
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Am 1. März 2015 beantragte die Klägerin bei der Deutschen Botschaft in Teheran die Erteilung eines Besuchsvisums. Die Botschaft lehnte den Antrag mit Bescheid vom 23. März 2015 ab und führte zur Begründung aus, der Zweck und die Bedingungen des beabsichtigten Aufenthalts seien nicht glaubhaft gemacht worden, außerdem könne die Absicht, vor Ablauf des Visums wieder auszureisen, nicht festgestellt werden.
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3
Die hiergegen erhobene Remonstration blieb erfolglos. Mit Remonstationsbescheid vom 25. Juni 2015 lehnte die Deutsche Botschaft die Erteilung des Besuchsvisums erneut ab. Zur Begründung führte sie aus, die familiäre Verwurzelung der Klägerin im Iran sei als gering anzusehen, weil diese ledig und kinderlos sei. Auch eine materielle Verwurzelung, etwa in Form von Immobilienbesitz, sei nicht nachgewiesen worden. Die Klägerin habe zwar angegeben, bei ihren Eltern zu arbeiten, jedoch nicht im Einzelnen glaubhaft gemacht, wovon sie ihren Lebensunterhalt bestreite. Vorreisen nach Deutschland, in andere Schengen-Staaten, nach Großbritannien, in die USA oder Kanada lägen nicht vor.
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4
Die Klägerin macht geltend, der Zweck der beabsichtigten Reise nach Deutschland sei der Besuch ihrer dort lebenden Familie, insbesondere ihres Onkels, der eine Verpflichtungserklärung für sie abgegeben habe. Sie habe nicht die Absicht, in Deutschland zu bleiben. Ihre Kernfamilie, insbesondere ihre Eltern, lebten im Iran und sie wolle dorthin zurückkehren.
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5
Die Klägerin beantragt,
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6
den Remonstrationsbescheid der Deutschen Botschaft in Teheran vom 25. Juni 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, das beantragte Besuchsvisum zu erteilen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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9
Die Beklagte verteidigt den angefochtenen Bescheid. Sie hält an der Versagung des Besuchsvisums fest.
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Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 10. November 2015 auf den Vorsitzenden als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt des Verwaltungsvorgangs der Beklagten (1 Hefter) Bezug genommen. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Be-klagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. | 0 |
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein 1. Kammer | Schleswig-Holstein | 0 | 1 | 18.10.2016 | 0 | Randnummer
1
Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer Verdachtskündigung.
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2
Die Beklagte betreibt ein Pharmaunternehmen mit ca. 600 Mitarbeitern. Bei ihr gilt seit dem 01.12.2011 eine Reise- und Spesenrichtlinie, die unter der Überschrift „Verpflegungsmehraufwendungen“ auszugsweise festlegt:
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3
„Die Verpflegungsmehraufwendungen sollen die Mehrkosten decken, die durch einen Aufenthalt fern der eigenen Wohnung entstehen. P.l B. erstattet die Höchstsätze laut Lohnsteuerrichtlinien.
Randnummer
4
…
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5
Für
eintägige auswärtige Tätigkeiten ohne Übernachtung
kann ab einer
Abwesenheit von mehr als 8 Stunden von der Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte eine Pauschale von 12 Euro berücksichtigt werden.“
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6
Die 1959 geborene, ledige und kinderlose Klägerin ist seit dem 01.04.1996 als Außendienstmitarbeiterin (Vollklinikerin im ethischen Außendienst) auf Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags (Blatt 4 bis 12 d. A.) bei der Beklagten beschäftigt. Sie ist schwerbehindert. Ihre Aufgabe besteht darin, Ärzte aufzusuchen und Veranstaltungen durchzuführen, um die Produkte der Beklagten vorzustellen. Die Beklagte erwartet insoweit von der Klägerin den Besuch von acht Ärzten pro Tag und für das erste Halbjahr 2015 die Durchführung von insgesamt 12 Veranstaltungen. Die Klägerin reicht bei der Beklagten Spesenabrechnungen ein, in denen sie Beginn und Ende ihrer Abwesenheit sowie ihre Pausenzeiten einträgt. Die Spesenabrechnungen werden im Computer erstellt. Das von der Beklagten vorgesehene Formular sieht dabei für die Eintragung der Pausenzeiten nur eine Möglichkeit vor. Ergibt sich eine Abwesenheitszeit von mehr als acht Stunden von zu Hause, erhält die Klägerin auf ihren Antrag für diesen Tag 12,00 EUR als Spesen ausgezahlt.
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7
Vom 11.01.2012 bis zum 05.11.2014 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt, ab 01.10.2014 erfolgte eine Wiedereingliederung bei der Beklagten. Der Klägerin wurde im Anschluss an ihre Genesung ein neues Betreuungsgebiet zugewiesen bezüglich dessen Zuschnitts auf die Anlage K 10 (Blatt 157 d. A.) verwiesen wird.
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8
Mit Schreiben vom 25.11.2014 (Anlage K 5, Blatt 152 d. A.) erteilte die Beklagte der Klägerin eine Ermahnung, weil sie Angaben zu einem Arztbesuch fehlerhaft in das EDV-System eingepflegt hatte. Mit zwei Schreiben vom 30.04.2015 (Anlagen B 1 und B 2, Blatt 59 f d. A.) erhielt die Klägerin zwei Abmahnungen, zum einen weil sie den Besuchsschnitt von durchschnittlich acht Ärzten pro Tag nicht eingehalten hatte, zum anderen, weil sie ihrer Dokumentationspflicht in das EDV-System im Hinblick auf die Zielkundeneingabe nicht nachgekommen war.
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9
Am 29.06.2015 wurde die Klägerin an den Sitz der Beklagten zu einem Gespräch geladen. Ihr wurde eine weitere Abmahnung (Anlage B 3, Blatt 62 d. A.) überreicht, da sie im ersten Halbjahr 2015 nicht die geforderten 12, sondern nur eine Veranstaltung durchgeführt habe. Im Verlauf des Gesprächs wurde die Klägerin aufgefordert, einen ihrer letzten Arbeitstage zu rekonstruieren, nämlich den 26.06.2015. In ihrer Spesenabrechnung hatte die Klägerin angegeben, an diesem Tag bis 19:00 Uhr von zuhause abwesend gewesen zu sein. Die Klägerin teilte nunmehr mit, wegen eines Problems mit der Datenübermittlung habe sie nachmittags einen Bekannten aufgesucht, damit dieser ihr helfe. Sie habe dann bei diesem Bekannten übernachtet und in der Spesenabrechnung eine „fiktive Heimfahrt“ zugrunde gelegt.
Randnummer
10
Aufgrund dieser Angaben überprüfte die Beklagte die Spesenabrechnungen der Klägerin seit April 2015 und stellte dabei Folgendes fest:
Randnummer
11
Datum
Beginn
Abwesenheit
Ende
Abwesenheit
Pause von…bis
Pauschale
abgerechnet
21.04.15
09:15 Uhr
20:10 Uhr
17:00 – 19:10 Uhr
Ja
28.04.15
09:15 Uhr
20:35 Uhr
17:00 – 19:45 Uhr
Ja
18.05.15
09:10 Uhr
21:10 Uhr
17:30 – 19:30 Uhr
Ja
09.06.15
09:00 Uhr
20:50 Uhr
16:30 – 19:00 Uhr
Ja
16.06.15
09:10 Uhr
19:50 Uhr
17:00 – 19:00 Uhr
Ja
17.06.15
09:20 Uhr
20:00 Uhr
17:00 – 19:00 Uhr
Ja
26.06.15
09:20 Uhr
19:00 Uhr
17:00 – 18:35 Uhr
Ja
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12
Für jeden der Tage in der Aufstellung erhielt die Klägerin Tagesspesen in Höhe von 12,00 EUR. Aufgrund der Angaben zu den Pausenzeiten entstand seitens der Beklagten der Verdacht des Spesenbetrugs durch die Klägerin. Am 14.07.2015 fand mit der Klägerin ein Gespräch wegen dieses Verdachts statt.
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13
Mit Schreiben vom 21.07.2015 (Anlage B 11, Blatt 224 bis 226 d. A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten fristlosen Kündigung, mit Schreiben vom 19.08.2015 (Anlage 12, Blatt 227 bis 229 d. A.) zur beabsichtigen ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses an. Mit Bescheid vom 29.07.2015 stimmte das Integrationsamt der außerordentlichen und mit Bescheid vom 13.08.2015 der ordentlichen Kündigung zu (Anlagen B 5 und B 6, Blatt 71 bis 76 und 77 bis 84 d. A.).
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Mit Schreiben vom 30.07.2015 (Blatt 13 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, mit Schreiben vom 26.08.2015, das am 28.08.2015 zuging, fristgemäß zum 31.03.2016. Beide Schreiben sind von Herrn K. und Frau E. unterzeichnet. Herr K. ist Gesamtprokurist der Beklagten. Mit Schreiben vom 03. und 31.08.2015 wies die Klägerin die Kündigungen unter Hinweis auf die fehlende Vorlage einer Vollmacht zurück.
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Gegen beide Kündigungen hat die Klägerin fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben.
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Erstinstanzlich hat sie – soweit für das Berufungsverfahren von Interesse – im Wesentlichen behauptet:
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Sie habe sich nach Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit mit der Anwendung der ihr unbekannten Programme zur Kundenverwaltung sehr schwer getan. Eine ordnungsgemäße Einarbeitung in diese Programme habe nicht stattgefunden. Von diesem Problem habe die Beklagte auch gewusst, wie der von ihr vorgelegte E-Mail-Verkehr belege. Durch den Umgang der Beklagten mit ihr sei sie stark verunsichert gewesen und habe keine Fehler machen wollen, um nicht erneut abgemahnt zu werden. Sie habe stets genau aufgeschrieben, wann sie das Haus verlassen habe, wann sie zurückgekehrt sei und habe Zeiten privater Verrichtungen stets als Pausenzeiten deklariert, auch wenn sie etwa einen Arztbesuch in eigener Sache vorgenommen oder sich einer krankengymnastischen Behandlung unterzogen habe. Am 26.06.2015 habe sie versucht, ihre Spesenabrechnung zu erläutern. Sie habe nicht gewusst, wie sie die Übernachtung bei ihrem Bekannten in der Spesenabrechnung habe ausweisen sollen und deswegen eine „hypothetische Heimfahrt“ angesetzt. Die im Verfahren vorgelegte Spesenrichtlinie sei ihr nicht bekannt gewesen. Nach den in ihren Abrechnungen angegebenen Pausen habe sie ihre Arbeit wieder aufgenommen, etwa Einkäufe für die Arbeit erledigt, getankt, Telefonate während der Fahrt geführt oder Unterlagen oder andere Dinge in Arztpraxen abgegeben. Dies habe sie aber in der von der Beklagten vorgegebenen Liste nicht eintragen können. Sie habe an allen ihr vorgehaltenen Tagen länger als acht Stunden gearbeitet, sodass der Beklagten kein Schaden entstanden sei.
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Im Gespräch am 14.07.2015 habe sie darum gebeten, dass ihr schriftlich mitgeteilt werde, was ihr vorgeworfen werde. Sie habe nicht erklärt, dass sie sich nicht äußern wolle.
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Auch aus den von ihr vorgelegten E-Mails ergebe sich, dass sie oft noch spät am Abend oder in der Nacht gearbeitet habe. Sie habe auch für Tage keine Spesen geltend gemacht, obwohl ein entsprechender Anspruch bestanden hätte, etwa für den 14.04. oder 23.04 2015. Auch habe der Betriebsrat im Rahmen der Anhörung auf eine fehlende Spesenregelung hingewiesen. Die Kündigung sei auch mangels Beifügung einer Vollmacht der Unterzeichner unwirksam. Die letzte ihr bekannte Personalleiterin der Beklagten sei Frau J. gewesen. Ihr sei nicht bekannt, dass Herrn K. diese Funktion übertragen worden sei.
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Die Klägerin hat, soweit für das Berufungsverfahren von Interesse, erstinstanzlich beantragt,
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1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigungserklärung vom 30.07.2015 nicht beendet wird,
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2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die weitere Kündigungserklärung vom 26.08.2015 beendet wird,
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3. …
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4. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen Bedingungen als Pharma- und Klinikreferentin für die Region Süd (Vollkliniken im ethischen Außendienst) weiter zu beschäftigen,
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5. …
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6. hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, in die Weiterbeschäftigung der Klägerin durch Abschluss eines Arbeitsvertrags zu unveränderten Arbeitsbedingungen unter Anrechnung der früheren Beschäftigungsdauer einzuwilligen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat vorgetragen: Gegen die Klägerin bestehe der Verdacht des Spesenbetrugs, der die Kündigungen rechtfertige. Es stehe fest, dass die Klägerin für den 26.06.2015 falsche Angaben in ihrer Spesenabrechnung gemacht habe. Selbstverständlich könne ein Mitarbeiter seine Dienstreise auch an einem andren Ort als seiner Wohnung beenden. In diesem Fall sei aber entsprechend den gängigen gesetzlichen Regelungen zu den Reisekosten die Dienstreise mit dem Aufsuchen dieses anderen Orts beendet. Dieses ergebe sich etwa auch aus § 7 des Landesreisekostengesetzes für Baden-Württemberg (LRKG BW). Im Hinblick auf die weiteren der Klägerin vorgeworfenen Tage habe sie aufgrund der ungewöhnlichen Pausenzeiten davon ausgehen müssen, dass die Klägerin an diesen Tagen ebenfalls ihre Dienstreise an anderen Stellen als ihrer Wohnung, und zwar vor Erreichen der „Acht-Stunden-Grenze“ beendet habe. Die Klägerin räume auch selbst ein, private Termine als dienstlich veranlasste Abwesenheitszeiten erfasst zu haben.
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Herr K. habe den Arbeitsvertrag der Klägerin unterzeichnet. Er sei bereits bei Einstellung der Klägerin Personalleiter gewesen und habe diese Funktion auch zum Zeitpunkt der Kündigung ausgeübt. Daher habe die Klägerin die Kündigung nicht zurückweisen dürfen.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands in erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage, soweit hier von Interesse, stattgegeben und nach den Klaganträgen zu 1., 2. und 4. erkannt. Wegen Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.
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Gegen das am 21.12.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 21.01.2016 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 22.03.2016 am 22.03.2016 begründet.
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Sie trägt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags im Wesentlichen vor:
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Die Klägerin habe im Anschluss an ihre ungewöhnlichen Pausenzeiten nicht ihre berufliche Tätigkeit wieder aufgenommen, auch handele es sich nicht um dienstlich veranlasste Anwesenheitszeit. Die Klägerin habe hauptsächlich um 17:00 Uhr und damit zu einer üblichen Feierabendzeit private Aktivitäten behauptet und dann nach einer langen Pause zwischen 19:00 Uhr und 19:45 Uhr ihre Arbeit angeblich wieder aufgenommen und bis ca. 21:10 Uhr wieder gearbeitet. Solche Arbeitszeiten stünden in keinem erkennbaren Zusammenhang mit den üblichen Tätigkeiten der Klägerin. Die von der Klägerin besuchten Arztpraxen hätten regelmäßig schon geschlossen, Werbeveranstaltungen fänden um diese Zeit nicht mehr statt. Kein anderer ihrer Außendienstmitarbeiter übe zu dieser Zeit noch Tätigkeiten aus, es sie denn, er erledige zu Hause Vorbereitungsarbeiten oder Dokumentationstätigkeiten. Damit bestehe nach wie vor der Verdacht, dass die Klägerin falsche Angaben zu ihren Abwesenheitszeiten gemacht habe, um ihr nicht zustehende Spesen zu beanspruchen.
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Zu diesem Verdacht habe sich die Klägerin in keiner Weise substantiiert eingelassen. Dennoch habe das Arbeitsgericht den Vortrag der Klägerin als unstreitig angesehen. Die von der Klägerin vorgelegten Belege beträfen in keinem Fall die hier streitigen Arbeitstage. Allenfalls habe die Klägerin in den Abendstunden allgemeine Verwaltungstätigkeiten erledigt. Diese Tätigkeiten würden üblicherweise in der Wohnung ausgeübt. Es bestehe insoweit keine dienstliche Veranlassung, diese auswärts zu erledigen.
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Die Klägerin habe außerdem zum 26.06.2015 vorsätzlich falsche Angaben gemacht. Dies ergebe sich daraus, dass sie in der Vergangenheit stets richtig abgerechnet habe. Weder an den Formularen, noch an den Abrechnungsmodalitäten habe sich etwas geändert. Selbst wenn man den Vortrag der Klägerin zum 26.06.2015 zugrunde lege, reiche dies nicht aus, um zu erläutern, wieso die Klägerin einfach eine zusätzliche Zeit veranschlagt habe, mit der sie die Acht-Stunden-Grenze überschritten habe. Das Arbeitsgericht überspanne insoweit die Anforderungen an den Vortrag zu vorsätzlichem Handeln.
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Eine Abmahnung sei bei diesem Sachverhalt entbehrlich gewesen. Auch die ordentliche Kündigung sei wirksam. Ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung stehe der Klägerin nicht zu.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 3. Dezember 2015, AZ. 3 Ca 1142 e/15, soweit der Klage stattgegeben wurde, abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
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Sie erwidert: Das Arbeitsgericht habe den Fall zutreffend entschieden. Die Beklagte verkenne die Beweislastregeln, wenn sie verlange, dass sie, Klägerin, nachweisen solle, ihrer Arbeit nachgegangen zu sein. Sie habe schon vor dem Arbeitsgericht vorgetragen, dass in ihrem großen Einsatzbereich Arztpraxen auch in den Abendstunden geöffnet hätten. Sie habe etwa Prospektmaterial in diesen Praxen abgegeben, eine noch offene Frage geklärt oder ein Telefonat geführt, für das im Laufe des Praxisbetriebs keine Zeit gewesen sei. Im Folgenden benennt die Klägerin verschiedene Ärzte, die abends Sprechstunden anbieten und die nach ihrer Behauptung von ihr kontaktiert worden seien. Auch Informations-, Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen seien häufig in die Abendstunden gelegt worden, etwa am 13.04.2016 von 18:30 Uhr bis 22:00 Uhr oder am 24.06.2015 von 19:30 Uhr bis 20:30 Uhr. Daneben hätten diese Veranstaltungen auch vor- und nachbereitet werden müssen. Sie habe getankt, Einkäufe für Veranstaltungen getätigt oder Rechnungen an den Schulungsorten bezahlt.
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Sie könne trotz aller Anstrengungen nicht im Einzelnen belegen, was sie an den einzelnen ihr vorgeworfenen Tagen noch erledigt habe, bevor sie wieder zu Hause eingetroffen sei. Sie habe aber noch diverse Quittungen gefunden, die belegten, dass sie auch abends ihrer Tätigkeit nachgegangen sei. Insoweit wird auf die Anlage K 34 (Blatt 307 bis 310 d. A.) verwiesen.
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Die Spesenrichtlinie sei ihr unbekannt gewesen. Sie habe am 26.06.2015 nichts falsch machen wollen. Ihr sei es logisch erschienen, einen Endzeitpunkt der Arbeit festzulegen und die theoretische Ankunftszeit zu Hause zugrunde zu legen. Wegen dieses Vorfalls hätte die Beklagte ggf. eine Abmahnung erteilen können. Vor ihrer Erkrankung habe sie keine langen Pausen benötigt, sodass sich die Frage, wie sie diese eintragen solle, nicht gestellt habe.
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Schließlich bleibe es dabei, dass die Kündigung bereits gemäß § 174 BGB unwirksam sei.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands im Einzelnen wird auf den Inhalt der Akte Bezug genommen. | Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 03.12.2015 - 3 Ca 1142 e/15 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |