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Asylkompromiß „nur ein erster Schritt“ - taz.de
Asylkompromiß „nur ein erster Schritt“ ■ Interview mit dem stellv. SPD-Vorsitzenden Wolfgang Thierse taz: Bei den Asylverhandlungen sind alle Ansätze einer integrativen Ausländerpolitik, für die die SPD eintreten wollte, auf der Strecke geblieben. Warum? Thierse: Der Asylkompromiß ist ein wirklicher und auch ein bitterer Kompromiß. Die SPD hat Vorschläge zur Neuregelung der Staatsbürgerschaft, zum Kommunalwahlrecht für Ausländer und zu einer gesetzlichen Regelung der Zuwanderung in die Verhandlungen eingebracht. Dies war nicht durchsetzbar. Das muß aber nicht heißen, daß die SPD an diesen Zielen nicht weiter festhält. Im Gegenteil, ein Kompromiß ist ein Zwischenschritt. Gerade deshalb ist es ganz wichtig, daß wir alle drei Themen weiter verfolgen. Die SPD hat im Vorfeld der Verhandlungen von einem Paket zur Neuregelung der Zuwanderung gesprochen. Die Koalition hat sich aus diesem Paket genommen, was sie brauchte, nämlich die Zustimmung zur Änderung des Artikels 16. Vom Rest hat die SPD nichts durchsetzen können. Ich sehe da keinen Kompromiß. Es gab ja ein paar andere Dinge: die Verteidigung des Grundrechts auf Asyl, die Verteidigung der Rechtsweggarantie. Bei den laufenden Detailverhandlungen versucht die Regierung auch hier nach wie vor aufzuweichen. Für mich ist wichtig: Der Asylkompromiß ist nur ein erster Schritt. Die SPD hat jetzt zwei Gesetzentwürfe zur Einbürgerung und zur Zuwanderung erarbeitet, und wir werden auch weiterhin für das kommunale Wahlrecht eintreten. Wo soll das Interesse der Union denn herkommen, sich auf diese Projekte einzulassen, die sie während der Asylverhandlungen klar abgelehnt hat. Oder wird die SPD das noch einmal mit der Frage ihrer endgültigen Zustimmung zum Asylkompromiß verknüpfen? Nein, ich glaube nicht, daß es dafür Aussichten gibt. Man kann ein Verhandlungsergebnis nicht beliebig verändern. Man kann es nur im Detail noch korrigieren oder verteidigen, wenn ein Verhandlungspartner es anders interpretiert. Doch bei den Gesetzesvorhaben zur Zuwanderung und zur erleichterten Einbürgerung geht es nicht wie beim Asyl um das Grundgesetz ändernde, sondern um einfache Mehrheiten. Da denke ich über die Union hinaus. Für ein einfaches Gesetz braucht man nicht die Union, oder man braucht sie nicht vollständig. Welche Rolle spielt der gesellschaftliche Stimmungsumschwung der letzten Wochen für die Durchsetzung dieser Ziele? Wenn wir ernstnehmen, daß es eine Mehrheit gibt, die bereit ist, gegen Gewalt gegen Ausländer anzutreten, die bereit ist, Ausländer in diesem Lande als gleichberechtigte Menschen zu akzeptieren, dann kann man daraus auch eine Mehrheit ableiten, die sie zu wirklich gleichberechtigten Bürgern machen will. Und das ist eine Chance, die wir Politiker nicht ungenutzt lassen sollten. Das wird nur erfolgreich sein, wenn es durch eine breite öffentliche Debatte oder Bewegung unterstützt wird. Die Gefahr, daß die Erfahrung mit der Asyldebatte und der Einschränkung des Asylrechtes die Initiativen für eine Einwanderungspolitik, für eine andere Ausländerpolitik regelrecht im Keim erstickt, sehen Sie nicht? Es wäre eine Selbstlähmung der SPD, der liberalen und linken Öffentlichkeit, wenn sie jetzt wie das Kaninchen auf die Schlange auf den Asylkompromiß starrt und keinen Schritt weiter tut. Die Debatte muß gerade deshalb geführt werden, weil in dem Asylkompromiß bestimmte Dinge nicht erreichbar waren. Wir müssen eine humane Form von Begrenzung, von Auswahl und Lenkung des Zustroms von Flüchtlingen finden. Wenn man dies akzeptiert hat, erleichtert das durchaus den nächsten Schritt: Recht auf Einbürgerung unter klar definierten Bedingungen, Zuwanderungsmöglichkeiten, die gesetzlich festgelegt und natürlich mit politischen, sozialen und wirtschaftlichen Kriterien verbunden sind. Gibt es eine Zeitperspektive? Ich bin unsicher hinsichtlich der Zeitvorstellungen. Wenn wir das in diesem Jahr diskutieren, aber unter den Mehrheitsverhältnissen im Bundestag nicht durchbekommen, ist das denkbarerweise dann ein Thema für das dramatische Jahr 1994. Interview: Matthias Geis
m. geis
■ Interview mit dem stellv. SPD-Vorsitzenden Wolfgang Thierse
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Analyse des gegenwärtigen Kapitalismus: Die Rückkehr der Gabe - taz.de
Analyse des gegenwärtigen Kapitalismus: Die Rückkehr der Gabe Neue Gemein­schaftlichkeit oder neue soziale Spaltung? Die Soziologinnen Silke van Dyk und Tine Haubner analysieren einen „Community-Kapitalismus“. Wenn die Zivilgesellschaft einspringen muss: Essensausgabe beim Verein „Menschen helfen Menschen“ Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz Die Community ist gut. Wo sonst Entfremdung, Bürokratie und Kälte herrschen, ist es in der Community wohlig warm. Das legt zumindest meist der Alltagsgebrauch des Begriffs nahe, sogar dann, wenn die Community nur digital auftritt. Doch Gemeinschaft ist nicht gleich Gemeinschaft. Es gibt antimoderne, nostalgische Bezüge von rechts, nichttraditionale Bezüge von links und immer öfter auch Anrufungen „sorgender Gemeinschaften“ seitens der offiziellen Politik. Die Gemeinschaftsidee ist en vogue. Und lässt man die Perversion zur Volksgemeinschaft einmal kurz beiseite, gibt es an der Gemeinschaftsidee angeblich wenig zu kritisieren. Silke van Dyk und Tine Haubner: „Community-Kapitalismus“. Hamburger Edition, Hamburg 2021, 176 S., 15 Euro Doch, sagen die Soziologinnen Silke van Dyk und Tine Haubner in ihrem klugen Buch „Community-Kapitalismus“ und wollen zeigen, wie die Gemeinschaft(sidee) in der ökonomischen, sozialen und ökologischen Krise des neoliberalen Kapitalismus zur zentralen Ressource und Steuerungstechnologie wird. Heißt: Der Kapitalismus stellt gerade wieder einmal seine Wandlungsfähigkeit unter Beweis, und damit geht es um die „Erschließung neuer, nicht kommodifizierter Räume und neuer Trägergruppen nicht regulär entlohnter Arbeit“. Krise des neoliberalen Kapitalismus Ging es in der Analyse des neoliberalen Kapitalismus nicht gerade noch um das unternehmerische Selbst, das selbstoptimiert und eigenverantwortlich in Konkurrenz zu anderen steht? Ja, im Übergang von der wohlfahrtsstaatlichen Disziplinargesellschaft zur neoliberalen Kontrollgesellschaft ist eine Ökonomisierung des Sozialen beobachtbar. Doch die Rede von der Ökonomisierung des Sozialen greift den Autorinnen zu kurz. Vielmehr erlebten wir „eine Neuausrichtung der sozialen Reproduktion, in der die Grenzen von Markt, Staat, Familie und Zivilgesellschaft mit ihren jeweiligen Steuerungslogiken neu vermessen werden“. Grund dafür sei die Hegemoniekrise des Neo­liberalismus (spätestens seit der Finanzkrise) sowie die Krise der sozialen Reproduktion (familialer und demografischer Wandel, Wohlfahrtsstaatsabbau) und die Digitalisierung (neue Vergemeinschaftungen). Der kooperative Aspekt neuerer Arbeitsformen und die Ausbeutung des so genannten „Gemeinsamen“ ist von einigen (post-)operaistischen Theo­re­ti­ke­r:in­nen bereits mit dem Begriff immaterielle Arbeit analysiert worden. Van Dyk und Haubner schließen daran an (wie auch an die Forschung zur Care-Arbeit) und möchten nun eine weitere Verschiebung herausstellen, nämlich die Adressierung „gemeinschaftsförmiger (Selbst-)Hilfepotenziale der Zivilgesellschaft“ – weshalb sie von „Community-Kapitalismus“ sprechen. Lösung der sozialen Frage Ist es also kein Zufall, dass das Lob des Engagements, des Gemeinsinns und der gegenseitigen Hilfe uns überall entgegenschallt? Man denke nur an die Pandemie und die Flutkatastrophe, die gegenseitige Hilfe jenseits entlohnter Arbeit notwendig werden ließen. Wo viel gelobt wird, wird auch viel verschleiert, denn wo „Arbeit in Hilfe, Freizeit, Freiwilligkeit, Gemeinsinn oder Liebe umdefiniert wird“, wo also Ressourcen der Zivilgesellschaft aktiviert werden, um Lücken der staatlichen Versorgung zu schließen, so die Autorinnen, wurde die Lösung der sozialen Frage in die Hände der Zivilgesellschaft gelegt. Van Dyk und Haubner geht es nicht um eine pauschale Verurteilung von Freiwilligenhilfe oder von Alternativökonomien (trotz unzureichender Kapitalismusanalyse), wie sie immer wieder betonen. Aber sie wollen zeigen, wie sich entlang von Posterwerbsarbeit eine Neuausrichtung des gegenwärtigen Kapitalismus vollzieht. Dafür haben sie empirisch Formen von Freiwilligenarbeit, nicht entlohnte Mehrarbeit und vor allem nicht regulär entlohnte Arbeit in der Pflege oder auf digitalen Plattformen untersucht. Sie können klar belegen, wie beispielsweise der Abbau sozialer Sicherungen und Kosteneinsparungen auf kommunaler Ebene oder im Gesundheits- und Pflegebereich mit der Aufwertung des Gemeinwohldienstes, also freiwilliger Arbeit, einhergehen. – Mit entsprechenden ideologischen Implika­tio­nen, wie der Überzeugung etwa, dass Engagement nichts mit Ökonomie zu tun habe, gar das Gegenteil einer zunehmenden Ökonomisierung sei. Die Thematisierung der Deprofessionalisierung von Arbeit, von neuen Abhängigkeitsverhältnissen und Interessensgegensätzen fallen da hinten runter. Vergiftete Früchte Was als soziale Frage adressiert wurde, werde in eine Frage fürsorglicher Gemeinschaften umgedeutet und soziale Rechte in soziale Gaben überführt. Die Autorinnen problematisieren diesen Aspekt sehr schön mit dem Philosophen Roberto Esposito, der mit der Gabe verbundene Abhängigkeitsverhältnisse herausstellte und im Vertrag (und Recht) die zentrale Institution des „immunitären Projekts der Moderne“ ausmachte, welches die „vergifteten Früchte“ der Gabe aufhebe. Van Dyk und Haubner lesen die Verlegung der sozialen Frage in die Zivilgesellschaft als „unausgesprochene Wiederkehr der Gabe in den sozialpolitischen Diskurs“. Wollen sie also zurück zum Wohlfahrtsstaat – zu Normalarbeitsverhältnissen, Normalbiografien und Kleinfamilie und den damit verbundenen Reproduktionsverhältnissen? Freilich wollen sie das nicht. Der normierende Wohlfahrtstaat ist nicht, wie sie betonen, die inkludierende, sicherheitsstiftende Antwort auf die soziale Frage. Aber – und das unterscheidet ihren von vielen anderen linken Ansätzen, wie zum Beispiel, wer sich erinnert, dem konvivialistischen Manifest von Chantal Mouffe, Eva Illouz etc., auf das sie Bezug nehmen – sie halten es für einen groben Fehlschluss, „die freiheitsverbürgende und autonomiestiftende Funktion sozialer Institutionen und sozialer Rechte“ geringzuschätzen. Emanzipation verorten sie nicht einfach in Gegenbewegungen von unten, sondern heben die autonomiegebende Funktion sozialer Rechte und ihrer Institutionalisierung hervor, eben weil diese von moralischen Beziehungen abstrahierten. Es gelte diese zu universalisieren, statt sie auszuhöhlen. Ein starkes Plädoyer Augenfällig wird diese Notwendigkeit auch – wenn man hier anschließen wollte – in den prekarisierten Arbeitsverhältnissen der Plattformökonomien. Erst kürzlich verkündete der Chef des Lieferdienstes Gorillas, Entlassungen wären „im Interesse der Community“. Aber das ist nur ein Aspekt der von Haubner und van Dyk beschriebenen Konstellation, die aus der Verbindung von Posterwerbsarbeit und Gemeinschaftspolitik hervorgeht. Ihr Buch ist eine wichtige Ergänzung zur Analyse des gegenwärtigen Kapitalismus und ein starkes Plädoyer für eine staatlich garantierte, aber strikt vergesellschaftete Infrastruktur.
Tania Martini
Neue Gemein­schaftlichkeit oder neue soziale Spaltung? Die Soziologinnen Silke van Dyk und Tine Haubner analysieren einen „Community-Kapitalismus“.
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Vorbereitung für die Urabstimmung - taz.de
Vorbereitung für die Urabstimmung Ausgehend von Bielefeld überziehen Studierende Nordrhein-Westfalen in dieser Woche mit Protestaktionen gegen geplante Langzeit- und Einschreibegebühren. Das Kabinett hat die Studenten als zahlungskräftige Stopfer für das Haushaltsloch entdeckt von ISABELLE SIEMES In Bielefeld stehen seit gestern die Hörsäle leer. „Wer sponsert mir mein nächstes Semester?“ und „Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung“ prangt auf den Streiktransparenten vor der großen Uni-Halle. Dicht gedrängt hörten mehrere tausend Studierende Montagvormittag die Reden gegen die geplanten Studiengebühren in Nordrhein-Westfalen. Bielefeld könnte Initialzündung für einen flächendeckenden Hochschulstreik in NRW werden. Sämtliche Asten an Unis und Fachhochschulen haben angekündigt, gegen die Gebührenpläne der rot-grünen Landesregierung mobil zu machen. Auch Schülervertretungen wollen sich an den Protesten beteiligen. Heute demonstrieren Studierende und Schüler in der Bielefelder Innenstadt. Morgen treffen sich die Studis in Dortmund zur Anti-Gebühren-Kundgebung. „Die Zeichen stehen auf Sturm“, sagt der Bochumer Asta- Vorsitzende Rolf von Raden. Die Bochumer haben in wenigen Tagen 3.000 Unterschriften gegen die Gebührenpläne gesammelt. In der Woche nach den Pfingstferien soll hier an der Ruhr-Uni und an anderen NRW-Hochschulen über Warnstreiks abgestimmt werden. Für den 8. Juni rufen die Asten gemeinsam zur landesweiten Großdemo in Düsseldorf auf – Motto: „Wer jetzt nicht handelt, wird verkauft.“ Das Düsseldorfer Kabinett will von jedem Studi 50 Euro als Einschreibegebühr und 650 Euro von Langzeit-, Zweit- und Seniorenstudenten kassieren. Wenn das hochschulstarke Land Gebühren erhebt, könnte der Damm bundesweit brechen. Die Technische Universität in München verhandelt bereits hinter verschlossen Türen über ein „Stipendien- und Beitragsmodell“, bei dem Gebühren von 5.000 bis 6.000 Euro jährlich im Gespräch sind. Der bayrische Wissenschaftsminister Hans Zehetmair (CDU) hat allerdings gegen das Modell Veto eingelegt, das die Münchner zusammen mit dem konservativen Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) entwickelt haben. Über Gebühren entscheide der Gesetzgeber, nicht eine einzelne Hochschule, ärgerte sich Zehetmair. Im Gegensatz zu ihrem bayrischen Kollegen hält sich die nordrhein-westfälische Bildungsministerin Gabriele Behler (SPD) derzeit bedeckt. Seit zwei Wochen warten die 500.000 Studierenden in ihrem Land auf eine Stellungnahme zu dem Gebührenmodell aus dem Haus von NRW-Finanzminister Peer Steinbrück (SPD), der mit dem Geld das Haushaltsloch in der Landeskasse stopfen will. Doch das Warten ist bisher vergeblich: Es sei nicht Aufgabe des Staates, für jeden jederzeit kostenlos Bildung zur Verfügung zu stellen, sagte Behler vergangenen Freitag in Bielefeld ausweichend. Die Ministerin, die in den vergangenen Jahren die Gebührenvorstöße anderer Bundesländer scharf verurteilt hatte, ließ sich bei der Diskussion in der Bielefelder Uni nicht erweichen. Weder durch eine Gruppe als Bildungsbettler Verkleideter noch durch die Übergabe von 6.000 Protestunterschriften. Behler verwies auf die finanzielle Situation des Landes und betonte, auch über das Studienkonten-Modell werde weiterhin nachgedacht. Das setzt nicht auf Strafgebühren, sondern auf Bildungs-Gutscheine, die ein zügiges Studium belohnen, und wurde von Behler im November 2001 vorgestellt. Damals präsentierte sie ein bildungspolitisches Alternativkonzept zu den repressiven Langzeitgebühren-Modellen. Die pädagogische Wirkung der Strafe für Bummler stellt auch das „Aktionsbündnis gegen Studiengebühren“ (ABS) in Frage: „Studiengebühren verstärken die soziale Selektion.“ Betroffen seien vor allem Studierende mit Kind und Akademiker aus einkommensniedrigem Elternhaus. „Wenn ich künftig 650 Euro pro Semester zahlen soll, bedeutet das, ich muss einen weiteren Tag pro Woche arbeiten gehen und mein Abschluss verzögert sich“, sagt der Düsseldorfer Christian Schoppe, der neben dem Studium für seinen Lebensunterhalt sorgen muss. Von einem bildungspolitischen Steuerungsinstrument redet allerdings derzeit auch kein Politiker in NRW. Schließlich setzt der Finanzminister auf das Geld der Langzeitstudenten für sein Landessäckel. Christian Schneijderberg vom ABS ist sich deshalb sicher, „dass es längerfristig an den Unis rund gehen wird“. Im Herbst sollen die Proteste in NRW fortgesetzt werden, denn dann will die Landesregierung endgültig über das Steinbrück-Modell entscheiden.
ISABELLE SIEMES
Ausgehend von Bielefeld überziehen Studierende Nordrhein-Westfalen in dieser Woche mit Protestaktionen gegen geplante Langzeit- und Einschreibegebühren. Das Kabinett hat die Studenten als zahlungskräftige Stopfer für das Haushaltsloch entdeckt
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Homophobie in Ungarn: Orbáns Spiel mit den Farben - taz.de
Homophobie in Ungarn: Orbáns Spiel mit den Farben Viktor Orbán macht weiter Stimmung gegen queere Menschen. Welche Vorteile er sich davon verspricht und warum europäische Solidarität wichtig ist. Es gibt auch das bunte, tolerante Ungarn, wie hier bei einer Drag-Show in Budapest Foto: Bernadett Szabo/reuters BUDAPEST taz | Eindrucksvoll ist es nicht gerade, aber die Botschaft kommt an. Das Stadion des Fußballvereins Ferencváros Budapest wird hinter einer riesigen Adlerstatue rot beleuchtet, die Vereinsfarben sind sowieso Grün und Weiß. So erstrahlt die Arena an der Ausfallstraße zum Flughafen in den Nationalfarben Ungarns. Ausgedacht hat sich das Klubpräsident Gábor Kubatov. Er ist gleichzeitig Viktor Orbáns Mann fürs Grobe und Vorstandsmizglied der stellvertretender Vorsitzender der Regierungspartei Fidesz. Da aber auch die meisten anderen ungarischen Fußballvereine im Besitz der Orbán-Oli­garchie sind, wurde die symbolische Geste schnell überall im Land nachgeahmt. In Miskolc, Veszprém und Debrecen – und natürlich machte auch der Heimatverein des ungarischen Ministerpräsidenten mit. Der Vizemeister der ungarischen Liga ist in dem rund 1.800 Einwohner großen Dorf Felcsút zu Hause, sein Stadion hat Platz für 3.500 Zuschauer. Doch das in den ungarischen Nationalfarben angestrahlte Stadion in Felcsút werden am vergangenen Mittwoch nur wenige Menschen gesehen haben. Die überwiegende Mehrheit guckte die Fußball-Europameisterschaft, genauer gesagt das Spiel zwischen Deutschland und Ungarn, das am selben Abend in der Allianz Arena in München stattfand. Doch vorher hatte es jede Menge Stress gegeben. Denn eigentlich hätte die Arena zum Zeichen der Solidarität mit der ungarischen LGBTIQ*-Community in den Farben des Regenbogens leuchten sollen, doch dann hatte es die Uefa unter großen Protesten verboten. Schwul, das sind die anderen Viktor Orbán postete übrigens kurz nach dem vorzeitigen Aus für die ungarische Nationalmannschaft Fotos seines Heimatvereins in den Farben Rot, Weiß, Grün. Und wäre er nicht so besessen von Fußball, weshalb ihn die Niederlage geradezu kirre machen muss, könnte er sich eigentlich riesig freuen. Denn: Es läuft gerade prächtig für ihn im Streit um das neue ungarische Anti-LGBTQI-Gesetz – und München hat da mitgeholfen. Denn während als Reaktion auf das Uefa-Verbot mit einem Mal überall Regenbogenflaggen zu sehen waren, konnte Orbán sich mit seiner Nationalflagge gewissermaßen als gallisches Dorf inszenieren, das als einziges vor den Forderungen der LGBTIQ*-Community nicht einknickt. „Wir Ungarn sind tolerant gegenüber Homosexuellen“, sagte er noch vor einem Jahr und deutete damit an: Sein Volk sei heterosexuell, schwul seien die anderen. Er stehe für Normalität, und in Europa müsse man heutzutage mutig sein, um das auszusprechen. Er sei ein Freiheitskämpfer, nicht nur für die Ungarn, sondern für alle Nationen dieses Kontinents. „Populisten lieben nur jene Krisen, die sie selbst geschaffen haben“, sagte der bulgarische Politiloge Iwan Krastew einmal – und das passt zu Viktor Orbán. Er braucht den Streit um dieses geradezu böswillige Anti-LGBTQI-Gesetz. Denn er stand in den letzten Monaten unter Druck. Seine Pläne, mit ungarischen Steuergeldern eine chinesische Eliteuniversität zu bauen, stießen auf unerwarteten Widerstand, die Spätfolgen der Pandemie sind wirtschaftlich noch deutlich spürbar und die zersplitterte Opposition scheint vereint. Außerdem wird Viktor Orbán das Schicksal seines Politikfreundes Benjamin Netanjahu genau verfolgt haben. Nach zwölf Jahren war Schluss, weil acht israelische Parteien, darunter auch die Partei der Siedler und der israelischen Araber, sich geeinigt haben, ihn endlich loszuwerden. Und auch für den ungarischen Ministerpräsidenten ist das verflixte zwölfte Jahr nun angebrochen, in dem seine Gegner gerade jede Meinungsverschiedenheit hintanstellen, nur um ihn endlich abwählen zu können. Linke, Grüne, Liberale, sie alle machen selbst mit Jobbik gemeinsame Sache, einer zuletzt etwas gemäßigter gewordenen, aber dennoch rechtsextremen Partei. Vermutlich war die Spaltung der Opposition auch das wichtigste Ziel dieses homophoben Gesetzes. Und es hat ja auch geklappt: Jobbik hat das Gesetz im Parlament mitgetragen, die anderen Oppositionsfraktionen blieben der Abstimmung fern. Seitdem zitiert die Regierungspresse genüsslich alle aus dem linken Lager, die jetzt die Zusammenarbeit mit Jobbik aufkündigen wollen. Orbán hat aber auch andere Gründe, die Debatte um LGBTQI-Rechte weiter zu befeuern. Für ihn ist es nämlich ein strategischer Nachteil, dass die EU das Land bis zu den Parlamentswahlen im April 2022 doch noch bestrafen könnte. Denn einmal läuft auf EU-Ebene gerade eine Verfahren zum Entzug des Stimmrechts gegen Ungarn, zum anderen droht der neue Rechtsstaatsmechanismus, mit dem die EU die Subventionen kürzen kann, wenn sie rechtsstaatliche Prinzipien verletzt sieht. Also sorgt Orbáns Regierung jetzt schon für eine Ausrede: Die Schwulenlobby habe Brüssel unter Kontrolle, sie wolle verhindern, dass Ungarn seine Kinder besser schützt. Der ungarische Ministerpräsident provoziert seit Jahren. Geflüchteten wurde die Verpflegung in den Transitzonen verweigert, NGOs wurden mit einer Strafsteuer belegt, einem der letzten unabhängigen Sender wurde die Frequenz entzogen und gleichgeschlechtliche Paare können de facto nicht mehr adoptieren. Dieses Mal ist aber etwas neu. Die Fidesz-Partei ist nämlich dabei, neue Partner für eine Fraktion im Europäischen Parlament zu suchen. Sie verließ die Europäische Volkspartei und will jetzt einen populistischen Block bilden. Orbán selbst will dabei die Führung übernehmen und kann mit dem neuen Anti-LGBTQI-Gesetz natürlich bei allen erhofften Partnern punkten. Aber es gibt auch die Betroffenen, etwa die ungarische LGBTQI-Community. Und dort ist die deutsche Sympathiebekundung in Form der vielen Regenbogenflaggen gut angekommen, sagt Luca Dudits, die Geschäftsführerin der NGO „Háttér Társaság“. Sie fügt jedoch hinzu, dass es noch besser wäre, wenn den symbolischen Gesten praktische Schritte folgen würden. „Wenn Angela Merkel in Gesprächen mit Viktor Orbán ist, sollte sie das homophobe Gesetz ansprechen und politischen Druck ausüben.“ Ihre NGO kämpft mit anderen Vereinen trotz Verabschiedung des Gesetzes weiter, indem sie etwa Kampagnen wie #nemvagyegyedül (auf Deutsch: Du bist nicht allein) gestartet haben, um ungarischen LGBTQI-Menschen zu zeigen, dass sie ein wertvoller Teil der Gesellschaft sind. 5.000 auf der Straße „Viele Leute fragen mich, warum wir das immer noch tun, das Gesetz ist verabschiedet, der Präsident hat es unterschrieben. Was wir aber erreichen wollen, ist ein gesellschaftlicher Wandel. Es ist nutzlos, ein homophobes Gesetz zu haben, wenn die Mehrheit der Ungarn nicht damit einverstanden ist“, sagt Dudits – und fügt hinzu, dass es in Ungarn eine noch nie dagewesene Solidarität gegeben hat: 5.000 Menschen haben gegen das homophobe Gesetz demonstriert, viele haben ihre Profilbilder bei Facebook in Regenbogenfarben umgestellt und mehr als 160 Organisationen und Unternehmen haben sich für die homosexuelle Gemeinschaft eingesetzt. taz am wochenendeDieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter. „Mehrere meiner Klienten haben mir erzählt, dass sie Kraft aus den Protesten schöpfen, aus dem Einstehen für sie in den sozialen Medien“, bestätigt Csilla Faix-Prukner, eine auf LGBTQI-Themen spezialisierte Psychologin. Seit das homophobe Gesetz verabschiedet wurde, werde in ihrer Therapie viel darüber gesprochen. Sie habe festgestellt, dass einige ihrer Kunden wütend sind, während andere eher an ihrem Land verzweifeln. Viele hätten das Gefühl, dass sie Ungarn verlassen müssen. Es scheint so, als habe Orbán sein Ziel erreicht. Doch die homophobe Propaganda ist auch ein Wagnis. Jetzt kommt es auf die Opposition an, ob sie sich von ihm spalten lässt. Gerade macht es den Eindruck, als würde sie sich wegducken, damit der Sturm vorüberzieht. Doch ihr Bündnis ist von so vielen Unterschieden geprägt, dass einer mehr auch keinen so großen Unterschied macht. Orbán muss abtreten, dann sehen wir weiter, sollte ihr Motto sein.
Márton Gergely
Viktor Orbán macht weiter Stimmung gegen queere Menschen. Welche Vorteile er sich davon verspricht und warum europäische Solidarität wichtig ist.
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Gemischtes Doppel am Griebnitzsee - taz.de
Gemischtes Doppel am Griebnitzsee ■ Am Karfreitag um 21.05 Uhr startet auf SFB1 eine neue Familien-Radioserie, die im Berliner Umland spielt Fontane über die Schulter geguckt haben die Hörspielleute beim SFB, als sie sechs Autoren — drei Ost und drei West — beauftragten, zusammen eine Serie zu schreiben, die das ach so schöne Phänomen der Familienzusammenführung nach dem Fall der Mauer aufs Korn nimmt. Da kommt in einer Villa am Griebnitzsee und unter der Fuchtel eines kauzig-sympathischen alten Herrn zusammen, was zusammengehört — oder auch, was sich dagegen sträubt. Auf billige Effekte soll verzichtet werden — so versprechen es die Macher, unter denen, jedenfalls im Moment, die Ostler dominieren. Mit dem Dramaturgen Lutz Volke und dem Regisseur Peter Groeger — beide kommen aus dem Funkhaus in der Nalepastraße — unterhielt sich Christian Deutschmann. Schon der Schauplatz Ihrer Serie „Sonntagsgäste“ scheint mir den Ostlern unter Ihren Autoren einen Heimvorteil zu geben. Ich habe überhaupt den Eindruck, daß bei dieser Serie das Schwergewicht auf der Ostseite liegt. Für einen Westsender ungewöhnlich. Lutz Volke: Es hat sich irgendwie so ergeben. Es sind die Ostautoren, die die ersten Manuskripte vorgelegt haben. Bei den Westautoren lief das etwas zögerlicher an. Das kann natürlich damit zusammenhängen, daß die Ostautoren in diesem Genre mehr Erfahrung haben, und daß in der DDR das Geschichtenerzählen — auch im Hörspiel — mehr Tradition hat. Das ist für diese Serie ein Vorteil. Es hängt auch damit zusammen, daß sich ein Ostautor, Helmut H. Schulz, besonders hineingekniet hat, schon weil er sich die Leitfigur der Serie und überhaupt die Vertreter der älteren Generation vorgenommen hat. Er hat sich am intensivsten mit dem Komplex der zwanziger, dreißiger Jahre in Berlin beschäftigt, der Zeit, in der die Hauptfigur, der alte Artur Sebaldus Hernstadt, groß geworden ist. Sie haben sich also bewußt für eine traditionelle Richtung entschieden? Es ist sehr schwer, für eine Serie, die ständig fortgeführt werden soll, ganz neue Muster zu finden. Wir haben uns gesagt, daß das gegenseitige Geschichtenerzählen — was die Leute in unserer Serie tun, die sich in den letzten Jahrzehnten gar nicht oder kaum gesehen haben und sich nun zum ersten Mal wiedersehen — eine geeignete Methode ist. Daraus ist die Form der Serie entstanden. Und das hat auch mit dem zu tun, was wir wollen: ein bißchen Hilfe vermitteln bei dem notwendigen Zusammenwachsen — vor allem in Berlin. Die Villa am Griebnitzsee: An den Klang müssen sich Westohren erst einmal gewöhnen. Für unsereinen war „Griebnitzsee“ bisher nur so eine Bahnstation, wo die Grenzer ein- und ausstiegen. Wir wollten das nicht so genau festlegen. Wir sagen mal: Griebnitzsee, denn da gibt es Leute, die das ziemlich genau kennen. Jochen Hauser, einer unserer Autoren, hat da zwar nicht gewohnt, aber studiert. Da gibt es also eine Lokalkenntnis. Dann haben da berühmte Leute gewohnt, wie etwa der General Schleicher, der von den Nazis erschossen worden ist. Alle diese Wasserlandschaften bei Potsdam sind überhaupt sehr geschichtsträchtig. Das paßt zu dieser Serie, bei der Vieles nach rückwärts erzählt wird. Peter Groeger, Sie haben die ersten neun Folgen inszeniert. Mit Familienserien verbinden wir Vorstellungen wie nett, idyllisch. Ist das auch bei den „Sonntagsgästen“ so? Peter Groeger: Es wird sich höchstwahrscheinlich nicht vermeiden lassen, daß unsere Sendung als Familienserie bezeichnet wird. Ich selber denke nicht daran beim Inszenieren. Denn hier wird ja ein sehr aktuelles Thema behandelt: Häuser, Besitz. Hier bekommt ein Mann sein Haus zurück, der immer in der DDR gelebt hat. Und er benutzt den Anlaß, die Beziehungen mit seiner Familie wiederherzustellen. Das, denke ich, ist der Reiz, und da liegen auch die Konflikte. Es geht um die Beziehungen der Leute in den letzten vierzig Jahren: Manche haben sich auseinandergelebt, mit manchen hat unser Held eine gute Beziehung behalten. Das Haus ist insofern eine Metapher. Ich nehme an, auch Sie denken bei dieser Serie häufig an Fontane. Geschichten und Sprechweise der Leute erinnern an ihn. Entspricht das der heutigen Zeit? Ja. Bleiben wir bei dem Alten. Es ist ja einigen älteren Herren gelungen, nach dieser Wende ihre traditionsreichen Unternehmen wiederzubekommen. Es gab in Berlin Firmennamen, die etwas Patriarchisches hatten. Es gibt sehr wenige solcher Figuren, aber es gibt sie. Und da sehe ich eine Analogie zur unmittelbaren Gegenwart. Der Held der Serie, Artur Hernstadt, macht einen geistvoll gebildeten Eindruck: schöne, gepflegte Dialoge. Doch er ist Unternehmer. Stimmt das denn zusammen? Ich denke, man muß die letzten dreißig oder vielleicht fünfundzwanzig ein bißchen toten Jahre berücksichtigen, die er überlebt hat. Eine Grundbildung war ja angelegt: humanistisches Gymnasium, Abitur. Auch wenn das verschüttet war, er vierzig Jahre in der DDR gelebt hat und als Außenseiter, als Kleinkapitalist bezeichnet wurde, denke ich, daß so ein Mann sich die lange Zeit zurückzieht auf einen privaten Sektor, existentielle Fragen ein bißchen philosophisch angeht, in den Klassikern sucht. Und dann ist es eine Frage der Generation: Hernstadt ist in unserer Serie ja achtzig Jahre alt, da gehört es dazu, seine Lebensphilosophie in Zitaten auszudrücken. Und ich denke: Vielleicht kann gar keiner Unternehmer sein wollen, wenn er nicht auch ethische Dimensionen bedenkt. Mir scheint, daß auch das thematische Schwergewicht in den einzelnen Folgen auf dem Osten liegt. Da gibt es so eine Richtung wie etwa: Man muß sich das einmal vorstellen, wie die Leute drüben gelebt haben! Ist das Ganze also eine Serie vor allem für den Hörer im Westen? Das wird sich im Laufe der Zeit ausgleichen. Da gibt es ja den Sohn von Artur Hernstadt, Oskar, der in Westberlin lebt. Der alte Hernstadt rechnet auf ihn, weil er denkt, der hat Geld, und der möchte, daß diese Westfamilie in sein Haus einzieht. Da liegt noch ein großer Konflikt, und das ist bisher erst angedeutet. Also, die Westler spielen schon noch eine wichtige Rolle. Wenn man das bisher so empfindet, daß es vielleicht mehr um die Befindlichkeiten der Familienmitglieder geht, die im Osten gelebt haben: Das wird sich alles noch verschieben. Daß sich ein Ostautor also in die Westproblematik einarbeitet? Ich habe bisher ja nur die ersten neun Folgen produziert. Da ist das nicht drin. Aber das kann ja in der 132.Folge noch kommen.
christian deutschmann
■ Am Karfreitag um 21.05 Uhr startet auf SFB1 eine neue Familien-Radioserie, die im Berliner Umland spielt
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Wie fühlt die Fledermaus? - taz.de
TAZ.DEBATTENKULTUR Wie fühlt die Fledermaus? HYPE Die Hirnforschung sei überbewertet, sagt Felix Hasler. Wir ließen uns von bunten Computerbildern zu sehr blenden. Und wüssten trotzdem nicht mehr VON TIMO STUKENBERG Moral, Ästhetik, Liebe – all das versuchen uns die Hirnforscher zu erklären. Der Pharmakologe Felix Hasler von der Berlin School of Mind and Brain hat da so seine Zweifel. „In der Hirnforschung kann man viel ungestraft behaupten“, sagt er auf dem taz.lab. Die empirischen Daten belegten hingegen nur selten, was als bahnbrechende Erkenntnis verkauft wird. Gegenwind von Sozialwissenschaftlern sind Neurowissenschaftler gewohnt. Nach jahrelanger Euphorie zweifeln sie nun aber auch selbst. Eine Studie, die kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Nature Reviews Neuroscience veröffentlicht wurde, zeigt: Nur jedes fünfte Ergebnis lässt sich tatsächlich belegen. Ein miserables Ergebnis. Echte Erfolge erzielt die Hirnforschung hingegen auf dem Buchmarkt. Wie trainiere ich das Gehirn meines Babys? Was sagt uns Buddhas Gehirnstruktur? Die Neurowissenschaft weiß es – oder behauptet es zumindest. Auch in den Medien wird die Hirnforschung immer häufiger aufgegriffen. Ein besonders absurdes Beispiel dafür hat Pharmakologe Hasler in der Schweizer Boulevardzeitung 20 Minuten gefunden. Unter dem Titel „Hirnscanner entlarvt Rassisten“ stellte die Zeitung die neuesten Ergebnisse einer Studie vor. Darunter ein Bild protestierender Neonazis. „Brauchen wir wirklich einen Hirnscanner, um Rassisten zu erkennen?“, fragt Hasler. Ein Grund für die überhöhte Bedeutung liege in den Verfahren wie der Magnetresonanztomografie (MRT), sagt Hasler. „Die Hirnforschung wäre ohne bildgebende Verfahren nie so ein Hype geworden.“ Nur: Bunte Bilder von Gehirnaktivitäten suggerierten eine Exaktheit, von der die Verfahren weit entfernt seien. Statt das Geschehen exakt abzubilden wie ein Foto, arbeitet zum Beispiel die MRT mit statistischen Berechnungen – die von vorher getroffenen Annahmen abhängen. Dennoch hätten gerade erst die EU und die USA ein Wettrüsten um Forschungsgelder für die Hirnforschung gestartet. Es gehe um Beträge in Milliardenhöhe. Welche Forschungsfragen sinnvoll sind und welche nicht, rücke dabei in den Hintergrund. Haslers Vortrag spielt auf die neurowissenschaftliche Forschungswut schon im Titel seines Vortrags an: „Was würde die Fledermaus denken?“ Wer herausfinden wolle, wie eine Fledermaus fühlt, könne gern das komplette Fledermaus-Gehirn untersuchen, sagt der Pharmakologe. Wie sich die Fledermaus fühlt, wisse er trotzdem nicht.
TIMO STUKENBERG
HYPE Die Hirnforschung sei überbewertet, sagt Felix Hasler. Wir ließen uns von bunten Computerbildern zu sehr blenden. Und wüssten trotzdem nicht mehr
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Jugendlicher über Haasenburg-Heim: „Ich will auf keinen Fall zurück“ - taz.de
Jugendlicher über Haasenburg-Heim: „Ich will auf keinen Fall zurück“ Ein geflüchteter Heiminsasse spricht von Misshandlungen, Drohungen und Demütigungen. Die Haasenburg habe ihn „gefühlskälter“ gemacht. Der Junge berichtet von Tritten im Haasenburg-Heim. Bild: nurmalso/photocase.com Drei Jungen flüchteten im Juli aus Heimen der Haasenburg GmbH. Sie erhoben schwere Vorwürfe wegen Misshandlungen. Zwei Jungen, sie sind aus dem Saarland und Hamburg, waren gegen ihren Willen wieder in die umstrittene Einrichtung zurückgebracht worden. Der Junge, der aus dem Saarland stammt, hält nach Aussage seines Anwaltes an seinen Vorwürfen gegenüber der Haasenburg GmbH fest. Das würde er auch dem Landesjugenddamt Brandenburg so sagen. Der Hamburger Senat hatte zuvor verbreitet, die Jungen würden ihre Vorwürfe dementieren. Ein dritter Junge befindet sich noch auf der Flucht. Bei ihm entschied das Jugendamt Berlin-Charlottenburg, dass es nicht angemessen wäre, ihn in die Haaseburg GmbH zurück zu führen, so der Anwalt. Die taz hat die Haasenburg GmbH mit den Kernaussagen dieses Interviews konfrontiert. Eine Stellungnahme von der Haasenburg GmbH blieb aus. Nico*, weshalb bist du aus dem Heim der Haasenburg GmbH geflüchtet? Nico: Wegen der strengen Regeln dort und wegen der Missstände. Und weil ich Kontakt zu meinen Freunden wollte. Was ist dir passiert? Einen Tag vor meiner Flucht hatte ich Streit mit einem Erzieher. Ich hatte abends geklopft, weil ich etwas zu Trinken wollte. Das mussten wir so machen. Da hat er gesagt, du kriegst nichts, du hast schon vor einer halben Stunde getrunken. Er hat mich dann in mein Zimmer geschubst. Das hab ich mir nicht gefallen lassen und bin raus in den Flur, um mir was zu Trinken zu holen. Da hat er einen anderen Erzieher aus der Nachbargruppe angefunkt. Ich wollte wieder rein in mein Zimmer, da hat er ausgeholt und mir heftig in den Po getreten mit seiner Fußspitze. Und dann bist du wieder ins Zimmer? Nein, das hat sehr weh getan. Der hat so doll zugetreten, dass am nächsten Tag sein Fuß sichtbar geschwollen war. Ich habe mir gesagt, so nicht mit mir, habe einen Stuhl umgeschmissen, habe rumgeblökt und bin zum Wasserhahn, um was zu trinken. Da kam der zweite Betreuer an und hat gesagt: Ich weiß nicht, was vorgefallen ist, aber wenn ich noch einmal wegen dir rüberkommen muss, dann verdrehe ich dir deine Gliedmaßen oder Körperteile – ich weiß es nicht mehr so genau, welches Wort er gewählt hat. Er hat dir gedroht? Ja. Ich habe ihm gesagt, das dürfen Sie gar nicht. Da meinte er: wird Zeit, dass du das mal kennen lernst. Da sagte ich, das dürfen Sie nicht, denn ich gefährde weder mich noch andere. Da sagte der, das sei immer Auslegungssache und er sei sicher, sein Kollege würde ihm da zustimmen. Bill und Hillary, Sahra und Oskar, Gerd und Doris: Wie funktionieren Beziehungen in aller Öffentlichkeit? Die Titelgeschichte „Liebe. Macht. Politik“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 13./14. Juli 2013. Darin außerdem: Am 24. April brach in Bangladesh ein Hochhaus über 3.500 Näherinnen ein. Die Schuldigen dafür waren im Land schnell gefunden: ihre Chefs. Die Geschichte zweier Glücksritter. Und der Streit der Woche zur Frage: Ist Datenhygiene jetzt Bürgerpflicht? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Hast du so eine Maßnahme schon mitbekommen? Ich habe bei anderen gesehen, wie das gemacht wurde. Ein Junge, der weglaufen wollte, den haben sie auf den Boden geworfen und Arme und Hände verdreht. Dabei hätte einfach Festhalten gereicht. Der hat noch gefleht: „Bitte nicht so doll, nicht so doll.“ Es war zu lesen, du wurdest in einer Mülltonne fotografiert? Ja, das war beim Müllrausbringen. Da gibt es so große Container. Der Erzieher sagt zu mir, steig da rein, dann reiche ich dir den Müll rein. Das habe ich gemacht. Dann sagte er auf einmal, wieso bist du denn da reingestiegen, ’du bist ja ein Müllbobby, haha, ich lach mich tot’ und hat mich fotografiert und die Klappe zugemacht. Später hat er die Bilder anderen rumgezeigt. Wie war dein Alltag im Heim der Haasenburg GmbH? Ich war knapp zwölf Monate dort und hab die meiste Zeit nur an meinem Tisch gesessen und mich zu Tode gelangweilt. Ich war oft in Einzelbetreuung. In der Gruppe war ich nur selten. Durftest du dich in deinem Zimmer frei bewegen? Nein. Wenn ich mich aufs Bett setzen oder ans Fenster stellen wollte, musste ich immer vorher klopfen und den Erzieher fragen „darf ich mich aufs Bett setzen oder darf ich mich auf Bett lümmeln“. Meistens kam ein „Nein“. Hat man das gemacht, ohne zu fragen, gab es erst einen Hinweis und beim zweiten Mal wurde das Bett rausgenommen. Es gab auch eine Station, da wurden dann beim Fenster die Außenrollos runtergelassen. War das immer so, oder nur am Anfang? Das war die ganze Zeit so schlimm, bis ich endlich flüchten konnte. Konntest du rausgehen? Allein aufs Gelände durfte ich nie, nur ein paar mal in Begleitung eines Erziehers. In der Regel durfte ich nur im Pausenhof an die frische Luft. Das ist ein von hohen Zäunen umgitterter Basketballplatz. Was hat die Zeit dort mit dir gemacht? Nichts Positives. Ich bin gefühlskälter geworden. Gab es dort Therapeuten, mit denen du reden konntest? Es gab eine Psychologin, aber die war voll eingebunden in das Konzept. Da nützt es ja nichts, wenn ich mich darüber beschwere, was mir nicht gefällt. Wie seid ihr geflüchtet? Darüber möchte ich nichts sagen. Du bist jetzt untergetaucht. Wie geht es mit dir weiter? Ich will auf keinen Fall zurück in die Haasenburg. Mein Anwalt hat mir schon gesagt, dass ich das auch nicht muss. Nun Kämpfe ich darum, dass ich nicht in ein anderes geschlossenes Heim komme. Ich möchte in eine offene Einrichtung. Ich habe keine Straftaten begangen. Die beiden anderen wurden von der Polizei wieder zurückgebracht. Es wird denen schrecklich gehen. Gerade wo jetzt schon Mitarbeiter gehen mussten wegen unserer Aussagen. Sie werden in Einzelbetreuung sein, zurück auf Null gestuft, werden die Aufgabe bekommen, alles zu reflektieren. Sie werden von den Erziehern menschlich wie der letzte Dreck behandelt werden, weil sie Missstände angeprangert haben. *Name von der Redaktion geändert
Kaija Kutter
Ein geflüchteter Heiminsasse spricht von Misshandlungen, Drohungen und Demütigungen. Die Haasenburg habe ihn „gefühlskälter“ gemacht.
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Totschläger „stolz, Deutsche zu sein“ - taz.de
Totschläger „stolz, Deutsche zu sein“ ■ Prozeß: Stadtstreicher von Jugendlichen brutal erschlagen Potsdam (AFP) – Vor dem Bezirksgericht Potsdam haben sich gestern zwei junge Männer, die wegen der brutalen Tötung eines Stadtstreichers angeklagt sind, zu den verbotenen rechtsextremen Organisationen „Nationale Offensive“ (NO) und „Nationalistische Front“ (NF) bekannt. Der 17jährige Daniel K. erklärte, er sei Mitglied der NF, der 18jährige Thomas S. sagte, er sympathisiere mit der NO und sei „stolz, ein Deutscher zu sein“. Zuvor hatten beide gestanden, den 52jährigen Rolf Sch. im November mit Springerstiefeln getreten, mit Fäusten traktiert, mit einer Gasflasche geschlagen und dann mehrmals im brandenburgischen Kölpinsee untergetaucht zu haben. Die Leiche hatten sie später mit Benzin übergossen und angezündet. Das Gericht kündigte an, die als gemeinschaftlichen Totschlag angeklagte Tat möglicherweise als Mord zu bewerten. Zum Tathergang sagte Daniel K. vor Gericht, er sei am Abend der Tat im November vergangenen Jahres mit seinen Kumpanen zum Bahnhof Berlin-Schönefeld gefahren, um „Penner“ zu suchen, „die wir rausschmeißen können“. Die Stadtstreicher seien doch „eine Belästigung für die Reisenden“ gewesen, sagte der Angeklagte. In Schönefeld seien sie auf ihr späteres Opfer Sch. gestoßen und hätten ihn überredet, in ihr Fahrzeug zu steigen. Dann seien sie an den See gefahren, in der Absicht, den „Asi umzutreten“. Weil Sch. wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern eine „zu geringe Strafe“ erhalten hätte, hätten er und seine Freunde ihm „einen Denkzettel verpassen“ wollen.
taz. die tageszeitung
■ Prozeß: Stadtstreicher von Jugendlichen brutal erschlagen
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Gesundheit: Impf-Empfehlung an die Szene - taz.de
Gesundheit: Impf-Empfehlung an die Szene Der Berliner Impfbeirat empfiehlt: Männer, die Sex mit Männern haben, sollen sich gegen Meningokokken schützen. Bereits drei Todesfälle in diesem Jahr. Beirat empfiehlt Meningokokkenimpfung für MSM. Bild: DPA Der Berliner Impfbeirat hat am Donnerstag eine neue Impfempfehlung ausgegeben: Männer, die mit Männern Sex haben, sollen sich gegen Meningokokken der Gruppe C impfen lassen. Das Bakterium kann schon durch Tröpfcheninfektion, etwa durch Niesen oder Küssen, übertragen werden, es verursacht Krankheiten wie Hirnhautentzündung und Blutvergiftung. Anlass der Warnung ist, dass es bereits drei Todesfälle in dieser Gruppe im Jahr 2013 gab. Ein weiterer Erkrankter aus dieser Gruppe leidet dauerhaft unter der schweren Erkrankung. Insgesamt gab es im laufenden Jahr bisher 18 Fälle von Meningokokken-Erkrankungen in Berlin, in 7 Fällen waren Schwule bzw. – so die offizielle Bezeichnung – „Männer, die mit Männern Sex haben“ (MSM), betroffen. Die mit dem gefährlichen Meningokokken-Erreger der Gruppe C Infizierten haben mit 10 Prozent eine hohe Sterblichkeitsrate. Die Berliner Schwulenberatung begrüßt die Empfehlung. „Es besteht kein Grund zur Panikmache“, so der Abteilungsleiter für HIV und Hepatitis, Stephan Jäkel, „aber wir wollen auch nicht, dass es zu einem Problem wird.“ Mit anderen Vereinen soll jetzt Aufklärungsarbeit in der Szene geleistet werden. „Die Informationen müssen zur Zielgruppe kommen“, sagt Jäkel, auch wenn die Krankheit nicht schwulenspezifisch sei. Denn: „Drei Tote sind drei zu viel.“ Wichtig sei aber, so Jäkel, dass Betroffene erst ab dem 27. Juli von der Möglichkeit der Impfung Gebrauch machten, wenn die Empfehlung des Beirats offiziell in Kraft tritt. Erst dann hätten sie im sehr seltenen Fall von Impfschäden die Möglichkeit, gegenüber dem Land Berlin Schadenersatz geltend zu machen. HIV-Infizierte könnten aber schon jetzt zur Impfung gehen. Sie fallen bereits jetzt unter die Empfehlung der Impfung gegen Meningokokken. Unklar ist laut der Senatsverwaltung für Gesundheit noch, ob die Krankenkassen die Kosten von rund 50 Euro pro Impfung übernehmen. Es gebe Gespräche mit den Kassen darüber, dass Betroffene die Kosten erstattet bekämen, bestätigt Jäkel. Allerdings müsse sich dann der Patient beim Arzt outen. Dafür suche man nach einer Lösung, etwa, Impfungen in der Schwulenberatung anzubieten. „Die Lösung brauchen wir nicht morgen, aber wir brauchen sie“, so Jäkel. Zunächst gilt die Impfempfehlung bis zum 31. Januar 2014. Danach sollen die Effekte überprüft werden. Neben Berlin haben auch Großstädte wie Paris und New York ähnliche Programme ins Leben gerufen.
Helena Wittlich
Der Berliner Impfbeirat empfiehlt: Männer, die Sex mit Männern haben, sollen sich gegen Meningokokken schützen. Bereits drei Todesfälle in diesem Jahr.
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Blogger über Tripolis: „Bye bye Gaddafi“ - taz.de
Blogger über Tripolis: „Bye bye Gaddafi“ Mission erfüllt? Von wegen! Auch nach der Einnahme großer Teile von Tripolis sehen internationale Blogger die wahren Probleme erst noch kommen. Da ist er! Gaddafi am Bildschirm. Bild: dpa Tripolis fällt, Gaddafi soll auf der Flucht sein, aber: nichts Genaues weiß man nicht. Das ist auch in der deutschen Blogosphäre so, die sich derzeit in weiten Teilen mit Einschätzungen und Diagnosen zurückhält. Im Zweifel wird auf Al-Jazeeras Liveblog oder aber auf Twitter-Korrespondenten vor Ort verwiesen. Das mag daran liegen, dass die deutsche Öffentlichkeit auf einem Auge blind ist: dem des Fernsehens. Revolution will not be televised: Was bei Scott Heron wie eine Mahnung klang, klingt heute nach Enttäuschung. Die deutschen Nachrichtensender seien „einfach unbrauchbar“, schreibt beispielsweise Abassin Sidiq, dabei bräuchten die Rebellen gerade jetzt Unterstützung: „Weltweit schauen Leute zu und weltweit fühlen die Leute mit und sind genauso angespannt, wie es weitergeht. Es ist wichtig, dass Journalisten vor Ort sind und auch zeigen, dass alles was passiert von jedem Gesehen wird. Sie schützen damit auch die Rebellen.“ Und auch im Online-Netzwerk Twitter brach sich die Enttäuschung Bahn, was "zeitweise“ zu der Feststellung Anlass gab, hier werde man wenigstens präzise und brandaktuell“ informiert, „welche deutschen Medien gerade in Sachen Libyen wo und wie versagen.“ Und das trotz der verfrühten Todesmeldung, die Al-Jazeera in die Welt gesetzt hatte. Ein Wunder, dass noch niemand die hunderste Petition zur Abschaffung der GEZ-Gebühren aufgesetzt hat. „Leute mit Regierungserfahrung“ Währenddessen fragt sich Ulrich Ladurner, was die Nato tun wird, sollte es zu Racheakten der Rebellen an Zivilisten in Trioplis kommen. Es sei bereits jetzt zu Übergriffen gekommen, aber bisher habe sich die Nato stets darauf verlassen, dass der Übergangsrat die Situation unter Kontrolle bekomme. Dabei werde man es nicht belassen können, wenn man die Bevölkerung schützen wolle, so Ladurner. Auch im US-Blog "ComparativeConstitutions“ sieht in die Zukunft und wirft einen Blick auf den Verfassungsentwurf der Rebellen. Tom Ginsbourgh findet darin den „bewunderswerten“ Artikel, Mitglieder des Übergangsrates oder sonstige momentan Verantwortliche von der Legislative fernzuhalten, hält diesen Ansatz aber für utopisch: Denn man brauche, schreibt er, „Leute mit Regierungserfahrung“. In den USA und Großbritannien hat man die zögerliche Haltung zu den Luftangriffen nicht vergessen. John Tabin spekuliert, dass Gaddafis Sturz schon vor Monaten hätte vollzogen werden können, wenn Obama nicht wochenlang gezaudert hätte. Noch im April hatte Leslie Gelb, Berater des Weißen Hauses, prognostiziert: „Von Teheran bis Pjöngjang wird man nach Libyen den Schluss ziehen, dass der Westen sie nicht entscheidend treffen kann.“ Der schwierige Teil der Mission Noah Shachtmann sammelt im "Dangerroom“ weitere einflussreiche Stimmen, die einen Erfolg der Intervention für ausgeschlossen hielten. Und "order-order“ erinnert an die Blockadehaltung, die Labour-Chef Ed Miliband an den Tag gelegt hatte. Daran werde man sich erinnern müssen, wenn Miliband in Siegerpose vor die Kameras trete. Andernorts gehen die Überlegungen in die Zukunft. Der Fall Gaddafis wird nicht ohne Auswirkungen bleiben, denn mindestens in Frankreich und in Großbritannien knüpften Sarkozy und Cameron ihre politische Daseinsberechtigung an den Erfolg der Mission in Libyen. Sunny Hundal befürchtet, die Interventionisten könnten daraus eine umfassende Lehre ziehen wollen und im Siegestaumel die Befreiung anderer Länder fordern – beispielsweise Syriens. Er mahnt, Libyen selbst nicht jetzt schon aus dem Blick zu verlieren: „Cameron könnte wie damals Bush ein ‚Mission accomplished‘ vermelden, und Libyen könnte instabiler und zerrissener als der Irak enden. Wenn wir etwas aus unserer Erfahrung mitgenommen haben, dann das: der schwierige Teil der Mission hat gerade erst begonnen.“ Die BBC meldet indes: Anti-Gaddafi-Hacker hätten Libyens Hauptseite für die Internetverwaltung gekapert. In der Tat grüßen von dort derzeit libysche Rebellen mit den Worten „bye bye Gaddafi“.
Frédéric Valin
Mission erfüllt? Von wegen! Auch nach der Einnahme großer Teile von Tripolis sehen internationale Blogger die wahren Probleme erst noch kommen.
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Ein widerständiger Geist - taz.de
Ein widerständiger Geist ■ Zu seinem 100. Geburtstag widmet sich eine Ausstellung in der Stabi dem Leben des kritischen Kommunisten Alfred Kantorowicz Die Biografie des jüdischen Literaturwissenschaftlers und Kritikers Alfred Kantorowicz (1899-1979) spiegelt die Geschichte dieses Jahrhunderts. Die politischen Machtverhältnisse legten seinem Wirken immer wieder Steine in den Weg und zwangen ihn mehrmals zur Flucht. Anlässlich seines 100. Geburtstages erinnert eine Ausstellung in der Staats- und Universi-tätsbibliothek an ihn. Mit Fotos, autobiografischen Notizen, Zeitungsartikeln, Büchern und Briefen aus seinem Nachlass wird sein Lebensweg nachgezeichnet. Als Jugendlicher stürmte der Sohn eines Berliner Kaufmanns im Zuge der Weltkriegsbegeisterung an die Front. Dort lernte er, dass es keineswegs süß und ehrenvoll ist, für das Vaterland zu sterben. Nach Studium und Promotion begann er Mitte der 20er Jahre für verschiedene Bätter wie die Vossische Zeitung als Literaturkritiker zu schreiben. In dieser Zeit lernte er Ernst Bloch und Lion Feuchtwanger kennen, woraus sich langjährige Freundschaften ergaben. Angesichts der wirtschaftlichen Krise und des Aufstiegs der Nationalsozialisten trat er 1931 in die KPD ein. Ein offener Aufruf zum Widerstand gegen Hitler zwang ihn im März 1933 zur Flucht. Im Pariser Exil wurde er zu einer wichtigen Figur der antifaschistischen Literaturszene. Als Sekretär des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller kooperierte er mit Autoren wie Roth, Herzfelde, Leonhard, Kisch, Malraux und Rollland. 1936 ging Kantorowicz als Freiwilliger nach Spanien, um im Bürgerkrieg den Faschismus direkt zu bekämpfen. Als Informationsoffizier einer Internationalen Brigade dokumentierte er den letztlich verlorenen Kampf gegen die Barbarei in seinem Spanischen Tagebuch und dem Band Tschapaiew. Das Bataillon der 21 Nationen. Seine Frau Friedel sprach die deutschen Nachrichten des republikanischen Radios in Madrid. 1940 zwang ihn der Einmarsch der deutschen Truppen in Frankreich, weiter nach New York zu fliehen – auf einem Schiff mit Anna Seghers. Beim Rundfunksender Columbia Broadcasting System fand Kantorowicz Arbeit als Redakteur. Zum eigenen Schreiben kam er jedoch kaum noch, insbesondere nachdem er zum Direktor seiner Abteilung befördert worden war. 1945 hoffte er, in Ost-Berlin eine günstigere Umgebung für sein Wirken zu finden. Dort gab er die Zeitschrift Ost und West heraus, publizierte eine Werkausgabe von Heinrich Mann und bekam einen Lehrstuhl für neuere deutsche Literatur an der Humboldt-Uni. Den erhofften sozialistischen Aufbruch fand er in der DDR jedoch nicht vor: „Wir meinten doch wirklich mit unserem Kampf die Volksherrschaft und fanden uns verstrickt in die Funktionärsdiktatur.“ Als er sich 1956 weigerte, eine Erklärung zur Unterstützung der sowjetischen Intervention in Ungarn zu unterzeichnen, wurde die Lage brenzlig. Ein weiteres Mal ließ Kantorowicz seine Bibliothek und unvollendete Arbeiten hinter sich und ging in die BRD. Die bayerischen Behörden verweigerten ihm jedoch den Status eines politischen Flüchtlings: Erstens sei er eh ein Kommunist und zweitens habe er Repressalien wegen mangelnder Linientreue selbst zu verschulden. An eine Hochschule konnte er so nicht berufen werden. Erst in den 60er Jahren wurde ihm in Hamburg der Status doch noch zugestanden. Hier lebte Alfred Kantorowicz mit seiner Frau bis zu seinem Tode 1979. Michael Müller „Alfred Kantorowicz (1899-1979) – eine deutsche Lebensgeschichte“, Staatsbibliothek, Mo – Fr 9 – 21 Uhr, Sa 10 – 13 Uhr, bis 20. November
Michael Müller
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Freier und Geliebte - taz.de
Freier und Geliebte Geschlecht Juchitán, ein kleiner Ort, mitten im katholischen Mexiko, ist bekannt für seine Muxhes. Sie erkämpfen ihre Freiheit in Frauenkleidern „Die Muxhes sprengen die Tabus, die in den Köpfen der Menschen existieren“PFARRER HERRERA, JUCHITÁN VON LISA MARIA HAGEN Carlos Alejandro quetscht seinen Penis in einen Damenslip. Eine Nummer kleiner, damit alles fest sitzt. Wimper für Wimper klebt er sich den Augenaufschlag auf rosaroten Glitzerstaub. Die Barthaare hat er sich zuvor gezupft. An den Stoppeln klumpt das Make-up. Einlagen schummeln seine Brust von null auf Körbchengröße B. Absätze klappern, es quietscht, das Eisentor schwingt auf. Carla Castillo stöckelt hinaus in die Mittagshitze. Carla Greta Castillo, 27, ist eine von etwa 2.000 Männermädchen, den Muxhes, in Juchitán, einer erzkatholischen Stadt mit 93.000 Einwohnern. Muxhes, das sind Männer, die sich als Frauen kleiden, fühlen und leben. Sie sind keine Transvestiten, denn ihre Weiblichkeit sprengt den bloßen Kleiderschrank. Sie sind keine Transsexuellen, würden nie ihr letztes Stück Männlichkeit ans Messer liefern. Und sie sind keine Homosexuellen, denn beim Sex und im Alltag empfinden sie sich als Frauen. Am Isthmus von Tehuántepec, jener Landenge, an der der Pazifik beinahe den Golf von Mexiko berührt, sind die Muxhes das Produkt einer konservativen Kultur. Carla Castillo fasziniert das Frausein in allen Facetten. Als Kind spielte sie mit den Mädchen aus der Nachbarschaft, versteckte die Puppen unter ihrem Bett. Mit 14 steckte sie ein Muxhe-Freund in ein gelbes Kleid, enthaarte und schminkte sie. Zusammen durchtanzten sie die Nacht. Von da an weigerte sich Carla Castillo, ihre Weiblichkeit in die männliche Schuluniform zu sperren und ging nicht mehr zum Unterricht. Bis heute hat Carlos Alejandro Hausarrest und Carla Castillo liebt die Zügellosigkeit. Die Muxhes: Hausmädchen, Geldverdiener und Pflegeschwester in einem – das perfekte Kind, das seine Eltern nie für eine eigene Familie verlassen wird. Mexikanische Zeitungen schreiben, dass die Eltern aus Juchitán sich ein Muxhe-Mädchen wünschen. Carla Castillo hat das anders erlebt. „Als mein Mann unseren Sohn mit Puppen spielen sah, hat er ihn grün und blau geschlagen“, erzählt Castillos Mutter, Alejandra Matús. Danach sei ihr Mann gegangen und nicht mehr wiedergekommen. Er hätte es nicht ertragen, dass sein einziger Sohn „eine Schwuchtel“ sei. Auf der Straße vor dem Elternhaus feiern die Nachbarn ein Fest zu Ehren der Jungfrau Maria. Carla Castillo schäkert mit den Männern auf der Bank. Der pinkfarbene Trachtenrock schwingt sanft um ihre Hüften. „Nach drei Töchtern dachte ich, der Herrgott hätte uns endlich einen Sohn geschenkt.“ Als sie merkte, dass ihr Sohn ein Männermädchen ist, weinte Alejandra Matús. „Aber ihn verstoßen? Er ist mein Kind, ich liebe ihn.“ Alejandra Matús darf ihr Kind nicht Carlos nennen, Carla will sie es nicht nennen. Sie ruft es Flaco, Spargel, als den dünnen Jungen, der Carla Castillo früher war. Später, die letzten Sonnenstrahlen blinzeln durch das Hoftor, Castillo sitzt auf einem Plastikstuhl, die Haare fest zu einem Dutt gezurrt. Mit einer Nähmaschine hämmert sie Faden in den Stoff. Rosa Blüten auf schwarzer Seide. Die schönsten Trachten sind von Muxhes gefertigt. Handwerkliches Geschick, Fleiß und Vermögen – dafür stehen sie. „Er kann alles, die Nachbarn lieben ihn, er verdient gut“, sagt Mutter Alejandra. „Aber so wie er das Geld einnimmt, gibt er es auch aus“, klagt sie. Ihre Pesos steckt Castillo in Geschenke für ihren Freund, und in das Hotel, in dem sie sich treffen, um miteinander zu schlafen. Eigentlich schläft er mit ihr, denn ein Muxhe benutzt seinen Penis nicht. Ein Muxhe wird geliebt, statt selbst zu lieben. Sogar Selbstbefriedigung ist verpönt. „Ich komme, ohne mich selbst anzufassen“, sagt Carla Castillo. Eine Frau masturbiere schließlich auch nicht, meint sie. Ihr Liebhaber und sie sehen sich heimlich, jeden Tag. Er hat geheiratet, vergangenes Jahr. Carla Castillo hat genäht. Ein Brautkleid für seine Verlobte, weiß und weich. Die Seitensprünge konnten ihre Enttäuschung nicht übertünchen. „Ich habe immer mich in diesem Kleid gesehen.“ Manchmal, wenn sie sich streiten, sage sie: „Verlass deine Frau, lass uns gehen, nach Mexiko-Stadt“, dann wolle sie ihn schütteln, mit sich reißen. Und er schweigt. Im Juni erwartet seine Frau das zweite Kind. Sie möchte Castillo als Patentante. Die Muxhes: Schattenfrauen. Freier. Geliebte. Sie verstehen die Freiheit Juchitáns als eine Freiheit, sich das zu nehmen, was sie wollen. Was hier geschehe, sei Hurerei, eine Jagd nach Vergnügen, Irrsinn, sagt die Journalistin Guadalupe Rios. In Juchitán tarne sich die Zweckmäßigkeit als Toleranz. Eine Frau heirate einen Muxhe, um nicht als alte Jungfer zu enden. Eine Mutter akzeptiere ihren Muxhe-Sohn, damit er sie unterhält und pflegt. Und die Männer schliefen mit den Muxhes, weil die ihnen Geld geben, Geschenke kaufen. Innerhalb der letzten Jahre sei ihr Verhalten in eine Show ausgeartet, meint Ríos. Zu zwei der traditionellen Feiern der Stadt werden die Muxhes nur noch in Männerkleidung eingelassen, und die Damentoiletten bleiben ihnen verschlossen. „Richtig so“, sagt Ríos, die Muxhes würden Rechte einfordern, die ihnen nicht zustehen. Denn: „Muxhes sind keine Frauen.“ Die Muxhes aber feiern ihre Weiblichkeit einmal im Jahr. Aus sämtlichen Bundesländern und aller Welt reisen Muxhes, Transvestiten und Homosexuelle nach Juchitán, um gemeinsam, jetzt im November, die Muxhe-Königin zu krönen. Der Weg zur Krone ist vor allem teuer. Ein ganzes Jahr lang hat Mística, die im Jahr 2010 Königin wurde, gearbeitet, um die nötigen 5.000 Euro zusammenzukratzen. Das Kleid allein ließ sie sich 730 Euro kosten, schließlich wollte sie die Königin des Vorjahres ausstechen. Das hat sie getan, um 300 Euro. „Ein Muxhe ist großzügig“, sagt sie, „zwar sind wir allein im Leben, aber unser Leben ist dazu da, es mit den anderen zu teilen.“ In den nächsten Wochen wird Mística wohl ihre Krone an Carla Castillo übergeben. Seit Jahren spart die für den großen Tag. Ihr Kleid muss noch schöner, noch teurer werden. Außerdem sind da noch der Tanzkurs, eine Radikaldiät, Hormone für breite Hüften und einen runden Hintern, die Silikonimplantate. Die Messe zur Feier wird wie jedes Jahr Pfarrer Arturo Francisco Herrera halten, den alle nur Padre Pancho nennen. Muxhes haben eigentlich keinen Platz in der katholischen Lehre, aber Sünde sei nur, was der Gesellschaft Schaden zufüge, sagt Padre Pancho. „Und die Muxhes schaden niemandem.“ Ob sie nun Brüder oder Schwestern seien – sie verdienten Respekt. „Die Muxhes sprengen die Tabus, die in den Köpfen der Menschen existieren.“ Es gebe Kollegen, die sie etwa als Taufpaten nicht akzeptierten. Er selbst sieht das locker. „Ich spitze ihnen bestimmt nicht unter den Rock, um sicherzustellen, dass sie ganz Frau sind.“ Männermädchen gibt es immer mehr. Für die Jungen und Schönen unter ihnen ist der Sex umsonst. Für alle anderen verwandelt sich das Vergnügen immer häufiger in einen Wettstreit. Wer einen Mann zuerst anmacht, steckt ihm einen Schein zu und genießt. „200 Pesos für einen guten Fick, und die meisten Männer steigen sofort drauf ein“, sagt Carla Castillo. Mit ihren 27 hat sie das nicht nötig. Noch nicht. Schweißperlen rinnen über Carla Castillos Oberlippe. Sie versucht sie loszuwerden, ohne das Make-up zu verwischen. Doch die Hitze lässt die Maske laufen. Carla Castillo will sterben, bevor sie 35 ist. Bevor sie sich zum Clown macht und Sex nur noch für Geld bekommt. Bevor sie einsam wird.
LISA MARIA HAGEN
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Am Morgen nach der Party - taz.de
Am Morgen nach der Party Die New Economy ist nicht tot. 1.000 Arbeitsplätze in der deutschen Informationswirtschaft sind unbesetzt. Nur ist die Arbeit nicht mehr so lustig wie früher und das Geld nicht mehr so flüssig von VERENA DAUERER Auch die zweite Welle blieb aus. Der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. (Bitcom) hat seine Wachstumserwartungen für das laufende Jahr von 6,6 Prozent auf knapp unter 2 Prozent heruntergeschraubt: 28.000 Arbeitsplätze fallen weg. Allerdings hat derselbe Verband der Bundesregierung ein Notprogramm mit 10 Punkten vorgelgt, wonach in seiner Branche 1.000 Stellen unbesetzt sind. Und Menno Harms, Aufsichtsratsvorsitzender bei Hewlett-Packard Deutschland, rechnet vor: „Wir verlieren zwar jeden Monat so um die 40 bis 60 Jungunternehmen. Wir reden aber nicht von den über 10.000 nach wie vor erfolgreichen Start-ups mit 100.000 Mitarbeitern.“ Start-up? Das Unwort ist eingemottet wie die letzte Winterkollektion. Übrig blieben nur die Menschen, die dabei waren, als der Marsch durch die Dotcoms begann. „No risk, no fun“, bekommt man überall zu hören, ein überzeugter Start-upper möchte dennoch niemand mehr sein. Das dafür typische Verwechseln von Party und Arbeit wirkt heute allzu peinlich. Markus zum Beispiel, heute 32, war irgendwie beim Berliner Jugendportal Kindercampus.de als Onlineredakteur gelandet. Das ging bis Frühjahr 2001 ganz gut, jetzt ist froh, bei der Stiftung Warentest „was Geregeltes“ zu haben: „Am Anfang war die Party. Wir standen dauernd draußen und haben getrunken und gefeiert. Nach drei weiteren Start-ups war das nur noch bitter, weil mir ständig der ökonomische Rückhalt weggebrochen ist.“ Jugendschulden Allein fühlte sich Markus in Berlin nicht. „Hier machen sich alle ständig Sorgen darüber, wo das Geld herkommt.“ Auch dass er sich selbst „nicht so über Arbeit definert“, ist nicht ungewöhnlich in dieser Stadt. Nur älter ist er geworden: „Die New Economy war eine Jugendkultur, keine Frage. Aber auch der hippste Mensch wird, hat er die 30 überschritten, merken, dass er Sicherheiten braucht. Für das tolle Gefühl, mit tollen, jungen Menschen zusammenzuarbeiten, kann man sich nichts kaufen.“ Aber ungemein wichtig kann man sich fühlen: Daniela, 39, schwärmt von dem Gefühl, „wenn man von Flughafen zu Flughafen sprintet, von Messe zu Messe und auf den wichtigen Partys ist“. Tatsächlich war für die ehemalige „Content-Managerin“ beim Hamburger Ableger der amerikanischen Suchmaschine Altavista.de die Arbeit das Wichtigste. „Ich würde mich als Workaholic bezeichnen zu der Zeit. Euphorisch war man, wenn man eine Aufgabe hatte“, sagt sie. Ende 2000 hatte sie keine mehr, dafür Schulden: „Ich habe sehr viel damals verdient, dann mit Aktien am Neuen Markt viele Schulden gemacht und sicher 50.000 Euro in den Sand gesetzt. Jetzt habe ich noch mehr Schulden beim Finanzamt, an denen ich noch ein paar Jahre nagen werde.“ Echtes Spielgeld Daniela ist in das Leben zurückgekehrt, das sie nur kurze Zeit verlassen hatte. Sie hat ihr Studium abgeschlossen, geheiratet und ist im achten Monat schwanger. Die Aktien, mit denen sich Klaus, 34, verschuldet hat, sind zwar am alten Markt notiert, aber auch dort nicht mehr viel wert. Noch 1999 hatte er mit dem Einrichten des Redaktionssystems bei Springer in Hamburg „richtig viel“ verdient. Dann wurde er Grafiker beim Spieleportal Gamechannel.de, abends hielt er Softwareschulungen ab, Ende desselben Jahres übernahm er den stolzen Job eines „Game-Developpers“ in einer Berliner Firma; vor wenigen Monaten kam das Ende auch hier: „Jetzt bin ich schlechter abgesichert als ein Arbeitsloser, ich bin existenziell unten und weiß nicht, wie ich die nächste Miete zahlen soll.“ Er hat sich eine kleiner Wohnung gesucht, ist froh, wenn er mal ein paar „Webseiten designen“ darf, und beklagt, dass ihm bei alledem seine Familie „nicht das Gefühl gibt, dass sie das duldet und dass sie mich unterstützt“. Stehaufmännchen Holger, 35, ist robuster. „Man gewöhnt sich halt daran, ständig wo neu anzufangen“, findet er. Fröhlich hat er einige Entwicklungsredaktionen von PC- und Internetmagazinen durchwandert, „die alle eingestellt wurden, nicht mal mehr erschienen sind“. Und das dreimal in drei Jahren: „Man muss sich klar machen, dass es nicht an deiner Person liegt, sondern an einer Verlagsentscheidung.“ Und einsam fühlt auch er sich nicht: „Es hat die Branche erfasst, deswegen bist du nicht allein. Es ist kein Einzelschicksal – wir treffen uns regelmäßig, und deshalb ist das nicht mehr so tragisch.“ Anfang des Jahres hat er sich mit einem Partner für die Selbstständigkeit entschieden und hat ein Büro in der Hamburger Gründerwerft bezogen. Und sagt: „Die Zeiten in der Branche sind schlecht, aber ich mach weiter.“ vdauerer@t-online.de
VERENA DAUERER
Die New Economy ist nicht tot. 1.000 Arbeitsplätze in der deutschen Informationswirtschaft sind unbesetzt. Nur ist die Arbeit nicht mehr so lustig wie früher und das Geld nicht mehr so flüssig
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Jüdische Kontingentflüchtlinge: Eine Rente, von der man leben kann - taz.de
Jüdische Kontingentflüchtlinge: Eine Rente, von der man leben kann Migranten aus Russland und Polen erhalten weniger Pension als deutschstämmige Spätaussiedler. Die Grünen wollen das ändern. Viel Zeit, aber kaum Geld. Viele jüdische Kontingentflüchtlinge haben eine sehr niedrige Rente Foto: dpa BERLIN taz | Die Grünen wollen jüdische Zuwanderer bei der Rente besserstellen. Am Dienstag stellte der Grünen-Abgeordnete Volker Beck gemeinsam mit dem Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland einen entsprechenden Gesetzentwurf vor. Im Kern sieht dieser vor, die jüdischen Kontingentflüchtlinge aus Russland und Polen den deutschstämmigen Spätaussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion gleichzustellen. Die Bundesregierung entschied 1991, jüdische Einwanderung zu fördern, um Verantwortung für den Nationalsozialismus zu übernehmen. Daraufhin kamen bis 2006 rund 225.000 jüdische Migranten. Die jüdischen Kontingentflüchtlinge erhalten derzeit niedrigere Renten, da für ihre Rente nur die Arbeitsjahre in Deutschland zählen. Laut Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden, betrage der Unterschied bis zu mehrere hundert Euro. Bis zu 100.000 Menschen könnten betroffen sein. Ein jüdischer Kontingentflüchtling, der 1995 nach Deutschland kam, würde etwa 550 Euro weniger Rente erhalten als ein Spätaussiedler, bei gleichem Durchschnittsverdienst und gleicher Lebensarbeitszeit. Die Betroffenen empfänden dies nicht nur als un­gerecht, sondern litten auch unter ihrem Status als Sozialleistungsempfänger, sagte Lehrer. „Der eine kommt als Jude, der andere als Christ. Bei der Rente darf das keinen Unterschied machen.“ Aus Sicht von Beck und dem Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik haben die jüdischen Zuwanderer den Anspruch auf eine Gleichbehandlung mit Spätaussiedlern, da Deutschland beide Gruppen in Verantwortung für seine Geschichte aufnehme. „Der eine kommt als Jude, der andere als Christ“, sagte Beck. Das dürfe bei der Rente keinen Unterschied machen. Die Grünen wollen die unterschiedliche Behandlung der beiden Einwanderergruppen durch eine Änderung im Fremdrentengesetz beseitigen. (mit dpa)
Laura Weigele
Migranten aus Russland und Polen erhalten weniger Pension als deutschstämmige Spätaussiedler. Die Grünen wollen das ändern.
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Jauch auf den Mittwoch? - taz.de
Jauch auf den Mittwoch? STRAFECKE Gespräche mit Politikern überfordern Günther Jauch, sagen Kritiker – und fordern einen neuen Sendeplatz für den Moderator Nächste FrageDie Streitfrage wird vorab online gestellt. Immer dienstags. Wir wählen eine interessante Antwort aus und drucken sie dann in der taz.am wochenende.www.taz.de/streit oder www.facebook.com/taz.kommuneRedaktion: Bastian Fernández, Sebastian KempkensFotos: Müller-Stauffenberg/imago; Wolfgang Eilmes/F.A.Z.;Anke Illing; reuters; privat (2x) Katja Kipping Nicht nur ich habe mich über Günther Jauchs Griechenland-Sendung mit Gianis Varoufakis geärgert. Bezeichnenderweise war die grandiose Fake-Fake-Nummer von Jan Böhmermann der seriösere Beitrag zum Thema. Es sagt viel über die Medienlandschaft aus, dass Satiriker kritischere Aufklärung betreiben als manche Polit-Talkmaster. Katja Kipping, 37, ist Vorsitzende der Linkspartei und Bundestagsabgeordnete Nils Minkmar Die Sendung „Günther Jauch“ erfüllt nicht einmal minimale Erwartungen. Die Gäste sind vorhersehbar, die Gespräche konfus, der Moderator gänzlich uninteressiert. Das Gasometer ist ein Gefäß sonntäglicher Irrelevanz. Jauch ist ein toller Moderator von Unterhaltungs-sendungen, er sollte sich auf diese Disziplin beschränken. Anne Will sollte zurückkehren. Nils Minkmar, 48, ist europäischer Kulturkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Gianis Varoufakis Ich sehe es nicht gerne, wenn jemand gefeuert wird. Es wäre besser, aus Fehlern zu lernen, statt gute und versöhnliche Debatten wie bei „Günther Jauch“ mit skrupellosen Mitteln zu untergraben. Gianis Varoufakis, 54, ist Finanzminister Griechenlands und Mitglied der Regierungspartei Syriza Marc-André Waldvogel Ich finde, dass eine Redaktion auch mal einen Fehler machen darf. Deshalb sollte man Jauch nicht auf den Mittwoch verbannen. Er eignet sich gut für solch ein Format, gerade weil er nicht allzu politisch vorgeht. Sonst wäre es ja langweilig. Marc-André Waldvogel, 22, ist taz-Leser und hat die Streitfrage per E-Mail kommentiert Jessica Heesen Ich bin dafür, dass Günther Jauch mit seiner Show auf dem Sendeplatz am Sonntag bleibt – als Sidekick des Satirikers Jan Böhmermann. Eine politische Talk-Sendung trägt Verantwortung für die Meinungsbildung, da können Jauch und andere „Talker“ noch nachlegen in Sachen Wahrhaftigkeit, Ausgewogenheit und Sorgfalt. Jessica Heesen, 46, leitet eine Forschungsgruppe zum Thema Medienethik an der Universität Tübingen Tim Wolff Ein Unsympath, der geltungssüchtigen Trotteln blöde Fragen stellt? Schluss mit „Wer wird Millionär?“, enteignet Jauch! Tim Wolff, 37, ist Chefredakteur der Satirezeitschrift Titanic
KATJA KIPPING / NILS MINKMAR / YANIS VAROUFAKIS / MARC-ANDRÉ WALDVOGEL / JESSICA HEESEN / TIM WOLFF
STRAFECKE Gespräche mit Politikern überfordern Günther Jauch, sagen Kritiker – und fordern einen neuen Sendeplatz für den Moderator
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Emilie Plachy über Andrea Nahles’neuen Job: Zeichen an die SPD - taz.de
Emilie Plachy über Andrea Nahles’neuen Job: Zeichen an die SPD Dass Andrea Nahles die neue Chefin der Bundesagentur für Arbeit werden soll, zeigt erwartbare Reaktionen. Die einen sind gerührt ob der Rückkehr der altgedienten Genossin an verantwortungsvolle Stelle. Die anderen finden, da werde eine politische Verliererin mit einem gut dotierten Posten belohnt. Beides stimmt nur zum Teil. Tatsächlich übernimmt mit Nahles eine ausgewiesene Fachfrau für Arbeitsmarktpolitik die Megabehörde. Nahles war von 2013 bis 2017 Bundesarbeitsministerin. Unter ihrer Führung wurde der mitregierenden Union der Mindestlohn abgerungen, die Rente mit 63 sowie eine höhere Erwerbsminderungsrente. Selbst Kri­ti­ke­r:in­nen mussten einräumen, dass sich da jemand voll reingekniet und – das vor allem – Ergebnisse erzielt hatte. Die andere Seite der Andrea Nahles ist die als Genossin. Wie viele andere in der SPD war sie über Jahrzehnte ausschließlich dies: Funktionärin. Sie war laut, sie war dominant und manchmal peinlich. Dass sie vor zweieinhalb Jahren von jetzt auf gleich den Parteivorsitz, den Fraktionsvorsitz, das Parlament und Berlin verlassen hat, war ihrem Scheitern geschuldet. Die 15 Prozent bei der Europawahl 2019 waren lediglich der letzte Anlass. Die Szene, wie sie – sich bei der Pförtnerin bedankend – das Willy-Brandt-Haus verließ, war zugleich hoch symbolisch. Da ging eine, die sich Jahrzehnte für ihre Partei krumm gemacht hatte, die immer wieder nach vorne geschickt worden war, wenn die Lage unübersichtlich wurde. Am Ende fand sich niemand, der sie wenigstens verabschiedet hätte. Sie übernahm Verantwortung, auch weil sie verstanden hatte, dass sie Teil des Problems war. Aber eben nur ein Teil. Sie arbeitete als Behördenleiterin in Bonn und weigerte sich, schlecht über ihre Partei und einstige Weg­ge­fähr­t:in­nen zu sprechen. Grund dazu hätte sie gehabt. Dass Nahles jetzt Vorstandschefin der Bundesagentur für Arbeit wird, ist auch ein Zeichen an die Partei für einen neuen Umgang. Oder, um das Schlagwort des zurückliegenden Wahlkampfsommers zu bemühen: Respekt. inland
anja maier
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Kommentar Internet und Knast: Smartphones für alle Inhaftierten! - taz.de
Kommentar Internet und Knast: Smartphones für alle Inhaftierten! Wer die Risiken des Internets durchdekliniert, entzaubert die tatsächliche Brisanz. Alle Inhaftierten sollten freien Zugang zum Internet bekommen. Alle Inhaftierten in Deutschland sollten freien Zugang zum Internet bekommen. Politiker, die das fordern, dürfen nicht auf politisches Kapital hoffen. WLAN für alle Inhaftierten! Das dürfte die Mehrheit in diesem Land als Wahnsinn empfinden. Als Bestätigung der These vom Luxusvollzug. Tatsächlich sollte es heißen: Internet, na logisch! Selbstverständlich sollten Männer und Frauen auch im Gefängnis freien Zugang zu Informationen haben. Warum auch nicht? Würde Bullerbü sonst im Chaos versinken? Könnten wir Kinder, Gebrechliche und Alte nicht mehr ohne Geleitschutz auf die Straße lassen? Sind digitale Verabredungen zu Straftaten zu befürchten? Steigt die Internetkriminalität? Bei den meisten Inhaftierten besteht das Problem nicht darin, dass sie bei der nächsten Gelegenheit den Quellcode der Deutschen Bank hacken. Zum Bildungsadel im Knast zählt schon einer mit abgeschlossener Lehre. Aber es geht auch gar nicht um das Internet. Hat das Münztelefon im Knast die Gesellschaft an den Abgrund geführt? Der Fernseher? Stellen Pornoheftchen eine Gefahr für die Allgemeinheit dar? Muss Mohnkuchen wie in manchen Anstalten ernsthaft als mögliches Rauschmittel verboten werden? Mitunter gilt selbst der juristische Kommentar zum Strafvollzugsgesetz als nicht zumutbare Gefahr: Der Schmöker ist so dick, dass ein Waffe darin verborgen sein könnte. Wer die Risiken des Internets durchdekliniert, entzaubert die tatsächliche Brisanz. Die Frage aber, ob ein Internetzugang tragbar wäre, vermischt sich mit dem Impuls: Den Insassen im Knast besser nur nicht zu viel geben! Bei Debatten zum Strafvollzug bildet Unwissen meistens die Grundlage. Kaum einer kennt die Rechtslage. So heißt es im Strafvollzugsgesetz: „Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden.“ Geradezu irrsinnig mag folgender Paragraf erscheinen: „Schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs ist entgegenzuwirken.“ Die Richter des Bundesverfassungsgerichts glauben gar: „Der Vollzug von Freiheitsstrafen ist […] von Verfassungs wegen dem Ziel der Resozialisierung verpflichtet.“ Wer sich draußen umschaut, sieht Menschen, die mit anderen kommunizieren, per Handy und per Internet. Alle, die mehr Härte gegen Täter fordern, müssten gesetzestreu rufen: Smartphones für alle Inhaftierten!
Kai Schlieter
Wer die Risiken des Internets durchdekliniert, entzaubert die tatsächliche Brisanz. Alle Inhaftierten sollten freien Zugang zum Internet bekommen.
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Nach Tragödie am Filmset von „Rust“: Waffenmeisterin wehrt sich - taz.de
Nach Tragödie am Filmset von „Rust“: Waffenmeisterin wehrt sich Nach dem Tod einer Kamerafrau bei Dreharbeiten mit Alec Baldwin steht eine junge Mitarbeiterin im Fokus der Ermittlungen. Die sieht die Schuld bei anderen. Andenken an die getötete Kamerafrau auf der Bonanza Creek Film Ranch Foto: Andres Leighton/dpa SANTA FE dpa | Nach dem Tod einer Kamerafrau bei einem Filmdreh mit Hollywood-Star Alec Baldwin in den USA hat die im Fokus stehende Waffenmeisterin Vorwürfe der Nachlässigkeit am Set zurückgewiesen. Sie habe „keine Ahnung“, wo die dort gefundene scharfe Munition hergekommen sei, ließ die 24-Jährige über ihre Anwälte in einem Schreiben mitteilen, aus dem mehrere US-Medien am Freitag zitierten. Bei dem Vorfall während der Dreharbeiten zu dem Low-Budget-Western „Rust“ auf einer Filmranch in Santa Fe im Bundesstaat New Mexico war am 21. Oktober Chef-Kamerafrau Halyna Hutchins (42) tödlich verletzt und Regisseur Joel Souza (48) an der Schulter getroffen worden. Baldwin (63), der als Hauptdarsteller und Produzent bei dem Film mitwirkt, hatte die Waffe bei der Probe für eine Szene abgefeuert. Ermittlungen ergaben, dass in dem Colt eine echte Kugel steckte. Ein ebenfalls im Fokus stehender Regieassistent räumte ein, er habe die Sicherheitsvorkehrungen nicht strikt befolgt und die Waffe nur unvollständig geprüft. Sheriff Adan Mendoza hatte mit Blick auf den Umgang mit Waffen gesagt: „Ich denke, an diesem Set herrschte eine gewisse Nachlässigkeit.“ Die Waffenmeisterin beklagte nun ihrerseits unsichere Arbeitsbedingungen. „Das gesamte Set wurde wegen verschiedener Faktoren unsicher, einschließlich fehlender Sicherheitsbesprechungen“, zitierten unter anderem der Sender NBC News und die „Los Angeles Times“ aus dem Schreiben. Dies sei nicht Schuld der Waffenmeisterin gewesen, so die Anwälte. Die 24-Jährige sei gleich für zwei verschiedene Aufgaben eingestellt worden, daher sei es für sie extrem schwierig gewesen, sich auf ihre Arbeit als Waffenmeisterin zu fokussieren. Vergeblich habe sie sich für mehr Zeit eingesetzt, um die Schau­spie­le­r*in­nen zu schulen, die Waffen zu warten und Schussszenen vorzubereiten. Die junge Frau selbst sei wegen des Todes der Kamerafrau auch „am Boden zerstört“ und stehe völlig neben sich, hieß es weiter. Sheriff Mendoza sagte NBC News, die Erklärung der Waffenmeisterin sei wenig hilfreich: „Sie wirft mehr Fragen auf, als sie Antworten gibt.“
taz. die tageszeitung
Nach dem Tod einer Kamerafrau bei Dreharbeiten mit Alec Baldwin steht eine junge Mitarbeiterin im Fokus der Ermittlungen. Die sieht die Schuld bei anderen.
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Die Wahrheit: Allemaal koppen dicht - taz.de
Die Wahrheit: Allemaal koppen dicht Buchmessengast 2016. Ganz frisch aus dem Gewächshaus des Rechts kommt die neueste niederländische Verfassung. König Willem-Alexander und Königin Maxima verkünden die neuen Artikel des Grundgesetzes Foto: dpa Die Verfassung der Niederlande ist eine der ältesten noch gültigen Verfassungen der Welt. Seit ihrer ersten Veröffentlichung im August 1815 wurde sie immer wieder umgeschrieben, um aus ihr eine wahre Prachtverfassung zu machen. Das ist gelungen. So gilt die „Grondwet voor het Koninkrijk der Nederlanden“ momentan als eine der glänzendsten Verfassungen der Welt, bestehend aus feinstem Wortgeklingel und ziseliertesten Sprachgirlanden. Das muss jeder neidvoll eingestehen, der sich die 142 Artikel und 29 Zusatzartikel einmal genau durchliest. Diese einmaligen Rechte zum Beispiel, die den Niederländern garantiert werden, wie keinem anderen Volk der Welt. Nehmen wir bloß Artikel 5: „Jeder hat das Recht, schriftliche Gesuche an die zuständigen Stellen zu richten.“ Jeder! Selbst der irre Piet in seinen kotverschmierten Holzschuhen. Präzision und Gerechtigkeit Dazu gesellen sich hammerharte Pflichten des Staates: Art. 19 (1) „Die Schaffung von genügend Arbeitsplätzen ist Gegenstand der Sorge des Staates …“ Toll! Sozial! Gerecht! Diese Präzision, wenn es um die Erbfolge des niederländischen Königshauses geht: „Das zum Zeitpunkt des Todes des Königs ungeborene Kind gilt im Sinne der Erfolge als bereits geboren. Wird es tot geboren, geht man davon aus, dass es niemals existiert hat.“ (Art. 26) Jaha, da kuckst du! Oder die grandiose Apodiktik des Artikels 42: „Die Regierung besteht aus dem König und den Ministern. (1) Der König ist unverletzlich; die Minister sind verantwortlich.“ Voll apodiktisch, oder? Der niederländische König ist qua Verfassung praktisch Supermann; anders als im Rest der Welt tragen Minister wirkliche Verantwortung. Allerdings haben die Niederländer beim Verfassungsändern in den letzten Jahren deutlich nachgelassen. Die letzte große Verfassungsreform fand 1983 statt, dem Jahr, in dem Helmut Kohl deutscher Bundeskanzler wurde und Bands wie Kajagoogoo in den Charts waren. Kajagoogoo, ja ganz recht! Damit die niederländische Verfassung auch in Zukunft ihren Glanz behält, hier ein paar Verbesserungs-, Ergänzungs- und Rekonstruktionsvorschläge, völlig gratis (belangeloos), als Gastgeschenk zum Gastauftritt von Flandern und den Niederlanden auf der Buchmesse 2016: Art. 143: Allemaal koppen dicht. Holland ist immer dann in Not, wenn Polen gerade nicht offen ist Art. 144: Hinterm Deich ist es besser als vor dem Deich. Art. 145 Holland ist immer dann in Not, wenn Polen gerade nicht offen ist (bzw. vice versa). Näheres regelt der blanke Hans. Art 146. Im Coffeeshop sollen fürderhin nur Cannabisprodukte verkauft werden, im Teeladen gibt es nur Bier, und beim Bäcker ausschließlich Bromfietsen. Beim Bromfietsen-Verkäufer soll es aber tatsächlich nur Bromfietsen geben (informell auch: Brommer. Quelle: Wikipedia). Art 147. Obwohl im Prinzip das Gleiche, sind Bromfietsen keine Motorfietsen. Art. 148. Ein Bromfiets mit einem 50cc-Motor und einer Gangschaltung soll allerdings nur Schakelbrommer genannt werden. Art. 149. Dat is niet grappig (Das ist nicht komisch). Art. 150. Eine Frikadelle soll nicht Frikadelle heißen, sondern Frikandel. Sie soll auch keine Frikadelle sein, sondern irgendetwas Wurstartiges ohne Pelle. Fünf Prozent der Frikandellen sollen in der Amsterdamer Fußgängerzone in Automaten angeboten werden. Art. 151. Orange is the new black. Art. 152 (bereits durchgesetzt). Die Städte Amsterdumm, Rotterdumm, Edumm und Volendumm sollen irgendwie umbenannt werden. Näheres regelt der stumpfe Hans. Art. 153. Die Todesstrafe darf nicht verhängt werden. Das gilt nicht für Delinquenten, die Witze über holländischen Käse, die niederländische Sprache (Stichwort: Halskrankheit) und holländische Wohnwagen gemacht haben. Art. 154. Nervensägen, Quasseltanten, Peinsäcke, Imbezille und Gagaleute aller Art können ohne Weiteres Federlesen nach Mof- beziehungsweise Poepland (Scheißland) abgeschoben werden. (Lex Lou van Burg. Spätere Fassung: Lex Rudi Carell, Marijke Amado, Harry Wijnvoord, Linda de Mol. Jetzt: Lex Sylvie van der Vaart alias Sylvie Vollmeisje). Art. 155. In Purmerend, Oss und Zwolle / kriegt man sich in die Wolle. Art. 156. Wortspiele mit holländischen Städtenamen sind untersagt. Wer zuwiderhandelt, sei amsterverdammt für alle Zeiten und soll bei lebendigem Leib verrotterdamen. Darauf keinen Appelkoorn mit Knecht Utrecht, der verlängert nur das Leiden. Okay, ich bin ja schon Amersfoort. Die Wahrheit auf taz.de
Christian Y. Schmidt
Buchmessengast 2016. Ganz frisch aus dem Gewächshaus des Rechts kommt die neueste niederländische Verfassung.
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Frauenquote beim Theatertreffen: Anleitung zum Perspektivwechsel - taz.de
Frauenquote beim Theatertreffen: Anleitung zum Perspektivwechsel Vor vier Jahren führte das Theatertreffen in Berlin eine Frauenquote ein. Pünktlich zum Festivalstart wird in einem Buch Bilanz gezogen. Lucia Bihlers „Die Eingeborenen von Maria Blut“ kommt dieses Jahr zum Theatertreffen Foto: Susanne Hassler-Smith Als die ehemalige Theatertreffen-Leiterin Yvonne Büdenhölzer 2019 die Frauenquote einführte, wurde dies umgehend heftig diskutiert. Sogar die damalige Staatsministerin, Monika Grütters, Beauftragte für Kultur und Medien, positionierte sich gegen die Quote. Wie viele, die das Wort ergriffen, sorgte sie sich um die Unabhängigkeit der Jury, die jedes Jahr zehn deutschsprachige Inszenierungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz auswählt, ebenso wie um die Freiheit der Kunst. Denn daran, dass das Beste sich schon durchsetzen werde, herrschte trotz aller Strukturdebatten noch immer verblüffend wenig Zweifel. Drei Jahre später ziehen die Theaterkritikerinnen und Theatertreffen-Jurorinnen Sabine Leucht, Petra Paterno und Katrin Ullmann Bilanz. Ihr Buch „Status Quote. Theater im Umbruch: Regisseurinnen im Gespräch“, das nun zur Eröffnung des diesjährigen Theatertreffens (TT) erscheint, veröffentlicht ausführliche Interviews mit allen Regisseurinnen, die von 2020 bis 2023 zur „Bestenschau“ des deutschsprachigen Theaters reisten. Vertreterinnen unterschiedlicher Generationen werden von den Herausgeberinnen und weiteren TT-Jurorinnen zu ihrem beruflichen Werdegang, zur Diskriminierung von Frauen im Theaterbetrieb, zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, zu Honoraren und, natürlich, zu ihrer Haltung zur Quote befragt. Vorangestellt sind den Interviews ein Resümee von Yvonne Büdenhölzer, ein historischer Rückblick von Eva Behrendt sowie ein Gespräch mit Karin Henkel und Lisa Lucassen von She She Pop. Dabei gehört zu den absoluten No-Fun-Facts, dass erst 16 Jahre nach dem ersten Theatertreffen erstmals zwei Regisseurinnen eingeladen wurden, 1980 nämlich. Bis 2010 blieb es dabei, dass in jedem Jahr maximal ein oder zwei Frauen in der „Bestenschau“ vertreten waren, später stiegen die Zahlen so punktuell wie zögerlich an. Arbeit von Regiseurinnen kriegen Aufmerksamkeit Abhilfe gegen die – im Übrigen oft festgestellte und durchaus kritisierte – Schieflage brachte erst die Quote, die nun auch sicherstellt, dass die Arbeiten von Regisseurinnen in der Jury selbst eine größere Aufmerksamkeit erhalten und häufiger gesichtet werden. „Seit Jahrhunderten bestimmt eine informelle Männerquote die Kunstwelt“, schreibt Yvonne Büdenhölzer. Dass die Meinung der interviewten Regisseurinnen zur Quote so weit auseinandergeht wie gesamtgesellschaftlich, versteht sich von selbst – von Claudia Bauer: „Mein allererster Impuls? Das sind Almosen für Gehandicapte. Das haben Frauen nicht nötig“, bis zu Anne Lenk: „Sie kam zu spät. Es wurde zu wenig in Regisseurinnen investiert, und so fehlt es heute an weiblichen Führungskräften“. Unbestritten bleibt, dass die Quote kulturpolitisch eine Wirksamkeit entfaltet: Die Stadt- und Staatstheater bieten nun häufiger Regisseurinnen eine Bühne, auch wenn noch immer deutlich weniger Regisseurinnen inszenieren als Regisseure. Die Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins wies für die Spielzeit 2018/19 rund 28,1 Prozent aus, nach geschätzten Zahlen waren es in der Spielzeit 2021/22 bereits 34,6 Prozent. Facettenreiches Wissen über Diskriminierung Die Interviews mit den 19 Regisseurinnen sind so spannend wie lehrreich und liefern vor allem ein umfang- und facettenreiches Wissen über strukturelle Diskriminierung. Die meisten Regisseurinnen beschreiben eine eklatante Differenz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung (Anta Helena Recke: „Die Annahme ist, dass man nichts kann, keine Kompetenz hat und somit auch keine Autorität.“ Viele von ihnen sind mit dem Selbstverständnis aufgewachsen, dass sie Männern gleichgestellt seien, um sich dann beruflich in einer vollkommen anderen Realität wiederzufinden. In allen Gesprächen herrscht ein hohes Reflexionsniveau über die Strukturen des Theaterbetriebs, wie es wohl vor allem Zugehörige marginalisierter Gruppen an den Tag legen. Sind sie doch gezwungen, Strukturen zu durchdringen, die nicht für sie geschaffen wurden und ihnen nicht dienen. Dass alle Künstlerinnen jeweils eigene Strategien im Umgang damit gefunden haben, macht „Status Quote“ ebenfalls zu einer wertvollen Lektüre. Zudem regen viele von ihnen eine andere Führungskultur an, die nach einer gemeinsamen, geteilten Verantwortung strebt, in der Theaterarbeit nicht lediglich „als Bühne für das eigene Ego“ benutzt wird. Das Buch„Status Quote. Theater im Umbruch: Regisseurinnen im Gespräch“, Henschel Verlag Leipzig 2023, 224 Seiten, 18 EuroAm 26. Mai wird das Buch im Haus der Berliner Festspiele präsentiert. Wer wird dieses Buch lesen? Es ist eines für Geschichtsschreibung, sicher, es wird in die Universitätsbibliotheken wandern und dort wohlgelitten sein. Regisseurinnen werden es lesen, wenn sie nach Vorbildern suchen, nach Strategien und Ermutigung. Intendanten und Regisseuren bietet es einen unbezahlbaren Perspektivwechsel, Kul­tur­po­li­ti­ke­r:in­nen ebenso wie Theaterliebenden ein umfassenderes Bild der deutschen Theaterlandschaft: „Status Quote“ ist eine heterogene Le­se­r:in­nen­schaft zu wünschen.
Esther Boldt
Vor vier Jahren führte das Theatertreffen in Berlin eine Frauenquote ein. Pünktlich zum Festivalstart wird in einem Buch Bilanz gezogen.
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Neues Buch „Identitätspolitiken“: Solidarität ist niemals fertig - taz.de
Neues Buch „Identitätspolitiken“: Solidarität ist niemals fertig Soziale Kämpfe sind Kämpfe um Anerkennung – und andersherum: Dieses Buch tritt der Frontenbildung in der Identitätspolitik differenziert entgegen. Aus der politischen Komplexität gibt es keinen großen Sprung, man muss sich auf einen „Mehrfrontenkampf“ einlassen Foto: dpa Nach der Trump-Wahl und verstärkt nach dem Einzug der AfD in den Bundestag ging eine These viral: Verantwortlich für beide Ereignisse ist die linke Identitätspolitik, der es nur noch um die Anerkennung kultureller Differenzen geht und dabei „die wahren Probleme der Menschen“ – ergo die soziale Frage – sträflich vernachlässigt. Mit Pseudothemen wie genderneutralen Toiletten hätten Linksliberale die abgehängte Industriearbeiterschaft vergrätzt, so der Tenor. In ihrem Buch „Identitätspolitiken“ treten die Wiener Autor*innen Lea Susemichel und Jens Kastner dieser, wie sie es nennen, „anti-identitätspolitischen Frontenbildung“ argumentativ entgegen. Abgesehen davon, dass es auch schwarze und queere Arbeiter gibt, ist das Lamento ahistorisch; als hätte es je die eine, unumstrittene linke Identitätspolitik gegeben. Tatsächlich gab es immer schon eine Vielzahl von identitätspolitischen Ansätzen. Deren geschichtliche und theoretische Grundlagen leuchten Susemichel und Kastner gut lesbar aus, das Anschauungsmaterial reicht vom Austromarxismus bis zu aktuellen Genderthemen. Während derzeit, oft in demagogischer Absicht, kulturelle Differenz und universale Gerechtigkeit zu unvereinbaren Gegensätzen hochdramatisiert werden, zeigen Susemichel und Kastner, dass soziale Kämpfe immer zugleich identitätspolitische Kämpfe waren – und vice versa. Schon die klassische Arbeiter*innenbewegung war für sie ein identitätspolitisches Projekt, das durch kulturelle Praktiken, wie etwa – kein Witz – den Übergang vom „zerstörerischen Schnaps“ zum „geselligen Bier“, politischen Willen formte. Genauso war jede linke Identitätspolitik, die für die Autor*innen den Namen verdient, ein Kampf ums Ganze. Exemplarisch zeigen sie diese „egalitäre, universelle Dimension“ an der „Black Lives Matter“-Bewegung auf: „Schwarze Leben sollen nicht etwa mehr zählen oder anders gezählt werden, sondern einfach so zählen wie alle anderen auch.“ Zugleich zeigt „Black Lives Matter“ das unentrinnbare Paradox jeder Identitätspolitik. Sie muss sich, um Handlungsfähigkeit zu ermöglichen, positiv auf eben die Fremdzuschreibung (als schwarz, schwul, weiblich etc.) beziehen, die Grundlage der eigenen Diskriminierung ist. Das BuchJens Kastner, Lea Susemichel: „Identitätspolitiken. Konzepte und Kritiken in Geschichte und Gegenwart der Linken“. Unrast Verlag, Münster 2018, 152 Seiten, 12,80 Euro Um das abschätzige Sprechen über Identitätspolitik als ideologisch zu kontern, sind die innerhalb der jeweiligen Communities geführten Debatten erhellend. Schon im Feminismus oder in der antikolonialen Bewegung waren politische Aktivist*innen versucht, die innere Spannung zwischen Universalismus und kultureller Differenz einseitig aufzulösen: durch die kulturessenzialistische Einschließung ins Identitäre oder durch die Flucht in eine vulgärmarxistische Eigentlichkeit, die jede Unterdrückung qua kultureller oder sexueller Differenz zum Nebenwiderspruch herabgewürdigt hat. Ineinander verwobene Diskriminierungsformen Susemichel/Kastner machen deutlich, dass es keinen archimedischen Punkt der Unterdrückung gibt, auch wenn die Sehnsucht danach gerade jetzt groß sein mag. Viel zu sehr sind die unterschiedlichen Diskriminierungsformen ineinander verwoben, als dass es einen Generalschlüssel geben könnte. Was heute unter dem Konzept der Intersektionaliät diskutiert wird, heißt in diesem Sinne, dass sich etwa in einer schwarzen, lesbischen Frau mehrere Diskriminierungen überkreuzen. Aus dieser Komplexität gibt es keinen großen Sprung, man hat sich auf den „Mehrfrontenkampf“ einzulassen. taz am wochenendeDieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter. Bei der Betrachtung aktueller Identitätspolitiken äußern die Autor*innen eine solidarische, aber unmissverständliche Kritik an der Inflation von kulturellen und sexuellen Kleinstdifferenzen sowie an den erbitterten Gegnern kultureller Aneignung. Sie erkennen darin eine selbstreferentielle „Individualisierung von Identität“, da oft persönliche Betroffenheit zum alleinigen Kriterium für legitimes Sprechen erklärt würde. Damit werde die Möglichkeit geleugnet, sich von der prägenden Dominanzkultur zu distanzieren und sich mit anderen solidarisch zu zeigen. Zudem tendiere der Überschuss an Identitäten dazu, strukturelle Gewalt zu nivellieren und Diskriminierungserfahrungen leichtfertig gleichzusetzen. Eine „lookistische“ Abwertung qua Aussehen ist eben etwas anderes als die Konfrontation mit rassistischer Polizeigewalt. Politische Aufklärung Die unendlichen Abweichungen dann aber im Namen einer imaginären Gemeinsamkeit nicht zu artikulieren ist für die Autor*innen keine Option. „Es gibt diese Differenzen, und sie sind gewaltig“, schreiben sie lakonisch. Jede Identitätspolitik sollte diese grundlegende Differenz nach innen (es gibt nicht „die Frau“, „den Arbeiter“ etc.) und nach außen (andere berufen sich auch auf ihre Abweichung) anerkennen und als konstruktives Merkmal bejahen. Solidarität – für Susemichel und Kastner das zentrale Ziel linker Politik – setze diese Differenz gerade voraus, deshalb sei sie nie fertig, sondern müsse immer wieder neu ausgehandelt werden. Mit wem ich eh schon „eins“ bin, mit dem brauche ich mich nicht zu solidarisieren. Während Identitätspolitik von Leuten wie dem „Aufstehen“-Vordenker Bernd Stegemann als Elitenveranstaltung abgetan wird, betreiben Susemichel und Kastner politische Aufklärung, indem sie sich konkrete Kämpfe mit all ihren Widersprüchen genauer anschauen. Die Lage der Dinge lassen sie so sowohl komplizierter als auch hoffnungsvoller erscheinen.
Aram Lintzel
Soziale Kämpfe sind Kämpfe um Anerkennung – und andersherum: Dieses Buch tritt der Frontenbildung in der Identitätspolitik differenziert entgegen.
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Obdachlose in Hamburg: Angezählte Osteuropäer - taz.de
Obdachlose in Hamburg: Angezählte Osteuropäer Eine Befragung soll nichtdeutsche Obdachlose in den Blick nehmen. Befeuert das die Debatte über die Konkurrenz zwischen einheimischen und zugereisten Obdachlosen? Konkurrenz auch um Schlafplätze: Obdachloser auf St. Pauli Foto: dpa HAMBURG taz | Ab heute werden Hamburgs Obdachlose gezählt: Vom 19. bis 25. März werden Sozialarbeiter und Streetworker im Auftrag der Sozialbehörde die Runde bei Hamburgs Obdachlosen machen, um sie zur freiwilligen Teilnahme an einer „Untersuchung zu obdach- und wohnungslosen Menschen“ zu bewegen. Nach Geschlecht, Alter und Nationalität soll dabei gefragt werden, wobei der Fokus diesmal laut Behörde auf nicht-deutschen Obdachlosen liegen soll. „Wir brauchen eine neue Erhebung, weil sich die Zusammensetzung der Obdachlosenszene verändert hat“, sagt Behördensprecher Marcel Schweitzer. „Die letzte Erhebung stammt aus dem Jahr 2009, der Anteil osteuropäischer Obdachloser ist seit der EU-weiten Freizügigkeit 2011 aber stark gestiegen.“ Und während die Behörde keine aktuellen Zahlen nennt, sagt Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer vom Obdachlosenmagazin „Hinz und Kunzt“, der Anteil der Obdachlosen etwa aus Polen, Bulgarien und Rumänien liege derzeit bei rund 75 Prozent. Warum man das Augenmerk diesmal auf Nichtdeutsche richtet, sagt der Behördensprecher nicht so klar. Man wolle „das bestehende Hilfesystem überprüfen“, erklärt er. Tatsache ist aber, dass derzeit eine Debatte über die Konkurrenz einheimischer und osteuwropäischer Obdachloser tobt und Hamburg eine recht harte Linie verfolgt: Rund 100 Osteuropäern wurde diesmal der Zugang zum Winternotprogramm verwehrt. Das ist kein Einzelfall; bundesweit diskutiert wurde jüngst das Vorgehen der Essener Tafel, deren Veranstalter zeitweilig einen Aufnahmestopp für Ausländer verhängt hatten. Dass die Hamburger Erhebung – die ob ihrer Freiwilligkeit sowieso keine belastbaren Zahlen liefern wird – jenen in die Hände spielt, die gegen osteuropäische Obdachlose agitieren, ist für die Sozialbehörde kein Thema. Es geht ums Geld De facto geht es aber durchaus ums Geld, denn viele Obdachlose sind nicht krankenversichert, sodass für Notfälle die Sozialbehörde aufkommt. Deshalb sei es ein Ziel der Studie, mehr über die Krankenversicherungen von EU-Bürgern zu erfahren, sagt Schweitzer: „Die Einzelabrechnung der Notfallversorgung ist bislang zu bürokratisch.“ Konkret heißt das, dass die Behörde bei jedem im Ausland Versicherten das Geld aufwendig von dort zurückfordern muss. Viele deutsche Obdachlose wiederum hätten, da einst werktätig, durchaus das Recht auf Krankenversicherung, scheuten sich aber, dort vorzusprechen. „Hier müssen wir Überzeugungsarbeit leisten, damit sie sich anmelden und eine Versicherungskarte beantragen“, sagt Schweitzer. „Viele scheuen diesen Behördengang – teils aus Scham, teils aufgrund anderer persönlicher Probleme.“ Bleiben jene Osteuropäer, die nirgends krankenversichert sind und für deren Behandlung gleichfalls die Sozialbehörde zahlt. „Hier beginnt das Dilemma“, sagt Schweitzer. „Das Gesetz sagt: Diese Menschen haben keinen Anspruch auf staatliche Hilfe, allenfalls auf eine Rückfahrkarte. De facto können wir sie aber nicht im Stich lassen und tun das auch nicht.“ Daran werde die neue Erhebung nichts ändern. Verbesserte Akutversorgung So sieht es auch Sozialarbeiter Karrenbauer, der froh ist, dass die vier inzwischen eröffneten Schwerpunktpraxen für Wohnungslose zumindest die Akutversorgung verbessert haben. Ungelöst bleibe aber – und das bestätigt Dirk Hauer, Leiter des Fachbereichs Migration und Existenzsicherung im Diakonischen Werk – die Wohnungssituation. Sie habe sich nach keiner der bisherigen Erhebungen von 1996, 2002 und 2009 verbessert. „Das darf nicht wieder passieren“, fordert Stephan Karrenbauer. Eigenartig ist zudem, dass erstmals auch Menschen in Wohnunterkünften befragt werden. Ob sie die Fachstellen kennen, die von Kündigung bedrohten Mietern helfen, will die Untersuchung erheben. Auf den Einwand, diese Information komme für Obdachlose reichlich spät, sagt Schweitzer: „Letztlich geht es darum, dass die Behörde erfährt, wie sie ihre Angebote verbessern und effektiver kommunizieren kann.“
Petra Schellen
Eine Befragung soll nichtdeutsche Obdachlose in den Blick nehmen. Befeuert das die Debatte über die Konkurrenz zwischen einheimischen und zugereisten Obdachlosen?
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Brexit-Folgen für Nordirland: Ohne Mauer geht es nicht - taz.de
Brexit-Folgen für Nordirland: Ohne Mauer geht es nicht Seit über 20 Jahren herrscht offiziell Frieden in Nordirland. Nun reißt der nahende Brexit alte Wunden wieder auf und sorgt für Unsicherheit. Teil des Stadtbilds von Belfast: die Wandgemälde auf den „peace walls“ Foto: ap BELFAST taz | Der Garten: ein Käfig. Betonfußboden, am Ende eine neun Meter hohe Mauer aus Stein, Wellblech und Draht, an den Seiten und obendrüber Metallgitter. Niemand sitzt hier gerne. Der Garten gehört zu einem Reihenhaus in der Bombay Street im Westen der nordirischen Hauptstadt Belfast. Die Mauer an seinem Ende ist die sogenannte Friedenslinie; sie trennt die katholisch-nationalistischen Stadtviertel Belfasts von den protestantisch-unionistischen rund um die Shankill Road. „Die Metallgitter schützen die Bewohner, falls jemand aus Richtung Shankill Road eine Brandbombe über die Mauer werfen würde“, sagt Bill Rolston, der bis zu seiner Pensionierung Professor für Soziologie an der Ulster University war. Der 72-Jährige deutet auf ein Bild an der Giebelwand, es zeigt brennende Häuser, darüber steht der Satz: „Bombay Street – Never Again!“ Am 15. August 1969 griff eine Meute von der Shankill Road die Bombay Street an, erzählt Rolston. „Sämtliche 63 Häuser gingen in Flammen auf, die Bewohner mussten fliehen, sie verbrachten den Winter in Schulen, Gemeindehallen und Wohnwagen.“ Sie bauten ihre Straße wieder auf, ohne staatliche Hilfe. Vor rund 20 Jahren trat das Belfaster Abkommen in Kraft, am Karfreitag 1998 wurde es unterzeichnet und hat Nordirland einen relativen Frieden gebracht. Aber eine Annäherung der beiden Bevölkerungsgruppen hat bisher kaum stattgefunden. Das Misstrauen bleibt groß, in den Arbeitervierteln auf beiden Seiten haben fast alle Familienangehörige, Freunde oder Nachbarn verloren. Mehr als 3.500 Menschen sind in dem Konflikt gestorben. Kommen neue Grenzkontrollstellen? Zu diesen Zeiten will keiner zurück. Doch nun, wo der Brexit immer näher rückt, reißt die täglich wachsende Ungewissheit alte Wunden auf. Da ist zum Beispiel die Frage, was mit der irisch-nordirischen Grenze, einer kommenden EU-Außengrenze, passieren wird. Eigentlich, sind sich die Verhandlungsführer Großbritanniens und der EU einig, soll sie offen bleiben. Aber wie das praktisch aussieht, ist immer noch nicht geklärt. Werden am Ende doch neue Grenzkontrollstellen eingerichtet, die dann zu Anschlagszielen werden könnten? „Eine Auferstehung der Grenze mit Kontrollen und allem Pipapo wäre fatal“, sagt Rolston. Als das Belfaster Abkommen unterzeichnet wurde, trennten 24 Mauern die protestantischen und katholischen Viertel Belfasts. Heute sind es über 40. Die Fahrer der schwarzen Taxis, die Touristen zu den ehemaligen Brennpunkten des Konflikts fahren, haben dicke Filzstifte bei sich, damit sich die Besucher auf der Mauer verewigen können. Rolston liest amüsiert eine Botschaft am Cupar Way auf der protestantischen Seite vor: „Wir haben unsere Probleme gelöst. Warum könnt ihr das nicht auch?“ Unterzeichnet ist die Nachricht von „Debbie, Tel Aviv“. taz am wochenendeKein Name ist so belastet wie dieser. Wer heißt heute noch „Adolf“? Wir haben vier Männer unterschiedlichen Alters gefragt, wie dieser Vorname ihr Leben prägt – in der taz am wochenende vom 20./21. Oktober. Außerdem: Ein Regisseur will mit Theater heilen und probiert das jetzt in Sachsen. Eine Pomologin erklärt, wie sich alte und neue Apfelsorten unterscheiden. Und Neneh Cherry spricht über ihr neues Album. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter. Belfasts Wandgemälde haben es längst in alle Reiseführer geschafft. Auf protestantischer Seite gibt es sie seit 1908. Auf dem ersten Gemälde war Wilhelm von Oranien zu sehen, der 1690 seinen katholischen Schwiegervater Jakob II. in einer Schlacht besiegte und dadurch die protestantische Thronfolge in Großbritannien sicherte. „King Billy“ ist nach wie vor ein beliebtes Motiv. Auf katholisch-nationalistischer Seite entstanden Wandgemälde erst im Zuge eines Hungerstreiks, bei dem 1981 zehn politische Gefangene starben. „Hunderte von Bildern entstanden in dieser Zeit“, sagt Bill Rolston. „Nach dem Hungerstreik nahm Sinn Féin, der politische Flügel der IRA, erstmals an Wahlen zum Londoner Unterhaus teil, auch wenn sie die gewonnenen Sitze nicht einnahmen. Die Partei warb mit Wandgemälden um Stimmen, denn sie sind viel wirksamer als Wahlplakate.“ Inzwischen ist Sinn Féin stärkste Kraft auf katholisch-nationalistischer Seite. Ein interkonfessionelles Gemälde Rolstons Lieblingsbild befand sich auf der „International Wall“ an der Falls Road, eine Nachbildung von Picassos „Guernica“. Da die Wandmalereien je nach politischen Ereignissen aktualisiert, übermalt oder erneuert werden, gibt es das Bild nicht mehr. Es war eine Ko-Produktion des Katholiken Danny Devenny und des Protestanten Mark Ervine. Devenny ist 64 Jahre alt. Er hat 15 Geschwister, die Familie wohnte in einem Sozialbau an der Falls Road. Mit 16 ist Devenny der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) beigetreten. 1973 wurde er wegen eines Banküberfalls zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Ervine, 45, ist im protestantisch-unionistischen Ost-Belfast aufgewachsen. Sein Vater David Ervine war Mitglied der paramilitärischen Ulster Volunteer Force (UVF) und ist 1975 wegen Sprengstoffanschlägen zu elf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Mark besuchte ihn jede Woche im Gefangenenlager Long Kesh. Nach seiner Entlassung trat David Ervine der Progressive Unionist Party bei, dem politischen Flügel der UVF. Später wurde er Chef der Partei und war Ende der neunziger Jahre maßgeblich an den Friedensverhandlungen beteiligt. Devenny und Ervine hatten sich zufällig bei einem Fototermin kennengelernt. Seitdem haben sie zahlreiche Wände gemeinsam bemalt – aber nur auf katholischer Seite. „Ich könnte für Dannys Sicherheit in protestantischen Vierteln nicht garantieren“, sagt Mark Ervine. In diesen Vierteln haben die Anführer paramilitärischer Organisationen die Kontrolle über die Wände, sagt Rolston. „Sie bestimmen, was gemalt werden darf, und das sind meistens Darstellungen von Ruhmestaten ihrer Organisation.“ Eine demografische Zeitbombe Gleichzeitig wachsen auf protestantisch-unionistischer Seite Angst und Frust. „Die Unionisten fühlen sich als Verlierer des Friedensschlusses“, sagt Rolston, „Sie mussten seit 1998 einige ihrer Privilegien aufgeben.“ Außerdem ticke eine demografische Zeitbombe für sie: „2022 werden die Katholiken in Nordirland in der Mehrheit sein.“ Und das erhöht die Chancen bei einer Volksabstimmung über die Vereinigung der Republik Irland mit Nordirland, die schon lange zu den Plänen von Sinn Féin gehört. „Es gibt aber keine Garantie, dass alle Katholiken für ein vereinigtes Irland stimmen“, schränkt Rolston ein. „Ein Fünftel von ihnen beschreibt sich nicht als irisch oder britisch, sondern als nordirisch.“ Wirtschaftlich hätte ein vereinigtes Irland einige Vorteile, glaubt Rolston. „Kosten durch die Doppelung von Ämtern und Behörden würden gesenkt.“ Im Gegenzug fielen Milliardensubventionen aus London für Nordirland weg. Das könnte durch das im Vergleich zu Nordirland dreimal so hohe BIP der Republik Irland aufgefangen werden, glaubt Rolston. „Viele radikalere Unionisten sind jedoch lieber arm im Vereinigten Königreich als reich in einem vereinigten Irland. Emotionen und Identität spielen eine große Rolle.“ In diesem Zusammenhang spielt auch der Brexit wieder eine Rolle. „Eine Reihe von gemäßigten Unionisten würden für ein vereinigtes Irland stimmen“, sagt Rolston. „Noch vor fünf oder sechs Jahren wäre das undenkbar gewesen. Aber der Brexit hat einige zum Nachdenken bewogen.“ Sie wollen vielleicht kein vereinigtes Irland, aber noch weniger wollen sie die EU verlassen. „Manche möchten im europäischen Ausland studieren oder arbeiten“, sagt er „Müssen sie dann internationale Studiengebühren zahlen oder eine Arbeitserlaubnis beantragen?“ Irische Pässe für Protestanten Seit dem Brexit-Votum vor zwei Jahren sind 75.000 irische Pässe in Nordirland ausgestellt worden. „Das waren fast alles Protestanten, denn die Katholiken hatten ja bereits irische Pässe“, sagt Rolston. In der Republik Irland gibt es inzwischen die gleichgeschlechtliche Ehe, und seit dem Referendum im Mai sind auch Abtreibungen möglich. In Nordirland ist beides illegal. „Wen sollten etwa junge LGBTIQ-Menschen auf unionistischer Seite wählen?“ Eine Mitsprachemöglichkeit bei den Brexit-Verhandlungen haben die Nord­iren nicht, denn seit Januar 2017 liegen ihr Regionalparlament und die Mehrparteienregierung auf Eis. Die großen Parteien beider Seiten, Sinn Féin und die Democratic Unionist Party (DUP), haben sich zerstritten. Vordergründig geht es um ein Projekt der DUP, mit dem Unternehmen und Bauern animiert werden sollen, ihre Heizung auf erneuerbare Energien umzustellen. Seitdem erhalten sie für jedes Pfund, das sie ausgeben, einen Zuschuss. Je mehr man heizt, desto mehr Geld fließt. Es ist ein Milliardengrab, bemängelt Sinn Féin. Aber dahinter stecken tiefer sitzende Konflikte, sagt Rolston. Sinn Féin beklagt den mangelnden Respekt. So sei etwa das Geld für die Förderung der irischen Sprache gestrichen worden – dabei ging es nur um 50.000 Pfund. „Die DUP kann sich hingegen zurücklehnen, sie sitzt auf Muttis Schoß in Westminster, Theresa Mays Minderheitsregierung ist auf ihre Unterstützung angewiesen“, sagt Rolston. „Aber wie lange wird sie noch ihren Einfluss bei May für den Erhalt der Union geltend machen können?“
Ralf Sotscheck
Seit über 20 Jahren herrscht offiziell Frieden in Nordirland. Nun reißt der nahende Brexit alte Wunden wieder auf und sorgt für Unsicherheit.
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cap anamur, seerecht, illegale einschleusung etc.: Auf schwankendem Boden - taz.de
cap anamur, seerecht, illegale einschleusung etc.: Auf schwankendem Boden Schiffbrüchigen muss, Flüchtlingen darf nicht geholfen werden: Das stürzt Kapitäne in ein moralisches Dilemma In der bioethischen Debatte wird, um das Tötungsverbot zu relativieren, immer wieder gerne auf das Beispiel von Schiffbrüchigen verwiesen, die auf hoher See treiben, ohne dass Rettung in Sicht wäre. Haben diese Flüchtlinge das Recht, einen der anderen Flüchtlinge umzubringen, damit wenigstens ein paar überleben können? Wie nicht nur der aktuelle Fall der „Cap Anamur“ zeigt, hält das wirkliche Leben Konstellationen bereit, die weniger blutrünstig klingen, aber moralisch genauso bedenklich sind, weil in ihnen das nackte Überleben der Flüchtlinge und der Wunsch der Staaten, ihre Flüchtlingszahlen gering zu halten, miteinander so in Konflikt geraten, dass Dritte, nämlich die Besatzungen der Schiffe, in eine schweres Dilemma gestürzt werden. Menschen, die in Seenot geraten sind, zu retten gehört zu den Verpflichtungen jedes Schiffskapitäns. Nur wenn ein Schiff sich durch die Rettungsaktion selbst in eine gefährliche Lage brächte, darf ein erforderliches Rettungsmanöver unterbleiben. Diese Verpflichtung ist zum ersten Mal 1910 in Paragrafen gefasst worden; durch Artikel 98 der UN- Seerechtskonvention ist sie heute geltendes Völkerrecht. Artikel 98 verpflichtet bemerkenswerterweise nicht in erster Linie den Verantwortlichen des Schiffes, sondern den Staat, unter dessen Flagge es fährt, dafür Sorge zu tragen, dass in Seenotfällen auch tatsächlich Rettungsmaßnahmen unternommen werden. Da die „Cap Anamur“ unter deutscher Flagge fährt, wäre hier Deutschland gefordert. Allerdings ist nirgendwo im internationalen Seerecht geregelt, was nach der Rettung geschehen soll. Während die Geretteten üblicherweise im nächsten Hafen an Land gehen und dann in ihre Heimat reisen können, ist das bei Flüchtlingen, die aus Seenot geborgen wurden, gerade kein gangbarer Weg. Denn viele Staaten weigern sich, Schiffe mit Flüchtlingen an Bord einlaufen zu lassen. Oder, wie das aktuelle Beispiel der „Cap Anamur“ zeigt, schlimmer noch: Sie lassen das Schiff einlaufen und nehmen dann den für die Rettung der Flüchtlinge Verantwortlichen wegen illegaler Einschleusung fest. Die entsprechenden, auf EU-Ebene abgestimmten Rechtsvorschriften gegen die so genannte Einschleusung sind mittlerweile so weit gefasst, dass sie sich auf diesen Fall anwenden lassen. In Deutschland gilt der einschlägige Paragraf 92 a des Ausländergesetzes: Mit Strafe bis zu fünf Jahren wird bedroht, wer einem Ausländer hilft, ohne erforderlichen Pass in die Bundesrepublik einzureisen. Üblicherweise ist erforderlich, dass er dafür Geld erhält, was bei der „Cap Anamur“ nicht der Fall gewesen sein wird. Nun reicht es aber auch aus, dass der Täter wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern handelt, was im Fall „Cap Anamur“ gegeben scheint. Auch die Feststellung eines Vorsatzes dürfte keine Schwierigkeiten bereiten, denn die Besatzung der „Cap Anamur“ wird gewusst haben, dass die Flüchtlinge aufs Festland fliehen wollten und die erforderlichen Pässe nicht dabeihaben. Die Strafbarkeit nach deutschem Strafrecht wäre in so einem Fall allenfalls noch abzuwenden, wenn Ermittlungsbehörden oder Gerichte anerkennen würden, dass es sich um eine Art Notstand handelte, weil der Schutz des Lebens der Flüchtlinge über dem Interesse des Staates, deren Einreise zu verhindern, angesiedelt ist. Beziehungsweise weil der Kapitän sich zwischen zwei widerstreitenden Pflichten, Lebensrettung und Verbot der illegalen Einreise, entscheiden musste, die er nicht beide einhalten konnte. Was im Fall der „Cap Anamur“ nicht zu Lasten der Flüchtlinge geht, weil Lebensrettung um fast jeden Preis ja die Mission des Schiffes ist, führt im Normalfall dazu, dass Kapitäne die Verpflichtung vernachlässigen, deren Umsetzung ihnen am meisten Ärger bringt. Da Flüchtlinge in Seenot sich nicht wehren und keine Zwangsmaßnahmen androhen können, werden sie oft genug nicht gerettet. Diese Katastrophe, die den Tod ungezählter Menschen verursacht hat, ist vom UNHCR wiederholt thematisiert worden – zuletzt im Beschluss Nr. 97 des Exekutivkomitees über Schutzgarantien bei Aufgriffsmaßnahmen im Oktober 2003. Dabei hat der UNHCR deutlich gemacht, dass die Sicherheit von Flüchtlingen, die in Seenot geraten, nur dann wenigstens in Ansätzen gewährleistet werden kann, wenn die Schiffseigner und -kapitäne klare Garantien der Staatengemeinschaft haben, dass sie die Geretteten am nächsten besten Hafen von Bord gehen lassen können, ohne dass ihnen deswegen Sanktionen drohen. Diese Grundsätze etwa im Rahmen der Schengener Flüchtlingspolitik anzuerkennen und verbindlich zu machen wäre eine lohnende Aufgabe für das sonst um Menschenrechte in der ganzen Welt so besorgte Deutschland. Der aktuelle Fall der „Cap Anamur“ könnte ein Anlass sein, dieses Engagement voranzutreiben. OLIVER TOLMEIN
OLIVER TOLMEIN
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Misshandlung im Botschafterhaushalt: Wenn Diplomaten Löhne prellen - taz.de
Misshandlung im Botschafterhaushalt: Wenn Diplomaten Löhne prellen Seit 50 Jahren schützt das Wiener Übereinkommen Diplomaten vor gerichtlicher Verfolgung. Doch die Immunität schützt sie, auch wenn sie Bedienstete misshandeln. Polizisten vor der saudischen Botschaft: Der Staat schützt Diplomaten, doch darf dieser Schutz auf Kosten schwacher Gruppen durchgesetzt werden? Bild: dpa BERLIN taz | Um die Sache sollte es am Mittwoch im Berliner Landesarbeitsgericht nicht gehen. Nicht darum, ob die indonesische Hausangestellte Dewi Ratnasari* monatelang im Privathaushalt eines saudischen Diplomaten ausgebeutet wurde. Richter Martin Dreßler hatte nur darüber zu entscheiden, ob sein Gericht zuständig ist. Oder ob die Immunität den Diplomaten auch in diesem Fall schützt. Achtzehn Monate soll Dewi Ratnasari ohne Lohn und unter Misshandlungen bei dem Kulturattaché der saudischen Botschaft gearbeitet haben. Inzwischen lebt sie wieder in Indonesien. Stellvertretend für sie klagen die Anwälte Jürgen Kühling und Klaus Bertelsmann und die Frauenrechtlerin Heide Pfarr auf 70.000 Euro Lohn und Schmerzensgeld. Das Deutsche Institut für Menschenrechte finanziert den Prozess. In erster Instanz fällte das Arbeitsgericht im Juni ein schnelles Urteil: Klageabweisung wegen Immunität. Laut dem Wiener Übereinkommen von 1961 sind Diplomaten im Einsatzland vor rechtlicher Verfolgung geschützt - beim Falschparken genauso wie bei Mord. Der Richter ließ zu Beginn der Verhandlung keinen Zweifel daran, dass er die Immunität als unangreifbares Gut respektiere. Schließlich schütze sie auch deutsche Diplomaten, die in wenig rechtssichere Staaten entsandt werden. Dass sich das Landesarbeitsgericht nicht über internationale Abkommen hinwegsetzen kann, war Anwalt Kühling klar. Ihm geht es um etwas anderes. "Die Immunität ist im Sinne des Gemeinwohls richtig", sagte er vor Gericht. Aber dass sie auf dem Rücken einzelner, schwacher Menschen ausgetragen werde, sei verfassungsrechtlich untragbar. "Dann muss der Staat eine Entschädigung leisten." Darüber könne nur das Verfassungsgericht entscheiden, an dem Kühling selbst bis 2001 Richter war. Rückenwind für diese Argumentation kommt aus Frankreich, wo Anfang 2011 das Oberste Gericht in einem ähnlichen Fall den Staat zu einer Ausgleichszahlung verpflichtete. Ratnasari könne doch in Saudi-Arabien ihre Rechte einklagen, hielt der Rechtsvertreter des Diplomaten dagegen, so sehe es das Wiener Übereinkommen schließlich vor. Dass genau dieser Weg laut einem Bericht von Human Rights Watch für ausländische Frauen faktisch unmöglich ist, wollte der Anwalt nicht gelten lassen. Ob der ausführlichen Ausführungen muss der Richter doch noch ins Grübeln geraten sein. Eine schnelle Entscheidung gab es am Mittwoch nicht. Ob er wie das Arbeitsgericht den Fall Ratnasari abweist und so die Anwälte zum Gang durch die Instanzen zwingt oder doch direkt dem Bundesverfassungsgericht vorlegt, will Dreßler am 9. November verkünden. (* Name geändert)
Manuela Heim
Seit 50 Jahren schützt das Wiener Übereinkommen Diplomaten vor gerichtlicher Verfolgung. Doch die Immunität schützt sie, auch wenn sie Bedienstete misshandeln.
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Atommüll nach Lubmin: "Wir sind noch nicht das Wendland" - taz.de
Atommüll nach Lubmin: "Wir sind noch nicht das Wendland" Der nächste Castortransport nach Lubmin steht bevor. Die Protestkultur gleicht nicht der im Wendland. Doch: Wie lebt man im Nordosten mit dem Atommüll? Mit Stacheldraht gesichert: Gelände des ehemaligen VEB Kernkraftwerk bei Lubmin. Bild: dpa LUBMIN taz | Minus ein Grad zeigt das Thermometer an der Lubminer Seebrücke. Gischt und Schnee vernebeln die Sicht. Eine Woche bis Tag X. Der Castor kommt. Nicht ins Wendland diesmal, sondern in den hohen Norden, tiefen Osten, kurz vor der polnischen Grenze. 20 Kilometer westlich: Greifswald. 60.000 Einwohner, 12.000 Studenten. Mindestens 3.000 Menschen werden hier am Samstag gegen den Atomtransport aus Frankreich ins nahe Zwischenlager demonstrieren, erwartet die lokale Anti-Atom-Initiative. Bürgermeister: 2.400 Jobs Amtsgericht, Anwaltszimmer. Axel Vogt ist seit August 2009 Bürgermeister von Lubmin, 2.000 Einwohner. Im Anwaltsanzug, zwischen zwei Verhandlungen, erklärt der bei seiner Wahl noch parteilose Vogt, jetzt CDU, er sehe in puncto Zwischenlager "die Nachteile nicht". Vogt sieht vor allem: Jobs. Etwa 2.400 Jobs biete der "Energie- und Technologiestandort Lubminer Heide". In den einstigen Werkhallen des VEB Kernkraftwerk Bruno Leuschner fertigen heute Metaller Bauteile. Nebenan lagern Castoren sowie schwach- und mittelradioaktiver Müll, vor allem aus dem Rückbau der Meiler hier und in Rheinsberg. Vogts Vorgänger Klaus Kühnemann hatte sich noch gegen Atomtransporte engagiert. Er kämpft jetzt für einen Antrag, der Vogt verpflichten soll, das Mögliche zu tun, um das Seebad Lubmin nicht mit Atommüll in Verbindung zu bringen. "Zwischenlager Lubmin" - das könne dem Tourismus schaden. Vogt dagegen sagt, jetzt werde erst recht über die Nähe von Zwischenlager und Seebad diskutiert. Dabei seien 2010 erstmals über 50.000 Gäste gekommen. Ins Restaurant an der Seebrücke hat sich heute durchs Schneegestöber nur ein Paar getraut. Inhaberin Heidrun Moritz, 62, erinnert sich, wie sie als junge Chemielehrerin an Atomkraft geglaubt habe. Für blauäugig hält sie das heute, nach Tschernobyl, nach den Bildern aus der Asse. Die gebürtige Greifswalderin hat sich mit dem Haus am Meer einen Traum verwirklicht. "Wir können damit leben, was hier oben ist, wir haben das in der DDR gebaut, wir müssen mit den Resten leben." Gastronomin: Einbußen Aber dass hierher noch mehr Müll kommt, von außerhalb? Vom "Hin- und Hergekarre" halte sie nichts. Viele dächten hier so, aber sie trauten sich nicht, das zu sagen. Hat sie Einbußen wegen des Atommülls? "Stornierungen, ja, die gibt es, immer wenn das Thema in den Medien ist." Aber später buchten die Leute wieder. Zur Demo gehe sie nicht. "Falsch", das wisse sie. "Aber so deutlich Stellung beziehen - als Unternehmerin?" In einem Greifswalder Jugendzentrum sitzt Silke Schnabel an letzten Vorbereitungen. Ihr Vater, erzählt die 27-Jährige, arbeitete als Schlosser im AKW, leide seit den Achtzigern an Neurodermitis, "nach einer erhöhten Strahlendosis". Dass aus Lubmin kaum jemand protestiere, wundert sie nicht. "Die sagen, wir müssen hier weiterleben." Dass viele hier noch DDR-obrigkeitshörig seien, weist sie zurück. "Aber auf dem Land am meisten geholfen haben uns Zugezogene aus Westdeutschland." Und die Initiativen aus dem Rest der Republik. "Was hier entsteht, da muss man sich keine Illusionen machen, ist studentengetragen." Und: "Wir sind noch nicht das Wendland." Grünen-Politikerin Ulrike Berger, 31, die die Demo angemeldet hat, hat trotzdem das "Gefühl, dass die Luft hier brennt". In Lubmin sei es komplizierter: "Die eine Hälfte im Dorf hat jemanden, der bei der EWN arbeitet, die andere will sichs nicht mit der ersten verscherzen." Manch einer sei dem VEB noch dankbar, etwa für dessen Wohnungsbauten. Demonstrieren und vor allem die Mahnwachen nächste Woche, das sei schließlich etwas "für die waschechten Anti-Atomaktivisten". Bei Minusgraden und Schnee an der Ostsee.
Jan Michael Ihl
Der nächste Castortransport nach Lubmin steht bevor. Die Protestkultur gleicht nicht der im Wendland. Doch: Wie lebt man im Nordosten mit dem Atommüll?
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Kolumne Blicke: Der Preis des Schreibens - taz.de
Kolumne Blicke: Der Preis des Schreibens Die deutsche Literatur ist üppig subventioniert. Wer was vom Kuchen abhaben will, zahlt mit Erniedrigung. Aber es geht auch anders. Andrang in Leipzig. Ruhe in Berlin, schön. Bild: dpa Ruhig ist es in Berlin, das große Palaver ist temporär nach Leipzig zur Buchmesse umgezogen. Ich war schon einige Male da und hatte immer viel Spaß: Es ist ja schön, ein paar Tage unter dauerbeschwipsten Menschen zu verbringen. Nach einer Phase der winterlichen Einkehr mischte auch ich mich zuletzt wieder unter die Menschen, bei Kongressen und Lesungen. Dabei ist mir eine bemerkenswerte Wandlung aufgefallen, die sich in den Pausen oder beim anschließenden Umtrunk vollzieht. Gewiss, das zahlende Publikum debattiert dann noch über den Einsatz des antiken Jambus im modernen Gedicht oder über die Schwierigkeiten zivilgesellschaftlichen Engagements im ländlichen Raum; die professionellen Podiumsbewohner jedoch und die versammelten Eingeweihten reden nur über eines: über Geld. Besonders krass ist dieser Wechsel der Rede natürlich bei den Schriftstellern. Kaum ist der Gesang verklungen, wird bei Wein und Tabak das deutsche Literaturförderwesen durchdekliniert, eine blühende Kultursubventionslandschaft, um die uns – wie sollte es anders sein – die ganze Welt beneidet. Wie viele Literaturpreise, Förderstipendien und Stadtschreiberpöstchen es in der Bundesrepublik gibt, weiß niemand, die Zahl ist jedenfalls vierstellig. Mindestens. Was ich weiß, ist, dass die Autoren, die mir am meisten am Herzen liegen, gar nicht oder nur sehr sparsam aus diesen reichen Töpfen abbekamen. Ausschließlich unrecht ist ihnen das aber nicht, sie folgen der Devise „writing is my business“ – und wenn es in der deutschen Litertaur marktwirtschaftlich zuginge, dann müssten sich sehr, sehr viele einen vernünftigen Job suchen. Die klassische Formulierung zum Thema stammt von Jörg Fauser. In einem biografischen Abriss schrieb er einmal: „Keine Stipendien, keine Preise, keine Gelder der öffentlichen Hand, keine Jurys, keine Gremien, kein Mitglied eines Berufsverbands, keine Akademie, keine Clique; verheiratet, aber sonst unabhängig.“ Kurz darauf wurde er von einem Lkw überfahren. Wie sagten es seine geliebten Amerikaner ungefähr: „Da draußen ist der Dschungel.“ Mir war es bei der Herstellung von Literatur und Literaturwissenschaft immer egal, ob ich dafür ausgezeichnet würde. Einmal verhinderte ein kaputter Anlasser die Anreise zur Preisverleihung, einmal sagte ich ab, weil ich gerade ein Kind bekam; und jedes Mal wurde ich von den Vergebern wie ein Kellner dafür gerügt, dass ich nichts zum strahlenden Event der Verleihung der Peter-Puschel-Gedächtnismedaille in der Stadthalle Neudettelsbrück beigetragen hätte. Denn darum ging es bei der Sache: um die Eitelkeit der Auszeichner, nicht um die Förderung der Macher. Und wenn ich sehe, wie die Kollegen im Journalismus als Preisverleihungsfußvolk durch die Lande gehetzt werden und sich den öden Reden und dem Pestatem der sogenannten Entscheider aussetzen müssen, dann bin ich ganz zufrieden mit der möglicherweise angeborenen Haltung, dass meine Texte nur vor mir selbst bestehen müssen – der Job ist auch hart genug.
Ambros Waibel
Die deutsche Literatur ist üppig subventioniert. Wer was vom Kuchen abhaben will, zahlt mit Erniedrigung. Aber es geht auch anders.
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Minister scheitert an seiner Polizei - taz.de
Minister scheitert an seiner Polizei ■ Hamburgs Innensenator wegen Übergriffen der Polizei zurückgetreten / 27 Beamte suspendiert Hamburg (AP/dpa/taz) – Am Montag abend ist überraschend der Hamburger Innensenator Werner Hackmann zurückgetreten. Noch überraschender als dieser Schritt waren allerdings dessen Begründung und die gestrigen Reaktionen darauf. In einer persönlichen Erklärung des SPD- Politikers hieß es, er wolle seinen Rücktritt als Signal gegen Ausländerfeindlichkeit verstanden wissen. Es beschäme ihn zutiefst, daß die Übergriffe von Polizisten gegen Ausländer eine Dimension angenommen hätten, die er nicht für möglich gehalten habe. Was Hackmann während seiner Amtszeit anscheinend nicht gelungen war, sein Rücktritt machte es möglich. Gestern wurden 27 Beamte wegen solcher Übergriffe vom Dienst suspendiert. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen sie wegen Körperverletzung und Strafvereitelung im Amt, Freiheitsberaubung und Nötigung. Einem Beamten wird vorgeworfen, Kontakte zur rechtsextremistischen Szene zu haben und sich zielgerichtet beim Hamburger Staatsschutz in der Abteilung „Bekämpfung des Rechtsextremismus“ beworben zu haben. Der Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau, der vergeblich versucht hatte, den Innensenator von seiner Entscheidung abzuhalten, bedauerte: „Das ist ein Schock. Mich schmerzt der Rücktritt politisch und auch persönlich.“ Die Grünen wollen die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beantragen, die CDU hat bereits ihre Unterstützung dieser Forderung erklärt. Auslöser für Hackmanns Entscheidung war die Anzeige eines Polizeibeamten, die ungeheuerliche Vorgänge im Polizeirevier am Hamburger Hauptbahnhof offenbart hatte. In der Anzeige, die dem Innensenator erst am Montag auf den Tisch gelegt worden war, hieß es, ausländische Gefangene seien im Keller der Wache so lange provoziert worden, bis sie sich gewehrt hätten. Daraufhin seien sie mißhandelt worden. In der Hamburger Morgenpost vom Dienstag sagte Hackmann: „Als mir der Vermerk auf den Tisch gelegt wurde, ... daß an der Wache 11 Mißhandlungen vorgekommen sind, da habe ich gedacht, ob ich mir das noch antun muß. Und ob ich nicht eher ein Signal setzen kann, damit die Leute aufwachen, wenn ich zurücktrete.“ Bereits in der vergangenen Woche hatte sich in Hamburg ein Polizeiskandal angebahnt. Durch einen Bericht der taz war bekanntgeworden, daß im Januar zwei Polizeibeamte nachts einen 44jährigen Senegalesen krankenhausreif geschlagen hatten, weil er eine Mütze mit dem Aufnäher „Gebt Nazis keine Chance“ trug. Ohne öffentliches Gerichtsverfahren erhielten die geständigen Polizisten Strafbefehle über 90 Tagessätze von 65 Mark. Nach der Veröffentlichung des Vorfalls wurden die Polizisten am Freitag von Hackmann in eine andere Dienststelle versetzt. Diese Entscheidung war öffentlich als zu milde kritisiert worden. Übergriffe der Hamburger Polizei gegen Ausländer, Demonstranten und Obdachlose sind keine Einzelfälle. Gegen Polizisten der Revierwache 16 im Hamburger Schanzelviertel wurden seit 1988 130 Anzeigen wegen Körperverletzung im Amt erstattet. Justizsenator Klaus Hardrath will nun eine Kommission einsetzen, die die eingestellten Verfahren und Strafbefehle nochmals überprüft. dr Seite 3
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Die Wahrheit: Abschied von Mitte - taz.de
Die Wahrheit: Abschied von Mitte Niemals geht man so ganz: Was von meinen Jahren in der Hauptstadt übrig bleibt. Ein sentimentaler Blick zurück ohne Zorn. Die Koffer sind gepackt. Bloß weg aus Mitte! Foto: dpa Manchmal, wenn ich ZDF-Nachrichten gucke, hör ich meine alte, ebenda gelandete Bekannte Inken berichten, und dann muss ich daran denken, wie wir früher immer den Witz machten, man müsse beizeiten mal „nach Mitte“, denn wer nicht „in Mitte“ lebe, der lebe praktisch gar nicht. Vermutlich lebt Inken jetzt in Wiesbaden, und ich, wo lebe ich? In Mitte. Beziehungsweise bald ja nicht mehr, weil ich weg muss, wieder mal, denn Leben, wusste Benn, ist Brückenschlagen über Ströme, die vergehn; oder, in meiner Version: ist Löcher in Wände dübeln, die bloß gemietet sind. Also wieder den Umzugslaster bestellen und den Sperrmüll planen und die Regalmeter überschlagen und bei all dem den Gedanken haben, dass man lang nicht mehr wo so lange war, wie man in Mitte gewesen ist; und dass man da, wo man hingeht, das alles wohl vermissen wird: das Bunte, das Treiben, die Geschäfte, die Tätowierungen – schön, die nicht, und die gibt’s ja auch längst überall. Auf dem Fernsehturm waren wir nie, und der Alex ist Nachbarschaft. Nie mehr U-Bahn fahren Die große Frage ist: Zusammenleben in Sonstwo oder nur mehr halb zusammen in Mitte? Und jetzt also: fort. Wir werden nicht mehr U-Bahn fahren, weil es am neuen Wohnort keine gibt, und wir werden uns nicht mehr zwischen Rewe, Edeka, Bio- und Lose-Laden entscheiden müssen, weil es das am neuen Wohnort auch nicht gibt. Es gibt einen Aldi, und der ist nicht mal um die Ecke. Mit Glück fehlen dann allerdings die Leute, die ihre Sätze mit „geil“ und „witzig“ füllen, wobei „witzig“ nur die Frauen sagen, und zwar auf so eine verstörend dumme Weise, die klingt wie „witzäääg“. Die stehen dann in der Kinderboutique und sagen: „Das Kleid für die Tilly ist ja voll witzäääg!“, und die Verkäuferin so: „Ja, voll geil!“ Und kratzt sich ihre frische, hochgradig individuelle Tätowierung. Da denkt man dann immer, dass es irgendwann mit Mitte auch mal genug ist, und ich hoffe, dass ich das auch noch denke, wenn ich im Aldi stehe und niemand was witzäääg findet, weil witzäääge Dinge im Aldi traditionell unbekannt sind. Wir hätten pendeln können, wie so viele. Aus Berlin gehen Leute ja grundsätzlich nicht weg, selbst wenn sie einen Job haben in Garmisch oder Oslo, die pendeln dann natürlich. Solche Leute fand ich immer lächerlich, und jetzt haben wir selbst diskutiert, halbe Abende durch, ob ein Leben lang Mitte die Fernehe lohnt. Also: Zusammen in Sonstwo, oder nur mehr halb zusammen in Mitte. Wo man den Laden kennt, genauer: die Läden; wo ich meinem (tätowierten) Friseur durchs Schaufenster zuwinke und seinem Chef und dessen Frau, dann die Padrona von der Pizzeria grüße, in der ich seit Jahren nicht mehr war, sowie den Apotheker, alle drei Buchhändlerinnen aus der Buchhandlung nebenan und den (tätowierten) Schuster, den ich, bevor Corona anfing, um Schamhaaresbreite in der Dusche vom Fitnessstudio verpasst habe, zur unserer beider grenzenlosen Erleichterung. Eine letztes Mal Currywurst Was ich noch tun muss, bevor ich gehe? Ich könnte noch mal die U-Bahn nehmen und flexitarisch Currywurst essen, die berühmte aus dem Laden, den ich, aus Schleichwerbevermeidungsgründen einer- und Bekanntheitsgründen andererseits, hier nur „-ke“ nennen will; könnte noch mal den ewigen Hundehaufen ausweichen und unter den Lindenern spazieren gehen oder auf der Friedrichstraße; wobei, was soll ich in Wettbergen, war ich doch sechs Jahre nicht, und warum auch. Also lieber nach gegenüber zu Eva und Alex, zum Frühstück auf ihrer Terrasse, und sicher noch mal ins – ich sag’s jetzt doch, ich muss es sagen! – „Plümecke“ zur, wie man so sagt, besten Currywurst der Stadt, auch wenn das gar nicht mehr in Linden-Mitte ist, dem grundsympathischen, links- bis zeitgemäß rechtsgrünen, nicht unversifften Bauchstück von Linden, Trendbezirk Number one der schönsten Hauptstadt von Niedersachsen, Hannover. Und dass der Fernsehturm hier „Telemax“ heißt, weiß ich jetzt auch. Die Wahrheit auf taz.de
Stefan Gärtner
Niemals geht man so ganz: Was von meinen Jahren in der Hauptstadt übrig bleibt. Ein sentimentaler Blick zurück ohne Zorn.
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Bildungsministerin von Schleswig-Holstein: Elf Verschreiber auf vier Seiten - taz.de
Bildungsministerin von Schleswig-Holstein: Elf Verschreiber auf vier Seiten Die Bildungsministerin von Schleswig-Holstein, Waltraud Wende, hat ein Schreiben an den Landtag verfasst. Dabei passte sie nicht richtig auf. Nervig, denkt sich die habilitierte Literaturwissenschaftlerin. Bild: dpa KIEL dpa/taz | Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Waltraud Wende (parteilos) hat nach einem Bericht der Welt vom Samstag einen offiziellen Brief mit zahlreichen Rechtschreibfehlern verschickt. In dem Schreiben an den Finanz- und den Bildungsausschuss des Landtags, das ihre Unterschrift trägt, fänden sich auf vier knappen Seiten drei Tippfehler, drei Kommafehler, vier weitere Grammatikfehler und eine falsche Trennung, berichtet die Zeitung. In dem Brief mit Datum 2. Juli geht es um das Lehrkräftebildungsgesetz. „Das war die iPhone-Falle“, sagte Ministeriumssprecher Thomas Schunck der Welt. Die Ministerin habe von unterwegs unter Zeitdruck über das iPhone schnell ein paar Änderungswünsche am – fehlerfreien – Originalschreiben durchgegeben. Diese seien dann zwar eingefügt, aber nicht mehr korrigiert worden. Die Änderungen habe die Ministerin „reintelefoniert“. „Sie gibt das nur durch, jemand anderes tippt“, sagte Schunck der Nachrichtenagentur dpa. „Die Fehler ärgern uns.“ Ob die Ministerin den Brief vor oder nach den Änderungen unterschrieb, konnte der Sprecher nicht sagen. Wende ist habilitierte Literaturwissenschaftlerin und war bis zu ihrem Amtsantritt Präsidentin der Universität Flensburg. Sie steht wegen der geplanten Reform der Lehrerbildung seit Wochen in der Kritik. Der Entwurf sieht vor, Lehrer künftig nur noch für zwei Stufen, für Grund- und Oberstufe, auszubilden. Von der Reform würde Wendes ehemaliger Arbeitgeber, die Universität Flensburg, profitieren, wo derzeit Lehrkräfte für Grund-, Förder- und Gemeinschaftsschulen ausgebildet werden. Der Rechnungshof kritisierte „Doppelstrukturen“. Die oppositionelle CDU und FDP warfen Wende „Korruption, Selbstbedienungsmentalität, Vetternwirtschaft“ vor, bislang jedoch keine „Lese-, Rechtschreibschwäche“.
taz. die tageszeitung
Die Bildungsministerin von Schleswig-Holstein, Waltraud Wende, hat ein Schreiben an den Landtag verfasst. Dabei passte sie nicht richtig auf.
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Burdas Frauen-Erotik-Magazin: Neues Heft für alte Säcke - taz.de
Burdas Frauen-Erotik-Magazin: Neues Heft für alte Säcke Der Burda-Verlag versucht sich an Erotik für Frauen - und liefert Altherrenschwulst. Oder was sagen Sie zu geilen Frauen mit verruchtem Blick und Nippelhütchen? Irgendwie an der Zielgruppe vorbei: Alley Cat. Bild: burda Das neue Erotik-Magazin für Frauen ist da. Nein! Halt! Falsch! Das neue Erotik-Magazin für alte lüsterne Säcke ist da. Die sich in einem weiteren Magazin Brüste von jungen Frauen in mädchenhaften Softpornoposen angucken wollen. Dabei hatte Chefredakteurin Ina Küper doch vor, ihren Leserinnen "auf Augenhöhe" zu begegnen, wie der Burda-Verlag (Focus, Bunte) verlauten lässt. Und nannte deswegen das Magazin Alley Cat. Das ist Englisch und heißt unter anderem "streunende Katze", "Flittchen" oder auch "Straßendirne". Neben den geilen Frauen mit verruchtem Blick hat der Bildredakteur - ja, der ist ein echter Mann - dann natürlich noch ein paar Alibi-Männer in Fußballtrikots - äh: Baumwollslips - abgelichtet. Das ist dann aber auch irgendwie an der Zielgruppe vorbei: Klar, keiner schwitzt schöner als Ballack. Aber Fußball? Auch vorbei am Thema ist Küper mit dem Begriff "sexuelles Selbstbewusstsein", von dem sie im Editorial schreibt. Wer Alley Cat nicht nur wegen der Bilder kauft, sondern auch liest, erfährt, dass 29 Prozent aller Frauen es besser als Sex finden, wenn sie wieder in eine zu eng gewordene Jeans passen, dass das weibliche Gesäß "DAS Trend-Accessoire" sei. Dafür gibts für die aufgeklärte Leserin zum Schnäppchenpreis aber nichts Gesäßtaugliches, sondern - Nippelhütchen. Und die Modestrecke mit der Ode an den Bleistiftrock beflügelt wohl auch eher die Sekretärinnensexfantasien eines verklemmten Büroheinis. Außer Vibratorentipps und einem Bericht über eine Sadistin ist die Frau hier leider eher Objekt als Subjekt. Meinte Ina Küper am Ende eher "sexuelle Selbsterniedrigung"?
Julia Fritzsche
Der Burda-Verlag versucht sich an Erotik für Frauen - und liefert Altherrenschwulst. Oder was sagen Sie zu geilen Frauen mit verruchtem Blick und Nippelhütchen?
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Kommentar Rückzug des Dalai Lama: Die Demokratie kommt von oben - taz.de
Kommentar Rückzug des Dalai Lama: Die Demokratie kommt von oben Der Dalai Lama will seine Landsleute offenbar ermutigen, sich politisch mehr zu engagieren. Dennoch wird er nach innen wie nach außen wichtigste Figur bleiben. Der Dalai Lama hat den Rückzug von seinen politischen Ämtern angekündigt - nicht zum ersten Mal, aber zwei Dinge sind bemerkenswert: Erstens waren derartige Ankündigungen in der Vergangenheit zumeist mit konkreten Ereignissen verbunden - beim Volksaufstand vom März 2008 zum Beispiel drohte er damit, sofern die Tibeter Gewalt ausübten. Zweitens werden die Abstände zwischen den Ankündigungen immer kürzer; zuletzt Ende November hatte sein Privatsekretär erklärt, der Dalai Lama erwäge, von seinem Amt als weltliches Oberhaupt zurücktreten. Bemerkenswert ist auch der Zeitpunkt: Nach monatelangen Vorwahlen in den Exilgemeinden geht die Entscheidung über einen neuen Ministerpräsidenten im Exil am 20. März in die entscheidende Runde. Als Favorit gilt der Harvard-Absolvent Lobsang Sangay, der nicht zum tibetischen Establishment in Nordindien gehört. Mit der Ankündigung will das tibetische Oberhaupt offenkundig die demokratischen Institutionen stärken und seine in Freiheit lebenden Landsleute motivieren, sich an dem Meinungsbildungsprozess zu beteiligen. Damit erhält die Wahl eine größere Bedeutung und der neue Amtsinhaber wird aufgewertet. Die Demokratisierung der Tibeter im Exil ist eine Demokratisierung von oben. Der AutorKlemens Ludwig ist freier Autor der taz. Selbst bei einem Rückzug aus den politischen Ämtern wird der Dalai Lama nicht in der Versenkung verschwinden. Seine weit wichtigere Funktion als geistliches Oberhaupt ist davon unberührt. Er bleibt für den tibetischen Freiheitskampf die wichtigste Integrationsfigur nach innen und der überzeugendste Vermittler nach außen. Die Tibeter sind jedoch gut beraten, die Botschaft zu hören und in der Entwicklung ein Chance zu sehen, statt - wie in der Vergangenheit - den Dalai Lama zu bitten, den Rückzug vom Rückzug anzutreten.
Klemens Ludwig
Der Dalai Lama will seine Landsleute offenbar ermutigen, sich politisch mehr zu engagieren. Dennoch wird er nach innen wie nach außen wichtigste Figur bleiben.
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Rückholaktion wegen Coronavirus: Deutsche aus Wuhan auf Heimflug - taz.de
Rückholaktion wegen Coronavirus: Deutsche aus Wuhan auf Heimflug Sobald die Passagiere in Deutschland gelandet sind, sollen sie 14 Tage in Quarantäne bleiben. In China stieg die Zahl der Erkrankten auf rund 12.000. Reisende am Pekinger Flughafen Foto: reuters WUHAN dpa/afp | Ein Flugzeug der Bundeswehr hat mehr als 120 Deutsche und andere Staatsbürger aus der schwer vom Coronavirus betroffenen Metropole Wuhan in China ausgeflogen. Nach der Rückholaktion kommen die Passagiere für 14 Tage in Quarantäne. Die Epidemie in China erlebte am Samstag den bisher höchsten Anstieg der Infektionen und Toten innerhalb eines Tages. Die Gesundheitskommission in Peking meldete einen Zuwachs um fast 2.000 auf 11.791 Erkrankte. Die Zahl der Todesfälle kletterte um 46 auf 259. In Deutschland steckte sich erstmals ein Kind an. Die Zahl der Fälle stieg auf sieben. Der Vater des Kindes ist ein infizierter Mann aus dem Landkreis Traunstein. Wie das bayerische Gesundheitsministerium mitteilte, wurde zudem bei einem Mann aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck die Lungenkrankheit bestätigt. Er arbeitet wie die ersten fünf Infizierten beim Autozulieferer Webasto. Außerhalb der Volksrepublik wurden bisher in zwei Dutzend Ländern rund 150 Infektionen gezählt. Für die Rückholung der Deutschen aus Wuhan startete der Airbus A 310 der Luftwaffe um 02.22 Uhr MEZ (09.22 Uhr Ortszeit) vom Flughafen des schwer von der Lungenkrankheit heimgesuchten Wuhan in Zentralchina, wie das Einsatzführungskommando berichtete. Die Maschine wird nach einem Zwischenstopp am Samstagmittag in Frankfurt/Main erwartet. Kurz vor dem Start machte sich Erleichterung breit: „Glücklich am Gate zu sein“, berichtete eine Frau, die namentlich nicht genannt werden wollte, der Deutschen Presse-Agentur. Die Gruppe hatte sich schon am Vorabend am Flughafen versammelt und musste dort die Nacht verbringen. „War bis hier doch alles schon ganz schön anstrengend.“ Nach ihren Angaben wurden 126 Personen gezählt. Ann-Sophie Muxfeldt, deutsche Studentin in Wuhan„Ich bin wirklich sehr traurig. Ich konnte ja meinen ganzen Freunden nicht richtig ‚Tschüss‘ sagen“ „Ok, jetzt geht es zurück nach Deutschland für unbestimmte Zeit“, sagte die Studentin Ann-Sophie Muxfeldt am Flughafen dem Norddeutschen Rundfunk. „Man weiß eben nicht, wird es möglich sein zurückzukommen in nächster Zeit“, sagte die Rostockerin, die seit September in Wuhan studiert hatte. „Ich bin wirklich sehr traurig. Ich konnte ja meinen ganzen Freunden nicht richtig „Tschüss“ sagen.“ Nach einem mehr als zehnstündigen Flug war die Maschine am frühen Morgen in Wuhan gelandet. Nach früheren Angaben sollten rund 90 Bundesbürger und etwa 40 andere Staatsbürger ausgeflogen werden. Für ihre 14-tägige Quarantäne ist eine zentrale Unterbringung in einer Ausbildungskaserne auf dem Luftwaffenstützpunkt Germersheim in Rheinland-Pfalz vorgesehen – 100 Kilometer vom Frankfurter Flughafen entfernt. Auch die USA, Japan, Südkorea und andere Länder haben Staatsbürger aus Wuhan geholt oder planen Rückholaktionen. Nachdem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine „gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite“ erklärt hatte, riefen die USA eine eigene „gesundheitliche Notlage“ aus. Ausländische Reisende aus China werden wegen des Ansteckungsrisikos nicht mehr ins Land gelassen – mit Ausnahme von Angehörigen von US-Staatsbürgern. Der von US-Präsident Donald Trump erlassene Bann gilt ab Sonntag (23.00 Uhr MEZ). US-Staatsbürger, die in den 14 Tagen zuvor in Wuhan oder der umliegenden Provinz Hubei waren, müssen sich für bis zu zwei Wochen in Quarantäne begeben. Amerikaner, die in anderen Teilen Chinas waren, sollen sich selbst für zwei Wochen isolieren. Bislang gibt es sechs Fälle des Coronavirus in den USA. 45 Millionen in der Provinz Hubei abgeschottet „Es ist mit Sicherheit keine Geste des guten Willens“, kritisierte Chinas Außenamtssprecherin. Während die Weltgesundheitsorganisation von Reisebeschränkungen abrate, gingen die USA in die entgegengesetzte Richtung und setzten ein „schlechtes Beispiel“. Viele Länder hätten China ihre Hilfe angeboten, sagte die Sprecherin. Sie verwies auf die Redensart „In der Not erkennt man seine Freunde“. Was die USA täten, basiere nicht auf Fakten und sei nicht hilfreich. Die Regierung in Australien ein Einreiseverbot gegen Reisende aus China verhängt. Von dem Verbot ausgenommen seien australische Staatsbürger, Menschen mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht sowie deren Angehörige, erklärte Premierminister Scott Morrison am Samstag. Das Außenministerium in Canberra verschärfte seine Reisehinweise für China und empfiehlt Australiern nun, auf Reisen in die Volksrepublik zu verzichten. Erstmals meldete auch Spanien eine Infektion: Betroffen sei ein Deutscher auf der Kanareninsel La Gomera, der mit einem der in Deutschland infizierten Patienten in Kontakt gewesen sein soll, teilte die Regierung mit. Insgesamt waren fünf Deutsche in La Gomera getestet worden, die in Kontakt mit einem Mann gekommen sein sollen, bei dem in Deutschland das Virus nachgewiesen wurde. In Deutschland hat sich das erste Kind angesteckt Auslöser der Ansteckungen in Deutschland waren ein oder zwei chinesische Mitarbeiter des Autozulieferers Webasto. Das Unternehmen nannte neben der bereits bekannten Frau auch einen Mann, der ebenfalls in Deutschland gewesen sei. Alle infizierten deutschen und chinesischen Mitarbeiter seien in längeren Meetings am Firmensitz der Zentrale in Stockdorf gewesen, berichtete das Unternehmen. Die infizierten Chinesen sind nach der Rückkehr in ihre Heimat erkrankt. Das erste Kind, das sich in Deutschland angesteckt hat, liegt wie der Vater in einem Krankenhaus in Trostberg. Die Ärzte gehen davon aus, dass die ganze Familie infiziert ist – sie wurde auf eigenen Wunsch zusammen untergebracht. Die anderen Mitglieder müssten aber noch nachgetestet werden. Der Mann habe drei Kinder im Alter zwischen einem halben Jahr und fünf Jahren. Wegen der Lungenkrankheit ist China praktisch zum Stillstand gekommen. In der hart betroffenen Provinz Hubei wurden 45 Millionen Menschen abgeschottet. Alle Verkehrsverbindungen sind dort gekappt. Landesweit werden Überlandbusse gestoppt, Züge und Flüge reduziert. Die Ferien zum chinesischen Neujahrsfest wurden verlängert: Schulen, Universitäten und Kindergärten bleiben geschlossen, Fabriken stehen still und Büros sind verriegelt. Nach Ikea oder H&M schließt auch Apple bis mindestens 9. Februar seine Läden.
taz. die tageszeitung
Sobald die Passagiere in Deutschland gelandet sind, sollen sie 14 Tage in Quarantäne bleiben. In China stieg die Zahl der Erkrankten auf rund 12.000.
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Kommentar Erschossener Jugendlicher: Ferguson ist überall - taz.de
Kommentar Erschossener Jugendlicher: Ferguson ist überall In Ferguson zeigt sich das Erbe des Rassismus in den USA. Er reicht von der Sklaverei über die Segregation bis hin zur Benachteiligung von Minderheiten. Wie eine Besatzungsarmee: weiße Polizisten und schwarzer Protestierender. Bild: dpa Sechs Kugeln, die ein Polizist in den Körper und Kopf eines unbewaffneten und mit erhobenen Händen vor ihm stehenden Teenagers gejagt hat, haben Ferguson in das Zentrum der USA katapultiert. Nach tagelangen friedlichen Demonstrationen und Gedenkveranstaltungen für Michael Brown, nach immer neuen Polizeiprovokationen mit Worten und mit militärischen Taten und nachdem die nächtlichen Plünderungen nicht aufhören wollen, soll jetzt die Nationalgarde in dem kleinen Ort für Ruhe sorgen: das Militär. Der Krieg ist damit offiziell in Missouri angekommen. Die erste Verantwortliche für die Situation ist die lokale Polizei. Sie hat sich mit Kriegswaffen aus Beständen des Pentagon ausgestattet. Sie hat fast ausschließlich weiße Beamte in der mehrheitlich schwarzen Stadt eingesetzt. Und sie hat sich wie eine Besatzungsarmee aufgeführt. Jeder schwarze Mann in Ferguson kann von Erniedrigungen und Angst im Umgang mit der Polizei berichten. Anschließend haben die Polizeichefs ihre ganze Energie darauf verwendet, das Geschehene zu vertuschen. Sie haben Demonstranten wie Kriminelle behandelt und ins Visier ihrer Kriegswaffen genommen. Und als der örtliche Polizeichef – unter dem Druck aus Washington – nach fünf Tagen endlich die Identität des Todesschützen bekannt gab, sagte er nichts zum Hergang der Todesschüsse. Er nutzte aber die Gelegenheit, um posthum den Ruf des Toten zu zerstören. All das ist wie aus dem Lehrbuch zur Eskalation eines Konfliktes. Und genau das ist passiert. Jetzt befindet sich Ferguson in einem Ausnahmezustand, in dem nachts die Straße allein den Uniformierten und einigen Plünderern gehört, von denen niemand weiß, wer sie sind und woher sie kommen. Aber Ferguson ist nicht nur das Resultat falscher und aggressiver polizeilicher Strategien. In Ferguson zeigt sich zugleich das bittere Erbe eines jahrhundertelangen Rassismus in den USA, der von der Sklaverei über die Segregation bis hin zu selektiven Benachteiligungen von Minderheiten reicht, der bis heute nicht wirklich überwunden ist. Ferguson ist überall. Sozial, politisch und polizeilich benachteiligte Minderheiten, die räumlich abgetrennt von der Mehrheitsbevölkerung leben, existieren in Großstädten wie New York, Chicago und Los Angeles und auch mitten im „tiefen Amerika“. Jeder einzelne dieser Orte ist ein potenzielles Pulverfass.
Dorothea Hahn
In Ferguson zeigt sich das Erbe des Rassismus in den USA. Er reicht von der Sklaverei über die Segregation bis hin zur Benachteiligung von Minderheiten.
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Die Wahrheit: Löcher im Gehirn - taz.de
Die Wahrheit: Löcher im Gehirn Leidet Julian Reichelt an Rinderwahnsinn? Eine infame Kampagne untergräbt die Glaubwürdigkeit des vorbildlichen „Bild“-Chefredakteurs. Kein Zyniker, sondern ein einfühlsamer und warmherziger Menschenfreund: Julian Reichelt Foto: Imago Der Bild-Chefredakteur Julian Reichelt hat es nicht leicht. Ständig wird er angefeindet, obwohl er nur seine Arbeit macht und sich redlich darum bemüht, den Fußstapfen seines unvergessenen Vorvorgängers Kai Diekmann zu folgen. In einem Podcast fragte der Axel-Springer-CEO Mathias Döpfner den gebeutelten Reichelt kürzlich: „Wie gehst du mit dieser negativen Energie um? Man kann sagen, es gehört zum Job, aber wie schafft man es, dabei nicht zum Zyniker zu werden oder nicht zu verhärten? Was macht das mit dir?“ Worauf Reichelt erwiderte, es gebe mittlerweile ein „Ausmaß an Beschimpfungen, wie ich es mir selber nicht hätte vorstellen können“. Doch gottlob ist er darüber eben nicht zum Zyniker geworden, sondern das geblieben, was er immer war: ein vorbildlicher Journalist, ein ebenso nachdenklicher wie einfühlsamer und warmherziger Menschenfreund und zugleich ein ritterlicher Vorkämpfer des Guten, Wahren und Schönen. Viele erinnern sich noch an die von Reichelt höchstpersönlich verfasste Bild-Schlagzeile „Macht das Tor auf!“, die erschien, als es mit der deutschen Willkommenskultur in der Flüchtlingskrise vorbei war, oder an die bewegenden Worte, die er fand, als ihm an einem und demselben Tag der Geschwister-Scholl-Preis, der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und die Carl-von-Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga für Menschenrechte zuerkannt worden waren: „Olé, olé, olé, olééééé …“ Um so rätselhafter ist die Wut, die Reichelt allenthalben entgegenschlägt. Und es bleibt nicht bei Schmähungen. Es werden bösartige Gerüchte verbreitet, die ihm schaden sollen. Da heißt es zum Beispiel, er schummele beim Dominospielen und er habe seine zwei Meerschweinchen auf die Namen Mathias und Friede getauft. Noch gemeiner ist die Falschmeldung, dass er an Rinderwahnsinn erkrankt sei. Man erkenne das, so wird in einschlägigen Internetforen behauptet, an Reichelts Gedächtnisstörungen, seiner Aggressivität und nicht zuletzt an schwammartigen Löchern in seinem Gehirn, die für diese Krankheit typisch seien. Man kann darüber streiten, ob Reichelt tatsächlich einige Symptome der bovinen spongiformen Enzephalopathie aufweist. Verbürgt ist nur, dass er gern Leichenfotografen ausschickt, die „für die Marke Bild brennen“, und dass er bei seiner Verdachtsberichterstattung regelmäßig schneller zuschlägt als die Polizei. Aber leidet er wirklich an Rinderwahnsinn? Der Tiermediziner Dr. Albert Schulte vom Pharmazeutischen Institut der Universität Kiel gibt Entwarnung. „Manche Aussetzer lassen sich auch mit einem niedrigen IQ erklären“, hat er in einem Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt geäußert. „Ich würde darauf tippen, dass Herr Reichelt geistig einfach unterhalb der Möglichkeiten operiert, die dem Durchschnittsbürger zur Verfügung stehen. Er zeigt ein Verhalten, das abnorm ist, aber nicht unbedingt krankhaft sein muss. An seiner Stelle würde ich den Beruf wechseln. Vielleicht steckt in Herrn Reichelt ja ein mittelmäßig begabter Fußpfleger oder jemand, der kleine Haustiere ausführen und füttern kann. Wir dürfen niemanden verloren geben. Das finde ich ganz, ganz wichtig. Gerade und besonders auch im Hinblick auf Underperformer wie Julian Reichelt, die der Gesellschaft noch beweisen müssen, dass sie etwas können.“ Speerspitze der Aufklärung Zu einem anderen Schluss kommt Dr. med. Oliver Sullivan von der Johns Hopkins University, der die „Mad Cow Disease“ seit zwanzig Jahren untersucht: Er plädiert dafür, Reichelt sofort in Quarantäne zu nehmen und ihn mindestens ein Dreivierteljahr lang von allen anderen Säugetieren abzusondern. Branchen-Insider wittern hinter alledem das abgekartete Spiel einer linken Allianz, die mit unlauteren Methoden gegen Reichelt vorgeht, weil sie es nicht erträgt, dass er die Bild-Zeitung zur Speerspitze der Aufklärung über das Aussehen von toten Unfallopfern geformt hat. Im übrigen können Reichelts Gedächtnisstörungen nach Auskunft von Experten auch völlig harmlose Ursachen haben. „Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass er in seiner Jugend ein paarmal zu oft vom Dreirad gefallen ist“, sagt der Psychotherapeut Dr. Hans-Michael Frieß von der Bad Nauheimer Burghof-Klinik. „Oder, dass er unmittelbar nach seinem Vorstellungsgespräch bei Springer in einen Spiegel geschaut und sich dabei eine traumatische Belastungsstörung zugezogen hat. Ich erörtere diesen Fall bereits seit Wochen mit meinen Kollegen vom Royal College of Psychiatrists in London und der American Academy of Child and Adolescent Psychiatry. Wir werden die Ergebnisse unserer Forschung in Kürze in der Zeitschrift Scientific Review of Mental Health Practice zur Diskussion stellen …“ Bis dahin gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung, auch wenn Reichelt mit seinen Kommentaren den Eindruck erweckt, dass er nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. „Dass der Staat niemals Menschenleben abwiegen darf gegen ein anderes Gut, ist eine noble Idee, die der Realität leider nicht immer standhält“, schrieb Reichelt im April 2020 in Bild, als er noch zu klein war, um die Verben „abwiegen“ und „abwägen“ auseinanderhalten zu können. Und er fügte hinzu: „Die Stärke der Demokratie ist, dass sie auch die unbequemsten Debatten aushält.“ Nun wartet ganz Deutschland gespannt auf den Ausgang der unbequemen Debatte über Reichelts Geisteszustand. Bei Tipico, Xtip und Happybet werden sogar schon Wetten angenommen. Der Höchsteinsatz beträgt zur Zeit zwei Eurocent. Die Wahrheit auf taz.de
Gerhard Henschel
Leidet Julian Reichelt an Rinderwahnsinn? Eine infame Kampagne untergräbt die Glaubwürdigkeit des vorbildlichen „Bild“-Chefredakteurs.
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Feier zum 100. Geburtstag Nordirlands: Heikler Gottesdienst in Armagh - taz.de
Feier zum 100. Geburtstag Nordirlands: Heikler Gottesdienst in Armagh Die Einladung zur Messe bringt Irlands Politik in Bedrängnis – es ist auch der Jahrestag der Teilung der Insel. Präsident Higgins wählte die Absage. Irlands Präsident Higgins mit seiner Frau vor seiner Residenz in Dublin Foto: Clodagh Kilcoyne/reuters DUBLIN taz | Eine Einladung kann eine zweischneidige Sache sein. Am Donnerstag findet im nordirischen Armagh, wo sowohl die protestantische, als auch die katholische Kirche Irlands ihren Hauptsitz hat, ein Gottesdienst zur Feier des hundertsten Geburtstags Nordirlands statt. Veranstaltet wird die Messe von den Oberhäuptern der vier christlichen Religionen Irlands. Königin Elisabeth II. war eingeladen und auch der irische Präsident Michael D. Higgins. Die Organisatoren wussten, dass sie ihn dadurch in Schwierigkeiten bringen würden, denn der Geburtstag Nordirlands ist naturgemäß auch der Jahrestag der Teilung der Insel. Wie immer sich Higgins entscheiden würde, Kritik war ihm sicher. Er entschied sich für eine Absage. War zunächst von einer Feier zur Versöhnung und zum Frieden die Rede, so hieß es in der offiziellen Einladung, die Veranstaltung solle „den hundertsten Jahrestag der Teilung Irlands und der Gründung Nordirlands begehen“. Higgins sagte: „Was als Einladung zu einem Gottesdienst begann, ist zu einem politischen Statement geworden.“ Deshalb sei eine Teilnahme für ihn als Staatsoberhaupt unangemessen. Die Debatte um den Gottesdienst hat vorübergehend Brexit und Nordirlandprotokoll aus den Schlagzeilen verdrängt. Erwartungsgemäß sind Nordirlands Unionisten wütend auf Higgins und werfen ihm vor, die Queen zu brüskieren. Kritik kam auch aus Regierungsparteien in Dublin Aber auch aus den Parteien der Dubliner Regierungskoalition kam Kritik. Der frühere Premierminister John Bruton von der konservativen Fine Gael sagte, Higgins hätte die Einladung annehmen müssen, denn das hätte dem Willen des irischen Volkes entsprochen. Das Volk sieht das anders: 68 Prozent erklärten bei einer Meinungsumfrage, der Präsident habe sich richtig entschieden. Nur 17 Prozent sagten, er hätte die Einladung annehmen sollen. Die Iren mögen ihren Präsidenten. Higgins, ein kleiner Mann mit zerzausten weißen Haaren, der von allen „Michael D.“ genannt wird, ist im April 80 Jahre alt geworden. Er ist liberal, 2018 wurde er für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Die Regierung schickt statt seiner den Außenminister Simon Coveney von der konservativen Fine Gael und den Fianna-Fáil-Fraktionsführer Jack Chambers zum Gottesdienst nach Armagh. Für beide Parteien ist die Veranstaltung ein Giftbecher. Einerseits will man die Unionisten und die britische Regierung nicht verärgern, andererseits ist mit der Teilnahme am Gottesdienst keine Wählerstimme zu ergattern. Im Gegenteil: Nicht zuletzt deswegen hat Sinn Féin, der ehemalige politische Flügel der inzwischen aufgelösten Irisch-Republikanischen Armee (IRA), nun zehn beziehungsweise zwölf Prozent Vorsprung vor den Regierungsparteien. Die nordirische Bürgerrechtlerin Bernadette McAliskey, die 1969 unter ihrem Geburtsnamen Devlin mit 21 Jahren als jüngste Abgeordnete aller Zeiten ins Londoner Unterhaus gewählt wurde, hatte schon vor Wochen prophezeit, dass die Queen in letzter Minute absagen würde, weil der Gottesdienst in Armagh „für sie irgendwie kontaminiert“ sei. Das tat sie denn auch am Mittwoch – auf ärztliches Anraten, ließ der Buckingham-Palast verlauten. Stattdessen kommt der britische Premier Boris Johnson. Er ist bei den Unionisten wegen des Nordirlandprotokolls verhasst, durch das eine Grenze zwischen Großbritannien und Nordirland gezogen wird, und will nun verlorenen Boden wettmachen. Nordirlands Unionisten wütend auf Higgins und warfen ihm vor, die Queen zu brüskieren Higgins bleibt dem Zirkus fern und gibt stattdessen in seinem Amtssitz in Dublin einen Empfang für die Gesellschaft für statistische und soziale Untersuchungen.
Ralf Sotscheck
Die Einladung zur Messe bringt Irlands Politik in Bedrängnis – es ist auch der Jahrestag der Teilung der Insel. Präsident Higgins wählte die Absage.
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Raketenabschuss-System der Nato: Abwehr gegen die Abwehr - taz.de
Raketenabschuss-System der Nato: Abwehr gegen die Abwehr Die Patriot-Raketen der Bundeswehr sollen Teil des europäischen "Raketenschilds" werden. Linksfraktion und Grüne befürchten eine neue Rüstungsspirale. Sollen künftig für die Nato schießen: deutsche Patriot-Abschussrampen. Bild: reuters BERLIN/GENF taz | Große Zweifel haben Linke und Grüne daran geäußert, welchen Sinn der geplante Nato-"Raketenschild" für Europa sowie die deutsche Beteiligung daran haben. "Dieses Abwehrsystem trägt nicht zur Sicherheit Europas, sondern zur Destabilisierung bei", sagt der Linken-Verteidigungspolitiker Paul Schäfer, "es birgt die Gefahr, dass es eine neue Rüstungsspirale gibt". Am Donnerstag war bekannt geworden, dass USA und Nato die Kommandozentrale für das Abwehrsystem auf dem US-Luftwaffenstützpunkt im rheinland-pfälzischen Ramstein ansiedeln wollen. Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) erklärte zudem die Bereitschaft, die in Deutschland stationierten Patriot-Raketen für das Projekt zur Verfügung zu stellen. Dies sei reine Symbolik, kritisierte Paul Schäfer: "Jeder weiß, dass die Patriots dafür ungeeignet sind." Grünen-Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger sagte, de Maizières Ankündigung habe überrascht. "Bislang hieß es, Deutschland werde sich nicht mit Hardware beteiligen", sagte Brugger. Kosten und politische Konsequenzen des Abwehrsystems, das seit langem von den USA und seit 2010 offiziell von der Nato geplant wird, seien nicht absehbar: "Die Notwendigkeit abzurüsten wird dadurch konterkariert." Auf der Samstag beginnenden Münchner Sicherheitskonferenz wird der "Raketenschild" für Streit sorgen. Russische Politiker weisen seit Jahren darauf hin, dass sie ein Raketenabwehrsystem, von dem viele Teile in der Nähe zur eigenen Grenze aufgebaut werden sollen, mindestens als Affront empfinden. "Ausweitung der Bedrohungsperzeption" Eine aktuelle Studie des Militärforschers Jerry Sommer für die Linksfraktion im Bundestag zeichnet nach, dass USA und Nato längst nicht mehr nur den Iran als Grund dafür anführen, eine Raketenabwehr in Europa aufzubauen. Vielmehr arbeite die US-Regierung an einer "Ausweitung der Bedrohungsperzeption" und verweise auf bis zu 30 Staaten mit Raketen. Die Patriot ist eine bodengestützte Rakete zur Abwehr von Flugzeugen, Marschflugkörpern sowie von Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von 1.000 Kilometern und niedriger Flugbahn. Raketen aus dem Nahen oder Mittleren Osten, die Ziele in Deutschland erreichen sollen, hätten jedoch eine weit größere Reichweite und höhere Flugbahn. Deshalb sind die Patriot-Systeme der Bundeswehr untauglich zu deren Abwehr. Die US-amerikanischen Rüstungskonzerne Lockheed und Raytheon entwickelten und produzierten die Patriot ab 1969. Die Ursprungsversion der Rakete, genannt PAC-1, wurde erstmals von den USA im zweiten Golfkrieg ab Januar 1991 zur Abwehr von Scud-Raketen, die Irak auf Israel und Saudi-Arabien abschoss, eingesetzt. Unabhängige Untersuchungsberichte nannten später eine Trefferquote von unter 10 Prozent. Seither wurden die Nachfolgeversionen PAC-2 und PAC-3 mit "verbessertem Kampfwert" entwickelt. Mit der PAC-3 erzielten die US-Streitkräfte im Irakkrieg von 2003 laut Pentagon "große Erfolge" beim Abschuss irakischer Raketen. Seit 1985 sind US-Streitkräfte in Deutschland mit dem Patriot-System bewaffnet. Die Bundeswehr verfügt derzeit über bis zu 192 Abwehrraketen der Versionen PAC-2 und PAC-3. Das Verteidigungsministerium kündigte zuletzt eine Reduzierung der Bestände an.
U. Winkelmann
Die Patriot-Raketen der Bundeswehr sollen Teil des europäischen "Raketenschilds" werden. Linksfraktion und Grüne befürchten eine neue Rüstungsspirale.
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Straßenbahn bettet sich neu - taz.de
Straßenbahn bettet sich neu Domsheide, Ostertorstraße und Wilhelm-Kaisen-Brücke bekommen neue Gleise mit Stoßdämpfung. Nächstes Jahr fahren breitere Straßenbahnen Bremen taz ■ Während der Sommerferien erneuert die BSAG die Straßenbahnschienen im Bereich Domsheide, in der Ostertorstraße und auf der Wilhelm-Kaisen-Brücke. Die Baumaßnahmen beginnen heute und dauern bis zum 2. Oktober. Kostenpunkt: 4,7 Millionen Euro. Ein Ersatz von Schienen ist in der Regel alle 10 bis 15 Jahre fällig. Die Gleise auf der Wilhelm-Kaisen-Brücke liegen aber bereits seit 1975, im Bereich Domsheide erneuerte die BSAG seit 1987 nicht mehr. Hier werden zwölf Weichen an drei Kreuzungen jährlich je 180.000 Mal gestellt. „Eine Erneuerung ist dringend notwendig, sonst werden die ständigen Nachbesserungsarbeiten einfach zu teuer“, sagt BSAG-Vorsitzender Georg Drechsler. Der Eindruck, dass die BSAG ständig Schienenbaustellen habe, rühre daher, dass das Unternehmen bei knapp 80 Kilometern Streckennetz etwa acht Kilometer pro Jahr ersetzen müsste. Alternativ können abgenutzte Schienen auch „aufgeschweißt“ werden. Die Verlängerung der Lebensdauer sei aber begrenzt: „Genau wie beim Autoreifen – wenn Sie den zweimal erneuern, kann der beim dritten Mal auch weg“, erläutert Drechsler. Seit zehn Jahren etwa verbreitert die BSAG bei jeder Schienenerneuerung das Gleisbett um etwa 30 Zentimeter. Der Grund: Ab Ende nächsten Jahres fährt ein neues Modell auf Bremens Straßenbahnschienen. Das ist etwas breiter als die alten Züge und bietet dementsprechend mehr Fahrgästen Platz. An der Domsheide und auf der Wilhelm-Kaisen-Brücke muss die BSAG allerdings nicht mehr verbreitern. Aufgrund des reichlich vorhandenen Platz sind die Gleisbette hier schon immer recht breit gewesen. Die neue Straßenbahn kommt zunächst auf der Linie 6 Richtung Uni zum Einsatz. „Hier haben wir so viele Fahrgäste, dass wir in Stoßzeiten alle drei Minuten fahren“, sagt Martin Nussbaum, der bei der BSAG für die Angebotsplanung zuständig ist. Der neue Zug soll genauso viele Straßenbahnfahrer wie bisher bei einer Frequenz von fünf Minuten transportieren. „Jede Bahn, die wir weniger fahren, spart uns eine halbe Million Betriebskosten pro Jahr“, erklärt Drechsler die Motivation für die Umrüstung. Die soll in spätestens 15 Jahren abgeschlossen sein, wenn alle Gleise und der komplette Fuhrpark ausgetauscht sind. Ein weiterer Effekt der Gleiserneuerung, so Drechsler, sei mehr Komfort. „Die neuen Gleise unterschäumen wir mit einem speziellen Kunststoff - der dämpft das bekannte Ruckeln in der Innenstadt, wo die Schienen direkt auf der Straße liegen.“ Etwa die Hälfte der Gleise in der City verfüge allerdings bereits über Stoßdämpfung. ado Die Bauarbeiten in den Sommerferien haben Umleitungen und Fahrtenstreichungen zur Folge. Diese und der allgemeine Sommerfahrplan sind auf der BSAG-Homepage (www.bsag.de) nachzulesen.
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Domsheide, Ostertorstraße und Wilhelm-Kaisen-Brücke bekommen neue Gleise mit Stoßdämpfung. Nächstes Jahr fahren breitere Straßenbahnen
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Aufblasen, abspritzen, fertig - taz.de
Aufblasen, abspritzen, fertig POP-UP Zwei Studenten entwickeln ein Material, für das sich auch das Militär interessiert VON ANNA POLONYI Stellen Sie sich ein Haus vor, das man aufblasen kann wie eine Luftmatratze – mit dem Unterschied, dass es am Ende so hart wird wie Beton. Diese Vision hatten die beiden angehenden Ingenieure Peter Brewin und William Crawford, als sie ein Material entwickelten, das auf Stoff basiert und hart wird, sobald man es mit Wasser benetzt. Mit ihrer Erfindung nahmen Brewin und Crawford an zahlreichen Wettbewerben teil und gewannen unter anderem den Innovation Award der British Cement Association. Im Anschluss gründeten sie die Firma Concrete Canvas und realisierten das „Gebäude aus der Tüte“. Für das Produkt interessierten sich schließlich nicht nur Baufirmen, sondern auch das Militär. Die Erfindung könnte aber auch die Erstellung von Notunterkünften revolutionieren. Innerhalb von 24 Stunden kann man damit eine quasi dauerhafte Unterkunft schaffen, hinzugefügt werden muss nur Wasser. Für einen 25 Quadratmeter großen Schutzraum braucht man etwa sechs Badewannen voll. Die fertige Unterkunft sieht aus wie eine riesige Eierschale und wiegt etwa drei Tonnen, was verhältnismäßig wenig ist. Das Aufblasen der Hülle dauert etwa zwanzig Minuten. Dann werden die Seiten am Boden festgepflockt, die Falten geglättet, alles mit Wasser bespritzt – und das Ganze muss nur noch aushärten. Beton halte zwar gut, sei aber nicht flexibel genug, erklärt Brewin aus der Zentrale der Firma in Southern Wales. „Die Herausforderung bestand darin, den Beton hart werden zu lassen, ohne dass er Risse bekommt“, sagt Brewin. „Deshalb haben wir Stoff benutzt.“ Bis jetzt wurden in der ganzen Welt erst etwa ein Dutzend der Betonzelte aufgebaut, die hauptsächlich vom Militär genutzt werden. Auch bei einigen Hilfsorganisationen, zum Beispiel in Uganda, haben die Erfinder schon angefragt – doch diese für eine Zusammenarbeit zu gewinnen, ist schwieriger als gedacht: „Baut man eine quasi dauerhafte Notunterkunft, wenn man es mit einer vorübergehenden Notsituation zu tun hat?“, fragt Brewin. „Unsere Gebäude halten etwa fünfzehn bis zwanzig Jahre. Viele Flüchtlingslager bestehen so lange, aber das möchte niemand zugeben.“ Das neue Material mag zwar noch nicht dort genutzt werden, wo es am dringendsten gebraucht wird, aber es hat sich wegen seines relativ geringen Gewichts und der kurzen Zeit, in der es montiert werden kann, bereits unter sehr schweren Bedingungen als nützlich erwiesen. Als Ingenieure in Chile im Jahr 2011 einen Kanal bauten, der auf 5.000 Meter Höhe Gletscherwasser führen sollte, war Concrete Canvas genau das Material, das sie dafür brauchten. Aus dem Englischen von Heike Brandt
ANNA POLONYI
POP-UP Zwei Studenten entwickeln ein Material, für das sich auch das Militär interessiert
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Brand in Oakland: Wenn Gentrifizierung tötet - taz.de
Brand in Oakland: Wenn Gentrifizierung tötet In einem illegalen Club sterben bei einem Brand mehr als 30 Menschen. Warum das nicht die Schuld der Veranstalter ist. Menschen trauern um die Opfer in Oakland Foto: ap Es sollte eine lange Partynacht werden am Freitag in Oakland – mit verschiedenen DJs und einem Auftritt der Band „Golden Donna“. Doch um kurz nach 23 Uhr bricht ein Feuer aus. Mindestens 33 Menschen sterben dabei, zwei Dutzende werden noch vermisst. Die Brandursache ist unklar. Veranstaltungsort war das „Ghost Ship“ – ein Lagerhaus, in dem 18 Künstler_innen illegal gewohnt und Veranstaltungen organisiert haben sollen. Laut Feuerwehr glich das Haus einem Labyrinth. Es gab weder genügend Notausgänge noch Sprinkleranlagen, die Brandschutzverordnung wurde nicht erfüllt. Jetzt wird nach Schuldigen gesucht: Die Künstler_innen, weil sie dort illegal wohnen und sich selbst und andere dadurch in Gefahr begeben? Die Polizei, die von dem Haus wusste und es nicht räumen ließ? Die Bay Area, früher ein Zuhause für Literat_innen und Musiker_innen, bietet heute vor allem Raum für Techfirmen und Besserverdienende. Die Mieten sind für Künstlerinnen häufig nicht zu bezahlen. Da bleibt das Besetzen leerstehender Häuser meist die einzige Alternative. Problem größer als Oakland Die Sängerin Kimya Dawson, die selbst schon häufig auf illegalen Veranstaltungen performt hat, spricht das Problem in einem Facebook-Post an: „Es gibt nicht genügend Plätze für uns, um zusammen zu kommen.“ Dabei spielen nicht nur hohe Mieten eine Rolle, sondern auch Missstände in der Clubszene. Fehlende Inklusion und Toleranz machen diese Orte für sie noch unsicherer als ein illegal besetztes Haus. Diese Problematik, dass jungen und mittellosen Künstler_innen kein Raum gegeben wird, gibt es nicht nur in der Bay Area. Sondern überall, wo Gentrifizierung ungenügend reguliert wird – ob in New York, London oder Berlin. Dabei ist es gerade diese künstlerische Szene, die Städte lebenswert und attraktiv macht. An Akteur_innen mangelt es dabei nicht, was fehlt, ist eine Politik, die beides zu liefern bereit ist: Freiraum und Sicherheit.
Carolina Schwarz
In einem illegalen Club sterben bei einem Brand mehr als 30 Menschen. Warum das nicht die Schuld der Veranstalter ist.
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Berlin öffnet Außengastronomie: Beteiligung unklar - taz.de
Berlin öffnet Außengastronomie: Beteiligung unklar Seit Freitag dürfen Kneipen und Restaurants draußen wieder servieren. Wie viele mitmachen, ist offen. Besucher können täglich einen Test machen. Mit dem Impfausweis ins Cafe: Berlin am Freitag Foto: dpa BERLIN dpa | Wie viele Kneipen und Restaurants in Berlin die Außengastronomie über Pfingsten tatsächlich öffnen, ist nach Angaben des Berliner Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga unklar. Der größere Aufwand wegen der Corona-Regeln erschwere die Entscheidung, sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Gerrit Buchhorn am Freitag. „Es gibt auch Betriebe, die sagen: Das ist mir alles viel zu aufwendig mit dem Testen.“ Die Kontrolle der Testergebnisse oder Impfnachweise sei in jedem Fall ein Mehraufwand, der Zeit in Anspruch nehme. Die Kontrollen gleich am Eingang zu machen, sei zwar sinnvoll. Buchhorn geht aber davon aus, dass die Betriebe das unterschiedlich umsetzen. „Das hängt auch von deren Größe ab.“ Ob der höhere Aufwand für die Wirte auch zu höheren Preisen führt, sei schwer einzuschätzen. „Wenn ich Gastronom wäre, würde ich die Kosten des Mehraufwands natürlich mit berechnen“, sagte Buchhorn. „Alles andere wäre Verlust.“ Der Dehoga plant für Ende nächster Woche eine Umfrage unter den Berliner Gastronomen, um herauszufinden, wie viele bereits geöffnet haben und wie das Geschäft angelaufen ist. Noch seien viele Fragen offen: Dazu gehört nach Einschätzung des Verbands auch, ob es sich für die Berliner Bars rechnet, die Außengastronomie zu öffnen. Ab 23 Uhr dürfe schließlich kein Alkohol mehr verkauft werden, sagte Buchhorn. „Wir müssen schauen, wie sich das entwickelt.“ Unklar sei auch, wie viele Gastronomen ihren Gästen die Möglichkeit anbieten, einen Schnelltest zu machen – so wie zum Beispiel im „Zollpackhof“. „Das ist auch ein gewisser Aufwand und benötigt eine gewisse Größe.“ Nachdem die Sieben-Tage-Inzidenz in Berlin seit Längerem stabil unter dem wichtigen Schwellenwert von 100 liegt und die Bundes-Notbremse nicht mehr greift, dürfen Gaststätten ihre Außengastronomie seit Freitag wieder öffnen. Unterdessen stellte die Gesundheitsverwaltung klar, dass Menschen in Berlin bei Bedarf täglich einen Corona-Schnelltest machen können. Es gebe keine rechtliche Begrenzung auf nur einen Test pro Woche, sagte der Sprecher der Senatsverwaltung, Moritz Quiske. In der entsprechenden Verordnung des Bundes heißt es, Tests könnten „im Rahmen der Verfügbarkeit von Testkapazitäten mindestens einmal in der Woche in Anspruch genommen werden“. Eine Obergrenze sei dort aber nicht genannt, sagte Quiske. Entsprechend seien Tests mehrmals in der Woche oder auch täglich möglich. Kapazität von 4 Millionen Schnelltests Eine Grenze setzt auch in Berlin die in der Verordnung genannte „Verfügbarkeit von Testkapazitäten“. Derzeit seien fast vier Millionen Schnelltests pro Woche möglich, sagte Quiske. Die Zahl der Teststellen nehme außerdem ständig weiter zu. Derzeit seien es rund 1.200, überwiegend sogenannte Test-to-Go Stellen, wie zum Beispiel Apotheken oder Einkaufszentren sie anbieten. Hinzu kommen 26 senatseigene Testzentren. Bisher wurden die Testkapazitäten nach Angaben der Gesundheitsverwaltung bei weitem nicht ausgeschöpft. Für viele Berlinerinnen und Berliner war die Frage, wie viele Schnelltests pro Woche erlaubt sind, bisher eine eher theoretische. Das dürfte sich allerdings ändern, je mehr Lockerungen der Corona-Maßnahmen es gibt, die an den Nachweis eines negativen Testergebnisses gebunden sind, wie eben der Besuch der Außengastronomie. Viele weitere für Juni in Aussicht gestellte Lockerungsschritte sind ebenfalls an solche Vorgaben gebunden. In anderen Bereichen – etwa beim Friseurbesuch – gilt die Testpflicht bereits seit längerem.
taz. die tageszeitung
Seit Freitag dürfen Kneipen und Restaurants draußen wieder servieren. Wie viele mitmachen, ist offen. Besucher können täglich einen Test machen.
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22.03.2017: taz.meinland Albersdorf: Vom Winde verweht - taz.de
22.03.2017: taz.meinland Albersdorf: Vom Winde verweht Aktuelle Pressemitteilungen der taz Das Thema Windkraft polarisiert in ganz Schleswig-Holstein, besonders aber im Kreis Dithmarschen. Einige Mitglieder des Bürgerinitiativen-Netzwerks Dithmarschen setzen sich unter anderem gegen den „Wildwuchs“ von Windkraftanlagen ein. Sie fordern etwa größere Abstände zwischen den Anlagen und den Wohnhäusern. Wegen Lärmbelästigung und Schlagschatten könnten die Häuser in den besonders stark betroffenen Ortschaften, wie Wesselburen, Sankt Michaelisdonn oder Barlt, an Wert verlieren. Einige Einwohner dieser Dörfer sehen sich als Verlierer der Energiewende. Gemeindevertretungen, die über die Köpfe der Bürger hinweg planen, wenn es um Windkraftanlagen geht, bereiten ihnen Unmut. Dithmarschen deckt bereits ein Vielfaches seines eigenen Strombedarfs, ein beträchtlicher Anteil der Fläche in der Region ist mit Windkraftanlagen zugebaut. Andererseits: Windkraft gilt für eine grüne Energiewende als unverzichtbar, schafft Jobs, verdrängt den Umweltkiller Braunkohle – und soll von Dithmarschen aus auch in den Süden der Republik exportiert werden. Doch in der Region wollen manche den Kampf des Don Quijote weiterführen. Was spricht dafür, was spricht dagegen? taz.meinland will es wissen. Neben allen Interessierten begrüßen wir dazu: • Eike Ziehe, Bürgerinitiativennetzwerk Dithmarschen (BIND-SH) • Erk Ulich, Kreis Dithmarschen, Fachdienst Bau, Naturschutz und Regionalentwicklung • Norbert Pralow, BUND Dithmarschen • Detlef Matthiessen, Landtagsfraktion Die Grünen, zuständig für Energiepolitik und Tierschutz • Ulrich Schmück, FDP-Direktkandidat im Landtagswahlkreis Dithmarschen Schleswig • Detlef Matthiessen, Landtagsfraktion Die Grünen, zuständig für Energiepolitik und Tierschutz • Patrick Breyer, Piratenpartei Schleswig-Holstein, Fraktionsvorsitzender • Dr. Kuno Veit, Facharzt für Allgemeinmedizin im Kreis Dithmarschen • Johannes Grützner, Leiter der Abteilung Energie, Klima- und Ressourcenschutz im Ministerium für Energiewende Moderation: David Joram, Malaika Rivuzumwami, taz-RedakteurInnen Wann: Mittwoch, 29. März 2017, 19.00 Uhr Wo: Halle 22, Dithmarsenpark 9, 25767 Albersdorf Der Eintritt ist frei. taz.meinland ist die Veranstaltungsreihe der taz im Vorfeld der Bundestagswahlen 2017: taz on tour für die offene Gesellschaft – in fünfzig Diskussionsveranstaltungen kommt die taz zu ihren Leserinnen und Lesern, zu Interessierten im ganzen Land. Wohin steuert Deutschland in Zeiten der Globalisierung, des weltweiten Aufstiegs von populistischen Strömungen, eines möglichen Zerfalls von Europa? Weitere Informationen zur taz-Veranstaltungsreihe taz.meinland finden Sie unter www.taz.de/meinland. Pressemitteilung als PDF aufrufen.
taz. die tageszeitung
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