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Fermium
Fermium ist ein ausschließlich künstlich erzeugtes chemisches Element mit dem Elementsymbol Fm und der Ordnungszahl 100. Im Periodensystem steht es in der Gruppe der Actinoide (7. Periode, f-Block) und zählt auch zu den Transuranen. Fermium ist ein radioaktives Metall, welches aber aufgrund der geringen zur Verfügung stehenden Mengen bisher nicht als Metall dargestellt wurde. Es wurde 1952 nach dem Test der ersten amerikanischen Wasserstoffbombe entdeckt und Enrico Fermi zu Ehren benannt, der jedoch persönlich mit der Entdeckung von bzw. Forschung an Fermium nichts zu tun hatte. Geschichte. Fermium wurde zusammen mit Einsteinium nach dem Test der ersten amerikanischen Wasserstoffbombe, Ivy Mike, am 1. November 1952 auf dem Eniwetok-Atoll gefunden. Erste Proben erhielt man auf Filterpapieren, die man beim Durchfliegen durch die Explosionswolke mitführte. Größere Mengen isolierte man später aus Korallen. Aus Gründen der militärischen Geheimhaltung wurden die Ergebnisse zunächst nicht publiziert. Eine erste Untersuchung der Explosionsüberreste hatte die Entstehung eines neuen Plutoniumisotops 244Pu aufgezeigt, dies konnte nur durch die Aufnahme von sechs Neutronen durch einen Uran-238-Kern und zwei folgende β-Zerfälle entstanden sein. Zu der Zeit nahm man an, dass die Absorption von Neutronen durch einen schweren Kern ein seltener Vorgang wäre. Die Identifizierung von 244Pu ließ jedoch den Schluss zu, dass Urankerne viele Neutronen einfangen können, was zu neuen Elementen führt. Die Bildung gelang durch fortgesetzten Neutroneneinfang: Im Moment der Detonation war die Neutronenflussdichte so hoch, dass die meisten der zwischenzeitlich gebildeten – radioaktiven – Atomkerne bis zum jeweils nächsten Neutroneneinfang noch nicht zerfallen waren. Bei sehr hohem Neutronenfluss steigt also die Massenzahl stark an, ohne dass sich die Ordnungszahl ändert. Erst anschließend zerfallen die entstandenen instabilen Nuklide über viele β-Zerfälle zu stabilen oder instabilen Nukliden mit hoher Ordnungszahl: Die Entdeckung von Fermium ("Z" = 100) erforderte mehr Material, da man davon ausging, dass die Ausbeute mindestens eine Größenordnung niedriger als die von Element 99 sein würde. Daher wurden kontaminierte Korallen aus dem Eniwetok-Atoll (wo der Test stattgefunden hatte) zum University of California Radiation Laboratory in Berkeley, Kalifornien, zur Verarbeitung und Analyse gebracht. Die Trennung der gelösten Actinoid-Ionen erfolgte in Gegenwart eines Citronensäure/Ammoniumcitrat-Puffers im schwach sauren Medium (pH ≈ 3,5) mit Ionenaustauschern bei erhöhter Temperatur. Etwa zwei Monate später wurde eine neue Komponente isoliert, ein hochenergetischer α-Strahler (7,1 MeV) mit einer Halbwertszeit von etwa einem Tag. Mit einer derart kurzen Halbwertszeit konnte es nur aus dem β-Zerfall eines Einsteiniumisotops entstehen, und so musste ein Isotop des Elements 100 das neue sein: Es wurde schnell als 255Fm identifiziert (t½ = 20,07 Stunden). Im September 1953 war noch nicht abzusehen, wann die Ergebnisse der Teams in Berkeley, Argonne und Los Alamos veröffentlicht werden könnten. Man entschied sich dazu, die neuen Elemente durch Beschussexperimente herzustellen; gleichzeitig versicherte man sich, dass diese Ergebnisse nicht unter Geheimhaltung fallen würden und somit veröffentlicht werden konnten. Einsteiniumisotope wurden kurz danach am "University of California Radiation Laboratory" durch Beschuss von Uran (238U) mit Stickstoff (14N) hergestellt. Dabei merkte man an, dass es Forschungen zu diesem Element gebe, die bislang noch unter Geheimhaltung stehen. Isotope der beiden neu entdeckten Elemente wurden durch Bestrahlung des Plutoniumisotops 239Pu erzeugt, die Ergebnisse wurden in fünf kurz aufeinander folgenden Publikationen veröffentlicht. Die letzten Reaktionen ausgehend von Californium sind: Das Team in Berkeley war zudem besorgt, dass eine andere Forschergruppe die leichteren Isotope des Elements 100 durch Ionenbeschuss entdecken und veröffentlichen könnte, bevor sie ihre unter Geheimhaltung stehende Forschung hätten veröffentlichen können. Denn im ausgehenden Jahr 1953 sowie zu Anfang des Jahres 1954 beschoss eine Arbeitsgruppe des Nobel-Instituts für Physik in Stockholm Urankerne mit Sauerstoffkernen; es bildete sich das Isotop mit der Massenzahl 250 des Elements 100 (250Fm). Die zweifelsfreie Identifizierung konnte anhand der charakteristischen Energie des beim Zerfall ausgesandten α-Teilchens erlangt werden. Das Team in Berkeley veröffentlichte schon einige Ergebnisse der chemischen Eigenschaften beider Elemente. Schließlich wurden die Ergebnisse der thermonuklearen Explosion im Jahr 1955 freigegeben und anschließend publiziert. Letztlich war die Priorität des Berkeley-Teams allgemein anerkannt, da ihre fünf Publikationen der schwedischen Publikation vorausgingen, und sie sich auf die zuvor noch geheimen Ergebnisse der thermonuklearen Explosion von 1952 stützen konnten. Damit war das Vorrecht verbunden, den neuen Elementen den Namen zu geben. Sie entschieden sich, diese fortan nach berühmten, bereits verstorbenen Wissenschaftlern zu benennen. Man war sich schnell einig, die Namen zu Ehren von Albert Einstein und Enrico Fermi zu vergeben, die beide erst vor kurzem verstorben waren: „We suggest for the name for the element with the atomic number 99, einsteinium (symbol E) after Albert Einstein and for the name for the element with atomic number 100, fermium (symbol Fm), after Enrico Fermi.“ Die Bekanntgabe für die beiden neu entdeckten Elemente "Einsteinium" und "Fermium" erfolgte durch Albert Ghiorso auf der 1. Genfer Atomkonferenz, die vom 8. bis 20. August 1955 stattfand. Später wurde das Element zeitweilig mit dem systematischen Namen "Unnilnilium" bezeichnet. Isotope. Sämtliche bisher bekannten 19 Nuklide und 3 Kernisomere sind radioaktiv und instabil. Die bekannten Massenzahlen reichen von 242 bis 260. Die mit Abstand längste Halbwertszeit hat das Isotop 257Fm mit 100,5 Tagen, so dass es auf der Erde keine natürlichen Vorkommen mehr geben kann. 253Fm hat eine Halbwertszeit von 3 Tagen, 251Fm von 5,3 h, 252Fm von 25,4 h, 254Fm von 3,2 h, 255Fm von 20,1 h und 256Fm von 2,6 h. Alle übrigen haben Halbwertszeiten von 30 Minuten bis unterhalb einer Millisekunde. Nimmt man den Zerfall des langlebigsten Isotops 257Fm heraus, so entsteht durch α-Zerfall zunächst das 253Cf, das seinerseits durch β-Zerfall in 253Es übergeht. Der weitere Zerfall führt dann über 249Bk, 249Cf, 245Cm, 243Am, 241Pu, 241Am zum 237Np, dem Beginn der Neptunium-Reihe (4 n + 1). Fermiumbarriere. Als "Fermiumbarriere" bezeichnet man den Umstand, dass die Fermiumisotope 258Fm, 259Fm und 260Fm zum Teil schon nach Bruchteilen von Sekunden durch Spontanspaltung zerfallen (t½ = 370 µs, 1,5 s bzw. 4 ms). 257Fm ist ein α-Strahler und zerfällt zu 253Cf. Zudem zeigt keines der bislang bekannten Fermiumisotope β-Zerfälle, was die Bildung von Mendelevium durch Zerfall aus Fermium verhindert. Diese Tatsachen vereiteln praktisch jede Bemühung, mit Hilfe von Neutronenstrahlung, zum Beispiel mit Hilfe eines Kernreaktors, Elemente mit Ordnungszahlen über 100 bzw. Massenzahlen größer als 257 zu erzeugen. Fermium ist somit das letzte Element, das durch Neutroneneinfang hergestellt werden kann. Jeder Versuch, weitere Neutronen zu einem Fermium-Kern hinzuzufügen, führt zu einer Spontanspaltung. Gewinnung. Fermium wird durch Beschuss von leichteren Actinoiden mit Neutronen in einem Kernreaktor erzeugt. Die Hauptquelle ist der 85 MW High-Flux-Isotope Reactor am Oak Ridge National Laboratory in Tennessee, USA, der auf die Herstellung von Transcuriumelementen (Z > 96) eingerichtet ist. In Oak Ridge sind größere Mengen an Curium bestrahlt worden, um Dezigramm-Mengen an Californium, Milligramm-Mengen an Berkelium und Einsteinium sowie Pikogramm-Mengen an Fermium zu erzeugen. Nanogramm- und Mikrogramm-Mengen von Fermium können für bestimmte Experimente vorbereitet werden. Die Mengen an Fermium, die in thermonuklearen Explosionen von 20 bis 200 Kilotonnen entstehen, bewegen sich vermutlich in der Größenordnung von einigen Milligramm, obwohl es mit einer riesigen Menge von Explosionsresten gemischt ist; 40 Pikogramm 257Fm wurden aus 10 Kilogramm der Explosionsreste aus dem Hutch-Test vom 16. Juli 1969 isoliert. Nach der Bestrahlung muss Fermium von den anderen Actinoiden und den Lanthanoid-Spaltprodukten getrennt werden. Dies wird üblicherweise durch Ionenaustauschchromatographie erreicht, das Standardverfahren läuft mit Kationenaustauschern wie Dowex 50 oder T, man eluiert mit einer Lösung von Ammonium-α-hydroxyisobuttersäuremethylester. Kleinere Kationen bilden stabilere Komplexe mit den α-Hydroxyisobuttersäuremethylester-Anionen, daher werden sie bevorzugt von der Säule eluiert. Eine schnelle fraktionierte Kristallisationsmethode wurde ebenfalls beschrieben. Obwohl das stabilste Isotop des Fermiums das 257Fm mit einer Halbwertszeit von 100,5 Tagen ist, basieren die meisten Studien auf 255Fm (t½ = 20,07 Stunden). Dieses Isotop kann leicht isoliert werden, es ist ein Zerfallsprodukt des 255Es (t½ = 39,8 Tage). Geringe Mengen an Einsteinium und Fermium wurden aus Plutonium isoliert und abgetrennt, welches mit Neutronen bestrahlt wurde. Vier Einsteiniumisotope wurden gefunden (mit Angabe der damals gemessenen Halbwertszeiten): 253Es (α-Strahler mit t½ = 20,03 Tage, sowie mit einer Spontanspaltungs-Halbwertszeit von 7×105 Jahren); 254"m"Es (β-Strahler mit t½ = 38,5 Stunden), 254Es (α-Strahler mit t½ = ∼ 320 Tage) und 255Es (β-Strahler mit t½ = 24 Tage). Zwei Fermiumisotope wurden gefunden: 254Fm (α-Strahler mit t½ = 3,24 Stunden, sowie mit einer Spontanspaltungs-Halbwertszeit von 246 Tagen) und 255Fm (α-Strahler mit t½ = 21,5 Stunden). Durch Beschuss von Uran mit fünffach ionisierten Stickstoff- und sechsfach ionisierten Sauerstoffatomen wurden gleichfalls Einsteinium- und Fermiumisotope erzeugt. Eigenschaften. Im Periodensystem steht das Fermium mit der Ordnungszahl 100 in der Reihe der Actinoide, sein Vorgänger ist das Einsteinium, das nachfolgende Element ist das Mendelevium. Sein Analogon in der Reihe der Lanthanoide ist das Erbium. Physikalische Eigenschaften. Das Metall wurde bislang nicht dargestellt, hingegen erfolgten Messungen an Legierungen mit Lanthanoiden, ferner liegen einige Berechnungen oder Vorhersagen vor. Die Sublimationsenthalpie ist direkt mit der Valenzelektronenstruktur des Metalls verbunden. Die Sublimationsenthalpie von Fermium wurde direkt durch Messung des Partialdrucks des Fermiums über Fm-Sm- und Fm/Es-Yb-Legierungen im Temperaturbereich von 642 bis 905 K bestimmt. Sie gelangten zu einem Wert von 142(13) kJ·mol−1. Da die Sublimationsenthalpie von Fermium ähnlich ist zu denen des zweiwertigen Einsteinium, Europium und Ytterbium, wurde der Schluss gezogen, dass Fermium einen zweiwertigen metallischen Zustand besitzt. Vergleiche mit Radien und Schmelzpunkten von Europium-, Ytterbium- und Einsteinium-Metall führten zu geschätzten Werten von 198 pm und 1125 K für Fermium. Das Normalpotential wurde als ähnlich zum Ytterbium Yb3+/Yb2+-Paar eingeschätzt, also etwa −1,15 V in Bezug auf die Standard-Wasserstoffelektrode, ein Wert, der mit theoretischen Berechnungen übereinstimmt. Auf der Grundlage polarographischer Messungen wurde für das Fm2+/Fm0-Paar ein Normalpotential von −2,37 V festgestellt. Fm3+ kann relativ leicht zu Fm2+ reduziert werden, z. B. mit Samarium(II)-chlorid, mit dem Fermium zusammen ausfällt. Chemische Eigenschaften. Die Chemie des Fermiums konnte bisher nur in Lösung mit Hilfe von Tracertechniken untersucht werden, feste Verbindungen wurden nicht hergestellt. Unter normalen Bedingungen liegt Fermium in Lösung als Fm3+-Ion vor, welches eine Hydratationszahl von 16,9 besitzt und eine Säurekonstante von 1,6 · 10−4 (pKs = 3,8). Fm3+ bildet Komplexe mit einer Vielzahl von organischen Liganden mit harten Donoratomen wie Sauerstoff; und diese Komplexe sind in der Regel stabiler als die der vorhergehenden Actinoide. Es bildet auch anionische Komplexe mit Liganden wie Chlorid oder Nitrat; und auch diese Komplexe scheinen stabiler zu sein als die von Einsteinium oder Californium. Es wird angenommen, dass die Bindung in den Komplexen der höheren Actinoide meist ionischen Charakter hat: das Fm3+-Ion ist erwartungsgemäß kleiner als die vorhergehenden An3+-Ionen – aufgrund der höheren effektiven Kernladung von Fermium –; und damit würde Fermium voraussichtlich kürzere und stärkere Metall-Ligand-Bindungen bilden. Sicherheitshinweise. Einstufungen nach der CLP-Verordnung liegen nicht vor, weil diese nur die chemische Gefährlichkeit umfassen und eine völlig untergeordnete Rolle gegenüber den auf der Radioaktivität beruhenden Gefahren spielen. Auch Letzteres gilt nur, wenn es sich um eine dafür relevante Stoffmenge handelt. Verwendung. Fermium wird – in Form seiner Verbindungen in Lösung – in erster Linie in geringen Mengen zu Studienzwecken gewonnen. Verbindungen des Fermiums wurden in fester Form bislang nicht dargestellt.
1577
178175
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1577
Francium
Francium [] ist ein radioaktives chemisches Element mit dem Elementsymbol Fr und der Ordnungszahl 87. Das Element ist ein Metall, steht in der 7. Periode, 1. IUPAC-Gruppe (Gruppe der Alkalimetalle) und gehört damit zum s-Block. Francium besitzt von allen Elementen bis zur Ordnungszahl 104 die in ihrer Gesamtheit instabilsten Isotope. Selbst das langlebigste Francium-Isotop 223Fr besitzt eine Halbwertszeit von nur 21,8 Minuten. Wegen dieser Eigenschaft und des Fehlens einer effizienten Kernreaktion zur Herstellung von Francium (223Fr entsteht in 1 % beim Zerfall von 227Ac) kann es nicht in Mengen hergestellt werden. Francium kann nur als Salz in verdünnten Lösungen und hoch verdünnt als Amalgam studiert werden. Experimente zeigen, dass Francium ein typisches Alkalimetall ist und seinem leichteren Homologon Caesium sehr ähnlich ist. So ist es in wässriger Lösung positiv einwertig und lässt sich analog zum Caesium in Form schwerlöslicher Salze, z. B. als Perchlorat, Tetraphenylborat und Hexachloroplatinat, ausfällen. Geschichte. Im Jahre 1871 wurde von Dmitri Iwanowitsch Mendelejew die Existenz eines Elementes vorhergesagt, das den zu diesem Zeitpunkt noch leeren Platz innerhalb seines Periodensystems einnehmen würde. Er beschrieb es als Alkalimetall und gab ihm den Namen "Eka-Caesium". Im Jahre 1925 veröffentlichte Dmitri Dobroserdow eine Theoriestudie, in der er Voraussagen über das Atomgewicht sowie chemische und physikalische Eigenschaften machte. Er nannte das Element "Russium". Ein Jahr danach, im Jahre 1926, beobachteten die englischen Chemiker Gerald Druce und Frederic H. Loring die Spektrallinien des Elements bei Untersuchungen von Mangansulfat. 1929 meldete der amerikanische Physiker Fred Allison die Entdeckung des Elementes bei Untersuchungen von Mineralen und benannte das Element "Virginium" nach seinem Heimatstaat Virginia. 1936 wiederum gingen der Rumäne Horia Hulubei und die Französin Yvette Cauchois davon aus, das Element entdeckt zu haben und gaben ihm den Namen "Moldavium". Allerdings konnte keine dieser Entdeckungen bei anderen Wissenschaftlern Bestätigung finden. Erst 1939 konnte Marguerite Perey das Element als ein Isotop 223Fr als Zerfallsprodukt von Actinium 227Ac zweifelsfrei nachweisen. Es wurde zunächst "Actinium-K" genannt und 1946 in Armenium umbenannt. Der Name wurde 1949 von der Internationalen Vereinigung der Chemiker abgelehnt. Das Element wurde dann Francium genannt nach dem Vaterland der Entdeckerin. Die physikalischen Eigenschaften sind im Wesentlichen Schätzungen, die durch Extrapolation der Eigenschaften der Alkalimetalle oder durch Modellrechnungen bestimmt wurden. Untersuchungen an kompakten Proben des Metalls oder seiner Verbindungen sind durch die geringen herstellbaren Mengen (wenige Attogramm, ~10.000 Atome) und die hohe Radioaktivität (Aktivität ist etwa 2-Mio.-mal höher als die der gleichen Menge von 238Pu: sichtbare Mengen würden sofort verdampfen) kaum möglich. Sicherheitshinweise. Einstufungen nach der CLP-Verordnung liegen nicht vor, weil diese nur die chemische Gefährlichkeit umfassen und eine völlig untergeordnete Rolle gegenüber den auf der Radioaktivität beruhenden Gefahren spielen. Auch Letzteres gilt nur, wenn es sich um eine dafür relevante Stoffmenge handelt.
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Fuß (Einheit)
Ein Fuß () (englisch "," Plural ') bzw. Schuh ist ein früher in vielen Teilen der Welt verwendetes Längenmaß, das je nach Land meist 28 bis 32 cm maß, in Extremfällen auch 25 und 34 cm. "Der Fuß" ist neben der Fingerbreite, der Handbreite, der Handspanne, der Elle, dem Schritt und dem Klafter eine der ältesten Längeneinheiten. Das einzige heute noch übliche Fußmaß, der "englische Fuß," beträgt 1 ft = 30,48 cm (12 Zoll). Obwohl es sich nicht um eine SI-Einheit handelt, wird die Einheit "Fuß" auch international noch häufig verwendet, vor allem in der See- und Luftfahrt. Ursprünge. Seit wann der Fuß als Maßeinheit verwendet wird, ist umstritten. Sichere Schlüsse können aus den frühesten Funden von Maßstäben gezogen werden. Das älteste unbeschädigte Fundstück dieser Art ist die sogenannte Nippur-Elle aus Mesopotamien. Durch Einkerbungen erschließen sich Untereinheiten zu 30 Fingerbreit ("digiti" à 1,73 cm), woraus sich die Maßeinheiten "Fuß" mit 16 "digiti" (27,6 cm) sowie die Handbreite "(palmus" = 4 "digiti)" ergeben. Versuche, die Länge der Elle an Gebäuden zu überprüfen, führten zu einem Mittelwert von 518,65 mm. Ob daraus – wie im Fall des megalithischen Yard – ein gemeinsames Urmaß abgeleitet werden kann, ist in der Fachwelt umstritten. Identische Längen oder ihre Untereinheiten in verschiedenen Kulturen könnten auch eine Folge der Einheitlichkeit von Körpermaßen sein, auf die sie zurückgehen. Antike. Noch vor der IV. Pharaonen-Dynastie teilten ägyptische Geometer die Nippur-Elle nur noch in 28 Teile. Dadurch wuchs der Fuß als Maß auf 51,8 cm ÷ 28 × 16 ≈ 29,6 cm. Genau diese Länge hatte auch das römische Fußmaß. Demnach unterhalten der megalithische bzw. Nippur-Fuß und der römische Fuß ein Verhältnis von genau 28 zu 30. Ein Fuß (lat. "pes" ≈ 29,6 cm) ist also vier Handbreit (lat. "palmus" ≈ 7,4 cm) bzw. sechzehn Fingerbreit (lat. "digitus" ≈ 1,85 cm). Neben dem offiziellen "pes monetalis" wurde in einigen Teilen der römischen Nordwestprovinzen auch der sogenannte "pes drusianus" (≈ 33,27 cm) verwendet, der gegenüber dem offiziellen Fußmaß um etwa 2 "digiti" länger war. Er wurde benannt nach dem Feldherrn Nero Claudius Drusus. Das „Vier-Fuß-Maß“ nannte man in der Spätantike auf Lateinisch "ulna" (Elle). Das „Maß von 1½ Fuß“ ist die natürliche Elle (lat. "cubitus"). Das „Fünf-Fuß-Maß“ ist der Doppelschritt (lat. "passus"). Das englische "Yard" hat genau drei Fuß. Im alten Griechenland zum Beispiel gab es neben dem hauptsächlich verwendeten, eigentlichen Fuß (griechisch "pous") zu 16 Fingerbreit auch eine sogenannte Pygme zu 18 Fingerbreit. Diese Pygme (Unterarm bis zum Handgelenk) wurde oft in Übersetzungen in Ermangelung eines geeigneten Wortes auch als „Fuß“ bezeichnet. Dennoch kann festgehalten werden, dass über die gesamte Zivilisationsgeschichte hinweg der Fuß stets 16 Fingerbreit beträgt, wobei der „Finger“ als die eigentliche Grundeinheit angesehen werden kann. Unter den mannigfaltigen, stets voneinander abgeleiteten griechischen Systemen sind vor allem der gemeingriechische Fuß zu nennen (wissenschaftlich seit Heron auch als Pous metrios bezeichnet), der später österreichischer Fuß wurde, sowie der besonders für die Erdvermessung des Eratosthenes relevante griechisch-kyrenaische Fuß der Antike. Griechische Fußmaße Mittelalter und frühe Neuzeit. Erst im Mittelalter mit seiner Vorliebe für das Duodezimalsystem wurde der Fuß statt in sechzehn in zwölf Untereinheiten geteilt. Dadurch ergab sich die Daumenbreite, das sogenannte Zoll (lat. "uncia," engl. "inch," frz. "pouce"). Auch in anderen Kulturkreisen, z. B. in Japan oder China, sind Längenmaße in Größe des menschlichen Fußes bekannt. Ein karolingischer Fuß maß 32,24 cm, der „Pariser Königsfuß“ 32,48 cm (vermutlich vom "pes drusianus" abgeleitet) und der weit verbreitete Rheinfuß knapp 31,4 cm. Bei nahezu allen Bauwerken des Mittelalters wurde der Fuß als Grundbaumaß verwendet. Er lässt sich bei Kirchenbauwerken meist durch Teilung des Breitenmaßes mit einer theologisch relevanten ganzen Zahl rekonstruieren. Die Dombauhütten und ihre Baumeister verwendeten regional unterschiedliche eigene Fußmaße, die entweder antike Fußmaße oder deren Ableitungen waren. Die rekonstruierten Längen liegen zwischen 25 und 35 cm. Wie man in der frühen Neuzeit versuchte, „ein gerechtes Meßrut“ als Mittelung zu schaffen, zeigt folgender Text des Rechenmeisters, Feldmessers und Stadtschreibers Jakob Köbel aus Oppenheim von 1535: Eine Anweisung zur Grenzvermessung zwischen der Grafschaft Nassau und der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt aus dem Jahre 1719 legt unter Punkt 5 fest, dass zur Vermessung „eine Rute zu 18 Schuh, der Schuh zu 12 Zoll“ verwendet werden solle. Mit der Einführung des dezimalen Meters in Frankreich im Jahre 1793 brach man erstmals in der Menschheitsgeschichte mit der Verwendung aller konkret auf den Menschen bezogenen Grundmaße sowie mit der traditionellen Bezugnahme auf andere, schon bestehende Maße. Die "neue Referenz" sollte nun der Erdumfang sein. In bestimmten Bereichen, etwa der Landvermessung und Schifffahrt, wurden allerdings schon zuvor verschiedene „geografische Meilen“ (z. B. in Deutschland 1/15 Äquatorgrad lang) und davon abgeleitete Größen verwendet. Der Meter wurde rein abstrakt als zehnmillionster Teil der Entfernung vom Pol zum Äquator definiert. In der Folge verschwand das klassische menschliche Fußmaß im Geltungsbereich des Meters. Zur Vereinfachung und besseren Akzeptanz der Umstellung auf den Meter wurde im 19. Jahrhundert da und dort das alte Fußmaß auf runde Werte des neuen Systems gebracht. Dieser erneuerte Fuß entsprach im Großherzogtum Hessen genau 25 cm, im Großherzogtum Baden sowie in der Schweiz (siehe auch: Schweizer Fuss) genau 30 cm und im Herzogtum Nassau genau 50 cm. Diese Einheiten wurden dann meistens in zehn statt wie zuvor in zwölf Zoll geteilt. Andere Staaten beschränkten sich darauf, ihren Fuß und andere Maßeinheiten in Abhängigkeit zum metrischen Systems zu definieren. Deutschsprachiger Raum. Die verschiedenen alten deutschen Fußmaße sind durch den Norddeutschen Bund und die Übernahme seiner Gesetze bei der Gründung des Deutschen Reiches (1871) sowie den darauf folgenden deutschen Beitritt zur internationalen Meterkonvention (1875) ganz aufgegeben worden. In Österreich galt überwiegend der pous metrios zu 31,61 cm. Terminologisch entsprach dem Fuß regional der "Schuh." Beispiele der Fußmaße in einigen deutschen Städten und Ländern (gerundet): Reformierte Fußmaße im Rheinbund (ab 1806) bzw. nach dem Wiener Kongress (1814/1815) sowie in der Schweiz (gemäß Konkordat von 1835): Spezielle Fußmaße: Europäische Fußmaße. Mit "limprandischer Fuß" wurde neben dem normalen oder ordinären Fuß das Längenmaß Fuß in Alessandria bezeichnet. Der Unterschied in der Länge war Gegenwart. Fuß als angloamerikanische Maßeinheit. Heutzutage ist mit der Maßeinheit "Fuß" oder auf Englisch "foot" bzw. "feet" die angloamerikanische Längeneinheit "Fuß" gemeint, die 1959 international mit 30,48 cm definiert wurde. Das Einheitenzeichen ist ft, im Gebrauch als Abkürzung ist auch das Minutenzeichen ′ (in Unicode das „PRIME“-Zeichen U+2032) oder das halbe typografische Anführungszeichen '. Von 1893 (Mendenhall Order) bis 1959 war der Fuß in den USA als 1 Fuß = 1200/3937 Meter definiert. Der so definierte Fuß wurde noch bis 2022 als "U.S. survey foot" in der Mehrheit der US-Bundesstaaten für die Landvermessung verwendet. Die Diskrepanz betrug 2 Millionstel: Der "international foot" ist exakt -mal so groß wie der "U.S. survey foot." Seit 2023 wird der "U.S. survey foot" nicht mehr verwendet. Wissenschaft. In der Wissenschaft gilt international das dezimale metrische Maßsystem, und selbst in den USA wird in diesem Bereich der "foot" nicht mehr verwendet. Technik. Im Gegensatz zum Zoll, der auch heutzutage noch weltweit verbreitet ist, beispielsweise bei der Größenangabe von Autofelgen, ist der Fuß im technischen Bereich so gut wie nicht mehr international im Gebrauch. Eine der seltenen Ausnahmen ist die gelegentliche Bezeichnung der Breite beim Mähdrescher-Schneidwerk. Logistik. Viele Angaben sind in Fuß und Zoll angegeben, so z. B. die Abmessungen der weltweit verbreiteten ISO-Container. Insbesondere die Längenmaße sind hier von Bedeutung, da sie die Grundlage der Klassifikationen darstellen, aus denen sich alle weiteren Maße im Wesentlichen ableiten. Der Standard sind 20′-, 40′- und 45′-Container. Luftfahrt. Direkte Werte in Fuß sind am häufigsten in der Luftfahrt anzutreffen, wo sie als "feet" die gebräuchlichste Maßeinheit der Flughöhe darstellen. Bei geografischen Höhenangaben in Luftfahrtkarten (speziell für Flugplätze und Berge) wird im Zusammenhang mit der Angabe in Fuß der Begriff „Elevation“ (ELEV) verwendet. Im Luftraum über der Übergangshöhe werden die Flugflächen (engl.: "flight level", FL) nach ihrer Höhe in Vielfachen von 100 Fuß benannt. Beispiel: Die Höhenangabe „FL120“ bedeutet: „12000 ft über der Standard-Bezugsfläche“. Schifffahrt. Viele Maße basieren auf Fuß und Zoll oder werden immer noch direkt darin angegeben. Maße bei Bauvorschriften für z. B. Durchstiege, Raumhöhen oder die Seereling wurden in Fuß oder Zoll definiert und werden heute als Millimeterwerte angegeben (Höhe der Reling 2 Fuß entspricht 610 mm, Abstand der Stützen höchstens 7 Fuß entspricht 2134 mm). Grenzwerte für Schiffsklassen sind oft ganze Fußmaße. Eine Registertonne sind 100 Kubikfuß. Tiefgangs-Marken, die sogenannten Ahmings, die am Bug und Heck eines Seeschiffes und bisweilen auch mittschiffs angebracht sind, sind oft in Fuß skaliert. Bei der Fertigung von Kettengliedern wird zumeist der Zoll verwendet, während die Produkte in Millimeter ausgezeichnet werden (die Glieder einer ¼-Zoll-Kette sind 6,35 mm dick, werden aber als 6-Millimeter-Kette bezeichnet; ⅜ Zoll sind 9,53 mm, werden aber als 10 mm verkauft; und ½ Zoll sind 12,7 mm, heißen aber 13 mm). Auf allen amtlichen amerikanischen Seekarten und nautischen Veröffentlichungen werden Wassertiefen in Fuß angegeben. Hingegen sind die Seekarten der britischen Admiralität inzwischen fast durchgehend metrisch. Auch wenn es nicht exakt stimmt, nutzen auch Nichtengländer Fußwerte im Namen eines Bootstyps oder einer Marke, um das Boot genauer zu spezifizieren (Boote der Klasse Melges 24 sind 750 cm lang, die Swan 48 hat 1483 cm und nicht korrekte 1463,04 cm = 48 ft). Sport. In manchen Sportarten sind Maße ursprünglich runde Fußwerte, werden inzwischen aber häufig in Metern spezifiziert und dabei nur manchmal auf glatte Werte gerundet. Der Basketballkorb beispielsweise hängt 10 ft hoch (umgerechnet 3,048 m). Die Abmessungen eines Fußballtors stammen aus der Zeit, als in England erste Regeln wie die Acht-Acht-Regel aufgestellt wurden. 8 ft (= 2,44 m) hoch und 8 yds (24 ft = 7,32 m) breit. Die britischen Maße werden auch heute noch im FIFA-Regelwerk parallel zu den metrischen Maßen angegeben. Alle vorgegebenen Abmessungen eines Baseball-Spielfeldes sind grundsätzlich Fuß-Maße. Orgelbau. Im Orgelbau wird der Fuß heute für die Angabe der Tonhöhe von Orgelpfeifen verwendet. Die sogenannte "Fußtonzahl" gibt die klingende Tonhöhe eines Orgelregisters an. Bei einem 8′-Register lässt die Taste C auch den Ton C erklingen, bei einem 4′-Register den Ton c0 usw. Dabei wird von einer theoretischen Standardpfeife für die Taste C ausgegangen. Für die heutige Stimmung hat im Orgelbau ein Fuß etwa 32 cm. Abhängig von der Bauart weicht die tatsächliche Länge einer Pfeife bei gleicher Tonhöhe jedoch von der in Fuß angegebenen Länge ab. Auch die Unterschiede der regional üblichen Fußmaße im historischen Orgelbau spielten bei der Nennung der Fußtonzahl keine Rolle, da sie nur grob angegeben wurde. So wurde beispielsweise das Maß ′ regelmäßig als 3′ geschrieben.
1580
3873551
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1580
Furlong
Der Furlong (dt. „“) ist ein altes angloamerikanisches Längenmaß mit Herkunft aus der Landwirtschaft. Es ist nicht metrisch und daher nicht SI-konform. Definition. Die alte Flächeneinheit acre (4046,86 m²) entspricht einem streifenförmigen Feld von 1 Furlong × 0,1 Furlong, das ein Ochsengespann in etwa einem Tag pflügen konnte. Ähnliche Dimensionen haben die Einheiten Morgen und Joch, die in Europa bis heute in der bäuerlichen Bevölkerung lebendig sind. Verwendung. Der Furlong wird insbesondere in Großbritannien für die Strecken von Pferderennen genutzt. So geht das Pferderennen von Ascot über 20 Furlongs und damit zweieinhalb englische Meilen. Schottischer Furlong. Der alte schottische Furlong wich vom angloamerikanischen Maß ab und war etwa 25 Meter größer. Die Länge dieses Furlongs war 226,7671 Meter. Der Umrechnungsfaktor kann mit 1,127 angesetzt werden.
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815279
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1581
Nautischer Faden
Der Nautische Faden (vom englischen: „fathom“, zu Deutsch: „Faden“, auch „Klafter“ genannt) ist eine nicht SI-konforme Maßeinheit der Länge, welche insbesondere noch in der englischsprachigen Schifffahrt – in der Nautik – für Tiefenangaben in Gebrauch ist. Ursprünglich handelt es sich bei dem Maß um die Spannweite der Arme eines ausgewachsenen Mannes, historisch sechs Fuß gleichgesetzt, dem Klafter. Gelegentlich wird auch eine neuere, nicht genormte Definition benutzt: In der EG-Richtlinie 80/181/EWG ist die erste Definition zugrundegelegt, jedoch der Zahlenwert zu 1,829 Meter gerundet. Unterschiedliche Definition des Fadens in der Seefahrt. Die Pariser Linie ist hier mit 2,2558 mm gerechnet.
1582
1765216
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1582
Farad
Das Farad ist die SI-Einheit der elektrischen Kapazität. Es wurde nach Michael Faraday benannt. Ein Kondensator, der durch das Aufladen auf eine Spannung von einem Volt (V) eine Ladung von einem Coulomb (C) speichert, hat eine Kapazität von einem Farad (F): Der überwiegende Anteil von in der Elektrotechnik eingesetzten Kondensatoren weist erheblich kleinere Werte als ein Farad auf, so dass sehr häufig Angaben unter Zuhilfenahme von SI-Präfixen wie Mikrofarad (μF = 10−6 F), Nanofarad (nF = 10−9 F) und Pikofarad (pF = 10−12 F) anzutreffen sind. Geschichte. Der Terminus "Farad" wurde von den beiden englischen Elektro-Ingenieuren Josiah Latimer Clark und Charles Tilston Bright zur Ehre des englischen Physikers Michael Faraday eingeführt und 1861 als Einheit für die elektrische Ladung vorgeschlagen. 1881 legte der Internationale Elektrizitätskongress jedoch das Farad als Einheit für die elektrische Kapazität und das "Coulomb" (nach dem französischen Physiker Charles Augustin de Coulomb) als Einheit für die elektrische Ladung fest.
1583
95513
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Fluid drachm
1584
568
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1584
Fluid dram
Fluid dram und Fluid drachm (»Flüssigdrachme«) sind Maßeinheiten des Raums (Flüssigkeit, Apothekermaß), die vor allem in Nordamerika gebräuchlich sind. Das Einheitenzeichen für "Fluid dram" ist "US.fl.dr." <br> Das Einheitenzeichen für "Fluid drachm" ist "Imp.fl.dr." 1 US.fl.dr. = 60 US.min. = 0,2255859375 cubic inch = 3,6966911953125 cm³ <br> 1 US. gallon = 231 cubic inch = 1024 US.fl.dr. 1 Imp.fl.dr. = 0,96076 US.fl.dr. 1 Imp.fl.dr. = 60 Imp.min. = 0,2167339453125 cubic inch = 3,55163303280844 cm³ <br> 1 Imp.gallon = 277,41945 cubic inch = 1280 Imp.fl.dr. "Siehe auch:"
1585
194202
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1585
Fluid ounce
Fluid ounce (dt. „Flüssigunze“) ist eine Maßeinheit des Raums (Flüssigkeit, Apothekermaß) des angloamerikanischen Maßsystems. Es wird unterschieden zwischen "Imperial fluid ounce," einer imperialen Maßeinheit, welche ihren Ursprung in Großbritannien hat, und "United States fluid ounce", einer US-amerikanischen Maßeinheit, welche Teil der United States Customary Units ist. Das Einheitenzeichen ist entweder Imp.fl.oz. oder US fl.oz. Soweit der Zusammenhang klar ist, wird manchmal auch nur kurz "oz" geschrieben, womit generell aber eine Verwechslungsgefahr mit der so abgekürzten Gewichtseinheit Unze (englisch "ounce") entsteht. In Amerika ist z. B. eine typische Verkaufsgröße für Bierdosen oder sonstige Getränke 12 fl.oz., was 0,3549 Litern entspricht. Äquivalenzen und Umrechnungen. Imperial fluid ounce. 1 Imp.fl.oz. = 0,96076 US.fl.oz. 1 Imp.min. = 0,96076 US.min.
1586
684743
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1586
Foot-pound
Das foot-pound, foot-pound force ist eine britische und US-amerikanische Einheit sowohl der Energie als auch des Drehmoments (dort pound-foot bzw. pound-force foot). Das Einheitenzeichen ist ft·lb oder ft·lbf, auch lb·ft oder lbf·ft. Ein foot-pound entspricht genau  J (Joule) und entspricht der Energie, die aufgebracht werden muss, um einen Körper mit einer Masse von einem Pfund um einen Foot gegen seine Gewichtskraft anzuheben: 550 Foot-pound in der Sekunde entsprechen einem Horsepower (etwa 745,7 Watt).
1587
3223389
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Friedrich Nietzsche
Friedrich Wilhelm Nietzsche ( oder ; * 15. Oktober 1844 in Röcken; † 25. August 1900 in Weimar) war ein deutscher klassischer Philologe und Philosoph. Nietzsche, der im Nebenwerk auch Dichtungen und musikalische Kompositionen schuf, sprengte mit seinem eigenwilligen Stil bis dahin gängige Muster und ließ sich kaum einer klassischen Disziplin zuordnen. Er gilt manchen als Begründer einer neuen philosophischen Schule, der Lebensphilosophie. Er war zunächst preußischer Staatsbürger, ab seiner Übersiedlung nach Basel 1869 wurde er auf eigenen Wunsch hin staatenlos. Im Alter von 24 Jahren wurde Nietzsche im Anschluss an sein Studium als außerordentlicher Professor für klassische Philologie an die Universität Basel berufen. Bereits zehn Jahre später legte er 1879 aus gesundheitlichen Gründen die Professur nieder. Von nun an bereiste er – auf der Suche nach Orten, deren Klima sich günstig auf seine diversen Leiden auswirken sollte – vor allem Italien und die Schweiz. Ab seinem 45. Lebensjahr (1889) litt er unter zunehmenden psychischen Störungen, die ihn arbeits- und geschäftsunfähig machten. Seinen Anfang der 1890er Jahre einsetzenden Ruhm erlebte er nicht mehr bewusst. Den Rest seines Lebens verbrachte er als Pflegefall in der Obhut zunächst seiner Mutter, dann seiner Schwester, und starb 1900 im Alter von 55 Jahren. Die Vermutung, die Spätfolgen einer Syphilis könnten beim Krankheitsverlauf eine Rolle gespielt haben, hielt sich gut 100 Jahre. Später kamen in Fachkreisen jedoch zunehmend Zweifel an dieser Verdachtsdiagnose auf. Neuere Auswertungen von Nietzsches Krankenakte kommen zum Ergebnis, dass eine Erkrankung wie CADASIL ebenso zu seiner geistigen Verwirrung am Lebensende geführt haben könnte. Den jungen Nietzsche beeindruckte besonders die Philosophie Schopenhauers. Später wandte er sich von dessen Pessimismus ab. Sein Werk enthält scharfe Kritiken an Moral, Religion, Philosophie, Wissenschaft und Formen der Kunst. Die zeitgenössische Kultur war in seinen Augen lebensschwächer als die des antiken Griechenlands. Wiederkehrendes Ziel von Nietzsches Angriffen sind vor allem die christliche Moral sowie die christliche und platonistische Metaphysik. Er stellte den Wert der Wahrheit überhaupt in Frage und wurde damit Wegbereiter postmoderner philosophischer Ansätze. Auch Nietzsches Konzepte des „Übermenschen“, des „Willens zur Macht“ oder der „ewigen Wiederkunft“ geben Anlass zu Deutungen und Diskussionen. Nietzsche schuf keine systematische Philosophie. Oft wählte er den Aphorismus als Ausdrucksform seiner Gedanken. Seine Prosa, seine Gedichte und der pathetisch-lyrische Stil von "Also sprach Zarathustra" verschafften ihm Anerkennung auch als Schriftsteller. Leben. Jugend (1844–1869). Friedrich Nietzsche wurde am 15. Oktober 1844 in Röcken, einem Dorf nahe Lützen im Kreis Merseburg in der preußischen Provinz Sachsen (heute Sachsen-Anhalt), geboren. Seine Eltern waren der lutherische Pfarrer Carl Ludwig Nietzsche und dessen Frau Franziska, Tochter des Pfarrers David Ernst Oehler von Pobles. Seit der Reformation im 16. Jahrhundert ist die Familie Nietzsche in Sachsen als evangelisch dokumentiert. In den Familien beider Elternteile gab es einen hohen Anteil protestantischer Pfarrer. Seinen Vornamen gab ihm sein Vater zu Ehren des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV., an dessen 49. Geburtstag er geboren wurde. Nietzsche selbst behauptete in seinen späten Jahren, in väterlicher Linie von polnischen Edelleuten abzustammen, was jedoch nicht bestätigt werden konnte. Die Schwester Elisabeth kam 1846 zur Welt. Nach dem Tod des Vaters 1849 und des jüngeren Bruders Ludwig Joseph (1848–1850) zog die Familie nach Naumburg. Der spätere Justizrat Bernhard Dächsel wurde formal zum Vormund der Geschwister Friedrich und Elisabeth bestellt. Von 1850 bis 1856 lebte Nietzsche im „Naumburger Frauenhaushalt“, das heißt zusammen mit Mutter, Schwester, Großmutter, zwei unverheirateten Tanten väterlicherseits und dem Dienstmädchen. Erst die Hinterlassenschaft der 1856 verstorbenen Großmutter erlaubte der Mutter, für sich und ihre Kinder eine eigene Wohnung zu mieten. Der junge Nietzsche besuchte zunächst die allgemeine Knabenschule, fühlte sich dort allerdings so isoliert, dass man ihn auf eine Privatschule schickte, wo er erste Jugendfreundschaften mit Gustav Krug und Wilhelm Pinder, beide aus angesehenen Häusern, knüpfte. Ab 1854 besuchte er das Domgymnasium Naumburg und fiel bereits dort durch seine besondere musische und sprachliche Begabung auf. 1857 bereitete Pastor Gustav Adolf Oßwald, ein enger Freund seines Vaters, ihn in Kirchscheidungen für die Aufnahmeprüfung in Schulpforta vor. Am 5. Oktober 1858 wurde Nietzsche als Stipendiat in die Landesschule Pforta aufgenommen, wo er als bleibende Freunde Paul Deussen und Carl Freiherr von Gersdorff kennenlernte. Seine schulischen Leistungen waren sehr gut, in seiner Freizeit dichtete und komponierte er. In Schulpforta entwickelte sich zum ersten Mal seine eigene Vorstellung von der Antike und, damit einhergehend, eine Distanz zur kleinbürgerlich-christlichen Welt seiner Familie. In dieser Zeit lernte Nietzsche den älteren, einstmals politisch engagierten Dichter Ernst Ortlepp kennen, dessen Persönlichkeit den vaterlosen Knaben beeindruckte. Von Nietzsche besonders geschätzte Lehrer, mit denen er nach seiner Schulzeit noch in Verbindung blieb, waren Wilhelm Corssen, der spätere Rektor Diederich Volkmann und Max Heinze, der 1897, als Nietzsche entmündigt war, zu dessen Vormund bestellt wurde. Corssen hatte sich auch vor dem Kollegium dafür eingesetzt, dass Nietzsche, trotz einer schlechten Note in Mathematik, sein Abitur erhielt, indem er auf dessen besondere Begabung in den alten Sprachen und Deutsch verwies. Gemeinsam mit seinen Freunden Pinder und Krug traf sich Nietzsche ab 1860 auf der Burgruine Schönburg, wo er mit ihnen über Literatur, Philosophie, Musik und Sprache diskutierte. Mit ihnen gründete er dort die künstlerisch-literarische Vereinigung „Germania“. Die Gründungsfeier fand am 25. Juli 1860 statt: „… bei Naumburger Rotwein (die Flasche zu 75 Pfennige) leisteten die drei sechzehnjährigen Vereinsmitglieder ihren Bundesschwur. Gedichte, Kompositionen, Abhandlungen mußten regelmäßig geliefert werden. Man wollte dann gemeinsam darüber diskutieren.“ Die Versammlungen fanden vierteljährlich statt. Auf ihnen wurden Vorträge gehalten. Es gab eine Gemeinschaftskasse, aus der Bücher beschafft wurden. Bereits in dieser Zeit entwickelte Nietzsche seine Leidenschaft für die Musik Richard Wagners. Zu Nietzsches frühen Werken, die vor dem Hintergrund der Schönburger Germania entstanden sind, zählen die "Synodenvorträge", "Kindheit der Völker", "Fatum und Geschichte" sowie "Über das Dämonische in der Musik". 1863 wurde die "Germania" aufgelöst, nachdem Pinder und Krug ihr Interesse daran verloren hatten. Im Wintersemester 1864/65 begann Nietzsche an der Universität Bonn das Studium der klassischen Philologie und der evangelischen Theologie unter anderem bei Wilhelm Ludwig Krafft. Zusammen mit Deussen wurde er Mitglied der Bonner Burschenschaft Frankonia. Er bestritt freiwillig eine Mensur, von welcher er einen Schmiss auf dem Nasenrücken zurückbehielt. Nach einem Jahr verließ er die Burschenschaft, weil ihm das Verbindungsleben missfiel. Neben seinem Studium vertiefte er sich in die Werke der Junghegelianer, darunter "Das Leben Jesu" von David Friedrich Strauß, "Das Wesen des Christentums" von Ludwig Feuerbach und Bruno Bauers Evangelienkritiken. Diese bestärkten ihn (zur großen Enttäuschung seiner Mutter) in dem Entschluss, das Theologiestudium nach einem Semester abzubrechen. Nietzsche wollte sich nun ganz auf die klassische Philologie konzentrieren, war jedoch mit seiner Lage in Bonn unzufrieden. Daher nahm er den Wechsel des Philologieprofessors Friedrich Ritschl nach Leipzig (in Folge des Bonner Philologenstreits) zum Anlass, zusammen mit seinem Freund Gersdorff ebenfalls nach Leipzig zu ziehen. In den folgenden Jahren sollte Nietzsche zu Ritschls philologischem Musterschüler werden, obwohl er in Bonn noch dessen Konkurrenten Otto Jahn zugeneigt war. Ritschl war für Nietzsche zeitweise eine Vaterfigur, ehe später Richard Wagner diese Stelle einnahm. Im Oktober 1865, kurz bevor Nietzsche das Studium in Leipzig aufnahm, verbrachte er zwei Wochen in Berlin bei der Familie seines Studienfreundes Hermann Mushacke. Dessen Vater hatte in den 1840er Jahren zu einem Debattierzirkel um Bruno Bauer und Max Stirner gehört. Dass Nietzsche bei diesem Besuch mit Stirners 1845 erschienenem Buch "Der Einzige und sein Eigentum" konfrontiert wurde, liegt nahe, lässt sich aber nicht belegen. Jedenfalls wandte Nietzsche sich unmittelbar danach einem Philosophen zu, der Stirner und dem Junghegelianismus denkbar fernstand: Arthur Schopenhauer. Ein weiterer Philosoph, den er in seiner Leipziger Zeit für sich entdeckte, war Friedrich Albert Lange, dessen "Geschichte des Materialismus" 1866 erschien. In erster Linie setzte Nietzsche jedoch zunächst sein philologisches Studium fort. In dieser Zeit knüpfte er eine enge Freundschaft mit seinem Kommilitonen Erwin Rohde. Mit diesem zusammen beteiligte er sich 1866 an der Gründung des Klassisch-philologischen Vereins an der Universität Leipzig. Hatte er im Deutschen Krieg zwischen Preußen und Österreich, in dem das Königreich Sachsen auf österreichischer Seite stand und Leipzig preußisch besetzt wurde, als Student eine militärische Einberufung noch vermeiden können, musste Nietzsche 1867 seinen Wehrdienst bei der preußischen Armee ableisten und trat als Einjährig-Freiwilliger beim Feldartillerie-Regiment Nr. 55 in Naumburg ein. Als er nach einem schweren Reitunfall im März 1868 dienstunfähig geworden war, nutzte er die Zeit seiner Kur zu weiteren philologischen Arbeiten, die er in seinem letzten Studienjahr fortsetzte. Von großer Bedeutung wurde sein erstes Zusammentreffen mit Richard Wagner im Jahre 1868. Professor an der Universität Basel (1869–1879). Auf Empfehlung seines Lehrers Friedrich Ritschl und auf Betreiben Wilhelm Vischer-Bilfingers wurde Nietzsche 1869 als besonderes altsprachliches Talent, jedoch ohne Promotion, zum außerordentlichen Professor für klassische Philologie an die kleine, damals finanzschwache Universität Basel berufen. Zu seiner Tätigkeit gehörte auch der Unterricht am traditionsreichen Basler Gymnasium am Münsterplatz. Als seine wichtigste Erkenntnis auf dem Gebiet der Philologie wird die Entdeckung des quantitierenden Prinzips angesehen, also die Erkenntnis, dass die antike Metrik, im Gegensatz zur modernen Metrik, ausschließlich auf der Länge von Silben basierte. Auf eigenen Wunsch wurde Nietzsche nach seiner Übersiedlung nach Basel aus der preußischen Staatsbürgerschaft entlassen und blieb für den Rest seines Lebens staatenlos. Allerdings diente er im Deutsch-Französischen Krieg für kurze Zeit als Sanitäter auf deutscher Seite. In dieser Zeit zog er sich eine schwere Dysenterie- und Diphtherieerkrankung zu, deren Rekonvaleszenz von längerer Dauer war. Die Gründung des Deutschen Reichs und die anschließende Ära Otto von Bismarcks nahm er mit einer Portion Skepsis zur Kenntnis. Wegen seiner schlechten gesundheitlichen Verfassung sah sich Nietzsche gezwungen, sich für den Rest des Wintersemesters 1875/1876 beurlauben zu lassen, was bald darauf zur Beendigung seiner Lehrtätigkeit führen sollte. In Basel begann 1870 die bis in die Zeit von Nietzsches geistiger Umnachtung andauernde Freundschaft zu Franz Overbeck, einem Theologieprofessor und späterem Rektor der Universität Basel. Nietzsche schätzte auch den älteren Kollegen Jacob Burckhardt, der ihm gegenüber jedoch distanziert blieb. Bereits im Jahre 1868 hatte Nietzsche in Leipzig Richard Wagner und dessen spätere Frau Cosima kennengelernt. Er verehrte beide zutiefst und war seit Beginn seiner Zeit in Basel häufig Gast im Haus des „Meisters“ in Tribschen bei Luzern. Dieser nahm ihn zwar zeitweise mit in seinen Freundeskreis auf, sah in ihm aber vor allem einen Propagandisten für die Gründung seines Bayreuther Festspielhauses. 1872 veröffentlichte Nietzsche sein erstes größeres Werk, "Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik", eine Untersuchung über den Ursprung der Tragödie, in der er die traditionelle philologische Methode durch philosophische Spekulation ersetzte. Er entwickelte darin eine Art Kunstpsychologie, indem er die griechische Tragödie aus dem Begriffspaar apollinisch-dionysisch zu erklären versuchte. Die Schrift wurde von den meisten seiner Kollegen – unter anderem von Friedrich Ritschl – abgelehnt bzw. mit Schweigen übergangen. Aufgrund der Kritik Ulrich von Wilamowitz-Moellendorffs, der Nietzsche in seiner Streitschrift "Zukunftsphilologie!" unsauberes wissenschaftliches Arbeiten vorwarf, kam es zu einer kurzen öffentlichen Kontroverse, in der sein ehemaliger Studienkollege Erwin Rohde, inzwischen außerordentlicher Professor in Kiel, und Richard Wagner für Nietzsche Partei ergriffen. Nietzsche wurde sich seiner Sonderstellung in der Philologie zunehmend bewusst, weswegen er sich bereits 1871, allerdings vergeblich, um den freiwerdenden Basler philosophischen Lehrstuhl Gustav Teichmüllers bemüht hatte. Im Jahre 1873 lernte Nietzsche Bertha Rohr (1848–1940) in Flims kennen und lieben. Auch die vier "Unzeitgemäßen Betrachtungen" (1873–1876), in denen er eine von Schopenhauer und Wagner beeinflusste Kulturkritik übte, fanden nicht die erhoffte Resonanz. Im Umkreis Wagners hatte Nietzsche inzwischen Malwida von Meysenbug und Hans von Bülow kennengelernt, und auch begann die Freundschaft mit Paul Rée, dessen Einfluss ihn vom Kulturpessimismus seiner ersten Schriften abbrachte. Seine Enttäuschung über die ersten Bayreuther Festspiele von 1876, wo er sich von der Banalität des Schauspiels und der Niveaulosigkeit des Publikums abgestoßen fühlte, nahm Nietzsche zum Anlass, sich von Wagner zu entfernen. Seine frühere Leidenschaft schlug in Ablehnung und schließlich radikale Gegnerschaft um. Derselbe Prozess fand mit Schopenhauer statt. Nietzsche begann am 6. Dezember Philipp Mainländers 200 Seiten lange Kritik der Philosophie Schopenhauers zu lesen – wenige Tage später schrieb er, mit Schopenhauer gebrochen zu haben. Mit der Publikation von "Menschliches, Allzumenschliches" (1878) wurde die Entfremdung von Wagner und von der Schopenhauerschen Philosophie offenbar. Auch die Freundschaften zu Deussen und Rohde hatten sich inzwischen merklich abgekühlt. In dieser Zeit unternahm Nietzsche mehrere vergebliche Versuche, eine junge und vermögende Ehefrau für sich zu finden, worin er vor allem von der mütterlichen Gönnerin Malwida von Meysenbug unterstützt wurde. Außerdem nahmen die seit seiner Kindheit auftretenden Krankheiten (Migräneanfälle und Magenstörungen sowie eine starke Kurzsichtigkeit, die letztlich praktisch bis zur Blindheit führte) zu und zwangen ihn zu immer längeren Freistellungsphasen von seiner Lehrtätigkeit. 1879 ließ er sich deswegen schließlich vorzeitig pensionieren. Freier Philosoph (1879–1889). Getrieben von seinen Krankheiten auf der ständigen Suche nach für ihn optimalen Klimabedingungen, reiste er nun viel und lebte bis 1889 als freier Autor an verschiedenen Orten. Dabei lebte er vor allem von der ihm gewährten Pension; zudem erhielt er mitunter Zuwendungen von Freunden. Im Sommer hielt er sich meist in Sils-Maria, im Winter vorwiegend in Italien (Genua, Rapallo, Turin) und in Nizza auf. Hin und wieder besuchte er die Familie in Naumburg, wobei es mehrfach zu Zerwürfnissen und Versöhnungen mit seiner Schwester kam. Sein früherer Schüler Peter Gast (eigtl. Heinrich Köselitz) wurde zeitweilig zu einer Art Privatsekretär. Köselitz und Overbeck waren Nietzsches beständigste Vertraute. Aus dem Wagnerkreis war ihm vor allem Meysenbug als mütterliche Gönnerin erhalten geblieben. Kontakt hielt er außerdem mit dem Musikkritiker Carl Fuchs und zunächst auch mit Paul Rée. Anfang der 1880er erschienen mit "Morgenröte" und "Die fröhliche Wissenschaft" weitere Werke im aphoristischen Stil von "Menschliches, Allzumenschliches". 1882 lernte er durch Vermittlung von Meysenbug und Rée in Rom Lou von Salomé kennen. Nietzsche fasste schnell weitreichende Pläne für die „Dreieinigkeit“ mit Rée und Salomé. Die Annäherung an die junge Frau gipfelte in einem mehrwöchigen gemeinsamen Aufenthalt in Tautenburg, mit Nietzsches Schwester Elisabeth als Anstandsdame. Nietzsche sah in Salomé bei aller Wertschätzung weniger eine gleichwertige Partnerin als eine begabte Schülerin. Er verliebte sich in sie, hielt über den gemeinsamen Freund Rée um ihre Hand an, doch Salomé lehnte ab. Unter anderem aufgrund von Intrigen Elisabeths zerbrach die Beziehung zu Rée und Salomé im Winter 1882/1883. Nietzsche, der angesichts neuer Krankheitsschübe und seiner nunmehr beinahe vollständigen Isolation – mit Mutter und Schwester hatte er sich wegen Salomé überworfen – von Suizidgedanken geplagt wurde, flüchtete nach Rapallo, wo er in nur zehn Tagen den ersten Teil von "Also sprach Zarathustra" zu Papier brachte. Die Gedanken zum dritten Teil entwickelte er bei seinem Aufenthalt im Bergdorf Èze in der Nähe von Nizza. Eine Straße und eine Gedenktafel erinnern an Nietzsches Tage in Èze. Waren ihm schon nach dem Bruch mit Wagner und der Philosophie Schopenhauers nur wenige Freunde erhalten geblieben, so stieß der völlig neue Stil im "Zarathustra" selbst im engsten Freundeskreis auf Unverständnis, das allenfalls durch Höflichkeit überdeckt wurde. Nietzsche war sich dessen durchaus bewusst und pflegte seine Einsamkeit geradezu, wenn er auch oft darüber klagte. Den kurzzeitig gehegten Plan, als Dichter an die Öffentlichkeit zu treten, gab er auf. Daneben plagten ihn Geldsorgen, denn seine Bücher wurden so gut wie nicht gekauft. Den vierten Teil des "Zarathustra" gab er 1885 nur noch als Privatdruck mit einer Auflage von 40 Exemplaren heraus, die als Geschenk für „solche, die sich um ihn verdient machten“, gedacht waren und von denen Nietzsche letztlich lediglich sieben verschenkte. 1886 ließ er "Jenseits von Gut und Böse" auf eigene Kosten drucken. Mit diesem Buch und den 1886/87 erscheinenden Zweitauflagen von "Geburt", "Menschliches", "Morgenröte" und "Fröhlicher Wissenschaft" sah er sein Werk als vorerst abgeschlossen an und hoffte, dass sich bald eine Leserschaft entwickeln würde. Tatsächlich stieg das Interesse an Nietzsche, wenn auch sehr langsam und von ihm selbst kaum bemerkt. Neue Bekanntschaften Nietzsches in diesen Jahren waren Meta von Salis und Carl Spitteler, auch ein Treffen mit Gottfried Keller war zustande gekommen. 1886 war seine Schwester, inzwischen verheiratet mit dem Antisemiten Bernhard Förster, nach Paraguay abgereist, um die „germanische“ Kolonie Nueva Germania zu gründen – ein Vorhaben, das Nietzsche lächerlich fand. Im brieflichen Kontakt setzte sich die Abfolge von Streit und Versöhnung fort, persönlich sollten sich die Geschwister aber erst nach Friedrichs Zusammenbruch wiedersehen. Nietzsche hatte weiterhin mit wiederkehrenden schmerzhaften Anfällen zu kämpfen, die ein konstantes Arbeiten unmöglich machten. 1887 schrieb er in kurzer Zeit die Streitschrift "Zur Genealogie der Moral". Er wechselte Briefe mit Hippolyte Taine, dann auch mit Georg Brandes, der Anfang 1888 in Kopenhagen die ersten Vorträge über Nietzsches Philosophie hielt. Im selben Jahr schrieb Nietzsche fünf Bücher, teilweise aus umfangreichen Aufzeichnungen für das zeitweise geplante Werk "Der Wille zur Macht". Sein Gesundheitszustand hatte sich vorübergehend gebessert, im Sommer war er in regelrechter Hochstimmung. Seine Schriften und Briefe ab Herbst 1888 jedoch lassen bereits auf seinen beginnenden Größenwahn schließen. Die Reaktionen auf seine Schriften, vor allem auf die Polemik "Der Fall Wagner" vom Frühjahr, wurden von ihm maßlos überbewertet. An seinem 44. Geburtstag entschloss er sich, nach der Vollendung der "Götzen-Dämmerung" und des zunächst zurückgehaltenen "Antichrist", die Autobiographie "Ecce homo" zu schreiben. Im Dezember begann ein Briefwechsel mit August Strindberg. Nietzsche glaubte, kurz vor dem internationalen Durchbruch zu stehen, und versuchte, seine alten Schriften vom ersten Verleger zurückzukaufen. Er plante Übersetzungen in die wichtigsten europäischen Sprachen. Überdies beabsichtigte er die Veröffentlichung der Kompilation "Nietzsche contra Wagner" und der Gedichte "Dionysos-Dithyramben". In geistiger Umnachtung (1889–1900). Am 3. Januar 1889 erlitt er in Turin einen geistigen Zusammenbruch. Kleine Schriftstücke, sogenannte „Wahnzettel“ bzw. „Wahnbriefe“, die er an enge Freunde, aber zum Beispiel auch an Cosima Wagner oder Jacob Burckhardt und sogar Umberto I. von Italien sandte, waren von einer psychischen Erkrankung gezeichnet. Die Ursache für den Zusammenbruch wird seitdem immer wieder kontrovers diskutiert. Eine wichtige Frage ist, ob bereits vor diesem Zusammenbruch intermittierende Symptome auftraten und sich stilistisch niederschlugen oder ob der Zusammenbruch abrupt auftrat und von Vorerkrankungen wie Migräne und Asthenopie bei hochgradiger Myopie isoliert zu betrachten ist. Medizinhistorische Recherchen in Originalbefunden kamen früher in der Regel zum Ergebnis, dass Nietzsches Zusammenbruch sich am ehesten mit dem Quartärstadium einer Nervensyphilis erklären ließe. Erneute Auswertungen relativieren diese Verdachtsdiagnose gleich mehrfach. Einerseits wurden die Krankheitsbilder Gonorrhoe und Syphilis damals noch nicht gegeneinander abgegrenzt und beide als "Lues" bezeichnet. Darüber hinaus wurden Demenz und auch Alzheimer erst nach Nietzsches Tod medizinisch definiert, daher stand diese Diagnosemöglichkeit zu seinen Lebzeiten nicht zur Verfügung. Die Krankheitssymptome decken sich aus heutiger Sicht auch mit der Diagnose der genetisch bedingten Erkrankung CADASIL, während die Zuschreibung einer Syphilis, basierend auf der Krankengeschichte, nicht bestätigt werden kann. Der durch die Wahnzettel an Burckhardt und ihn selbst alarmierte Overbeck brachte Nietzsche zunächst in die von Ludwig Wille geleitete "Irrenanstalt Friedmatt" in Basel. Von dort wurde der inzwischen geistig vollständig Umnachtete von seiner Mutter in die Psychiatrische Universitätsklinik in Jena unter Leitung Otto Binswangers gebracht. Ein Heilungsversuch Julius Langbehns, der von sich aus Kontakt zur Mutter aufgenommen hatte, scheiterte. 1890 durfte die Mutter ihn schließlich bei sich in ihrem Haus in Naumburg aufnehmen. Zu dieser Zeit konnte er zwar gelegentlich kurze Gespräche führen, Erinnerungsfetzen hervorbringen und unter einige Briefe von der Mutter diktierte Grüße setzen, verfiel jedoch schnell und plötzlich in Wahnvorstellungen oder Apathie und erkannte auch alte Freunde nicht wieder. Über das weitere Verfahren mit den teilweise noch ungedruckten Werken berieten zunächst Overbeck und Köselitz. Letzterer begann eine erste Gesamtausgabe. Gleichzeitig setzte eine erste Welle der Nietzsche-Rezeption ein. Elisabeth Förster-Nietzsche kehrte nach dem Suizid ihres Mannes 1893 aus Paraguay zurück, ließ die bereits gedruckten Bände der Köselitzschen Ausgabe einstampfen, gründete das Nietzsche-Archiv und übernahm von der betagten Mutter Zug um Zug die Kontrolle sowohl über den pflegebedürftigen Bruder als auch über dessen Nachlass und die Herausgabe seiner Werke. Mit Overbeck zerstritt sie sich, während sie Köselitz für eine weitere Zusammenarbeit gewinnen konnte. Nietzsche selbst, dessen Verfall sich fortsetzte, bekam von alldem nichts mehr mit. Nach dem Tod seiner Mutter 1897, nachdem seine Schwester das Haus in Naumburg verkauft hatte, lebte er in der Villa Silberblick in Weimar, wo Elisabeth ihn pflegte. Ausgewählten Besuchern – etwa Rudolf Steiner – gewährte sie das Privileg, zu dem dementen Philosophen vorgelassen zu werden. So berichtete das Jenaer Volksblatt unter Berufung auf eine Naumburger Zeitung: Von Steiner stammt eine weitere, ausführliche Schilderung des umnachteten Nietzsche. Nach mehreren Schlaganfällen, die ebenfalls mit der Diagnose einer Nervensyphilis vereinbar sind (siehe oben), war Nietzsche teilweise gelähmt und konnte weder stehen noch sprechen. Am 25. August 1900, im Alter von 55 Jahren, starb er an Pneumonie und einem weiteren Schlaganfall in Weimar. Er wurde an der Röckener Dorfkirche im Familiengrab beigesetzt. Denken und Werk. Nietzsche begann sein Werk als Philologe, begriff sich selbst aber zunehmend als Philosoph oder als „freier Denker“. Er gilt als Meister der aphoristischen Kurzform und des mitreißenden Prosa-Stils. Die Werke sind zuweilen mit einer Rahmenhandlung, Vor- und Nachwort, Gedichten und einem „Vorspiel“ versehen. Einige Interpreten halten selbst die scheinbar wenig strukturierten Aphorismenbücher für geschickt „komponiert“. Nietzsche hat wie kaum ein zweiter Denker die Freiheit der Methode und der Betrachtung gewählt. Eine definitive Einordnung seiner Philosophie in eine bestimmte Disziplin ist daher schwierig. Nietzsches Herangehensweise an die Probleme der Philosophie ist teils die des Künstlers, teils die des Wissenschaftlers und teils die des Philosophen. Viele Stellen seines Werks können auch als psychologisch bezeichnet werden, wobei dieser Begriff erst später seine heutige Bedeutung bekam. Zahlreiche Deuter sehen einen engen Zusammenhang zwischen seinem Leben und seinem denkerischen Werk, sodass über Nietzsches Leben und Persönlichkeit weit mehr geforscht und geschrieben wird, als dies bei anderen Philosophen der Fall ist. Übersicht zum Werk. Oft wird Nietzsches Denken und Werk in bestimmte Perioden eingeteilt. Die folgende Aufteilung geht in Grundzügen auf Nietzsche selbst zurück und ist seit dem Nietzschebuch Lou Andreas-Salomés (1894) in ähnlicher Form von fast allen Interpreten verwendet worden. Es gibt allerdings einige Überschneidungen und Brüche in diesem Schema. So fügte Nietzsche den Zweitauflagen der "Geburt der Tragödie" und der "Fröhlichen Wissenschaft" von 1887 ein selbstkritisches Vorwort beziehungsweise ein fünftes Buch hinzu. Bedeutsam ist auch die erst 1896 erschienene Schrift "Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne" aus dem Sommer 1873, in der Nietzsche viele seiner späteren Gedanken vorwegnimmt. Einige Themen – etwa das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft – behandelt Nietzsche in allen Zeiträumen, wenn auch aus unterschiedlichen Perspektiven und mit entsprechend unterschiedlichen Antworten. Neben seinen philosophischen Betrachtungen veröffentlichte Nietzsche Gedichte, in denen seine philosophischen Gedanken bald heiter, bald dunkel und schwermütig ausgedrückt werden. Sie hängen mit den Prosawerken zusammen: Die "Idyllen aus Messina" (1882) gingen in die zweite Auflage der "Fröhlichen Wissenschaft" ein, während einige der "Dionysos-Dithyramben" (1888/89) Überarbeitungen von Stücken aus "Also sprach Zarathustra" sind. Lange Zeit umstritten war die Bedeutung von Nietzsches "Nachlass", dessen Rezeption zudem von der fragwürdigen Publikation durch das Nietzsche-Archiv erschwert wurde (vergleiche Nietzsche-Ausgabe). Extrempositionen bezogen hier einerseits Karl Schlechta, der zumindest im vom Archiv publizierten Nachlass nichts fand, was nicht auch in Nietzsches veröffentlichten Werken zu finden sei; und andererseits etwa Alfred Baeumler und Martin Heidegger, die Nietzsches veröffentlichtes Werk nur als „Vorhalle“ sahen, während sich die „eigentliche Philosophie“ im Nachlass befinde. Inzwischen herrscht eine mittlere Position vor, die den Nachlass als Ergänzung der veröffentlichten Werke begreift und darin ein Mittel sieht, Nietzsches Denkwege und Entwicklungen besser nachzuvollziehen. Nietzsches Denken ist auf viele unterschiedliche Weisen interpretiert worden. Es enthält Brüche, verschiedene Ebenen und fiktive Standpunkte lyrischer Personen („Ein Fälscher ist, wer Nietzsche interpretiert, indem er Zitate aus ihm benutzt. […] Im Bergwerk dieses Denkers ist jedes Metall zu finden: Nietzsche hat alles gesagt und das Gegenteil von allem.“, Giorgio Colli). Eine kanonische Wiedergabe ist sehr schwierig, erschwert besonders durch das Medium der gewählten Wiedergabe, den Aphorismus. Mithilfe dieser Textform vermochte Nietzsche die Verschiedenartigkeit der aufgeworfenen Aspekte und Einsichten von gängigen Voraussetzungen abzukoppeln und ineinander zu verschränken, jeden Moment gleichsam neu zu gestalten, dabei aber seinem Postulat treu zu bleiben, allen sokratischen Ordnungsansätzen sein „Mißtrauen hinsichtlich der Ergiebigkeit von Beweisketten“, auszusprechen. Die Frage, ob das weitgehende Fehlen einer Systematik von Nietzsche beabsichtigt war, somit Ausdruck seiner Weltsicht ist, hat man in der Rezeption ausführlich diskutiert. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird sie vorwiegend bejaht. Vergleiche hierzu unten den Abschnitt Kritik an Religion, Metaphysik und Erkenntnistheorie. Kritik der Moral. Eines der wichtigsten Objekte von Nietzsches Kritik spätestens seit "Menschliches, Allzumenschliches" ist die Moral im Allgemeinen und die christliche Moral im Besonderen. Nietzsche wirft der bisherigen Philosophie und Wissenschaft vor, herrschende Moralvorstellungen unkritisch übernommen zu haben; wahrhaftig freies und aufgeklärtes Denken habe sich dagegen, wie der Titel eines Buchs sagt, "Jenseits von Gut und Böse" zu stellen. Dies hätten alle abendländischen Philosophen seit Platon, insbesondere Kant, versäumt. Nietzsche untersucht oft Werturteile nicht auf ihre vermeintliche Gültigkeit hin, sondern beschreibt Zusammenhänge zwischen der Erschaffung von Werten durch einen Denker oder eine Gruppe von Menschen und deren biologisch-psychologischer Verfassung. Es geht ihm also um die Frage des Werts von moralischen Systemen überhaupt: Diese Form der Kritik auf einer Meta-Ebene ist ein typisches Kennzeichen von Nietzsches Philosophie. "Vergleiche: Metaethik." Er selbst führt diese Kritik mit Methoden der Geschichts-, Kultur- und Sprachwissenschaft exzessiv aus und legt dabei ein besonderes Augenmerk auf die Herkunft und Entstehung moralischer Denkweisen, etwa in "Zur Genealogie der Moral". Wichtige Begriffe seiner Moralkritik sind: Solche Gedankengänge werden von Nietzsche zu einer immer radikaleren Kritik am Christentum, etwa in "Der Antichrist", gebündelt. Dieses sei nicht nur nihilistisch in dem Sinne, dass es der sinnlich wahrnehmbaren Welt jeden Wert abspreche – eine Kritik, die in Nietzsches Verständnis auch den Buddhismus treffe –, sondern im Gegensatz zum Buddhismus auch aus Ressentiment geboren. Das Christentum habe jede höhere Art Mensch und jede höhere Kultur und Wissenschaft behindert. Carl Albrecht Bernoulli hebt hervor, dass Nietzsches Anti-Christentum vornehmlich antisemitisch bestimmt sei und dass, wo er ehrlich spricht, „seine Urteile über die Juden allen Antisemitismus an Schärfe weit hinter sich lassen.“ In den späteren Schriften steigert Nietzsche die Kritik an allen bestehenden Normen und Werten: Sowohl in der bürgerlichen Moral als auch im Sozialismus und Anarchismus sieht er Nachwirkungen der christlichen Lehren am Werk. Die ganze Moderne leide an "décadence". Dagegen sei nun eine „Umwertung aller Werte“ nötig. Wie genau allerdings die neuen Werte ausgesehen hätten, wird aus Nietzsches Werk nicht eindeutig klar. Diese Frage und ihr Zusammenhang mit den Aspekten des "Dionysischen", des "Willens zur Macht", des "Übermenschen" und der "Ewigen Wiederkunft" werden bis heute diskutiert. Die extremsten Aussagen Nietzsches zur "Energie der Größe" und zum "Anti-Humanismus" finden sich in einem Nachlass-Fragment von 1884: „Jene ungeheure "Energie der Größe" zu gewinnen, um, durch Züchtung und anderseits durch Vernichtung von Millionen Mißrathener, den zukünftigen Menschen zu gestalten und "nicht zu Grunde" zu gehen an dem Leid, das man "schafft", und dessen Gleichen noch nie da war!“ „Gott ist tot“ – "Der europäische Nihilismus". Mit dem Stichwort „Gott ist tot“ wird oft die Vorstellung verbunden, dass Nietzsche den Tod Gottes beschworen oder herbeigewünscht habe. Tatsächlich verstand sich Nietzsche eher als Beobachter. Er analysierte seine Zeit, vor allem die seiner Auffassung nach inzwischen marode gewordene (christliche) Zivilisation. Er war zudem nicht der erste, der die Frage nach dem „Tod Gottes“ stellte. Bereits der junge Hegel äußerte diesen Gedanken und sprach von dem „unendlichen Schmerz“ als einem Gefühl, „worauf die Religion der neuen Zeit beruht – das Gefühl: Gott selbst ist tot“. Die bedeutendste und meistbeachtete Stelle zu diesem Thema ist der Aphorismus 125 aus der "Fröhlichen Wissenschaft" mit dem Titel „Der tolle Mensch“. Der stilistisch dichte Aphorismus enthält Anspielungen auf klassische Werke der Philosophie und Tragödie. Dieser Text lässt den Tod Gottes als bedrohliches Ereignis erscheinen. Dem Sprecher darin graut vor der Schreckensvision, dass die zivilisierte Welt ihr bisheriges geistiges Fundament weitgehend zerstört habe: Dieser unfassbare Vorgang werde gerade wegen der großen Dimension lange brauchen, um in seiner Tragweite erkannt zu werden: „Ich komme zu früh, sagte er dann, ich bin noch nicht an der Zeit. Diess ungeheure Ereigniss ist noch unterwegs und wandert, – es ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen.“ Und es wird gefragt: „Ist nicht die Grösse dieser That [Gott getötet zu haben] zu gross für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen?“ Unter anderem aus diesem Gedanken heraus erscheint später die Idee des „Übermenschen“, wie sie vor allem im "Zarathustra" dargestellt wird: „Todt sind alle Götter: nun wollen wir, dass der Übermensch lebe.“ Das Wort vom Tod Gottes findet sich auch in den Aphorismen 108 und 343 der "Fröhlichen Wissenschaft", und es taucht auch mehrmals in "Also sprach Zarathustra" auf. Danach verwendete Nietzsche es nicht mehr, befasste sich aber weiter intensiv mit dem Thema. Beachtenswert ist hier etwa das nachgelassene Fragment "Der europäische Nihilismus" (datiert 10. Juni 1887), in dem es heißt: „,Gott‘ ist eine viel zu extreme Hypothese.“ Nietzsche kommt zu dem Schluss, dass mehrere mächtige Strömungen, vor allem das Aufkommen der Naturwissenschaften und der Geschichtswissenschaft, daran mitgewirkt haben, die christliche Weltanschauung unglaubwürdig zu machen und damit die christliche Zivilisation zu Fall zu bringen. Durch die Kritik der bestehenden Moral, wie Nietzsche selbst sie betreibt, werde die Moral hohl und unglaubwürdig und breche schließlich zusammen. Mit dieser radikalisierten Kritik steht Nietzsche einerseits in der Tradition der französischen Moralisten, wie etwa Montaigne oder La Rochefoucauld, die die Moral ihrer Zeit kritisieren, um zu einer besseren zu gelangen; andererseits betont er mehrfach, er bekämpfe nicht nur die Heuchelei von Moral, sondern die herrschenden „Moralen“ selbst – im Wesentlichen immer die christliche. In diesem Sinne bezeichnet er sich selbst als „Immoralisten“. Es besteht weitgehende Übereinstimmung, dass Nietzsche sich nicht als Befürworter des Nihilismus verstand, sondern ihn als Möglichkeit in der [nach]christlichen Moral, vielleicht auch als eine geschichtliche Notwendigkeit sah. Über den Atheismus Nietzsches im Sinne des Nichtglaubens an einen metaphysischen Gott sagen diese Stellen wenig aus. (Siehe hierzu den Abschnitt "Kritik an Religion, Metaphysik und Erkenntnistheorie".) Bezüglich Nietzsches Denkentwicklung ist in der Forschung angemerkt worden, dass er sich ab 1869 zwar mit „nihilistischen“ Themen beschäftigte („Pessimismus, mit dem Nirvana und mit dem Nichts und Nichtsein“), aber eine begriffliche Verwendung von Nihilismus erstmalig in handschriftlichen Notizen Mitte 1880 stattfand. In diese Zeit fällt ein damals populärwissenschaftliches Werk (Nicolai Karlowitsch: "Die Entwicklung des Nihilismus". Berlin 1880), welches anhand russischer Zeitungsberichte den sogenannten „Russischen Nihilismus“ rekonstruierte und für Nietzsches Terminologie bedeutend ist. Kunst und Wissenschaft. Das Begriffspaar „apollinisch-dionysisch“ wurde zwar schon von Schelling verwendet, fand aber erst durch Nietzsche Eingang in die Philosophie der Kunst. Mit den Namen der griechischen Götter Apollon und Dionysos bezeichnet Nietzsche in seiner frühen Schrift "Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik" zwei gegensätzliche Prinzipien der Ästhetik. Apollinisch ist demnach der Traum, der schöne Schein, das Helle, die Vision, die Erhabenheit; dionysisch ist der Rausch, die grausame Enthemmung, das Ausbrechen einer dunklen Urkraft. In der attischen Tragödie ist Nietzsche zufolge die Vereinigung dieser Kräfte gelungen. Das „Ur-Eine“ offenbare sich dem Dichter dabei in der Form von dionysischer Musik und werde mittels apollinischer Träume in Bilder umgesetzt. Auf der Bühne sei die Tragödie durch den Chor geboren, der dem Dionysischen Raum gibt. Als apollinisches Element komme der Dialog im Vordergrund und der tragische Held hinzu. Die griechische Tragödie sei durch Euripides und den Einfluss des Sokratismus zugrunde gegangen. Hierdurch sei vor allem das Dionysische, aber auch das Apollinische aus der Tragödie getrieben worden, sie selbst sei zu einem bloß dramatisierten Epos herabgesunken. Die Kunst habe sich in den Dienst des Wissens und sokratischer Klugheit gestellt und sei zur reinen Nachahmung geworden. Erst im Musikdrama Richard Wagners sei die Vereinigung der gegensätzlichen Prinzipien wieder gelungen. In späteren Schriften rückt Nietzsche von dieser Position ab; insbesondere sieht er in den Werken Wagners jetzt keinen Neuanfang mehr, sondern ein Zeichen des Verfalls. In dessen letztem Werk Parsifal sieht er Wagner zurückfallen in den überwunden geglaubten christlichen Erlösungszustand. Auch seine grundsätzlichen ästhetischen Betrachtungen variiert er: In den Schriften der „positivistischen“ Periode tritt die Kunst deutlich hinter die Wissenschaft zurück. Nunmehr ist für Nietzsche „der wissenschaftliche Mensch die Weiterentwickelung des künstlerischen“ ("Menschliches, Allzumenschliches"), ja sogar „[d]as Leben ein Mittel der Erkenntnis“ ("Die fröhliche Wissenschaft"). Erst nach "Also sprach Zarathustra" greift Nietzsche wieder deutlicher auf seine frühen ästhetischen Ansichten zurück. In einem Notizbuch von 1888 heißt es: In den späten Schriften entwickelt er auch den Begriff des Dionysischen weiter. Die Gottheit Dionysos dient zur Projektion mehrerer wichtiger Lehren, und "Ecce homo" schließt mit dem Ausruf: „Dionysos gegen den Gekreuzigten!“ Das Thema des Dionysos ist eine der entscheidenden Konstanten im Leben und Werk Nietzsches, von seiner "Geburt der Tragödie" bis in den Wahnsinn hinein, wo er mit "Dionysos" unterschreibt und Cosima Wagner zu seiner "Ariadne" wird. Kritik an Religion, Metaphysik und Erkenntnistheorie. Mit der Kritik der Moral hängt eine Kritik bisheriger Philosophien zusammen. Gegen metaphysische und religiöse Konzepte ist Nietzsche grundsätzlich skeptisch. Die Möglichkeit einer metaphysischen Welt sei zwar nicht widerlegbar, aber sie gehe uns auch nichts an: Alle metaphysischen und religiösen Spekulationen seien dagegen psychologisch erklärbar; sie hätten vor allem der Legitimation bestimmter Moralen gedient. Die jeweilige Art zu denken, die Philosophien der Philosophen sind nach Nietzsche aus deren körperlicher und geistiger Verfassung sowie ihren individuellen Erfahrungen abzuleiten. Nietzsche wendet diese These auch in seinen Selbstanalysen an und weist wiederholt darauf hin, dass wir die Welt notwendigerweise stets perspektivisch wahrnehmen und auslegen. Schon die Notwendigkeit, sich in Sprache auszudrücken und damit Subjekte und Prädikate anzusetzen, sei eine vorurteilsbehaftete Auslegung des Geschehens ("Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne"). Damit behandelte Nietzsche Fragen, die in Ansätzen von der modernen Sprachphilosophie wieder aufgenommen wurden. Er würdigt die Skeptiker als den einzigen „anständigen Typus in der Geschichte der Philosophie“ ("Der Antichrist") und äußert grundsätzliche Vorbehalte gegen jede Art von philosophischem System. Es sei unredlich zu meinen, die Welt lasse sich in eine Ordnung einpassen: In seiner Autobiographie "Ecce homo" beschreibt er ein letztes Mal sein Verhältnis zu Religion und Metaphysik: Weitere Gedanken. Genealogie In den Werken Nietzsches lässt sich zeigen, dass er schon in jungen Jahren einen Zugang zu den Themen der Metaphysik, der Religion und der Moral, später auch des Ästhetischen, aus einem historisch-kritischen Blickwinkel forderte. Alle Erklärungsmuster, die auf etwas Transzendentes, Unbedingtes, Universales abzielen, seien nichts als Mythen, die in der Geschichte der Erkenntnisentwicklung jeweils auf der Grundlage des Wissens ihrer Zeit entstanden seien. Dieses aufzudecken sei Aufgabe der modernen Wissenschaft und Philosophie. In diesem Sinne verstand sich Nietzsche als Verfechter eines radikalen Aufklärungsgedankens. „[…] erst nachdem wir die historische Betrachtungsart, welche die Zeit der Aufklärung mit sich brachte, in einem so wesentlichen Puncte corrigirt haben, dürfen wir die Fahne der Aufklärung — die Fahne mit den drei Namen: Petrarca, Erasmus, Voltaire — von Neuem weiter tragen. Wir haben aus der Reaction einen Fortschritt gemacht.“ Den Begriff der Genealogie verwendete er erstmals im Titel der "Genealogie der Moral". Die Methodik wird dort insbesondere in der zweiten Abhandlung in den Abschnitten 12 bis 14 ausgeführt. Die dahinter stehende Methode beschrieb und praktizierte er bereits in "Menschliches, Allzumenschliches" (Aphorismen 1 und 2), und bereits in der "Zweiten Unzeitgemäßen Betrachtung" reflektierte er den Wert des Historischen kritisch, zeigte dessen Grenzen, aber auch seine Unhintergehbarkeit. Genealogie bedeutet für Nietzsche nicht historische Forschung, sondern kritische Erklärung von Gegenwartsphänomenen anhand von (spekulativen) theoretischen Ableitungen aus der Geschichte. Im Mittelpunkt steht eine „Deplausibilisierung“ bisheriger Narrative in Philosophie, Theologie und den kulturwissenschaftlichen Fragen durch historisch gestützte psychologische Thesen. Großen Einfluss hat dieses Konzept Nietzsches auf Michel Foucault. Josef Simon setzte die Methode mit der modernen Dekonstruktion gleich. Perspektivismus Aus seiner Kritik von Metaphysik, Erkenntnistheorie, Moralphilosophie und Religion heraus entwickelte Nietzsche selbst ein pluralistisches Weltbild. Indem er die Welt und auch den Menschen als einen im ständigen Werden befindlichen Organismus auffasste, in dem eine Vielzahl von Elementen im ständigen Gegeneinander ihrer Kräfte danach ringt, sich durchzusetzen, löste er sich vom traditionellen Substanzdenken und von jeglichen kausal-mechanistischen sowie teleologischen Erklärungen. „Alle Einheit ist nur als Organisation und Zusammenspiel Einheit: nicht anders als wie ein menschliches Gemeinwesen eine Einheit ist: also Gegensatz der atomistischen Anarchie; somit ein Herrschafts-Gebilde, das Eins bedeutet, aber nicht eins ist.“ In diesem Organismus als Totalität wirken die verschiedensten Kräfte im Kampf gegeneinander; sie folgen ihrem jeweiligen Willen zur Macht (s. u.). „Leben wäre zu definiren als eine dauernde Form von Prozeß der Kraftfeststellungen, wo die verschiedenen Kämpfenden ihrerseits ungleich wachsen.“ Jeder Organismus führt seinen Kampf aus seiner eigenen Perspektive. Die subjektive Sicht, die zur Perspektive führt, bedeutet nun weder Willkür noch Relativismus. Die jeweils eingenommene Perspektive führt vielmehr dazu, dass der Mensch die Welt, wie sie ihm erscheint, zu einem Bild, zu einer Interpretation zusammenfügt. Wille zur Macht Der „Wille zur Macht“ ist "erstens" ein Konzept, das zum ersten Mal in "Also sprach Zarathustra" vorgestellt und in allen nachfolgenden Büchern zumindest am Rande erwähnt wird. Seine Anfänge liegen in den psychologischen Analysen des menschlichen Machtwillens in der "Morgenröte". Umfassender führte es Nietzsche in seinen nachgelassenen Notizbüchern ab etwa 1885 aus. "Zweitens" ist es der Titel eines von Nietzsche auch als "Umwertung aller Werte" geplanten Werks, das nie zustande kam. Aufzeichnungen dazu gingen vor allem in die Werke "Götzen-Dämmerung" und "Der Antichrist" ein. "Drittens" ist es der Titel einer Nachlasskompilation von Elisabeth Förster-Nietzsche und Peter Gast, die nach Ansicht dieser Herausgeber dem unter Punkt zwei geplanten „Hauptwerk“ entsprechen soll. Die Deutung des "Konzepts" „Wille zur Macht“ ist stark umstritten. Für Martin Heidegger war es Nietzsches Antwort auf die metaphysische Frage nach dem „Grund alles Seienden“: Laut Nietzsche sei alles „Wille zur Macht“ im Sinne eines inneren, metaphysischen Prinzips, so wie dies bei Schopenhauer der „Wille (zum Leben)“ ist. Die entgegengesetzte Meinung vertrat Wolfgang Müller-Lauter: Danach habe Nietzsche mit dem „Willen zur Macht“ keineswegs eine Metaphysik im Sinne Heideggers wiederhergestellt – Nietzsche war ja gerade Kritiker jeder Metaphysik –, sondern den Versuch unternommen, eine in sich konsistente Deutung allen Geschehens zu geben, die die nach Nietzsche irrtümlichen Annahmen sowohl metaphysischer „Sinngebungen“ als auch eines atomistisch-materialistischen Weltbildes vermeide. Um Nietzsches Konzept zu begreifen, sei es angemessener, von "den" (vielen) „Willen zur Macht“ zu sprechen, die im dauernden Widerstreit miteinander stehen, sich gegenseitig bezwingen und einverleiben, zeitweilige Organisationen (beispielsweise den menschlichen Leib), aber keinerlei „Ganzes“ bilden, denn die Welt sei ewiges Chaos. Zwischen diesen beiden Interpretationen bewegen sich die meisten anderen, wobei die heutige Nietzscheforschung derjenigen Müller-Lauters deutlich näher steht. Gerade der Begriff Macht weist jedoch bei Nietzsche (mit seiner stets auf das gesunde Individuum ausgerichteten Weltanschauung) auf neuere positive Verständnisformen voraus, wie wir sie bei Hannah Arendt finden – hier jedoch bezogen auf den Menschen in der Gesellschaft: die grundsätzliche Möglichkeit aus sich heraus gestaltend „etwas zu machen“. Ewige Wiederkunft Nietzsches zuerst in "Die fröhliche Wissenschaft" auftretender und in "Also sprach Zarathustra" als Höhepunkt vorgeführter „tiefster Gedanke“, der ihm auf einer Wanderung im Engadin nahe Sils-Maria kam, ist die Vorstellung, dass alles Geschehende schon unendlich oft geschah und unendlich oft wiederkehren wird. Man solle deshalb so leben, dass man die immerwährende Wiederholung eines jeden Augenblickes nicht nur ertrage, sondern sogar begrüße. „Doch alle Lust will Ewigkeit – will tiefe, tiefe Ewigkeit“ lautet folglich ein zentraler Satz in "Also sprach Zarathustra". Eng mit der „Ewigen Wiederkunft“, für die Nietzsche trotz seiner nur sehr oberflächlichen naturwissenschaftlichen Bildung auch wissenschaftliche Begründungen zu geben versuchte, hängt wohl der "Amor fati" (lat. „Liebe zum Schicksal“) zusammen. Dies ist für Nietzsche eine Formel zur Bezeichnung des höchsten Zustands, den ein Philosoph erreichen kann, die Form der höchstgesteigerten Lebensbejahung. Über die „ewige Wiederkunft“, ihre Bedeutung und Stellung in Nietzsches Gedanken herrscht keine Einigkeit. Während einige Deuter sie als Zentrum seines gesamten Denkens ausmachten, sahen andere sie bloß als fixe Idee und störenden „Fremdkörper“ in Nietzsches Lehren. Übermensch An einen Fortschritt in der Geschichte der Menschheit – oder in der Welt überhaupt – glaubt Nietzsche nicht. Für ihn ist folglich das Ziel der Menschheit nicht an ihrem (zeitlichen) Ende zu finden, sondern in ihren immer wieder auftretenden höchsten Individuen, den "Über"menschen. Die Gattung Mensch als Ganzes sieht er nur als einen Versuch, eine Art Grundmasse, aus der heraus er „Schaffende“ fordert, die „hart“ und mitleidlos mit anderen und vor allem mit sich selbst sind, um aus der Menschheit und sich selbst ein wertvolles Kunstwerk zu schaffen. Als negatives Gegenstück zum Übermenschen wird in "Also sprach Zarathustra" der "letzte Mensch" vorgestellt. Dieser steht für das schwächliche Bestreben nach Angleichung der Menschen untereinander, nach einem möglichst risikolosen, langen und „glücklichen“ Leben ohne Härten und Konflikte. Das Präfix „Über“ in der Wortschöpfung „Übermensch“ kann nicht nur für eine höhere Stufe relativ zu einer anderen stehen, sondern auch im Sinne von „hinüber“ verstanden werden, kann also eine Bewegung ausdrücken. Der Übermensch ist daher nicht unbedingt als Herrenmensch über dem letzten Menschen zu sehen. Eine rein politische Deutung gilt der heutigen Nietzscheforschung als irreführend. Der „Wille zur Macht“, der sich im Übermenschen konkretisieren soll, ist demnach nicht etwa der Wille zur Herrschaft über andere, sondern ist als Wille zum Können, zur Selbstbereicherung, zur Selbstüberwindung zu verstehen. Einflüsse. Aus seiner Jugend im Pfarrhaus und im kleinbürgerlich-frommen „Frauenhaushalt“ ergaben sich Nietzsches erste praktische Erfahrungen mit dem Christentum. Schon sehr bald entwickelte er hier einen kritischen Standpunkt und las Schriften von Ludwig Feuerbach und David Friedrich Strauß. Wann genau diese Entfremdung von der Familie begann und welchen Einfluss sie auf Nietzsches weiteren Denk- und Lebensweg hatte, ist Gegenstand einer andauernden Debatte in der Nietzsche-Forschung. Der frühe Tod des Vaters dürfte Nietzsche beeinflusst haben, jedenfalls wies er selbst oft auf dessen Bedeutung für ihn hin. Dabei ist zu beachten, dass er ihn selbst kaum kannte, sondern sich aus Familienerzählungen ein wohl idealisiertes Bild des Vaters machte. Als freundlicher und beliebter, andererseits körperlich schwacher und kranker Landpfarrer taucht er in Nietzsches Selbstanalysen immer wieder auf. Schon in seiner Jugend war Nietzsche von den Schriften Ralph Waldo Emersons und Lord Byrons beeindruckt, den seinerzeit tabuisierten Hölderlin erkor er zu seinem Lieblingsdichter. Machiavellis Werk "Der Fürst" las er bereits privat in der Schulzeit. Wie stark der Einfluss des Dichters Ernst Ortlepp oder die Ideen Max Stirners beziehungsweise des ganzen Junghegelianismus auf Nietzsche waren, ist umstritten. Der Einfluss Ortlepps ist vor allem von Hermann Josef Schmidt hervorgehoben worden. Über den Einfluss Stirners auf Nietzsche wird bereits seit den 1890ern debattiert. Einige Interpreten sahen hier höchstens eine flüchtige Kenntnisnahme, andere dagegen, allen voran Eduard von Hartmann, erhoben einen Plagiatsvorwurf. Bernd A. Laska vertritt die Außenseiter-These, Nietzsche habe infolge der Begegnung mit dem Werk Stirners, das ihm vom Junghegelianer Eduard Mushacke vermittelt worden sei, eine „initiale Krise“ durchgemacht, die ihn zu Schopenhauer führte. Im Philologiestudium bei Ritschl lernte Nietzsche neben den klassischen Werken selbst vor allem philologisch-wissenschaftliche Methoden kennen. Dies dürfte einerseits die Methodik seiner Schriften beeinflusst haben, was insbesondere in der "Genealogie der Moral" deutlich wird, andererseits aber auch sein Bild von der strengen Wissenschaft als mühselige Arbeit für mittelmäßige Geister. Seine eher negative Haltung zum Wissenschaftsbetrieb an den Universitäten beruhte zweifellos auf eigenen Erfahrungen sowohl als Student als auch als Professor. An der Universität versuchte Nietzsche den von ihm geschätzten Jacob Burckhardt zu Gesprächen zu gewinnen, las einige von dessen Büchern und hörte sich Vorlesungen des Kollegen an. Mit dem Freund Franz Overbeck hatte er in der Basler Zeit einen regen Gedankenaustausch, auch später half ihm Overbeck in theologischen und kirchengeschichtlichen Fragen weiter. Werke bekannter Schriftsteller wie Stendhal, Tolstoi und Dostojewski machte Nietzsche sich für sein eigenes Denken ebenso zunutze wie solche eher unbekannter Autoren wie William Edward Hartpole Lecky oder Fachgelehrter wie Julius Wellhausen. Zu seinen Ansichten über die moderne "décadence" las und bewertete er etwa George Sand, Gustave Flaubert und die Brüder Goncourt. Schließlich lässt sich Nietzsches Interesse an Wissenschaften von der Physik (besonders Roger Joseph Boscovichs System) bis zur Nationalökonomie belegen. Auf die besondere Bedeutung der kritischen Auseinandersetzung mit dem Buch "Der Ursprung der moralischen Empfindungen" (1877) von Paul Rée verwies Nietzsche in der Vorrede zur "Genealogie der Moral". Für sein Wissen über die Physiologie, auch in der kritischen Auseinandersetzung mit dem Darwinismus, stützte sich Nietzsche stark auf das Werk "Der Kampf der Theile im Organismus. Ein Beitrag zur Vervollständigung der mechanischen Zweckmäßigkeitslehre" des Anatomen Wilhelm Roux. Er meinte auch, durch seine Krankheiten ein besseres Wissen über Medizin, Physiologie und Diätetik erlangt zu haben als manche seiner Ärzte. Wagner und Schopenhauer. Ab Mitte der 1860er übten die Werke Arthur Schopenhauers großen Einfluss auf Nietzsche aus; dabei bewunderte Nietzsche aber schon zu Beginn weniger den Kern der Schopenhauerschen Lehre als die Person und den „Typus“ Schopenhauer, das heißt in seiner Vorstellung den wahrheitssuchenden und „unzeitgemäßen“ Philosophen. Eine weitere wesentliche Inspiration waren dann die Person und die Musik Richard Wagners. Die Schriften "Richard Wagner in Bayreuth" (Vierte "Unzeitgemäße Betrachtung") und vor allem die "Geburt der Tragödie" feiern dessen Musikdrama als Überwindung des Nihilismus ebenso wie eines platten Rationalismus. Diese Verehrung schlug spätestens 1879 nach Wagners vermeintlicher Hinwendung zum Christentum (in "Parsifal") in Feindschaft um. Nietzsche rechtfertigte seinen radikalen Sinneswandel später in "Der Fall Wagner" und in "Nietzsche contra Wagner". Dass Nietzsche sich lange nach Wagners Tod 1883 beinahe zwanghaft mit dem einstigen „Meister“ beschäftigte, hat einige Aufmerksamkeit gefunden: Über das komplizierte Verhältnis zwischen Nietzsche und Wagner (sowie Wagners Frau Cosima) gibt es viele Untersuchungen mit teilweise unterschiedlichen Ergebnissen. Neben den von Nietzsche genannten weltanschaulichen und kunstphilosophischen Differenzen haben sicherlich auch persönliche Gründe eine Rolle bei Nietzsches „Abfall“ von Wagner gespielt. Schopenhauer sah er nun kritischer und meinte, gerade in dessen Pessimismus und Nihilismus ein zeittypisches und daher rückwärtsgewandtes Phänomen zu erkennen. Freilich fand er auch 1887 noch lobende Worte für Schopenhauer, der „als Philosoph der erste eingeständliche und unbeugsame Atheist [war], den wir Deutschen gehabt haben“: Nietzsches Rezeption anderer Philosophien. Sein Wissen über Philosophie und Philosophiegeschichte hat Nietzsche sich nicht systematisch aus den Quellen angeeignet. Er hat es vornehmlich aus Sekundärliteratur entnommen: vor allem aus Friedrich Albert Langes "Geschichte des Materialismus" sowie Kuno Fischers "Geschichte der neuern Philosophie" zu späteren Autoren. Platon und Aristoteles waren ihm aus der Philologie bekannt und auch Gegenstand einiger seiner philologischen Vorlesungen, aber besonders Letzteren kannte er nur lückenhaft. Mit den Vorsokratikern befasste er sich zu Anfang der 1870er Jahre intensiv, vor allem auf Heraklit kam er noch später zurück. Für die "Ethik" Spinozas, die Nietzsche zeitweise anregte, war ihm Fischers Werk die Hauptquelle. Kant lernte er ebenfalls durch Fischer (und Schopenhauer, s. oben) kennen; im Original las er vermutlich nur die "Kritik der Urteilskraft". Zum deutschen Idealismus um Hegel übernahm er für einige Zeit die scharfe Kritik Schopenhauers. Später ignorierte er die Richtung. Bedenkenswert ist, dass sich bei Nietzsche zu den Junghegelianern (Feuerbach, Bauer und Stirner) keine nennenswerten Äußerungen finden, obwohl er sie als Denker einer „geistesregen Zeit“ ansah, auch keine zu Karl Marx, obwohl er sich verschiedentlich über den politischen Sozialismus äußerte. Weitere von Nietzsche rezipierte Quellen waren die französischen Moralisten wie La Rochefoucauld, Montaigne, Vauvenargues, Chamfort, Voltaire und Stendhal. Die Lektüre Blaise Pascals vermittelte ihm einige neue Einsichten zum Christentum. Hin und wieder setzte sich Nietzsche polemisch mit den seinerzeit populären Philosophen Eugen Dühring, Eduard von Hartmann und Herbert Spencer auseinander. Vor allem von Letzterem und den deutschen Vertretern der Evolutionstheorie um Ernst Haeckel bezog er sein Wissen um die Lehren Charles Darwins. Die intensive Quellenforschung der letzten Jahrzehnte hat zahlreiche Bezüge in Nietzsches Werken ermittelt, unter anderem zu seinen Zeitgenossen Afrikan Spir und Gustav Gerber, deren Sprach- und Erkenntnistheorie überraschende Ähnlichkeiten mit der Nietzsches aufweisen. Vereinzelt ist in der Nietzsche-Forschung darauf hingewiesen worden, dass Nietzsches Kritik an anderen Philosophien und Lehren auf Missverständnissen beruhe, eben weil er sie nur durch entstellende Sekundärliteratur kannte. Dies betreffe insbesondere Nietzsches Aussagen zu Kant und der Evolutionslehre. Aber auch dieses Thema ist umstritten. Werke und Ausgaben. Eingeklammerte Jahreszahlen geben das Jahr der Entstehung, mit Kommata abgetrennte das Jahr der Erstveröffentlichung an. Musik. Seit seiner Jugend musizierte Nietzsche und komponierte zahlreiche kleinere Stücke. Bedeutend sind: Ausgaben. Gesamtausgaben: vollständige, ausführlich kommentierte Ausgaben: Studienausgaben: Taschenbuchausgaben: Nietzsche Online: Literatur. Werkkommentare. Seit 2012 wird der auf 16 Bände angelegte, erste Standard-Kommentar zu Nietzsches Werken publiziert: Heidelberger Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): "Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken." De Gruyter, Berlin/Boston u. a. 2012 ff. Erschienen sind bisher neun Bände: Zur Rezeptionsgeschichte Jahrbücher Ein Kuriosum: "My Sister and I". Im Jahr 1951 erschien in den USA ein Buch mit dem Titel "My Sister and I", als dessen Autor Friedrich Nietzsche angegeben wurde. Nietzsche soll diese angeblich autobiographische Schrift 1889–1890 während seines Aufenthalts in der Jenaer Nervenklinik verfasst haben. Ein Originalmanuskript ist jedoch nicht überliefert. Als Übersetzer ins Englische ist Oscar Levy genannt, der Herausgeber der ersten englischsprachigen Ausgabe von Nietzsches Werken. Levy war aber schon 1946 gestorben, und seine Erben bestritten, dass er etwas mit dem Werk zu tun habe. Da keine Belege für die behauptete Urheberschaft Nietzsches oder Levys vorlagen, wurde die Schrift von der Fachwelt überwiegend als Fälschung zurückgewiesen oder ignoriert. In den 1980er-Jahren stellten einzelne Stimmen diese Zurückweisung infrage. Teile der Kontroverse um die Autorschaft sind in Neuauflagen des Buches abgedruckt, etwa in:
1588
2333909
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1588
Frankreich
Frankreich (französisch "" [], amtlich "la République française" [], ) ist ein demokratischer, interkontinentaler Einheitsstaat in Westeuropa mit Überseegebieten auf mehreren Erdteilen. "Metropolitan-Frankreich", d. h. der europäische Teil des Staatsgebietes, erstreckt sich vom Mittelmeer bis zum Ärmelkanal und zur Nordsee sowie vom Rhein bis zum Atlantischen Ozean. Sein Festland wird wegen der Landesform als "Hexagone" (Sechseck) bezeichnet. Frankreich ist flächenmäßig das größte und nach Einwohnern (hinter Deutschland) das zweitgrößte Land der Europäischen Union. Es umfasst (nach Russland und der Ukraine) das drittgrößte Staatsgebiet in Europa. Paris ist die Hauptstadt und als Agglomeration mit dem Gemeindeverband Métropole du Grand Paris und den umliegenden Gebieten der Region Île-de-France größter Ballungsraum des Landes vor Lyon, Marseille-Aix-en-Provence, Lille und Toulouse. Aus dem westlichen Teil des Fränkischen Reiches hervorgegangen, erweiterte Frankreich während des Mittelalters, meist in Rivalität mit dem Königreich England und dem Heiligen Römischen Reich, seinen kulturellen und militärischen Einfluss in Europa, bis Frankreich schließlich im 17. und 18. Jahrhundert eine europäische Führungsrolle und Vormachtstellung innehatte. Bedeutend war die politische und kulturelle Ausstrahlung: Die Hofhaltung Ludwigs XIV. wurde zum Vorbild absolutistischer Staaten in ganz Europa und die Französische Revolution mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte gab zusammen mit Okkupationen durch Napoleon Bonaparte in vielen Ländern den Auftakt zu der immer wieder von Rückschlägen unterbrochenen Entwicklung zur Demokratie. In Übersee baute Frankreich zweimal ein Kolonialreich auf. Das erste umfasste u. a. große Teile Nordamerikas und ging großenteils Mitte des 18. Jahrhunderts im Siebenjährigen Krieg verloren; das zweite mit Schwerpunkt in Afrika war im 19. und frühen 20. Jahrhundert das zweitgrößte der Welt. Im 21. Jahrhundert gilt Frankreich mit Deutschland als treibende Kraft der europäischen Integration. Die Französische Republik wird in ihrer Verfassung als unteilbar, laizistisch, demokratisch und sozial erklärt. Ihr Grundsatz lautet: „Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk“. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen zählt Frankreich zu den Ländern mit sehr hoher menschlicher Entwicklung. Gemessen am nominalen Bruttoinlandsprodukt ist es die siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt. Lebensstandard, Bildungsgrad und Lebenserwartung gelten als hoch. Als meistbesuchtes Land der Welt empfängt Frankreich rund 83 Millionen ausländische Touristen pro Jahr. Die französischen Streitkräfte gehören zu den sieben stärksten der Welt und sind die drittstärksten in der NATO. Das Land ist die einzige Atommacht der Europäischen Union, eines der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates und hatte 2010 die weltweit dritthöchste Anzahl an Kernwaffen. Es ist Gründungsmitglied der Europäischen Union und der Vereinten Nationen, Mitglied der Frankophonie, der G7, der G20, der NATO, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), der Welthandelsorganisation (WTO) und der Lateinischen Union. Geographie. Das gesamte Territorium der Französischen Republik zählt 632.733,9 Quadratkilometer. Das „französische Mutterland“ in Europa, auch Metropolitan-Frankreich "()" genannt, hat eine Fläche von 543.939,9 Quadratkilometern. Es wird wegen seiner Form als "Hexagone" (Sechseck) bezeichnet. Als eines der größten Länder Europas weist Frankreich zahlreiche, zum Teil sehr unterschiedlich geprägte Landschaftsformen auf. Das Landschaftsbild wird überwiegend von Ebenen oder Hügeln geprägt. Im Südosten und an der Grenze zur Iberischen Halbinsel ist das Land gebirgig. Hauptgebirge sind die Pyrenäen im Südwesten, das Zentralmassiv im Zentrum der Südhälfte des Landes sowie im Osten (aufgezählt von Norden nach Süden) die Vogesen, der Jura und die Alpen. Der höchste Berg Frankreichs ist der 4810 Meter hohe Mont Blanc in den Alpen; er wird oft auch als höchster Berg Europas angesehen. Der Elbrus im europäisch-asiatischen Grenzbereich ist zwar höher, aber keinem Kontinent eindeutig zugeordnet. Frankreich hat Meeresküsten im Süden zum Mittelmeer, im Westen und im Norden zum Atlantischen Ozean, zum Ärmelkanal und zur Nordsee. Es grenzt im Südwesten an Spanien und Andorra, im Norden und im Osten an Belgien, Luxemburg, Deutschland, die Schweiz und Italien sowie im Südosten an Monaco. Zudem grenzt Frankreich durch das Übersee-Département Französisch-Guayana an die Länder Suriname und Brasilien und durch das Überseegebiet Saint-Martin an das autonome Land Sint Maarten des Königreichs der Niederlande. Regionen. Frankreich ist in 18 Regionen unterteilt, davon befinden sich 13 in Europa, und fünf sind französische Überseegebiete "(, FOM)" – Französisch-Guayana, Guadeloupe, Martinique, Mayotte und Réunion. Bis zum 31. Dezember 2015 war Metropolitan-Frankreich in 22 Regionen unterteilt (Frankreich hatte einschließlich der fünf FOM 27 Regionen). Naturschutzgebiete. Frankreich unterhält Naturschutzgebiete verschiedener Kategorien im europäischen Kernland und in den Übersee-Départements. Es sind Städte. Im Jahr 2021 lebten 81 Prozent der Einwohner Frankreichs in Städten. Exterritoriale Gebiete. Der Obere Mundatwald, der auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland liegt und somit deutschem Recht unterstellt ist, wird vom Forstamt der Französischen Republik bewirtschaftet. Seitens Frankreich wird importiertes Holz aus dem Oberen Mundatwald mit französischer Umsatzsteuer belegt. Im deutschen Oberhausen (bei Neuburg/Donau) gehört ein 300 Quadratmeter großes Flurstück, in dem sich ein Denkmal für Théophile Malo Corret de la Tour d’Auvergne befindet, zu Frankreich und ist somit französisches Staatsgebiet. Außerdem gehören zum Hoheitsgebiet Frankreichs einige Kirchen und die Villa Medici in Rom (Italien) sowie das Pays Quint in Spanien. In Jerusalem (Israel) zählen eine Kirche und mehrere historische Stätten zu Frankreich. Ferner ist ein Teil des Žuráň-Hügels in Tschechien ein Teil der Französischen Republik. Bevölkerung. Demografie. Frankreich hatte am 1. Januar 2022 67,8 Millionen Einwohner, wobei 65,2 Millionen Einwohner auf Metropolitan-Frankreich, den europäischen Teil Frankreichs, entfielen. 2021 betrug das jährliche Bevölkerungswachstum + 0,3 %. Die Bevölkerung Frankreichs im Jahre 1750 wurde auf etwa 25 Millionen geschätzt. Damit war es das bei weitem bevölkerungsreichste Land Westeuropas. Bis 1850 stieg die Einwohnerzahl bis auf 37 Millionen; danach trat eine im seinerzeitigen Europa einzigartige Stagnation der Bevölkerungsentwicklung ein. Als Ursache hierfür werden der relative Wohlstand und die fortgeschrittene Zivilisation Frankreichs angesehen. Empfängnisverhütendes Sexualverhalten wurde praktiziert und war weiter verbreitet als in anderen Ländern, zugleich war der Einfluss der katholischen Kirche bereits geschwächt. So wuchs die Einwohnerzahl in knapp 100 Jahren nur um drei Millionen: 1940 zählte Frankreich, trotz starker Zuwanderung nach 1918, nur etwa 40 Millionen Einwohner. Diese Bevölkerungsstagnation wird als eine der Ursachen dafür angesehen, dass sich Frankreich während der beiden Weltkriege gegen den bevölkerungsstärkeren Nachbarn Deutschland nur mit großer Mühe behaupten konnte. Noch dazu hatte Frankreichs Armee im Ersten Weltkrieg die relativ höchsten Verluste aller kriegführenden Staaten erlitten. Nach dem Zweiten Weltkrieg war dann nach langer Zeit wieder ein Geburtenzuwachs und Bevölkerungsanstieg zu verzeichnen, der zum Teil durch die transnationale geburtenstarke Generation ebenso verursacht war wie durch verstärkte Zuwanderung vor allem aus früheren französischen Kolonien. Zum Bevölkerungswachstum 2021 trug ein Geburtenüberschuss (Geburtenziffer: 10,9 pro 1000 Einwohner vs. Sterbeziffer: 9,7 pro 1000 Einwohner) bei. Die Anzahl der Geburten pro Frau lag 2020 statistisch bei 1,8 und damit über dem Wert der Europäischen Union von 1,5. Die Lebenserwartung der Einwohner Frankreichs ab der Geburt lag 2020 bei 82,2 Jahren (Frauen: 85,3, Männer: 79,2). Der Median des Alters der Bevölkerung lag im Jahr 2020 bei 40,1 Jahren und damit unter dem europäischen Wert von 42,5. Im Jahr 2021 wurden 3,2 Ehen pro 1000 Einwohner geschlossen. Zahlreiche Franzosen wählten alternativ den Zivilen Solidaritätspakt als Form des Zusammenlebens. Diese "Pacs" genannte Partnerschaft wurde 1999 eingeführt; 2009 wurden 175.000 Pacs geschlossen. Migration. Aufgrund des langsamen Bevölkerungswachstums kannte Frankreich bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts das Problem des Arbeitskräftemangels. Seit Beginn der Industrialisierung kamen deshalb Gastarbeiter aus verschiedenen europäischen Ländern (Italiener, Polen, Deutsche, Spanier, Belgier) nach Frankreich, etwa in den Großraum Paris oder in die Bergbaureviere und Montangebiete von Nord-Pas-de-Calais und Lothringen. Ab 1880 lebten und arbeiteten somit etwa eine Million Ausländer in Frankreich; sie stellten sieben bis acht Prozent der Erwerbstätigen. Das Phänomen einer Massenauswanderung, das gleichzeitig in Deutschland herrschte, kannte Frankreich nicht. Während des Ersten Weltkrieges waren etwa drei Prozent der Bevölkerung Frankreichs Ausländer, es kam zu ersten ausländerfeindlichen Tendenzen, bis 1931 wuchs der Ausländeranteil auf 6,6 Prozent. Danach wurde die Einwanderung stark eingeschränkt, Flüchtlinge etwa aus dem Spanischen Bürgerkrieg ausgewiesen oder interniert. Nach dem Zweiten Weltkrieg warb Frankreich wiederum Gastarbeiter vor allem aus Spanien und Portugal an und behielt bis 1974 eine sehr liberale Einwanderungspolitik bei. Europäer, vor allem Italiener und Polen, hatten 1931 mehr als 90 Prozent der ausländischen Bevölkerung ausgemacht, in den 1970er-Jahren lag dieser Anteil nur noch bei etwa 60 Prozent, der größte Anteil waren nun Portugiesen. Der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung 2006 betrug 5,8 Prozent, dazu kamen 4,3 Prozent "Français par acquisition", also Menschen, die im Ausland geboren sind und die französische Staatsbürgerschaft angenommen haben. Im Jahr 2008 lebten 5,23 Millionen Einwanderer in Frankreich, was 8,4 % der Gesamtbevölkerung ausmachte. Davon hatten 2,72 Millionen die französische Staatsbürgerschaft angenommen. Nachkommen von Einwanderern, bei denen mindestens ein Elternteil mit ausländischer Staatsangehörigkeit im Ausland geboren wurde, wurden im Jahr 2010 auf etwa 10,4 % der Gesamtbevölkerung geschätzt. Heute (2014) sind die meisten Einwanderer in Frankreich nordafrikanischen Ursprungs (Algerier, Marokkaner, Tunesier), gefolgt von Südeuropäern (Portugiesen, Italiener, Spanier). 2018 wurden 273.000 Einwanderer registriert (davon 39 % aus Afrika und 35 % aus Europa). Die höchste Konzentration von Einwanderern lebt im Großraum Paris oder im Südosten Frankreichs (in der Region Marseille). Seit dem Beginn der europäischen Flüchtlingskrise sind viele Migranten aus Afrika, auch aus ehemaligen französischen Kolonien in Subsahara-Afrika, nach Frankreich gekommen. Bildungswesen. Die Verfassung der Fünften Französischen Republik definiert, dass der Zugang zu Bildung, Ausbildung und Kultur für alle Bürger gleich zu sein hat und dass das Unterhalten eines unentgeltlichen und laizistischen öffentlichen Schulwesens Aufgabe des Staates ist. Demnach ist das Bildungssystem Frankreichs zentralistisch organisiert; die Gebietskörperschaften müssen die Infrastruktur bereitstellen. Es koexistieren private und öffentliche Einrichtungen, wobei die größtenteils katholischen Privatschulen in der Vergangenheit mehrmals Gegenstand intensiver politischer Auseinandersetzung waren. Im Gegensatz zu den Schulsystemen der deutschsprachigen Länder liegt in Frankreich mehr Schwerpunkt auf Auslese und Bildung von Eliten, bzw. Ausbildung über Bildung. Seit 1967 herrscht Unterrichtspflicht bis zum 16. Lebensjahr; Hausunterricht ist erlaubt. In Frankreich lag die mittlere Schulbesuchsdauer von über 25-Jährigen bei 11,6 Jahren (Stand: 2015). Der Kindergarten heißt in Frankreich "École maternelle" und bietet Vorschulerziehung für Kinder ab zwei Jahren an. Er wird von einem hohen Prozentsatz der Kinder besucht. Der Besuch ist ganztägig und gebührenfrei, nur optionale Zusatzangebote für Betreuung zu Randzeiten sowie die mittägliche Verpflegung müssen von den Eltern bezahlt werden. Die "École maternelle" wird in Frankreich sehr viel stärker als Schule betrachtet, als dies bei den Kindergärten in deutschsprachigen und anderen Ländern der Fall ist. Die Betreuer in den "Maternelles" haben eine Lehrerausbildung und sind von der staatlichen Schulbehörde "Éducation nationale" angestellt, die auch die Lehrpläne festlegt. Die auf die "Maternelle" folgende, der deutschen Grundschule entsprechende "École élémentaire" dauert fünf Jahre. Nach ihrem Abschluss besuchen die Kinder das "Collège", eine vier Jahre dauernde Gesamtschule, und machen dort den Abschluss "Brevet des collèges". Hiernach hat der Jugendliche mehrere Möglichkeiten. Er kann in eine berufsbildende Schule eintreten, die er mit dem "Certificat d’aptitude professionelle" abschließt; ein duales Ausbildungssystem wie in Deutschland ist sehr wenig verbreitet. Das "" entspricht in etwa dem Gymnasium. Es führt nach zwölf Schuljahren zum "Baccalauréat". Mehrere Schulzweige wie naturwissenschaftlich, wirtschaftlich oder literarisch werden unterschieden. Wer ein "Lycée professionnel" oder ein "Centre de formation d’apprentis" besucht, kann nach 13 Schuljahren mit einem "Baccalauréat professionnel" abschließen. Im Fremdsprachenunterricht wird eher Englisch und Spanisch gelehrt als Deutsch, das als „Intello-Idiom“ gilt. Die akademische Bildung wird geprägt von der Koexistenz der "Grandes écoles" und der Universitäten. Die Grandes écoles haben gegenüber den Universitäten Frankreichs eine höhere Reputation, niedrige Studentenzahlen und hohe persönliche Betreuung. Man kann sie meist erst nach dem Besuch der "Classe préparatoire" besuchen, die in der Regel von "Lycées" angeboten wird. Zu den bedeutenderen der "Grandes écoles" zählen die École polytechnique, die École normale supérieure, die École nationale d’administration, die École des hautes études en sciences sociales und die École Centrale Paris. Im Zuge der europaweiten Harmonisierung der Studienabschlüsse im Rahmen des Bologna-Prozess wurde auch an französischen Hochschulen das "LMD-System" eingeführt. LMD bedeutet, dass nacheinander die "Licence" bzw. "Bachelor" (nach drei Jahren), der "Master" (nach fünf Jahren) und das Doktorat (nach acht Jahren) erworben werden können. Die traditionellen nationalen Diplome (DEUG, "Licence", "Maîtrise," DEA und DESS) sollen im Rahmen dieses Prozesses entfallen. Ende 2009 studierten rund 2,25 Millionen Studentinnen und Studenten an französischen Hochschulen. Im PISA-Ranking von 2015 erreichen Frankreichs Schüler Platz 26 von 72 Ländern in Mathematik, Platz 16 in Naturwissenschaften und Platz 19 beim Leseverständnis. Frankreich liegt damit im Mittelfeld unter den OECD-Staaten. Gesundheitswesen. Das Gesundheitswesen ist Teil der öffentlichen Sozialversicherung "Sécurité Sociale", die 1945 gegründet wurde und eine paritätische Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretung beinhaltet. Die Organisation des Systems obliegt dem Staat sowie der gesetzlichen Krankenversicherung. Private Zusatzversicherungen sind aber weit verbreitet. Nach Einschätzung des Europäischen Verbraucherzentrums liegen die Ausgaben für Medikamente höher als in Deutschland, obwohl Arzneimittel in Frankreich vergleichsweise günstiger sind. Im Jahr 2019 praktizierten in Frankreich 32,7 Ärztinnen und Ärzte je 10.000 Einwohner. Probleme der medizinischen Versorgung bestehen vor allem in den unzureichend finanzierten Krankenhäusern. Hinzu kommt Personalmangel, da das Einkommen der Pflegekräfte unter dem nationalen Durchschnitt liegt. Auf 1000 Einwohner kommen in Frankreich 5,6 Klinikbetten, in Deutschland liegt das Verhältnis bei 1000 zu 7,9. Insbesondere die Intensivstationen bieten nur mangelhafte Kapazitäten. Seit März 2019 kommt es zu Protesten von Mitarbeitern in Notaufnahmen sowie von Ärzten. Sprachen. Die französische Sprache entwickelte sich aus der Sprache des französischen Königshofes, die wahrscheinlich auf der romanischen Mundart der Île-de-France (seit dem 19. Jahrhundert in der Linguistik als "francien" bezeichnet) beruhte und zugleich Einflüsse der Mundarten angrenzender Gebiete (namentlich der Champagne) aufnahm. Diese Sprache wurde als "françoys" ([frãswè]) bezeichnet und breitete ihren kulturellen Einfluss etwa in dem Maße aus, in dem die französischen Könige ihr Herrschaftsgebiet ausdehnten. Im Jahr 1539 verfügte König Franz I., dass die „französische Muttersprache“ („langage maternel françoys“) die Verwaltungssprache seines Königreiches sein sollte, womit vor allem das Lateinische zurückgedrängt wurde. Regionalsprachen kamen in den Provinzen z. B. als Gerichtssprache weiterhin zum Einsatz; siehe Edikt von Villers-Cotterêts. Zu dieser Zeit sprachen etwa 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung Frankreichs Französisch; im 18. Jahrhundert sollen etwa 50 Prozent gewesen sein. Nach der Französischen Revolution wurden die Regionalsprachen zurückgedrängt. Französisch, die Sprache der Aufklärung, galt als Sprache der Vernunft und der Wissenschaft und wurde zur einzigen Sprache der Republik und mit Einführung der allgemeinen Schulpflicht zur einzigen Unterrichtssprache erhoben. Erst ein 1951 verabschiedetes Gesetz erlaubte Unterricht in Regionalsprachen. Auch heute legt Artikel 2 der Verfassung von 1958 Französisch als alleinige Amtssprache Frankreichs fest. Es ist nicht nur die in Frankreich allgemein gesprochene Sprache, sondern auch Träger der französischen Kultur in der Welt. Die in Frankreich gesprochenen Regionalsprachen drohen aufgrund interner Wanderungen und der fast ausschließlichen Verwendung des Französischen in den Medien auszusterben. Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen hat Frankreich zwar unterschrieben, jedoch nicht ratifiziert. Unter anderem urteilte der Verfassungsrat im Jahr 1999, dass Teile der Charta mit der französischen Verfassung unvereinbar seien. Seit 2008 erwähnt die Verfassung in Artikel 75-1 die Regionalsprachen als Kulturerbe Frankreichs. Regionalsprachen, die in Frankreich gesprochen werden, sind die romanischen Oïl-Sprachen in Nordfrankreich, die teilweise als französische Dialekte angesehen werden, wie Picardisch, Normannisch, Gallo, Poitevin-Saintongeais, Wallonisch und Champenois, das Franko-Provenzalische im französischen und (west-)schweizerischen Alpen- und Juraraum, Okzitanisch in Südfrankreich, Katalanisch im Département Pyrénées-Orientales, Elsässisch und Lothringisch im Nordosten Frankreichs, Baskisch und seine Dialekte im äußersten Südwesten, Bretonisch im Nordwesten, Korsisch auf Korsika und Flämisch im Norden des Landes. Weiterhin werden in den Überseebesitzungen verschiedenste Sprachen wie Kreolsprachen, Polynesische Sprachen oder Kanak-Sprachen in Neukaledonien gesprochen. Anders als z. B. in Italien gibt es in Frankreich keine regionalen Amtssprachen. Auch bei den Ortsnamen und Flurnamen spiegeln sich regionale Einflüsse nur bedingt wider. So sind deutschsprachige Bezeichnungen im Elsass noch sehr weit verbreitet, nicht jedoch in Lothringen. Analog dazu blieben auf Korsika die italienischen Namen auch nach der Angliederung an Frankreich weitestgehend bestehen, dies ist bei den Gebieten auf dem Festland (Savoyen, Grafschaft Nizza bzw. Alpes-Maritimes), welche früher mit Italien assoziiert waren, dagegen nicht der Fall. Der Ortsname Nizza stammt zwar aus dem Italienischen (), vor Ort ist jedoch nur die französische Bezeichnung "Nice" die offiziell gebräuchliche. Im äußersten Norden Frankreichs, in den Grenzgebieten zu Flandern, gibt es einige niederländische Ortsnamen, wogegen in den Grenzgebieten zu Spanien baskische und katalanische Einflüsse zu erkennen sind. Französisch ist Arbeitssprache bei den Vereinten Nationen, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, der Europäischen Kommission und der Afrikanischen Union. Um die französische Sprache vor der Vereinnahmung durch Anglizismen zu schützen, wurde 1994 die "Loi Toubon" verabschiedet. Mit dem Durchführungsdekret von 1996 wurde ein Mechanismus zur Einführung neuer Wörter festgelegt, der von der "Délégation générale à la langue française et aux langues de France" und der "Commission générale de terminologie et de néologie" gesteuert wird. Dieses Dekret verpflichtet die Behörden, die im Amtsblatt und im Wörterbuch "FranceTerme" veröffentlichten Neuschöpfungen zu gebrauchen. Die Einwanderer verschiedener Nationen, vor allem aus Portugal, Osteuropa, dem Maghreb und dem restlichen Afrika, haben ihre Sprachen mitgebracht. Im Unterschied zu den traditionellen Sprachen konzentrieren sich diese Sprechergemeinden besonders in den großen Städten, sind aber keinem bestimmten geographischen Gebiet zuzuordnen. Religionen. Frankreich ist offiziell ein laizistischer Staat, das heißt, Staat und Religionsgemeinschaften sind vollkommen voneinander getrennt. Da von staatlicher Seite keine Daten über die Religionszugehörigkeit der Einwohner erhoben werden, beruhen alle Angaben über die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung auf Schätzungen oder den Angaben der Religionsgemeinschaften selbst und weichen deshalb oft erheblich voneinander ab, weshalb auch die folgenden Zahlen mit Vorsicht zu behandeln sind. In einer Umfrage von "Le Monde des religions" bezeichneten sich 51 Prozent der Franzosen als katholisch, 31 Prozent erklärten, keiner Religion anzugehören, und etwa 9 Prozent gaben an, Muslime zu sein. 3 Prozent bezeichneten sich als Protestanten. Fast alle protestantischen Kirchen in Frankreich, von denen die Vereinigte Protestantische Kirche Frankreichs die mitgliederstärkste ist, arbeiten im Französischen Evangelischen Kirchenbund zusammen. Ein Prozent bezeichneten sich als Juden. Dies entspricht auf die Bevölkerungszahl hochgerechnet 32 Millionen Katholiken, 5,7 Millionen Muslimen, 1,9 Millionen Protestanten und 600.000 Juden sowie 20 Millionen Nichtreligiösen. 6 Prozent machten andere oder keine Angaben. Unter den Katholiken ist laut Umfragen nur ein geringer Teil tatsächlich gläubig und praktizierend, allerdings sind umgekehrt auch Strömungen des katholischen Traditionalismus in Frankreich stark vertreten. Außerdem leben in Frankreich, bedingt durch Zuwanderung aus Osteuropa und dem Nahen Osten, etwa eine Million Orthodoxe und Angehörige orientalisch-orthodoxer Kirchen. Vorrangig aus dem ehemaligen Französisch-Indochina stammten die Vorfahren der etwa 600.000 Buddhisten. Weiterhin gibt es eine größere Zahl an Hindus. Eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Europäischen Kommission im Rahmen des Eurobarometers ergab 2020, dass für 26 Prozent der Menschen in Frankreich Religion wichtig ist, für 25 Prozent ist sie weder wichtig noch unwichtig und für 48 Prozent ist sie unwichtig. Schätzungen der 2018 veröffentlichten "" (SMRE) gehen für den Zeitraum 2000 (1996 bis 2005) von 51,7 Prozent Katholiken, 2,3 Prozent Protestanten, 0,2 Prozent Orthodoxen, 0,5 Prozent Juden, 0,5 Prozent Muslimen, 44,2 Prozent Personen ohne Religionszugehörigkeit und 0,6 Prozent Anderen aus. Für den Zeitraum 2010 (2006 bis 2015) gehen die Schätzung der SMRE von 40 Prozent Katholiken, 1,7 Prozent Protestanten, 0,3 Prozent Orthodoxen, 0,8 Prozent anderen Christen, 0,3 Prozent Juden, 5,1 Prozent Muslimen, 50,5 Prozent Personen ohne Religionszugehörigkeit und 1,3 Prozent Anderen aus. Christliche Konfessionen. Historisch war Frankreich lange Zeit ein katholisch dominierter Staat. Seit Ludwig XI. († 1483) trugen die französischen Könige mit Einverständnis des Papstes den Titel eines "roi très chrétien" (allerchristlichsten Königs). In der Reformationszeit blieb Frankreich immer mehrheitlich katholisch, auch wenn es starke protestantische Minderheiten (Hugenotten) gab. Diese mussten aber spätestens nach der Bartholomäusnacht 1572 die Hoffnung auf ein protestantisches Frankreich aufgeben. Als der Protestant Heinrich von Navarra Thronerbe Frankreichs wurde, trat er aus politisch-taktischen Gründen zum katholischen Glauben über ("Paris vaut bien une messe", „Paris ist eine Messe wert“), garantierte aber gleichzeitig im Edikt von Nantes 1598 den Protestanten Sonderrechte und insbesondere Religionsfreiheit. Das Edikt von Nantes wurde 1685 unter Ludwig XIV. wieder aufgehoben, was trotz schwerster Strafandrohungen zu einer Massenflucht der Hugenotten ins benachbarte protestantische Ausland führte. Erst kurz vor der Französischen Revolution erhielten die Protestanten eine begrenzte Glaubensfreiheit zugestanden. Die Französische Revolution hob dann alle Beschränkungen der Glaubensfreiheit auf. Es kam in den Jahren nach der Revolution in der Ersten Französischen Republik zu einer kurzen Phase einer heftigen Kirchenfeindlichkeit, da die katholische Kirche als Vertreterin des Ancien Régime gesehen wurde. Nicht nur die Privilegien der Kirche, sondern sogar der christliche Kalender und Gottesdienst wurden abgeschafft und durch einen Revolutionskalender bzw. einen „Kult des höchsten Wesens“ ersetzt. Unter Napoleon Bonaparte kam es mit dem Konkordat von 1801 aber wieder zu einem Ausgleich zwischen katholischer Kirche und Staat. Unter der bourbonischen Restauration nach 1815 gewannen die katholisch-monarchistische Ideen wieder die Oberhand: So wurden die 1823 zur Niederschlagung der liberalen Revolution nach Spanien entsandten bourbonischen Truppen als die „100.000 Söhne des heiligen Ludwig“ bezeichnet, die jesuitische Mission in Übersee wurde gefördert. In der Dritten Republik ergab sich erneut ein Konflikt zwischen Kirche und Staat. Letztlich war dieser Konflikt Teil der Auseinandersetzungen zwischen den republikanischen, „liberalen“ Kräften auf der einen Seite und restaurativen, konservativen Strömungen, die einen autoritären Umbau des Staates bis hin zur Wiedereinführung der Monarchie anstrebten, auf der anderen. Die katholische Kirche als Institution wurde zu den letzten gerechnet, und viele Republikaner nahmen ausgesprochen antiklerikale Standpunkte ein. Mit dem am 9. Dezember 1905 verabschiedeten Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat wurden der Kirchenbesitz weitgehend enteignet und die strikte Trennung von Kirche und Staat festgeschrieben. Da die heutigen drei Départements Moselle, Haut Rhin und Bas Rhin damals als Reichsland Elsaß-Lothringen zum Deutschen Kaiserreich gehörten, fand das Gesetz dort keine Anwendung und wurde auch später, als Elsaß-Lothringen nach dem Ersten Weltkrieg 1918 wieder zu Frankreich kam, dort nicht eingeführt. Dort gilt bis heute im Wesentlichen die Regelung von 1801. Katholische Priester, protestantische Pfarrer und jüdische Rabbiner werden in diesen drei Départements vom französischen Staat bezahlt und an öffentlichen Schulen wird katholischer und protestantischer Religionsunterricht angeboten. Außerdem sind die kirchlichen Feiertage Karfreitag und zweiter Weihnachtsfeiertag dort weiterhin arbeitsfreie Feiertage. Judentum und Islam. Die jüdische Gemeinschaft in Frankreich hat eine wechselhafte Geschichte. Seit der Römerzeit lebten Juden in Frankreich. Sie wurden jedoch in zwei Wellen 1306 unter Philipp IV. und 1394 unter Karl VI. alle des Landes verwiesen. Über viele Jahrhunderte gab es danach kaum ein jüdisches Leben in Frankreich. Einzige Ausnahme blieben die im 18. und 19. Jahrhundert erworbenen Gebiete im Osten des Landes, insbesondere das Elsass, das lange einen Sonderstatus besaß. Die Französische Revolution gewährte schließlich den Juden die bürgerliche Gleichberechtigung. Frankreich blieb aber bis Anfang des 20. Jahrhunderts ein Land mit vergleichsweise geringer jüdischer Bevölkerung. Nach dem Ersten, aber vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg setzte eine starke Zuwanderung aus Osteuropa und dem arabischen Mittelmeerraum ein, sodass Frankreich heute das Land Europas mit der größten jüdischen Bevölkerungsgruppe darstellt. Im Zusammenhang mit einem rasant steigenden Antisemitismus und der stagnierenden Wirtschaft gibt es jedes Jahr Tausende von jüdischen Auswanderern. Es wird vermutet, dass zwischen den Jahren 2010 und 2015 mehr als 100.000 Juden das Land verlassen haben, so dass es nur noch etwa 400.000 Juden in Frankreich gibt. Ebenfalls seit Ende des Zweiten Weltkrieges ist eine starke Zunahme des Anteils an Muslimen zu verzeichnen, die auf Zuwanderung aus den ehemaligen Kolonien zurückgeht. Der französische Zentralstaat fördert eine „Gallikanisierung des Islam“; er traut ihm Reformfähigkeit zu und fordert, dass der Islam eine Körperschaft als zentralen Ansprechpartner für den Staat benennt. Geschichte. Urgeschichte bis Frühmittelalter. Es wird geschätzt, dass das heutige Frankreich vor etwa 48.000 Jahren besiedelt wurde. Aus der Altsteinzeit sind in der Höhle von Lascaux bedeutende Felsmalereien erhalten geblieben. Ab 600 v. Chr. gründeten phönizische und griechische Händler Stützpunkte an der Mittelmeerküste, während Kelten vom Nordwesten her das Land besiedelten, das später von den Römern als Gallien bezeichnet wurde. Die keltischen Gallier mit ihrer druidischen Religion werden heute häufig als Vorfahren der Franzosen gesehen und Vercingetorix zum ersten Nationalhelden Frankreichs verklärt, wenngleich kaum gallische Elemente in der französischen Kultur verblieben sind. (Siehe auch Keltomanie) Zwischen 58 und 51 v. Chr. eroberte Caesar im Gallischen Krieg die Region; es wurden die römischen Provinzen Gallia Belgica, Gallia cisalpina und Gallia Narbonensis eingerichtet. In einer Periode von Prosperität und Frieden übernahmen diese Provinzen römische Fortschritte in Technik, Landwirtschaft und Rechtsprechung; große, elegante Städte entstanden. Ab dem 5. Jahrhundert wanderten vermehrt germanische Völker nach Gallien ein, die nach dem Zerfall des Römischen Reiches 476 eigene Reiche gründeten. Nach einer vorübergehenden Dominanz der Westgoten gründeten die Franken unter Chlodwig I. das Reich der Merowinger. Sie übernahmen zahlreiche römische Werte und Einrichtungen, u. a. den Katholizismus (496). Im Jahre 732 gelang es ihnen, in der Schlacht von Tours und Poitiers der von der iberischen Halbinsel ausgehenden Islamischen Expansion Einhalt zu gebieten. Die Karolinger folgten den Merowingern nach. Karl der Große wurde 800 zum Kaiser gekrönt, 843 wurde das Frankenreich mit dem Vertrag von Verdun unter Karls Enkeln geteilt; aus dem westlichen Teil entwickelte sich das Königreich Frankreich. Mittelalter. Das französische Mittelalter war geprägt durch den Aufstieg des Königtums im stetigen Kampf gegen die Unabhängigkeit des Hochadels und die weltliche Gewalt der Klöster und Ordensgemeinschaften. Die Kapetinger setzten, ausgehend von der heutigen Île-de-France, die Idee von einem Einheitsstaat durch, die Teilnahme an verschiedenen Kreuzzügen untermauerten dies. Die Wikinger fielen ab der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts wiederholt in den Unterlauf der Seine ein und siedelten sich dort an. Nachdem im Jahr 911 der westfränkische König Karl der Einfältige den Normannenführer Rollo mit der Grafschaft Rouen betraut hatte, wurde das Gebiet als Normandie bekannt. Im Jahre 1066 eroberten die romanisierten Normannen England. Unter König Ludwig VII. begann eine lange Serie kriegerischer Auseinandersetzungen mit England, nachdem Ludwigs geschiedene Frau Eleonore von Aquitanien 1152 Heinrich Plantagenet, ab 1154 König von England, geheiratet hatte und damit etwa die Hälfte des französischen Staatsgebiets an England gefallen war. Philipp II. August konnte England zusammen mit den Staufern bis 1299 weitgehend aus Frankreich verdrängen; der englische König Heinrich III. musste zudem Ludwig IX. von Frankreich als Lehnsherrn anerkennen. Ab 1226 wurde Frankreich zu einer Erbmonarchie; im Jahre 1250 war Ludwig IX. einer der mächtigsten Herrscher des Abendlandes. Nach dem Tod des letzten Kapetingers wurde 1328 Philipp von Valois zum neuen König gewählt, er begründete die Dynastie der Valois. Die Bevölkerung Frankreichs wird für diese Zeit auf 15 Millionen geschätzt. Das Land verfügte mit der Scholastik, der gotischen und romanischen Architektur über bedeutende kulturelle Errungenschaften. Thronansprüche, die Eduard III. Plantagenet, König von England und Herzog von Aquitanien, erhob, führen 1337 zum Hundertjährigen Krieg. Nach großen Anfangserfolgen Englands, das den gesamten Nordwesten Frankreichs eroberte, konnte Frankreich die Invasoren zunächst zurückdrängen. Eine Rebellion Burgunds und die Ermordung des Königs führten dazu, dass England sogar Paris und Aquitanien besetzen konnte. Erst der von Jeanne d’Arc entfachte nationale Widerstand führte zur Rückeroberung der verlorenen Gebiete (mit Ausnahme von Calais) bis 1453. Zusätzlich zum Hundertjährigen Krieg raffte die Pest von 1348 etwa ein Drittel der Bevölkerung dahin. Frühe Neuzeit. Mit der Eingliederung Burgunds und der Bretagne in den französischen Staat befand sich das Königtum auf einem vorläufigen Höhepunkt seiner Macht, wurde jedoch während der Renaissance in dieser Position durch Habsburg bedroht – der habsburgische Kaiser Karl V. beherrschte ein Reich, dessen Länder sich rund um Frankreich gruppierten. Ab der Reformation im frühen 16. Jahrhundert breitete sich, vor allem durch das Wirken von Johannes Calvin, der Protestantismus nach Frankreich aus. Die französischen Calvinisten, genannt Hugenotten, wurden in ihrer Glaubensausübung stark unterdrückt. Die Hugenottenkriege führten zu bis zu 4 Millionen Toten. Als Höhepunkt gilt die Bartholomäusnacht im Jahre 1572. Erst der erste Herrscher aus dem Haus Bourbon, Heinrich von Navarra, gewährte den Hugenotten im Edikt von Nantes 1598 Religionsfreiheit. Die Zeit der Renaissance war auch von einer stärkeren Zentralisierung geprägt, der König wurde von der Kirche und dem Adel unabhängig. Es gelang den leitenden Ministern und Kardinälen Richelieu und Jules Mazarin, einen absolutistischen Staat zu errichten. Auf Betreiben Richelieus griff 1635 Frankreich aktiv in den Dreißigjährigen Krieg in Mitteleuropa ein; im Zusammenhang damit kam es zum Krieg gegen Spanien. Im Westfälischen Frieden von 1648 erhielt Frankreich Gebiete im Elsass zugesprochen; das Heilige Römische Reich und Spanien wurden geschwächt. Es begann das Zeitalter der französischen Dominanz in Europa. Alle Herrscher Europas orientierten sich am Vorbild der französischen Kultur. Das Französische wurde zur dominierenden Bildungssprache. Die teuren Kriege und die Adelsopposition führten jedoch zum Staatsbankrott und zum Aufstand (Fronde). Mit dem Edikt von Fontainebleau 1685 hob Ludwig XIV. die Religionsfreiheit der Hugenotten wieder auf. Trotz schwerer Strafandrohungen flohen abermals zirka 200.000 Hugenotten. Mehr als 400.000 hintergebliebenen Protestanten konvertierten zum Katholizismus und weniger als 200.000 verblieben beim reformierten Glauben, zumeist im Languedoc (überwiegend in den Cevennen). Unter Ludwig XIV., dem sogenannten "Sonnenkönig", der 1643 als Vierjähriger inthronisiert wurde und bis 1715 herrschte, erreichte der Absolutismus seinen Höhepunkt. In dieser Zeit wurde das Schloss Versailles errichtet. Zeitalter der Revolutionen. Die Kriege, die die absolutistischen Könige führten (etwa Devolutionskrieg, Holländischer Krieg, Pfälzischer Erbfolgekrieg, Spanischer Erbfolgekrieg, Siebenjähriger Krieg, Teilnahme am Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg), ihre teure Hofhaltung und Missernten lösten eine große Finanzkrise aus, die König Ludwig XVI. dazu zwang, die Generalstände einzuberufen. Die Nationalversammlung arbeitete eine Verfassung aus, beschränkte die Macht des Königs und beendete das "Ancien Régime". Die sich weiter verschlechternden Lebensbedingungen des Volkes führten 1789 zur Französischen Revolution mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte als zentraler Errungenschaft. Die Kirche wurde enteignet und sogar ein neuer Kalender eingeführt. Die 1791 verabschiedete Verfassung machte Frankreich zu einer konstitutionellen Monarchie. Nach der versuchten Flucht des Königs wurde dieser verhaftet und 1793 hingerichtet, die Erste Republik wurde verkündet. Die erste Erfahrung mit republikanischer Herrschaft, die auf dem Gleichheitsprinzip beruhte, endete jedoch im Chaos und der Terrorherrschaft unter Robespierre. Napoleon Bonaparte ergriff in dieser Situation 1799 mit einem Staatsstreich die Macht als Erster Konsul; 1804 krönte er sich selbst zum Kaiser. In den folgenden Koalitionskriegen brachte er fast ganz Europa unter seine Kontrolle. Sein Russlandfeldzug 1812 wurde jedoch ein Fehlschlag, die Völkerschlacht bei Leipzig 1813 besiegelte die Niederlage der französischen Truppen. Während des Exils in Elba regierte mit Ludwig XVIII. wieder ein Bourbone, Napoleon kam 1815 zurück und regierte weitere hundert Tage. Nach der Niederlage in der Schlacht bei Waterloo wurde er endgültig verbannt. Die Restauration brachte wieder die Bourbonen auf den Thron, die darangingen, das verlorene Kolonialreich wieder aufzubauen. In Frankreich fand gleichzeitig die Industrielle Revolution statt, wobei sich langsam eine Arbeiterklasse herausbildete. Die Julirevolution von 1830 stürzte den despotisch regierenden Karl X., der durch den "Bürgerkönig" Louis-Philippe I. ersetzt wurde. Eine erneute bürgerliche Revolution brachte Frankreich 1848 die Zweite Republik. Zum Präsidenten der Zweiten Republik wurde Louis Napoléon Bonaparte gewählt, der sich bereits 1852 als Napoleon III. zum Kaiser krönen ließ. Unter seiner Herrschaft wurde Opposition gewaltsam unterdrückt, außenpolitisch gelangen jedoch Unternehmen wie der Erwerb von Nizza und Savoyen, die Eingliederung von Äquatorialafrika und Indochina ins Kolonialreich und der Bau des Sueskanals. Seine Herrschaft fällt zusammen mit der Nationalstaatsbildung in Deutschland unter Führung des Norddeutschen Bundes. Der Deutsch-Französische Krieg, den Napoleon III. begann, um einen mächtigen Konkurrenten um die Hegemonie in Europa zu verhindern, endete mit einer Niederlage, Wilhelm I. ließ sich im Spiegelsaal von Versailles zum deutschen Kaiser proklamieren. Die "Pariser Kommune", ein Aufstand, der sich gegen die Kapitulation richtete, wurde mit Gewalt und zahlreichen Todesopfern niedergeschlagen. Imperialismus, Kolonialismus, Erster und Zweiter Weltkrieg. Schon unter Karl X. wurde zur Ablenkung von innenpolitischen Schwierigkeiten unter einem Vorwand 1830 Algier besetzt. 1831 wurde zur Absicherung die Fremdenlegion gegründet. Algerien wurde zur Kornkammer Frankreichs. Bis 1906 stieg der Anteil der französischen Siedler, später „Pieds-noirs“ genannt, auf 13 Prozent der Bevölkerung. 1854 wurden an der Küste des Senegal erste französische Stützpunkte errichtet. Bis zum Jahr 1891 kam das gesamte Gebiet des heutigen Senegal unter französische Kontrolle. Die Dritte Republik währte von 1871 bis 1940. In dieser Zeit dehnte sich das französische Kolonialreich auf eine Fläche von 7,7 Millionen Quadratkilometer aus. Die Industrialisierung Frankreichs führte zu einem Wirtschaftsaufschwung: 1878, 1889 und 1900 fanden in Paris Weltausstellungen statt. Zwischen Frankreich und dem Vereinigten Königreich kam es zu einem Wettlauf um Afrika. Beide Länder praktizierten Imperialismus. Höhepunkt des „Wettlaufs“ war die Faschoda-Krise 1898 zwischen den beiden Ländern. Das Vereinigte Königreich hatte sich zum Ziel gesetzt, einen Nord-Süd-Gürtel von Kolonien in Afrika zu erobern, vom Kap der Guten Hoffnung bis Kairo („Kap-Kairo-Plan“). Frankreich wollte dagegen einen Ost-West-Gürtel von Dakar bis Dschibuti. Die Ansprüche beider Staaten kollidierten schließlich in dem kleinen sudanesischen Ort Faschoda. Frankreich gab letztlich kampflos nach; die beiden Länder steckten im März 1899 ihre Interessengebiete ab („Sudanvertrag“). Die Dritte Republik erlebte mit dem Panamaskandal (1889–1893), der Faschoda-Krise und der Dreyfus-Affäre (1894–1905) drei große Krisen innerhalb von zehn Jahren. Die Römisch-katholische Kirche in Frankreich praktizierte jahrzehntelang eine antimodernistische Haltung; unter anderem deshalb wurde Frankreich – auch im Zuge der Dreyfus-Affäre – zu einem ausgeprägt laizistischen Staat („Gesetz zur Trennung von Religion und Staat“ im „Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat“ vom Dezember 1905). 1904 schloss Frankreich mit dem Vereinigten Königreich die „Entente cordiale“ und trat 1914 in den Ersten Weltkrieg ein mit dem Ziel, Elsass-Lothringen zurückzugewinnen und Deutschland entscheidend zu schwächen. Nach dem Krieg war Frankreich zwar auf der Siegerseite, Nordfrankreich war jedoch weitgehend verwüstet. Zu den 1,5 Millionen gefallenen Soldaten kamen 166.000 Opfer der Spanischen Grippe 1918/19. Die Zwischenkriegszeit war in Frankreich vor allem von politischer Instabilität gekennzeichnet. Im Friedensvertrag von Versailles wurde Deutschland 1919 verpflichtet, hohe Reparationen an die Siegermächte zu leisten. Vor allem der französische Ministerpräsident und Außenminister Poincaré bestand auf einer kompromisslosen und pünktlichen Erfüllung der Leistungen. Französisches Militär nahm Verzögerungen der Lieferungen mehrfach zum Anlass, in unbesetztes Gebiet einzurücken. Beispielsweise besetzten am 8. März 1921 französische und belgische Truppen die Städte Duisburg und Düsseldorf in der Entmilitarisierten Zone. In der Folge wurde vorübergehend sogar das Ruhrgebiet besetzt. Die ab 1934 regierende „Volksfront“ war vor allem auf den Erhalt des Status quo aus, sodass Frankreich schlecht auf den Zweiten Weltkrieg vorbereitet war: In ihrem Westfeldzug umgingen die deutschen Truppen die Maginot-Linie und marschierten in ein unverteidigtes Paris ein. Marschall Pétain musste am 22. Juni 1940 den „zweiten Waffenstillstand von Compiègne“ (in Frankreich: "Armistice de Rethondes") unterzeichnen. Frankreich wurde in eine "zone occupée" und eine "zone libre" geteilt, wobei in Letzterer das von Deutschland abhängige konservativ-autoritäre Vichy-Regime regierte. Bereits kurz nach der Unterzeichnung des Waffenstillstands bildeten sich Gruppen der Résistance, in London gründete Charles de Gaulle die Exilregierung "Forces françaises libres". In der von den Alliierten durchgeführten Operation Overlord wurde Nordfrankreich 1944 zurückerobert. Einen Monat nach der Befreiung von Paris im August 1944 bildete de Gaulle eine provisorische Regierung. Diese beschloss unter anderem im Oktober 1944 das Frauenwahlrecht, das den Französinnen bis dahin verwehrt geblieben war. Zur Anwendung kam es das erste Mal bei den Kommunalwahlen am 29. April 1945 und auf nationaler Ebene bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 21. Oktober 1945. Nachkriegszeit und europäische Einigung. Die Verfassung der Vierten Republik war bereits am 13. Oktober 1946 durch einen Volksentscheid beschlossen worden. Frankreich, das sich auf Seiten der Siegermächte wiederfand, wurde zum Gründungsmitglied der Vereinten Nationen und erhielt im Sicherheitsrat ein Veto-Recht. Frankreich erhielt zur Förderung des Wiederaufbaus unter anderem Unterstützungsleistungen aus dem Marshallplan; unter Ökonomen ist umstritten, ob diese volkswirtschaftlich nennenswerte Wirkungen hatten. Der nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzende lange wirtschaftliche Nachkriegsboom wurde als Trente Glorieuses bezeichnet. 1949 war Frankreich Gründungsmitglied der NATO; 1951 wurde mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl der erste Schritt zur Europäischen Integration gesetzt. Im März 1957 wurden die Römischen Verträge unterzeichnet; zum 1. Januar 1958 wurde die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegründet, aus der mittlerweile die Europäische Union geworden ist und in der Frankreich ein aktives und bedeutendes Mitglied ist. Die Nachkriegszeit war auch durch den Zerfall des Kolonialreiches geprägt. Der erste Indochinakrieg (1946–1954) endete mit der Schlacht um Điện Biên Phủ und dem Verlust aller französischen Kolonien in Südostasien. Einen noch tieferen Schnitt bedeutete der Algerienkrieg (1954–1962), der mit großer Härte geführt wurde und an dessen Ende Algerien in die Unabhängigkeit entlassen werden musste. Hunderttausende Pied-noirs flohen nach Frankreich, wo ihre Integration in die französische Gesellschaft nicht immer reibungslos verlief (siehe auch Dekolonisation Afrikas). Innenpolitisch wurde die instabile Vierte Republik im Oktober 1958 durch die Fünfte Republik abgelöst, die einen starken, von der Legislative weitgehend unabhängigen Präsidenten vorsieht. Diese Fünfte Republik wurde durch Studentenproteste und einen Generalstreik im Mai 1968 im Rahmen der weltweiten 68er-Bewegung erschüttert, was langfristig kulturelle, politische und ökonomische Reformen nach sich zog. Um 1971, also schon vor der Ölpreiskrise von 1973, beschloss Frankreich, sich durch Nutzung der Kernenergie vom Erdöl unabhängiger zu machen (siehe Kernenergie in Frankreich). Eine weitere Zäsur war 1981 die Regierungsübernahme durch die Sozialistische Partei und die Präsidentschaft von François Mitterrand, die bis Mai 1995 andauerte. Während ihr wurden unter anderem Verstaatlichungen vorangetrieben, die Todesstrafe abgeschafft, die 39-Stunden-Woche und andere soziale Reformen eingeführt; 1992 wurde der Vertrag von Maastricht zur europäischen Integration ratifiziert. Mitterrands Nachfolger Jacques Chirac setzte die Einführung des Euro um und verweigerte 2002/2003 die Teilnahme am Irakkrieg. Dem ab 2007 amtierenden Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy (UMP) folgten 2012 François Hollande (Parti socialiste) und 2017 Emmanuel Macron, der unter Hollande Minister gewesen war, die Regierung aber 2016 verlassen und seine eigene Partei "En Marche" gegründet hatte. Im Rahmen der Eurokrise werden seit etwa 2010 Frankreichs Netto-Neuverschuldung, Staatsquote, Reformfähigkeit und anderes kritisch diskutiert. 2015 war Paris von mehreren islamistischen Terroranschlägen betroffen: Am 7. Januar kamen bei einem Attentat auf die Redaktion der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" zwölf Menschen ums Leben. Am 9. Januar wurden bei der Geiselnahme an der Porte de Vincennes in einem koscheren Supermarkt vier Menschen ermordet. Am Abend des 13. November verübten Terroristen an sechs verschiedenen Orten in der Stadt Anschläge, bei denen 130 Menschen starben. Zu diesen Anschlägen bekannte sich die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS). Am Folgetag wurde der Ausnahmezustand verhängt. Nach sechsmaliger Verlängerung wurde der Ausnahmezustand zum 1. November 2017 offiziell beendet. An seine Stelle trat ein neues Anti-Terror-Gesetz, das den Sicherheitskräften mehr Befugnisse verleiht; insbesondere kann seither ohne Richterbeschluss die Bewegungsfreiheit von Gefährdern drastisch eingeschränkt werden. Politik. Seit der Annahme einer neuen Verfassung am 5. Oktober 1958 wird in Frankreich von der Fünften Republik gesprochen. Diese Verfassung macht Frankreich zu einer zentralistisch organisierten Demokratie mit einem semipräsidentiellen Regierungssystem. Gegenüber früheren Verfassungen wurde die Rolle der Exekutive und vor allem jene des Präsidenten weitgehend gestärkt. Dies war die Reaktion auf die politische Instabilität in der Vierten Republik. Sowohl Präsident als auch Premierminister spielen eine aktive Rolle im politischen Leben, wobei der Präsident nur dem Volk gegenüber verantwortlich ist. Die Macht des Parlaments wurde in der Fünften Republik eingeschränkt. Seit den 1980er-Jahren wurde die Verfassung modernisiert, vor allem durch die Dezentralisierung. Die Verfassung enthält keinen Grundrechtekatalog, sondern verweist auf die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 und die in der Verfassung der Vierten Französischen Republik von 1946 festgehaltenen sozialen Grundrechte. Absolventen der 1946 gegründeten Elitehochschule ENA konnten sich in politischen Ämtern, in Schlüsselpositionen der Verwaltung und im Management großer französischer Unternehmen durchsetzen. Exekutive. Laut Verfassung ist der direkt vom Volk gewählte Staatspräsident das höchste Staatsorgan. Er steht über allen anderen Institutionen. Er wacht über die Einhaltung der Verfassung, sichert das Funktionieren der öffentlichen Gewalten, die Kontinuität des Staates, die Unabhängigkeit, die Unverletzlichkeit des Staatsgebietes und die Einhaltung von mit anderen Staaten geschlossenen Abkommen. Er tritt als Schiedsrichter bei Streitigkeiten zwischen staatlichen Institutionen auf. Er verkündet Gesetze (Art. 10) und hat das Recht, sie dem Verfassungsrat zur Prüfung vorzulegen. Er darf Gesetze oder Teile davon an das Parlament zur Neuberatung zurückweisen, hat aber kein Vetorecht. Dekrete und Verordnungen werden vom Ministerrat, dessen Vorsitz der Präsident führt, beschlossen; gegenüber diesen hat der Präsident ein aufschiebendes Veto. Bei der Außen- und Sicherheitspolitik verfügt der Staatspräsident sowohl über die Richtlinien- als auch über die Ratifikationskompetenz, sodass er sowohl die Außenpolitik gestaltet als auch völkerrechtliche Vereinbarungen für Frankreich verbindlich eingeht. Diese Praxis schälte sich in der Regierungszeit de Gaulles heraus und ist nicht zwingend der Verfassung zu entnehmen. Auf Antrag der Regierung oder des Parlamentes darf der Präsident Volksabstimmungen initiieren. Er ernennt Mitglieder wichtiger Gremien, etwa drei der neun Mitglieder des Verfassungsrates, alle Mitglieder des Obersten Rates für den Richterstand sowie die Staatsanwälte. Der Staatspräsident ist keiner Kontrolle durch die Judikative unterworfen, dem Parlament gegenüber ist er nur bei Hochverrat verantwortlich. Außerdem befiehlt der Staatspräsident über die Streitkräfte und den Einsatz der Atomwaffen; im Falle der Ausrufung des Notstandes hat der Präsident fast unbeschränkte Autorität. Dem Präsidenten steht das Präsidialamt als Berater und Unterstützer zur Seite. Der Präsident leitet die ihm verliehene staatliche Autorität an den Premierminister und die Regierung weiter, wobei die Regierung die vom Präsidenten vorgegebenen Richtlinien umzusetzen hat. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Präsidenten und Premierminister, die in einer "Cohabitation" schwierig sein kann, also wenn Präsident und Premierminister aus zwei entgegengesetzten politischen Lagern kommen. Der Präsident ernennt formell ohne jegliche Einschränkungen einen Premierminister und, auf Vorschlag des Premierministers, die Regierungsmitglieder. Die Regierung hängt in der Folge vom Vertrauen des Parlamentes ab, der Präsident kann eine einmal ernannte Regierung formal nicht entlassen. Die Regierung besteht aus Ministern, Staatsministern, "ministres délegués", also Ministern mit speziellen Aufgaben, und Staatssekretären. Regierungsmitglieder dürfen in Frankreich kein anderes staatliches Amt, keine sonstige Berufstätigkeit oder Parlamentsmandat ausüben. Sie sind in ihrer Funktion dem Parlament verantwortlich. Legislative. Das Parlament der V. Republik besteht aus zwei Kammern. Die Nationalversammlung "(Assemblée nationale)" hat 577 Abgeordnete, die direkt auf fünf Jahre gewählt werden. Der Senat hat 348 Mitglieder (seit 2011, Stand 2015). Diese werden indirekt für eine Amtszeit von sechs Jahren gewählt. Die Wahl des Senats wird auf Ebene der Départements durchgeführt, wobei das Wahlkollegium aus den Abgeordneten des Départements, den Generalräten und Gemeindevertretern besteht. Die Wahlen zur Nationalversammlung 1967, 1973, 1978, 1986, 2002, 2007, 2012 und 2017 fanden turnusgemäß statt, die übrigen waren vorgezogene Wahlen. Die Initiative für Gesetze kann vom Premierminister oder einer der beiden Parlamentskammern ausgehen. Nach der Debatte in den Kammern muss der Gesetzestext von beiden Kammern gleichlautend verabschiedet werden, wobei das Weiterreichen des Textes als "navette" bezeichnet wird. Nach der Annahme durch das Parlament hat der Präsident nur einmal das Recht, einen Gesetzestext zurückzuweisen. Das Parlament hat zudem die Aufgabe, die Arbeit der Regierung durch Anfragen und Aussprachen zu kontrollieren. Die Nationalversammlung hat die Möglichkeit, die Regierung zu stürzen. Das Parlament hat nicht die Befugnis, den Staatspräsidenten politisch herauszufordern. Der Staatspräsident darf jedoch die Nationalversammlung auflösen; von diesem Recht wurde in der Vergangenheit wiederholt Gebrauch gemacht, um schwierige Phasen der "Cohabitation" zu beenden. Eine häufige Erscheinung ist Ämterhäufung: Viele Senatoren und Abgeordnete sind zugleich als Bürgermeister in der Kommunalpolitik aktiv. Dies sollte ab 2017 nicht mehr legal sein. Recht. Nach einer wechselvollen Geschichte des Rechts in Frankreich übernimmt heute, in der Fünften Republik, der Verfassungsrat "(Conseil constitutionnel)" die Kontrollfunktion innerhalb des politischen Systems. In einem nicht erneuerbaren Mandat ernennen der Staatspräsident und die Präsidenten der Nationalversammlung und des Senats jeweils drei Abgeordnete für eine Amtszeit von neun Jahren. Der Rat überprüft Gesetze auf Anfrage, überwacht die Gesetzesmäßigkeit von Wahlen und Referenden. Für eine Überprüfung von Gesetzen sind jeweils 60 Abgeordnete der Nationalversammlung (10,4 Prozent der Abgeordneten) oder des Senats (18,1 Prozent der Senatoren) nötig. Die Todesstrafe wurde in Frankreich 1981 abgeschafft. Staatshaushalt. 1974 hatte der Staatshaushalt zum letzten Mal keine Neuverschuldung; er war ausgeglichen. 2016 umfasste er Ausgaben von 1369 Milliarden US-Dollar, dem standen Einnahmen von 1288 Milliarden US-Dollar gegenüber. Das Haushaltsdefizit betrug also 81 Milliarden US-Dollar beziehungsweise 3,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Staatsverschuldung betrug 2010 1591 Milliarden Euro oder 82,3 Prozent des BIP. Damit lagen Neuverschuldung und die Staatsschuldenquote in Frankreich weit über der in den EU-Konvergenzkriterien („Maastricht-Kriterien“) genannten Obergrenzen von 3 Prozent pro Jahr bzw. 60 Prozent ( AEU-Vertrag). Im Jahr 2021 betrug die Neuverschuldung 5,2 Prozent des BIP. Die Staatsverschuldung betrug in diesem Jahr 1.717,3 Milliarden Euro. Ende 2012 stieg der Schuldenstand auf rund 89 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der größte Posten im Budget 2012 waren die Zinszahlungen: insgesamt rund 48,8 Milliarden Euro. Das Schatzamt (siehe auch Agence France Trésor) hat die Ermächtigung, Staatsanleihen im Wert von 179 Milliarden Euro auszugeben, um die Schuldenlast zu finanzieren. Im Rahmen der Eurokrise wurde Frankreich ab 2012 von den Kreditbewertungsagenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch Ratings teils mehrfach herabgestuft; Präsident Sarkozy hatte angekündigt, in den kommenden fünf Jahren rund 65 Milliarden Euro im Haushalt einzusparen, falls er bei den Französischen Präsidentschaftswahl 2012 wiedergewählt worden wäre. Unter Präsident François Hollande stiegen die Staatsschulden weiter an. Anfang 2015 gab die Europäische Kommission bekannt, dass sie auch 2015 und 2016 Haushaltsdefizite oberhalb der im Vertrag von Maastricht vorgesehenen Obergrenze von 3 % dulden würde. 2015 hatte Frankreich ein Defizit von 3,5 Prozent des BIP; nur vier der 28 EU-Länder hatten höhere Quoten. Frankreich wird auch 2016 und 2017 die Defizitobergrenze nicht erfüllen. Im Rahmen der COVID-19-Pandemie stieg die Staatsverschuldung 2020 auf über 100 Prozent des BIP. Anteil der Staatsausgaben (in Prozent des Bruttoinlandsprodukt): Politische Parteien. Die französische Parteienlandschaft zeichnet sich durch einen hohen Grad der Zersplitterung und hohe Dynamik aus. Neue Parteien entstehen und existierende Parteien ändern häufig ihre Namen. Die Namen der Parteien geben nur sehr bedingt über ihre ideologische Ausrichtung Aufschluss, denn es ist zu einer gewissen Begriffsentfremdung gekommen. Französische Parteien haben in der Regel relativ wenige Mitglieder und eine schwache Organisationsstruktur, die sich häufig auf Paris als den Ort, wo die meisten Entscheidungen getroffen werden, konzentriert. Die politische Linke wird von der sozialistischen Parti socialiste (PS) beherrscht. Sie stellte den langjährigen Staatspräsidenten François Mitterrand und mehrere Premierminister; von 2012 bis 2017 war mit François Hollande erneut ein PS-Politiker Staatspräsident. Bedeutende Parteien links der Mitte sind zudem die Parti radical de gauche und die Linkspartei Parti de Gauche. Die historisch bedeutsame Französische Kommunistische Partei, in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts fast bis in die Bedeutungslosigkeit gerutscht, bildete ab 2009 mit der "Parti de Gauche" das Wahlbündnis Front de gauche, in dem sie aber nicht an die Erfolge früherer Jahrzehnte anknüpfen konnte. Die grüne Partei in Frankreich heißt Europe Écologie-Les Verts, wobei grüne Politik in Frankreich tendenziell weniger Zulauf genießt als in den deutschsprachigen Staaten. Das konservative Lager wird dominiert von der gaullistischen Partei, die seit dem Beginn der Fünften Republik mehrmals ihren Namen geändert hat und seit 2015 Les Républicains heißt. Neben Charles de Gaulle stellte sie in der Fünften Republik die Staatspräsidenten Georges Pompidou, Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy. Sie teilt sich die Besetzung des bürgerlichen Lagers mit verschiedenen zentristisch ausgerichteten Parteien, darunter dem Parteienbündnis Union des démocrates et indépendants (UDI) und der Partei Mouvement démocrate (MoDem). Deutlich weiter rechts von der politischen Mitte angesiedelt ist der Front National. Seit er 2011 von Marine Le Pen graduell neu ausgerichtet wurde, hat er sich zu einem starken dritten Lager entwickelt, was in der Teilnahme Le Pens an der Stichwahl zum Amt des Präsidenten 2017 gipfelte. 2016 gründete Macron für seine Präsidentschaftskampagne die politische Bewegung "En Marche!" und betonte, die Teilnahme sei mit der Mitgliedschaft in anderen Parteien vereinbar. Der Charakter einer offenen Bewegung ging jedoch bald verloren. Am 8. Mai 2017 erfolgte die Umbenennung in "La République en marche". Inzwischen ist sie eine Partei wie andere. Außen- und Sicherheitspolitik. Frankreich ist eine Atommacht sowie Vetomacht im UN-Sicherheitsrat und betreibt eine aktive Außenpolitik. Mit Botschaften in 160 Ländern hatte Frankreich 2017 die dritthöchste Anzahl an ausländischen Botschaften hinter den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik China. Nach dem Zweiten Weltkrieg gaben Deutschland und Frankreich die seit 1870/71 währende Erbfeindschaft auf; unter anderem vor dem Hintergrund des Kalten Krieges. Zwischen den beiden Ländern entstanden enge Beziehungen. Beide Länder waren Gründungsmitglieder der Europäischen Union. Zeitweise wurde ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ diskutiert mit Deutschland, Frankreich und einigen weiteren Staaten in einem Kerneuropa. Generell folgen Frankreichs Grundinteressen in der Europäischen Union jedoch dem intergouvernementalen Ansatz, welcher zunächst keine Übertragung weiterer Kompetenzen auf die EU-Ebene vorsieht. Zentrales Ziel der französischen Europapolitik ist, die Führungsrolle Frankreichs in Europa zu festigen. Aufgeweicht wird diese Position jedoch teilweise durch neue pragmatische Ansätze. Besonders in der Klima- und Energie-, der Wirtschafts- und Finanz- sowie der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist Frankreich vermehrt Vorreiter europäischer Positionen. Der grundsätzliche Fokus auf nationalen Interessen bleibt allerdings erhalten. In der Eurokrise setzten sich Frankreich und Deutschland weitgehend für gemeinsame Positionen ein. Dies spiegelt sich in häufigen bilateralen Gesprächen zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und François Hollande, auch im Vorfeld offizieller Gipfeltreffen, wider. Ein wichtiges Anliegen Frankreichs auf EU-Ebene ist (Stand 2008) der Aufbau einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Frankreich ist zudem ständiges Mitglied im UNO-Sicherheitsrat mit Vetorecht. Über die Vereinten Nationen koordiniert es seine internationale Entwicklungszusammenarbeit und sein humanitäres Engagement. Frankreich war 1949 Gründungsmitglied des Nordatlantikvertrages (NATO) und erhielt militärischen Schutz durch die Vereinigten Staaten. Mit der Machtübernahme von de Gaulle 1958 änderten sich die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und zu der von den USA dominierten NATO dahingehend, dass Frankreich 1966 seine militärische Integration in die Strukturen der NATO aufgab und ausschließlich politisch integriert blieb. Im März 2009 kündigte Präsident Sarkozy die vollständige Rückkehr Frankreichs in die Kommandostruktur der NATO an. Das französische Parlament bestätigte am 17. März 2009 diesen Schritt, indem es Sarkozy das Vertrauen aussprach. Unter de Gaulles Führung entwickelte sich Frankreich 1960 zu einer Atommacht und verfügte ab 1965 mit der Force de dissuasion nucléaire française über Atomstreitkräfte, die zunächst 50 mit Kernwaffen (Atombomben) ausgestattete Flugzeuge in Dienst stellte. 1968 hatte Frankreich bereits 18 Abschussrampen für Mittelstreckenraketen aufgestellt, die 1970 und 1971 mit Atomsprengköpfen ausgestattet wurden. In den 1970er-Jahren erweiterte Frankreich seine Atommacht auch auf See. Vier Atom-U-Boote tragen je 16 atomar bestückte Mittelstreckenraketen. Eine weitere Säule der französischen Außenpolitik ist die internationale Kooperation auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik und der Entwicklungszusammenarbeit bei ständiger Wahrung der französischen Souveränität. Dazu ist Frankreich Mitglied in zahlreichen sicherheitspolitischen Organisationen wie der OSZE und nimmt am Eurokorps teil. Frankreich hat bisher (Stand 2020) nicht verlautbaren lassen, auf das Potenzial seiner Atomwaffen verzichten zu wollen. Ebenfalls von großer Bedeutung für die französischen Außenbeziehungen ist die französische Kulturpolitik und die Förderung der Frankophonie. International hat die französische Sprache mit ungefähr 140 Millionen Sprechern einen hohen Stellenwert. Dies unterstützt das französische Außenministerium mit einer Unterabteilung namens AEFE, deren etwa 280 Schulen in ungefähr 130 Ländern von rund 16.000 Jugendlichen besucht werden. Die Leistungen der knapp 1000 Lokalitäten der "Agence française" nehmen ungefähr 200.000 Studenten in aller Welt in Anspruch. Hinzu kommt ein Engagement auch nach Ende der Kolonialherrschaft in Afrika, wo Frankreich bis heute in einigen Ländern die bestimmende Ordnungsmacht geblieben ist. In den Jahren 2020 und 2021 waren je rund 17.500 bis 18.500 Soldaten im Ausland und in Übersee-Departements stationiert. Militär. Frankreich hat einen der höchsten Rüstungsetats der Welt und gehört zu den führenden Militärmächten sowie zum Kreis der offiziellen Atomwaffenstaaten. Die französischen Streitkräfte sind seit Ende der 1990er-Jahre eine Berufsarmee und umfassen 350.000 Männer und Frauen. Frankreich gab 2017 knapp 2,3 Prozent seiner Wirtschaftsleistung oder 57,8 Milliarden US-Dollar für seine Streitkräfte aus und lag damit weltweit auf dem sechsten Platz. International liegen die französischen Streitkräfte auf dem siebten Platz der schlagkräftigsten Streitkräfte, in der NATO sind sie das zweitstärkste Militär. 20.000 Soldaten sind in den Übersee-Départements und -territorien stationiert, weitere 8.000 in afrikanischen Staaten, mit denen Verteidigungsabkommen vereinbart wurden. Die Streitkräfte teilen sich dabei in die drei klassischen Sektoren Heer "(Armée de terre)", Luftwaffe "(Armée de l’air)" und Marine "(Marine nationale)". Frankreichs Nuklearstreitkräfte "(Force de dissuasion nucléaire)" mit ca. 350 Sprengköpfen stellen die Marine und zum kleineren Teil die Luftwaffe. Weiterhin ist die Polizeitruppe "Gendarmerie nationale" dem Verteidigungsministerium unterstellt. Militärisches und populärkulturelles Aushängeschild des französischen Militärs ist die Fremdenlegion "(Légion étrangère)". Administrative Gliederung. Frankreich gilt spätestens seit Ludwig XIII. und Kardinal Richelieu als Inbegriff des zentralisierten Staates. Zwar wurden später Maßnahmen zur Dezentralisierung ergriffen, diese hatten jedoch eher den Zweck, die Zentralgewalt näher zum Bürger zu bringen. Erst seit der Verwaltungsreform der Jahre 1982 und 1983 wurden Kompetenzen von der Zentralregierung auf die Gebietskörperschaften verlagert. Auf oberster Ebene ist Frankreich seit dem 1. Januar 2016 in 18 Regionen "(régions)" gegliedert, zuvor waren es 27. Regionen gibt es erst seit 1964, seit 1982/83 haben sie den Status einer "Collectivité territoriale" (Gebietskörperschaft). Jede Region verfügt über einen vom Volk gewählten Regionalrat "(Conseil régional)", der wiederum einen Präsidenten wählt. Weiterhin ist der vom französischen Staatspräsidenten ernannte Präfekt des Hauptortes auch Präfekt der gesamten Region, womit er über den anderen Präfekten der Départements steht. Regionen sind zuständig für die Wirtschaft, die Infrastruktur der Berufs- und Gymnasialausbildung und finanzieren sich über Steuern, die sie erheben dürfen, und über Transferzahlungen der Zentralregierung. Korsika hat unter den Regionen einen Sonderstatus und wird als "Collectivité territoriale" bezeichnet. Fünf Regionen (Französisch-Guayana, Guadeloupe, Martinique, Mayotte und Réunion) befinden sich in Übersee und hatten bis zur Verfassungsänderung 2003 den Status eines "Übersee-Départements". Die Regionen bilden die europäische Statistikebene NUTS-2 (auf der übergeordneten Ebene NUTS-1 bestehen 8+1 "Zones d’études et d’aménagement du territoire" (ZEAT, Raumplanungs- und -ordnungszonen)). Eine Region ist ihrerseits in Départements unterteilt. Départements ersetzten 1790 die traditionellen Provinzen, um den Einfluss der lokalen Machthaber zu brechen. Von den heute 103 Départements liegen 95 in Europa. Die hohe Zahl dieser relativ kleinen Verwaltungseinheiten ist immer wieder Gegenstand von Diskussionen. Départements wählen einen Départementrat "(Conseil départemental)", der einen Präsidenten als Exekutivorgan wählt. Erster Mann im Département ist jedoch der vom französischen Staatspräsidenten ernannte Präfekt. Départements haben die Aufgabe, sich um das Sozial- und Gesundheitswesen, die "Collèges", Kultur- und Sporteinrichtungen, Departementsstraßen und den Sozialbau zu kümmern. Sie dürfen Steuern erheben und erhalten Transferzahlungen der Zentralregierung. Die Départements bilden die europäische Statistikebene NUTS-3. Die 335 Arrondissements, davon 13 in Übersee, stellen keine eigene Rechtspersönlichkeit dar. Sie dienen vorrangig der Entlastung der Départementsverwaltung, in jedem Arrondissement liegt eine Sous-Préfecture. Ebenso dienen die 2054 Kantone (Cantons), 72 in Übersee, (Zahlen ab 2014) nur noch als Wahlbezirk für die Wahl der Départementräte. Die Arrondissements der Städte Paris, Lyon und Marseille haben den Status von Kantonen. Die kleinste und gleichzeitig älteste organisatorische Einheit des französischen Staates sind die Gemeinden "(communes)". Sie folgten 1789 den Pfarreien und Städten nach. In den letzten Jahren hat die enorm hohe Zahl der Kommunen leicht abgenommen. Waren es 2012 noch 36.700 Gemeinden, so ist die Zahl zu Beginn des Jahres 2017 auf 35.498 und zum 1. Januar 2022 auf 34.955 zurückgegangen, davon 129 in Übersee. Trotz der hohen Zahl der Gemeinden, die größtenteils nur sehr wenige Einwohner haben, kommen Bemühungen um eine Gemeindereform nur sehr schleppend voran. Jede Gemeinde wählt einen Gemeinderat "(Conseil municipal)", der dann aus seiner Mitte einen Bürgermeister wählt. Seit 1982 haben die Gemeinden deutlich mehr Rechte und werden vom Staat weniger bevormundet. Auf Gemeindeebene werden Grundschulbildung, Stadtplanung, Abfallbeseitigung, Abwasserreinigung und Kulturaktivitäten organisiert; auch sie finanzieren sich über eigene Steuern und Transferzahlungen. Verwaltungsrechtliche Sonderstatus gelten für die Überseegebiete ("Collectivités d’outre-mer", COM) Französisch-Polynesien, Saint-Barthélemy, Saint-Martin, Saint-Pierre und Miquelon, Wallis und Futuna, die Gebietskörperschaft mit Sonderstatus "(Collectivité sui generis)" Neukaledonien und die Französischen Süd- und Antarktisgebiete ("Terres australes et antarctiques françaises", TAAF) sowie die Clipperton-Insel. Frankreich sowie seine Überseeregionen und -départements und Saint-Martin sind Teil der Europäischen Union. Die restlichen Überseegebiete sind keine Mitglieder der Europäischen Union. In Frankreich erlassene Gesetze gelten in den COM (Collectivités d’outre-mer) nur, wenn dies ausdrücklich erwähnt ist. Wirtschaft. Traditionell betreiben staatliche Akteure in Frankreich eine intensive Wirtschaftspolitik und Industriepolitik; es gibt vergleichsweise starke staatliche Eingriffe. Die Ideen des Merkantilismus – speziell des Colbertismus – wirken in Frankreich bis heute nach. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Typus des „gemischten Unternehmens“ geschaffen. Mit dieser Partnerschaft von privatem und öffentlichen Kapital sollte der nationalen Industrie das Vordringen in Bereiche ermöglicht werden, in die sich privates Kapital allein nicht heranwagte (Ölindustrie: "Compagnie Française des Pétroles (CFP)." Chemie). Zuvor war es in Frankreich in ähnlichen Fällen üblich gewesen, dass der Staat einer einzelnen Firma eine exklusive Konzession erteilte. 1946 begann die damalige Regierung Frankreichs ein System der Planification. 1981 kam mit François Mitterrand der erste sozialistische Staatspräsident an die Regierung; er regierte bis Mai 1995 und betrieb zahlreiche Verstaatlichungen. Frankreich ist eine gelenkte Volkswirtschaft. Ein staatlich festgelegter Mindestlohn, der SMIC, sichert den Angestellten einen Brutto-Stundenlohn von 9,67 Euro (Stand 2016). Die französischen Exporte entstammen größtenteils dem Maschinenbau, der Automobilindustrie, der Luft- und Raumfahrttechnik, der Pharmaindustrie, der Elektronik, dem Weinbau und der Lebensmittelbranche. Auch der Tourismus und die Luxusgüterindustrie spielen eine große Rolle. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg in den Jahren 1995 bis 2005 um durchschnittlich 2,1 Prozent jährlich und erreichte 2005 den Wert von 1689,4 Milliarden Euro. Im Vergleich mit dem BIP der Europäischen Union, ausgedrückt in Kaufkraftstandards, erreichte Frankreich im Jahr 2014 einen Index von 107 (EU-28: 100). Frankreich war, laut einer Studie der Bank Credit Suisse aus dem Jahre 2017, das Land mit dem sechst-größten nationalen Gesamtvermögen weltweit. Der Gesamtbesitz der Franzosen an Immobilien, Aktien und Bargeld belief sich auf insgesamt 12.969 Milliarden US-Dollar. Das Vermögen pro erwachsene Person beträgt 263.399 Dollar im Durchschnitt und 119.720 Dollar im Median (Deutschland: 203.946 bzw. 47.091 Dollar). Der Gini-Koeffizient bei der Vermögensverteilung lag 2016 bei 72,0 was auf eine mittlere Vermögensungleichheit hindeutet. Die Erwerbstätigenstruktur hat sich gegenüber früher grundlegend gewandelt. So arbeiteten 2003 nur noch vier Prozent der Erwerbstätigen in der Land- und Forstwirtschaft und Fischerei, in der Industrie waren es 24 Prozent, im Dienstleistungsbereich 72 Prozent. Frankreich exportierte 2016 16,1 Prozent seines Exportvolumens nach Deutschland, das seinerseits am Import mit 19,6 Prozent beteiligt war. Deutschland ist seit vielen Jahren der wichtigste Handelspartner Frankreichs. Frankreich importierte 2016 Waren im Wert von etwa 517,2 Milliarden Euro und exportierte Waren im Wert von ca. 452,8 Milliarden Euro und hat damit ein Handelsbilanzdefizit. 2001 hatte das Defizit erst 5,8 Mrd. Euro betragen; 2016 betrug es 64,7 Mrd. Euro. Die EU-Kommission veröffentlichte im Februar 2016 einen Bericht, laut dem Frankreich seit der Jahrtausendwende ein Viertel seines Exportmarktanteils verloren hat; seine Wettbewerbsfähigkeit hat nachgelassen. Wirtschaftspolitisch bedeutend ist Frankreichs Teilnehmerschaft an der Europäischen Union. Das Land ist Gründungsmitglied aller EU-Vorgängerinstitutionen seit den 1950er-Jahren. Mit zusammen rund 500 Millionen Einwohnern erwirtschaftete die Europäische Union 2011 ein nominales Bruttoinlandsprodukt von 17,6 Billionen US-Dollar und bildet somit den größten Binnenmarkt der Welt. Frankreich ist auch Teil der Eurozone, einer Währungsunion von insgesamt 19 EU-Staaten, die etwa 330 Millionen Einwohner umfasst. Offizielles Zahlungsmittel in der Eurozone ist der Euro; seine Währungspolitik wird von der Europäischen Zentralbank gesteuert. Die vorherige Währung war bis 2002 der Französische Franc. Im Global Competitiveness Index, der die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes misst, belegt Frankreich Platz 22 von 137 Ländern (Stand 2017). Im Index für wirtschaftliche Freiheit belegt das Land im Jahr 2022 Platz 52 von 177 Ländern. Wirtschaftssituation. In Frankreich wuchs das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den Jahren 1999 bis 2008 in Frankreich durchschnittlich um 2 Prozent (zum Vergleich: Italien plus 1,2 Prozent, Deutschland plus 1,5 Prozent). Im Krisenjahr 2009 ging es um 2,9 Prozent zurück; 2007 und 2008 war es um jeweils um 2,4 Prozent gewachsen. 2018 wuchs das BIP um 1,9 Prozent und 2019 um 1,8 Prozent (siehe Wirtschaft Frankreichs#Aktuelle wirtschaftliche Lage). Das durchschnittliche Wachstum im Zeitraum 2005 bis 2010 betrug 0,6 Prozent. Die Arbeitslosigkeit betrug im Juli 2014 mit 3,3 Millionen Menschen 10,2 Prozent, ein Allzeithoch seit Aufzeichnungsbeginn 1955. 2014 waren gut 500.000 Menschen mehr arbeitslos als 2004. Im Juni 2018 lag die Arbeitslosigkeit immer noch bei 9,2 Prozent. Im Jahr 2017 betrug die Jugendarbeitslosigkeit 23,6 Prozent. 2016 arbeiteten 2,8 Prozent aller Arbeitskräfte in der Landwirtschaft, 20 Prozent in der Industrie und 77,2 Prozent im Dienstleistungssektor. Die Gesamtzahl der Beschäftigten wird für 2017 auf 30,68 Millionen geschätzt; davon sind 47 Prozent Frauen. Die Staatsverschuldung betrug 2021 2,8 Billionen Euro (siehe Wirtschaft Frankreichs#Aktuelle wirtschaftliche Lage). Die Staatsverschuldung stieg von 2008 bis 2014 64 Prozent auf 94 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Seit der Einführung des Euro hat Frankreichs Export ein Drittel seiner Weltmarktanteile verloren. Der Industrieanteil am französischen Bruttoinlandsprodukt ging von 18 Prozent auf 12,6 Prozent zurück. Frankreichs Anteil an den weltweiten Exporten ist von mehr als 6 Prozent im Jahr 2000 auf 4 Prozent 2012 gesunken. In Frankreich ist die Deindustrialisierung weit fortgeschritten: der Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt sank von 24 Prozent im Jahr 1980 auf 10 Prozent im Jahr 2021. Der Anteil der Staatsausgaben in Prozent des Bruttoinlandsproduktes betrug 2012 in Frankreich 57 Prozent. Sie gehören damit zu den höchsten in den Industrieländern. 23 Prozent aller Beschäftigten arbeiten in Frankreich für den öffentlichen Dienst. Die französische Automobilindustrie befindet sich (Stand 2013) in einer schwierigen Lage. 2013 wurden mit knapp 1,8 Millionen Fahrzeugen so viele Einheiten verkauft wie 1997. Die Europäische Union unterstützt diesen Wirtschaftszweig massiv. Die Kreditbewertungsagentur Standard & Poor’s stufte Frankreichs Bonität 2012 von "AAA" auf "AA+" zurück und im November 2013 von "AA+" auf "AA". Der 2017 ins Amt gewählte neue Präsident Emmanuel Macron versprach strukturelle Reformen um die Wettbewerbsfähigkeit des Landes wieder zu erhöhen. Unternehmen. Liste der 15 größten französischen Unternehmen nach Umsatz (alle Daten beziehen sich auf das Geschäftsjahr 2016). Kreativ- und Kulturwirtschaft. In Frankreich hat die Kulturwirtschaft einen erheblich größeren Anteil als in anderen Staaten. Das Gesamtvolumen beträgt 74 Milliarden Euro (Stand 2012), davon werden 61,4 Milliarden direkt erwirtschaftet. Die französische Kulturindustrie ist mit den direkten Erlösen größer als der Automobilwirtschaftszweig oder die Produzenten von Luxusgütern und liegt nur knapp hinter der Telekommunikation. In zentralen Bereichen der Kultur haben große Unternehmen ihren Sitz in Frankreich, so ist die Universal Music Group der größte Musikverlag der Welt, Groupe Lagardère (früher "Hachette") stehen an Nummer zwei der Buchverlage und Ubisoft ist der drittgrößte Anbieter von Computerspielen. Frankreich steht auf Platz zwei der Filmproduktionsländer und ist der viertgrößte Kunstmarkt der Erde. Energie. Die Energiewirtschaft Frankreichs beschäftigte 2008 194.000 Personen (0,8 Prozent der Erwerbsbevölkerung) und trug 2,1 Prozent zum BIP bei. Frankreich hatte früher reiche Kohlevorkommen. Die Kohleförderung erreichte 1958 mit der Förderung von 60 Millionen Tonnen ihren Höhepunkt; dann begannen eine Phase günstigen Öls und eine Kohlekrise. 1973 förderte man noch 29,1 Millionen Tonnen, 2004 schloss mit La Houve in Lothringen die letzte Kohlegrube Frankreichs. Kohle wird heute (2008) vor allem aus Australien, den USA und Südafrika importiert und in der Stahlindustrie und Wärmekraftwerken (6,9 GW installierte Leistung) verwendet. Frankreich hat sehr geringe Vorkommen an Erdöl und Erdgas; sie könnten rechnerisch den Gesamtverbrauch des Landes zwei Monate lang decken. Neben den knapp einer Million Tonnen Öl, die 2008 in Frankreich selbst gefördert wurden, wurde Erdöl aus dem Nahen Osten (22 Prozent), den Nordsee-Anrainerstaaten (20 %), Afrika (16 Prozent) und der früheren Sowjetunion (29 Prozent) importiert. Insgesamt verbrauchte Frankreich 2008 82 Millionen Öleinheiten an Erdölprodukten, davon knapp die Hälfte für den Verkehr. Die 13 Raffinerien des Landes können 98 Millionen Tonnen Öl jährlich verarbeiten. 22 Prozent des Energieverbrauches wird von Erdgas abgedeckt, vor allem im Wohnbereich und in der Industrie. Frankreich importierte 2008 Erdgas vor allem aus Norwegen, Russland, Algerien und den Niederlanden; Frankreich zahlte dafür 26 Milliarden Euro. Kernenergie Die Ölpreiskrise der 1970er-Jahre veranlassten die Regierung, ein Nuklearprogramm zu initiieren, nach Pierre Messmer auch bekannt als "Messmer-Plan". Die Arbeit an den ersten drei Kernkraftwerken Tricastin, Gravelines und Dampierre begann 1974. Die Wiederaufarbeitungsanlage La Hague wurde 1976 der Staatsfirma Cogema übergeben, um abgebrannte Brennelemente nach dem PUREX-Prozess zu recyceln. Mit dem Bau der Gasdiffusionsanlage Georges Besse I wurde 1975 begonnen, der Betrieb wurde 1979 aufgenommen. Bereits 15 Jahre später waren 56 Reaktoren in Betrieb. Von den 44 Millionen Öleinheiten an Energie, die Frankreich 1973 produzierte, stammten noch neun Prozent aus Atomkraftwerken. 2008 wurden 137 Millionen Öleinheiten produziert, davon waren 84 Prozent aus Atomkraftwerken. Zu Beginn des Jahres 2009 waren in Frankreich 21 Kernkraftwerke mit 59 Reaktoren und einer Gesamtleistung von 63,3 Gigawatt am Netz. Die Kernkraftwerke Frankreichs basieren auf vier unterschiedlichen Entwürfen. Die ersten sind Kraftwerke vom Typ CP0, CP1 und CP2, welche etwa 900 Megawatt elektrischer Leistung haben und hauptsächlich zwischen 1970 und 1980 errichtet wurden. Gegenüber der CP0- und CP1-Serie wurde bei der CP2-Serie die Redundanz erhöht, ab CP1 kann in Notfällen auch Wasser ins Containment gesprüht werden. Dieser Reaktortyp wurden mehrfach exportiert, zum Beispiel für das Kernkraftwerk Koeberg und Hanul (bis 2013 "Uljin") oder die chinesische CPR-1000-Reaktorbaureihe. Die nachfolgende Baureihe P4 und P’4 liefert etwa 1300 Megawatt elektrischer Leistung, das Kernkraftwerk Cattenom gehört zu dieser Bauart. Davon abgewandelt wurde das N4-Design in Civaux und Chooz mit 1450 Megawatt. Die neuste Baureihe ist der EPR, welcher sich mit Kernfänger, Doppelcontainment und gesteigertem Abbrand von den P4- und N4-Kraftwerken unterscheidet. Wegen des hohen Atomstromanteils von etwa 80 Prozent müssen die Kernkraftwerke auch im Mittellastbetrieb betrieben werden. Frankreich besitzt deshalb eines der größten Leitungsnetze in Europa; mehrere Kraftwerke können so gemeinsam Bedarfsschwankungen ausgleichen. Für die Entsorgung radioaktiver Abfälle ist die Agence Nationale pour la Gestion des Déchets Radioactifs verantwortlich. Électricité de France berechnet dafür 0,14 Cent pro Kilowattstunde auf den Atomstrompreis, was mit anderen europäischen Ländern vergleichbar ist. Die Entsorgung von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen findet in Soulaines und dem Endlager Morvillier im Département Aube statt, welches etwa 650.000 Kubikmeter aufnehmen kann. Für die Entsorgung des hochradioaktiven Abfalls (hauptsächlich Glaskokillen aus der Wiederaufarbeitung) wird das Tongestein nahe dem Ort Bure im gleichnamigen Felslabor untersucht. Frankreich nimmt auch in der Nuklearforschung eine führende Rolle ein: So beteiligt es sich am Generation IV International Forum und arbeitet auch an der kommerziellen Nutzung der schnellen Spaltung und Kernfusion. Die Aktivitäten sind hauptsächlich in Cadarache gebündelt. An einer Weiterentwicklung der Wiederaufarbeitungstechnik wird ebenfalls gearbeitet, um in Zukunft auch andere Actinoide abtrennen zu können. Laut einem Bericht des Rechnungshofes vom Januar 2012 kosteten die Erforschung, Entwicklung sowie der Bau der französischen Kernkraftwerke insgesamt 188 Milliarden Euro. Diese Kosten konnten bisher durch den Verkauf der Elektrizität zu etwa 75 Prozent amortisiert werden. Da die Kraftwerke größtenteils noch in Betrieb sind, werden diese Kosten aber vermutlich gedeckt werden können, jedoch gebe es kaum Rückstellungen für Folgekosten sowie die nur schwer zu schätzenden Folgen der Endlagerung des Atommülls. Durch den hohen Atomstromanteil profitiert Frankreich erheblich vom EU-Emissionshandel. Von den 442 Terawattstunden elektrischer Energie, die 2008 in Frankreich erzeugt wurden, wurden 65 Prozent in den Privathaushalten und im Dienstleistungssektor verbraucht, weitere 27 Prozent in der Industrie (ohne Stahlindustrie). Ende November 2011 machte das Französische Institut für nukleare Sicherheit auf die Notwendigkeit der Sanierung aller in Frankreich stationierten Atomkraftwerke aufmerksam. Nur so könnten mögliche Naturkatastrophen ohne größeres Unheil überstanden werden. Daraufhin wurden von grüner und sozialistischer Seite her Forderungen nach einem vollständigen Atomausstieg laut. Laut Einigung sollen bis 2025 nun 24 der 58 Atommeiler vom Netz gehen. Der 2012 neu gewählte Präsident François Hollande beabsichtigte den Anteil von Atomkraft von heute etwa 75 Prozent auf 50 Prozent reduzieren. In Umfragen sprach sich eine große Mehrheit der Franzosen für den Ausbau der erneuerbaren Energien aus. In einer jährlichen repräsentativen Umfrage der französischen Umwelt- und Energiebehörde ADEME lag die Zustimmung zum Ausbau erneuerbarer Energien in Frankreich bei 96 Prozent (2011). Stromhandelsbilanz Marktführer bei der Erzeugung elektrischer Energie ist der staatlich dominierte Konzern Électricité de France. Frankreich ist im Jahresmittel Nettostromexporteur, 2008 wurden 50 Terawattstunden an die Nachbarländer verkauft, größte Abnehmer sind Italien und Großbritannien. Da in Frankreich sehr viele Elektroheizungen installiert sind, steigt der Strombedarf während der kalten Jahreszeit stark an; während der Kältewelle 2012 erreichte die Stromnachfrage einen Höchststand von 102,1 Gigawatt, wovon knapp die Hälfte des Bedarfs auf Elektroheizungen entfiel. Auch während der Kältewelle in Europa im Januar 2017 importierte das Land große Mengen Strom aus Deutschland und weiteren Nachbarstaaten, zumal damals mehrere französische Kernkraftwerke aufgrund technischer Probleme stillstanden. Unter anderem wurden in Deutschland Kraftwerke aus der Kaltreserve hochgefahren und Redispatch-Maßnahmen durchgeführt, um die Versorgungssicherheit in Frankreich gewährleisten zu können. Im Winter importiert das Land deshalb insbesondere während der Jahreshöchstlast netto mehr Strom aus anderen Staaten wie Deutschland, als es dorthin exportiert. Frankreich importierte 2012 per Saldo 8,7 Terawattstunden aus Deutschland. Zu Spitzenlastzeiten ist der Strom aus deutschen Photovoltaikanlagen für Frankreich günstiger als aus seinen eigenen, oft überlasteten Atomreaktoren. Das der französischen Regierung unterstellte „Zentrum für strategische Analysen“ ("", CAS) kam 2012 zu dem Schluss, der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland sichere neben dem Klimaschutz die energetische Unabhängigkeit Deutschlands. Energiewende Erneuerbare Energieträger spielen in Frankreich bisher nur im Bereich der Wasserkraft eine Rolle, die Nutzung der Windenergie und Photovoltaik wurden erst in den letzten Jahren politisch gefördert. 2009 wurden 5,5 Prozent der Primärenergie aus Wasserkraftwerken, 8,7 Prozent aus Holz, 2,1 Prozent aus sonstiger Biomasse, 1,2 Prozent aus Abfall und 0,49 Prozent aus Windenergie gewonnen. 2012 betrug der Anteil der Windenergie 2,7 Prozent. 2017 waren Windkraftanlagen mit einer Nennleistung von etwa 13,8 Gigawatt installiert. Im Jahre 2011 lieferte Frankreich unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union 15 Prozent (44,8 Terawattstunden) der insgesamt in den EU-Ländern erzeugten Energie aus Wasserkraft. Rund 13 Prozent der elektrischen Energie stammten aus erneuerbaren Energiequellen. Das Wasserkraftwerk der Roselend-Talsperre produziert jährlich 1070 Gigawattstunden. Das Pumpspeicherkraftwerk an der Talsperre Grand-Maison ist mit einer Pumpleistung von 1200 Megawatt eines der größten weltweit. Im Oktober 2014 wurde in der französischen Nationalversammlung mit 314 zu 219 Stimmen ein Energiewende-Gesetz beschlossen. Es sieht vor, den Anteil der Kernenergie am Strommix von 75 Prozent bis 2025 auf 50 Prozent zu reduzieren. Die Gesamtleistung der Kernkraftwerke wurde auf maximal 63,2 Gigawatt gedeckelt. Zudem soll die Gebäudeisolation stark verbessert werden, eine Million Ladestationen für Elektroautos geschaffen werden und die erneuerbaren Energien stark ausgebaut werden. Dadurch soll die CO2-Emission bis 2030 um 40 Prozent sinken. Der Gesamtenergieverbrauch soll bis 2050 halbiert werden. Verkehr. Straßenverkehr. Ein dichtes Autobahnnetz verbindet in erster Linie den Großraum Paris mit den Regionen. Zu seiner Erschaffung seit den 1960er-Jahren wurde zunächst in erster Linie das auf Paris zulaufende Netz der Nationalstraßen ausgebaut. Nach und nach werden in jüngerer Zeit auch Querverbindungen zwischen den einzelnen Großräumen geschaffen. Die Verkehrswege Frankreichs gehören dem Staat, die meisten Autobahnstrecken werden seit 2006 aber privat betrieben, an Mautstellen müssen alle Benutzer Maut zahlen. Nur wenige Abschnitte sind mautfrei, zum Beispiel die neue A 75 oder die elsässische A 35. Ebenso verfügt die Bretagne über ein Netz mautfreier autobahnähnlicher Schnellstraßen. Zudem sind die Autobahnen im Bereich großer Ballungszentren normalerweise nicht mautpflichtig; dabei gilt aber wiederum die Ausnahme, dass bestimmte, besonders aufwendige Abschnitte auch innerhalb des Großstadtbereichs Maut kosten (z. B. Nordumgehung von Lyon oder im Raum Paris die A 14 und der Doppelstocktunnel im westlichen Teil der A 86). Der Straßenverkehr des Landes gilt als weitestgehend sicher. 2013 kamen in Frankreich insgesamt 5,1 Verkehrstote auf 100.000 Einwohner. Zum Vergleich: In Deutschland waren es im selben Jahr 4,3 Tote. Das Land hat eine im weltweiten Vergleich hohe Motorisierungsrate. 2014 kamen im Land 578 Kraftfahrzeuge auf 1.000 Einwohner. Schienenverkehr. Der öffentliche Nahverkehr ist in großen Zentren hervorragend ausgebaut. In Paris ist kein Ort weiter als 500 Meter von einer Station der Métro entfernt. Auch in anderen Städten werden die mit großem Aufwand ausgebaut, zum Beispiel in Lyon, Lille, Marseille oder Toulouse. Außerhalb der großen Zentren wird der Nahverkehr hingegen nur spärlich betrieben. Frankreich war auch ab den 1980er- und 1990er-Jahren ein Zentrum der Renaissance der Straßenbahn – binnen weniger Jahre wuchsen die drei Netze, die die Stilllegungswellen früherer Jahrzehnte überlebt hatten, auf mehrere Dutzend an – ein Trend, der bis heute anhält und auch auf andere Länder Europas sowie nach Nordamerika und Nordafrika ausstrahlt. Landesweit wurde seit Anfang der 1980er-Jahre das Netz des Hochgeschwindigkeitszugs Train à grande vitesse (TGV) konsequent ausgebaut. Das Netz wird weiter ausgebaut und erreicht dabei auch zunehmend die Nachbarländer. Für Deutschland ist vor allem der Neubau der "Ligne à grande vitesse" (LGV, deutsch "Hochgeschwindigkeitsstrecke") Est européenne Richtung Straßburg und Süddeutschland beziehungsweise Richtung Saarbrücken und Mannheim relevant. Der Thalys verbindet Paris mit Brüssel, Aachen und Köln, teilweise weiter über Düsseldorf, Duisburg und Essen bis Dortmund. Seit 2003 muss sich die Staatsbahn Société nationale des chemins de fer français (SNCF) privater Konkurrenz stellen. De facto hat sie landesweit noch ein Fast-Monopol. Luftverkehr. Der Luftverkehr ist in Frankreich stark zentralisiert: Die beiden Flughäfen der Hauptstadt Paris (Charles de Gaulle und Orly) fertigten 2008 gemeinsam 87,1 Millionen Fluggäste ab. Charles de Gaulle ist dabei der zweitgrößte Flughafen Europas und zentrales Drehkreuz der Air France. Er wickelt praktisch den gesamten Langstreckenverkehr ab. Die größten Flughäfen außerhalb von Paris sind jene von Nizza mit zehn Millionen Passagieren, danach folgen Lyon und Marseille. Air France, die führendes Mitglied der Allianz SkyTeam ist, fusionierte 2004 mit KLM zu Air France-KLM und ist seitdem eine der größten Fluggesellschaften der Welt. Der innerfranzösische Verkehr wird seit Einführung des TGV nach und nach durch den Hochgeschwindigkeitsverkehr der Eisenbahn ersetzt, die Eröffnung einer neuen LGV führt oft binnen weniger Monate oder Jahre zu einer Streichung von Flügen durch zurückgehende Passagierzahlen. Schiffsverkehr. Frankreich hat die natürlichen und künstlichen Binnenwasserstraßen (Flüsse und Kanäle) aus wirtschaftlichen und militärischen Beweggründen in seiner Geschichte stark entwickelt und ausgebaut. Seine Hochblüte erlebte das Wasserwegenetz im 19. Jahrhundert mit einer Länge von 11.000 Kilometern. Durch Konkurrenz von Schiene und Straße ist es bis heute auf rund 8500 Kilometer zurückgegangen. Es wird zum Großteil von der staatlichen Wasserstraßenverwaltung Voies navigables de France (VNF) verwaltet und betrieben. 2007 wurden von der Frachtschifffahrt auf Frankreichs Wasserstraßen Güter mit einem Gesamtgewicht von 61,7 Millionen Tonnen befördert. Bezieht man die Distanz in die Statistik ein, ergibt sich ein Wert von 7,54 Milliarden Tonnen-Kilometer. Über die letzten zehn Jahre bedeutet dies eine Steigerung um 33 Prozent. Die Personenschifffahrt hat heute nur noch touristische Bedeutung, ist aber ein aufstrebender Wirtschaftsfaktor. Der Canal Seine-Nord Europe (CSNE) war das Projekt eines 106 Kilometer langen Kanals in Süd-Nord-Richtung durch Nordfrankreich zwischen den Einzugsgebieten der Flüsse Seine und Schelde. Das Projekt war in den Verkehrswegeplan der Europäischen Union aufgenommen, wurde jedoch 2013 eingestellt. Kultur. Frankreich leitet seinen Rang in Europa und der Welt auch aus den Eigenheiten seiner Kultur ab, die sich auch über die Sprache definiert (Sprachschutz- und -pflegegesetzgebung). Frankreich sieht sich selbst "nicht" als "Grande Nation". In der Medienpolitik wird die eigene Kultur und Sprache durch Quoten für Filme und Musik gefördert. Frankreich verfolgt in der Europäischen Union, der UNESCO und der Welthandelsorganisation (WTO) mit Nachdruck seine Konzeption der Verteidigung der kulturellen Vielfalt („diversité culturelle“): Kultur sei keine Ware, die schrankenlos frei gehandelt werden kann. Der Kultursektor bildet daher eine Ausnahme vom restlichen Wirtschaftsgeschehen („exception culturelle“). Landesweite Pflege und Erhalt des reichen materiellen kulturellen Erbes wird als Aufgabe von nationalem Rang angesehen. Dieses Verständnis wird durch staatlich organisierte oder geförderte Maßnahmen, die zur Bildung eines nationalen kulturellen Bewusstseins beitragen, wirksam in die Öffentlichkeit transportiert. Im jährlichen Kulturkalender fest verankerte Tage des nationalen Erbes, der Musik oder des Kinos beispielsweise finden lebhaften Zuspruch in der Bevölkerung. Großzügig zugeschnittene kulturelle Veranstaltungen entsprechen dem Selbstverständnis Frankreichs als Kulturnation und von Paris als Kulturmetropole. Die Förderung eines kulturellen Profils der regionalen Zentren in der Provinz wird verstetigt. Küche. Die französische Küche "(Cuisine française)" gilt seit der frühen Neuzeit als einflussreichste Landesküche Europas. Sie ist sowohl für ihre Qualität als auch ihre Vielseitigkeit weltberühmt und blickt auf eine lange Tradition zurück. Das Essen ist in Frankreich ein wichtiger Bereich des täglichen Lebens und die Pflege der Küche ein unverzichtbarer Bestandteil der nationalen Kultur. Das "gastronomische Mahl der Franzosen" wurde 2010 als immaterielles Weltkulturerbe von der UNESCO anerkannt. Architektur. Die ältesten architektonischen Spuren in Frankreich hinterließen die Römer vor allem in Südostfrankreich, wie beispielsweise das Amphitheater von Nîmes oder die Pont du Gard. Nach dem Zerfall der römischen Herrschaft wurden zunächst keine Bauwerke errichtet, die bis heute erhalten geblieben sind. Aus dem Mittelalter sind vor allem Sakralbauten erhalten geblieben, wie das Baptisterium Saint-Jean aus der Zeit der Karolinger, Kirchen in romanischem Stil wie St-Sernin de Toulouse, Ste-Foy de Conques oder Ste-Marie-Madeleine de Vézelay sowie Kirchen in gotischem Stil wie die Kathedrale von Amiens oder die Kathedrale von Beauvais. Daneben wurden Festungsstädte wie Carcassonne oder Aigues-Mortes errichtet. Als die Renaissance auch in Frankreich aufkam, interpretierten die französischen Architekten diese Kunstform auf ihre Weise und errichteten zahlreiche Schlösser im ganzen Land. Das Schloss Ancy-le-Franc blieb das einzige vollständig von Italienern durchgeführte Bauwerk. Der Absolutismus führte dazu, dass der klassizistische Barock in ganz Frankreich bestimmend wurde, um die Macht des Königs zu symbolisieren. Zu den bedeutendsten Bauwerken dieser Zeit zählen der Louvre und Schloss Versailles, diese wurden auch zu Vorbildern für Bauwerke im Ausland, etwa Schloss Sanssouci. Der technische Fortschritt ermöglichte es, Gebäude wie das Panthéon zu errichten, das für damalige Verhältnisse sehr wenig Baumaterial im Verhältnis zum umfassten Raum benötigte. In der Zeit nach der Französischen Revolution herrschte der Klassizismus mit kühler, disziplinierter und eleganter Architektur; Beispiele hierfür sind der Arc de Triomphe oder die Kirche La Madeleine in Paris. 1803 wurde die Académie des Beaux-Arts gegründet, französische Architektur wurde erneut in zahlreichen Ländern imitiert, besonders in den USA, gleichzeitig wurden in Frankreich neue Baumaterialien eingeführt; es entstanden Monumente wie der Eiffelturm oder der Pariser Zentralmarkt Les Halles und man begann mit der Restaurierung von Baudenkmälern. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam zunächst der Jugendstil auf, aus dem sich in Frankreich rasch das Art déco entwickelte. In diesen Stilrichtungen sind zahlreiche Eingänge von Métrostationen in Paris sowie das Théâtre des Champs-Élysées erhalten. Der Internationale Stil, der maßgebend von Le Corbusier mitgetragen wurde, zeichnete sich durch unverzierte geometrische Formen aus, Beispiel ist die Villa Savoye. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden einige prestigeträchtige Bauten in Frankreich erstmals durch Ausländer verwirklicht, wie das Centre Pompidou oder die Pyramide im Louvre. Zu den neueren architektonischen Errungenschaften Frankreichs gehören schließlich das Institut du monde arabe (1987) und die Bibliothèque Nationale François Mitterrand (1996). Film. Frankreich gilt als der Geburtsort des Filmes. Im Jahre 1895 veranstalteten die Brüder Lumière in Paris die erste kommerzielle Filmvorführung. Industrielle wie Charles Pathé und Léon Gaumont investierten große Summen in die Technik und Herstellung, sodass französische Unternehmen den Weltmarkt für Filme dominierten; in Paris gab es 1907 bereits mehr als 100 Vorführungshallen, 1920 waren es in Frankreich schon mehr als 4.500. Auf Pathé geht auch die bis heute übliche Praxis des Filmverleihs zurück, seit er 1907 entschied, Filme nicht mehr als Meterware zu verkaufen. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges und der damit verbundenen Flucht zahlreicher Filmschaffender in die USA sowie die Einführung der Tonfilm-Technik, die in Frankreich zunächst nicht eingeführt wurde, führten dazu, dass sich der Schwerpunkt der Filmproduktion in die Vereinigten Staaten verlagerte. Die 1930er-Jahre gelten als "Goldenes Zeitalter" des französischen Films. Die Weltwirtschaftskrise bedingten niedrige Budgets, junge Regisseure wie Jean Renoir, René Clair und Marcel Carné und Stars wie Jean Gabin, Pierre Brasseur und Arletty brachten sehr kreative und teils auch sehr politische Werke hervor (Poetischer Realismus). Auch nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges florierte der Film; die Vichy-Regierung gründete mit der "Comité d’organisation de l’industrie cinématographique" die Vorläuferorganisation des heutigen CNC. Trotz Mangelwirtschaft, Zensur und Emigration entstanden etwa 220 Filme, die sich vor allem auf die Ästhetik des gezeigten konzentrierten. Nach 1945 setzt sich die französische Regierung das Ziel, die Filmindustrie wieder aufzubauen. Um die Dominanz des amerikanischen Films zu brechen, werden im Blum-Byrnes-Abkommen Einfuhrquoten festgelegt. Die Internationalen Filmfestspiele von Cannes werden gegründet, eine Zusammenarbeit mit Italien vereinbart und gesetzliche und finanzielle Unterstützungen beschlossen. In den 1950er-Jahren wurden vor allem Literaturverfilmungen mit großem Augenmerk auf die Qualität "(cinéma de papa)" produziert, bis 1956 die weibliche Sexualität mit dem Auftauchen eines neuen Stars, Brigitte Bardot, filmfähig gemacht wurde. Die Nouvelle Vague, die ab dem Ende der 1950er-Jahre von einer Generation junger Regisseure wie Jean-Luc Godard, François Truffaut, Jacques Rivette, Claude Chabrol und Louis Malle getragen wurde, brachte Anti-Helden auf die Leinwand, thematisierte deren intime Gedanken, machte Filme mit hohem Tempo und offenen Enden. Neue Technik ermöglichte eine neue Ästhetik und erlaubte es Halb-Profis, mit niedrigem Budget Filme zu verwirklichen. Die Kreativität der Nouvelle Vague war international äußerst einflussreich und wurde durch die Einrichtung der "Cinémas d’art et d’essai" noch gefördert. Popularität erlangten auch die Protagonisten zahlreicher Filme der Nouvelle Vague, vor allem Jean-Pierre Léaud und Jean-Paul Belmondo. Das Jahr 1968 brachte auch im französischen Film eine Zäsur, die zu stark politischen Filmen und zu einer stärkeren Präsenz von Frauen im Metier führte. Gleichzeitig setzte sich das Fernsehen durch; dies brachte neue Strukturen bei der Finanzierung und Distribution von Filmen mit sich. In den 1980er-Jahren investierte die neue sozialistische Regierung stark in die Kultur; Budgets für Filmproduktionen stiegen, während gleichzeitig die amerikanische Vorherrschaft bekämpft wurde. Es kam zu aufwendigen Verfilmungen von Literaturklassikern. Parallel kam die Strömung des unpolitischen "cinéma du look" auf, in dem Farben, Formen und Stil die Handlung überdeckten. Sport. Mit der Einrichtung eines Ministeriums für Jugend und Sport (1958) zu Zeiten der Präsidentschaft von Charles de Gaulle unter dem Minister Maurice Herzog nahm der Breiten- und der Spitzensport in Frankreich einen erheblichen, vom Staat gestützten Aufschwung. Anders als in vielen anderen Ländern Europas ist der Fußball in Frankreich bis heute nicht die unangefochtene Nummer eins unter den Sportarten. Besonders Rugby ist im Südwesten des Landes populärer. Das Interesse am Fußball hängt sehr stark mit der Leistung französischer Mannschaften auf internationaler Ebene zusammen. Als identitätsstiftendes Band gerade zwischen den verschiedenen sozialen und ethnischen Gruppen Frankreichs gilt die französische Fußballnationalmannschaft. Die "Équipe Tricolore" (in Frankreich meist "les Tricolores" genannt) trägt ihre Heimspiele meist im Stade de France in Saint Denis bei Paris aus. 1998 wurde in Frankreich die Fußball-Weltmeisterschaft ausgetragen. Im Endspiel gegen Brasilien gewann der Gastgeber das Turnier. 2016 war Frankreich nach 1960 und 1984 zum dritten Mal Gastgeber der Fußball-Europameisterschaft. 2018 gewann Frankreich ein zweites Mal die Fußball-Weltmeisterschaft. Ähnlich populär dem Fußball ist Rugby Union. Gerade in den südlichen und südwestlichen Regionen ist Rugby tatsächlich der weitaus beliebteste Sport. Die höchste Liga ist die Top 14. Das Meisterschaftsendspiel findet jährlich im Stade de France statt. Die Nationalmannschaft, von den Fans "Les Bleus" genannt, was später auch auf die Fußballequipe übertragen wurde, gilt seit Jahrzehnten kontinuierlich als eines der besten Teams der Welt und ist bislang bei jeder Weltmeisterschaft mindestens ins Viertelfinale vorgedrungen. Insgesamt wurde sie dreimal Vizeweltmeister und errang einmal den dritten Platz. Wie im Fußball gilt das "Stade de France" in St. Denis nahe Paris als Nationalstadion. 2007 fand erstmals die Rugbyweltmeisterschaft in Frankreich statt. Dabei zählte man "Les Bleus" zu den Hauptfavoriten auf den Titel. Allerdings kamen sie nicht über den vierten Platz hinaus. Weltmeister wurde Südafrika. Weitere populäre Sportarten sind der Radsport (insbesondere im Juli, während der dreiwöchigen Tour de France), Leichtathletik, Formel 1 (Großer Preis von Frankreich in "Magny-Cours"), Pétanque (Mondial la Marseille à Pétanque), Judo, Handball, Basketball und alpiner Skisport. Großer Beliebtheit erfreut sich auch der Tennissport. Den Davis Cup gewann Frankreich von 1927 bis 1932 jedes Jahr, außerdem in jüngerer Zeit 1991, 1996, 2001 und 2017. 1997 und 2003 konnten die Französischen Tennisdamen den Fed Cup gewinnen. Die seit 1891 in Paris stattfindenden French Open zählen als eines der vier Grand-Slam-Turniere zu den Höhepunkten der internationalen Tennissaison. In Frankreich fanden bereits mehrmals Olympische Spiele statt: Sommerspiele 1900 und 1924 in Paris, Winterspiele in Chamonix 1924, Grenoble 1968 und Albertville 1992. Auch die Olympischen Sommerspiele 2024 werden wie 100 Jahre zuvor in Paris stattfinden. Im Motorsport ebenfalls erwähnenswert sind das legendäre 24-Stunden-Rennen von Le Mans, der MotoGP-Grand Prix von Le Mans, die ehemalige Formel-1-Rennstrecke Circuit Paul Ricard von Le Castellet nahe Avignon sowie die Grasbahn von Marmande und die Sandbahn von Morizes, wo im Rahmen der Langbahn-Weltmeisterschaft der Grand Prix von Frankreich ausgefahren wird. Special Olympics Frankreich wurde 1991 gegründet und nahm mehrmals an Special Olympics Weltspielen teil. Der Verband hat seine Teilnahme an den Special Olympics World Summer Games 2023 in Berlin angekündigt. Die Delegation wird vor den Spielen im Rahmen des "Host Town Programs" von Ebersberg betreut. Musik. Die französische Musik erreichte im Barock eine erste Blüte und brachte bedeutende Komponisten wie Jean-Baptiste Lully, Marc-Antoine Charpentier (17. Jahrhundert), François Couperin, Jean-Philippe Rameau (18. Jahrhundert), Hector Berlioz, Charles Gounod und Georges Bizet hervor. Die französische klassische Musik galt jedoch als technik- und formenlastig. Den Übergang zur Moderne in gesellschaftspolitischer wie musikalischer Sicht verkörpert Debussy am besten; weiterhin sind Maurice Ravel und der ebenfalls sehr experimentell arbeitende Erik Satie in dieser Epoche bedeutend. Der Beginn der Avantgarde in der Musik wird besonders durch die Groupe des Six eingeleitet. Hauptfigur der zeitgenössischen Musik ist Pierre Boulez. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts befindet sich die populäre Musik im Aufwind. Das bekannteste einheimische Genre ist das Chanson, eine Liedgattung mit starker Konzentration auf den Text. Zu den wichtigsten Künstlern des Chanson zählen Charles Trenet, Édith Piaf, Gilbert Bécaud, Boris Vian, Georges Brassens, Charles Aznavour oder Yves Montand. Ausländische Musikstile finden ihren Widerhall in Frankreich: Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges begann der Jazz die französische Musik zu beeinflussen, mit Django Reinhardt oder Stéphane Grappelli stellte Frankreich auch bedeutende Künstler des Jazz. In der Rock- und Popmusik prägten etwa Daft Punk und Étienne de Crécy den "French House", Gotan Project ist Vorreiter des sogenannten Electrotango und St Germain steht für eine Kombination von Jazz und House. Ein bekannter Vertreter von Ambient-Musik ist Air. Der Rap wurde in Frankreich adaptiert, erfolgreichster Vertreter des Französischen Hip-Hop ist MC Solaar. Lokal verbreitete Musikstile sind die bretonische Musik, deren bedeutendster Künstler Alan Stivell ist, oder die korsische Musik mit Bands wie I Muvrini. Zahlreiche afrikanische und maghrebinische Künstler leben und arbeiten in Frankreich, so gibt es eine lebendige Raï-Szene und zahlreiche Veranstaltungen mit afrikanischer Musik. Die fünf Musiker, die zwischen 1955 und 2009 die meisten Platten in Frankreich verkauften, sind Claude François, Johnny Hallyday, Sheila, Michel Sardou und Jean-Jacques Goldman. "Samedi soir sur la Terre" von Francis Cabrel ist mit mehr als vier Millionen verkauften Exemplaren das erfolgreichste Album eines französischen Musikers in seinem Heimatland. Medien. Bei der Rangliste der Pressefreiheit 2017, die von "Reporter ohne Grenzen" herausgegeben wird, belegte Frankreich Platz 39 von 180 Ländern. Die wichtigsten französischen Druckmedien sind die nationalen Tageszeitungen "Le Figaro" (konservativ, Auflage: 315.400 Exemplare), "Le Monde" (linksliberal, Druckauflage 2009 bis 2010: 285.500 Exemplare), "Libération" (linksorientiert, 111.700 Exemplare), "La Croix" (katholisch, 95.100 Exemplare), "L’Humanité" (kommunistisch, 50.000 Exemplare), "Les Échos" und "La Tribune" (Wirtschaft, 120.400 bzw. 68.100 Exemplare) und "L’Équipe" (Sport, 310.000 Exemplare). Die wichtigsten Nachrichtenmagazine in Frankreich sind "L’Obs" (400.000 Exemplare), "L’Express" (438.700 Exemplare), "Le Point" (407.700 Exemplare) und "Marianne". Die größte Regionalzeitung ist die "Ouest-France" mit einer Druckauflage von 758.500 Exemplaren. Bedeutend ist auch das jeweils mittwochs erscheinende Investigations- und Satireblatt "Le Canard enchaîné" mit einer Auflage von 550.000 Exemplaren. Wie in vielen anderen europäischen Ländern besteht auch in Frankreich eine Co-Existenz von öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsendern. Zur 1992 gegründeten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt "France Télévisions" gehören die Sender France 2, France 3, France 4, France 5 und France Ô. Der größte Fernsehsender Frankreichs ist jedoch der Privatsender TF1, der bis 1987 noch öffentlich-rechtlich war. TF1 ist außerdem alleiniger Gesellschafter des Sportsenders Eurosport. Seit Dezember 2006 betreiben TF1 und France Télévisions den mehrsprachigen Auslandssender France 24. Weiterhin gibt es mit TV5 Monde und ARTE zwei weitere Sender, an denen "France Télévisions" beteiligt ist. TV5 Monde ist ein französischsprachiges Gemeinschaftsprogramm der Staaten Frankreich, Belgien, dem französischsprachigen Teil Kanadas und der Schweiz. ARTE ist ein deutsch-französischer Sender, der von ARTE France zusammen mit den deutschen Rundfunkanstalten ARD und ZDF betrieben wird. "France Télévisions" ist darüber hinaus an dem Nachrichtensender Euronews beteiligt. Dem öffentlich-rechtlichen Radio France steht eine Vielzahl kommerzieller Anbieter gegenüber. Sowohl Radio France als auch die Kommerziellen bieten überregionale und regionale bzw. lokale Dienste an. Im Jahr 2021 nutzten 86,1 Prozent der Einwohner Frankreichs das Internet. Der Nutzung von sozialen Medien kommt eine immer bedeutendere Rolle zu. Die Bruttoreichweite sozialer Netzwerke betrug per Januar 2011 24,8 Millionen Personen. Feiertage. Liste der landesweit einheitlichen Feiertage. Details und regional zusätzliche Feiertage siehe Hauptartikel.
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Geographie Frankreichs
Als interkontinentaler Staat liegt Frankreich in mehreren Kontinenten. Das France métropolitaine, das Mutterland, liegt im westlichen Europa, grenzt an den Golf von Biscaya und den Ärmelkanal, liegt zwischen Belgien im Norden und Spanien, Andorra im Süden, südöstlich vom Vereinigten Königreich; grenzt im Südosten an das Mittelmeer und im Osten an Italien, die Schweiz, Deutschland und Luxemburg. Die Überseegebiete befinden sich in Südamerika (Französisch-Guayana), im atlantischen, pazifischen und im indischen Ozean (jeweils diverse Gebiete) sowie in der Antarktis (Adélieland, Ansprüche ausgesetzt). Fläche. Für die Fläche Frankreichs in Europa, d. h. mit Korsika und den anderen in Europa gelegenen Inseln, aber ohne die Überseegebiete, werden unterschiedliche Zahlen angegeben: Das Statistische Amt Frankreichs "Insee" nennt einerseits (gerundet) 552.000 km², andererseits addiert es selbst die Fläche der Regionen nur auf (gerundet) 544.000 km², das deutsche Auswärtige Amt nennt mit der letzteren Zahl übereinstimmend 543.965 km², das Statistische Bundesamt hingegen für das gesamte französische Staatsgebiet 643.801 km², woraus durch Abzug von 88.000 km² für die Überseegebiete eine Fläche in Europa von (gerundet) 555.800 km² folgt. Frankreich ist somit der flächenmäßig größte Staat Westeuropas und als interkontinentaler Staat mit Überseedepartements der zweitgrößte Staat Europas nach Russland. Landesgrenzen. Mit 673 Kilometern ist die Grenze zu Brasilien die längste Landesgrenze Frankreichs. Innerhalb Europas ist die Grenze zu Spanien mit 623 Kilometern die längste. Innerhalb Europas angrenzende Länder: Außerhalb Europas angrenzende Länder: Küstenlinie: 3427 km (métropolitaine), 378 km (Französisch-Guayana), 306 km (Guadeloupe), 350 km (Martinique), 207 km (Réunion) Vgl. dazu die Liste der Hafenstädte in Frankreich mit gewerblich genutzten Häfen in der Abfolge der Küstenlinie von Norden nach Westen bzw. Süden etc. Flüsse. Die wichtigsten Flüsse Frankreichs: Übersee: "Siehe auch:" Liste der Flüsse in Frankreich, , Liste der französischen Mittelmeerzuflüsse (mit Nebenflüssen). Geografie des France métropolitaine. Klima. Das europäische Mutterland liegt zum größten Teil in der gemäßigten Klimazone, der Südosten unterliegt bereits dem Mittelmeerklima. Während dort milde, regenreiche Winter und heiße, trockene Sommer herrschen, ist das Klima im größten Teil von Frankreich abhängig von Lage und Relief. Insgesamt ist das französische Klima fast überall relativ mild. Die Jahresdurchschnittstemperatur liegt zwischen 10 °C (Norden, Lothringen, Jura, in den Alpen auch darunter) und 16 °C (Mittelmeerküste, auf Korsika auch darüber). Die Niederschläge unterschreiten im Pariser Becken und an einigen Küstenstreifen des Mittelmeeres 600 Millimeter, der trockenste Ort ist Colmar im Elsass mit unter 600 Millimetern. Sonst liegen die Werte größtenteils zwischen 700 und 1000 Millimetern. An den Westseiten der Gebirge werden sie teils deutlich überschritten (über 1500 mm in Alpen, Cevennen, Jura, Vogesen). Diese Niederschläge können sehr unterschiedlich verteilt sein. Unter 60 Regentage im Rhonedelta stehen in deutlichem Gegensatz zu über 200 Tagen in der Orne (Normandie). Die Sonnenscheindauer ist der Klimazone entsprechend im Mittelmeerraum am höchsten, gefolgt von der Atlantikküste. Die wenigsten Sonnenstunden bezieht ein breiter Streifen von der Bretagne bis zu den nördlichen Vogesen. Auch Paris zählt viele trübe Tage. Klimatisch gesehen lassen sich folgende Großräume trennen: Der Nordwesten, insbesondere Normandie und Bretagne, ist ozeanisch bis sehr ozeanisch geprägt. Die Niederschlagsmengen erreichen hier in den meisten Gegenden Höhen von 1000 mm und – vor allem an der Küste und an den Wetterseiten der Hügelländer – mehr. Es herrschen Westwinde vor, die Winter sind mild und oft schneefrei. Die Sommer sind relativ kühl und feucht. Der Nordosten weist wesentlich kontinentalere Züge auf. Insbesondere in den rauen Klimaten von Lothringen und der Vogesen können die Winter sehr kalt werden, wobei die Hochflächen (z. B. die Hochebene von Langres) besonders benachteiligt sind. Die Flusstäler von Rhein und Mosel eignen sich dagegen bereits zum Weinbau. Zentralfrankreich mit dem Pariser Becken und dem Loiretal ist insgesamt relativ niederschlagsarm. In Bezug auf Sonnenstunden und Durchschnittstemperatur liegt die Region im Mittel, es können aber durchaus extreme Wetterlagen auftreten. Die Hitzewelle in Europa 2003 war gerade hier besonders ausgeprägt, weil über dem weiten, ebenen Land keine mäßigenden Wirkungen durch Winde oder Wasser möglich waren. In Auxerre hielt sich z. B. die Tageshöchsttemperatur acht Tage oberhalb von 40 °C. Insgesamt sind die Unterschiede zwischen Sommer- und Wintertemperaturen aber noch deutlich geringer als etwa in Osteuropa; nur dort kann man wirklich von Kontinentalklima sprechen. Deutlich kühler und feuchter ist das Klima im Zentralmassiv, das bis auf 1800 Meter ansteigen kann. Im Südwesten herrscht Atlantikklima vor, das insgesamt feucht, aber bereits relativ warm und sonnig ist. Niederschlagsmaxima sind insbesondere in der Nähe der Pyrenäen zu finden. Nach der Klassifikation von E. Neef heißt das Klima an der Atlantikküste „maritimes Westseitenklima“ und gehört zur gemäßigten Klimazone; durch den Einfluss des Azorenhochs ist allerdings dort der Sommer relativ trocken; das Niederschlagsmaximum liegt im Herbst oder Winter. Der Mittelmeerraum im Südosten liegt bereits im Winterregenklima, so dass hier schon eine andere Pflanzenwelt vorherrscht (Garrigue, sommertrockener Wald). Im Sommer können Dürren und Waldbrände auftreten. Abkühlung verschafft dort besonders im Einzugsbereich der Rhône der Mistral, ein gelegentlich starker, kalter, trockener nord-nordwestlicher Wind, der auch die Waldbrände anfachen kann. Ein Hochgebirgsklima ist naturgemäß in den höheren Lagen von Alpen und Pyrenäen zu finden. Relief. Frankreichs Landschaftsbild prägen überwiegend flache Ebenen oder sanfte Hügel im Norden und Westen. Der Rest ist gebirgig, insbesondere die Pyrenäen im Südwesten, das Zentralmassiv und die Alpen im Südosten. Natürliche Ressourcen. Kohle, Eisenerz, Bauxit, Zink, Kaliumkarbonat, Nickel Landnutzung. Bewässertes Land: 16.300 km² (Schätzung 1995) Umweltprobleme. Eines der gewichtigsten Probleme ist die Wasserverschmutzung – teils durch urbane Abwässer – aber insbesondere dort, wo die Landwirtschaft intensiv ist (Überdüngung) (vor allem Bretagne) oder das Wasser knapp (Midi – vor allem südliches Zentralmassiv). Der Schutz der Küsten (Littoral) ist ein wichtiges Thema. Luftverschmutzung durch Industrie und Verkehr (Ozonbelastung bei starkem Sonnenschein) stellt ein weiteres Problem dar, (einige) Wälder sind vom sauren Regen geschädigt, doch ist dieses Problem nicht so stark zum Tragen gekommen, wie in Mittel- oder Nordeuropa. Allerdings sind die Folgen von Emissionen der Energiegewinnung nicht so deutlich wegen des hohen Kernenergieanteils in der französischen Stromproduktion. Hieraus ergeben sich jedoch wieder verstärkt – insbesondere weil Frankreich auch noch als ein europäisches Zentrum der Atomindustrie fungiert – die üblichen Probleme der schwer zu erfassenden Folgen der Niedrigstrahlung und der ungelösten Endlagerung. Besonders deutlich wird dieses Problem im Falle der französischen Anlage zur Aufbereitung von Kernbrennstäben in La Hague in der Normandie. Die Umweltdebatte in Frankreich macht sich immer wieder an symbolischen Großprojekten fest – nach dem (neben den anderen Kernkraftwerken) Brutreaktor in Creys-Malville in den 1970er-Jahren, war dies in den 1980er-Jahren das (gestoppte) Projekt eines Stausees an der oberen Loire (Serre de la Fare) und in den 1990er-Jahren zunächst der Bau eines Tunnels unter den Pyrenäen (Tunnel du Somport, Vallée d’Aspe) und ein Projekt zur Verbindung von Rhein und Rhone durch einen großen Kanal. Im neuen Jahrtausend kam die Erforschung einer Endlagerstätte für Atommüll in Tiefengestein in Bure in Südlothringen hinzu.
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Fear, Uncertainty and Doubt
Als Fear, Uncertainty and Doubt ( für "Furcht, Ungewissheit und Zweifel", meist abgekürzt als FUD), wird eine Werbe- oder Kommunikationsstrategie bezeichnet, die der gezielten Bekämpfung und Diskreditierung eines (in der Regel wirtschaftlichen oder politischen) Konkurrenten dient, insbesondere wenn dieser bislang ein gutes Image hat. Auch zur Kommentierung von Einschüchterungsversuchen durch Unternehmen, Verbände oder staatliche Behörden wird die Formel benutzt. Geprägt hat diesen Begriff Gene Amdahl, nachdem er IBM verlassen hatte, um seine eigene Firma Amdahl Corporation zu gründen. Er soll damals über IBM-Vertriebsmitarbeiter gesagt haben, es seien Furcht, Ungewissheit und Zweifel, die sie potenziellen Amdahl-Kunden vermittelten. Ziel. Das Ziel ist es, beim Informationsempfänger (zum Beispiel Kunden, Wähler) jene "Furcht, Ungewissheit und Zweifel" gegenüber einem Konkurrenten oder dessen Produkten hervorzurufen (Propaganda). Hierbei wird ausgenutzt, dass Angstgefühle beim Menschen irrational begründet sind und selbst nachweislich falsche Informationen zu Unsicherheiten führen können. Vorgehen. Die Strategie, gezielt Zweifel an wissenschaftlichen Erkenntnissen zu säen, wurde von der Tabakindustrie eingeführt und wird inzwischen seit mehreren Jahrzehnten genutzt, um politische Entscheidungen zu Umweltfragen wie z. B. dem Klimaschutz zu verzögern. Man bedient sich dabei gezielter, aber dennoch subtiler und eher unterschwelliger Desinformation, zum Beispiel in Pressemeldungen. Häufig werden diese über scheinbar neutrale Quellen („Third-Party Strategy“) verbreitet, deren Verbindung zum eigentlichen Urheber nicht sofort ersichtlich ist. Panikmache oder Fehlinformation zur Unterbindung bestimmter Handlungen gehört ebenfalls in den Bereich des FUD. Hier ist der jeweilige Konkurrent das Opfer, der Informationsempfänger nur Mittel zum Zweck. So werden bisweilen Produkte verfrüht angekündigt, lediglich um Kunden vom Kauf von Konkurrenzprodukten abzuhalten (Vaporware). Befürworter freier Inhalte weisen gelegentlich angeblichen Rechteinhabern nach, die sich besonderer Schutzrechte berühmen, dass diese durch eine FUD-Strategie versuchen, Nutzer einzuschüchtern und von der Nutzung von Werken abzuhalten, die an sich frei sind. Auch bei Rechtsstreitigkeiten kann das Mittel FUD eingesetzt werden, vor allem in Verbindung mit hohen Streitwerten und unerfahrenen Gegnern. Hier bilden Informationsempfänger und Opfer eine Einheit, beispielsweise bei einer Abmahnwelle gegen private Betreiber von Websites. Abwehr. Eine mögliche Verteidigung gegen alle genannten Angriffsarten ist die Veröffentlichung der Tatsachen seitens des Opfers. Nicht zu verwechseln ist FUD mit einer offen geführten "Hetz- bzw. Schmutzkampagne", was im geschäftlichen Bereich als unlauterer Wettbewerb einzustufen ist. Dokumentarfilm. Der Schweizer Unternehmer und Programmierer Michael Wechner drehte 2005 einen Dokumentarfilm unter dem Titel "FUD – Fear Uncertainty Doubt", in dem ein Stimmungsbild der Open-Source-Szene am Beispiel der Apache Group gezeichnet wird.
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Frankenthal (Pfalz)
Frankenthal (Pfalz) ist eine kreisfreie Stadt in Rheinland-Pfalz im Nordosten der Region Pfalz. Unmittelbar benachbart sind die Städte Worms im Norden und Ludwigshafen im Süden. Historisch war Frankenthal vom 16. bis zum 18. Jahrhundert einer der wichtigsten Orte des Kurfürstentums Pfalz. Frankenthal fungiert als Mittelzentrum für die umliegenden Gemeinden im Rhein-Pfalz-Kreis und gehört mit ihnen zur Metropolregion Rhein-Neckar. Geographie. Lage. Die Stadt liegt in der Oberrheinischen Tiefebene zwischen dem Pfälzerwald im Westen und dem Rhein im Osten. Durch Frankenthal fließt die Isenach, die 6 km weiter in den Rhein mündet. Ihr früherer linker Zufluss Fuchsbach ist im Stadtgebiet verrohrt; seine Hauptwassermenge erreicht den Rhein heute über Schrakel- und Eckbach. Auf der Gemarkung der Stadt liegt mit der tiefste Punkt der Pfalz. Dieser befindet sich nur wenige hundert Meter vom Rhein entfernt auf einem Acker des "Klosgartenhofs", eines landwirtschaftlichen Betriebs im nordöstlichen Vorort Mörsch an der Grenze zum Ludwigshafener Stadtteil Pfingstweide. Den höchsten Punkt der Stadt bildet mit der "Monte Scherbelino", ein kleiner Hügel am städtischen Strandbad, der aus einer Mülldeponie hervorgegangen ist. Zum Jahreswechsel 1882/83 führte der Rhein Hochwasser, bei dem u. a. Ludwigshafen und Teile Frankenthals überschwemmt wurden. Der östliche Bereich Frankenthals gehört zu den Gebieten, die bei solchen sehr seltenen extremen Hochwasserereignissen betroffen sein können. Klima. Der Jahresniederschlag beträgt 528 mm. Dies ist ein relativ niedriger Wert, der im unteren Zehntel der in Deutschland erfassten Werte liegt; nur an 6 Prozent der Messstationen des Deutschen Wetterdienstes werden noch geringere Niederschläge registriert. Der trockenste Monat ist der Februar, die meisten Niederschläge fallen im Juni, nämlich 2,4-mal mehr als im Februar. Die Niederschläge variieren stark, lediglich 28 Prozent der Messstationen verzeichnen noch höhere jahreszeitliche Schwankungen. Stadtgliederung. Die Stadt Frankenthal (Pfalz) besteht aus der Kernstadt und vier Ortsbezirken, die früher eigenständige Dörfer waren. Geschichte. Geschichte. Ur- und Frühgeschichte. Bei Grabungen auf dem Strandbadgelände im Jahr 1961 wurden Mammutknochen und menschliche Schädelfragmente entdeckt. Bei weiteren Ausgrabungen im Stadtgebiet wurden Werkzeuge und auch ein Glockenbecher gefunden, die auf den Zeitraum zwischen 4000 und 1800 v. Chr. datiert wurden, der zur Jungsteinzeit gehört. Bei Kanalisationsarbeiten in der Nähe der Friedrich-Ebert-Schule wurde ein bronzezeitliches Gräberfeld entdeckt, das aus der Zeit zwischen 1800 und 1200 v. Chr. stammt. Die Gräber waren mit reichhaltigen Beigaben, darunter eine Prunkaxt, versehen. Die Gegenstände wurden dem keltischen Volk der Mediomatriker zugeordnet. Zahlreiche Funde von Terra-Sigillata-Gefäßen in der Nähe des Rheins deuten auf eine kurzzeitige römische Besiedlung während der Eisenzeit hin. Mittelalter. Erstmals erwähnt wurde die Gemeinde, die ursprünglich "Franconodal" hieß und eine fränkische Gründung aus dem späten 5. Jahrhundert ist, in einer mittelalterlichen Schenkungsurkunde des Klosters Lorsch vom 20. September 772. In einer weiteren Schenkungsurkunde an das Kloster Weißenburg aus dem Jahre 812 wurde diesem eine Kirche im Dorf mit Höfen, Weiden und Wiesen übertragen. 886 kam es durch lange andauernde Regenfälle zu großflächigen Überschwemmungen durch den Rhein, dessen Flussbett sich anschließend dauerhaft nach Osten verlagerte. Die Gründung eines Augustiner-Chorherrenstifts durch den Wormser Adligen Erkenbert im Jahre 1119 und eines Frauenstifts durch seine Gattin "Richlindis" sechs Jahre später führte zu einer grundlegenden Veränderung des dörflichen Lebens. Vor allem das Chorherrenstift entwickelte sich sehr schnell zu einem wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum, das in die gesamte Region ausstrahlte. Frankenthal erlebte seine erste Blütezeit. Von besonderer Bedeutung war das Skriptorium des Klosters, in dem zahlreiche kunsthistorisch wertvolle Handschriften entstanden, so die Frankenthaler Bibel. Stadtgründung. Während das Frauenstift (Kleinfrankenthal) bereits 1431 mit päpstlicher Zustimmung aufgehoben wurde, bestand das Chorherrenstift bis ins 16. Jahrhundert. 1562 wurde es durch Kurfürst Friedrich III. aufgelöst, die Mönche vertrieben und die Gebäude und Ländereien einer Gruppe flämischer Flüchtlinge zur Verfügung gestellt, die ihre Heimat wegen ihres reformierten Glaubens hatten verlassen müssen. Unter den Mitgliedern der Exulantengemeinde – zunächst 62 Familien unter der Führung des Petrus Dathenus – befanden sich zahlreiche Kaufleute, Gold- und Silberschmiede, Gobelinwirker, Textilfabrikanten und Maler. In einem Ansiedlungsvertrag ("Frankenthaler Kapitulation") wurden die Bedingungen für die Niederlassung und die Rechte der Siedler festgeschrieben. 1571 fand am Ort das vom Kurfürsten initiierte Frankenthaler Religionsgespräch zwischen Täufern und Reformierten statt. Nach der 1573 überarbeiteten Kapitulation erhielt Frankenthal einen gewählten Schultheiß und ein eigenes Gericht. Die Siedlung wurde mit Graben, Mauern und Toren umgeben und erhielt am 30. Oktober 1577 Stadtrecht. Zu einem weiteren Bevölkerungsanstieg kam es, als die Kurpfalz wieder das lutherische Bekenntnis annahm und zahlreiche reformierte Wallonen aus Heidelberg nach Frankenthal übersiedelten. Sie bildeten eine zweite Kirchengemeinde mit französischer Predigt. Mit den von Pfalzgraf Johann Kasimir 1582 erlassenen neuen Statuten für die Stadt wurden die bisherigen Sonderrechte weitgehend beseitigt und die Bürger Frankenthals denen der Oberamtsstadt Neustadt gleichgestellt. Die meisten Wahlbeamten, auch der Schultheiß, wurden nunmehr durch den Pfalzgrafen eingesetzt. Mit dem Zuzug weiterer Einwohner (1584 lebten 365, 1592 668 Familien in der Stadt) setzte ein wirtschaftlicher Aufschwung ein. Seit 1581 bildeten die Tuchmacher eine Zunft. 1586 erhielten die Weber eine Ordnung und Zollfreiheit auf den Messen. Es entstanden eine Goldschmiedemanufaktur und die über die Grenzen der Pfalz hinaus bekannte Frankenthaler Malschule, zu der Gillis van Coninxloo, Anton Mirou, Pieter Schoubroeck, Henrick Gijsmans und Hendrick van der Borcht (der Ältere) gehörten. Kriege und Zerstörung. Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts zur stärksten linksrheinischen Festung der Kurpfalz ausgebaut, geriet Frankenthal schnell in die Wirren des Dreißigjährigen Kriegs. Nach mehreren vergeblichen Belagerungen wurde die Stadt Ende März 1623 von den auf Seiten des Kaisers und der Katholiken kämpfenden Spaniern eingenommen und stand das nächste Jahrzehnt über wie die gesamte linksrheinische Pfalz unter spanischer Sequesterverwaltung. Im November 1632 vertrieben die Schweden die Spanier vorübergehend aus Frankenthal, die nach erneuter Eroberung im Oktober 1635 in die Stadt zurückkehrten und sie bis über das Ende des Krieges hinaus besetzt hielten. Die Spanier kämpften nach 1648 weiterhin gegen Frankreich im Französisch-Spanischen Krieg und konnten von der Festung aus das nun französische Elsass bedrohen. Erst Anfang Mai 1652 zogen sie gegen finanzielle Entschädigung durch die Reichsstände ab und übergaben Frankenthal an die im Westfälischen Frieden teilweise wiederhergestellte Kurpfalz. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Stadt nur noch 324 von vor dem Krieg 18.000 Einwohnern. Besonders schwer traf die Stadt auch der Pfälzische Erbfolgekrieg. Im September 1689 wurde die Stadt von französischen Truppen in Brand gesteckt und fast völlig zerstört. Aufstieg. Dem Niedergang folgte bald ein neuer wirtschaftlicher Aufstieg. Im 18. Jahrhundert wurde Frankenthal dritte Hauptstadt der Kurpfalz, im Zentrum wurde die Dreifaltigkeitskirche erbaut. Die Stadt avancierte zum Experimentierfeld staatlich-merkantilistischer Wirtschaftsförderung, wobei über 20 Manufakturen entstanden. Sie stellten vor allem Galanteriewaren her. Besondere Bedeutung erlangte die 1755 errichtete Porzellanmanufaktur, die zwar nur 45 Jahre Bestand hatte, deren Produkte aber noch heute als wertvolle Antiquitäten gehandelt werden. Den Kanalhafen verband ein 1781 vollendeter Kanal mit dem nahen Oberrhein. Auf einem der Kanalschiffe wurde noch 1875 die in Frankenthal gegossene, 26 Tonnen schwere Kaiserglocke des Kölner Doms zum Rhein transportiert. Französische und bayerische Zeit. Die Nachwirren der Französischen Revolution bereiteten dieser dritten Blütezeit ein Ende. Von 1798 bis 1814 stand Frankenthal unter französischer Verwaltung und war Kantonshauptstadt im Département du Mont-Tonnerre (Donnersberg). Infolge des Wiener Kongress (1815) kam Frankenthal zunächst an Österreich und 1816 aufgrund eines Tauschvertrages an das Königreich Bayern. Frankenthal blieb lange Zeit ein "„unbedeutendes Landstädtchen“," wie ein zeitgenössischer Beobachter notierte. 1820–1823 errichtete der Weinbrenner-Schüler und Regierungsbaubeamte Johann Philipp Mattlener die Zwölf-Apostel-Kirche, in welche er den historischen Turm der Erkenbert-Ruine integrierte. Industrialisierung und wirtschaftlicher Aufschwung. Mit der Industriellen Revolution stellte sich neuer Aufschwung ein. Die Maschinenfabrik Hamm & Co. wurde 1845 von Georg Hamm (1817–1878) gegründet. Sie entstand aus der alten Glockengießerei von Georg Friedrich Schrader, die bereits 1774 in Betrieb ging. 1859 wurde das Unternehmen von seinem Bruder Andreas (1824–1894) übernommen und später unter dem Namen Albert & Hamm um den Bau von Druckmaschinen erweitert. Auf dieses Unternehmen gehen viele der heutigen metallverarbeitenden Betriebe der Stadt zurück und auch die Heidelberger Druckmaschinen AG entstand aus Teilen der alten Glockengießerei. Die Firmen "KKK", "Albert-Frankenthal", "KSB" und "Bettinger & Balcke", die zwischen 1859 und 1899 entstanden, machten die Stadt zu einem bedeutenden Zentrum der Metallverarbeitung. Die in Frankenthal hergestellten "Turbinenkessel", "Druckmaschinen" und "Pumpen" genossen weltweiten Ruf. Auch die Einwohnerzahl stieg rasch an: 1850 waren es 4767, 50 Jahre später 16.899, um das Jahr 2000 etwa 50.000. Die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts neu errichtete und längst zu eng gewordene Stadtmauer wurde um die Wende zum 20. Jahrhundert bis auf geringe Reste beseitigt, die Innenstadt dicht bebaut. 1919 wurden die drei nahe der Stadt liegenden Dörfer Flomersheim, Mörsch und Studernheim eingemeindet. Neubaugebiete und neue Industrien entstanden. Entwicklung ab dem Zweiten Weltkrieg. Während des Zweiten Weltkriegs betrieb die Wehrmacht in Frankenthal das Kriegsgefangenen-Stammlager XII B (kurz "Stalag XII B"). 1940 bestand als Außenlager des SS-Sonderlagers Hinzert (KZ) in Mörsch mehrere Monate ein Zwangsarbeitslager, dessen Häftlinge beim Autobahnbau (heutige A 6) eingesetzt wurden. Am 23. September 1943 wurde Frankenthal durch Bomben stark zerstört und verlor einen Großteil seiner älteren Bebauung. Die Stadt wurde in der Nachkriegszeit wie viele andere in zweckmäßiger, allerdings schmuckloser Architektur wieder aufgebaut. Ob die Schilderung des Dichters August von Platen aus dem Jahre 1815, Frankenthal sei ein "„gar so schöngebautes Städtchen, eines der schönsten in der ganzen Pfalz“," heute noch zutrifft, ist deshalb zumindest umstritten. Auf jeden Fall konnte die Stadt in den 1950er und 1960er Jahren wieder sehr schnell an ihre wirtschaftlichen und urbanen Traditionen anknüpfen. Frankenthal war nach dem Zweiten Weltkrieg Teil der französischen Besatzungszone. Die Errichtung des Landes Rheinland-Pfalz wurde am 30. August 1946 als letztes Land in den westlichen Besatzungszonen durch die Verordnung Nr. 57 der französischen Militärregierung unter General Marie-Pierre Kœnig angeordnet. Es wurde zunächst als „rhein-pfälzisches Land“ bzw. als „Land Rheinpfalz“ bezeichnet; der Name Rheinland-Pfalz wurde erst mit der Verfassung vom 18. Mai 1947 festgelegt. Im Rahmen der kommunalen Gebietsreform in Rheinland-Pfalz wurde Eppstein am 7. Juni 1969 eingemeindet. Der größere Ostteil des Landkreises Frankenthal (Pfalz) ging im heutigen Rhein-Pfalz-Kreis mit Sitz in Ludwigshafen am Rhein auf, der kleinere Westteil wurde dem neuen Landkreis Bad Dürkheim zugeschlagen. Zu einem Blowout-Ereignis kam es 1980. 15 Tage lang strömten insgesamt 15 Millionen Kubikmeter Erdgas unkontrolliert aus einem Untertagespeicher der Firma Saar-Ferngas aus, bis das defekte Bohrloch durch „Red“ Adair mithilfe eines Blowout-Preventers geschlossen werden konnte. Versuche, das Leck mit 1000 Tonnen Beton abzudichten, waren vorher gescheitert. Im Jahr 2000 rief Oberbürgermeister Theo Wieder die "Frankenthaler Bürgerprojekte" ins Leben. Ziel ist, Projekte zu realisieren, für welche die öffentlichen Mittel fehlen, deren ehrenamtliche Umsetzung wünschenswert ist, um die Attraktivität der Stadt zu erhöhen. 2002 fand das 425-jährige Stadtjubiläum statt. Seit dem Festjahr säumen insgesamt 149 Skulpturen von Löwen (er ist das Wappentier Frankenthals) das Stadtbild, die von Privatpersonen und Firmen gekauft und unterschiedlich bemalt worden sind. Religion. In Frankenthal befinden sich jeweils sieben Kirchen der römisch-katholischen und der evangelischen Konfession, eine ökumenische Kirche, sowie mehrere Sakralbauten anderer christlicher Religionsgemeinschaften. In einem Stadtteil im Nordwesten entstand in jüngster Zeit eine Moschee (siehe Liste von Sakralbauten in Frankenthal (Pfalz)). Evangelische Kirchen (Auswahl). Die Kleine protestantische Pfarrkirche bestand von 1712 bis 1943, von der Stiftskirche ist die Erkenbert-Ruine erhalten. Ökumenisches Gemeindezentrum. Das ökumenische Gemeindezentrum im Pilgerpfad mit der St.-Jakobus-Kirche wurde von Emil Wachter entworfen. Hier finden abwechselnd sowohl evangelische als auch katholische Gottesdienste statt, die von den der jeweiligen Konfession zugehörigen Geistlichen abgehalten werden. Manche Aktionen und Gruppenveranstaltungen erfolgen gemeinsam. Konfessionsstatistik. Derzeit (Stand 31. Mai 2023) liegt der Anteil der katholischen Bürger bei 23,4 %, der evangelischen bei 22,0 % und der sonstigen bei 54,7 %. Am 9. Mai 2011 hatte der Anteil der katholischen Bürger bei 30,5 %, der evangelischen bei 31,6 % und der sonstigen bei 37,9 % gelegen. Die Zahl der Katholiken und vor allem die der Protestanten ist demnach im beobachteten Zeitraum gesunken. Freikirchen. Im Stadtteil Eppstein gibt es seit 1779 eine Mennonitengemeinde mit 45 Gemeindemitgliedern, die vor Ort und in der weiteren Umgebung leben. Hinsichtlich der Anstellung einer Pastorin wird mit der Mennonitengemeinde Ludwigshafen zusammengearbeitet. Zusätzlich existiert eine Mennoniten-Brüdergemeinde, die auf Aussiedler aus Russland zurückgeht. Sie unterhält zwei Gemeindehäuser. Auch weitere Freikirchen und andere Religionsgemeinschaften sind in Frankenthal mit eigenen Gemeinden tätig. Politik. Stadtrat. Der Stadtrat von Frankenthal besteht aus 44 ehrenamtlichen Ratsmitgliedern, die bei der Kommunalwahl am 26. Mai 2019 in einer personalisierten Verhältniswahl gewählt wurden, und dem hauptamtlichen Oberbürgermeister als Vorsitzendem. Wegen der Besonderheiten des rheinland-pfälzischen Wahlsystems bei den Kommunalwahlen (personalisierte Verhältniswahl) sind die angegebenen prozentualen Stimmanteile als gewichtete Ergebnisse ausgewiesen, die das Wahlverhalten nur rechnerisch wiedergeben. Die Stadtratswahlen führten zu folgenden Ergebnissen (mit Vergleichszahlen der vorigen Wahl): Oberbürgermeister und Stadtvorstand. Der hauptamtliche Oberbürgermeister ist Leiter der Stadtverwaltung Frankenthal und sitzt dem Stadtrat vor; daneben leitet er das städtische Dezernat A, das unter anderem für die politischen Gremien, Bauplanungen und die Stadtwerke zuständig ist. Amtsinhaber ist seit 1. Januar 2016 Martin Hebich von der CDU; er war am 31. Mai 2015 für eine achtjährige Amtszeit gewählt worden. Martin Hebich erklärte am 28. September 2022, „nach dem Ende meiner Amtszeit keine öffentliche Person mehr sein zu wollen.“ Auch werde er nicht mehr als Oberbürgermeister kandidieren. Die letzte Oberbürgermeisterwahl fand am 25. Juni 2023 statt; gewählt wurde mit 55,4 Prozent der Stimmen Nicolas Meyer, der ab 1. Januar 2024 die Amtsgeschäfte übernehmen soll. Bisherige Oberbürgermeister von Frankenthal waren unter anderem: Unterstützt wird der Oberbürgermeister von zwei weiteren Dezernenten, mit denen er den Stadtvorstand bildet. Dies sind derzeit Bürgermeister Bernd Knöppel (CDU; Dezernat B – Gebäude, Recht, Ordnung und Umwelt sowie die städtischen Eigenbetriebe) und der Beigeordnete Bernd Leidig (SPD; Dezernat C – Finanzen, Schulen, Familien, Jugend und Soziales). Städtepartnerschaften. Offizielle Städtepartnerschaften: Partnerschaftliche Beziehungen: Städtefreundschaften: Kultur und Sehenswürdigkeiten. Perron-Kunstpreis. Seit 1981 vergibt die Stadt Frankenthal jährlich den "Perron-Kunstpreis". Die Schwerpunkte der künstlerischen Arbeiten bilden abwechselnd die Disziplinen Graphik, Malerei, Plastik und Porzellan. Begleitend zur Preisverleihung findet eine Ausstellung der Nominierten statt. Sport. Frankenthal besitzt eine Vielzahl von Sportvereinen, die das Stadtbild und die Freizeitaktivitäten aller Altersklassen prägen. Auf mehr als 400 Jahre blickt die Schützengesellschaft Frankenthal zurück; zu den ältesten und mitgliederstärksten Vereinen zählen außerdem der VfR Frankenthal, die TG Frankenthal, die VT Frankenthal und der TSV Eppstein. In Frankenthal befindet sich seit dem 1. Januar 1997 das Landesleistungszentrum Karate für Rheinland-Pfalz, welches vom "1. Shotokan Karate Club Frankenthal" betrieben wird. Seit 2005 besteht das "DAV-Kletterzentrum Pfalz-Rock" in Frankenthal. Die Halle mit etwa 1200 m² Kletterfläche, rund 15 m Höhe und einigen stark überhängenden Wettkampfbahnen (10+) ist "Landesleistungsstützpunkt Sportklettern" in Rheinland-Pfalz. Regelmäßige Veranstaltungen. Das Strohhutfest an vier Tagen im Mai/Juni ist mit mehr als 300.000 Besuchern das größte Straßenfest der Pfalz. Der "Frühjahrsmarkt", das "Strandbadfest" und das "Herbstspektakel" (früher "Oktobermarkt)" sind bedeutende regionale Ereignisse, die "Trendtage", die "Kulturtage" und der "Weihnachtsmarkt" besitzen lokalen Charakter. Immer größere Ausstrahlung gewinnt der winterliche Eiszauber, bei dem die Erkenbert-Ruine für mehrere Wochen in eine große Eislaufbahn verwandelt wird. Wirtschaft und Infrastruktur. Im Jahre 2016 erbrachte Frankenthal, innerhalb der Stadtgrenzen, ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 1,564 Milliarden €. Das BIP pro Kopf lag im selben Jahr bei 32.301 € (Rheinland-Pfalz: 34.118 €, Deutschland 38.180 €) und lag damit unter dem regionalen und nationalen Durchschnitt. Das BIP je Erwerbsperson beträgt 68.902 € und liegt damit deutlich höher. In der Stadt waren 2016 ca. 22.700 erwerbstätige Personen beschäftigt. Die Arbeitslosenquote lag im Dezember 2018 bei 5,8 % und damit über dem Durchschnitt von Rheinland-Pfalz von 4,1 %. Im Zukunftsatlas 2016 belegte die kreisfreie Stadt Frankenthal Platz 205 von 402 Landkreisen, Kommunalverbänden und kreisfreien Städten in Deutschland und zählt damit zu den Orten mit „ausgeglichenem Chancen-Risiko Mix“ für die Zukunft. Unternehmen. In Frankenthal haben bedeutende Unternehmen ihren Hauptsitz: Außerdem bestehen Niederlassungen zahlreicher Unternehmen: Öffentliche Einrichtungen. Die Stadt ist Sitz eines Land- und eines Amtsgerichts. Außer den beiden Gerichten ist im Justizzentrum Frankenthal auch die Staatsanwaltschaft angesiedelt. In der Justizvollzugsanstalt Frankenthal mit 420 Haftplätzen im geschlossenen Vollzug sowie 19 Haftplätzen im offenen Vollzug werden Freiheitsstrafen von maximal acht Jahren Dauer und Untersuchungshaft vollstreckt. Bildung. Die Stadt ist Träger einer Reihe von Schulen, die von etwa 9000 Schülern aus der Stadt und deren Umkreis besucht werden: Zudem unterhält die Stadt ein Schullandheim sowie eine Musikschule, die im Kulturdenkmal der ehemaligen Zuckerfabrik betrieben wird. Der Bezirksverband Pfalz ist Träger des "Pfalzinstituts für Hören und Kommunikation" mit Internat und Berufsschule. Dazu kommt die private Freie Waldorfschule Frankenthal. Im Sommer 2008 wurde die "Frankenthaler Bildungsstiftung" gegründet, die die verschiedenen Bildungseinrichtungen sowie deren Schüler fördert. Verkehr. Fernstraßen. Unmittelbar nördlich von Frankenthal liegt die Anschlussstelle Frankenthal-Nord der A 6 (Saarbrücken–Mannheim); von Süden her wird die Stadt über die B 9 (Speyer–Worms) erreicht. Öffentlicher Nahverkehr. Frankenthal liegt an der Bahnstrecke Mainz–Mannheim. Am Hauptbahnhof Frankenthal halten halbstündlich S-Bahnen der S-Bahn RheinNeckar sowie stündlich alternierend der Regionalexpress Frankfurt–Karlsruhe bzw. Frankfurt–Mannheim. Seit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2021 werden neue Fahrzeuge der Baureihe 463 eingesetzt. Von Frankenthal Hauptbahnhof aus verkehren zudem halbstündlich Regionalbahnen nach Freinsheim und weiter nach Grünstadt und Ramsen/Eiswoog oder nach Monsheim. Die Strecke nach Freinsheim zweigt von der Strecke nach Ludwigshafen am Rhein südlich des Haltepunktes Frankenthal Süd ab, der zum Fahrplanwechsel am 14. Juni 2015 um 0 Uhr in Betrieb genommen wurde. Mehrere Stadt- und Regionalbuslinien, die sich alle am Frankenthaler Busbahnhof treffen, bedienen Stadtgebiet und Umland. Von 1891 bis 1939 fuhr eine Lokalbahn von Frankenthal nach Großkarlbach; die Relation wird heute von der BRN-Buslinie 460 bedient. Sonstiges. In dem von der Bundesanstalt für Straßenwesen erstellten Kinderunfallatlas des Jahres 2012 verunglücken in Frankenthal 2,68 von 1000 radfahrenden Kindern. Damit liegt Frankenthal (Pfalz) auf dem sechstschlechtesten Platz aller 412 untersuchten Städte und Gemeinden. Bereits seit 1984 landet Frankenthal in vergleichbaren Untersuchungen stets auf den hintersten Plätzen. Persönlichkeiten. Bekannte Persönlichkeiten aus Frankenthal sind unter anderen die Maler Jacob Marrel und Martin Föller, der Maler und Kunsthistoriker Elmar Worgull, der Bergfilmer Arnold Fanck, der Rechtshistoriker Konrad Maurer, der Arzt und Schriftsteller Paul Bertololy, der Neurologe und Psychiater Franz Nissl, der Mathematiker Oskar Perron sowie der Soziologe Stefan Hradil.
1595
2973755
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1595
Fidel Castro
Fidel Alejandro Castro Ruz [ ] (* 13. August 1926/1927 in Birán bei Mayarí, Provinz Oriente; † 25. November 2016 in Havanna) war ein kubanischer Revolutionär, kommunistischer Politiker, marxistischer Theoretiker und diktatorisch regierender Regierungschef bzw. Staatspräsident Kubas sowie erster Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas. Castro war mit der "Bewegung des 26. Juli" ("M-26-7") die treibende Kraft der kubanischen Revolution, die am Jahresende 1958 zum Sturz des Diktators Fulgencio Batista führte. Als Staats- und Regierungschef Kubas prägte er 49 Jahre lang die Entwicklung seines Landes. Politisch war Castros Rolle umstritten: Von den einen wegen der Durchsetzung eines Einparteiensystems und als Verantwortlicher für diverse Menschenrechtsverletzungen gehasst und gefürchtet, von den anderen verehrt und bewundert als Revolutionär und Befreier Kubas. Als sozial- und kulturpolitische Leistungen werden vor allem Castros Kampf gegen die verbreitete Armut und den Analphabetismus im Land hervorgehoben, so etwa die Einführung eines unentgeltlichen schulischen Bildungs- und medizinischen Grundversorgungssystems für die gesamte Bevölkerung. Als Protagonist einer antiimperialistischen Weltanschauung auf marxistischer Grundlage unterstützte Castro außenpolitisch – auch militärisch – diverse antikoloniale und nationale Befreiungsbewegungen der so genannten Dritten Welt in Unabhängigkeitskämpfen gegen die herrschenden Kolonialmächte. Nach dem ab 1960 bestehenden Embargo der Vereinigten Staaten gegen Kuba war Castro auf die wirtschaftliche Unterstützung der Sowjetunion angewiesen. Mit der Stationierung sowjetischer Kernwaffen auf Kuba im Jahr 1962 und der damit folgenden Kubakrise geriet Castro in den Fokus der Blockkonfrontation des Kalten Krieges. Gleichwohl versuchte er trotz der Verbindung zur UdSSR diese Konfrontation zu überwinden. Kuba schloss sich unter seiner Regierung der Bewegung der Blockfreien Staaten an. Fidel Castro selbst war von 1979 bis 1983 sowie von 2006 bis 2008 Vorsitzender der Blockfreien Staaten. Leben. Jugend und Familie. Fidel Castro wurde am 13. August 1926 oder 1927 geboren. Er war ein nichteheliches Kind des Zuckerrohrplantagenbesitzers Ángel Castro Argiz und dessen Hausköchin Lina Ruz González. Sein Vater war ein spanischer Immigrant aus dem galicischen Dorf San Pedro de Láncara, der als Soldat der spanischen Kolonialarmee nach Kuba kam. Castros Mutter war die Tochter eines Bauern aus der kubanischen Provinz Pinar del Río, der bei Castros Vater angestellt war. Der Vorname "Fidel" geht auf einen Freund von Castros Vater, Fidel Pino Santos, zurück. Castro hat neben den Brüdern Raúl und Ramón (1924–2016) noch die Schwestern Ángela María („Angelita“), Enma, Juana („Juanita“) und Agustina sowie zwei Halbgeschwister aus der ersten Ehe seines Vaters (Pedro Emilio und Lidia Castro Argota) und mindestens einen weiteren Halbbruder aus einer außerehelichen Beziehung seines Vaters. Das erste offizielle Dokument ist eine Taufurkunde aus dem Jahr 1935, die auf den Namen „Fidel Hipólito Ruz González“ ausgestellt ist. Er trägt dort beide Nachnamen der Mutter, da er als nichteheliches Kind ausgewiesen wird. Nach der Scheidung seines Vaters 1941 ließ dieser eine neue Taufbescheinigung für Fidel ausstellen, sie lautete nun auf den Namen „Fidel Ángel Castro Ruz“; das Geburtsdatum soll gegen Bestechung auf den 13. August 1926 vordatiert worden sein, damit Fidel das Jesuitenkolleg in Havanna besuchen konnte, wofür er eigentlich noch zu jung gewesen wäre. Das letzte Taufzeugnis wurde dann im Dezember 1943 nach der Heirat seines Vaters mit Mutter Lina auf den endgültigen Namen „Fidel Alejandro Castro Ruz“ ausgestellt. Castro wurde von seiner Mutter katholisch erzogen. Trotz des Reichtums der Familie (sein Vater Ángel hatte ein Hotel, eine Telegrafenstation, eine Metzgerei und eine Bäckerei, mehrere Handwerksbetriebe sowie eine kleine Schule eingerichtet) kam er häufig mit der armen Landbevölkerung in Kontakt. Er besuchte erst eine kleine Dorfschule in Mayarí, später kam er auf das von den Marianern geleitete "Colegio La Salle" in Santiago de Cuba. Er wohnte bei der Familie des haitianischen Konsuls Luis Hibbert, einem Geschäftspartner des Vaters. Als uneheliches und (zunächst) nicht getauftes Kind wurde Fidel von seinen Mitschülern oft gehänselt. Die Taufe erfolgte erst im Januar 1935 auf den Namen "Fidel Hipólito Ruz González". Der zweite Vorname "Hipólito" stammt von seinem Paten, Luis Hipólito Alcides Hibbert. Der Nachname seines Vaters tauchte in der Taufurkunde nicht auf, da dieser seine Kinder mit Lina Ruz erst nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau und seiner anschließenden Heirat mit Lina im April 1943 formal anerkannte. 1943 erhielt Fidel dann seinen endgültigen Namen "Fidel Alejandro Castro Ruz". Vom "Colegio La Salle" wechselte er auf die jesuitische Schule "Colegio Dolores" in Santiago und später auf das ebenfalls jesuitisch geführte "Colegio Belén" in Havanna. Auch seine Geschwister wurden auf katholischen Schulen erzogen. Im Gegensatz zur ausgeprägten katholischen Familientradition wandte sich Castro nach seinem Aufstieg zum Regierungschef zunehmend gegen die Kirche, deren Einfluss auf die kubanische Gesellschaft er auf vielfältige Weise zurückdrängte. 1960–1961 kam es wegen der schrittweisen Hinwendung der Revolutionsregierung zum Kommunismus dann zum offenen Konflikt: Castro lehnte die Religion analog der von ihm nun offen vertretenen marxistisch-leninistischen Ideologie schließlich komplett ab und ließ ihre Vertreter und Anhänger verfolgen und ausgrenzen sowie kirchliches Eigentum größtenteils verstaatlichen. Entgegen den seit 1962 oft wiederholten Berichten wurde Castro jedoch niemals explizit exkommuniziert. Der von Papst Pius XII. 1949 in einem Dekret verfügte automatische Kirchenausschluss für erklärte Kommunisten wurde von Papst Johannes XXIII. nicht vollzogen. Castro selbst bezeichnete sich als Atheist, berief sich aber hin und wieder auf die Bibel und das Christentum. Ein hohes Regierungsmitglied charakterisierte ihn folgendermaßen: „Fidel ist als erstes Revolutionär, als zweites Jesuit und erst dann Marxist.“ 1996 erhielt Castro eine viel beachtete Privataudienz bei Papst Johannes Paul II., den er 1998 zu einem offiziellen Besuch in Kuba empfing. Aus Anlass eines Treffens mit Papst Benedikt XVI. während dessen Kuba-Besuchs im März 2012 ließ er verlauten, dass er schon seit den 1960er Jahren der Meinung sei, dass Marxisten und Kirche zusammenarbeiten müssten. Später sah er sich verstärkt als Globalisierungskritiker und Sprecher für die Interessen der Dritten Welt. Sein ältester Sohn Fidel Castro Díaz-Balart (1949–2018), genannt "Fidelito" ("Kleiner Fidel"), der aus der Ehe mit seiner ersten Frau Mirta Díaz-Balart Gutiérrez stammte, war promovierter Atomphysiker und bekleidete verschiedene öffentliche Funktionen im Wissenschaftsbereich. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis 1955 hatte Fidel drei Kinder mit drei Frauen: Ergebnis der Liaison mit Natalia „Naty“ Revuelta ist die uneheliche Tochter Alina Fernández Revuelta (* 1956), die 1993 über Spanien in die USA floh und als eine der schärfsten Kritikerinnen ihres Vaters gilt. Aus einer Beziehung mit María Laborde stammt Sohn Jorge Ángel (* 1956). Mit Micaela Cardoso zeugte er Tochter Francisca „Panchita“ Pupo, die ebenfalls 1956 zur Welt kam. Die erste Ehe wurde 1955 wegen Castros Untreue geschieden. Aus der zweiten Ehe mit Dalia Soto del Valle Jorge gingen fünf Söhne hervor, von denen allein Antonio Castro Soto del Valle als langjähriger Vizepräsident des kubanischen Baseball-Verbandes und dritter Vizepräsident des Baseball-Weltverbands in der Öffentlichkeit steht. Studium und erste politische Betätigung. Schon in seiner Schulzeit interessierte sich Castro für Sport, vor allem Baseball. Entgegen einer lange Zeit verbreiteten Legende hat er jedoch niemals einen amerikanischen Profivertrag angeboten bekommen. Er spielte Baseball für seine Universität und zeigte Zeit seines Lebens großes Interesse an diesem Sport. 1945 begann er an der Universität von Havanna ein Jura-Studium und fiel durch politisches Engagement auf. Castro gehörte dort zu einer Gruppe von Studenten, die als "Los muchachos de gatillo alegre" (etwa: "Jungs, die fröhlich am Drücker/Abzug sind") bekannt waren. Er wurde Delegierter der Vereinigung der Jurastudenten, gründete einen Studentenausschuss gegen Rassendiskriminierung und schloss sich 1947 der Orthodoxen Partei von Eduardo Chibás an, die gegen die korrupte Regierung von Carlos Prío und für eine an den nationalen Interessen orientierte Wirtschaftspolitik eintrat. In seiner ersten militanten Aktion beteiligte er sich 1947 am Versuch der Karibischen Legion, mit 3.000 Mann den Diktator der Dominikanischen Republik, Rafael Trujillo, zu stürzen. Das Vorhaben scheiterte, die Expeditionsschiffe wurden von kubanischen Kriegsschiffen abgefangen. 1948 heiratete er Mirta Díaz-Balart, eine Philosophiestudentin aus einer ebenfalls wohlhabenden kubanischen Familie und die Schwester seines damaligen Freundes Rafael Díaz-Balart (der spätere Diktator Batista soll ein Hochzeitsgeschenk geschickt haben). 1949 wurde sein erster Sohn, Fidelito, geboren. Die Ehe wurde 1955 auf Castros Wunsch hin wieder geschieden. Während der kubanischen Revolution wurde die Guerillera Celia Sánchez (1920–1980) seine Lebensgefährtin. Im Jahr 1950 erwarb Castro einen Doktorgrad in Zivilrecht und ein Lizenziat in Diplomatenrecht. Er eröffnete in Havanna eine Rechtsanwaltskanzlei, die er bis 1953 führte. Mit seinem Beruf war er jedoch weder zufrieden noch erfolgreich. Sein Interesse galt der Politik, und im Juni 1952 wollte er mit der Orthodoxen Partei bei den Parlamentswahlen antreten. Der Staatsstreich vom 10. März, angeführt von General Fulgencio Batista, führte zwar zur Absetzung der Regierung Carlos Prío, durchkreuzte aber Castros Pläne: Die Wahlen wurden abgesagt, und Castro verklagte daraufhin Batista wegen Verfassungsbruchs, doch die Klage wurde vom Obersten Gerichtshof abgewiesen. Er veröffentlichte dann einen Artikel in "Son Los Mismos" (einer kleinen studentischen Untergrundzeitung, später als "El Acusador" bekannt), in dem er Batistas Militärputsch verurteilte. Angriff auf die Moncada-Kaserne. Nach der gescheiterten Klage gegen Batista erklärte Castro, dass nach Ausschöpfung aller legalen Mittel nun das in der Verfassung von 1940 verankerte Widerstandsrecht in Kraft getreten sei. Er begann damit, einen Angriff auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba und die Kaserne "Carlos Manuel de Céspedes" in Bayamo vorzubereiten, um einen Volksaufstand im Osten Kubas auszulösen und das Batista-Regime zu stürzen. Am 26. Juli 1953 versammelte Castro rund 160 Mitstreiter um sich, um die Kasernen zu stürmen. 40 Mann waren für die Kaserne in Bayamo bestimmt, die restlichen 120, darunter auch Fidel und zwei Frauen, sollten sich mit mehr als 1.500 Mann Besatzung um die Moncada-Kaserne kümmern. Fünf Studenten lehnten kurz vor der geplanten Aktion den Einsatz ab, so dass Fidels Gruppe nur noch 115 Personen zählte. Er rechnete damit, dass die Truppen wegen der Karnevalsfeiern müde sein würden. Der miserabel vorbereitete Versuch, bei dem acht Angreifer und 13 Soldaten getötet wurden, scheiterte. Blutige, teilweise in aller Öffentlichkeit durchgeführte Racheaktionen von Militär und Geheimpolizei machten die Aktion jedoch landesweit bekannt. Der Erzbischof von Santiago Enrique Pérez Serantes, ein Freund der Castro-Familie, forderte das sofortige Ende der mörderischen Aktionen. Womöglich rettete dieser öffentliche Meinungsumschwung Castro das Leben; denn als er wenige Tage später von einer Militärpatrouille aufgespürt wurde, verhinderte der anführende Feldwebel eine Lynchaktion seiner Soldaten. Castro wurde festgenommen und der Justiz überstellt. Am 16. Oktober 1953 fand in Santiago de Cuba die Gerichtsverhandlung statt. In seiner Verteidigungsrede sprach Castro den berühmt gewordenen Satz: „Die Geschichte wird mich freisprechen!“ "(„La historia me absolverá!“)". Er wurde zu 15 Jahren Zuchthaus auf der Isla de Pinos verurteilt. Unter liberalen Haftbedingungen – sein Schwager Rafael Díaz-Balart war inzwischen stellvertretender Innenminister – hielt er weiterhin Kontakt zu seinen politischen Freunden und seiner Familie und bildete sich zusammen mit seinen Mitgefangenen politisch weiter. Die als politische Gefangene privilegierten Moncada-Kämpfer hatten u. a. freien Zugang zu Literatur aller Art. Am 15. Mai 1955 kam Castro im Rahmen einer Generalamnestie nach weniger als zwei Jahren frei. Castro verließ im März 1955 die "Orthodoxe Partei" und gründete mit seinen Gefährten auf Kuba am 12. Juni 1955 die "Bewegung des 26. Juli". Deren Strategie war der bewaffnete Kampf mit kleinen geheimen Zellen im Untergrund, die über das ganze Land verstreut waren. Exil und Vertreibung Batistas. Da auf Kuba eine militärische Ausbildung und Vorbereitung nicht möglich war, ging eine Gruppe von 82 Kämpfern am 7. Juli 1955 nach Mexiko ins Exil. Unter der Leitung des ehemaligen spanischen Offiziers Alberto Bayo, der im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Republik gegen Francisco Franco gekämpft hatte, begann die militärische Ausbildung der Guerilleros. Dort traf Castro auch auf den Argentinier Ernesto Guevara, später von allen "Che" genannt. Am 25. November 1956 brach Castro zusammen mit seinem Bruder Raúl, Che Guevara, Camilo Cienfuegos und weiteren 78 Revolutionären von Tuxpan (Mexiko) mit der Yacht "Granma" nach Kuba auf, wo sie am 2. Dezember ankamen. Als "Comandante en Jefe" (Befehlshabender Kommandant) führte er die Rebellenarmee in der Sierra Maestra an. Nach über zwei Jahren Guerillakampf gegen die zahlenmäßig weit überlegene Armee flüchtete Batista am 1. Januar 1959 schließlich aus Kuba. Die Gewerkschaften und auch bürgerliche Demokraten hatten sich gegen den Diktator gestellt, die USA hatten nach einem Massaker an Oppositionellen ein Waffenembargo verhängt und verweigerten militärischen Beistand. Gleichwohl engagierte sich die CIA bis zum Untergang des Batista-Regimes gegen Revolutionsbefürworter und für das alte Regime, vor allem in Havanna. Nach dem Sieg wurde Castro, der noch vor der Revolution behauptet hatte, er wolle keine Macht für sich persönlich, sondern nach dem Sturz des alten Regimes sich ins Privatleben zurückziehen, "de facto" der neue Regierungschef Kubas, indem er in öffentlichen Massenversammlungen und Fernsehansprachen die Politik der Revolutionsführung vorgab. Am 16. Februar 1959 übernahm er auch formal das Amt des Ministerpräsidenten, nachdem der erst fünf Wochen zuvor von ihm eingesetzte José Miró Cardona zu seinen Gunsten zurückgetreten war, und übergab den Oberbefehl über die Streitkräfte an seinen Bruder Raúl. Castros Rolle beim Aufbau des neuen Kuba. Castro war noch für einige Zeit das Bindeglied zwischen linksradikalen Revolutionären und den Anhängern bürgerlich-liberaler Überzeugungen innerhalb seiner Anti-Batista-Bewegung, die er allerdings im Laufe des Jahres 1959 (darunter Manuel Urrutia, Huber Matos, Manuel Ray) und in der ersten Jahreshälfte 1960 (Rufo López Fresquet, Enrique Oltuski, Marcelo Fernández Font u. a.) von einflussreichen Regierungsämtern entfernte und durch prokommunistische Gefolgsleute ersetzte, während sein Bruder Raúl und Che Guevara die Aufnahme von Beziehungen zu den sozialistischen Ländern forcierten. Seit Januar 1959 hatten die Brüder Castro und Guevara in geheimen Verhandlungen mit der Führung der moskautreuen Kommunistischen Partei (PSP) an Castros Wohnsitz in Cojímar sich auf ein gemeinsames Vorgehen verständigt. Erst nach einem persönlichen Treffen mit Nikita Chruschtschow am Rande der UN-Vollversammlung 1960 begann Castro allmählich, sich auch öffentlich positiv zur Sowjetunion zu äußern. In Anwesenheit von Ehrengästen aus kommunistischen Ländern erklärte er in seiner weichenstellenden Rede zum 1. Mai 1960 erstmals, dass er im Gegensatz zu seinen vor der Revolution wiederholten Versprechungen keine freien Wahlen abzuhalten gedenke. Während Castro, Guevara und andere auf die besondere Rolle Kubas in der revolutionären und sozialistischen Bewegung und unter den nichtpaktgebundenen Staaten Wert legten, wollten die Altkommunisten um Blas Roca und Aníbal Escalante die neue Partei und Kuba auf die führende Rolle der Sowjetunion (UdSSR) einschwören. Doch Castro setzte sich nach einem Machtkampf im Frühjahr 1962 durch. In der Kubakrise im Oktober 1962 forderte er von Chruschtschow – vergebens – einen atomaren Erstschlag auf US-amerikanisches Territorium für den Fall einer US-Invasion in Kuba. Dass sein Land in einem nuklearen Krieg zerstört worden wäre, wollte er in Kauf nehmen, da das kubanische Volk bereit gewesen wäre, seine revolutionären „Pflichten gegenüber dem Vaterland und der Menschheit zu erfüllen“, wie er an Chruschtschow schrieb. Er war verärgert darüber, dass der Abzug der sowjetischen Raketen zur Beendigung der Krise mit ihm nicht abgesprochen worden war. Wütend wegen Chruschtschows Einlenken ließ Castro im ganzen Land antisowjetische Demonstrationen durchführen. Die Spannungen in den Beziehungen zur UdSSR verschärften sich nach dem Sturz Chruschtschows 1964 u. a. wegen Che Guevaras Sympathien für den Maoismus und nach einem mit Moskau abgesprochenen Versuch von Escalante, Castro zu stürzen (Ende 1967). Auf einer Kundgebung spielte Castro die betreffenden Abhörbänder vor; Escalante und seine Anhänger wurden im Januar 1968 verhaftet. Eine neue Phase der engen Anlehnung an das sowjetische Vorbild setzte bereits wenige Monate später ein, als Castro seine Unterstützung für die Niederschlagung des Prager Frühlings erklärte, die ihn unter linken Intellektuellen damals international viele Sympathien kostete. Die von Castro in den 1970er Jahren vorangetriebene Institutionalisierung des Revolutionsstaates (I. Parteitag, Verfassung, Nationalversammlung) folgte klar dem Muster der sowjetisch dominierten Ostblockstaaten. Internationalismus. Unter Castro verfolgte Kuba eine Politik des Internationalismus. Er entsandte, gewissermaßen als Gegenleistung für die umfangreiche Entwicklungshilfe der Sowjetunion, in enger Anlehnung an die Außenpolitik des Ostblocks, Truppen zur Unterstützung kommunistischer Regimes. Die Regierung unterstützte beispielsweise die Sandinisten in Nicaragua, die gegen von den USA unterstützte, rechtsgerichtete Contra-Gruppen kämpften. Darüber hinaus verfolgte Kuba ein dauerhaftes militärisches und geheimdienstliches Engagement in Zentralafrika, besonders in Angola, und auch in Äthiopien. Dort landeten am Vorabend der Unabhängigkeit (1975) kubanische Truppen, um der marxistisch-leninistischen "Volksbewegung zur Befreiung Angolas" (MPLA) unter Agostinho Neto zur Machtergreifung zu verhelfen und die FNLA und die UNITA zurückzuschlagen (siehe Kubanischer Militäreinsatz in Angola). Wesentlicher Teil des kubanischen Internationalismus ist die Entsendung von Ärzten, Lehrern, Technikern und Konstrukteuren hauptsächlich in Länder der Dritten Welt. So wurden bisher über 50.000 Ärzte in über 60 Länder geschickt, die dort humanitäre Hilfe leisten und Devisen für Kuba erwirtschaften, nach Schätzungen des Sozialwissenschaftlers Omar Everleny Pérez Villanueva etwa sechs Milliarden US-Dollar pro Jahr. Ein Beispiel dafür ist der Einsatz von kubanischen Ärzten in den Armenvierteln Venezuelas. Beim Projekt „Barrio Adentro“ (dt. etwa: hinein ins Armenviertel) bezogen Ärzte aus Kuba Quartier in den Barrios, um dort eine medizinische Grundversorgung anzubieten und so die bolivarische Revolution zu unterstützen. Als Gegenleistung liefert Venezuela sein Öl an Kuba weit unter Weltmarktpreis. Nach 1989. Castro stand Michail Gorbatschows Politik von Glasnost und Perestroika ablehnend gegenüber. Er nahm das mit den Reformen verbundene Risiko eines Auseinanderbrechens des Moskauer Machtbereichs für das eigene politische Überleben sehr ernst und verteidigte die von ihm errichtete marxistisch-leninistische Ordnung des kubanischen Staates gegen die im In- und Ausland vorherrschenden Rufe nach wirtschaftlicher und politischer Öffnung. Für Kubas Wirtschaft war der Handel mit den Ländern des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) von größter Bedeutung. Als ab 1989 wegen des Systemwechsels in den meisten Mitgliedsländern der RGW ausfiel, stürzte Kuba in eine wirtschaftliche Krise, die Castro zu Wirtschaftsreformen zwang. Dazu zählten die Legalisierung, Dollars zu besitzen, sowie die Zulassung von selbständigen Tätigkeiten und freien Bauernmärkten, begleitet von einer Öffnung des Landes für Touristen und ausländische Investoren. Diese Zeit wird heute "Periodo Especial en Tiempo de Paz" (Sonderperiode in Friedenszeiten) oder kurz Periodo Especial genannt. Die Versorgungslage hat sich danach trotz weiterhin bestehender Engpässe etwas gebessert, das politische System im Wesentlichen aber nicht verändert. Politische Ämter und schrittweises Abtreten ab 2006. Castro hatte das Amt des Staatspräsidenten, des Staatsratsvorsitzenden sowie des Ministerratsvorsitzenden gleichzeitig inne. Als Präsident hielt er zugleich den Rang eines "Comandante en Jefe" (Oberkommandierender) der kubanischen Armee. Ferner war er bis 2011 Erster Sekretär der Kommunistischen Partei Kubas. Am 1. August 2006 gab Fidel Castro wegen einer schweren Erkrankung alle seine Funktionen und Ämter "vorläufig" an seinen jüngeren Bruder Raúl ab. Am Vorabend hatte Castros Privatsekretär Carlos Valenciaga einen persönlichen Brief des Präsidenten im Fernsehen verlesen: „[…] aufgrund der Arbeit Tag und Nacht ohne genügend Schlaf kam es zu extremem Stress und in der Folge zu Darmblutungen. Deshalb musste ich mich einem komplizierten chirurgischen Eingriff unterziehen.“ Am 17. Dezember 2007, rund einen Monat vor den Parlamentswahlen, deutete Fidel Castro in einem Brief an, dass er sich von seinen Führungsämtern nun vollständig zurückziehen wolle. Seinen endgültigen Verzicht auf eine erneute Kandidatur als Staatspräsident und Oberkommandierender verkündete er in einer von der Parteizeitung Granma am 19. Februar 2008 veröffentlichten Mitteilung. Am 24. Februar wählte das Parlament seinen Bruder Raúl zu seinem Nachfolger. Im Vorfeld des VI. Parteikongresses der Kommunistischen Partei im April 2011 sagte Fidel Castro, dass er eigentlich schon seit 2006 den Posten als deren Generalsekretär nicht mehr ausübe. Am 19. April 2011 trat er das Amt offiziell an seinen Bruder ab. Seit der Einrichtung des Parlaments "Asamblea Nacional del Poder Popular" im Jahr 1976 war Fidel Castro Abgeordneter für den Wahlbezirk Santiago de Cuba. Zuletzt ließ er sich 2008 für die laufende VII. Legislaturperiode wiederwählen, es war sein letztes offizielles Mandat. Nach über vierjähriger Abwesenheit ließ er im August 2010 eine Sondersitzung einberufen, um die Abgeordneten und die Nation in einer Rede vor den Gefahren eines bevorstehenden internationalen Atomkriegs zu warnen. Attentate, Sturzpläne. Seit Castros Amtsantritt gab es zahlreiche Mordanschläge und Pläne zu seinem Sturz; siehe hierzu insbesondere die Operation Mongoose der US-amerikanischen Regierung und der CIA. Fabian Escalante, der ehemalige kubanische Geheimdienstchef, der lange Zeit für Castros Sicherheit zuständig war, will insgesamt 638 Attentate gezählt haben, die meisten davon geplant oder unterstützt von der CIA und ausgeführt von Exilkubanern oder US-amerikanischen Mafiosi. Die CIA selbst gab bisher acht eigene Mordversuche zu. Tatsächlich gab es wohl um die 30 Attentatsversuche, die Castro, auch dank des effizienten Geheimdienstes, unbeschadet überstand. Aufgrund der immensen Zahl an Attentatsversuchen soll Castro nach Angaben der regierungsnahen kubanischen Internetseite "Cubadebate" ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen werden als jene Person, der weltweit die meisten Attentatsversuche galten. Im Jahr 2011 war auf der dortigen Online-Repräsentanz nur ein Eintrag als „am längsten dienender Staatsmann der Welt“ zu finden. Die Palette der eingesetzten Mittel reichte von Gift in Zigarren oder Essen über Haarausfall bewirkende Chemikalien oder LSD bis zu Schusswaffen oder Bomben. Die CIA arbeitete bei den Attentatsplanungen auch mit den beiden Mafia-Größen Sam Giancana und Santo Trafficante zusammen, die zu den meistgesuchten Kriminellen der USA gehörten. Die von den USA gegen Kuba verhängten Wirtschaftssanktionen waren ebenfalls dem Sturz Fidel Castros gewidmet. Robert Torricelli, Initiator des Torricelli Act, erklärte 1992, das Ziel der Sanktionen sei die Lahmlegung der kubanischen Ökonomie in einem Ausmaß, das innerhalb weniger Wochen zum Sturz des kubanischen Präsidenten führen sollte. US-Außenminister Colin Powell legte am 1. Mai 2004 einen 500-seitigen Bericht der "Beratungskommission für ein freies Kuba" vor, in dem innerhalb von sechs Monaten unter Mitarbeit des kubanischstämmigen US-Wohnungsbauministers Mel Martínez "Maßnahmen für einen schnellen Regimewechsel" auf Kuba erarbeitet worden waren. Erkrankung und Rückzug aus der aktiven Politik. Mitte 2006 erlitt Fidel Castro eine Darmblutung und musste sich einer komplizierten Operation unterziehen. Unbestätigten Angaben zufolge wurden dabei Teile seines Darms entfernt. In der Folge trat er zunächst nur „vorläufig“, Anfang 2008 dann endgültig von seinen politischen Ämtern zurück (siehe oben). Er traf sich jedoch noch gelegentlich mit hohen Besuchern, die nach Kuba reisten, zu privaten Gesprächen. Darunter waren bis 2012 mehrere amtierende und ehemalige Staatspräsidenten (u. a. Dmitri Medwedew, Mahmud Ahmadineschad und Jimmy Carter) sowie Papst Benedikt XVI. Sein politischer Einfluss auf die aktuelle Politik kurz vor seinem Tod ist umstritten. Offiziell beriet er nur seinen Bruder Raúl, den neuen Staatschef. Jedoch meinten Beobachter, dass wirkliche Reformen in Kuba erst nach Fidel Castros Tod verwirklicht werden könnten, da er weiterhin darauf achte, dass sein Weg der Revolution nicht verlassen wird. Zwischen März 2007 und Juni 2012 verfasste Castro zahlreiche Kolumnen unter der Rubrik "Überlegungen des Genossen Fidel" (bis Februar 2008 "Überlegungen des Oberkommandierenden Fidel"), die in der Parteizeitung Granma und den meisten anderen Medien des Landes veröffentlicht wurden. Danach wurden die "Überlegungen" seltener. Jedoch widmete er sich um 2013 scheinbar verstärkt Fragen der Landwirtschaft, um die landeseigene Lebensmittelproduktion zu erhöhen. Nachdem Fidel Castro seit 1959 insgesamt zehn US-Präsidenten erlebt hatte, erklärte er im Januar 2009, dass er das Ende der Amtszeit des damals neu gewählten Präsidenten Barack Obama, „seines“ nunmehr elften Präsidenten, im Jahre 2013 wahrscheinlich nicht mehr erleben werde. Im Laufe des Jahres wirkte Castro auf den veröffentlichten Fotos jedoch zunehmend gesünder. Ende August 2009 war er seit langer Zeit erstmals wieder im Fernsehen zu sehen, und am 7. Juli 2010 zeigte er sich bei einem Besuch des Nationalen Zentrums für wissenschaftliche Forschung (CNIC) erstmals seit seiner Erkrankung wieder in der Öffentlichkeit, wo er sich zunächst ausschließlich zu außenpolitischen Themen äußerte und unter anderem vor einem Atomkrieg infolge eines US-Angriffs auf den Iran oder des Koreakonflikts warnte. Er betonte auch, dass er inzwischen wieder vollkommen genesen sei. Seit dieser Zeit waren wieder verstärkt Einmischungen in innenpolitische Themen zu beobachten. Experten sahen darin einen Grund für die schleppenden Reformen seines Bruders Raúl im Amt des Staatsoberhaupts. Castros wahrer Einfluss auf die Politik seines Bruders in seinen letzten Jahren ist jedoch schwer einzuschätzen. Der Historiker Michael Zeuske glaubt, dass Fidels Rücktritt es ihm erlaubte, seinen Mythos nicht zu beschädigen. Die notwendigen und für die Bevölkerung zum Teil schmerzhaften Reformen müsse nicht er, sondern sein Bruder Raúl verantworten. Fidel dagegen wurde zu Lebzeiten bei vielen Kubanern als derjenige angesehen, „bei dem noch alles besser war“. Am 18. August 2010 lobte Castro in der Parteizeitung "Granma" den russischen Publizisten Daniel Estulin. Dieser behauptet in von Castro zitierten Exzerpten u. a., die Gründer der Bilderberg-Konferenz hätten Hitler an die Macht gebracht, den Zweiten Weltkrieg finanziert, die NATO gegründet, mit Hilfe der Frankfurter Schule und des Tavistock Institute die Massen durch Rockmusik und Drogen entpolitisiert, den Jom-Kippur-, den Afghanistan- und den Kosovokrieg initiiert, und sie würden den Drogenhandel begünstigen und Flugpassagierdaten ausforschen. In der folgenden Woche besuchte Estulin Castro zu einem öffentlichen Gespräch, in dem sich beide darüber einig zeigten, dass die USA Russland militärisch zerstören wollten und Osama bin Laden ein Agent der CIA gewesen sei. Im September 2010 hielt Castro vor jeweils mehreren Tausend Zuhörern seine letzten öffentlichen Reden, zunächst auf der Freitreppe der Universität Havanna an kubanische Studenten gerichtet, wenige Wochen später zum 50. Jahrestag des "Komitees zur Verteidigung der Revolution" vor dem Revolutionsmuseum. Bei einem weiteren Vortrag anlässlich der Vorstellung seines Erinnerungsbands "Der strategische Sieg" bezeichnete Castro die in Frankreich praktizierte, kontrovers diskutierte Abschiebung von rund 1000 rumänischen Roma in ihr Heimatland als „Rassen-Holocaust“, was von der französischen Regierung heftige Ablehnung erfuhr. Unmittelbar darauf schrieb Castro in seiner Kolumne, Präsident Nicolas Sarkozy sei „offenbar gerade dabei, den Verstand zu verlieren“. Besonderes Aufsehen erregte Castro im selben Monat durch Äußerungen gegenüber dem US-Journalisten Jeffrey Goldberg, der ihn für ein Interview über mehrere Tage begleitete. So rief er den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadineschad auf, seine antisemitische Ideologie zu beenden und das Existenzrecht Israels anzuerkennen. Des Weiteren meinte er auf die Frage, ob das „kubanische Modell“ immer noch wert sei, exportiert zu werden: „Das kubanische Modell funktioniert selbst bei uns nicht mehr“. Nach der Veröffentlichung relativierte Castro seine Aussagen, er habe sie ironisch gemeint, was die bei dem Gespräch ebenfalls anwesende US-amerikanische Lateinamerikaexpertin Julia Sweig bestritt. Beobachtern zufolge wollte Castro die eingeleiteten Wirtschaftsreformen seines Bruders Raúl gegen Widerstände in den eigenen Reihen in Schutz nehmen. Die Revolution selbst wollte er aber nicht in Frage stellen, so Sweig. Castro-Biograf Carlos Widmann vermutet, dass Fidel zwar weiterhin eher gegen die Raúl'schen Reformen war, inzwischen aber resigniert habe. Seine Äußerungen seien Galgenhumor. Das seit Ende 2014 aufkommende Tauwetter in den Beziehungen zu den USA sah Castro kritisch. „Wir haben es nicht nötig, dass uns das Imperium etwas schenkt“, war sein zentraler Kommentar zum Besuch von Barack Obama in Kuba im März 2016, dem ersten US-Präsidenten seit 88 Jahren, der dem Land einen offiziellen Besuch abgestattet hatte. Ob es sich um eine gefestigte Ablehnung der Annäherung zwischen beiden Staaten oder um eine Good-Cop-Bad-Cop-Strategie zwischen den Brüdern Raúl und Fidel handelte, blieb unklar. Bei der Parlamentswahl im Februar 2013 gab er erstmals seit seiner Erkrankung in einem öffentlichen Wahllokal seine Stimme ab und stellte sich Fragen der anwesenden Journalisten. Nach den Wahlen gehörten sowohl Fidel als auch sein Bruder Raúl weiterhin zu den Abgeordneten. Tod. Fidel Castro starb am späten Abend des 25. November 2016 nach offiziellen Angaben im Alter von 90 Jahren in Havanna. Sein Bruder Raúl verlas anschließend im Fernsehen eine kurze Erklärung, in der er erwähnte, dass der Tote am folgenden Tag auf eigenen Wunsch eingeäschert werde. Die Asche Castros wurde über mehrere Tage hinweg bis nach Santiago de Cuba gebracht. Castros letzte Reise nahm damit die umgekehrte Route der „Karawane der Freiheit“, mit der die Revolutionäre 1959 nach dem Sturz des Diktators Fulgencio Batista nach Havanna eingezogen waren. Die Beisetzung erfolgte nach einer neuntägigen Staatstrauer am 4. Dezember auf dem Cementerio Santa Ifigenia in Santiago de Cuba. Reaktionen auf seinen Tod. Nachdem Barack Obama nach Jahrzehnten des US-Boykotts gegen Kuba in seiner Amtszeit als Präsident der Vereinigten Staaten noch zu Lebzeiten Castros wieder diplomatische Kontakte der USA zu Kuba eingeleitet hatte, bezeichnete dessen politischer Gegner und Nachfolger Donald Trump als „President elect“ Castro nach seinem Tod als „einen brutalen Diktator, der sein eigenes Volk fast sechs Jahrzehnte unterdrückte“. Laut Trump hinterlasse Castro ein Vermächtnis von „Erschießungskommandos, Diebstahl, unvorstellbarem Leid, Armut und der Versagung fundamentaler Menschenrechte“. Der indische Premierminister Narendra Modi hingegen befand: „Indien beweint den Verlust eines großen Freundes. Möge seine Seele in Frieden ruhen.“ Der Präsident Boliviens Evo Morales sagte: „Das Ableben des Bruders Comandante Fidel ist sehr schmerzlich. Die beste Ehrung ist die Einheit der Völker, ist, niemals seinen Widerstand gegen das imperialistische Modell und gegen das kapitalistische Modell zu vergessen“. Südafrikas Präsident Jacob Zuma bekannte: „Ich werde die Solidarität Kubas in der Phase des Kampfes gegen die Apartheid nie vergessen“. Für die Ex-Präsidentin Brasiliens Dilma Rousseff war Castro „ein zeitgenössischer Visionär, der an den Aufbau einer brüderlichen, gerechten, von Hunger und Ausbeutung freien Gesellschaft glaubte, an ein vereintes und starkes Lateinamerika.“ und die Ex-Präsidentin Argentiniens Cristina Fernández de Kirchner erklärte: „Fidel und Kuba treten endgültig in die große Geschichte ein. Zusammen mit seinem Volk ist er ein Beispiel für Würde und Souveränität.“ Auszeichnungen, Ehrungen und Denkmäler (Auswahl). 1961 erhielt Fidel Castro den sowjetischen Internationalen Lenin-Friedenspreis. Am 11. Dezember 2014 wurde ihm der Konfuzius-Friedenspreis verliehen. Das Komitee begründete seine Entscheidung mit Castros „bedeutenden Beiträgen“ zum Weltfrieden. Um den runden Geburtstag Castros im Jahr 2016 zu feiern, ließ Tabakhändler Jose Castelar am 12. August 2016 in Havanna eine 90 m lange Zigarre rollen und überbot damit die Bestleistung im Guinness-Buch der Rekorde. Er spielte darauf an, dass Castro auf einem bekannten Bild in jüngeren Jahren mit Zigarre im Mund und in Militäruniform abgebildet ist. Fidel Castro gehört zu den Alten Freunden des chinesischen Volkes. Im November 2022 wurde in Moskau ein drei Meter hohes, aus Bronze bestehendes, Castro-Denkmal durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin enthüllt. Kritik. Menschenrechtsverletzungen. In den ersten Jahren von Castros Herrschaft wurden zahlreiche, nach US-amerikanischen Studien einige tausend, politische Gegner inhaftiert und hingerichtet. Gegner Castros wurden als „Konterrevolutionäre“, „Faschisten“ oder „CIA-Agenten“ bezeichnet und ohne Gerichtsverfahren und unter äußerst erbärmlichen Bedingungen inhaftiert. 1965 wurden unter dem Namen „Militärische Einheiten zur Unterstützung der Produktion“ Arbeitslager eingerichtet, die Che Guevara wie folgt begründete: Sie seien für „Menschen, welche Verbrechen gegen die revolutionäre Moral begangen haben“. Später wurden dort auch Kubaner inhaftiert, die nach Castros Definition als „soziale Abweichler“ einschließlich Homosexueller und HIV-Infizierter galten, um so „konterrevolutionäre“ Einflüsse aus Teilen der Bevölkerung zu beseitigen. Die Soziologie-Professorin Marifeli Pérez Stable, die 1960 als Kind aus Kuba kommend in die USA einwanderte und als junge Frau die Revolution unterstützte, reflektiert über die Kosten des Umsturzes: „[Es gab] tausende Exekutionen, vierzig-, fünfzigtausend politische Gefangene. Die Behandlung politischer Gefangener, mit dem was wir heute über Menschenrechte und Menschenrechte betreffende internationale Normen wissen … ist es legitim, die Frage nach möglichen Menschenrechtsverletzungen in Kuba zu stellen.“ Castro gestand zwar ein, dass es auf Kuba politische Gefangene gibt, hielt dies aber für gerechtfertigt, da sie nicht wegen ihrer Ansichten, sondern aufgrund „konterrevolutionärer Verbrechen“ einschließlich Bombenlegung inhaftiert seien. Fidel Castro beschrieb die kubanische Opposition als illegitimes Ergebnis einer fortschreitenden Konspiration, aufgezogen von Exilkubanern mit Verbindungen zu der Regierung der USA oder der CIA, was faktisch teilweise auch belegt ist (siehe Attentate, Sturzpläne). Castros Unterstützer behaupteten, seine Maßnahmen seien legitim, um den Sturz der kubanischen Regierung zu verhindern, während seine Gegner, die exilkubanische Opposition in den USA und die USA selbst, hinter dieser Darstellung Schuldzuweisungen sehen, um die politischen Verhältnisse zu rechtfertigen. Amnesty International zählte im Jahresbericht 2006 insgesamt 71 gewaltlose politische Gefangene ("prisoners of conscience"). Außerdem waren 30 Gefangene zum Tode verurteilt, wobei seit 2003 keine Exekution mehr vollstreckt wurde. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte berichtet sogar von 300 namentlich bekannten politischen Gefangenen. Sie hat ein Patenschaftsprogramm deutscher Abgeordneter für die Inhaftierten aufgelegt. Unter der Präsidentschaft von Fidel Castros Bruder Raúl wurden die von Amnesty International anerkannten sowie weitere politische Häftlinge bis März 2011 entlassen und sämtliche bestehenden Todesurteile bis Ende 2010 in Haftstrafen umgewandelt. Personenkult. Die Ansichten über einen Personenkult um Fidel Castro sind ambivalent. Bis zu seinem Rücktritt war er in den kubanischen Medien ständig präsent. Er war eine Identifikationsfigur der kubanischen Revolution und der politischen Linken. In Kuba selbst wurde er schon zu Lebzeiten kultisch verehrt. Schüler lernen seine Thesen auswendig. Während der Trauerfeier trugen sie „Viva Fidel“ an ihren Wangen, alle riefen „Soy Fidel“ (Ich bin Fidel). Darstellungen Castros sind auf kubanischen Briefmarken zu finden, Bilder von ihm hängen in vielen öffentlichen Gebäuden in Kuba. Es wurden aber keinerlei Statuen oder Denkmäler errichtet, auch wurden keine Straßen oder Plätze nach ihm benannt. Das soll nach erklärtem Willen Fidels auch nach seinem Tod so bleiben: „Der Revolutionsführer hat jeden Personenkult abgelehnt und war darin bis in seine letzte Lebensstunde konsequent.“ Rund fünf Monate nach seinem Tod wurde dann an der Universität Havanna ein Lehrstuhl für Fidel-Castro-Forschung gegründet. Dort sollen die verschiedenen Aspekte seines Erbes systematisch aufgearbeitet werden. Kubanische und internationale Künstler widmeten ihm zahlreiche Lieder und Gedichte. Das wohl bekannteste Lied ist „Y en eso llegó Fidel“ von dem kubanischen Liedermacher Carlos Puebla. In den kubanischen und internationalen Medien wurde er häufig auch als "Máximo Líder" (Größter Führer) oder "Comandante en Jefe" (Oberkommandierender) bezeichnet. Nach seinem Rücktritt von seinen offiziellen Ämtern lautete der Titel "Líder histórico de la Revolución Cubana" („Historischer Führer der kubanischen Revolution“). Lebensstil. Juan Reinaldo Sánchez, ein ehemaliger Leibwächter Castros, berichtet in seinem Buch "La Vie Cachée de Fidel Castro" vom aufwendigen Lebensstil des Revolutionsführers, der im Gegensatz zu seiner kommunistischen Ideologie stehe. So berichtete Sánchez, Castro sei in seiner Zeit als Staatsoberhaupt u. a. Besitzer einer Yacht samt Yachthafen, einer privaten Insel und eines Basketballplatzes gewesen. Belege für seinen Reichtum und überschwänglichen Lebensstil, z. B. in Form von Kontoauszügen, fehlen. Forbes bestätigte auf Nachfrage, bei der Schätzung seines Privatvermögens den Wert von kubanischen Staatsunternehmen mitgerechnet zu haben. Ignacio Ramonet, ehemaliger Herausgeber der Zeitung Le Monde diplomatique, bescheinigte indes Fidel Castro, den er ab 1975 kannte und mit dem er zahlreiche Interviews führte, die Lebensweise eines „Mönch-Soldaten“: spartanisches Leben, einfaches Mobiliar, gesundes und einfaches Essen. Trivia. 1992 lud der langjährige Ministerpräsident Galiciens, Manuel Fraga Iribarne, Fidel Castro in den Geburtsort seines Vaters ein. Castro besuchte das Haus, in dem sein Vater 1875 geboren wurde. Wie viele andere Galicier suchte dieser später sein Glück auf Kuba. Die längste Rede der UN-Plenarsitzungen zwischen 1945 und 1976 hielt am 26. September 1960 Castro. Die Rede auf der 872. Sitzung dauerte 269 Minuten.
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Franz Müntefering
Franz Müntefering (* 16. Januar 1940 in Neheim, heute Arnsberg) ist ein deutscher Politiker (SPD). In den Jahren 1975 bis 1992 und 1998 bis 2013 war Müntefering Abgeordneter im Deutschen Bundestag (MdB). Von 1998 bis 1999 war er Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen im ersten Kabinett Schröder. Von 2005 bis 2007 war er Vizekanzler und Bundesminister für Arbeit und Soziales im ersten Kabinett Merkel. Müntefering war von 2002 bis 2005 Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und von März 2004 bis November 2005 sowie von Oktober 2008 bis November 2009 Bundesvorsitzender der SPD. Von 2015 bis 2021 war er Vorsitzender der BAGSO – Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen. Leben. Ausbildung. Müntefering wurde als einziges Kind des Landwirts und Fabrikarbeiters Franz Müntefering und dessen Frau Anna, geb. Schlinkmann, im sauerländischen Neheim bei Arnsberg geboren und wuchs im nahegelegenen Sundern auf. Erst im Alter von sechseinhalb Jahren lernte er seinen Vater kennen, als dieser aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte. Die Eltern starben beide 1985. Nach dem Besuch der Volksschule in Sundern absolvierte Müntefering von 1954 bis 1957 eine Ausbildung zum Industriekaufmann, anschließend war er bis 1975 in der metallverarbeitenden Industrie tätig und wurde 1967 Mitglied der Gewerkschaft IG Metall. 1961/1962 leistete er seinen Grundwehrdienst bei der Panzergrenadiertruppe in Höxter und Osterode am Harz ab. Parteilaufbahn. Seit 1966 ist er Mitglied der SPD, deren Vorstand er ab 1991 angehörte. Von 1992 bis 1998 war er auch Vorsitzender des SPD-Bezirks "Westliches Westfalen". Von 1995 bis 1998 und kommissarisch von September bis Dezember 1999 war er Bundesgeschäftsführer der SPD. Von 1998 bis 2001 hatte er das Amt des SPD-Landesvorsitzenden in Nordrhein-Westfalen inne und vom 7. Dezember 1999 bis zum 20. Oktober 2002 das des SPD-Generalsekretärs. Auf einem SPD-Sonderparteitag am 21. März 2004 wurde er als Bundesvorsitzender der SPD Nachfolger von Gerhard Schröder. Er erhielt 95,1 % der Stimmen, das bis dahin beste Ergebnis für einen SPD-Vorsitzenden seit 1991. Im Oktober 2005 schlug Müntefering den bisherigen SPD-Bundesgeschäftsführer Kajo Wasserhövel als künftigen Generalsekretär vor. Als sich jedoch am 31. Oktober 2005 innerhalb des Parteivorstandes in einer Kampfabstimmung die zum linken Flügel zählende Andrea Nahles durchsetzte, kündigte Müntefering an, nicht mehr für den Parteivorsitz zu kandidieren. Auf dem Bundesparteitag in Karlsruhe am 15. November 2005 wurde Matthias Platzeck mit 99,4 % der gültigen Delegiertenstimmen zu seinem Nachfolger gewählt. Im August 2008, einen Monat nach dem Tod seiner Frau, die er bis zuletzt gepflegt hatte, kehrte Müntefering in die Spitzenpolitik zurück, um die SPD im Vorfeld der anstehenden Landtags- und Bundestagswahlen zu unterstützen. Nach dem Rücktritt von Kurt Beck am 7. September 2008 wurde er auf einem Sonderparteitag in Berlin am 18. Oktober 2008 mit 84,86 Prozent als dessen Nachfolger gewählt. Nachdem die SPD bei der Bundestagswahl am 27. September 2009 nur 23 Prozent der Stimmen erreicht hatte, kündigte Müntefering an, auf dem SPD-Parteitag vom 13. bis 15. November 2009 in Dresden nicht mehr zu kandidieren. Er wurde als Vorsitzender am 13. November 2009 von Sigmar Gabriel abgelöst. Abgeordnetentätigkeit. Von 1969 bis 1979 gehörte Müntefering dem Stadtrat von Sundern an. 1975 zog er als Nachrücker erstmals in den Bundestag ein und gehörte ihm bis 1992 an. Er war dort von 1990 bis 1992 Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Nach seiner Berufung zum Minister in Nordrhein-Westfalen schied er aus dem Parlament aus. Von 1996 bis 1998 war er Mitglied des Landtages von Nordrhein-Westfalen. Dem Deutschen Bundestag gehörte Müntefering anschließend erneut von 1998 bis 2013 an, wonach er nicht mehr zur Wahl antrat. Von September 2002 bis November 2005 war er Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Öffentliche Ämter. Vom 18. Dezember 1992 bis zum 27. November 1995 gehörte er als Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen dem Kabinett von Ministerpräsident Johannes Rau an. Nach der Bundestagswahl 1998 wurde er am 27. Oktober 1998 als Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen in die von Bundeskanzler Gerhard Schröder geführte Bundesregierung berufen. Nach dem Rücktritt von Ottmar Schreiner am 5. September 1999 vom Amt des Bundesgeschäftsführers der SPD legte Müntefering sein Ministeramt am 17. September 1999 nieder und wurde kommissarischer Bundesgeschäftsführer. Am 22. November 2005 wurde er zum Stellvertreter der Bundeskanzlerin und zum Bundesminister für Arbeit und Soziales in der von Angela Merkel geführten Bundesregierung ernannt. Müntefering kündigte am 13. November 2007 aus familiären Gründen seinen Rücktritt von seinen Ämtern als Minister und Vizekanzler an, dieser wurde am 21. November 2007 vollzogen. Ehrenämter. Franz Müntefering war von 2013 bis 2021 ehrenamtlich Präsident des Arbeiter-Samariter-Bundes Deutschland. Zudem war er von 2013 bis 2021 neben Lothar de Maizière Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft e. V. Am 25. November 2015 wählte ihn außerdem die Mitgliederversammlung der BAGSO – Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen zum Vorsitzenden. Nach zwei Amtsperioden trat er 2021 nicht wieder zur Wahl des Vorsitzenden an. Seit März 2014 ist Franz Müntefering Beiratsvorsitzender des Berliner Demografie Forums. Privates. Müntefering ist zum dritten Mal verheiratet. Aus seiner geschiedenen ersten Ehe mit seiner Frau Renate stammen seine beiden Töchter, darunter die Schriftstellerin Mirjam Müntefering. 1995 heiratete er Ankepetra Rettich (1946–2008). Ihr Krebsleiden, dem sie am 31. Juli 2008 in Bonn erlag, war der Grund für Münteferings Rücktritt als Bundesminister und Vizekanzler im Herbst 2007. Er wollte eigentlich bei der Bundestagswahl 2009 nicht mehr antreten, ließ sich aber im September 2008 von Frank-Walter Steinmeier (damals designierter SPD-Kanzlerkandidat) umstimmen. Am 12. Dezember 2009 heiratete er die 40 Jahre jüngere Journalistin Michelle Schumann, die seine ehemalige Büromitarbeiterin war. Schumann ist seit 2013 ebenfalls Mitglied des Bundestages und war von März 2018 bis Dezember 2021 Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Franz Müntefering ist römisch-katholisch. Positionen. Liberalisierung der Finanzmärkte. Im April 2005 kritisierte Müntefering das Investitionsverhalten von Investmentgesellschaften und Hedge-Fonds, derartige Kritik war bis dahin nur von Globalisierungskritikern geäußert worden. Er verglich sie mit Heuschrecken und löste damit die Heuschreckendebatte in Politik und Medien aus. Steueroasen. Am 25. Februar 2009 äußerte sich Müntefering beim Politischen Aschermittwoch der baden-württembergischen SPD in Ludwigsburg in Bezug auf Länder mit niedrigerem Steuersatz als in Deutschland: „Früher hätte man dort Soldaten hingeschickt. Aber das geht heute nicht mehr.“ Der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker zeigte sich daraufhin empört, und im Schweizer Parlament fand seine Aussage ebenfalls ein negatives Echo.
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Fritz Kuhn
Fritz Kuhn (* 29. Juni 1955 in Bad Mergentheim) ist ein deutscher Politiker (Bündnis 90/Die Grünen). Er war von 2000 bis 2002 Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen und von 2002 bis 2013 Bundestagsabgeordneter, von 2005 bis 2009 außerdem Fraktionsvorsitzender der Grünen-Fraktion im Bundestag.Er war von 2013 bis 2021 Oberbürgermeister der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart. 2020 trat er nicht zur Wiederwahl an. Kuhn war stellvertretender Präsident des Deutschen Städtetags. Kindheit und Jugend. Kuhn wurde als Sohn eines Beamten im einfachen Dienst, der bei der Bundeswehr arbeitete, 1955 in Bad Mergentheim geboren. Er wuchs in Memmingen auf und ging auf das örtliche Bernhard-Strigel-Gymnasium. Studium. Nach dem Abitur 1974 in Memmingen absolvierte Kuhn ein Studium der Germanistik und Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Eberhard Karls Universität Tübingen, das er 1980 als Magister Artium (M.A.) mit dem Schwerpunkt Linguistik beendete. Linguist. Anschließend war er von 1981 bis 1984 als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Augsburg. Von 1989 bis 1992 arbeitete Kuhn als Lehrbeauftragter für sprachliche Kommunikation an der Merz Akademie in Stuttgart. Von der SPD zu den Grünen. Als Schüler engagierte sich Kuhn politisch u. a. bei den Memminger Jusos, in der SMV und als Schülersprecher. Nachdem der damalige Oberbürgermeister Johannes Bauer einem Dramaturgen des Memminger Theaters im Herbst 1973 gekündigt hatte, war Kuhn an der Organisation einer großen Demonstration beteiligt. Kuhn wurde als Student Mitglied der SPD, die er 1978 wegen der Politik Helmut Schmidts aber verließ. 1980 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Grünen in Baden-Württemberg. 1981 war er im Vorstand des Grünen Kreisverbandes Tübingen und des Grünen Landesverbandes. Parallel zu seiner Tätigkeit an der Universität Augsburg war er Berater der Landtagsfraktion der Grünen in Baden-Württemberg. Grüner Landespolitiker. Von 1984 bis 1988 und von 1992 bis 2000 gehörte Kuhn dem Landtag von Baden-Württemberg an und war jeweils Vorsitzender der Landtagsfraktion der Grünen. Am 27. Juni 2000 legte er sein Mandat bereits vor Ablauf der 12. Wahlperiode nieder. Für ihn rückte Phillip Müller nach. Von 1991 bis 1992 war er Sprecher im Geschäftsführenden Landesvorstand. Grüner Bundespolitiker. Parteipolitiker. Nach der Bundestagswahl 1998 gehörte er zur Delegation der Grünen bei den Koalitionsverhandlungen mit der SPD. Von Juni 2000 bis Dezember 2002 war Kuhn zunächst gemeinsam mit Renate Künast und ab März 2001 mit Claudia Roth Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen. Im Wahlkampf für die Bundestagswahl 2005 war Kuhn der Wahlkampfmanager der Bundespartei. Er gehörte dem Parteirat der Grünen an, scheiterte allerdings 2008 mit seiner Kandidatur und schied daher aus dem Gremium aus. Bundestagsabgeordneter. Von 2002 bis Januar 2013 war er Mitglied des Deutschen Bundestages. Er vertrat den Wahlkreis Heidelberg, zog aber stets über die Landesliste Baden-Württemberg in den Bundestag ein. Im Bundestag leitete er zunächst die Fraktionsarbeitsgruppe "Wirtschaft und Arbeit" und war anschließend von Februar bis Oktober 2005 außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Am 27. September 2005 wurden Kuhn und Renate Künast zu den Vorsitzenden der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen gewählt. Nach der Bundestagswahl 2009 kandidierte er nicht erneut für dieses Amt. Kuhn wurde jedoch zu einem der stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Mit dem Amtsantritt als Stuttgarter Oberbürgermeister schied er im Januar 2013 aus dem Bundestag aus. Grüner Kommunalpolitiker. Im Februar 2012 trat er vom stellvertretenden Fraktionsvorsitz zurück, um für das Amt des Oberbürgermeisters von Stuttgart zu kandidieren. Kuhn wurde im März 2012 von einer Mitgliederversammlung als Kandidat seiner Partei nominiert. Wahl zum Oberbürgermeister. Bei einer Wahlbeteiligung von 46,7 % erreichte Kuhn im ersten Wahlgang am 7. Oktober 2012 36,5 %. Der von CDU, FDP und den Freien Wählern unterstützte parteilose Kandidat Sebastian Turner lag mit 34,5 % der Wählerstimmen 2 Prozentpunkte hinter Kuhn. Für die von der SPD nominierte Schwäbisch Haller Bürgermeisterin Bettina Wilhelm stimmten 15,1 %. Da keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erreichte, wurde ein zweiter Wahlgang erforderlich, bei dem eine relative Mehrheit ausreichte. Nachdem Wilhelm ihre Kandidatur zurückgezogen hatte, rief der Stuttgarter SPD-Kreisvorstand einstimmig zur Wahl Kuhns auf. Es bestehe große inhaltliche Übereinstimmung zwischen der SPD und Kuhn, „insbesondere bei den Punkten bezahlbarer Wohnraum, Aufbau von Gemeinschaftsschulen und der Wahrung von Rechten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern“, so die SPD. Der damals 57-jährige Kuhn erhielt im zweiten Wahlgang am 21. Oktober 2012 52,9 % der Stimmen; Turner erhielt 45,3 %. Kuhns Amtszeit begann am 7. Januar 2013 und endete 2021. Er war der erste grüne Oberbürgermeister einer Landeshauptstadt. Er selbst bezeichnete sich als „wertkonservativ“. Fazit seiner Amtszeit war nach eigener Aussage: „Ich habe vieles gesät, was in den kommenden Jahren geerntet werden kann“. Auf Kuhn folgte Frank Nopper. Stuttgart 21. In seiner Antrittsrede kritisierte Kuhn die mangelnde Transparenz beim Projekt Stuttgart 21, welche zu einer geführt habe, und erklärte seine Absicht, über Alternativen zu diskutieren. Im Dezember 2016 bekannte sich Kuhn zum Bahnprojekt. Stuttgart 21 tue Stuttgart gut, das sei seine Meinung, welche er mit der Mehrheit des Gemeinderats teile. Die Stadt stehe an der Seite derer, die das Projekt „zeitnah und qualitätsvoll“ beenden wollten. Verkehrs-, Umwelt- und Klimapolitik. Als Bundespolitiker forderte Kuhn eine Verkehrspolitik, die zu verbrauchsärmeren Autos führt, die Einführung klarer Grenzwerte, Steuerfreiheit für energiesparende Autos, mehr öffentlichen Nahverkehr und Tempolimits. Wirtschaftlichkeit und Klimapolitik müssten sich nicht widersprechen. Auf kommunalpolitischer Ebene wollte Kuhn als Oberbürgermeisterkanditat 2012 Klimaschutz im Verkehrs- und Energiesektor betreiben. Nach Plänen des damaligen Oberbürgermeisters Wolfgang Schuster sollte bis 2020 die Stadt Stuttgart 20 Prozent weniger Energie verbrauchen als im Jahr 1990. Die Kommune plante 2016 hierfür ein Energiekonzept „festzuschreiben“. Für weitergehende Ziele bis 2050 sollte dieser dann „fortgeschrieben“ werden. In seinem Wahlprogramm 2012 forderte Kuhn keine weitergehenden energiepolitischen Zielmarken. Beim Verkehr setzte Kuhn auf Verkehrsvermeidung und -reduzierung. Vor allem unmittelbare Gesundheitsrisiken durch den Feinstaub in der Landeshauptstadt sollten reduziert werden. Kuhn forderte eine Verbesserung der Parkraumbewirtschaftung, mehr Fuß- und Radwege, einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und weniger Autoverkehr „mit weniger umweltbelastenden Antriebsarten“. Sein Konzept zur Energiewende für die Stadt Stuttgart stellte er 2014 vor. Es sieht vor, dass die Stadt bis 2050 ohne fossile Energieträger auskommt und „klimaneutral“ wird. Im April 2019 erklärte Fritz Kuhn die Stadt Stuttgart stehe „in Sachen Klimaschutz nicht schlecht da“, vor allem bei der Reduzierung des Energieverbrauchs von minus 27 Prozent von 1990 bis 2017. Dennoch müsse „deutlich einen Zahn zulegt werden“, um bis 2050 Stuttgart klimaneutral zu machen. Die SPD warf Kuhn jedoch vor, die von ihn vorgetragenen Daten zum Klimaschutz und zum Energiesparen seien in Wahrheit deutlich schlechter. Der Oberbürgermeister habe „seine Hausaufgaben nicht gemacht“. So seien die Investitionen der Stadtwerke Stuttgart in erneuerbare Energien „förmlich eingebrochen“. Gemäß der Morgenstadt-Studie des Fraunhofer-Instituts vom September 2016 liegt der Anteil erneuerbarer Energien in Stuttgart bei 13 Prozent. Dagegen liegt der Durchschnitt der 29 untersuchten deutschen Schwarmstädte (Kommunen mit hohen Anteil an Studenten und jungen Berufstätigen) bei 22 Prozent. Somit sind auch die klimarelevante CO2-Emissionen mit 8,92 t pro Kopf überdurchschnittlich in der Landeshauptstadt Stuttgart. Die SPD forderte 2/3 (300 Millionen Euro) aus den kommunalen Geldanlagen für die nach ihrer Ansicht überfällige Wärmewende zu verwenden. Stuttgart könnte bis zu 21 % des Stromverbrauches mit Photovoltaikanlagen auf den Dächern decken, so Thomas Uhland in seiner Mastarbeit aus dem Jahr 2018. Auf Grundlage der Ausbaurate der Jahre 2015 bis 2017 würde laut Uhlands Berechnungen es 200 Jahre dauern, bis das Strompotenzial durch Photovoltaik bei den städtischen Liegenschaften erreicht wird. Die Leistungsbilanz beim Ausbau der Photovoltaik wird auch von der CDU und der SPD kritisiert. Dagegen verweist die Stadt darauf, dass momentan durch ein Statiker- und Monteurmangel der Ausbau behindert werde. Für 2018 und 2019 sei jedoch mit einem „Schub“ beim Ausbau der Photovoltaikanlagen zu rechnen. Für die Fraktion SÖS/Linke-plus ist Stuttgart beim Klimaschutz „Entwicklungsland“. Nicht 2050, sondern 2035 müsse die Kommunen klimaneutral werden, da nur so die Klimakatastrophe verhindert werden könne. Im Juli 2019 ergänzt Kuhn die Klimaschutzmaßnahmen mit einem Aktionsprogramm Klimaschutz „Weltklima in Not – Stuttgart handelt“. Demnach will die Stadt 200 Millionen Euro aus dem Haushaltsüberschuss des Jahres 2018 zusätzlich in die angestrebte Energie- und Verkehrswende investieren. Das Programm soll für mehr Grünflächen und mehr Wasser in der Stadt sorgen und für nachhaltiges Nutzerverhalten werben. Die SPD und die Fraktion SÖS/Linke-plus hatten weitergehende Klimaschutzforderungen. So wollte die SPD 110 Millionen in die städtische Straßenbahn investieren. Umgewidmet sollen dafür die Rücklagen, die für den Rückkauf der Wasserversorgung reserviert sind. Durch die Absage der vorgesehene Grundsteuersenkung für 2020 wollten die Sozialdemokraten 30 Millionen zusätzlich für den Klimaschutz verwenden. Zudem wollte die SPD, dass bei der Förderung der energetischen Gebäudesanierung die Warmmiete für die Mieter nicht erhöht wird. Die SÖS/Linke-plus wollte 105 Millionen für die zweijährige Finanzierung eines 365-Euro-Jahresticket für den öffentlichen Nahverkehr verwenden. Wohnungspolitik. In Stuttgart fehlen – wie in allen wirtschaftlich starken Großstädten – kostengünstige Wohnungen. Kuhn hat kurz nach Amtsantritt angekündigt, mehr Wohnungen für den angespannten Markt bereitzustellen. Ziel sind 1.800 neue Wohnungen pro Jahr. Seit 2015 wird dieser Wert deutlich überschritten: Das Statistische Amt der Stadt spricht von jährlich rund 2.000 neugebauten Wohnungen. Von den neuen Wohnungen sollen 600 im geförderten Bereich sein, davon 300 als Sozialwohnungen. 2017 wurde das Ziel für die Sozialwohnungen das erste Mal erreicht. Ende 2018 umfasste der Bestand an geförderten Wohnungen in Stuttgart 16.456 Wohnungen, darunter waren 14.380 Sozialmietwohnungen, 543 Mietwohnungen für mittlere Einkommensbezieher und 1533 geförderte Wohnungen im selbst genutzten Eigentum. Ende 2018 waren 4688 Haushalte für eine Sozialmietwohnung in Stuttgart vorgemerkt. Die größten Entwicklungsgebiete für Wohnungsbau sind in städtischer Hand, d. h. die Stadt entscheidet was hier gebaut wird. Laut städtischer Vorgabe sollen dort bis zu 80 Prozent geförderte Wohnungen entstehen. Ebenso müssen durch das SIM (Stuttgarter Innenentwicklungsmodell) private Investoren auf ihren Flächen bei neuem Baurecht 30 Prozent geförderten Wohnungsbau leiten. Zudem hat die Stadt die von Kuhn vorgeschlagene Satzung gegen Zweckentfremdung eingeführt – sie untersagt seit 2016 die Umwandlung einer Wohnung in eine Gewerbefläche oder einen mehr als sechs Monate andauernden unbegründeten Leerstand. Kulturpolitik. Kuhn hat Kulturpolitik zu seiner „Herzensangelegenheit“ erklärt. Stuttgart ist unter ihm dreimal (2014, 2016 und 2018) als „Kulturmetropole Nummer 1“ in Deutschland ausgezeichnet worden. Kuhn hat vor allem die Sanierung der Stuttgarter Oper vorangetrieben. Dabei soll der Littmannbau saniert und ausgebaut werden. Für die Interimsphase des Umbaus schlug Kuhn ein Quartier bei den Stuttgarter Wagenhallen vor. Das von Kuhn entwickelte Konzept wurde nach seinem Ausscheiden aus dem Amt vom Stuttgarter Gemeinderat mit sehr großer Mehrheit beschlossen. Die historisch bedeutsame Villa Berg und der dazugehörige Park wechselteunter seiner Ägide aus Privatbesitz an die Stadt. Kuhn sprach davon, so Villa und Park an die Stadtgesellschaft zurückzugegeben. In einem intensiven Beteiligungsprozess wurde festgelegt, dort ein Kultur- und Bürgerzentrum unter dem Leitbegriff „Haus für Musik und mehr“ zu errichten. Um den „Eiermann Campus“ zu erhalten und zu entwickeln, initiierte Kuhn ein Kolloquium, das die Planung für ein neues Wohn- und Arbeitsquartier festlegte. Eine zusätzliche Bebauung soll die Sanierungskosten und den Erhalt des Kulturdenkmals wirtschaftlich absichern. Das Areal – jetzt im Eigentum der Consus Swiss Finance AG – wird im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 2027 Konturen annehmen. Kuhn hat sich außerdem für die Sanierung der Wagenhallen, und den Bau der John-Cranko-Schule eingesetzt. Auslandsgeschäfte des Klinikums Stuttgart. Das Klinikum Stuttgart unterhielt von 2010 bis 2016 eine International Unit. Deren Aufgabe war, das Auslandsgeschäft des Klinikums zu verwalten und neue Märkte zu erschließen. Bei zwei dieser Auslandsgeschäfte sah das Kuhn unterstellte städtische Rechnungsprüfungsamt Ende 2015 Anhaltspunkte für dolose Handlungen, woraufhin die Stadtverwaltung Strafanzeige stellte. Hintergrund waren das Zustandekommen von Verträgen und Nebenabsprachen. Zum einen wurde mit der libyschen Übergangsregierung 2013 ein Vertrag über die Behandlung von Verletzten aus dem libyschen Bürgerkrieg mit einem Volumen über etwa 26 Millionen Euro vereinbart. Zum anderen wurde 2014 ein Vertrag mit dem kuwaitischen Gesundheitsministerium über die ärztliche Unterstützung für das orthopädische Krankenhaus Al-Razi, das sich zu dieser Zeit im Aufbau befand, geschlossen. Hierfür wurden 46 Millionen Euro, ein Großteil davon über sogenannte Nebenabsprachen, veranschlagt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Betrugs, Bestechung und Veruntreuung von Investitionsgeldern. So sollen 13,5 Millionen Euro für „Regiekosten“, die nicht in den ursprünglichen Vertrag aufgenommen waren, aufgewendet worden sein, die Staatsanwaltschaft meldete Zweifel an der korrekten Abrechnung an. Zudem sei in vielen Fällen fraglich, ob eine tatsächliche Gegenleistung erbracht wurde. Die Staatsanwaltschaft ermittelte zunächst deutschlandweit gegen 21 Personen, darunter der damalige Leiter der International Unit und frühere baden-württembergische Landesvorsitzende der Grünen Andreas Braun. Das Klinikum Stuttgart meldete für den Vertrag in Libyen 9,4 Millionen Euro Zahlungsausfälle an. Im September 2018 konstituierte sich der "Akteneinsichtsausschuss International Unit Klinikum Stuttgart" des Gemeinderates, um unter anderem Einsicht in die Akten über die Auslandsgeschäfte des Klinikums zu erhalten. Der erste Zwischenbericht vom März 2019, der von allen Fraktionen getragen wird außer den Grünen, wirft dem früheren grünen Krankenhausbürgermeister Werner Wölfle vor, den allein kündigungsberechtigten Gemeinderat falsch oder zumindest unzureichend informiert zu haben, ohne jedoch selbst die Vorgänge in der „International Unit“ verfolgt zu haben, verlautbarten die Fraktionschefs von CDU und SPD, Alexander Kotz und Martin Körner. Die Stadt hatte mit dem früheren Klinikchef Ralf-Michael Schmitz eine Aufhebungsvereinbarung mit einer Abfindung von insgesamt 900.000 Euro geschlossen, der der Rat zugestimmt hatte. Der Ausschuss sieht in seiner Mehrheit „erhebliche Versäumnisse“ und „nicht voll umfängliche sowie falsche Informationen“. Die Grünen sehen keine Verletzungen der Pflichten bei Wölfle und auch nicht bei Oberbürgermeister Kuhn, auch weisen sie den Vorwurf der Vertuschung zurück. Der Vorschlag zur fristlosen Kündigung des früheren Klinikchefs habe nicht zwingend im Gemeinderat eingebracht werden müssen. Mit dem Auflösungsvertrag habe die Stadt einen langjährigen Rechtsstreit vermieden, so die Argumentation der Grünen. Kuhn selbst betont, einen „erfolgreichen Neuanfang am Klinikum Stuttgart organisiert“ zu haben. „Wir haben eine neue Geschäftsführung, wir haben im Gemeinderat die Rechtsform geändert und uns den Zukunftsthemen des Klinikums wie dem Neubauprogramm zugewandt. Dies ist entscheidend, damit das Klinikum seine Spitzenstellung halten kann und damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre hervorragende Arbeit zum Wohle der Patienten fortsetzen können.“ Er stellte klar, dass es besser gewesen wäre, den Gemeinderat „früher“ vom Inhalt des Berichtes des Rechnungsprüfungsamts vom Dezember 2015 zu informieren. Kuhn verwies darauf, dass die Staatsanwaltschaft darum gebeten hatte, den Bericht nicht an Dritte weiterzugeben. Er entschuldigte sich bei den Stadträten, nicht explizit bei der Staatsanwaltschaft nachgehakt zu haben, ob er wenigstens dem Gemeinderat den Bericht hätte weiterleiten dürfen. Allerdings erklärte ein Sprecher gegenüber der Stuttgarter Zeitung, die Staatsanwaltschaft habe die Weitergabe der Informationen an den Gemeinderat nicht untersagt. In der öffentlichen Gemeinderatsdebatte vom 28. März 2019 verwies Kuhn auf ein Schreiben der Staatsanwaltschaft aus dem März 2016, dass der Bericht nicht weitergereicht werden solle, „um die Ermittlungen nicht zu gefährden“, ergänzt mit dem Hinweis, man werde die Stadt informieren sobald Staatsanwaltschaft oder Polizei keine weiteren Bedenken gegen eine Veröffentlichung hätten. Kuhns Verwaltung teilte im März 2020 mit, dass sie die Aufarbeitung als beendet ansieht. Dies hat das Regierungspräsidium Stuttgart als Rechtsaufsichtsbehörde bestätigt. Auf Beschluss des Gemeinderats hatte das Regierungspräsidium das Vorgehen der Stadtverwaltung begutachtet. Coronavirus-Epidemie. Nachdem die Atemwegserkrankung COVID-19 Anfang 2020 auch Deutschland erreicht hatte, bereitete Kuhn sich ab Mitte Februar auf eine Epidemie vor. Am 4. März 2020 wurde in Stuttgart die erste Infektion mit dem neuartigen Corona-Virus festgestellt. Am 18. März berief Kuhn den Verwaltungsstab ein. Kuhn wandte sich in mehreren Videobotschaften und in einem offenen Brief an die Stuttgarter Bürger: „Das Coronavirus hat die Welt fest im Griff. Auch Deutschland und unser Stuttgart. Deswegen müssen wir jetzt in unserer Stadt zusammenhalten. Auf jeden Einzelnen kommt es an. Es handelt sich um eine gewaltige Anstrengung der gesamten Stadtgesellschaft.“ Engagement. 2013 wurde Kuhn als Nachfolger von Frieder Birzele Vorsitzender des Volkshochschulverbandes Baden-Württemberg. 2019 wurde er im Amt bestätigt. Ehrungen. 2007 wurde Fritz Kuhn mit der Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet. Der Stuttgarter Gemeinderat verlieh ihm im Juli 2021 die Bürgermedaille der Landeshauptstadt Stuttgart, zur Begründung sagte sein Nachfolger im Amt Frank Nopper: „In der achtjährigen Amtszeit hat sich Stuttgart erfolgreich zu einer nachhaltigen, umwelt‐ und klimabewussten, sozialen und kulturell blühenden Großstadt weiterentwickelt.“ Privates. Kuhn ist mit der ehemaligen Grünen-Landtagsabgeordneten Waltraud Ulshöfer verheiratet und hat zwei Söhne. Er wohnt in Stuttgart.
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https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1598
Flugzeugträger
Ein Flugzeugträger ist ein Kriegsschiff, das als seegestützte Luftwaffenbasis dient. Dazu ist es mit einem Flugdeck ausgestattet, auf dem Militärflugzeuge und geeignete Versorgungsflugzeuge starten und landen können. Weiterhin enthält es Infrastruktur zu Transport, Reparatur, Be- und Entwaffnung von Militärflugzeugen sowie zum Eigenschutz des Flugzeugträgers. Jeder der heute im Einsatz befindlichen Flugzeugträger bildet normalerweise den Kern einer Trägerkampfgruppe. Mit ihrer Hilfe kann ein Staat weltweit militärisch handeln, auch ohne Stützpunkte im Konfliktgebiet zu unterhalten. Moderne große Flugzeugträger (Flottenflugzeugträger) mit einer Verdrängung von über 75.000 tn.l. werden manchmal auch „Supercarrier“ genannt. Derzeit gibt es weltweit 21 einsatzfähige Flugzeugträger, 11 davon gehören zur United States Navy (Stand 2022). Geschichte. Als Vorgänger aller Flugzeugträger gilt die französische "Foudre". Dem US-Amerikaner Eugene Burton Ely gelang am 14. November 1910 um 15:30 Uhr von einer am Bug der "Birmingham" angebrachten Plattform mit einem Curtiss-Doppeldecker der erste Start von einem Schiff. Zwei Monate später, am 18. Januar 1911, gelang ihm auch die erste Landung auf einem Schiff. Er landete mit seiner Maschine auf der "Pennsylvania", die eigens dafür mit einer hölzernen Plattform ausgerüstet worden war. Nach einem kurzen Aufenthalt an Bord flog er wieder zurück an Land. Am 6. September 1914 wurden der österreichisch-ungarische Kreuzer "Kaiserin Elisabeth" und das deutsche Kanonenboot "Jaguar" vor Tsingtau Ziele des ersten seegestützten Luftangriffes in der Geschichte; beide Schiffe wurden dabei nicht getroffen. Der Angriff erfolgte vom japanischen Flugzeugmutterschiff "Wakamiya" aus. Die in Frankreich gebauten "Farman Doppeldecker-Wasserflugzeuge" mussten per Bordkran ausgesetzt und gestartet werden. Die Entwicklung der Flugzeugträger begann bereits vor dem Ersten Weltkrieg, zunächst mit Handels- und Kriegsschiffen, die durch entsprechende Umrüstung zu sogenannten seeflugzeugtragenden Flugzeugmutterschiffen wurden. Die Britische "Argus" war zum Ende des Ersten Weltkriegs hin der erste vollwertige Flugzeugträger für Radflugzeuge. Die Japaner folgten bald darauf mit der "Hōshō", und auch die US Navy fand den Anschluss an diese Entwicklung mit dem umgebauten Kohlenfrachter "Jupiter", der nach dem Umbau den Namen "Langley" und die Kennung CV-1 erhielt. Das erste als Flugzeugträger entworfene und gebaute Schiff war die britische HMS Hermes, die am 11. September 1919 vom Stapel lief und bereits im Juli 1917 in Auftrag gegeben wurde. In den 1920er und 1930er Jahren wurde sowohl die Technik der Flugzeugträger als auch die der Flugzeuge ständig weiterentwickelt. So stattete im Jahr 1930 die Royal Navy ihren Flugzeugträger "Courageous" mit einer der ersten brauchbaren Fangseilanlagen aus. Im Zweiten Weltkrieg spielten Flugzeugträger erstmals eine äußerst wichtige Rolle. So stützte sich der vernichtende Luftangriff Japans auf Pearl Harbor im Dezember 1941 auf eine Flotte von sechs Flugzeugträgern ("Kaga", "Akagi", "Sōryū", "Hiryū", "Shōkaku" und "Zuikaku"), von denen Sturzkampfbomber und Torpedobomber starteten. Japaner und Amerikaner setzten in der Schlacht im Korallenmeer im Mai 1942 und in der Schlacht um Midway im Juni 1942 trägergestützte Flugzeuge ein, um das jeweilige gegnerische Trägergeschwader zu vernichten. Der Flugzeugträger war von Anfang an die Hauptwaffe zur Seebeherrschung im Pazifikkrieg. Zur Vermehrung des Trägerbestandes wurden ab 1942 auch die Rümpfe von bereits begonnenen Leichten Kreuzern der "Cleveland"-Klasse als Leichte Flugzeugträger fertiggestellt. Damit entstanden die neun Schiffe der "Independence"-Klasse. Zwei Einheiten der leistungsstärkeren "Saipan"-Klasse konnten nicht mehr in das Kriegsgeschehen eingreifen. Der Krieg in Afrika zwischen den italienischen Streitkräften und dem Deutschen Afrikakorps auf der einen Seite und den britischen Streitkräften auf der anderen Seite wurde entscheidend beeinflusst durch britische Flugzeugträger, die die Geleitzüge zur Versorgung der Mittelmeerinsel Malta sicherten und Malta mit Flugzeugen zum Abwehrkampf gegen die deutschen Bombenangriffe versorgten. Immer wieder wurden Flugzeugträger eingesetzt, die nur Jagdflugzeuge transportierten, die dann von den Trägern zur Insel Malta flogen, zur Verstärkung der Luftabwehr der Insel. Vom britischen Stützpunkt Malta aus wurde der Nachschub über See für die deutsch-italienischen Truppen in Afrika entscheidend durch die Versenkung von Nachschubschiffen getroffen. Im Atlantik wirkte sich die Luftüberwachung durch Geleitflugzeugträger stark auf den Kampf der deutschen U-Boote gegen den Versorgungsverkehr zu den britischen Inseln aus. Die Geleitflugzeugträger hatten ihren Anteil am Sieg über die deutschen U-Boote. Der erste und bisher einzige deutsche Flugzeugträger "Graf Zeppelin" lief 1938 vom Stapel. Er wurde jedoch nie fertiggestellt und im August 1947 als „nicht nutzbare Kriegsbeute“ durch zwei Torpedoschüsse sowjetischer Kriegsschiffe in der Ostsee versenkt. Mitte der 1950er Jahre wurde der Wechsel von Propeller- zu Strahlflugzeugen auf Flugzeugträgern vollzogen, was nur mit neuem großen technischem Aufwand auf den Trägern zu bewerkstelligen war, weil die Strahlflugzeuge viel schwerer waren und viel höhere Landegeschwindigkeiten und Startgeschwindigkeiten hatten. Man hatte anfangs große Schwierigkeiten beim Einfangen und beim Abschleudern der Maschinen. Mit der "Enterprise" führte die United States Navy im Jahr 1961 den ersten atomgetriebenen Flugzeugträger der Welt ein. Die "Enterprise" war bis zu ihrer Außerdienststellung am 1. Dezember 2012 mit 342 Metern Länge das längste Kriegsschiff der Welt. Der neueste Träger der amerikanischen Marine führt die Kennung CVN-78 und wurde als Typschiff der aus dem CVN-21-Programm hervorgegangenen Nachfolgern der "Nimitz"-Klasse auf den Namen "Gerald R. Ford" getauft. Die Schiffstaufe fand 2013 statt, die Indienststellung erfolgte am 22. Juli 2017. Dieser 13 Milliarden US-Dollar teure Flugzeugträger soll die Nachfolge der in Verschrottung befindlichen "Enterprise" antreten. Indien weihte im August 2013 seinen ersten selbstgebauten Flugzeugträger ein: die "Vikrant". Indien ist damit das sechste Land der Welt, das einen selbstgebauten Flugzeugträger (oder mehrere davon) hat. In China lief am 26. April 2017 der erste von der Volksrepublik selbstgebaute Flugzeugträger "Shandong" vom Stapel. Bis dahin hatte China nur die "Liaoning" im Bestand, welche früher "Warjag" hieß, der Sowjetmarine gehörte und 1998 halbfertig von China gekauft wurde. Sowjetische und nachfolgend russische Trägerschiffe werden offiziell immer mit dem Begriff „Flugdeckkreuzer“ bezeichnet, da der Vertrag von Montreux (1936) die Durchfahrt von „Flugzeugträgern“ durch die Dardanellen verbietet. Um die Träger dennoch von den Werften und Häfen an der Schwarzmeerküste ins Mittelmeer und zurück verlegen zu können, verwendet man diese Bezeichnung. Bedeutung und Untertypen von Flugzeugträgern. Flugzeugträger ermöglichen Militäraktionen weit außerhalb des eigenen Territorialgebietes oder verbündeter Streitkräfte, indem sie Stützpunkte in internationalen Gewässern bereitstellen. Sie kommen sowohl zu Zeiten ohne offene militärische Auseinandersetzungen wie zu Kriegszeiten zum Einsatz. Auf Grund ihrer Kosten und ihrer strategischen Ausrichtung sind sie Bestandteile der Streitkräfte von Großmächten und aufstrebenden Großmächten. Sie sind die größten Schiffe der Marine, sind aber insbesondere ein wichtiges Element der Luftstreitkräfte. Die Träger der US-amerikanischen "Nimitz"-Klasse, die von zwei Atomreaktoren und vier Dampfturbinen angetrieben werden, haben bis zu 6300 Mann Besatzung, und das letzte Schiff dieser Klasse kostete 6,3 Mrd. US-Dollar. Die monatlichen Betriebskosten eines Flugzeugträgers dieser Größe betragen ca. 13 Mio. Dollar (ohne Personalkosten). Untertypen von Flugzeugträgern: Außerdem werden Flugzeugträger in Glattdeckträger, also Flugzeugträger ohne 'Insel', und in Träger des „Insel-Typs“ unterschieden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden nur noch Flugzeugträger des Insel-Typs gebaut. Lediglich 13 Staaten besitzen Flugzeugträger (siehe Liste aktiver Flugzeugträger): Frankreich, Indien, Russland, Spanien, Brasilien, Italien, Thailand, das Vereinigte Königreich, Japan, Südkorea sowie die Vereinigten Staaten. Das chinesische Tourismusunternehmen Chong Lot hat 2002 den ehemaligen sowjetischen, nicht fertiggestellten Flugzeugträger "Warjag" von der Ukraine gekauft, offiziell um daraus ein schwimmendes Spielcasino zu bauen. Er wurde jedoch in Dalian vollendet, lief am 10. August 2011 zur ersten Probefahrt aus und wurde am 25. September 2012 unter dem Namen Liaoning in Dienst gestellt. Des Weiteren hat Australien zwei STOVL-Schiffe der "Canberra"-Klasse in Dienst. Die Türkei hat am 10. April 2023 die "Anadolu" in Dienst gestellt. Die "Anadolu" ist ein Flugzeugträger bzw. Amphibisches Angriffsschiff der türkischen Marine. Die größten und mit Abstand meisten Flugzeugträger gehören zur Flotte der United States Navy (20 Flugzeugträger, 72 % der Wasserverdrängung), gefolgt von Frankreich und Japan (je 4 Flugzeugträger und 5 % bzw. 4 % der Wasserverdrängung) und Ägypten (2 Flugzeugträger, 2 % der Wasserverdrängung). Alle anderen Länder mit Flugzeugträgern besitzen einen Flugzeugträger, der zudem deutlich kleiner als die der US Navy ist. In Europa ist es vor allem Frankreich, das Flugzeugträger besitzt, die mit ähnlichen Ausmaßen entwickelt werden. So möchte Frankreich mit dem PANG-Projekt einen atomaren Flugzeugträger bis 2038 entwickeln, dieser soll 300 Meter lang sein und mit 75.000 Tonnen Verdrängung ein Supercarrier sein, außerdem wird überlegt, langfristig einen zweiten Flugzeugträger dieser Klasse zusätzlich einzusetzen. Auch bereits heute verfügt die französische Marine Nationale mit der Charles de Gaulle über den einzigen atomaren Flugzeugträger außerhalb der USA, und über drei Hubschrauberträger, ein weiterer in Planung. Auch hat Großbritannien aktuell zwei neue Flugzeugträger der "Queen-Elizabeth"-Klasse. Allerdings sind diese mit 284 Metern von geringerer Größe als die Flugzeugträger der US Navy und der neue Flugzeugträger Frankreichs, und ihr Antrieb ist auch nicht atomar wie bei diesen. Die strategische Bedeutung des Schiffstypus Flugzeugträger verdeutlichte US-Präsident Bill Clinton im Jahre 1993 in einer Radioansprache an die US-Streitkräfte, die er auf dem Flugzeugträger USS "Theodore Roosevelt" hielt: Die US Navy hat auch mehrere amphibische Angriffsschiffe im Dienst, sogenannte Amphibious Assault Ships. Diese kleineren, vielseitig einsetzbaren Flugzeugträger dienen dem Transport von etwa 3.000 Soldaten des US Marine Corps sowie zusätzlichem militärischen Gerät wie zum Beispiel Landungsbooten. Neben Hubschraubern können auch senkrechtstartende Kampfflugzeuge auf dem Flugdeck stationiert werden. Großbritannien und Frankreich verfügen ebenfalls über solche Schiffe. Seeflugzeugträger. Eine Besonderheit waren Flugzeugmutterschiffe und Seeflugzeugträger. Sie trugen Schwimmerflugzeuge oder Flugboote, die nach dem Niedergehen auf dem Wasser mit einem Kran an Deck geholt wurden. Der Start erfolgte ebenfalls vom Wasser aus oder mit einem Flugzeugkatapult von Deck. Mit der Entwicklung von mit Flugdeck ausgerüsteten Flugzeugträgern, auf denen Radflugzeuge starten und landen konnten, wurden diese Schiffe obsolet. Als Beispiel ist die "Schwabenland" erwähnenswert, die bei der Deutschen Antarktis-Expedition 1938/39 eingesetzt wurde, um Dornier Wal-Flugboote per Katapult zu starten und dann per Flugzeughebekran wieder an Bord zu nehmen. Ebenso erwähnenswert sind die U-Boot Flugzeugträger der japanischen Marine im Zweiten Weltkrieg, die I-400- und AM-Klassen, welche ebenfalls als Mutterschiffe agierten und Wasserflugzeuge in teilweise zerlegtem Zustand transportierten und zum Start aussetzen konnten. Luftschiffe als Flugzeugträger. Nur drei Luftschiffe, LZ 126/ZR-3 „USS Los Angeles“, USS Akron und USS Macon konnten jemals – von 1929 bis 1935 – (kleinere) Flugzeuge entlassen und aufnehmen. Technik. Rumpf. Der Rumpf eines Flugzeugträgers der amerikanischen "Nimitz"-Klasse ist knapp 333 m lang und hat einen Tiefgang von bis zu 12 m. Die britischen Träger der "Invincible"-Klasse sind mit rund 210 m Länge ein gutes Drittel kleiner. Der Rumpf von Schiffen der Essex-Klasse besteht aus Stahl mit einer Dicke von mehreren Zentimetern. Unter der Wasserlinie besteht der Rumpf als Schutz vor Beschädigung aus einer Doppelhülle. Stabilität und Sicherheit werden durch die Einteilung in Schotten (quer) und Decks (horizontal) erreicht. Über der Wasserlinie wird der Rumpf, um das Flugdeck zu tragen, immer breiter und bietet dadurch auch mehr Raum für Hangars und andere Räume. Unter dem Flugdeck befinden sich im Hangardeck die untereinander verbundenen Hangars, die die dreifache Höhe normaler Decks haben. In diesen sind die Flugzeuge untergebracht und können dort gewartet werden. Sie werden über bis zu vier Aufzüge, die sich seitlich am oder direkt im Rumpf befinden, zum Flugdeck gebracht. Weitere drei Decks unter den Hangars befinden sich die Maschinenräume. Um möglichst viel Platz für das Flugdeck zur Verfügung zu haben, sind bei allen modernen Trägern die Kommandobrücke, alle Antennen und Radaranlagen auf einem einzigen Decksaufbau untergebracht. Diese sogenannte „Insel“ liegt meistens an der Steuerbordseite. Eine Ausnahme bildet die britische "Queen-Elizabeth"-Klasse, die über zwei getrennte Inseln verfügt. Damit sollen zwei konträre Anforderungen erfüllt werden: Für eine Optimierung der Schiffsführung sollte sich die Kommandobrücke möglichst weit vorne befinden, für die Flugdeckkontrolle ist dagegen ein möglichst weit hinten liegender Aufbau vorteilhaft. Außerdem helfen zwei getrennte Inseln, im Falle einer Beschädigung des Schiffs den Schaden einzudämmen. Der Rumpf ist auf eine hohe Geschwindigkeit ausgelegt, daher wird der maximale Völligkeitsgrad (Schiffshydrodynamik) erst im hinteren Teil erreicht. Durch diese Auslegung und die Länge des Schiffs wird eine hohe Rumpfgeschwindigkeit erreicht, welche in Kombination mit einem leistungsfähigen Antrieb eine hohe maximale Geschwindigkeit ermöglicht. Die Stabilität geht damit vom Heck aus. Beim Vergleich der Ansicht eines Frachtschiffes und eines Flugzeugträgers von schräg vorne ist zu erkennen, wie schmal der Bug eines Flugzeugträgers ist. Flugdeck. Flugzeugträger gibt es in zwei grundlegenden Konfigurationen: Die meisten besitzen ein flaches Deck als Start- und Landefläche für Flugzeuge. Ein Dampfkatapult (seit Juli 2017 auf der USS Gerald R. Ford (CVN-78) erstmals ein elektromagnetisch angetriebenes Katapult) beschleunigt das Flugzeug, das seinen Start durch vollen Schub unterstützt, in zwei Sekunden auf Startgeschwindigkeit. Um auf dem Träger zu landen, muss ein Flugzeug mit seinem Fanghaken eines von mehreren quer auf dem Deck ausliegenden Stahlseilen aufnehmen. Es wird dann innerhalb von 100 Metern zum Stehen gebracht. Bei großen Flugzeugträgern ist das Flugdeck versetzt; dadurch erhalten Flugzeuge, die die Fangseile verfehlt haben, die Möglichkeit durchzustarten, ohne Gefahr zu laufen, in die am Bug abgestellten Maschinen zu stürzen. Für diese Art der Flugoperationen werden spezielle trägergestützte Flugzeuge benötigt, die für solche ausgelegt sind. Das Prinzip wird als Conventional Take-Off and Landing (CTOL) bezeichnet. Der zweite Ansatz von vielen Marinen – wie der britischen, italienischen, spanischen, indischen und russischen – ist eine Art „Sprungschanze“ an einem Ende des Decks, ein sogenannter Ski-Jump, die dem Flugzeug beim Start hilft. Diese Schiffe werden als STOVL- (Short Take-Off and Vertical Landing) oder STOBAR-Flugzeugträger (Short Take-Off But Arrested Recovery) bezeichnet. Das Prinzip wurde Ende der 1970er Jahre von der britischen Royal Navy entwickelt, um eine kostengünstigere und kleinere Art von Flugzeugträgern zu bauen. Nachdem es sich im Falklandkrieg bewährt hatte, begannen auch andere Nationen, dem britischen Beispiel zu folgen. Dies funktioniert mit senkrecht startenden Jets wie der britischen Hawker Siddeley Harrier, die fast ohne Vorwärtsbewegung starten und landen können, aber auch mit anderen Flugzeugen, die über entsprechend leistungsfähige Triebwerke verfügen. Der modifizierte Abflugwinkel gibt in diesem Fall dem Flugzeug mehr Zeit nach Verlassen des Flugdecks, auf eine für den Horizontalflug ausreichende Geschwindigkeit zu beschleunigen. Katapulte entfallen somit – bei Senkrechtstartern zusätzlich auch die Fangseile für die Landung. In beiden Fällen läuft das Schiff während Start- oder Landeoperationen mit bis zu 35 kn (64 km/h) gegen den Wind, um die notwendige Geschwindigkeit des Flugzeuges über dem Trägerdeck, bzw. die relative „Stall speed“ herabzusetzen. Der Unterschied zur wahren Geschwindigkeit über Grund (engl. „Ground speed“) ist somit nur mehr die zusätzliche Reduktion dieser durch die Relativbewegung des Flugzeugträgers gegenüber der Erdoberfläche (Meeresoberfläche). Antrieb. Die modernen US-Träger sowie die französische "Charles de Gaulle" beziehen die Energie für ihre Dampfturbinen aus mehreren (meist zwei) Druckwasserreaktoren, wodurch sie eine sehr große Leistung und Reichweite haben. Alle anderen Flugzeugträger werden konventionell mit Kesseln oder Gasturbinen angetrieben. Mit bis zu vier Propellern erreichen sie eine Geschwindigkeit von über 30 Knoten. Kennung. Im Gegensatz zu Fregatten oder Zerstörern gibt es international keine einheitliche Kennung für Flugzeugträger. Kennungen der US Navy. Die Flugzeugträger der US Navy werden traditionell bedingt mit „CV“, gefolgt von einer Nummer gekennzeichnet, also zum Beispiel "CV-6" für die "Enterprise" des Zweiten Weltkriegs und "CVN-65" für die bis 2012 aktive "Enterprise". Die Zahl bedeutet in diesem Fall somit den 6. bzw. 65. in Auftrag gegebenen Flugzeugträger der US Navy. Das „C“ steht für „Kreuzer“ (englisch: „cruiser“), da Flugzeugträger in ihren Anfängen umgebaute Kreuzer und ursprünglich der „Scouting Force“ zugeordnet waren. Der Buchstabe „V“ deklariert bei der US Navy eine bestimmte Klasse von Luftfahrzeugen, die schwerer als Luft sind (englisch: „heavier-than-air craft“, bzw. „aerodynes“), sich in selbiger aber von alleine bewegen können (im Gegensatz zu Fahrzeugen, wie bspw. einem Zeppelin, der nämlich "leichter" als Luft ist und dementsprechend englisch „lighter-than-air craft“, bzw. „aerostats“ genannt wird). Diese Klasse beinhaltet auch alle Starrflügelflugzeuge (englisch: „fixed wing“). Vermutlich aus diesem Grund hat die US Navy die Bezeichnung "V" gewählt, auch deshalb, weil "CA" bereits für schwere Kreuzer und "AC" für Kohle- und Treibstofftransporter vergeben war. Ein Flugzeugträger mit der Kennung "CV" hat somit die primäre Aufgabe, Starrflügelflugzeuge zu tragen. Die häufig verwendeten Bezeichnungen Carrier Vessel oder Carrier Vehicle (für US-Flugzeugträger) hingegen sind nicht korrekt, werden aber selbst im militärischen Sprachgebrauch oft verwendet. Atomgetriebene Flugzeugträger tragen den Zusatz "N" für "Nuclear". Die Kennung aller heute aktiven US-Flugzeugträger ist auf Grund des Atomantriebs daher "CVN". Der Zweite Weltkrieg führte zu folgenden weiteren, heute aber nur mehr selten verwendeten, Bezeichnungen in der US Navy: Andere Typen von Trägern, deren Hauptaufgabe nicht das Operieren von Starrflügelflugzeugen ist (Helikopterträger, amphibische Landeschiffe), werden wie folgt gekennzeichnet: Kennungen der Royal Navy. Die Flugzeugträger der britischen Royal Navy tragen die Kennung "R". Während des Zweiten Weltkriegs bezeichnete die Royal Navy Flugzeugträger, die im Atlantik stationiert waren, mit "D", jene im Pazifik mit "R". Um die Kennungen zu vereinheitlichen, wurden später alle Flugzeugträger mit "R" bezeichnet, da "D" nur noch für Zerstörer verwendet wurde. Die genaue Bedeutung der Abkürzung "R" ist heute nicht mehr genau nachvollziehbar. Sie hat aber wahrscheinlich ihren Ursprung im alten Kennungssystem der Royal Navy, dessen Buchstaben sich auf die Heimatbasis der Schiffe bezogen (D = Devonport, R = Rosyth). Kennungen anderer Staaten. Viele Nationen haben die Kennung "R" der Royal Navy übernommen, es gibt aber auch Ausnahmen: Im Verband. Flugzeugträger operieren nie alleine, sondern zusammen mit verschiedenen Begleitschiffen, die für Schutz und Versorgung sowie zusätzliches Offensivpotenzial sorgen. Diese Begleitflotte setzt sich in der Regel aus Kreuzern, Zerstörern und Fregatten zusammen, die den Verband gegen Bedrohungen aus der Luft, durch andere Seeeinheiten oder durch U-Boote schützen. Zusätzlich werden U-Boote zur Aufklärung und U-Jagd eingesetzt. Versorgungsschiffe und Tanker erweitern den Aktionsradius der Trägergruppe um ein Vielfaches. Außerdem können diese Schiffe zusätzliche Offensivkapazität bereitstellen, zum Beispiel Marschflugkörper. Ältere sowjetische Flugzeugträger verfügten ihrerseits über eine so starke Eigenbewaffnung, dass sie nicht auf den Schutz weiterer Begleitschiffe angewiesen waren. Flugbetrieb. Start. Der Start erfolgt entweder über Flugzeugkatapulte, über eine Sprungschanze (Ski-Jump) oder im Senkrechtstart. Katapultstart. Bei Flugzeugträgern der US Navy, der französischen Marine Nationale und der brasilianischen Marine werden die Flugzeuge mittels Flugzeugkatapulten auf Startgeschwindigkeit gebracht. Um die Besatzung und wartende oder geparkte Flugzeuge auf dem Flugdeck zu schützen, wird hinter einem zu startenden Flugzeug ein Stück des Bodens („Gasstrahlabweiser“, engl. „Jetblast Deflector“, JBD) hochgeklappt, sodass die Abgasstrahlen nach oben abgelenkt werden. Der eigentliche Start erfolgt in nur wenigen Sekunden, in denen das Flugzeug auf Startgeschwindigkeit beschleunigt wird. Schanzenstart. Auf den russischen, britischen, chinesischen, indischen, spanischen und italienischen Flugzeugträgern gibt es keine Dampfkatapulte. Stattdessen gibt es ein Startdeck, das am Ende hochgebogen ist, ähnlich wie eine Sprungschanze, der sogenannte Ski-Jump. Die russischen Marineflugzeuge werden von Bremsklötzen festgehalten und die Besatzung durch Strahlabweiser wie bei den amerikanischen Flugzeugträgern geschützt. Das startende Flugzeug fährt die Triebwerke mit Nachbrennern hoch, bewegt sich aber nicht vorwärts, weil die Bremsklötze das Flugzeug zurückhalten. Sobald die Bremsklötze das Flugzeug loslassen, beschleunigt es und startet über die Rampe vom Schiff. Senkrechtstart. Diese Variante des Starts wird normalerweise nicht verwendet. VTOL-fähige Flugzeuge starten normalerweise über eine Schanze und landen senkrecht. Dies hat den Vorteil, dass die Flugzeuge beim Start mehr Nutzlast mitführen können. Das Transportflugzeug V-22 Osprey kann dagegen mit voller Nutzlast auch vertikal abheben. Lediglich die Reichweite wird durch den vertikalen Start herabgesetzt. Auch die auf allen Trägern stationierten Hubschrauber starten immer senkrecht, werden aber als Drehflügler nicht zu den Flugzeugen gezählt. Start per Kurzstartfähigkeit. Auf den Amphibious Assault Ships der US Navy starten die auf ihnen eingesetzten Senkrechtstarter mit kurzem Anlauf. Die Schiffe verfügen nicht über Katapulte, aber auch nicht über Schanzen. Landung. Die Landung auf einem Träger gehört mit zu den anspruchsvollsten und gefährlichsten fliegerischen Operationen, besonders, wenn sie bei Nacht oder schlechtem Wetter durchgeführt werden soll. Es gibt zwei Arten von Landungen, die Landung mit Fangseilen und die Senkrechtlandung. Landung mit Fangseilen. Diese Art der Landung wird auf fast allen Flugzeugträgern angewandt. Hierbei sind auf dem hinteren Flugdeck meist vier (bei einigen Flugzeugträgern aber auch nur drei) Fangseile gespannt, von denen der Pilot eines mit dem Fanghaken „erwischen“ muss. Vorzugsweise sollte der Pilot bei diesem Manöver den Träger stets so anfliegen, dass er sich möglichst in das dritte Seil einhakt. Der grundlegende Ablauf auf einem amerikanischen Flugzeugträger ist folgender: Senkrechtlandung. Diese Art der Landung wird momentan nur mit dem Hawker Siddeley Harrier oder dem V-22 Osprey und durch ihre Nutzer US Marine Corps, Royal Air Force und Royal Navy (Fleet Air Arm) betrieben. Die Marine Corps operieren mit ihren Flugzeugen nicht nur von Flugzeugträgern, sondern auch von Hubschrauberträgern der "America"- und "Wasp"-Klasse. Die Harrier-Flugzeuge werden in Zukunft von der im Moment in der Testphase befindlichen Lockheed Martin F-35 abgelöst. Von diesem Flugzeugtyp hat auch Italien Maschinen für den Einsatz auf ihren Trägern bestellt. Wie auch beim Start nutzen Hubschrauber immer ihre Fähigkeit, senkrecht zu landen. Luftfahrzeuge. Auf einem Flugzeugträger werden unterschiedliche Typen von Luftfahrzeugen eingesetzt, die in folgende Kategorien eingeteilt werden: Die Strahlflugzeuge können wiederum in folgende Kategorien unterteilt werden: Die Luftfahrzeuge dienen unterschiedlichsten Zwecken: Flugdeckbesatzung. Auf dem Flugdeck sind Besatzungsmitglieder für verschiedene Zwecke tätig. Sie werden anhand ihrer farbigen Hemden, Arbeitswesten und Helme bzw. Helmbezüge nach ihren Funktionen an Deck unterschieden. Auf Flugzeugträgern der United States Navy werden folgende Farben verwendet:
1599
556709
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1599
Freudenstadt
Freudenstadt ist eine Mittelstadt sowie Große Kreisstadt mit Einwohnern () im Regierungsbezirk Karlsruhe in Baden-Württemberg. Sie ist Sitz des Landratsamtes Freudenstadt als Verwaltungsbehörde des Landkreises Freudenstadt. Freudenstadt ist ein anerkannter heilklimatischer und Kneippkurort sowie ein traditionell beliebter Urlaubsort. Daneben ist Freudenstadt bekannt für seinen sehr großen, fast quadratischen Marktplatz. Für die umliegenden Gemeinden bildet es ein Mittelzentrum im Bereich des Oberzentrums Pforzheim. Mit den Gemeinden Bad Rippoldsau-Schapbach und Seewald besteht eine vereinbarte Verwaltungsgemeinschaft. Die Stadt wurde 1599 von Herzog Friedrich I. von Württemberg gegründet. Scharfe Einschnitte in die Stadtentwicklung verursachten der Stadtbrand von 1632, die großen Bevölkerungsverluste im Dreißigjährigen Krieg und die weitgehende Zerstörung der Innenstadt im Zweiten Weltkrieg. Geographie. Lage. Freudenstadt liegt im nordöstlichen Schwarzwald. Es befindet sich 66 Kilometer (Luftlinie) südwestlich von Stuttgart und 61 Kilometer südlich von Karlsruhe auf einem Hochplateau am Ostrand des Nordschwarzwalds auf 591 bis in der Region Nordschwarzwald. Das Hochplateau liegt am Rande einer nach Osten flach abfallenden schiefen Ebene. Diese ist Einzugsgebiet der Glatt, die dann in den Neckar mündet. Gleich westlich des Stadtzentrums fällt das Gelände steil zum tief eingeschnittenen Tal des Forbachs ab, der zur Murg fließt. Sechs Kilometer in Richtung Süden, im Luftkurort Loßburg, entspringt die Kinzig, die bei Kehl in den Rhein mündet. Das größtenteils waldbedeckte westliche Stadtgebiet steigt zur Passhöhe am Kniebis an und von dort weiter bis auf bei der Alexanderschanze. Südlich des Ortsteils Kniebis entspringt der Fluss Wolf. Nachbargemeinden. Die folgenden Städte und Gemeinden grenzen im Uhrzeigersinn, beginnend im Norden, an die Stadt Freudenstadt: Baiersbronn, Seewald, Grömbach, Pfalzgrafenweiler, Dornstetten, Glatten, Loßburg und Bad Rippoldsau-Schapbach (alle Landkreis Freudenstadt). Geologie. Die Stadt befindet sich in einem Deckgebirge der Trias, das auf einem älteren Grundgebirgssockel liegt. Die vorherrschenden Buntsandstein-Ablagerungen wurden im Verlauf des Tertiärs vom "Freudenstädter Graben" gestört, einem zwölf Kilometer langen und sieben Kilometer breiten Graben mit Verwerfungen von bis zu 140 Meter Sprunghöhe. Die Grabensohle besteht wie in dem östlich benachbarten Gäu aus Muschelkalk. Vor allem an den Grabenrändern, zum Beispiel im "Christophstal" unweit des heutigen Stadtzentrums, haben hydrothermale Lösungen Quarz-Schwerspat-Gänge gebildet. Einen ersten, wenn auch schwachen Hinweis auf historischen Bergbau im Freudenstädter Revier enthält eine Urkunde von 1267. Weitere Hinweise aus dem Mittelalter fehlen, Hauptphase des Bergbaus war im Zeitraum vom 16. bis 18. Jahrhundert. Wie im württembergischen Schwarzwald die Regel, traf dieser auch hier auf große wirtschaftliche Schwierigkeiten und war häufig unterbrochen. Abgebaut wurden vor allem Silber- und Kupfer- sowie Eisenerze. Zur Eisengewinnung wurde der oberflächennah reichlich auftretende Limonit gefördert und zur Silber-, später auch Kupfergewinnung arsenreiches Fahlerz abgebaut. Die Fahlerze der Reviere im Deckgebirge weisen einen erhöhten Wismutgehalt auf. Der Abbau führte zur Erstbesiedlung des Christophstals rund 30 Jahre vor der Gründung von Freudenstadt. Das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau stellte 2008 bei Bohrungen ein im Vergleich zu anderen deutschen Gangrevieren „erhebliches“ Potential an Baryt fest. Ein Probeabbau erfolgt derzeit beim Dorothea-Untersuchungsstollen nahe der Talstraße im Forbachtal. Stadtgliederung. Das Stadtgebiet von Freudenstadt gliedert sich in die Kernstadt Freudenstadt mit Christophstal und Zwieselberg (zusammen 16.159 Einwohner) und die Stadtteile Dietersweiler und Lauterbad (2256 Einwohner), Grüntal und Frutenhof (1027 Einwohner), Igelsberg (254 Einwohner), Kniebis (947 Einwohner), Musbach (761 Einwohner) und Wittlensweiler (2186 Einwohner). Die Stadtteile wiederum sind in Dörfer, Weiler, Höfe und Häuser untergliedert. Die offizielle Benennung der Stadtteile erfolgt in der Form „Freudenstadt, Stadtteil …“ Bei den Stadtteilen handelt es sich mit Ausnahme von Kniebis um ehemals selbständige Gemeinden. In Freudenstadt ist die unechte Teilortswahl eingeführt, das heißt, das Stadtgebiet gliedert sich in sechs Wohnbezirke im Sinne der baden-württembergischen Gemeindeordnung. Die Kernstadt und der Stadtteil Igelsberg sind zu einem Wohnbezirk zusammengefasst, die restlichen Wohnbezirke sind identisch mit den Stadtteilen. In den Stadtteilen bestehen Ortschaften im Sinne der baden-württembergischen Gemeindeordnung mit eigenem Ortschaftsrat und einem Ortsvorsteher als dessen Vorsitzenden. In den Ortschaften gibt es Verwaltungsstellen des Bürgermeisteramts. Abgegangene, heute nicht mehr bestehende Ortschaften und Burgen sind die Burg Hofstätten und die Siedlung Burgberg auf dem Schwarzwald im Stadtteil Dietersweiler, Schöllkopf, ein im Dreißigjährigen Krieg abgebranntes Gehöft, die Siedlungen und Einzelhöfe Wolfhaus im Stadtteil Grüntal, Slunwag im Stadtteil Igelsberg sowie Gallushütte und Hilpertshöfle im Stadtteil Musbach. Raumplanung. Freudenstadt ist ein Mittelzentrum innerhalb der Region Nordschwarzwald, in der Pforzheim als Oberzentrum ausgewiesen ist. Zum Mittelzentrum Freudenstadt gehören die Städte und Gemeinden Alpirsbach, Bad Rippoldsau-Schapbach, Baiersbronn, Dornstetten, Glatten, Grömbach, Loßburg, Pfalzgrafenweiler, Schopfloch, Seewald, Waldachtal und Wörnersberg. Klima. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts gab es regelmäßige Messungen der Regenmenge, der Sonnenscheindauer und anderer Klimawerte. Im Jahr 1925 hieß es in einer Anzeige: . Die Jahresdurchschnittstemperatur lag zwischen 1990 und 2007 bei 7,9 °C. Die höchste durchschnittliche Maximaltemperatur ergab sich mit 21,2 °C im August, die niedrigste durchschnittliche Minimaltemperatur im Januar bei −2,2 °C. Analog dazu sind die höchste und die niedrigste Tagesdurchschnittstemperatur verteilt. Die zwischen 1961 und 1990 gemessene Jahresniederschlagsmenge ist aufgrund der Gebirgsrandlage der Stadt mit 1681,4 Millimeter für Deutschland überdurchschnittlich hoch. Über das Jahr wurden dabei recht konstante Werte verzeichnet, wobei das Maximum mit 189,9 Millimetern im Dezember verzeichnet wurde. Für die Regentage ergibt sich ein ähnliches Bild mit einer recht homogenen Verteilung von 15,2 Tagen im Juni und Juli und 19,7 Tagen im Dezember. Im Jahr gab es im Mittel 205,6 Regentage. Bei den durchschnittlichen täglichen Sonnenscheinstunden zwischen 1990 und 2007 erreichte Freudenstadt mit 4,6 einen hohen Wert, der vermutlich auf die weitgehende Nebelfreiheit zurückzuführen ist. Die meisten Sonnenstunden wurden im Juni verzeichnet (7,1 Stunden), die geringsten im Dezember mit 1,8 Stunden. Wetterdaten für Freudenstadt werden von der Warte des Deutschen Wetterdienstes auf dem erhöht liegenden "Kienberg" gesammelt. Die Firma Meteomedia unterhält Wetterstationen auf dem Marktplatz und in Freudenstadt-Langenwald. Ausführliche Klimatabelle Geschichte. Spätere Stadtteile und Bergbau im St. Christophstal. Der heutige Stadtteil Grüntal-Frutenhof wurde erstmals 1100 als "Grindelen" urkundlich erwähnt. Das Gehöft Frutenhof fand dagegen erst 1470 schriftliche Erwähnung. 1583 bekam Grüntal eine eigene Pfarrei. Die Existenz von Igelsberg ist als "Illigsberg" um das Jahr 1230 gesichert, als es vom Pfalzgrafen Rudolf von Tübingen zu Lehen an das Bistum Straßburg ging. Seit 1381 gehörte Igelsberg zum Benediktiner-Kloster Reichenbach und kam erst 1595 zu Württemberg. Im heutigen Kniebis stand um 1250 eine Kapelle eines Herrenalber Mönchs, die 1278 zu einem Franziskanerkloster umgebaut wurde, das 1320 zu Württemberg kam. Um sich gegen mögliche Angriffe des habsburgischen Bischofs von Straßburg zu schützen, ließ der von den Habsburgern unter Friedrich dem Schönen zum Kaiser Ludwig dem Bayern übergelaufene Graf Eberhard Schanzen auf dem Kniebis errichten. Der Stadtteil Musbach, namentlich das gegenwärtige Untermusbach, fand 1274 als "Muosbach" Eingang in Schriftstücke und war von Beginn an württembergisch. Wohl 1291 kam das heutige Untermusbach vom Pfalzgrafen von Tübingen zum Kloster Reichenbach. Erst 1595 wurde es württembergisch. Dietersweiler fand 1347 erstmals als "Dietrichsweiler" urkundlich Erwähnung. Zusammen mit dem bereits zu Beginn des 12. Jahrhunderts als "Witelineswilare" bestehenden Stadtteil Wittlensweiler wurde es von den "Herren von Lichtenfels" an die Herren von Neuneck veräußert. Wittlensweiler ging 1473 an Württemberg, Dietersweiler folgte 1511. 1520 bis 1534 gab es unter österreichischer Herrschaft Erzförderung in der Nähe des ehemaligen Gehöfts Schöllkopf. 1544 wurde das Kloster auf dem Kniebis aufgelöst. Viele kleine Bergwerke, deren Stollen waagrecht in den Berg führten, entstanden, darunter um 1560 der nach Herzog Christoph bzw. seinem Namenspatron benannte „St.-Christoph-Erbstollen“, dessen Name auch auf den Talabschnitt und die Siedlung, die kurz darauf entstand, überging. Die steilen Talhänge des Christophstal begünstigten die Anlage von Stollen, senkrechte Schächte blieben in Zahl und Bedeutung deutlich zurück. Aber nicht nur im Christophstal wurden Gruben angelegt. In der Nähe von Lauterbad entstand die Charlottengrube, auf dem Kienberg der Georgsstollen sowie die Grube „Schweitzer Treu“. Auch in den späteren Ortsteilen wurde geschürft: In Wittlensweiler wurde zwischen 1812 und 1824 eine Grube in der Pfarrgasse („Friedrich- und Wilhelmina-Fundgrub in der Kirchgaß“) betrieben, die Schwerspat und Brauneisen förderte. Bereits im Jahr 1536 wurden die Bergleute mit besonderen Privilegien ausgestattet. Im Jahr 1598 wurden 87 Tonnen Erz gefördert, das je Tonne bis zu 1.800 Gramm Silber und 140 Kilogramm Kupfer enthielt. Die Silberschmelze wurde mit Holzkohle aus den Wäldern der Umgebung beheizt. 1603 betrug die Förderung 94 Kilogramm Silber. Daraus entstanden die sogenannten "Christophstaler". Später konzentrierte sich der Abbau auf Kupfer und Eisen. Am 23. Januar 1572 wurde unter Herzog Ludwig der Bau eines Hüttenwerkes angeordnet. Sein Nachfolger Friedrich I. sorgte im Hinblick auf eine weitgehende Rohstoff-Autarkie des Herzogtums für die Gründung weiterer Verarbeitungsbetriebe. 1595 plante Baumeister Heinrich Schickhardt eine Eisenschmiede, aus der der spätere obere Großhammer entstand. 1606–1610 kam eine Messingfaktorei mit Brennöfen und Schmiede hinzu. 1616 wurde der obere Drahtzug eingerichtet, 1621 der untere. Es entstanden ein Kupferhammer, ein Pfannenhammer, ein weiterer Großhammer, der spätere Wilhelmshammer. Zwischen Kupferhammer und (unterem) Pfannenhammer wurde eine zweite Schmelze errichtet. An einem heute unbekannten Ort stand auch eine Glockengießerei. Zwischen 1622 und 1628 wurde im Christophstal eine der vier verschiedenen württembergischen Münzprägeanstalten betrieben, in der erst Münzen aus der Kipper- und Wipperzeit, so der Hirschgulden mit dem Münzzeichen „CT“ oder „C“ und später dann reguläre Münzen geprägt wurden. Stadtplanung. Herzog Friedrich I. betrieb als Vertreter des Frühabsolutismus eine aktive Macht- und Wirtschaftspolitik. Die Förderung des Bergbaus in Christophstal und die Ansiedlung von Exulanten sollten im merkantilistischen Sinne die Einnahmen des Landesherren sichern. Die bestehenden Landesfestungen wurden ausgebaut. An der Westflanke, nahe dem strategisch wichtigen Kniebis-Pass, sollte mit Freudenstadt eine neue befestigte Residenz weitere geplante Territorialerwerbungen im Westen als Brückenschluss zu den westrheinischen Besitzungen sichern. 1595 hatte der Herzog Besigheim und Mundelsheim von Baden erworben. Im selben Jahr setzte er mit Gewalt seine Ansprüche auf Reichenbach durch. Sein weiteres Ziel war der Erwerb des Hochstifts Straßburg. 1604 erlangte er zumindest auf dreißig Jahre befristet die Pfandschaft Oberkirch von diesem Hochstift. Friedrich beauftragte seinen Baumeister Heinrich Schickhardt um das Jahr 1598, das Gebiet um das heutige Freudenstadt zu untersuchen. Rückblickend berichtet Schickhardt 1632 in der Zusammenfassung seines Lebenswerkes („Inventar“): Dennoch bestand der Herzog auf den Bau der Stadt. Schickhardts quadratischer Grundriss für Freudenstadt geht wahrscheinlich auf Zeichnungen Albrecht Dürers in seiner "Festungslehre" zurück. Schickhardt entwarf Freudenstadt auf Geheiß Friedrichs I. am Reißbrett. Zunächst legte er dem Herzog den als "Baublockplan" bekannten Entwurf vor, bei dem jeweils mehrere Häuser in Zeilen oder rechteckig, teils mit Innenhof, angelegt sind. Die massive Festung mit dem Schloss war in diesem ersten Plan in einer Ecke der Anlage vorgesehen, der Marktplatz im Zentrum der Stadt war verhältnismäßig klein geplant. Schickhardts zweiter Entwurf ist eine Fortentwicklung des Baublockplans. Es sind bereits deutliche Ansätze der später realisierten Häuserzeilen zu erkennen. Das Schloss in der damals üblichen Bauweise war abermals in einer Ecke der Anlage in die Festungsmauern eingebettet. Tatsächlich wurde Freudenstadt dann nach dem "Dreizeilenplan" erbaut, wobei das nun in der Mitte der Stadt geplante Schloss und die Festung erst später entstehen sollten. Diese Entscheidung ließ zu, die Stadt flexibel zu vergrößern, bis eine konstante Einwohnerzahl erreicht war. Das Schloss war im Dreizeilenplan mittig und um 45° zur geometrischen Stadt gedreht auf dem Marktplatz vorgesehen. Die geplante massive Konstruktion der Festung wurde zurückgenommen und gleicht mehr einer Stadtmauer, was darauf hindeutet, dass dem Herzog bereits zu diesem Zeitpunkt doch nicht mehr so viel an der militärischen Funktion seiner Stadt gelegen war. Gleichwohl ist ein Plan Schickhardts bekannt, der den Dreizeilenplan um eine mächtige Festung erweiterte. Ob es sich dabei mehr um eine „Spielerei“ oder um eine echte Planung handelte, ist allerdings nicht bekannt. Umgeben wird das Zentrum auf dem Plan von drei Häuserzeilen, die an ein Mühlebrett erinnern. Selbst die Namen der ersten Bewohner, vornehmlich Handwerker, die vom Bau der neuen Stadt profitieren wollten, sind eingetragen. Diese Anmerkungen dürften von Elias Gunzenhäuser, dem örtlichen Bauleiter, stammen. Stadtgründung. Der 22. März 1599, als die ersten Häuser und Straßen von Schickhardt in Anwesenheit des Herzogs abgesteckt wurden, gilt als Gründungsdatum der Stadt. Die Häuser am Marktplatz hatten zum Platz hin ausgerichtete Dachgiebel und wurden daher Giebelhäuser genannt. Es handelte sich um typische Fachwerkhäuser. Ein vom Zimmermann aufgestelltes Gerüst aus Balken wurde mit Mauerwerk ausgefüllt und hell verputzt, während die Balken, die zum Teil sichtbar blieben, dunkel angestrichen wurden. Heute sind im Stadtkern keine solchen Häuser mehr erhalten. Im wenig entfernten Dornstetten ist diese Bauweise im historischen Ortskern noch sichtbar. Am 1. Mai 1601 erfolgte die Grundsteinlegung für die wohl von Elias Gunzenhäuser entworfene Stadtkirche, die am Marktplatz als Winkelkirche gebaut wurde. Ab 1602 wurden in der Nordwestecke – ebenfalls durch Gunzenhäuser – das Kaufhaus, in den 1660er-Jahren in der Nordostecke das Rathaus erbaut, beide ebenfalls als Winkelbauten. Am 6. Mai 1601 wurde die „Stadt ob Christophstal“ erstmals urkundlich als „Freudenstadt“ erwähnt. Wie es zu dieser Namensgebung kam, ist nicht geklärt. Am 3. November erfolgte dann eine Ausschreibung, mit der gezielt Ansiedlungswillige angesprochen wurden, denen Bauplatz, Holz und Felder versprochen wurden. Auf diese Art wurden vor allem von der habsburgischen Gegenreformation betroffene protestantische Glaubensflüchtlinge aus den österreichischen Kronländern Steiermark, Kärnten und Krain in die junge Stadt gelenkt. Da viele Flüchtlinge aus Krain nur slowenisch sprachen, predigte bald auch ein slowenischer Pfarrer. 1603 erhielt die junge Stadt ein Wappen und den ersten Bürgermeister, zwei Jahre später ihre Gemarkung. Hierzu wurden Teile des Dornstetter Waldgedings und der Nachbargemeinde Baiersbronn abgetrennt. Freudenstadt wurde Sitz eines kleinen Amtes. Da sich die Einwohnerzahl gut entwickelte, ordnete Herzog Friedrich I. die Vergrößerung der Stadtanlage an. Schickhardt erstellte daraufhin den "Fünfzeilenplan". Zwei zusätzliche Häuserreihen sollten zusammen mit den drei bestehenden etwa 2.500 Einwohnern Wohnplatz bieten. 1608 starb Herzog Friedrich I. von Württemberg. Da die bisherigen Parzellen der nunmehr vierzeiligen Stadt zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig bebaut waren, baten die Bürger seinen Sohn und Nachfolger, Johann Friedrich von Württemberg, zumindest die Erweiterung um eine fünfte Häuserzeile aufzugeben; dem Gesuch wurde stattgegeben. Nach dem Tod von Herzog Friedrich wurden auch die Pläne für das Schloss in „Friedrichs Stadt“ nicht mehr berücksichtigt. Die freie Fläche im Zentrum blieb somit ein riesiger Platz, der heute als ‚größter bebauter Marktplatz‘ Deutschlands gilt (siehe dazu weiter unten: Städtebeziehung u. a. zu Heide mit dem ‚größten unbebauten Marktplatz‘ Deutschlands). Außerdem besaß die Stadt lange Zeit keine Stadtmauer. Zwar gab es hierfür immer wieder Pläne (beispielsweise Schickhardts Plan von 1612, siehe oben); teils wurden auch Arbeiten begonnen, tatsächlich fertiggestellt wurden sie aber nicht. Der Freudenstädter Bürgermeister bat Herzog Johann Friedrich im Jahr 1619 vergeblich um eine Stadtmauer. Die Stadt war zu arm, um eine Befestigung selbst zu finanzieren, deshalb wurde in den folgenden Jahren ein Bretterzaun rund um die Stadt gebaut. Auf dem Merianstich von 1643 ist dieser Zaun gut erkennbar. 1616 erfolgte mit dem Weiler St. Christophstal die erste Eingemeindung in die junge Stadt. Elendsjahre und Wiederaufblühen. Nur wenige Jahre nach der Gründung, als Freudenstadt schon fast 3.000 Einwohner gezählt haben soll, brach 1610/11 die Pest aus; sie soll 800 Menschen hinweggerafft haben, weitere 900 seien daraufhin abgewandert. Viehkrankheiten und Missernten verschlimmerten die Situation. 1632 brach im Gasthaus "Zum Güldenen Barben" am unteren Marktplatz ein Brand aus, der sich wegen der Anordnung der Fachwerkhäuser in Häuserzeilen schnell ausbreitete. Heinrich Schickhardt vermerkt zu dem Ausmaß des Schadens: Nach der verlorenen Schlacht bei Nördlingen im Dreißigjährigen Krieg wurden durch kaiserlich-habsburgische Truppen erneut Gebäude in Brand gesetzt und die wenigen verbliebenen Einwohner beinahe gänzlich ermordet und geplündert. Die Einwohnerzahl in jenen Tagen dürfte im unteren zweistelligen Bereich gelegen haben. Die Pest brach 1635 zudem erneut aus und vernichtete wiederum nahezu jegliches Leben. Freudenstadt blieb über Jahre weitgehend verödet. Selbst 1652, fast zwanzig Jahre nach den tragischen Ereignissen, ist in Aufzeichnungen von nur etwa 300 Bürgern die Rede. Festungsanlage. Der Verlauf des Dreißigjährigen Kriegs veranlasste Herzog Eberhard III., sich erneut mit der Stadtentwicklung und den Festungsplänen zu befassen. Eberhard III. galt als den Freudenstädtern sehr zugeneigt, er half der Bevölkerung in mancherlei Weise. Damit die Einwohner in der Stadt blieben, wurde ihnen sechs Jahre Steuerfreiheit zugesagt. Neue Bürger brauchten zwölf Jahre lang keine Steuern zahlen. Es gab verbilligte Bauplätze, das Bauholz wurde verschenkt. Erstmals nach der langen Kriegszeit wurden die Ämter wieder besetzt. Auch die Lateinschule, ein Eckbau hinter der Stadtkirche, wurde wieder eröffnet. In Freudenstadt fing das Leben wieder an zu gedeihen. Im Jahr 1667 ließ Herzog Eberhard III. endlich nach den Ideen des Ingenieurs d’Avila mit dem Bau einer gewaltigen Festungsanlage beginnen. Die Bauleitung hatte Matthias Weiß (1636–1707), unterstützt von dem später als Kartograf bekannt gewordenen Georg Ludwig Stäbenhaber. Bis 1674 wurde gebaut. Die Festung bedeckte inzwischen eine gut doppelt so große Fläche, wie die bewohnte Stadt. Sie bestand aus acht Bastionen mit den Kurtinen (Verbindungswällen) und vier Stadttoren. Bedingt durch den steilen Geländeabfall zum Christophstal waren die drei westlichen Bastionen wesentlich kleiner als die anderen fünf Bastionen. Stadttore. Das Königliche Statistisch-Topographische Bureau beschreibt die damals erbauten vier „massiven, sehr festen, gewölbeartigen“ Stadttore 1858 genauer. Das "Stuttgarter Thor" im Osten war mit „aus Stein gehauenen Kanonen- und Mörserläufen verziert“ und trug die herzogliche Inschrift (für "Eberhard Herzog zu Württemberg") sowie das württembergische und dettingische Wappen. Es beherbergte außerdem oberamtsgerichtliche Gefängnisse. Das "Straßburger Tor" im Süden war „weniger reich verziert“ und erhielt dieselben Wappen und die Inschrift . Über dem Torbogen befand sich eine vermietete Wohnung und jeweils ein Gefängnis des Oberamts und des Oberamtsgerichts. Das "Murgthal-Thor" im Westen umfasste die Wohnung des Oberamtsdieners und zwei Gefängnisse des Oberamts Freudenstadt. Die Inschriften lauteten auf der Außenseite und auf der Innenseite. Dies entspricht den Initialen von Friedrich Carl, dem Vormund von Herzog Eberhard Ludwig. Das "Hirschkopf-Thor" im Norden, mit der Jahreszahl 1622 beschriftet, war das älteste Stadttor. Dort waren die Wohnung des Oberamtsgerichtsdieners sowie drei Gefängnisse des Oberamtsgerichts untergebracht. Festungsplan. Bis auf die links dargestellte Zitadelle auf dem Kienberg – sie wurde nicht gebaut – entspricht der Plan dem Stand der Festung bei Beendigung der Bauarbeiten 1674. Verfall der Festung. Im Jahr 1674 – die Festung war noch nicht ganz fertiggestellt – starb Herzog Eberhard III.; der Bau wurde sofort eingestellt. Sein Nachfolger, Herzog Wilhelm Ludwig, ließ durch Oberstleutnant Andreas Kieser ein Gutachten über die Festung erstellen. Dieses Gutachten enthält ausschließlich Argumente, die gegen die Festung sprachen; damit fiel es Herzog Wilhelm Ludwig leicht, das ungeliebte, teure Projekt zu beenden. Die Bevölkerung nutzte das Desinteresse der Obrigkeit an der Festungsanlage und versorgte sich über Jahrzehnte mit Baumaterial aus den Festungsmauern. Die behauenen Steine fanden sich in privaten Gebäuden wieder, aus Gräben und Wällen wurden Gärten und Weiden für das Kleinvieh. Die Stadt trug dem Rechnung und verpachtete einzelne Teile der Festung an die Bürger. Die landwirtschaftliche Nutzung und später die Überbauung veränderte das Bild der Festung. 1820 wurde geplant, die Reste der Festung Freudenstadt zur Bundesfestung auszubauen. Die Bundesversammlung entschied hingegen, in Ulm und Rastatt Bundesfestungen zu errichten. Ab 1870 wurden die Stadttore zum Abriss verkauft und die Festung endgültig dem Verfall preisgegeben. Im Jahr 1880 waren nur noch die Festungsanlagen im Bereich des heutigen Stadtbahnhofs und östlich davon gut erhalten. Heute sind nur noch sehr wenige Reste der Festung vorhanden, so z. B.: Auf dem Kniebis entstanden 1674 bis 1675 Befestigungswälle für den Reichskrieg gegen Ludwig XIV., den "Sonnenkönig". Herzog Karl Alexander ließ diese zum "Fort Alexander" ausbauen, heute gemeinhin bekannt als "Alexanderschanze". Sie war von 1799 bis 1801 in den Koalitionskriegen Schauplatz von Feindseligkeiten zwischen Österreichern und Franzosen. Diesen fiel auch das Klostergebäude Kniebis durch einen Brand zum Opfer. Von der Garnisonsstadt zum Oberamt und Kurort. 1721 entstand mit dem von Christoph Wilhelm Dietrich gegründeten und namensgebenden Gut Lauterbad eines der ersten Gebäude in dem heute zum Stadtteil Dietersweiler gehörenden Weiler "Lauterbad". 1737 wurde Freudenstadt Standort einer kleinen Garnison. 1759 wurde das Amt Freudenstadt zum Oberamt erhoben. 1784 wurde der Bergbau mit der Schließung des Stollens "Dorothea" im Christophstal gänzlich eingestellt. Das Oberamt Freudenstadt war eines der kleinsten Ämter Altwürttembergs. 1807, ein Jahr nach der Gründung des Königreichs Württemberg und den damit einhergehenden Umwälzungen in der Verwaltungsgliederung, gewann der Freudenstädter Amtsbezirk jedoch deutlich an Umfang. 1833 wurde das Stadtgebiet um etwa 2.300 Hektar Wald des ehemaligen Waldgedings vergrößert. 1837 eröffnete eine „Siechstation“ mit vier Betten. Freudenstadt wurde zusehends zu einer Stadt des Handwerks, was durch den Anschluss an das Streckennetz der Württembergischen Eisenbahn mit der Gäubahn 1879 begünstigt wurde. 1864 wurden die Freudenstädter Stadttore abgerissen. 1876 gab der damalige Stadtschultheiß Hartranft die Absicht bekannt, Freudenstadt mit seiner reinen Luft zum Kurort zu machen. Das Vorhaben gelang, und gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte ein stetig wachsender Kurbetrieb ein. Zu den bekanntesten Hotels jener Zeit gehörten das Hotel Rappen, das Hotel Waldlust der Hotelier-Familie Luz und das Kurhaus Palmenwald des Stuttgarter Unternehmers Paul Lechler. Insgesamt gab es um 1930 rund 20 Hotels in der kleinen Stadt, davon fünf der höchsten Kategorie. Freudenstadt war als Kurort weltweit bekannt und zog Gäste wie den englischen König Georg V., die schwedische Königin, John D. Rockefeller, Mark Twain oder den Sultan von Selangor an. 1888 wurde das Bezirkskrankenhaus in der Herrenfelderstraße eröffnet. Zwei Stadtärzte und zwei Diakonissen nahmen ihren Dienst auf. Die Stadt wurde zum beliebten Urlaubsort für Großstadtbewohner. 1899 wurde anlässlich des 300-jährigen Stadtjubiläums ein Aussichtsturm auf dem Freudenstädter Hausberg, dem Kienberg, eröffnet und auf den Namen "Herzog-Friedrich-Thurm" (nach Herzog Friedrich I.) getauft. „Drittes Reich“ und Zweiter Weltkrieg. 1933 stand die Bevölkerung von Freudenstadt relativ geschlossen hinter der NSDAP. Die Wahlergebnisse waren wie folgt: „Namhafte Söhne der Stadt“ aus dieser Zeit waren: Lieb, Pfahler, Schmierer und Kunz wurden entweder nach kurzer Gefangenschaft oder Haftzeit entnazifiziert oder vor Gericht freigesprochen und arbeiteten weiterhin unbehelligt bis zu ihrem Tod. 1938 wurde aus dem Oberamt der Landkreis Freudenstadt. Im Zweiten Weltkrieg entstand auf dem bis zu hoch gelegenen Kniebis, unweit der Alexanderschanze, eine Befehlszentrale der Wehrmacht zur Verteidigung der Westfront: das "Führerhauptquartier Tannenberg" (nahe der Gemarkungsgrenze auf dem Gebiet der Gemeinde Baiersbronn). In der Umgebung, vor allem auf dem Schliffkopf und der Hornisgrinde, wurden als Teil der LVZ West (Luftverteidigungszone West) schwere Flak-Stellungen mit den dazugehörigen Versorgungs- und Unterkunftsgebäuden gebaut. Im Freudenstädter Lazarett wurden viele Verwundete behandelt. Hitlers einwöchiger Besuch in Tannenberg und Freudenstadt 1940 (nach dem Frankreichfeldzug) anlässlich der Einweihung des Hauptquartiers wurde in Wochenschauberichten propagandistisch dargestellt. Damit wurde Freudenstadt samt Umland in Frankreich zu einem Symbol des Naziregimes und der französischen Niederlage, was 1945 noch eine gewichtige Rolle spielen sollte. Zur Situation der Juden in Freudenstadt im „Dritten Reich“ liegt wenig vor. Namentlich bekannt sind: Stolpersteine sind nicht verlegt. Kriegsende. Am 16. April 1945, nur wenige Wochen vor Kriegsende, wurde die Stadt unerwartet von Truppen der französischen 1. Armee unter General de Lattre angegriffen, wobei es durch Bombenabwurf und Artilleriebeschuss zu großflächigen Zerstörungen kam. Freudenstadt war Knotenpunkt des französischen Vordringens in Richtung Stuttgart wie zum Hochrhein, während die Amerikaner im Rhein-Main-Gebiet nach Osten vorgingen. Die Wehrmacht hatte vier Stunden vor dem Einmarsch der Franzosen in Freudenstadt eines der drei Fachwerkviadukte der Bahnstrecke Eutingen im Gäu–Freudenstadt gesprengt, da die Bahnlinie nicht dem Feind in die Hände fallen sollte. Der französische Heeresbericht nennt eine Abteilung der SS (nach deutschen Quellen ein Dutzend sogenannter "Werwölfe"), die vor der Stadt eine Sperre errichtet hatten. Freudenstadt geriet, mit Unterbrechungen, etwa 16 Stunden lang unter Artilleriefeuer. Kein Einwohner wagte es, den französischen Truppen zur Übergabe der Stadt entgegenzugehen; umgekehrt rechneten diese mit erheblichem militärischen Widerstand. Da die Hauptwasserleitung durch US-amerikanische Luftangriffe und die wichtigsten Feuerwehrwagen durch Artilleriebeschuss zerstört worden waren, konnten sich Feuer nahezu ungehindert ausbreiten. Teilweise wurde Gülle zum Löschen verwendet. Eine Übergabe fand erst statt, als die französischen Truppen bis zum Rathaus vorgerückt waren. Es gab einige Dutzend zivile Opfer; etwa 600 Gebäude, 95 Prozent der gesamten Innenstadt, wurden in der Nacht vom 16. auf den 17. April direkt oder indirekt zerstört und 1400 Familien obdachlos. Beim Einmarsch der französischen Truppen und in den folgenden drei Tagen kam es zu vielzähligen, heftigen Übergriffen durch marokkanische Einheiten. Nach Angaben der Ärztin Renate Lutz seien allein bei ihr über 600 vergewaltigte Frauen in Behandlung gewesen. Auf Vorhaltungen habe die Zivilbevölkerung laut Berichten von Zeitzeugen auch die Antwort erhalten "es sei Krieg, Freudenstadt müsse drei Tage brennen". Viele der verschont gebliebenen Bauten wurden dann von der französischen Besatzung beansprucht. Zahlreiche Familien hausten in notdürftig überdachten Kellerräumen. Insgesamt reduzierte sich der durchschnittliche Wohnraum je Einwohner auf unter acht Quadratmeter. Die Not war groß und das Aufräumen der Trümmer erfolgte zunächst nur schleppend. Das „Wunder von Freudenstadt“. Es setzte eine lange Diskussion über den Wiederaufbau der Stadt ein (Luftbild siehe Artikelanfang). Dazu wurden Modelle einheimischer Architekten sowie renommierter Stadtplaner jener Zeit begutachtet. Es galt, eine ausgewogene Mischung zwischen Tradition und Moderne zu finden. Der Wohnraum sollte beim Wiederaufbau den veränderten Lebensgewohnheiten angepasst werden. Bereits 1945 wurde eine Vielzahl unterschiedlicher Pläne von Paul Heim, Hermann Gabler, Adolf Abel, Paul Schmitthenner und anderen vorgelegt. In manchen Konzepten war die Verkleinerung des als übergroß empfundenen Marktplatzes vorgesehen. Fraglich war auch der trauf- oder giebelständige Wiederaufbau am Marktplatz. Die „Abgebrannten“ forderten einen Wiederaufbau ihrer Häuser auf den alten Parzellengrenzen. Andererseits waren der zunehmende Verkehr und eine moderne Stadtplanung zu berücksichtigen. Bei den Konflikten setzte sich unter anderem Carlo Schmid vermittelnd ein. Am Ende konnte sich die traditionelle Minderheit um Ludwig Schweizer und dessen Lehrer Schmitthenner gegen die sonst vorherrschende modernistische Fachmeinung durchsetzen. Beide waren Vertreter der Formensprache der Stuttgarter Schule mit ihrer Heimatschutzarchitektur. Schweizer wurde zum Stadtbaumeister ernannt. Zusammen mit der Stadtverwaltung unter Bürgermeister Hermann Saam entstand ein detailliertes und einheitlich durchgeplantes Konzept zum Wiederaufbau. Freudenstadt entstand so innerhalb von nur fünf Jahren abermals als Planstadt. Begünstigt wurde der schnelle Wiederaufbau dadurch, dass Freudenstadt neben Friedrichshafen in Württemberg-Hohenzollern die einzige Stadt mit derart starken Zerstörungen war und deshalb großzügige Unterstützung erhielt. Art und Ausmaß des ganzheitlichen Freudenstädter Wiederaufbaus sowie das damit verbundene enorme bürgerliche Engagement brachte der Stadt viel Aufmerksamkeit und Anerkennung. Insbesondere Stimmen aus der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) lobten das Zurückgreifen auf „nationale Traditionen“ als vorbildlich, wohingegen die lokale Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 1949 als einzige Partei im Stadtrat gegen den traditionellen Wiederaufbau mit Giebelhäusern gestimmt hatte. In Zusammenhang mit dem schließlich gelungenen Wiederaufbau wird auch vom „Wunder von Freudenstadt“ gesprochen. Er gilt heute noch als Gesamtkunstwerk, das (wie in nur wenigen anderen Städten) den Zeitgeist der 1950er-Jahre ausdrückt. Zur Wahrung des einheitlichen Erscheinungsbildes gilt bis zum heutigen Tage eine sehr strenge Gestaltungssatzung für die Innenstadt. Neuere Geschichte. Württemberg-Hohenzollern ging 1952 im Bundesland Baden-Württemberg auf. Der . Internationale Bürgermeisterkongress der Internationalen Bürgermeisterunion 1958 in Freudenstadt leitete eine Wende in den deutsch-französischen Beziehungen auf kommunaler Ebene ein und führte zu einer Vielzahl von Städtepartnerschaften. Freudenstadt ging 1961 eine Partnerschaft mit der Stadt Courbevoie im Großraum Paris ein. Bei der Kreisreform zum 1. Januar 1973 erhielt der Landkreis Freudenstadt seine heutige Ausdehnung, Freudenstadt blieb Amtssitz des vergrößerten Kreises. Dieser wurde gleichzeitig Teil der neu gegründeten Region Nordschwarzwald, die damals dem neu umschriebenen Regierungsbezirk Karlsruhe zugeordnet wurde. Damit wurde das ehemals württembergische Freudenstadt nunmehr von der ehemaligen badischen Hauptstadt Karlsruhe aus verwaltet. 1965 beschloss der Kreistag den Neubau des Freudenstädter Krankenhauses auf dem Gebiet "Zehnmorgen" in der Nordstadt. Der Bau wurde 1976 fertiggestellt. Seit 1977 ist das renovierte Gebäude des alten Krankenhauses Sitz des Landratsamts. In den 1980er-Jahren widersetzten sich viele Freudenstädter den Plänen von Bund und Land, den ausufernden Verkehr der Ost-West-Achse Straßburg–Freudenstadt–Tübingen mithilfe eines Tunnels aus der Innenstadt zu verbannen und damit der Stadtentwicklung neue Wege zu ebnen. Insbesondere Einzelhändler fürchteten Umsatzeinbußen durch den verminderten Durchgangsverkehr. Der Bürgerprotest war erfolgreich, gilt jedoch heute als die größte Fehlentscheidung der Nachkriegszeit. 1983 wurde das städtische Hallenbad "Panoramabad" eröffnet. Ebenfalls in den 1980er-Jahren wurde das bestehende Kurhaus um ein Kongresszentrum erweitert (siehe Kurhaus und Kongresszentrum Freudenstadt, es wurde 1989 eingeweiht). 1986 überschritt die Einwohnerzahl die Grenze von 20.000. Auf Antrag der Stadt beschied die Landesregierung von Baden-Württemberg Freudenstadt mit Wirkung vom 1. Januar 1988 die Bezeichnung "Große Kreisstadt". 1989 entstand unter dem oberen Marktplatz eine großräumige Tiefgarage, so dass der Marktplatz weitgehend autofrei und zur Fußgängerzone erklärt wurde. Anlässlich der 400-Jahr-Feier der Stadt im Jahr 1999 fand ein Festumzug statt. Der Umbau des unteren Marktplatzes zum Stadtpark wurde mit fünfzig beleuchteten Fontänen vollendet und ein neu entdecktes früheres Bergwerk in unmittelbarer Nähe des heutigen Facharztzentrums als Besucherbergwerk für den Publikumsverkehr freigegeben. 2003 erhielt Freudenstadt mit den Linien S31 und S41 Anschluss an das Karlsruher Stadtbahnnetz. Die gelben Fahrzeuge gaben dem Tagestourismus einen kräftigen Impuls und prägen seitdem das Stadtbild. Im Oktober 2008 wurde mit dem vierspurigen Ausbau der Stuttgarter Straße (die Bundesstraße 28 innerorts) als Hauptschlagader der Stadt begonnen. Stadtentwicklung. Eingemeindungen. Bereits kurz nach der Stadtgründung wurde Christophstal, das ursprünglich zu Dornstetten gehörte, eingemeindet. Erst 1926 folgte mit Zwieselberg (zuvor Gemeinde Reinerzau) die nächste Eingemeindung. Die einschneidendste Änderung brachte die Gebietsreform des Landes Baden-Württemberg in den 1970er-Jahren, der zufolge am 1. Juli 1971 Igelsberg und am 1. Januar 1972 Grüntal (mit Frutenhof) eingegliedert wurden. Am 1. Januar 1975 folgten Dietersweiler (mit Lauterbad), Untermusbach (mit Obermusbach) und Wittlensweiler sowie die zuvor zu Baiersbronn und Bad Rippoldsau gehörenden Teile des Weilers Kniebis, der bereits überwiegend zu Freudenstadt gehörte. Einwohnerentwicklung. Nach der Gründung im Jahr 1599 wuchs die Einwohnerzahl der Stadt bis Anfang 1610 auf 2.000 bis 3.000 an und gehörte damit zum Kreis der schwäbischen Städte. Nach der Pest, einem Stadtbrand, Hungersnöten und dem Dreißigjährigen Krieg lebten 1652 kaum noch Menschen im Ort. Es dauerte über 200 Jahre, bis sich die Stadt hinsichtlich ihrer Bevölkerungszahl erholt hatte. 1849 wurden bei einer Volkszählung 5.154 Einwohner ermittelt, um 1930 war die Zehntausendermarke überschritten, die seitdem nur in den Kriegsjahren 1939 bis 1945 unterschritten wurde. 1970 waren 14.375 Bürger mit Hauptwohnsitz in Freudenstadt gemeldet. Durch die baden-württembergische Gebietsreform in den frühen 1970er-Jahren wuchs die Einwohnerzahl durch Eingemeindungen auf 19.454 an. 1986 wurde die 20.000-Einwohner-Schwelle überschritten. Seit 1995 hält sich die Einwohnerzahl recht konstant bei knapp unter 24.000. Politik. Gemeinderat. Die Kommunalwahl am 26. Mai 2019 führte zu folgendem Ergebnis: Bürgermeister. Die Stadt Freudenstadt wurde nach ihrer Gründung nach württembergischem Muster verwaltet, das heißt, es gab einen Magistrat mit mehreren Bürgermeistern, die anfangs die Bezeichnung Stadtschultheiß trugen (die Bezeichnung "Bürgermeister" wurde in Württemberg 1930 eingeführt). Seit der Erhebung zur Großen Kreisstadt 1988 trägt das Stadtoberhaupt die Amtsbezeichnung Oberbürgermeister. Am 13. April 2008 wurde der Erolzheimer Julian Osswald (CDU), ehemaliger Direktor des Regionalverbands Donau-Iller, mit 82,48 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang zum neuen Oberbürgermeister gewählt. Er hatte zwei Gegenkandidaten. Seine Vereidigung erfolgte am 2. Juli 2008. Am 24. April 2016 wurde er ohne Gegenkandidaten mit 92,7 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Ehemalige Bürgermeister von Freudenstadt sind: Hoheitszeichen. Als Hoheitszeichen führt die Stadt Freudenstadt ein Dienstsiegel, ein Wappen und eine Flagge. Ferner verwendet die Stadt ein Logo. Die Stadtflagge hat die Farben Rot und Weiß und wurde 1950 vom Staatsministerium Württemberg-Hohenzollern verliehen. Städtebeziehungen. Die Partnerschaft mit der französischen Stadt Courbevoie stand am Anfang der Ausweitung der deutsch-französischen Städtepartnerschaften Anfang der 1960er-Jahre und wird seit 1961 intensiv betrieben. Es finden regelmäßig Schüleraustausche sowie kulturelle und kommunalpolitische Besuche statt. Zusätzlich unterhält Freudenstadt drei Städtefreundschaften. Einige Freudenstädter Schulen und Vereine pflegen einen regen Austausch mit dem polnischen Partner-Landkreis Tomaszów Lubelski. Mit dem Fremdsprachengymnasium in Lowetsch/Bulgarien findet ebenfalls ein regelmäßiger Schüleraustausch statt. Kultur und gesellschaftliches Leben. Soziales. Unter anderem sind folgende vernetzte soziale Einrichtungen in der Stadt präsent: Die "Kinder- und Jugendwerkstatt Eigen-Sinn" soll in sozialen Gruppenarbeiten die persönlichen, sozialen und schulischen Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen fördern und entwickeln, damit diese selbst neue und eigene Handlungs- und Konfliktlösungsstrategien und letztlich eine eigene zukunftsfähige Lebensstrategie entwickeln können. Die "Erlacher Höhe", die auch in sechs weiteren Landkreisen in Baden-Württemberg vertreten ist, setzt sich dafür ein, dass Menschen in sozialen Notlagen respektiert und geachtet werden und soziale Ausgrenzung abgebaut wird. Die "Diakonie" setzt sich für Arme, Ausgegrenzte und sozial Benachteiligte ein. Das "Mehrgenerationenhaus Familien-Zentrum-Freudenstadt e. V." stellt „sozialen Raum“ bereit, in dem Menschen, v. a. Mütter und ältere Menschen, sich (wieder) als Teil einer Gemeinschaft begreifen können. Im "Kinder- und Jugendzentrum Freudenstadt (KiJuz)" wird für Grundschulkinder und Jugendliche offene Kinder- und Jugendarbeit angeboten. Des Weiteren bietet die Katholische Junge Gemeinde (KjG) Freudenstadt Aktionen im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit an. Die "FrauenHilfe Freudenstadt" betreibt eine Beratungsstelle für Frauen, die von Gewalt betroffen sind oder Gewalt befürchten und dringend Hilfe suchen. Dialekt. Freudenstadt liegt an der Sprachgrenze zwischen den schwäbischen und alemannischen Dialekten. Innerhalb der Raumgliederung der schwäbischen Mundart befindet sich die Stadt im "Freudenstädter Raum", der sich von Alpirsbach über Freudenstadt bis in die Altensteiger Gegend erstreckt. Im Westen grenzt das "Baiersbronner Gebiet", im Norden das "Obere Enzgebiet" und im Osten der "Obere Neckarraum" an. Im Süden schließt sich das Oberrheinalemannische an. Der Gebrauch des Dialekts ist, wie im gesamten schwäbischen Raum, immer noch sehr lebendig. Die Mundart wird für gewöhnlich sowohl in der Freizeit als auch im Betrieb, in öffentlichen Ämtern wie auch in den Schulen gesprochen und akzeptiert. Allerdings geht der Trend, besonders in der Kernstadt und bei jüngeren Menschen, zu einer Art Regiolekt, einer dialektal geprägten Hochsprache. Religionen. Evangelische Kirche. Das Kloster Kniebis hatte eine seit 1535 ungenutzte Klosterkirche, die 1799 von den Franzosen niedergebrannt wurde. Infolge der württembergischen Gründung war Freudenstadt lange Zeit eine fast gänzlich protestantische Stadt mit einer dem Neubau-Stadtgrundriss angepassten sogenannten "Winkelhakenkirche" (siehe Abschnitt "Sehenswürdigkeiten"). Zunächst gehörte die junge Gemeinde zum Dekanat beziehungsweise Kirchenbezirk Herrenberg innerhalb der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. 1672 wurde Freudenstadt Sitz eines eigenen Dekanats (→ Kirchenbezirk Freudenstadt), das das gesamte Freudenstädter Umland umfasst. Zunächst gab es nur die evangelische Stadtkirchengemeinde, 1960 entstand dazu die Martinskirche. Beide Kirchen bilden mit der Gemeinde Kniebis die Gesamtkirchengemeinde Freudenstadt. Auch in den anderen Stadtteilen gibt es evangelische Kirchen beziehungsweise Kirchengemeinden. In Dietersweiler, das zunächst eine Filialgemeinde von Glatten war, wurde 1901 eine eigene Pfarrei eingerichtet. Die dortige Kirche ist gotischen Ursprungs und wurde 1745 umgebaut. Grüntal war zunächst eine Filialgemeinde von Dornstetten, wurde aber bereits 1583 eigene Pfarrei. Die Pfarrkirche mit romanischem Turm wurde 1592 von Heinrich Schickhardt errichtet und 1871 erneuert. In Igelsberg gibt es eine evangelische Kirche im ummauerten Friedhof. Die Gemeinde Untermusbach ist eine Filialgemeinde von Grüntal. Wittlensweiler ist seit 1899 Pfarrei. Die alte Kirche wurde 1968 erneuert. Im 19. Jahrhundert entstand in Freudenstadt eine christliche Gemeinschaft, die sich später als Altpietistische Gemeinschaft bezeichnete. Ihre Mitglieder nennen sich "Apis" und gehören zur Evangelischen Kirche von Württemberg. Katholische Kirche. Im 19. Jahrhundert zogen vermehrt Katholiken nach Freudenstadt. Bereits 1859 gründeten sie eine eigene Pfarrei. Ihre Kirche Christi Verklärung (Taborkirche genannt) ist jedoch ein Neubau von 1931. Die Pfarrgemeinde Christi Verklärung Freudenstadt ist zusätzlich für die Katholiken des Umlands zuständig und bildet zusammen mit der katholischen Pfarrgemeinde Alpirsbach eine Seelsorgeeinheit innerhalb des Dekanats Freudenstadt der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Freikirchen. Freikirchen sind außerdem zwei Gemeinden und Teile des Sozialwerks Süd (unter anderem die Klinik Hohenfreudenstadt) der evangelisch-methodistischen Kirche, die Volksmission entschiedener Christen, die Heilsarmee, die Siebenten-Tags-Adventisten, die dem Mülheimer Verband angehörende Christus-Gemeinde, die Vineyard-Gemeinde und die Crossroads International Church, die zur Gemeinde Gottes Deutschland gehört. Eine freie christliche Gemeinde hat sich den Namen "GOTOP" gegeben. Weitere Religionen. Die neuapostolische Kirche, die zum Apostelbereich Tübingen gehört, ist ebenfalls mit drei Gemeinden vertreten. Diese befinden sich in Freudenstadt sowie in den Stadtteilen Dietersweiler und Wittlensweiler. Eine jüdische Gemeinde konnte sich nie wirklich etablieren. Um 1870 lebten nur zwei jüdische Personen in der Stadt, 1910 waren es 13. Eher kamen noch Kurgäste jüdischen Glaubens in koschere Hotels, wie die 1907 eröffnete "Villa Germania" oder das 1911 eröffnete "Hotel Teuchelwald". Die wenigen ortsansässigen Juden schlossen sich der nächstgelegenen jüdischen Gemeinde in Horb an. Der Türkisch-Islamische Kulturverein e. V. unterhält die Fatih-Moschee. Ferner gibt es ein Gebäude für religiöse Zeremonien der Aleviten. Sehenswürdigkeiten. Marktplatz. Bekannt ist Freudenstadt vor allem durch den größten bebauten Marktplatz Deutschlands, auf dem eigentlich ein Schloss stehen sollte (siehe Abschnitt zur Geschichte). Er gilt als das Wahrzeichen der Stadt und ist circa 4,5 Hektar groß und mit den Maßen 219 × 216 Meter fast quadratisch. Charakteristisch sind die umlaufenden Laubengänge, "Arkaden" genannt. Drei Zierbrunnen auf dem Marktplatz überstanden den Zweiten Weltkrieg unversehrt. Der Markt wurde nach Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg 1950 im Heimatschutzstil wiederaufgebaut. Stadtkirche. An der südwestlichenlichen Ecke des Platzes steht die evangelische Stadtkirche Freudenstadt von 1608. Sie ist eine der seltenen Winkelkirchen, ihr Grundriss ist L-förmig. 1945 schwer beschädigt wurde sie äußerlich wieder aufgebaut und im Innern vereinfacht wieder hergestellt. Sie besitzt eine Reihe wertvoller Ausstattungsstücke. Rathaus. An der gegenüberliegenden nördlichen Ecke des Marktplatzes steht das Rathaus, das Teile der Stadtverwaltung beherbergt sowie zwei Aussichtsplattformen bietet. Im Zentrum des Platzes befindet sich das "Stadthaus", in dem das Heimatmuseum mit den Abteilungen Volkskunde, Stadtgeschichte, Handwerk und Fremdenverkehr sowie die Stadtbücherei untergebracht sind. Eine Gedenksäule daneben erinnert an den Wiederaufbau der Stadt nach ihrer Zerstörung im Weltkrieg. Unter Anspielung auf die Finanzierung des Wiederaufbaus wird das Denkmal im Volksmund "Hypothekenvenus" genannt. Friedrichsturm. Der "Friedrichsturm" ist ein im Jahr 1899 anlässlich des 300-jährigen Stadtjubiläums auf dem "Kienberg" erbauter 25 m hoher Aussichtsturm. Er wurde vom Schwarzwaldverein und dem Verschönerungsverein geplant und bei seiner Einweihung zu Ehren des Stadtgründers "Herzog-Friedrich-Turm" genannt. Weiteres. Eine kulturhistorische Sehenswürdigkeit ist das Besucherbergwerk Freudenstadt. Die "Schwarzwaldhochstraße", Teil der Bundesstraße 500, ist die älteste Ferienstraße Deutschlands und verbindet Freudenstadt mit Wander- und Skigebieten des Nordschwarzwalds und der Stadt Baden-Baden. Freudenstadt liegt an der "Deutschen Alleenstraße", die von Rügen nach Konstanz führt. Die Schwarzwald-Fernwanderstrecken Mittelweg und Ostweg verlaufen durch die Stadt. Freizeit. Seit 1929 besteht ein Golfclub. Die Anlage gilt als eine der ältesten in Deutschland. Über den Landkreis hinaus bekannt ist das "Panoramabad" in der Nordstadt mit einem Wellness-Bereich und einer „Saunalandschaft“. Erreichbar ist das Bad auch mit der Stadtbahn (Haltestelle "Schulzentrum/Panoramabad"). Für den Mannschaftssport stehen in der Kernstadt drei Turnhallen, ein Stadion und mehrere Ballsportplätze zur Verfügung. Am Schierenberg gibt es mehrere Tennisplätze. Ebenfalls in der Nordstadt gelegen ist ein Reitverein. Eine Fußballschule hat ihren Sitz bei den Stadionanlagen. Größter Sportverein ist der TSV Freudenstadt. Für Wanderungen und Nordic Walking stehen zahlreiche gut ausgebaute und beschilderte Wanderwege zur Verfügung. Bei ausreichender Schneelage bieten sich Loipen oder der Skilift am "Stokinger"-Hang im Stadtteil Lauterbad an. Noch besser sind die Wintersportmöglichkeiten im höher gelegenen Ortsteil Kniebis. Die Stadt verfügt über zwei Kinos. Das "Subiaco" im Kurhaus ist nicht-kommerziell und auf alternative Filme ausgerichtet. Das "Central" beim Amtsgericht deckt aktuelle Kinofilme ab. Zahlreiche Kneipen in der Loßburger und der Straßburger Straße, am Marktplatz und am Stadtbahnhof sorgen abends für Kurzweil. Beliebt ist die "Freudenstädter Kneipennacht". Eine Diskothek befindet sich außerhalb des Zentrums in der Nähe des Hauptbahnhofs. Regelmäßige Veranstaltungen. Die Umzüge der Narrenzunft Freudenstadt, vor allem der "Große Fasnetsumzug", der am Tag nach dem "Fackelumzug" stattfindet, lockt tausende Hästräger und Zuschauer in die Stadt. Im März und Oktober veranstaltet der "Zentralverband der Ärzte für Naturheilverfahren und Regulationsmedizin" (ZAEN) den "ZAEN-Kongress" im Kongresszentrum. Die Veranstaltung ist mit ihren Seminaren ein Forum zur Weiterbildung und zum Erfahrungsaustausch. In der Stadtkirche findet traditionell Ende April bis Anfang Mai das Eröffnungskonzert des "Schwarzwald-Musikfestivals" statt. Die Veranstaltungsserie dauert bis in den August und ist darüber hinaus in Stadtteilen zu Gast. Anfang Juli verwandelt an einem Wochenende das "Stadtfest" den gesamten Marktplatz in den Schauplatz eines Volksfests, das am Samstagabend in einem großen Feuerwerk gipfelt. Seit 2002 unterhalten Mitte Juli örtliche Vereine beim "Fontänenzauber" am Unteren Marktplatz das Publikum musikalisch und artistisch vor der Kulisse der Freudenstädter Fontänen. Das üblicherweise mehrtägige "Afrikafest" findet gewöhnlich in der letzten Juliwoche auf dem Oberen Marktplatz statt. Die Darbietungen reichen von Tanz- und Musikvorführungen über Artistik, Kino, Ballspiele, Workshops, Ausstellungen und Basare bis zu Gottesdiensten. Größter Beliebtheit erfreut sich im Juli und August das "Freudenstädter Sommertheater", eine jährlich wechselnde Open-Air-Aufführung durch ortsansässige Amateurschauspieler. Das Publikum folgt den Akteuren dabei zu verschiedenen natürlichen Bühnen im Stadtgebiet. Für Tennisfans waren die "Black Forest Open" eine feste Größe im ATP-Kalender, die jährlich von 1999 bis 2009 parallel zu den US Open ausgetragen wurden. Spieler wie Magnus Norman, Gustavo Kuerten und Marat Safin kämpften bereits am "Schierenberg" um Weltranglistenpunkte. Von Frühjahr bis Herbst finden auf dem Marktplatz wechselnde Veranstaltungen statt. Am ersten Oktoberwochenende findet auf dem Oberen Marktplatz der "Kunsthandwerkermarkt" des Handels- und Gewerbevereins Freudenstadt (HGV) parallel zu einem verkaufsoffenen Sonntag statt. Den Jahresausklang besiegelt der Ende November beginnende zehntägige "Freudenstädter Weihnachtsmarkt" des HGV. Zahlreiche Handwerkslädchen und Einzelhändler bieten in einem Dorf aus rund 100 Hütten ihre Waren an. Der Auftritt der "Turmbläser" auf dem Rathausturm zählt zu den Höhepunkten des Marktes. Wirtschaft und Infrastruktur. Wirtschaft. Auf den Dienstleistungssektor entfielen im Jahr 2006 54,2 Prozent der Wertschöpfung, auf das produzierende Gewerbe 45,0 Prozent. Die Landwirtschaft spielte mit 0,8 Prozent eine kleine Rolle. Die Stadt bindet in der Region Nordschwarzwald überdurchschnittlich viel Kaufkraft. 2005 betrugen die Gesamteinnahmen je Einwohner 25.785 Euro, die ungebundenen Einnahmen beliefen sich auf 16.730 Euro, 4 Prozent über dem Landesschnitt. Die Stadt wies im Jahr 2007 einen Einpendlerüberschuss von 1.653 Arbeitnehmern auf. In Freudenstadt gab es im Jahr 1993 205 Ladengeschäfte. 2007 standen im Stadtgebiet 2.832 Gästebetten zur Verfügung. Die Anzahl der Übernachtungen betrug 339.292. Das verarbeitende Gewerbe ist zum größten Teil in den Industriegebieten angesiedelt. Erwähnenswert sind insbesondere die "Gebr. Schmid GmbH + Co." (Photovoltaik, Leiterplatten, Flachbildschirme), die "Robert Bürkle GmbH" (Maschinen zur Oberflächenveredlung), die Firma "Georg Oest Mineralölwerk GmbH & Co. KG" (Mineralölwerk, Tankstellen, Maschinenbau) sowie die "Hermann Wein GmbH & Co. KG" (Schwarzwälder Schinken). Auch die "Kreissparkasse Freudenstadt" zählt zu den größten Arbeitgebern. Der ehemals größte Arbeitgeber der Stadt, die Schlott Gruppe AG (Druckerzeugnisse), hatte 2011 Insolvenz angemeldet. Der Freudenstädter Betrieb wurde stillgelegt und fast alle Mitarbeiter entlassen. Straßenverkehr. Es führen vier Bundesstraßen durch Freudenstadt. Am Marktplatz treffen sich die Bundesstraßen B 28 (Kehl–Ulm) und B 462 (Rastatt–Rottweil); zusätzlich endet hier die gegen Ende deckungsgleich mit der B 28 verlaufende B 500 (Baden-Baden–Freudenstadt). Diese Straßen führen danach in West-Ost-Richtung auf einer gemeinsamen Trasse durch das Stadtgebiet. Seit 1985 führt die in Nord-Süd-Richtung verlaufende B 294 (Bretten–Gundelfingen) als Ortsumgehung östlich an Freudenstadt vorbei. Nach dem endgültigen Scheitern der Pläne für die „Schwarzwaldautobahn“ A 84 Anfang der 1980er-Jahre wurden andere Lösungen projektiert, um dem hohen Verkehrsaufkommen entgegenzuwirken, die gegenwärtig in die Umsetzungsphase gelangen. Dazu gehört der vierspurige Ausbau der B 28 in der Kernstadt mit dem Baubeginn Ende 2008 sowie eine Unterfahrung der Innenstadt in einem V-förmigen Tunnel (vordringlicher Bedarf im Bundesverkehrswegeplan). Bus und Bahn. Im Jahr 1879 erhielt die Stadt durch den Bau der von Stuttgart über Herrenberg und Eutingen im Gäu nach Freudenstadt führenden Gäubahn Anschluss an den Eisenbahnverkehr. Da deren Weiterführung ins Tal der Kinzig damals bereits geplant war (und 1886 ausgeführt wurde), wurde der Hauptbahnhof im Südosten der Stadt, relativ weit vom Zentrum entfernt, errichtet. 1901 wurde der württembergische Teil der Murgtalbahn nach Klosterreichenbach gebaut. Dabei entstand der 60 Meter höher gelegene Stadtbahnhof nördlich des Zentrums, ein Einheitsbahnhof von Typ IIIb. Eine durchgehende Verbindung nach Rastatt (Baden) wurde 1928 eingerichtet. Somit ist Freudenstadt Ausgangspunkt dreier Bahnstrecken. Die Murgtalbahn wird von der Stadtbahn Karlsruhe befahren. Die Linien S8 und S81 der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG) verbinden Freudenstadt über Rastatt mit Karlsruhe. Dabei fährt die S8 stündlich bis in die Karlsruher Innenstadt und die beschleunigte Linie S81 zweistündlich zum Karlsruher Hauptbahnhof. Die Stationen innerhalb Freudenstadts sind der "Hauptbahnhof", der "Stadtbahnhof" sowie die Haltepunkte "Schulzentrum-Panoramabad" und "Industriegebiet". Alle werden tagsüber im Halbstundentakt von Stadtbahnen bedient. Die S8 verkehrt hierbei bis in die frühen Morgenstunden. Die Landeshauptstadt Stuttgart wird über die Bahnstrecke Eutingen im Gäu–Schiltach und weiter über die Bahnstrecke Stuttgart–Horb erreicht. Beide werden auch als "Gäubahn" bezeichnet. Es besteht ein Stundentakt mit Verdichtungen im Schülerverkehr. Die von Karlsruhe kommende S8 fährt alle zwei Stunden über die seit 2006 elektrifizierte Strecke bis Eutingen; dort ist Anschluss an den Regional-Express (RE) Stuttgart–Singen. Dazwischen gibt es mit dem RE ab Freudenstadt eine Direktverbindung zum Stuttgarter Hauptbahnhof. Wie auf der Murgtalbahn fährt die S8 hier bis frühmorgens. Richtung Kinzigtal verkehren Züge der Südwestdeutschen Landesverkehrs-AG (SWEG), die Freudenstadt stündlich über Alpirsbach, Schiltach und Hausach mit Offenburg verbinden. Fernverkehr gibt es in Freudenstadt seit der Jahrtausendwende nicht mehr. In Hausach, Horb, Karlsruhe, Offenburg und Rastatt bestehen Umsteigemöglichkeiten auf Intercity (IC) oder Intercity-Express (ICE). Der Zentrale Omnibusbahnhof (ZOB) mit über 40 Buslinien ist zusammen mit dem unmittelbar angrenzenden Stadtbahnhof mit den Stadtbahnlinien S81 und S8 einer der Hauptverkehrsknoten im Schwarzwald. Stadtbusse fahren Ziele in der Kernstadt an. Die meisten Gemeinden im Landkreis sind umsteigefrei oder über den Knoten Horb zu erreichen. Ebenso werden touristische Ziele, wie der Mummelsee und der Schliffkopf, angefahren, und es gibt jahreszeitabhängige Angebote wie Skibusse. Öffentliche Verkehrsverbindungen zu Städten in den Nachbarlandkreisen, wie Oberndorf, Wolfach, Altensteig oder Dornhan, bestehen; doch haben viele Buslinien, insbesondere in kleinere Gemeinden, keinen dichten Fahrplan. In den Nächten auf Samstage, Sonn- und Feiertage fährt das Nachtbusangebot "Nachtexpress", in Ergänzung des nächtlichen Schienenverkehrs. Im gesamten Landkreis gelten der Verbundtarif der Verkehrs-Gemeinschaft Landkreis Freudenstadt (VGF) und das Ticketangebot "RegioX" des Karlsruher Verkehrsverbundes (KVV). Medien und Telekommunikation. Als regionale Tageszeitungen berichten sowohl der "Schwarzwälder Bote" als auch die "Neckar Chronik" der Südwest Presse über das Geschehen vor Ort. Kostenfreie Wochenzeitungen sind der "WOM" der Schwarzwälder-Bote-Mediengesellschaft sowie der "Anzeiger". Ansässig ist zudem der Radiosender "Freies Radio Freudenstadt" (FRF). Das Hotel "Palmenwald" sowie verschiedene Objekte wie das Rathaus sind Drehorte der ARD-Fernsehserie "Der Schwarzwaldhof", die seit 2008 ausgestrahlt wird. Gerichte, Behörden und Einrichtungen. Freudenstadt ist Sitz des Amtsgerichts, das zu den Bezirken des Landgerichts Rottweil und des Oberlandesgerichts Stuttgart gehört. Die Stadt ist Sitz des Landratsamts des gleichnamigen Landkreises und beherbergt den Großteil seiner Verwaltungsbehörden. Ferner gibt es ein Finanzamt. Die Stadt ist Sitz des Kirchenbezirks Freudenstadt der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Der evangelische Schuldekan für die Kirchenbezirke Freudenstadt und Sulz am Neckar hat seinen Dienstsitz in Freudenstadt, das römisch-katholische Dekanat Freudenstadt jedoch in Horb am Neckar. Die Industrie- und Handelskammer Nordschwarzwald unterhält eine Geschäftsstelle im Industriegebiet Freudenstadt-Wittlensweiler. Bildung. Die Schulen in Trägerschaft der Stadt sind zum einen das "Kepler-Gymnasium" und die "Kepler-Hauptschule", die beide in einem Gebäudekomplex nördlich des Zentrums und unweit der Sportanlagen untergebracht sind. Südöstlich in Richtung des Hauptbahnhofs liegt die "Falken-Realschule", unweit davon entfernt die "Hartranft-Grundschule", eine offene Ganztagsschule mit einer Außenstelle im Stadtteil Kniebis. Die "Theodor-Gerhard-Grundschule" mit integrierter Werkrealschule als zweite Grundschule der Kernstadt befindet sich gegenüber den oben genannten "Keplerschulen". Die Stadtteile Dietersweiler und Wittlensweiler haben jeweils eine eigene Grundschule. Zu den Schulen in Trägerschaft des Landkreises zählen die "Eduard-Spranger-Schule", eine kaufmännische Schule mit wirtschaftswissenschaftlichem Gymnasium, die "Heinrich-Schickhardt-Schule" als gewerblich-technische Schule mit technischem Gymnasium sowie die "Luise-Büchner-Schule" als hauswirtschaftliche Schule mit ernährungswissenschaftlichem Gymnasium. Alle drei Schulen sind in einem Gebäudekomplex im Nordosten des Zentrums nahe dem Hauptfriedhof untergebracht und verfügen über eine eigene S-Bahn-Haltestelle. Die "Christophorus-Schule", eine Förderschule, findet sich nördlich in der Nähe des Schwarzwald Centers. Die untere Schulaufsichtsbehörde für die Grund-, Haupt-, (Werk-)Real- und Sonderschulen in Freudenstadt ist seit dem 1. Januar 2009 das Staatliche Schulamt Rastatt. Die Gymnasien unterstehen zunächst dem Regierungspräsidium Karlsruhe. In Freudenstadt sind mit der nordwestlich gelegenen evangelischen Berufsfachschule für Kinderpflege "Oberlinhaus" und der freien Waldorfschule unweit des Hauptbahnhofes zwei Privatschulen ansässig. Nachdem die Stadt ihre Jugendmusikschule im Jahr 2005 aus finanziellen Gründen nicht weiter betreiben konnte, bildete sich ein Trägerverein aus Musiklehrern des Kepler-Gymnasiums, den Kirchenmusikern der beiden großen Kirchen und anderen engagierten Bürgern, die im Jahr 2006 die "Musik- und Kunstschule Region Freudenstadt e. V." ins Leben riefen. Ihre Arbeit wurde inzwischen mit zahlreichen Preisen bei "Jugend musiziert" und anderen Wettbewerben ausgezeichnet. In der Stadt gibt es zudem ein Staatliches Seminar für Didaktik und Lehrerbildung (Grund-, Werkreal- und Hauptschulen). Das "Eduard-von-Hallberger-Institut" bietet angehenden ausländischen Studenten deutschsprachiger Hochschulen Sprach- und Studienvorbereitungskurse. Außerdem ist Freudenstadt Sitz des "Hochschulinstituts für Psychologie und Seelsorge (IPS)" der "Gustav-Siewerth-Akademie". Das "Europäische Theologische Seminar" im Stadtteil Kniebis bietet Studienmöglichkeiten in Theologie.
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Friedrichshafen
Friedrichshafen [ (lokale und regionale Aussprache) oder ] ist eine große Mittelstadt am nördlichen Ufer des Bodensees und die Kreisstadt des Bodenseekreises, zugleich dessen größte Stadt und nach Konstanz die zweitgrößte Stadt am Bodensee. Gemeinsam mit Ravensburg und Weingarten bildet Friedrichshafen eines von 14 Oberzentren (in Funktionsergänzung) in Baden-Württemberg. Seit April 1956 ist Friedrichshafen Große Kreisstadt, seit September 2011 kann es sich durch die Zeppelin Universität außerdem Universitätsstadt nennen. Geographie. Geographische Lage. Friedrichshafen liegt an einer sanft geschwungenen Bucht am Nordufer des Bodensees und am Südwestrand des Schussenbeckens. Die Stadt erstreckt sich über eine Höhenlage von am Bodenseeufer bis in Ailingen (Horach). Die Kernstadt befindet sich unweit westlich der Mündung der Rotach in den Bodensee. Von Oberteuringen kommend erreicht dieser Fluss westlich der Ortschaft Ailingen das Stadtgebiet und durchfließt einige kleinere Ortsteile, bevor er am Ostrand der Kernstadt in den See mündet. Die etwas größere Schussen streift die nordöstliche Ecke des Stadtgebietes, bevor auch sie – wenige Kilometer östlich von Friedrichshafen – im Bodensee endet. Nachbargemeinden. Folgende Städte und Gemeinden grenzen an die Stadt Friedrichshafen. Sie werden im Uhrzeigersinn beginnend im Westen genannt und gehören mit Ausnahme von Ravensburg alle zum Bodenseekreis: Immenstaad (vereinbarte Verwaltungsgemeinschaft), Markdorf, Oberteuringen, Ravensburg, Meckenbeuren, Tettnang und Eriskirch. Stadtgliederung. Die Stadt besteht aus der Kernstadt und den im Rahmen der Gebietsreform der 1970er-Jahre eingegliederten Gemeinden Ailingen, Ettenkirch, Kluftern und Raderach. Diese eingegliederten Gemeinden sind Ortschaften im Sinne der baden-württembergischen Gemeindeordnung; das heißt, sie haben jeweils einen von den Wahlberechtigten in einer Kommunalwahl neu zu wählenden Ortschaftsrat mit einem Ortsvorsteher als dessen Vorsitzenden. In jeder Ortschaft gibt es eine Ortsverwaltung, deren Leiter der Ortsvorsteher ist. Zu fast allen Stadtteilen und zur Kernstadt gehören noch viele räumlich getrennte Wohnplätze mit eigenen Namen, die oft nur wenige Einwohner haben oder Wohngebiete, deren Bezeichnung sich im Laufe der Bebauung ergeben und dann erhalten haben – und deren Grenzen oft nicht genau festgelegt sind. Teilweise handelt es sich auch um ehemals selbstständige Gemeinden oder Gemeindeteile, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingemeindet wurden oder sich mit anderen Gemeinden zusammengeschlossen haben. Im Einzelnen sind dies: Grenze zu Baden. Die Grenzlinie zwischen den ehemaligen Ländern Baden und Württemberg verlief am Grenzbach zwischen Friedrichshafen-Fischbach und Immenstaad. Zwischen der Bundesstraße 31 und der naturgeschützten Uferzone finden sich noch Reste des . Raumplanung. Friedrichshafen bildet zusammen mit Ravensburg und Weingarten das Oberzentrum (in Funktionsergänzung) der Region Bodensee-Oberschwaben und ist zugleich im östlichen Teil des Bodenseekreises der zentrale Ort eines Mittelbereichs, der neben Friedrichshafen die Gemeinden Bermatingen, Deggenhausertal, Eriskirch, Immenstaad, Kressbronn, Langenargen, Markdorf, Meckenbeuren, Neukirch, Oberteuringen und Tettnang umfasst. Schutzgebiete. Im Gebiet der Stadt Friedrichshafen sind durch das Regierungspräsidium Tübingen bzw. das Landratsamt Bodenseekreis als untere Naturschutzbehörde mit Stand 2009 vier Naturschutzgebiete (Eriskircher Ried, Hepbacher-Leimbacher Ried, Lipbachsenke, Lipbachmündung), fünf Landschaftsschutzgebiete (Haldenberg, Hepbacher-Leimbacher Ried, Lipbachsenke, Württembergisches Bodenseeufer (Teilgebiete)), elf flächenhafte und 25 Einzel-Naturdenkmäler ausgewiesen. Klima. Das Klima Friedrichshafens ist vor allem von den Einflüssen des Bodensees und der nahen Alpen geprägt (siehe Bodenseeklima). Im Vergleich zum Hinterland sind die Temperaturen eher mild. Durch die Nähe zu den Alpen entstehen die charakteristischen Föhnwinde sowie teilweise kräftige Gewitter. Außerdem bildet sich im Winter häufig Nebel, da der See Wärme speichert, die wärmere Luft mehr Feuchtigkeit aufnimmt und diese als Dunst wieder abgibt. Geschichte. Gründung 1811. Friedrichshafen entstand 1811 aus der ehemaligen Reichsstadt Buchhorn (von der sie das Wappen übernahm) durch Zusammenschluss mit dem nahen Dorf und Kloster Hofen an derselben Bodenseebucht. Die Stadt gehörte als Bestandteil des Königreichs Württemberg zum Oberamt Tettnang, aus dem 1938 der Landkreis Friedrichshafen hervorging, welcher 1945 nach Rückverlegung der Kreisverwaltung wieder zum Landkreis Tettnang wurde. Unter württembergischer Herrschaft. Friedrichshafen wurde nach dem ersten württembergischen König Friedrich I. (1754–1816) benannt. Die Stadt prosperierte unter diesem König vor allem wirtschaftlich, als privilegierter Freihafen und Warenumschlagplatz für den Handelsverkehr mit der Schweiz. Dadurch wurden Neuansiedler angelockt, die sich in der Karl- und der Friedrichstraße niederließen und so die Ortsteile Buchhorn und Hofen nach und nach verbanden. Im 19. Jahrhundert diente Friedrichshafen den württembergischen Monarchen als Sommerresidenz. Das ehemalige Kloster Hofen wurde zum königlichen Schloss umgebaut. Unter König Wilhelm I. (1781–1864) blühte die Wirtschaft neuerlich auf, was sich unter anderem in dem Kauf des Dampfschiffes "Wilhelm" widerspiegelte. Besonders das Schloss lockte viele Fremde nach Friedrichshafen, darunter auch Minister und hohe Beamte, die sich zum Teil im näheren Umkreis Villen errichten ließen. Auch die ersten Touristen kamen zum Stadtbesuch, unter ihnen soll auch der russische Zar Alexander II. (1818–1881) gewesen sein. Erste Industrie. Als erster isolierter Abschnitt der Königlich Württembergischen Staats-Eisenbahn wurde am 8. November 1847 das Südbahn-Teilstück Friedrichshafen–Ravensburg eröffnet. Ab 1. Juni 1850 konnte die erste Strecke des württembergischen Eisenbahnnetzes von Heilbronn bis Friedrichshafen durchgehend befahren werden. 1869 nahm das Bodensee-Trajekt den Betrieb auf mit Eisenbahnfähren, die Güter von Friedrichshafen nach Romanshorn in der Schweiz transportierten. 1859 wurde die Lederfabrik Hüni + Co gegründet. Im 19. Jahrhundert wurden die „Schwabenkinder“ aus Vorarlberg, Tirol, aus Liechtenstein und der Schweiz an Bauern vermittelt. Industrialisierung durch den Zeppelinbau. Die Industrialisierung Friedrichshafens ist vor allem von Ferdinand von Zeppelin geprägt. Der in Konstanz geborene Graf siedelte in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts die Produktion seiner Starrluftschiffe, der Zeppeline, hier an. Am 2. Juli 1900 erhob sich die 128 Meter lange LZ1 in der Manzeller Bucht zum ersten Mal von der Startfläche. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten begann man 1906 damit, das Nachfolgermodell LZ2 zu testen. Der Begeisterung der Deutschen für die Luftschifffahrt war es zu verdanken, dass das gesamte Projekt trotz einiger Fehlversuche dennoch fortgesetzt wurde (siehe Zeppelinspende des deutschen Volkes). Die 1909 in Bissingen an der Enz durch Wilhelm Maybach auf Initiative Zeppelins gegründete Luftfahrzeug-Motorenbau GmbH übersiedelte 1912 auch wegen veränderter technischer Anforderungen nach Friedrichshafen. Die Leitung des Unternehmens übernahm Karl Maybach (1879–1960), der älteste Sohn von Wilhelm Maybach. Um die hohen finanziellen Mittel für Forschung und Produktion zu besorgen, wurde 1909 eine Aktiengesellschaft (AG) gegründet, die Deutsche Luftschifffahrts-AG (DELAG) mit Sitz in Frankfurt am Main, die erste Luftreederei weltweit. Eine Erfindung des Ingenieurs Max Maag der Maag Zahnräder AG, die das Herstellen präziser Zahnräder in Serie erst möglich machte, trug zur Weiterentwicklung der Zeppeline bei und führte 1915 zur Gründung der Zahnradfabrik Friedrichshafen (ZF), die 1922 ebenfalls zu einer AG wurde. Mit dem Fortschritt im Luftschiffbau kam so ein allgemeiner wirtschaftlicher Aufschwung in Gang. Mit der Zahl neuer Arbeitsplätze stieg auch der Zustrom an Feriengästen allmählich an. 1912 beschäftigte der „Zeppelinkonzern“ etwa 200 Mitarbeiter, die großteils in einer eigens für sie errichteten neuen Siedlung, dem Zeppelindorf, lebten. Der Beginn des Ersten Weltkriegs beschleunigte dieses Wirtschaftswachstum, da viele Luftschiffe für den Kriegseinsatz gebaut wurden. Graf Zeppelin starb 1917. Das Büro Dornier, das zunächst mit Metallflugzeugbau im Hause Zeppelin beschäftigt war, wurde 1922 von Claude Dornier übernommen; dies war der Anfang für die späteren Dornier-Werke. Die Zwischenkriegszeit. An der Novemberrevolution 1918 beteiligten sich auch die Arbeiter Friedrichshafens, indem sie für Fälle von wichtigen Entscheidungen einen Arbeiter- und Soldatenrat einsetzten. Mit dem Ende der Monarchie hatte das Schloss als Königliche Sommerresidenz ausgedient, es wurde dem entmachteten Haus Württemberg zugesprochen. Nun wurde durch den Volksstaat Württemberg auch in Friedrichshafen die Demokratie der Weimarer Republik wirksam. Der auf Rüstung spezialisierte Zeppelinkonzern musste nach dem Kriegsende den Großteil seiner Arbeiter entlassen. Die Tochterunternehmen widmeten sich nun anderen Produktionsbereichen und konnten so einen Teil der Belegschaft halten. Maybach-Motorenbau konzentrierte sich auf den Bau von Pkw-Motoren und produzierte 1922 das erste seiner später berühmten Automobile. Die ZF produzierte nun vor allem einbaufertige Schaltgetriebe für die Automobilindustrie, die zu jener Zeit bereits großes Potential hatte. Auch der Luftschiffbau wurde schon nach kurzer Zeit wieder aufgenommen. Dies war vor allem Hugo Eckener zu verdanken, der über einen Spendenaufruf rund 2,5 Millionen Reichsmark für die neue Produktion einsammelte (die sogenannte Zeppelin-Eckener-Spende für LZ 127). Die Dornier-Werke (ursprünglich Zeppelin-Werk Lindau GmbH, ab 1922 "D"ornier-Metallbauten GmbH, ab 1938 Dornier-Werke GmbH, ab 1966 Dornier GmbH) wurden in den 1930er Jahren durch Zweigbetriebe in Neuaubing und Oberpfaffenhofen (jeweils bei München) sowie in Wismar (Norddeutsche Dornier-Werke) erweitert. Gemäß den Bestimmungen des Versailler Vertrages konnte das berühmteste ihrer Flugzeuge, die Dornier Wal, zunächst (in Italien) nur in Lizenz gefertigt werden. Am Bodensee entstand das seinerzeit größte Flugzeug der Welt, die Dornier Do X. Das erste Luftschiff nach dem Krieg, die LZ 126, wurde als Wiedergutmachungsleistung an die USA übergeben. Seine Atlantiküberquerung sorgte für großes Aufsehen. Auch die folgenden Luftschiffe LZ 127 "Graf Zeppelin" und LZ 129 "Hindenburg" standen stark im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Nach der Hindenburg-Katastrophe in Lakehurst am 6. Mai 1937, bei der 36 Menschen infolge einer Explosion ums Leben kamen, wurde jedoch der Bau weiterer Luftschiffe (mit Ausnahme der LZ 130) eingestellt und auch der gesamte Flugverkehr der Zeppeline. Im Nationalsozialismus und im Krieg. Bei der Kreisreform während der NS-Zeit in Württemberg wurde die Stadt 1938 Sitz des neu umrissenen Landkreises Friedrichshafen, der ab 1945 wieder Landkreis Tettnang hieß. In der nationalsozialistischen Zeit wurde der Fremdenverkehr in Friedrichshafen zu einem wichtigen wirtschaftlichen Faktor. 1934 wurde der amtierende Bürgermeister Schnitzler durch Walter Bärlin ersetzt. Seit 1933 bestand in Friedrichshafen eine Außenhauptstelle der Württembergischen Politischen Polizei, die ab 1938 als „Geheime Staatspolizei – Grenzpolizeikommissariat Friedrichshafen“ firmierte. Die Industrie, die auf Kriegswirtschaft umgestellt worden war, wuchs stetig. Von 1942 bis Ende 1944 fertigte die Firma Zeppelin auch Teile für die A4-Rakete (die so genannte V2); für die Überprüfung kompletter A4-Raketen wurde zwischen 1942 und 1943 bei Raderach eine Prüf- und Abnahmestelle gebaut, das V2-Werk Raderach. Vier große Rüstungsbetriebe machten Friedrichshafen zu einem wichtigen Rüstungsstandort im Deutschen Reich: In diesen Betrieben sollen bis zu 14000 ausländische Arbeitskräfte beschäftigt gewesen sein, darunter etwa 1000 KZ-Häftlinge, die zum größten Teil in Lagern untergebracht waren. Das Zeppelin-Werk hatte ein eigenes Arbeitskommando des Konzentrationslagers Dachau, das dazugehörige Arbeitslager Friedrichshafen befand sich auf dem Firmengelände der Zeppelin-Werft (heute ZF). Zwischen Juni 1943 und September 1944 befanden sich ungefähr 1200 KZ-Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau im KZ-Außenlager Friedrichshafen. Nach der Zerstörung des Lagers (zwischen Hochstraße und Luftschiffbau) durch einen Bombenangriff am 28. April 1944 wurden die KZ-Häftlinge in die Nähe des V2-Werks in Raderach verlegt. Dort befand sich seit 1942 bereits ein Arbeitslager für kriegsgefangene Zwangsarbeiter. Am 25. September 1944 wurden 762 dieser KZ-Häftlinge in das KZ Dora-Mittelbau in Nordhausen gebracht. Von Oktober 1944 bis April 1945 errichteten KZ-Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau einen unterirdischen Stollen bei Überlingen, den Goldbacher Stollen, um die gefährdeten Friedrichshafener Produktionsstätten zu verlagern und so die Produktion vor den Bombardierungen zu schützen. Die beim Bau des Stollens gestorbenen Zwangsarbeiter wurden auf dem KZ-Friedhof Birnau beigesetzt. Die Produktionsstätten elementarer Rüstungsindustrie waren der Grund dafür, dass insgesamt elf Luftangriffe auf Friedrichshafen zwischen Juni 1943 und Februar 1945 durchgeführt wurden. Der folgenschwerste dieser Angriffe fand in der Nacht zum 28. April 1944 statt, ihm fielen der Kern der Altstadt und die Hafenanlagen mit mehreren Schiffen zum Opfer. Während des Zweiten Weltkriegs wurde Friedrichshafen zu zwei Dritteln zerstört, es musste daher in den 1950er Jahren fast komplett neu aufgebaut werden. Die vollständige Zerstörung der Stadt wurde vermutlich durch die Entschlossenheit der Bürger und ihres Bürgermeisters verhindert, indem diese den Befehl missachteten, Friedrichshafen bis zum letzten Haus zu verteidigen. Bei Kriegsbeginn 1939 lebten 25.041 Menschen in Friedrichshafen, 1943 dann 27.168; nach den Luftangriffen waren es zunächst noch 7.650, da zwei Drittel der Bevölkerung abgewandert oder evakuiert worden waren. Im Juni 1945 zählte die Stadt dann 10.126 und im Dezember 1945 wieder 14.979 Einwohner. Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. 1945 wurde Friedrichshafen Teil der Französischen Besatzungszone und erfuhr somit 1947 die Zuordnung zum neu gegründeten Land Württemberg-Hohenzollern, welches 1952 im Land Baden-Württemberg aufging. Nach dem Krieg wurden einige Firmen, darunter die Luftschiffbau Zeppelin GmbH und die Dornier-Werke, zwangsaufgelöst. Dadurch verloren viele Menschen ihren Arbeitsplatz und damit ihr Auskommen. Die Zahnradfabrik und der Maybach-Motorenbau konnten gerettet werden, mussten aber ihre Produktion umstellen. Die erste wichtige Handlung des Wiederaufbaus war die Enttrümmerung der Stadt. Dazu wurde eine Schmalspurbahn angelegt, mit deren Hilfe bis 1949 die gesamte Altstadt freigeräumt wurde. Außerdem errichtete die Firma Hüni + Co eine Trümmerwiederaufbereitungsanlage. 1950 wurde mit der Planung des Neuaufbaus begonnen, die vor allem bessere Verkehrsverhältnisse sowie größere Grünanlagen vorsah. Mit der Einweihung des neuen Rathauses wurde diese Bauphase 1956 abgeschlossen, doch es mangelte nach wie vor an ausreichendem Wohnraum. Ehemalige Bürgermeister, Landräte und andere Politfunktionäre des NS-Regimes wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von der französischen Besatzungsmacht in einem Lager bei Balingen interniert. Im Frühjahr 1946 begann in Friedrichshafen die Entnazifizierung: 2500 Einwohner mussten Fragebögen zu ihrer Tätigkeit und ihrem Verhalten während der Zeit des Nationalsozialismus ausfüllen und sich vor Untersuchungsausschüssen verantworten. Dabei gab es auch Verfahren gegen 15 bekannte Unternehmer und „Wehrwirtschaftsführer“, wie zum Beispiel Hugo Eckener (Luftschiffbau Zeppelin), Claude Dornier, Karl Maybach und Hans Cappus (ZF Zahnradfabrik). Die „politische Säuberung“ wurde bis März 1951 beendet, wobei die meisten Personen als unbelastete Mitläufer eingestuft wurden. Der wirtschaftliche Aufschwung der Stadt Friedrichshafen ist auch der Stiftung zu verdanken, die 1908 von Grafen Zeppelin gegründet worden war und der Förderung des Luftschiffbaus dienen sollte. Für den Fall, dass der ursprüngliche Stiftungszweck nicht mehr erfüllt werden könne, sollte die Stiftung an die Stadt Friedrichshafen fallen. In diesem Falle sollten die Erträge aus der Zeppelin-Stiftung für wohltätige Zwecke eingesetzt werden. Am 1. März 1947 ging das Stiftungsvermögen an die Stadt Friedrichshafen über. Die Zeppelin-Stiftung hält 93,8 Prozent der Aktien der ZF Friedrichshafen AG und ist Eigentümerin der Luftschiffbau Zeppelin GmbH und der Zeppelin GmbH. Mit den Erträgen aus diesen sogenannten Stiftungsbetrieben finanziert die Stiftung satzungsgemäß mildtätige und gemeinnützige Zwecke. Neuere Geschichte. Dank des rapiden Bevölkerungszuwachses (auf 53.000 Einwohner) wurde Friedrichshafen bei der Kreisreform in Baden-Württemberg am 1. Januar 1973 Verwaltungssitz des neu gegründeten Bodenseekreises. In jener Zeit datieren auch die meisten Eingemeindungen. In dieser Zeit begann man auch damit, die Infrastruktur zu erweitern und auszubauen. Zahlreiche Bildungseinrichtungen sind seither entstanden, darunter ein Teil der öffentlichen Schulen, die Musikschule, die Volkshochschule sowie das Berufsschulzentrum. Hinzu kamen das Zeppelin-Stadion und die Bodenseesporthalle, das Hallenbad war bereits 1970 eröffnet worden. Beim 26. Deutschen Feuerwehrtag, der im Juni 1990 in Friedrichshafen stattfand, kam es zur starken erstmaligen Teilnahme der Feuerwehren aus der DDR. Nach einigen Jahrzehnten wurden dort auch Feuerwehrleute aus Osteuropa willkommen geheißen und vielfältige Kontakte geknüpft. Im Jahr 1992 erfolgte der Abzug der französischen Garnison (Heeresflieger) aus ihrem "Quartier Durand de Villers". Eingemeindungen. Im heutigen Stadtgebiet gab es ab 1812 folgende Gemeinden: Stadt Friedrichshafen und die Gemeinden Hagendorn, Ettenkirch, Kluftern und Raderach. 1825 wurde die Gemeinde Hagendorn aufgelöst. Es entstanden daraus die Gemeinden Ailingen und Berg. 1850 wurde Schnetzenhausen von der Gemeinde Berg als selbständige Gemeinde abgetrennt, aber 1937 in die Stadt Friedrichshafen eingegliedert. Ebenfalls 1937 wurde die Gemeinde Berg in die Gemeinde Ailingen eingegliedert, die ihren Gemeindeteil Allmannsweiler jedoch an die Stadt Friedrichshafen abgeben musste. Somit bestanden ab 1937 neben der Stadt Friedrichshafen noch die Gemeinden Ailingen, Ettenkirch, Kluftern und Raderach. Im Laufe der Geschichte wurden somit folgende Gemeinden bzw. Orte in die Stadt Friedrichshafen eingegliedert. Sie gehörten vor der Kreisreform, soweit nicht anders angegeben, zum Landkreis Tettnang. Einwohnerentwicklung. Einwohnerzahlen nach dem jeweiligen Gebietsstand. Die Zahlen sind Volkszählungsergebnisse (¹) oder amtliche Fortschreibungen der jeweiligen Statistischen Ämter (nur Hauptwohnsitze). ¹ Volkszählungsergebnis Religion. Geschichte. Das Gebiet der heutigen Stadt Friedrichshafen gehörte anfangs zum Bistum Konstanz und war dem Archidiakonat Albgovia Kapitel Ailingen-Buchhorn unterstellt. Die Reformation wurde nicht durchgeführt. Nach einer ab 1593 durchgeführten Untersuchung in der Stadt Buchhorn wurde bestimmt, dass niemand Bürgerrechte erwerben, Mitglied des Rates sein oder in städtische Dienste treten könne, der sich nicht unter Eid zur römisch-katholischen Kirche bekennt. Ursprünglich war Buchhorn kirchlich vom Kloster Hofen abhängig. Die dem Kloster zugehörige Kirche „St. Andreas und Pantaleon“ war auch die Kirche Buchhorns. 1325 wird in Buchhorn jedoch eine Nikolauskapelle erwähnt, die aber erst Ende des 16. Jahrhunderts zur Pfarrei erhoben wurde. Die katholische Gemeinde gehörte noch bis 1802 zum Bistum Konstanz und war dem Dekanat Theuringen, ab 1808 dem Ordinariat Ellwangen unterstellt, aus dem 1821/1827 das neu gegründete Bistum Rottenburg, heute Bistum Rottenburg-Stuttgart, hervorging. Konfessionsstatistik. Gemäß der Volkszählung 2011 waren 25.974 (45,6 %) der Einwohner römisch-katholisch, 11.705 (20,6 %) evangelisch und 33,8 % waren konfessionslos oder gehörten einer anderen Glaubensgemeinschaft an. Für Ende 2020 sind die Zahlen für das Stadtgebiet von Friedrichshafen 22.832 katholische Mitglieder (37 % der Gesamtbevölkerung) und 6.189 evangelische Mitglieder (10 % der Gesamtbevölkerung). Katholische Gemeinden. Die heutige Pfarrkirche St. Nikolaus wurde ursprünglich bereits im Mittelalter im Hoheitsbereich des Klosters Hofen errichtet. In den 1920er Jahren entstand infolge starken Wachstums der Nikolausgemeinde die Filialkirche St. Petrus Canisius, sie wurde in einer dem Backsteinexpressionismus angenäherten Architektur erbaut und am 24. November 1928 von Bekennerbischof Joannes Baptista Sproll geweiht. Sie steht unter Denkmalschutz. Zehn Jahre nach Fertigstellung der Kirche wird 1938 die gleichnamige Kirchengemeinde gegründet, die heute die mitgliederstärkste christliche Gemeinde Friedrichshafens ist. Im selben Jahr wird zunächst nur aus St. Nikolaus und St. Petrus Canisius eine Gesamtkirchengemeinde gebildet. Vermögen, Liegenschaften, Gebäudeunterhalt sowie Kirchensteuereinnahmen und -ausgaben werden gemeinsam verwaltet und solidarisch gehandhabt. Die nach dem Zweiten Weltkrieg weiter wachsende Bevölkerung veranlasste die Verantwortlichen der Gesamtkirchengemeinde, die Errichtung einer weiteren Kirche zu planen, die dem Patrozinium Christi, des guten Hirten, unterstellt werden sollte. Ihr Baustil mit dem muschelförmigen Kuppelbau und der aufgesetzten Glockenschale ist recht eigenwillig. Die Kirche Guter Hirte wurde am 12. Mai 1962 geweiht. Am 1. Oktober erhielt die neue Gemeinde die Eigenständigkeit. Nach dem Absturz eines Sportflugzeugs musste das Dach der Kirche bereits zehn Jahre nach der Weihe instand gesetzt werden. Auch diese Kirche steht unter Denkmalschutz. Da auch die alte Pfarrkirche St. Mariä Geburt aus dem 13. Jahrhundert im Stadtteil Jettenhausen zu klein geworden war, wurde sie 1960 durch einen Neubau, der der heiligen Maria geweiht war, ersetzt. Der letzte Neubau war dann der, der Kirche St. Columban, deren zeltförmige Architektur von den Reformideen des Zweiten Vatikanischen Konzils geprägt ist. Sie wurde 1966 vom italienischen Bischof Pietro Zuccarino aus Bobbio geweiht. Ihr Gemeindegebiet erstreckt sich im neu entstandenen Stadtteil Friedrichshafen Ost und auf der alten Gemarkung St. Georgen. Der Chor der Gemeinde hatte schon etliche nationale Auftritte (Katholikentag in Ulm, Ökumenischer Kirchentag in Berlin). Auch in den anderen Stadtteilen Friedrichshafens gibt es jeweils Gemeinden und Kirchen: St. Magnus Fischbach (erbaut 1955, alte Pfarrkirche St. Vitus 1834), St. Peter und Paul in Schnetzenhausen (erbaut 1754 auf älteren Resten), St. Nikolaus im Ortsteil Berg (erbaut 1520, doch 1785 erneuert und um 1900 weiter verändert) und St. Petrus und Paulus im Ortsteil Ettenkirch (erbaut im 17. Jahrhundert, 1884 wurde der Turm erhöht). Auch St. Johann Baptist in Ailingen geht auf einen älteren Vorgängerbau zurück. Alle katholischen Gemeinden auf dem ehemals württembergischen Teil des Stadtgebiets bilden seit 2005 die Katholische Gesamtkirchengemeinde Friedrichshafen und zählen zusammen 22.393 Katholiken (Stand 2017). Diese gemeinschaftlich verantwortete Struktur ist Trägerin zahlreicher sozialer Einrichtungen: Der Herberge für Wohnsitzlose, dem Stadtdiakonat, einer Sozialstation und sechzehn Kindergärten. Diese zehn Gemeinden gehören heute zum Dekanat Friedrichshafen in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Nach der Kreisreform 1973 war dieses aus dem bisherigen Dekanat Tettnang durch Umbenennung hervorgegangen. Eine weitere Kirchengemeinde, St. Gangolf Kluftern, gehört nicht zur Gesamtkirchengemeinde Friedrichshafen. Kluftern gehörte ab 1806 zu Baden, die Kirchengemeinde gehört somit bis heute zum Dekanat Linzgau innerhalb der Erzdiözese Freiburg. Die Katholiken im Stadtteil Raderach gehören zur Kirchengemeinde Bergheim. Es gibt jedoch seit 1837 in Raderach eine Kapelle Mariä Heimsuchung. Insgesamt leben somit ca. 24.000 Katholiken im gesamten Stadtgebiet (2017). Evangelische Gemeinden. Anfang des 19. Jahrhunderts zogen auch Protestanten in den Raum Friedrichshafen. Es waren zunächst vor allem Beamte und Bedienstete des württembergischen Königs, die ins Schloss Hofen, das ehemalige Kloster, einzogen. Für sie gründete König Friedrich von Württemberg eine evangelische Kirchengemeinde, der er die barocke Schlosskirche zur Verfügung stellte. 1845 wurde hier eine Pfarrei errichtet. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde der evangelische Stadtpfarrer Karl Steger als Vertreter der „Deutschen Christen“ überregional bekannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs die evangelische Gemeinde stark an, vor allem wegen des Zustroms von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen. Daher wurden weitere Kirchengemeinden gegründet und Kirchen erbaut. Es entstanden die Erlösergemeinde (1958), die Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde (1968) und die Paul-Gerhardt-Gemeinde Jettenhausen (1978). Sie alle bilden mit der Schlosskirchengemeinde seit 1994 die Evangelische Gesamtkirchengemeinde Friedrichshafen. Diese gehört zum Dekanat bzw. Kirchenbezirk Ravensburg innerhalb der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Weitere Kirchengemeinden bzw. Kirchen im Stadtgebiet Friedrichshafens befinden sich in Manzell (Kirche und Pfarrei von 1938), Ailingen (Kirche von 1949, eine Kapelle gab es bereits seit 1937) und Kluftern, wobei die letztgenannte zum Dekanat Überlingen-Stockach der Evangelischen Landeskirche in Baden gehört. Die Protestanten aus Ettenkirch werden von der Kirchengemeinde Ailingen, die Protestanten von Raderach von der Kirchengemeinde Markdorf betreut. Weitere christliche Kirchen. Neben den beiden großen Kirchen gibt es in Friedrichshafen auch eine serbisch-orthodoxe Kirchengemeinde sowie Gemeinden, die zu Freikirchen gehören, darunter eine evangelisch-freikirchliche Gemeinde (Baptistengemeinde), eine evangelisch-methodistische Gemeinde, eine Vineyard-Gemeinde, die Unabhängige Evangelische Gemeinde und die Freie Christengemeinde Foyer FN. Auch die Neuapostolische Kirche, hat zwei Gemeinden. Andere Gemeinschaften. Des Weiteren sind die Christliche Wissenschaft und die Zeugen Jehovas in Friedrichshafen vertreten. Islam. Im Zuge der Anwerbung von Gastarbeitern, vor allem aus der Türkei, sowie weiterer Einwanderung kamen seit den 1960er Jahren verstärkt auch Angehörige des islamischen Glaubens nach Friedrichshafen. In Folge von Bürgerkriegen mit weitreichenden Kriegshandlungen kamen Mitte 2015 auch hunderte Flüchtlinge in die Stadt. Schätzungen zufolge leben in der Stadt rund 5000 Muslime, überwiegend Sunniten. Seit 1998 betreibt die türkische DİTİB die Mehmet-Akif-Moschee; sie befindet sich am Rande des Stadtkerns in Richtung der Teilgemeinde Berg. Hinzu kommen zwei weitere kleinere islamische Gemeinden in der Kernstadt. Politik. Gemeinderat. Die Kommunalwahl am 26. Mai 2019 führte zu folgendem Ergebnis: Bürgermeister. An der Spitze der Stadt Buchhorn standen ab dem 13. Jahrhundert der vom Stadtherrn eingesetzte Ammann (Amtmann) sowie der Rat, der zugleich Stadtgericht war. Ab 1397 wurde der Ammann als Vorsitzender des Rates durch einen Bürgermeister ersetzt, der Ammann war dann nur noch Vorsitzender des Gerichts. Die Zünfte hatten dann das Sagen in der Stadt. Sie bildeten den Kleinen und den Großen Rat. 1552 wurde durch Kaiser Karl V. die Geschlechterherrschaft eingeführt. Danach gab es drei Bürgermeister, die jeweils vier Monate im Amt waren. Im 18. Jahrhundert zerfiel die Verwaltung immer mehr, so dass 1752 ein kaiserlicher Kommandant eingesetzt werden musste. Nach dem Übergang an Württemberg wurde in der nunmehrigen Stadt Friedrichshafen ein Stadtschultheiß eingesetzt. 1935 wandelte sich dessen Bezeichnung zu „Bürgermeister“, der seit der Erhebung zur Großen Kreisstadt 1956 die Amtsbezeichnung Oberbürgermeister trägt. Heutzutage wird der Oberbürgermeister für eine Amtszeit von acht Jahren gewählt. Er ist Vorsitzender des Gemeinderats und Leiter der Stadtverwaltung. Der Oberbürgermeister hat zwei Beigeordnete als hauptamtliche Stellvertreter. Die Amtsbezeichnung des Ersten Beigeordneten ist „Erster Bürgermeister“, der Zweite Beigeordnete nennt sich schlicht „Bürgermeister“. Bei der Bürgermeisterwahl am 5. April 2009 setzte sich Andreas Brand (Freie Wähler) mit 69,96 Prozent der gültig abgegebenen Stimmen (Wahlbeteiligung: 44,33 Prozent) gegen seinen Mitbewerber Peter Kienzle (CDU) durch. Amtsvorgänger Josef Büchelmeier (SPD) stand für eine Wiederwahl nicht mehr zur Verfügung. Wappen. Das Wappen der Stadt Friedrichshafen zeigt in gespaltenem Schild vorne in Gold eine bewurzelte grüne Buche, hinten in Rot ein silbernes Hifthorn mit goldener Fessel und goldenen Beschlägen. Die Stadtflagge ist grün-weiß. Das Wappen ist das frühere Stadtwappen der Freien Reichsstadt Buchhorn. Diese Stadt führte ein so genanntes "redendes Wappen", die Buche und das Horn. Beide Wappensymbole sind schon seit 1274 in den Siegeln der Stadt belegt. Anfangs war auch noch der Reichsadler im Siegel zu sehen. Dieser verschwand jedoch seit dem 15. Jahrhundert. Die Symbole waren früher jedoch in anderer Form und Blasonierung dargestellt. So war das Horn bis ins 19. Jahrhundert noch schwarz tingiert. Partnerstädte. Friedrichshafen unterhält Städtepartnerschaften mit Außerdem besteht eine Städtefreundschaft mit In Friedrichshafen wurden von engagierten Bürgern zahlreiche eingetragene Vereine zur Pflege der Städtepartnerschaften gegründet: Patenschaft. Die Stadt Friedrichshafen übernahm am 12. Dezember 1967 die Patenschaft über das Marinefliegergeschwader 3 „Graf Zeppelin“ aus Nordholz anlässlich der Verleihung des Traditionsnamens "Graf Zeppelin" an das Geschwader am 9. Juli 1967. Wirtschaft und Infrastruktur. Industrie und Gewerbe. Die größten Arbeitgeber der Stadt sind immer noch die Industrieunternehmen, deren Wurzeln in die Zeit des Luftschiffbaus zurückreichen. Die ZF Friedrichshafen AG (ZF) wurde 1915 als Zahnradfabrik GmbH gegründet, um die Getriebe (in erster Linie waren es die Zahnräder) der Zeppeline zu verbessern. Das Unternehmen wurde 1921 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Heute ist die ZF der weltweit viertgrößte Automobilzulieferer und zählt zu den weltweit führenden Unternehmen der Antriebs- und Fahrwerktechnik. Eigentümer sind zu 93,8 % die Zeppelin-Stiftung und zu 6,2 % die Dr. Jürgen und Irmgard Ulderup Stiftung in Lemförde. Die Rolls-Royce Power Systems ist hervorgegangen aus der MTU Friedrichshafen GmbH (MTU; nicht zu verwechseln mit der Motoren und Turbinen Union in München) und zählt zu den weltweit führenden Herstellern von großen Dieselmotoren und kompletten Antriebs- und Energiesystemen. Bis 1985 gehörte das Unternehmen zum Daimler-Chrysler-Konzern, der die MTU Friedrichshafen 2005 jedoch für 1,6 Milliarden Euro an die schwedische Private-Equity-Gruppe EQT verkaufte. Nach einer Umbenennung 2006 in Tognum GmbH, bei der der Markenname MTU erhalten blieb, änderte sich die Firmierung 2007 mit dem Börsengang in Tognum AG. Ab 2011 hielten Rolls-Royce und Daimler über die gemeinsame Tochter Engine Holding GmbH 98,3 % des Kapitals der Tognum AG. 2014 übernahm der Rolls-Royce-Konzern die Daimler-Anteile. Seit Januar 2014 firmiert das Unternehmen unter Rolls-Royce Power Systems. Die Zeppelin Luftschifftechnik GmbH ist ein 1993 gegründetes Unternehmen, das die halbstarren Hybridluftschiffe vom Typ Zeppelin NT entwickelt und herstellt. Hauptanteilseigner sind die Luftschiffbau Zeppelin GmbH und die ZF. Die Deutsche Zeppelin-Reederei GmbH, ein Tochterunternehmen der Luftschifftechnik, ist zuständig für die Vermittlung der Flüge. Die Sauerstoffwerk Friedrichshafen GmbH (SWF) wurde 1913 zur Herstellung von Wasserstoff als Traggas für Zeppeline gegründet. Heute stellt sie mit zwei weiteren Werken in Aitrach und Bielefeld Gase aller Art für den industriellen, handwerklichen und medizinischen Bedarf her. Die seit 1909 bestehende LZ-Gießerei ging 1948 in die Firma Metallbearbeitung Friedrichshafen eGmbH über und gehört heute unter der Firmierung DGH Sand Casting GmbH zur DGH-Group mit Sitz in Dohna. 1859, also lange Zeit vor der Zeppelinproduktion, gründete Hans Heinrich Hüni östlich der Altstadt von Friedrichshafen die Firma Hüni + Co. Ursprünglich produzierte sie Leder, inzwischen gilt sie als Spezialist für hochwertige Beschichtungen mit organischen Kunststoffen. Friedrichshafen hat sich außerdem als Messestandort etabliert und nennt sich daher gerne „Messe- und Zeppelinstadt“. Zu den bekannteren regelmäßigen Veranstaltungen in der Messe Friedrichshafen gehören Am 21. Februar 2007 gewann die Stadt den von der Deutschen Telekom ausgeschriebenen Wettbewerb T-City. Verkehr. Schiffsverkehr. Die Fährlinie Friedrichshafen–Romanshorn verbindet Friedrichshafen mit Romanshorn in der Schweiz. Seit 2005 verbinden die beiden Katamarane "Fridolin" und "Constanze" die Stadt mit Konstanz. 2007 kam ein drittes Schiff hinzu, der Katamaran "Ferdinand". Friedrichshafen ist durch den Linienverkehr der Bodensee-Schifffahrtsbetriebe (BSB, ugs.: „Weiße Flotte“) mit diversen Städten rund um den See verbunden (z. B. Meersburg, Überlingen, Konstanz, Lindau, Bregenz). Diese Schiffe verkehren nur während des Sommerhalbjahres. Vom Hafenbahnhof gibt es eine direkte Anbindung an die Züge im Bahnhof Friedrichshafen Stadt. Luftverkehr. Im Nordosten der Stadt (Richtung Meckenbeuren) befindet sich der Flughafen Friedrichshafen. Er wird regelmäßig von der Lufthansa, British Airways und weiteren Fluglinien angesteuert. Neben dem innerdeutschen Ziel Frankfurt bestehen unter anderem auch Verbindungen nach London, Toulouse, Istanbul (Turkish Airlines). Hinzu kommen im Sommer- und Winterflugplan internationale Ziele für Ferienflüge, beispielsweise nach Palma de Mallorca, Kroatien oder Teneriffa. Straßenverkehr. Friedrichshafen liegt an der Bundesstraße 31 (Freiburg im Breisgau–Sigmarszell), die am nördlichen Bodenseeufer entlangführt, und ist durch die Bundesstraße 30 in Richtung Ravensburg und Ulm angebunden (es gab einmal Pläne, die B 30 zur Bundesautobahn 89 auszubauen). Nach der Umgestaltung der Innenstadt in eine verkehrsberuhigte Zone verfügt Friedrichshafen über vier Parkhäuser (See, Altstadt, Stadtbahnhof und Graf-Zeppelin-Haus). Schienenverkehr. Im Friedrichshafener Stadtgebiet gibt es die Bahnhöfe Friedrichshafen Hafen und Friedrichshafen Stadt, die durch die Bahnstrecke Friedrichshafen Stadt–Friedrichshafen Hafen verbunden sind, sowie weitere Stationen. Im Stadtbahnhof sind darüber hinaus die Bahnstrecke Ulm–Friedrichshafen, die Bahnstrecke Stahringen–Friedrichshafen und die Bahnstrecke Friedrichshafen–Lindau miteinander verknüpft. Der Fernverkehr beschränkt sich auf ein Intercity-Express-Zugpaar nach Dortmund/Innsbruck und ein RailJet nach Frankfurt a. M./Wien, mehr Anschlüsse bietet der durch enge Taktung verbundene Knotenpunkt Ulm Hbf. Darüber hinaus werden die Bahnhöfe von Regionalzügen der Deutschen Bahn AG (DB) und der Bodensee-Oberschwaben-Bahn (BOB) bedient. Öffentlicher Nahverkehr. Seit dem Jahr 1990 wird der städtische Nahverkehr vom Stadtverkehr Friedrichshafen durchgeführt. Das Unternehmen wurde 1999 umstrukturiert und ist seit 2004 im Bodensee-Oberschwaben Verkehrsverbund (bodo). Heute verkehren in diesem Netz 17 Buslinien, deren wichtigste Knotenpunkte Hafen- und Stadtbahnhof sind. Bei Messeveranstaltungen werden zusätzlich ein "Messeexpress" (Hafenbahnhof–Stadtbahnhof–Messe) und ein "Messeshuttle" (Flughafen–Messe) eingerichtet. In der Schwachverkehrszeit sind im Stunden- bzw. Zweistundentakt sechs Abendlinien von bzw. zum Stadtbahnhof, auf teilweise gegenüber den Tageslinien veränderten Routen, unterwegs. Außerdem bietet das Unternehmen das Ruftaxi "RIA" im Abend- und Nachtverkehr und das eCarsharingangebot „FRIZZ“ an. Medien. In Friedrichshafen befindet sich ein SWR-Studio, in dem neben Fernseh- und Onlinenachrichten aus der Region das SWR4-Bodenseeradio des Südwestrundfunks produziert wird. Die SWR-Redakteure berichten aus den Landkreisen Bodensee, Konstanz, Lindau, Ravensburg, Biberach, Sigmaringen sowie länderübergreifend aus Vorarlberg und der Ostschweiz. Das Studio befindet sich in der Innenstadt, beim Parkhaus am See. Weitere regionale Radiosender sind das eher jugendorientierte Radio 7 und Radio Seefunk, die beide vorwiegend Rock- und Popmusik spielen. Die "Schwäbische Zeitung" (ist auch an Radio 7 beteiligt) betreibt eine eigene Lokalredaktionen in Friedrichshafen, die über das aktuelle Geschehen in der Stadt sowie aus der Region berichtet. Friedrichshafen gehört außerdem zum Sendegebiet des über Kabel zu empfangenden privaten Regionalfernsehsenders Regio TV Bodensee, der 2013 sein Studio von Friedrichshafen nach Ravensburg verlagerte. Behörden und Einrichtungen. Als Kreisstadt des Bodenseekreises beherbergt Friedrichshafen dessen Verwaltung, das Landratsamt. Ferner vor Ort sind das Finanzamt und ein Notariat. Die Stadt ist auch Sitz des Dekanats Friedrichshafen des Bistums Rottenburg-Stuttgart. Bildungseinrichtungen. Kindertageseinrichtungen. In Friedrichshafen gibt es 37 Kindertageseinrichtungen. Allgemeinbildende Schulen. Als Große Kreisstadt verfügt Friedrichshafen über alle gängigen Schularten. In der Primarstufe gibt es die drei Grund- und Werkrealschulen Ludwig-Dürr-Schule, Pestalozzischule und die katholische Bodenseeschule St. Martin, die zudem ein sozialwissenschaftliches berufliches Gymnasium angeschlossen hat, sowie die Gemeinschaftsschule Schreienesch und die fünf Grundschulen Grundschule Ailingen mit einer Außenstelle in Berg, Grundschule Friedrichshafen-Fischbach mit Außenstelle in Schnetzenhausen, Albert-Merglen-Schule, Don-Bosco-Schule Ettenkirch und die Grundschule Friedrichshafen-Kluftern. An weiterführenden Schulen stehen die Realschule Ailingen sowie die katholische Mädchen- und Jungenrealschule St. Elisabeth zur Verfügung. Ferner eine Abendrealschule. Seit dem Schuljahr 2014/2015 gibt es außerdem zwei Gemeinschaftsschulen an der Gemeinschaftsschule Schreienesch und der Gemeinschaftsschule Graf Soden. Außerdem bietet die Stadt mit dem Graf-Zeppelin-Gymnasium und dem Karl-Maybach-Gymnasium zwei allgemeinbildende Gymnasien. Hinzu kommt die "Merianschule" als Förderschule und die Tannenhagschule als Sonderschule für Geistigbehinderte sowie die privaten Sonderschulen Schule am See (Sonderschule für Körperbehinderte) und Sprachheilschule (Sonderschule für Sprachbehinderte). Die SIS Swiss International School (Privatschule) bietet bilinguale Bildung vom Kindergarten über die Grundschule bis zum Gymnasium. Im Berufsschulzentrum (im Osten der Stadt; Träger ist der Bodenseekreis) befinden sich die Claude-Dornier-Schule (gewerbliche Schule, unter anderem mit dem Technischen Gymnasium und dem Informationstechnischen Gymnasium), die Hugo-Eckener-Schule (kaufmännische Schule, unter anderem mit dem Wirtschaftsgymnasium) und die Droste-Hülshoff-Schule (haus- und landwirtschaftliche Schule, unter anderem mit dem Ernährungswissenschaftlichen-, Sozialwissenschaftlichen- und Biotechnologischen Gymnasium). Die Bernd-Blindow-Schule ist eine private berufliche Schule mit Naturwissenschaftlich-technischem, Sozialpädagogischem und Medien- und Gestaltungstechnischem Gymnasium. Außerschulische Bildungseinrichtungen sind die Wissenswerkstatt, die Interesse für Technik und technische Berufe wecken will, die KinderUni FN mit Vorlesungen für Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren in allen Wissensbereichen und die Hector Kinderakademie zur Förderung begabter Kinder im Grundschulalter. Hochschulen. Die 2003 gegründete Zeppelin Universität ist seit September 2011 (Verleihung der Promotions- und Habilitationsrechte durch das Wissenschaftsministerium) die zehnte Universität im Land Baden-Württemberg; Friedrichshafen ist somit seitdem Universitätsstadt. Die Universität befindet sich in privater Trägerschaft und beschreibt sich selbst als „Universität zwischen Wirtschaft, Kultur und Politik“. Angeboten werden Studiengänge in den Bereichen Wirtschaftswissenschaften, Kommunikations- und Kulturwissenschaften, Politik- und Verwaltungswissenschaften sowie Soziologie, Politik und Ökonomie. Weiterhin befindet sich eine duale Hochschule in Friedrichshafen: Die Fakultät Technik der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Ravensburg (DHBW Ravensburg) bietet 14 Studienrichtungen in den Bereichen Elektrotechnik, Maschinenbau, Informatik, Wirtschaftsinformatik, Luft- und Raumfahrttechnik, Wirtschaftsingenieurwesen. Außerdem befindet sich in Friedrichshafen ein Studienzentrum der privaten DIPLOMA – Fachhochschule Nordhessen. Bibliotheken. Neben der Stadtbibliothek „Medienhaus am See“ ist in Friedrichshafen die Bodenseebibliothek ansässig, die als Spezialbibliothek Werke zum Bodenseeraum und seiner Geschichte sammelt. Soziale Einrichtungen. Die Evangelische Heimstiftung und die BruderhausDiakonie betreiben in Friedrichshafen Einrichtungen der Altenhilfe und der Sozialpsychiatrie. Die Stiftung Liebenau unterhält mehrere Seniorenzentren und das Hospiz St. Josef. Arbeiterwohlfahrt (AWO), Deutsches Rotes Kreuz, die Johanniter-Unfall-Hilfe, das THW, der Malteser Hilfsdienst und die DLRG unterhalten in Friedrichshafen Vertretungen. Kultur und Sehenswürdigkeiten. Ferienstraßen. Friedrichshafen liegt an der Hauptroute der Oberschwäbischen Barockstraße. Die grenzüberschreitende Grüne Straße/Route Verte, die in den Vogesen in Contrexéville beginnt und bei Breisach den Rhein überschreitet, führt in der Nordroute über Friedrichshafen und endet in Lindau. Promenade, Wanderwege und Pfade. Häufig besucht ist vom Hafen aus gesehen westwärts die See- und Uferstraße als Promenade bis zum württembergischen Schloss und ostwärts der Weg durch das Naturschutzgebiet Eriskircher Ried, die Teil des Bodensee-Rundweges sind. Weiter westwärts in den Ortsteilen Manzell und Fischbach führt dieser wegen der Industrieanlagen nicht am Bodenseeufer, sondern an der vielbefahrenen Bundesstraße 31 entlang und erreicht den See erst wieder beim Campingplatz Immenstaad. Der Geschichtspfad Friedrichshafen bietet Informationen zu geschichtlich interessanten Örtlichkeiten und Gebäuden. Auf inzwischen über fünfzig Informationstafeln an Originalstandorten in der Friedrichshafener Innenstadt und den näher gelegenen Stadtteilen werden Blicke „hinter die Fassaden“ gewährt. Eine Ergänzung des Geschichtspfads ist der Maybach-Weg. Die wichtigsten Stationen im Leben des Motoren- und Automobilkonstrukteurs Karl Maybach (* 1879; † 1960 in Friedrichshafen) werden durch ihn aufgegriffen. An zwölf Standorten im Stadtgebiet wird auf installierten Tafeln an sein Leben und seine Leistungen erinnert. Der zwölf Kilometer lange Zeppelin-Pfad soll an neun Stationen die Geschichte der Stadt Friedrichshafen im 20. Jahrhundert, in deren Mittelpunkt die Geschichte der Zeppelin-Stiftung steht, erfahrbar machen. Er ergänzt ebenfalls das Angebot des Geschichtspfads. Durch das Stadtgebiet Friedrichshafens verläuft die dritte Etappe des Jubiläumswegs, ein 111 Kilometer langer Wanderweg, der 1998 zum 25-jährigen Bestehen des Bodenseekreises ausgeschildert wurde. Er führt über sechs Etappen durch das Hinterland des Bodensees von Kressbronn über Neukirch, Meckenbeuren, Markdorf, Heiligenberg und Owingen nach Überlingen. Als direkt am See liegende Stadt ist Friedrichshafen auch Station des Bodensee-Radwegs. Zeppelinrundflüge und Schiffsrundfahrten. Von seinem Standort Friedrichshafen aus können Rundflüge mit dem Zeppelin NT über den Bodensee und das Hinterland gestartet werden. Da Friedrichshafen eine zentrale Lage am deutschen Bodenseeufer hat, können von hier aus Schifffahrten mit einem der zahlreichen Passagierschiffe unternommen werden. Museen. Das Dornier-Museum zeigt die Geschichte der Luft- und Raumfahrttechnik der Firma Dornier auf. Das direkt neben dem Flughafen Friedrichshafen in einem 25.000 Quadratmeter großen Landschaftspark erbaute Museum wurde im Juli 2009 eröffnet. Es ist einem Flugzeughangar nachempfunden und zeigt mit mehr als 400 Exponaten 100 Jahre Luft- und Raumfahrtgeschichte. Zu sehen sind unter anderem von Claude Dornier entworfene Flugzeuge wie die Dornier Do 27, der Senkrechtstarter Dornier Do 31 oder ein Nachbau des Dornier Merkur. Darüber hinaus können auch Originalteile eines Spacelabs besichtigt werden. In der „Museumsbox“ wird die Geschichte des Unternehmens Dornier anhand von Filmen und Videos präsentiert. Das Feuerwehrmuseum in Ettenkirch-Waltenweiler mit Ausstellungsstücken aus der Geschichte der Feuerwehr ist ab 2002 von ehrenamtlichen Helfern eingerichtet worden. Das 1930 erbaute Museumsgebäude diente der Ettenkircher Freiwilligen Feuerwehr bis 1977 als Feuerwehrhaus und stand danach bis zur Museumseröffnung im Jahr 2005 leer. Das Schulmuseum Friedrichshafen wurde gegründet von Erich H. Müller-Gaebele, Professor an der Pädagogischen Hochschule Weingarten und Norbert Steinhauser, Rektor der Pestalozzischule, im Stadtteil Schnetzenhausen. Es war das erste Museum Baden-Württembergs, das schulgeschichtliche Sammlungen zeigte. 1989 wurde es auf Beschluss des Gemeinderates in die „Villa von Riss“ verlegt, um mehr Ausstellungsfläche zu Verfügung zu haben. Jeder Ausstellungsraum schildert einen Typ von Schule: Die Klosterschule, Schulräume aus den Jahren 1800, 1850, 1900 und 1930. Das Thema Schule im Nationalsozialismus bildet einen besonderen Schwerpunkt. Die Vorstellung verschiedener Schultypen sowie ein Raum zum Thema „Schulstrafen“ ergänzen die umfangreiche Sammlung. Das Zeppelin-Museum befindet sich im Gebäude des ehemaligen Hafenbahnhofes und zeigt die Zeppelingeschichte und ihre wesentlichen Auswirkungen auf die Entwicklung der Stadt Friedrichshafen. Geboten wird u. a. ein begehbares Segment aus dem Fahrgastraum eines Zeppelins mit Passagierzimmer und Schlafkabinen. Im zweiten Stockwerk des Gebäudes können unter dem Motto „Technik und Kunst“ Bilder von Otto Dix und anderen Künstlern betrachtet werden. Das Bodensee-Museum war ein Museum für die Geschichte und Naturkunde des Bodenseeraumes, das von 1869 an vom Verein für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung aufgebaut wurde und 1912 seine endgültige Aufstellung im ehemaligen „Kreuzlinger Hof“ (Ecke Karlstraße-Schanzstraße) fand. 1927 ging es in die Trägerschaft der Stadt Friedrichshafen über; es verbrannte beim Luftangriff am 28. April 1944. Das „Städtische Bodensee-Museum Friedrichshafen“ (1957) und das „Zeppelin-Museum“ (1996) knüpfen an die Tradition des ehemaligen Bodensee-Museums an. Gedenkstätten. Auf dem Städtischen Hauptfriedhof befindet sich der sogenannte „Russenfriedhof“. Dort wird auf einem Gedenkstein an 450 Frauen und Männer erinnert, die als KZ-Häftlinge bei NS-Zwangsarbeit in den Flugzeug- und Luftschiffwerken Dornier ihr Leben ließen. Eine Gedenktafel an der Hafenseite des Zeppelinmuseums erinnert an die Tausende sogenannter „Schweizer Kinder“, die 1946/1947 „von großherzigen Menschen“ in die Schweiz eingeladen wurden. Musik. Die Musikszene Friedrichshafens ist durch neun Musikvereine und einige Orchester und dadurch durch viele verschiedene Stilrichtungen geprägt. Neben Folklore und Jazz spielt vor allem auch die Blasmusik eine große Rolle. Der Seehasen-Fanfarenzug wurde 1956 anlässlich des Seehasenfestes von Erich Deisel, Lehrer am Graf-Zeppelin-Gymnasium, gegründet. Damals bestand der Verein aus vier Trommlern und zwei Fanfarenbläsern. Im Jahr 1959 wurden die ersten typischen gelb-roten Kostüme, die an den Charakter der spanischen Epoche erinnern, getragen. 1972 nahm der Fanfarenzug an der Deutschen Meisterschaft der Fanfarenzüge teil und belegte den achten Platz. Bis zum 50-jährigen Jubiläum 2006 veranstaltete er viele Konzerte im Ausland und errang einige Preise bei deutschlandweiten Wettbewerben. Der jährliche Höhepunkt ist immer noch das „Seehasenfest“. 1965 traten einige Mitglieder des Seehasen-Fanfarenzuges aus und gründeten den Fanfarenzug Graf Zeppelin (bis 1967 Seegockel-Fanfarenzug). Die Fusion beider Fanfarenzüge wurde 1976 verhindert. 1992 unternahm der Fanfarenzug Graf Zeppelin auf Einladung des Moskauer Konservatoriums eine Russland-Reise. Er nahm auch bei der Victory-Peace-Parade auf dem Roten Platz teil. Weitere Reisen sowie das „Seehasenfest“ prägten die Entwicklung des Fanfarenzuges. Der seit 1999 existierende Verein jazzport Friedrichshafen e. V. hat das Ziel, ein Forum für Jazzbegeisterte zu schaffen und Konzerte zu veranstalten. Seine Band, das New Jazzport Orchestra (NJPO), besteht vor allem aus Musikschullehrern und -schülern. Die Konzerte finden überwiegend im Flughafenrestaurant statt. Die Musikschule Friedrichshafen wurde 1953 als städtische Bildungseinrichtung gegründet. Im Jahr 2003 zog sie in das neu erbaute Gebäude nahe dem Graf-Zeppelin-Gymnasium um. Angeboten wird neben der musikalischen Früherziehung und Grundbildung die gängigen Instrumente als Einzel- oder Gruppenunterricht, sowie verschiedene Ensembles und Orchester, die wichtigsten hierbei sind das Symphonische Jugendblasorchester, das Folklore-Ensemble, das Jugend-Sinfonieorchester und die Bigband, die auch regelmäßig außerhalb der Region Konzerte geben. Am Wettbewerb Jugend musiziert nehmen viele der Schüler teil. Kunst im öffentlichen Raum (Auswahl). Vor dem Rathaus befindet sich der von Gernot Rumpf mit grotesken Skulpturen gestaltete Buchhornbrunnen, der unter anderem an die Umbenennung von Buchhorn in Friedrichshafen im Jahr 1811 erinnert. Regelmäßige Veranstaltungen. Das Kulturbüro Friedrichshafen bietet mit knapp 300 kulturellen Veranstaltungen pro Jahr für eine Stadt dieser Größe ein umfangreiches Kulturprogramm. Hauptspielstätten sind das Graf-Zeppelin-Haus, der Kiesel im k42, der Bahnhof Fischbach sowie das Zeltfestival "Kulturufer". Die Veranstaltungen haben jedes Jahr insgesamt etwa 60.000 Besucher, davon knapp 5.000 im Abonnement. Friedrichshafen hat eine Reihe von Stadt- und Heimatfesten, die jährlich veranstaltet werden. Seit 1985 findet jeweils zu Beginn der Sommerferien das "Kulturufer" statt, ein zehntägiges Zeltfestival in den Uferanlagen direkt am Bodensee. Bekannte und weniger bekannte Künstler und Gruppen aus der ganzen Welt treten in den Zelten und an der Uferpromenade auf. Die Darbietungen reichen von Musikveranstaltungen über Kabarett, Schauspiel und Tanz bis hin zu Lesungen, Akrobatik und Straßentheater. Auch für Kinder gibt es ein tägliches Theaterangebot im Zelt. Die Aktionswiese bietet darüber hinaus ein Programm für Kinder, die "Molke" ein spezielles Angebot für Jugendliche an. Das "Kulturufer" wird veranstaltet vom Kulturbüro und dem Amt für Familie, Jugend und Soziales. Die "Schwäbische Zeitung" bietet außerdem eine „Zeitungswerkstatt“ für Kinder und Jugendliche an, die so mit selbst erstellten Berichten in die Welt des Journalismus hineinschnuppern können. Im Durchschnitt zieht das "Kulturufer" etwa 70.000 Besucher an den See. Eines der bekanntesten und ältesten Feste in Friedrichshafen ist das "Seehasenfest", ein Kinder- und Heimatfest, das seit der Nachkriegszeit stattfindet. Ebenfalls in den Uferanlagen wird seit 1997 in den Sommerferien das "Kulinarische Stadtfest" abgehalten. Verschiedene Gastronomieunternehmen der Umgebung bieten Köstlichkeiten verschiedener Nationalitäten an. Abends wird das internationale Flair durch ein musikalisches Rahmenprogramm abgerundet. Friedrichshafen gehört zum Mundartbereich des Bodenseealemannisch. Die "Fasnet in Friedrichshafen" wird nach schwäbisch-alemannischer Tradition gefeiert. Die ältesten Belege eines solchen Ereignisses in der Stadt Buchhorn stammen aus dem Jahr 1569. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die "Fasnet" wiederbelebt. Damals entstand die älteste Maske, die "Buchhorn-Hexe". Drei Jahre später folgte der populäre "Seegockel", beides Figuren der gleichnamigen Narrenzunft. Der Ablauf in Friedrichshafen konzentriert sich auf die Zeit vom "Gumpigen Donnerstag", an dem Schul- und Rathaussturm stattfinden, bis zum traditionellen „Kehraus“ am Fasnetsdienstag um 24 Uhr. Höhepunkte sind der „Bürgerball“ im Graf-Zeppelin-Haus und der Umzug. Das internationale Theaterfestival „Theatertage am See“ findet seit 1993 an Bodenseeschule St. Martin statt. Binnen weniger Jahre wurde das Festival über Europas Grenzen hinaus ein begehrter Treffpunkt der Amateurtheaterszene. Das jährlich stattfindende Veranstaltung genießt weltweit hohes Ansehen und ist eine der größten, alljährlich stattfindenden Veranstaltungen der Theaterpädagogik in Europa. Das Bodenseefestival, das internationale Stadtfest und der Christkindlesmarkt sind weitere Ereignisse in der Stadt. „Kulturhaus Caserne“. Das Kulturhaus Caserne befindet sich im westlichen Teil der Stadt, im Fallenbrunnen. Der Name "Caserne" verweist auf die ursprüngliche Nutzung der Gebäude. Die Räumlichkeiten waren in den Jahren 1937 bis 1943 als Flakkaserne erbaut worden. Die Friedrichshafener Kulturszene wird zu einem Teil von dem 2002 gegründeten Culturverein Caserne e.V. bestimmt, bzw. von dessen Arbeit und seinem Angebot. Der Verein wird durch seine Mitglieder und die Stadtverwaltung finanziert. Im "T"heater Atrium finden außer Theater- und Kabarett- auch verschiedene Musikveranstaltungen statt. Zu einem wesentlichen Bestandteil des Culturvereins wurde die englischsprachige Amateurtheatergruppe Bodensee Players e.V., die großteils aus Muttersprachlern besteht. Das studio17, ein Kino mit 88 Sitzplätzen, zeigt, ob in den eigenen Räumlichkeiten oder open air, vor allem alternative Kinofilme. In dem ehemaligen Mannschaftskasino der französischen Garnison befindet sich ein Restaurant. Ende 1996 wurde der Club Metropol als Disko und Konzerthalle eingerichtet. Schon drei Jahre wurde dieser aufgrund des starken Zuspruchs großzügig umgebaut und erweitert.1997 wurde die groove box eingerichtet, in der vornehmlich House und Jazz gespielt wird. Graf-Zeppelin-Haus. Das Graf-Zeppelin-Haus (kurz: GZH) ist das Kultur- und Kongresszentrum der Stadt Friedrichshafen. Auf einer Bürgerversammlung 1964 wurde zum ersten Mal die Idee öffentlich, ein derartiges Gebäude zu errichten. Für ein solches Vorhaben erschien das freie Grundstück an der westlichen Uferpromenade direkt neben dem Yachthafen als idealer Standort. Nach langjährigen Überlegungen beschloss der Gemeinderat im Oktober 1978, den Planungsauftrag zu erteilen, um das Haus im Oktober 1985 zu eröffnen. Das Stuttgarter Architektenteam Breuning/Büchin erstellte ein zur Landschaft passendes Gebäude mit niedrigen Fassaden, die zum großen Teil aus Glas bestehen. Die Aufgaben des Hauses kann man grob in zwei Kategorien unterteilen: Einerseits dient es als kulturelles Bürger-Zentrum für die Bewohner der Region, andererseits, in Ergänzung zur Messe, als Kongress- und Tagungszentrum für Verbände, Firmen und Institutionen. Der „Hugo-Eckener-Saal“ bietet auf einer Fläche von (samt Erweiterung und Empore) 1300 m² bis zu 1300 Plätze. Dort finden auch die bedeutenderen kulturellen Veranstaltungen (Konzerte, Theateraufführungen etc.) statt. Das GZH beherbergt darüber hinaus acht kleinere Säle und Tagungsräume sowie zwei Restaurants, ein Café und eine Tiefgarage. Kulturzentrum K42. Seit 2006 gibt es das K42 (nach der Adresse Karlstraße 42), im ehemaligen Gebäude der "Kreissparkasse Friedrichshafen" (KSK) direkt am Hafen gelegen. Hier entstand 1973 nach Abbruch des historischen Salzstadels 1967 ein Bankgebäudeneubau. Durch den Zusammenschluss verschiedener Sparkassen im Bodenseebereich bedurfte es jedoch eines größeren Verwaltungsgebäudes. Nach dem Auszug der KSK im Jahre 2002 stand der ehemalige Bank- und Verwaltungsbau leer. Im Jahr 2004 beschloss der Gemeinderat, das Gebäude nach den Plänen einer Projektgruppe in ein kombiniertes Geschäfts- und Medienhaus umzuwandeln. Nach einem Teilabschluss der Baumaßnahmen eröffnete darin am 2. November 2006 eine große Buchhandlung. Im vorderen Teil des Gebäudes befindet sich seit Jahresbeginn 2007 ein Café-Restaurant; im mittleren Gebäudeteil eröffnete am 1. März 2007 ein Textilkaufhaus, seit dem darauf folgenden Tag steht auch die Stadtbücherei – nun als „Medienhaus am See“ – an diesem Ort für den Publikumsverkehr offen. Ein architektonisches Unikum ist der ebenfalls im März 2007 eröffnete Veranstaltungsraum Kiesel, der rund 100 Zuschauern Platz bietet. Auf der Studio-Bühne wird von Beginn modernes Programm geboten. Schwerpunkte sind Schauspiel, Kinder- und Jugendtheater (inkl. eines theaterpädagogischen Angebots) sowie Lesungen. Es werden aber auch Konzerte gespielt sowie Hörspiele und Filme präsentiert; außerdem gibt es im Kiesel Figurentheater für Erwachsene, Tanz- und Video-Performances. Für sein Kiesel-Programm im Bereich Kinder- und Jugendtheater wurde das Kulturbüro 2009 mit dem „Veranstalterpreis der Assitej“ ausgezeichnet. Filmtage. Seit 2009 veranstaltet das Kulturbüro Friedrichshafen jährlich ein mehrtägiges Filmfestival, das den Titel „Jetzt oder nie“ trägt. Es werden Kurzfilme (u. a. Experimentalfilme und Animationsfilme) und Dokumentarfilme – gelegentlich auch Filme mit Deutschlandpremiere – gezeigt, die von jungen Regisseuren aus dem deutschsprachigen Raum in den vorangegangenen zwei Jahren erstellt wurden. Das Filmfest ist besonders für junge Filmemacher attraktiv. 2018 wurden mehr als 300 Filme zur Sichtung eingereicht. Alle Filme werden in dem etwa 100 Sitze umfassenden Kinosaal des Medienhaus Kiesel gezeigt. Im direkten Anschluss stehen oftmals die einzelnen Filmemacher für Publikumsgespräche zur Verfügung. 2019 finden die Filmtage vom 22. bis zum 25. Februar 2019 statt. Sport. Der VfB Friedrichshafen nimmt erfolgreich am Spielgeschehen der Volleyball-Bundesliga und der Champions League teil. 1969 gegründet, stieg der VfB 1981 erstmals in die erste Bundesliga auf. Nach dem dritten Aufstieg 1987 (seither durchgehend in der ersten Bundesliga) wurde er 13-mal DVV-Pokalsieger und 13-mal Deutscher Meister, achtmal konnte sich der VfB das Double sichern (Stand 2016). Am 1. April 2007 schrieb der VfB europäische Volleyballgeschichte: als erste deutsche Volleyballmannschaft konnte der VfB Friedrichshafen die Champions League gewinnen – und damit sicherte er sich das historische Triple (erster Verein in ganz Europa) aus Pokal, Meisterschaft und Champions League. Die Volleyball-Heimspiele wurden von 2003 bis 2020 in der ZF-Arena ausgetragen. Nach deren Schließung aufgrund Einsturzgefahr finden sie in der Saison 2020/2021 in der Zeppelin Cat Halle A1 der Messe Friedrichshafen statt. 2011 gründeten zwei Studenten der Zeppelin Universität das erste Lacrosseteam in Friedrichshafen. Seitdem ist das Team in der Bundesliga Süd etabliert. Es besteht aus Schülern, Arbeitstätigen und Studenten. Es gibt sowohl ein Herren- als auch ein Damenteam. Gespielt wird die Sportart auf dem Gelände des VfB Friedrichshafen. Zuständig ist der Hochschulsportverein der Zeppelin Universität. Die 1953 gegründete Badmintonabteilung des VfB spielte in der Spielzeit 2010/2011 in der Regionalliga. 2006/2007 war die erste Mannschaft als Meister der zweiten Bundesliga Süd in die erste Bundesliga aufgestiegen. Der Württembergische Yacht-Club Friedrichshafen e. V. (WYC) ist ein weiterer Sportverein der Stadt. Er wurde 1911 von König Wilhelm II. gegründet, noch im selben Jahr wurde mit dem Bau des Yachthafens begonnen. Es wurde auch die Geschichte des WYC und ihrer Regatta, der Bodenseewoche, durch die beiden Weltkriege mit beeinflusst. Erst 1951 wurde der Regattabetrieb wieder aufgenommen. Sportliche Höhepunkte bilden die internationalen Erfolge einiger Clubmitglieder: 1976 wurden die Brüder Jörg und Eckart Diesch Olympiasieger im Flying Dutchman vor Kingston (Kanada), 1978 ersegelten Albert und Rudolf Batzill die Weltmeisterschaft im Flying Dutchman vor Hayling Island. Nach 20-jähriger Planung wurde 1992 der neue Yachthafen erbaut und eingeweiht. Der Club zählte 1999 über 1000 Mitglieder. Die erste Mannschaft der Fußballabteilung des VfB Friedrichshafen spielt aktuell in der Landesliga. 2009/2010 gab sie ein „Gastspiel“ in der Verbandsliga, stieg aber sofort wieder ab. Während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 war Friedrichshafen Mannschaftsquartier der iranischen Nationalmannschaft (auch die Niederlande, Norwegen, die Schweiz, Tschechien, Japan, die Slowakei und Russland hatten Interesse gezeigt). Das Team wählte das Ringhotel „Krone“ in Schnetzenhausen als Mannschaftsquartier, trainiert wurde im VfB-Stadion im Norden der Stadt. In Friedrichshafen unterrichtet der ehemalige Karate-Bundestrainer Toni Dietl. Er erbaute eines der größten Karate-Dōjō in Deutschlands im Sportpark Friedrichshafen. Mit über 1000 Schülern hat er auch eine der größten Karate-Schulen in Deutschland. Er entwickelte das Samurai-Kids-Unterrichtssystem, sowie den Junior-Dan und das Sound-Karate-System. Friedrichshafen war in den Jahren 2002 und 2005 jeweils Zielort der fünften und Startort der sechsten Etappe der damaligen Deutschland Tour. Friedrichshafen beherbergt sechs Radsportvereine: „RRMV Friedrichshafen“ für Kunstradfahren, „RV Immergrün“ aus Ailingen für Radball, „RSV Seerose“, ADFC Sektion Friedrichshafen, Radfreunde Friedrichshafen und den Freundeskreis Uphill (Organisator deutsche Meisterschaft 2011 und 2012, ferner Betreiber und Projektleiter des Stoppomat). Die aktiven Mitglieder des Schwimmvereins Friedrichshafen 1932 e.V. trainieren regelmäßig neben der DLRG Ortsgruppe Friedrichshafen im Friedrichshafener Hallenbad. Erfolge konnten sie sowohl auf regionaler Ebene als auch bei internationalen Wettkämpfen verzeichnen. Der VfB Friedrichshafen führt neben seinen Hauptsparten Fußball und Volleyball auch aufgrund der Nähe zu den Alpen auch eine Ski- und Bergsportabteilung. Die TSG Ailingen deckt neben Fußball, Beachvolleyball auch Skisport und Turnen ab. Persönlichkeiten. Ehrenbürger. Die Stadt Friedrichshafen bzw. die früheren Gemeinden haben folgenden Personen das Ehrenbürgerrecht verliehen: Die Ehrenbürgerschaft Adolf Hitlers wurde erst im November 2013 aberkannt.
1601
1010950
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1601
Fichten
Die Fichten ("Picea") bilden die einzige Gattung der Unterfamilie Piceoideae innerhalb der Pflanzenfamilie der Kieferngewächse (Pinaceae). Die einzige in Mitteleuropa heimische Art ist die Gemeine Fichte ("Picea abies"), die wegen ihrer schuppigen, rotbraunen Rinde in manchen Regionen auch als „Rottanne“ bezeichnet wird. Beschreibung und Ökologie. Erscheinungsbild und Merkmale. "Picea"-Arten sind immergrüne und einstämmige Bäume. Sie erreichen in der Regel Wuchshöhen von etwa 30 bis 50 Metern, in Ausnahmefällen über 80 Metern, wie etwa "Picea sitchensis". Die Baumkrone ist kegelförmig bis walzlich. Der Stammdurchmesser beträgt bis zu 1 Metern, maximal bis 2,5 Metern; bei einzelnen Arten treten Extremwerte von bis zu 4 Metern auf. Ein strauchförmiger Wuchs kommt nur unter besonderen Standortsbedingungen oder bei Mutanten vor. Für alle "Picea"-Arten charakteristisch ist eine monopodiale, akroton (an den oberen bzw. äußeren Knospen) geförderte Verzweigung. Dies führt zu einem etagenartigen Kronenaufbau und einer spitzwipfeligen Krone. Die Seitensprosse erster Ordnung stehen in Astquirlen in scheinquirliger Anordnung und bilden so einzelne „Stockwerke“. Fichten können mehrere hundert Jahre alt werden, so erreicht beispielsweise die Gemeine Fichte (Picea abies) ein Lebensalter von bis zu 300 Jahren. Mit zunehmendem Alter tritt vermehrt proventive Triebbildung auf: An älteren Zweigen treiben schlafende Knospen aus. Bei älteren Bäumen können diese einen wesentlichen Teil der Zweige und Nadelmasse der Krone aufbauen. Kronenform und Sprosssystem variieren je nach Umweltbedingungen und sind zum Teil auch genetisch bedingt. Beim Verzweigungstyp unterscheidet man mehrere Formen: Jungfichten weisen meist eine plattige Verzweigung auf. Die Kammform stellt sich meist erst ab 30 Jahren ein. Schmalkronigkeit, wie sie bei den sogenannten „Spitzfichten“ auftritt, kann wie bei "Picea omorika" artspezifisch, also genetisch fixiert sein. Sie kann aber auch bei spezifischen Ökotypen oder Mutanten („Spindelfichten“) auftreten. Meistens ist sie jedoch eine Standortmodifikation („Walzenfichten“) unter hochmontan-subalpinen oder boreal-subarktischen Klimabedingungen. Diese Modifikation tritt auch bei der in Mitteleuropa heimischen Gemeinen Fichte ("Picea abies") auf. Sämlinge besitzen meist vier bis neun (bis zu 15) Keimblätter (Kotyledonen). Zweige und Knospen. Junge Zweige besitzen feine Furchen. Diese befinden sich zwischen erhabenen Rücken, die durch die Abfolge der „Blattpolster“ (Pulvini) gebildet werden. Diese Blattpolster werden entweder als Achsenprotuberanzen oder als Blattgrund gedeutet. Sie enden nach oben in einem stielähnlichen Fortsatz. Dieser Fortsatz („Nadelstielchen“) ist rindenfarbig und steht vom Zweig ab, wodurch dieser raspelartig aussieht. Dem Nadelstielchen sitzt die eigentliche Nadel auf. Diese beiden Merkmale – Furchen und abstehende Nadelstielchen – sind für die Gattung "Picea" spezifisch. Knospen sind vielfach ei- bis kegelförmig. Sie sind je nach Art mehr oder weniger stark verharzt. Die Knospenmerkmale sind für die jeweilige Art charakteristisch. Blütenknospen und die in den basalen Teilen auftretenden Proventivknospen weichen jedoch oft von diesen artcharakteristischen Merkmalen ab. Nadeln. "Picea"-Arten besitzen die für Koniferen typischen immergrünen, nadelförmigen Blätter, die in der Regel einen recht xeromorphen Bau aufweisen. Die Nadeln sind vom rindenfarbenen „Nadelstielchen“ (Blattkissen) durch eine Trennschicht abgegrenzt. Hier löst sich die Nadel nach dem Absterben ab: Die Nadel schrumpft an der Kontaktfläche aufgrund von Wasserverlust, das verholzte Blattkissen hingegen nicht. Im Normalfall bleiben die Nadeln sechs bis 13 Jahre auf den Zweigen, bei Stress fallen sie eher ab. Die Morphologie und Anatomie der Nadeln sind wesentliche Merkmale für die Unterscheidung der einzelnen Fichtenarten: Nadelquerschnitt, Mesophyllstruktur, Anordnung der Spaltöffnungen (Stomata) und der Harzkanäle. Die Nadeln der einzelnen Arten entsprechen in der Regel einem von folgenden zwei Typen: Bei den Seitenzweigen der "Picea"-Arten sind die Oberseiten der Nadeln jedoch nach unten gerichtet, sodass die weißen Streifen scheinbar auf den Nadelunterseiten stehen. Die Nadeln sind meist 1 bis 2 Zentimeter lang und spitz oder zugespitzt, bei manchen Arten sogar scharf und stechend (zum Beispiel "Picea pungens"). Die Nadeln sind an den Zweigen spiralig angeordnet. Dennoch gibt es artspezifische Unterschiede, wie die Nadeln an den horizontal wachsenden (plagiotropen) Seitenzweigen angeordnet sind: Sie können ringsum vom Zweig abstehen wie etwa bei "Picea asperata" und "Picea pungens", oder an der Zweigunterseite streng ("Picea glehnii") oder schwach ("Picea schrenkiana") gescheitelt sein. Blüten, Zapfen und Samen. "Picea"-Arten sind einhäusig getrenntgeschlechtig (monözisch), das heißt, es gibt weibliche und männliche Blütenorgane getrennt voneinander an einem Baum. Nur ausnahmsweise kommen auch zweigeschlechtige Blüten bzw. Blütenstände vor. Die Blütenstände werden an vorjährigen Seitensprossen gebildet. Blühreife tritt im Alter von 10 bis 40 Jahren ein. Die Blütezeit findet im Zeitraum April bis Juni statt. Die männlichen Blüten stehen einzeln, sind länglich-eiförmig und 1 bis 2 Zentimeter lang. Anfangs sind sie purpurn bis rosa, zur Reife gelb. Der Pollen hat zwei Luftsäcke. Die Bestäubung erfolgt durch den Wind (Anemophilie). Die weiblichen Blütenzapfen entstehen meist aus endständigen Knospen. Sie sind zunächst aufrecht, krümmen sich jedoch nach der Befruchtung nach unten. Unreife Zapfen sind grün, rot bis dunkelblau und schwarzviolett gefärbt. Bei manchen Arten gibt es sogar einen Farbdimorphismus, der mit einem Selektionsvorteil rot/purpurn gefärbter Zapfen in alpinen/borealen Gebieten erklärt wird. Die Zapfen reifen zwischen August und Dezember und sind dann meist braun, eiförmig bis zylindrisch. Der Samen fällt zwischen August und Winter, teilweise erst im nächsten Frühjahr aus, wird also durch den Wind verbreitet. Danach werden die Zapfen als Ganzes abgeworfen. Die Zapfen sind 2 bis 20 Zentimeter lang. Die Deckschuppen sind immer kürzer als die Samenschuppen und deshalb am Zapfen nicht sichtbar. Die Samen sind mit einer Länge von 3 bis 6 Millimetern relativ klein. Fertile Samen sind dunkelbraun bis schwarz, unfruchtbare Samen sind heller. Ihre Flügel sind hell, gelb- oder rosa-braun und etwa 6 bis 15 Millimeter lang. Verbreitung und Standortbedingungen. Die Gattung "Picea" ist holarktisch verbreitet. Nur in Mexiko und auf Taiwan reicht ihr Verbreitungsgebiet bis zum nördlichen Wendekreis. Verschiedene "Picea"-Arten sind bestandsbildend in der borealen Nadelwaldzone und in der Nadelwaldstufe vieler Gebirge in den klimatisch temperaten, submeridionalen und meridionalen Teilen Eurasiens und Nordamerikas. In Nordamerika kommen etwa sieben Arten vor; eine Art ist dort ein Neophyt. Viele der asiatischen Arten sind in den Gebirgen der submeridionalen und meridionalen Zonen vertreten. Hier finden sich etliche Endemiten mit eng umrissenen Arealen. In China und Zentralasien kommen mehrere Arten in den kontinentalen Gebirgen im östlichen Tibet sowie Turkestan vor. Sie bilden ein pflanzengeographisches Bindeglied zur Sibirischen Fichte ("Picea obovata"), deren Areal von Ostsibirien und der Mongolei bis westlich des Urals reicht. Westlich davon schließt die in Europa heimische Gemeine Fichte an. Die Parallelarten zur "Picea obovata" in Nordamerika sind "Picea glauca" und "Picea mariana", die ebenfalls einen breiten Waldgürtel in der borealen Zone bilden. In den Rocky Mountains sind einige kontinental verbreitete Arten heimisch, etwa "Picea engelmannii" und "Picea chihuahuana", die bis Mexiko reicht. Ozeanisch verbreitete Arten gibt es in Nordamerika nur zwei ("Picea breweriana" und "Picea rubens"). "Picea"-Arten sind generell anspruchslos bei der Nährstoffversorgung. Die ozeanisch verbreiteten Arten brauchen aber feuchte und zugleich gut durchlüftete Böden. Staunässe wird von "Picea"-Arten nicht vertragen. 2008 wurde unter einer heute als Old Tjikko bekannten Fichte in der Provinz Dalarna in Schweden Wurzelholz gefunden, das auf ein Alter von 9.550 Jahre datiert wurde und genetisch identisch mit dem darüber wachsenden Baum sein soll. Nutzung. Fichten zählen auf der Nordhalbkugel zu den wichtigsten forstwirtschaftlich genutzten Baumarten. Nur in Resten werden noch Naturwälder genutzt, meist sind es bewirtschaftete oder künstlich geschaffene Reinbestände. In Mitteleuropa ist die Gemeine Fichte "der" Brotbaum der Forstwirtschaft. Ausschlaggebend sind hier wie auch bei den anderen Arten der gerade Wuchs, das rasche Wachstum, die geringen Ansprüche an den Standort und die gute Verwendbarkeit des Holzes. Die Fichte liebt jedoch eher kühle Lagen, wie z. B. die Bergregionen. Durch die flache Wurzel ist sie zudem anfällig für Trockenschäden. Dadurch werden die Bestände im Mittelland mit der vermutlich zunehmenden Klimaerwärmung zurückgehen und müssen künftig durch andere Baumarten ersetzt werden. Zum Anwendungsspektrum gehört vor allem die Verwendung zur Papier- und Zellstoffherstellung, als Bau- und Möbelholz für den Innenbereich sowie die Nutzung als Brennholz. Als Schnittholz wird Fichtenholz in der Regel gemeinsam mit Tannenholz als Mischsortiment Fichte/Tanne gehandelt und verwendet. Dabei wird Fichtenholz in Form von Rundholz, Schnittholz wie Brettern und Brettschichthölzern und als Furnierholz verarbeitet. Zugleich ist es das wichtigste Holz für die Herstellung von Holzwerkstoffen wie Sperrholz, Leimholz, Span- und Faserplatten. Als Spezialanwendung finden gleichmäßig gewachsene Stämme aus dem Hochgebirge Verwendung als Klangholz speziell für den Resonanzboden bei Tasteninstrumenten oder als Resonanzdecke bei Zupf- und Streichinstrumenten. Einige wichtige Schutzfunktion haben die Fichtenwälder in vielen Hochgebirgen und Steillagen, da sie als Schutzwälder die besiedelten Täler vor Lawinen und Steinschlägen schützen. Einige Arten werden auch als Ziergehölze in Parks und Gärten gepflanzt bzw. als Weihnachtsbäume verwendet. Namensherkunft. Das Wort wurde von den Römern im Sinne von ‚harzhaltiges Holz: Fichte‘ verwendet (Vergil, "Aeneis." 6,180), aber auch, wenn die Gemeine Kiefer gemeint war (Plinius der Ältere, "Naturalis historia" 16,40ff.). Es ist eine Substantivierung des Adjektivs , das zu , Genitiv , gehört, ‚Pech‘, ‚Harz‘. Dieses wird auf die indogermanische Wurzel "*pik-" ‚Pech‘, ‚Harz‘ zurückgeführt. Dieser Wurzel nahe steht die Wurzel "*pit-" ‚Fichte‘. Beide Wurzeln werden meist mit den indogermanischen Wörtern für ‚Fett‘, ‚Saft‘, ‚Trank‘ in Verbindung gebracht. Es ist jedoch auch eine Verbindung mit "*(s)pik-, *(s)pit-" ‚spitz‘, ‚stechend‘ denkbar. Evolution und Systematik. Sowohl fossile als auch molekularbiologische Daten weisen darauf hin, dass die Gattung "Picea" in Nordamerika entstand. Die ältesten Fossilien (Pollen) stammen aus dem Paläozän Montanas (USA). Aus dem Eozän sind viele Zapfenfossilien bekannt, allerdings ebenfalls nur aus Nordamerika. Die frühesten Fossilien Asiens stammen aus dem Oligozän, Europas aus dem Pliozän. Über die Bering-Route dürfte die Gattung in ein oder zwei Wellen nach Asien und von da weiter nach Europa gelangt sein. Der Ursprung der Gattung dürfte in der späten Kreide oder im frühen Tertiär liegen. Die Gattung "Picea" bilden alleine die Unterfamilie Piceoideae. Die Monophylie der Gattung wurde bislang nie in Zweifel gezogen. Die nächsten Verwandten innerhalb der Familie sind die Gattungen "Cathaya" und "Pinus". Die Systematik innerhalb der Gattung wird klassischerweise primär auf der Basis von Zapfenmerkmalen, sekundär von Nadelmerkmalen aufgestellt. Eine weitgehend anerkannte Systematik stammt von Schmidt 1989, die der hier angeführten Systematik in der Fassung von Schmidt 2004 zugrunde liegt. Auch Farjon 1990 folgt dieser Gliederung, wenngleich er die Taxa unterhalb der Gattung eine Stufe niedriger ansetzt. Arbeiten (Ran et al. 2006) auf molekularbiologischer Basis stellen diese auf morphologischer Grundlage entwickelte Systematik berechtigt in Zweifel. Allerdings gibt es noch keine neuen Vorschläge für eine phylogenetische Systematik. Nach der Systematik von Schmidt 2004 gibt es 35 Arten. Andere Autoren geben 28 bis 56 Arten an:
1602
1347043
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1602
Fusion
Fusion (von lateinisch "fusio" „Schmelze, Guss“) oder Verschmelzung steht für: Technik: Musik: Siehe auch:
1605
3652568
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1605
Franz Kafka
Franz Kafka (tschechisch gelegentlich "František Kafka", jüdischer Name: ; geboren 3. Juli 1883 in Prag, Österreich-Ungarn; gestorben 3. Juni 1924 in Kierling, Österreich) war ein deutschsprachiger Schriftsteller. Sein Hauptwerk bilden neben drei Romanfragmenten ("Der Process", "Das Schloss" und "Der Verschollene") zahlreiche Erzählungen. Kafkas Werke wurden zum größeren Teil erst nach seinem Tod und gegen seine letztwillige Verfügung von Max Brod veröffentlicht, einem engen Freund und Vertrauten, den Kafka als Nachlassverwalter bestimmt hatte. Kafkas Werke werden zum Kanon der Weltliteratur gezählt. Seine Art der Schilderung von ungewöhnlichen Situationen wird gelegentlich mit dem eigens gebildeten Adjektiv „kafkaesk“ beschrieben. Leben. Herkunft. Franz Kafkas Eltern Hermann Kafka und Julie Kafka, geborene Löwy (1856–1934), entstammten bürgerlichen jüdischen Kaufmannsfamilien. Der Familienname leitet sich vom Namen der Dohle, tschechisch , polnisch ab. Der Vater kam aus dem Dorf Wosek in Südböhmen, wo er in einfachen Verhältnissen aufwuchs. Er musste als Kind die Waren seines Vaters, des Schächters Jakob Kafka (1814–1889), in umliegende Dörfer ausliefern. Später arbeitete er als reisender Vertreter, dann als selbstständiger Grossist mit Galanteriewaren in Prag. Julie Kafka gehörte einer wohlhabenden Familie aus Podiebrad an, verfügte über eine umfassendere Bildung als ihr Mann und hatte Mitspracherecht in dessen Geschäft, in dem sie täglich bis zu zwölf Stunden arbeitete. Neben den Brüdern Georg und Heinrich, die bereits als Kleinkinder verstarben, hatte Franz Kafka drei Schwestern, die später deportiert wurden, vermutlich in Konzentrationslager oder Ghettos, wo sich ihre Spuren verlieren: Gabriele, genannt Elli (1889–1942?), Valerie, genannt Valli (1890–1942?), und Ottilie „Ottla“ Kafka (1892–1943). Da die Eltern tagsüber abwesend waren, wurden alle Geschwister im Wesentlichen von wechselndem, ausschließlich weiblichem Dienstpersonal aufgezogen. Kafka gehörte zur Minderheit der Bevölkerung Prags, deren Muttersprache Deutsch war. Außerdem beherrschte er wie seine Eltern Tschechisch. Als Kafka geboren wurde, war Prag Teil des Habsburger Reiches in Böhmen, wo zahlreiche Nationalitäten, Sprachen und politische und soziale Strömungen sich mischten und recht und schlecht nebeneinander bestanden. Für Kafka, einen gebürtigen Böhmen deutscher Sprache, in Wirklichkeit weder Tscheche noch Deutscher, war es nicht leicht, eine kulturelle Identität zu finden. Sein Verhältnis zu seiner Heimatstadt beschreibt er so: „Prag lässt nicht los. […] Dieses Mütterchen hat Krallen.“ Während sich Kafka in Briefen, Tagebüchern und Prosatexten umfangreich mit seinem Verhältnis zum Vater auseinandersetzte, stand die Beziehung zu seiner Mutter eher im Hintergrund. Allerdings gibt es gerade aus der mütterlichen Linie eine große Anzahl von Verwandten, die sich in Kafkas Figuren wiederfinden, zu nennen sind hier Junggesellen, Sonderlinge, Talmudkundige und explizit der Landarzt Onkel Siegfried Löwy, der Vorbild für die Erzählung "Ein Landarzt" war. Kindheit, Jugend und Ausbildung. Von 1889 bis 1893 besuchte Kafka die "Deutsche Knabenschule" am Fleischmarkt in Prag. Anschließend ging er, entsprechend dem väterlichen Wunsch, auf das ebenfalls deutschsprachige humanistische Staatsgymnasium in der Prager Altstadt, Palais Goltz-Kinsky, das sich im selben Gebäude wie das Galanteriegeschäft der Eltern befand. Zu seinen Freunden in der Oberschulzeit gehörten Rudolf Illowý, Hugo Bergmann, Ewald Felix Příbram, in dessen Vaters Versicherung er später arbeiten sollte, Paul Kisch sowie Oskar Pollak, mit dem er bis in die Universitätszeit befreundet blieb. Kafka galt als Vorzugsschüler. Dennoch war seine Schulzeit von großen Versagensängsten überschattet. Väterliche Drohungen, Warnungen der Hausangestellten, die ihn betreuten, und extrem überfüllte Klassen lösten bei ihm offensichtlich massive von Angst geprägte Verunsicherung aus. Schon als Schüler beschäftigte sich Kafka mit Literatur. Seine frühen Versuche sind jedoch verschollen, vermutlich hat er sie vernichtet, ebenso wie die frühen Tagebücher. 1899 wandte sich der sechzehnjährige Kafka dem Sozialismus zu. Obwohl sein Freund und politischer Mentor Rudolf Illowy wegen sozialistischer Umtriebe von der Schule verwiesen worden war, blieb Kafka seiner Überzeugung treu und trug die rote Nelke am Knopfloch. Nach Ablegen der Reifeprüfung (Matura) im Jahre 1901 mit „befriedigend“ verließ der 18-Jährige zum ersten Mal in seinem Leben Böhmen und reiste mit seinem Onkel Siegfried Löwy nach Norderney und Helgoland. Sein Universitätsstudium, von 1901 bis 1906 an der Deutschen Universität Prag, begann Kafka zunächst mit Chemie; nach kurzer Zeit wechselte er in die juristische Richtung; danach probierte er es mit einem Semester Germanistik und Kunstgeschichte. Im Sommersemester 1902 hörte Kafka Anton Martys Vorlesung über "Grundfragen der deskriptiven Psychologie". Dann erwog er sogar 1903 die Fortsetzung des Studiums in München, um schließlich doch beim Studium der Rechte zu bleiben. Programmgemäß schloss er dieses nach fünf Jahren mit der Promotion ab, worauf ein obligatorisches einjähriges unbezahltes Rechtspraktikum am Landes- und Strafgericht folgte. Kafkas intensivste Freizeitbeschäftigung war von Kind an bis in die späteren Jahre das Schwimmen. In Prag waren längs des Moldauufers zahlreiche sogenannte Schwimmschulen entstanden, die Kafka häufig aufsuchte. Im Tagebucheintrag vom 2. August 1914 schreibt er: „Deutschland hat Rußland den Krieg erklärt – Nachmittag Schwimmschule.“ Berufsleben. Nach einer knapp einjährigen Anstellung bei der privaten Versicherungsgesellschaft „Assicurazioni Generali“ (Oktober 1907 bis Juli 1908) arbeitete Kafka von 1908 bis 1922 in der halbstaatlichen „Arbeiter-Unfallversicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen in Prag“. Seinen Dienst bezeichnete er oft als „Brotberuf“. Kafkas Tätigkeit bedingte genaue Kenntnisse der industriellen Produktion und Technik. Der 25-Jährige machte Vorschläge zu Unfallverhütungsvorschriften. Außerhalb seines Dienstes solidarisierte er sich politisch mit der Arbeiterschaft; auf Demonstrationen, denen er als Passant beiwohnte, trug er weiterhin eine rote Nelke im Knopfloch. Anfangs arbeitete er in der Unfallabteilung, später wurde er in die versicherungstechnische Abteilung versetzt. Zu seinen Aufgaben zählte das Schreiben von Gebrauchsanleitungen und Technikdokumentationen. Seit 1910 gehörte Kafka als Konzipist zur Betriebsabteilung, nachdem er sich durch den Besuch von Vorlesungen über „Mechanische Technologie“ an der Technischen Hochschule in Prag auf diese Position vorbereitet hatte. Kafka stellte Bescheide aus und bereitete diese vor, wenn es alle fünf Jahre galt, versicherte Betriebe in Gefahrenklassen einzuteilen. Von 1908 bis 1916 wurde er immer wieder zu kurzen Dienstreisen nach Nordböhmen geschickt; häufig war er in der Bezirkshauptmannschaft Reichenberg. Dort besichtigte er Unternehmen, referierte vor Unternehmern und nahm Gerichtstermine wahr. Als „Versicherungsschriftsteller“ verfasste er Beiträge für die jährlich erscheinenden Rechenschaftsberichte. In Anerkennung seiner Leistungen wurde Kafka viermal befördert, 1910 zum Konzipisten, 1913 zum Vizesekretär, 1920 zum Sekretär, 1922 zum Obersekretär. Zu seinem Arbeitsleben vermerkt Kafka in einem Brief: „Über die Arbeit klage ich nicht so, wie über die Faulheit der sumpfigen Zeit“. Der „Druck“ der Bürostunden, das Starren auf die Uhr, der „alle Wirkung“ zugeschrieben wird, und die letzte Arbeitsminute als „Sprungbrett der Lustigkeit“ – so sah Kafka den Dienst. An Milena Jesenská schrieb er: „Mein Dienst ist lächerlich und kläglich leicht […] ich weiß nicht wofür ich das Geld bekomme.“ Als bedrückend empfand Kafka auch sein (von der Familie erwartetes) Engagement in den elterlichen Geschäften, zu denen 1911 die Asbestfabrik des Schwagers hinzugekommen war, die nie recht florieren wollte und die Kafka zu ignorieren suchte, obwohl er sich zu ihrem stillen Teilhaber hatte machen lassen. Kafkas ruhiger und persönlicher Umgang mit den Arbeitern hob sich vom herablassenden Chefgebaren seines Vaters ab. Der Erste Weltkrieg brachte neue Erfahrungen, als Tausende von ostjüdischen Flüchtlingen nach Prag gelangten. Im Rahmen der „Kriegerfürsorge“ kümmerte sich Kafka um die Rehabilitation und berufliche Umschulung von Schwerverwundeten. Dazu war er von seiner Versicherungsanstalt verpflichtet worden; zuvor hatte ihn diese allerdings als „unersetzliche Fachkraft“ reklamiert und damit (gegen Kafkas Intervention) vor der Front geschützt, nachdem er 1915 erstmals als militärisch „voll verwendungsfähig“ eingestuft worden war. Die Kehrseite dieser Wertschätzung erlebte Kafka zwei Jahre später, als er an Lungentuberkulose erkrankte und um Pensionierung bat: Die Anstalt sperrte sich und gab ihn erst nach fünf Jahren am 1. Juli 1922 endgültig frei. Vaterbeziehung. Das konfliktreiche Verhältnis zu seinem Vater gehört zu den zentralen und prägenden Motiven in Kafkas Werk. Selbst feinfühlig, zurückhaltend, ja scheu und nachdenklich, beschreibt Franz Kafka seinen Vater, der sich aus armen Verhältnissen hochgearbeitet und es kraft eigener Anstrengung zu etwas gebracht hatte, als durch und durch lebenstüchtige und zupackende, aber eben auch grobe, polternde, selbstgerechte und despotische Kaufmannsnatur. Regelmäßig beklagt Hermann Kafka in heftigen Tiraden seine eigene karge Jugend und die gut versorgte Existenz seiner Nachfahren und Angestellten, die er allein unter Mühen sicherstellt. Die aus gebildeten Verhältnissen stammende Mutter hätte einen Gegenpol zu ihrem grobschlächtigen Mann bilden können, aber sie tolerierte dessen Werte und Urteile. Im "Brief an den Vater" wirft Kafka diesem vor, eine tyrannische Macht beansprucht zu haben: „Du kannst ein Kind nur so behandeln, wie Du eben selbst geschaffen bist, mit Kraft, Lärm und Jähzorn und in diesem Fall schien Dir das auch noch überdies deshalb sehr gut geeignet, weil Du einen kräftigen mutigen Jungen in mir aufziehen wolltest.“ In Kafkas Erzählungen werden die Vaterfiguren nicht selten als mächtig und auch als ungerecht dargestellt. Die kleine Erzählung "Elf Söhne" aus dem Landarzt-Band zeigt einen mit all seinen Nachkommen auf unterschiedliche Weise tief unzufriedenen Vater. In der Novelle "Die Verwandlung" wird der zu einem Ungeziefer verwandelte Gregor von seinem Vater mit Äpfeln beworfen und dabei tödlich verletzt. In der Kurzgeschichte "Das Urteil" verurteilt der im Verhältnis stark und furchterregend wirkende Vater den Sohn Georg Bendemann zum „Tode des Ertrinkens“ – dieser vollzieht das in heftigen Worten Vorgebrachte in vorauseilendem Gehorsam an sich selbst, indem er von einer Brücke springt. Freundschaften. Kafka hatte in Prag einen konstanten Kreis etwa gleichaltriger Freunde, der sich während der ersten Universitätsjahre bildete (Prager Kreis). Neben Max Brod waren dies der spätere Philosoph Felix Weltsch und die angehenden Schriftsteller Oskar Baum und Franz Werfel. Max Brods Freundschaft war für Kafka sein ganzes Erwachsenenleben von großer Bedeutung. Brod glaubte unabänderlich an Kafkas literarisches Genie und hat ihn immer wieder zum Schreiben und Publizieren ermuntert und gedrängt. Er förderte seinen Freund, indem er die erste Buchpublikation beim jungen Leipziger Rowohlt Verlag vermittelte. Als Kafkas Nachlassverwalter verhinderte Brod gegen dessen Willen die Verbrennung seiner Romanfragmente. Zu dem Rowohlt-Verleger Kurt Wolff entstand ein über Jahre andauerndes freundschaftliches Verhältnis. Obwohl Kafkas kleine Werke ("Betrachtung, Ein Landarzt, Der Heizer") kein literarischer Erfolg für den Verlag waren, glaubte Kurt Wolff an Kafkas besonderes Talent und regte ihn immer wieder an, ja insistierte hartnäckig, ihm Stücke zur Veröffentlichung zu überlassen. Unter den Freunden Kafkas findet sich auch Jizchak Löwy, ein Schauspieler aus einer chassidischen Warschauer Familie, der Kafka durch seine Kompromisslosigkeit beeindruckte, mit der er seine künstlerischen Interessen gegen die Erwartungen seiner orthodox-religiösen Eltern durchsetzte. Löwy erscheint als Erzähler in Kafkas Fragment "Vom jüdischen Theater" und wird auch im "Brief an den Vater" erwähnt. Die engste familiäre Beziehung hatte Kafka zu seiner jüngsten Schwester Ottla. Sie war es, die dem Bruder beistand, als er schwer erkrankte und dringend Hilfe und Erholung brauchte. Beziehungen. Kafka hatte ein zwiespältiges Verhältnis zu Frauen. Einerseits fühlte er sich von ihnen angezogen, andererseits floh er vor ihnen. Auf jeden seiner Eroberungsschritte folgte eine Abwehrreaktion. Kafkas Briefe und Tagebucheintragungen vermitteln den Eindruck, sein Liebesleben habe sich im Wesentlichen als postalisches Konstrukt vollzogen. Seine Produktion an Liebesbriefen steigerte sich auf bis zu drei täglich an Felice Bauer. Dass er bis zuletzt unverheiratet blieb, trug ihm die Bezeichnung „Junggeselle der Weltliteratur“ ein. Als Ursachen für Kafkas Bindungsangst vermutet man in der Literatur neben seiner mönchischen Arbeitsweise (er stand unter dem Zwang, allein und bindungslos zu sein, um schreiben zu können) auch Impotenz (Louis Begley) und Homosexualität (Saul Friedländer), wofür sich jedoch kaum Belege finden. Dass Kafka den Frauen gefiel, sei heute kein Geheimnis mehr, schrieb der Literaturkritiker Volker Hage 2014 in einer "Spiegel"-Titelgeschichte über Kafka (Heft 40/2014): „Sexuelle Erfahrungen machte er reichlich, nicht nur mit käuflicher Liebe.“ Außerdem: „Anders als ein überholtes Kafka-Bild es will, war er kein lebensabgewandter Mensch.“ An anderer Stelle schreibt Hage: „Die reale Sexualität mit ihren schwer zu kontrollierenden Kräften und inneren Konflikten machte ihm offensichtlich zu schaffen, durchaus im Rahmen einer für sensible Menschen nicht ungewöhnlichen Spannung, frei von pathologischen Zügen. Kafka hat in seinen Tagebüchern und Reiseaufzeichnungen bemerkenswert unbefangen über die körperliche Seite der Liebe gesprochen.“ Kafkas erste Liebe war die 1888 in Wien geborene, fünf Jahre jüngere Abiturientin Hedwig Therese Weiler. Kafka lernte sie im Sommer 1907 in Triesch bei Iglau (Mähren) kennen, wo die beiden ihre Ferien bei Verwandten verbrachten. Obschon die Urlaubsbekanntschaft einen Briefwechsel nach sich zog, blieben weitere Begegnungen aus. Felice Bauer, die aus kleinbürgerlichen jüdischen Verhältnissen stammte, und Kafka trafen einander erstmals am 13. August 1912 in der Wohnung seines Freundes Max Brod. Sie war bei der Carl Lindström AG beschäftigt, die u. a. Grammophone und sogenannte Parlographen herstellte, und stieg dort von der Stenotypistin zur leitenden Angestellten auf. Eine Schilderung dieser ersten Begegnung zwischen Franz und Felice gibt Reiner Stach: Die Briefe an Felice umkreisen vor allem eine Frage: Heiraten oder sich in selbstgewählter Askese dem Schreiben widmen? Nach insgesamt rund dreihundert Schreiben und sechs kurzen Begegnungen kam es im Juni 1914 zur offiziellen Verlobung in Berlin – doch schon sechs Wochen darauf zur Entlobung. Diese war das Ergebnis einer folgenschweren Aussprache am 12. Juli 1914 im Berliner Hotel „Askanischer Hof“ zwischen ihm und Felice in Anwesenheit von Felices Schwester Erna und Grete Bloch. Bei dieser Zusammenkunft wurde Kafka mit brieflichen Äußerungen konfrontiert, die er gegenüber Grete Bloch gemacht hatte und die ihn als Heiratsunwilligen bloßstellten. In seinen Tagebüchern spricht Kafka vom „Gerichtshof im Hotel“. Er lieferte Reiner Stach zufolge die entscheidenden Bilder und Szenen für den Roman "Der Process". Es folgte jedoch ein zweites Eheversprechen während eines gemeinsamen Aufenthalts in Marienbad im Juli 1916, bei dem beide eine engere und beglückende intime Beziehung eingingen. Aber auch dieses Verlöbnis wurde – nach dem Ausbruch von Kafkas Tuberkulose (Sommer 1917) – wieder gelöst. Nach dem endgültigen Bruch mit Felice verlobte sich Kafka 1919 erneut, diesmal mit Julie Wohryzek, der Tochter eines Prager Schusters. Er hatte sie während eines Kur-Aufenthalts in der Pension Stüdl im 30 Kilometer von Prag entfernten Dorf Schelesen (Želízy) kennengelernt. In einem Brief an Max Brod beschrieb er sie als „eine gewöhnliche und eine erstaunliche Erscheinung. […] Besitzerin einer unerschöpflichen und unaufhaltbaren Menge der frechsten Jargonausdrücke, im ganzen sehr unwissend, mehr lustig als traurig“. Auch dieses Eheversprechen blieb unerfüllt. Im Laufe des ersten, gemeinsam verbrachten Nachkriegssommers wurde ein Hochzeitstermin festgelegt, jedoch wegen der Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche in Prag verschoben. Im folgenden Jahr trennten sich die beiden. Ein Grund mag die Bekanntschaft zu Milena Jesenská gewesen sein, der ersten Übersetzerin seiner Texte ins Tschechische. Die aus Prag stammende Journalistin war eine lebhafte, selbstbewusste, moderne, emanzipierte Frau von 24 Jahren. Sie lebte in Wien und befand sich in einer auseinandergehenden Ehe mit dem Prager Schriftsteller Ernst Polak. Nach ersten Briefkontakten, die während Kafkas Meraner Aufenthalts im Frühjahr 1920 besonders intensiv waren, kam es zu einem Besuch Kafkas in Wien. Voller Begeisterung berichtete der Zurückgekehrte seinem Freund Brod von der viertägigen Begegnung, aus der sich eine Beziehung mit einigen Begegnungen und vor allem einem umfangreichen Briefwechsel entwickelte. Doch wie schon bei Felice Bauer wiederholte sich auch bei Milena Jesenská das alte Muster: auf Annäherung und eingebildete Zusammengehörigkeit folgten Zweifel und Rückzug. Kafka beendete schließlich die Beziehung im November 1920, woraufhin auch der Briefwechsel abrupt abbrach. Der freundschaftliche Kontakt zwischen den beiden riss allerdings bis zu Kafkas Tod nicht ab. Im Inflationsjahr 1923 schließlich lernte Kafka im Ostseeheilbad Graal-Müritz Dora Diamant kennen. Im September 1923 zogen Kafka und Diamant nach Berlin und schmiedeten Heiratspläne, die zunächst am Widerstand von Diamants Vater und schließlich an Kafkas Gesundheitszustand scheiterten. Nachdem er sich im April 1924 schwerkrank in ein kleines privates Sanatorium im Dorf Kierling bei Klosterneuburg zurückgezogen hatte, wurde er dort von der mittellosen Dora Diamant, die auf materielle Unterstützung aus dem Familien- und Bekanntenkreis Kafkas angewiesen war, bis zu seinem Tod am 3. Juni 1924 gepflegt. Das Urteil. In der Nacht vom 22. zum 23. September 1912 gelang es Kafka, die Erzählung "Das Urteil" in nur acht Stunden in einem Zuge zu Papier zu bringen. Nach späterer literaturwissenschaftlicher Ansicht hat Kafka hier mit einem Schlag thematisch und stilistisch zu sich selbst gefunden. Kafka war elektrisiert durch den noch nie so intensiv erlebten Akt des Schreibens („Nur so kann geschrieben werden, nur in einem solchen Zusammenhang, mit solcher vollständigen Öffnung des Leibes und der Seele.“). Auch die unverminderte Wirkung der Geschichte nach wiederholtem (eigenem) Vorlesen – nicht nur auf die Zuhörer, sondern auch auf ihn selbst – bestärkte in ihm das Bewusstsein, Schriftsteller zu sein. "Das Urteil" leitete Kafkas erste längere Kreativphase ein; die zweite folgte rund zwei Jahre später. In der Zwischenzeit litt Kafka volle eineinhalb Jahre, wie später auch, unter einer Periode der literarischen Dürre. Allein schon deshalb blieb für ihn eine Existenz als „bürgerlicher Schriftsteller“, der mit seinem Schaffen sich und dazu noch eine eigene Familie ernähren kann, zeitlebens in unerreichbarer Ferne. Seine beruflichen Verpflichtungen können als Schreibhindernisse nicht allein der Grund gewesen sein, hatte Kafka seine kreativen Hochphasen oft gerade in Zeiten äußerer Krisen bzw. Verschlechterungen der allgemeinen Lebensverhältnisse (etwa im zweiten Halbjahr von 1914 durch den Kriegsausbruch). Überdies wusste Kafka mit seiner Strategie des „Manöver-Lebens“ – was hieß: vormittags Bürostunden, nachmittags Schlafen, nachts Schreiben – seinen Freiraum auch zu verteidigen. Einer anderen gängigen These zufolge war Kafkas Leben und Schreiben nach der Entstehung des "Urteils" dadurch gekennzeichnet, dass er dem gewöhnlichen Leben entsagte, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Für diese stilisierte Opferung des Lebens liefert er selbst in den Tagebüchern und Briefen reichlich Material. Anders als beim "Urteil" war allerdings das spätere Schreiben für ihn häufig quälend und stockend; dies gibt folgende Tagebuchaufzeichnung wieder: Judentum und Palästina-Frage. Durch Kafkas Bekanntenkreis und vornehmlich durch Max Brods Engagement für den Zionismus wurde die Kafka-Forschung häufig mit der Frage nach dem Verhältnis des Schriftstellers zum Judentum und mit den Kontroversen über die Assimilation der westlichen Juden konfrontiert. Im "Brief an den Vater" beklagt sich Kafka einerseits in einer längeren Passage über das „Nichts an Judentum“, das ihm in seiner Jugend eingetrichtert wurde, gibt aber gleichzeitig seiner Bewunderung für den jiddischen Schauspieler Jizchak Löwy Ausdruck. Seine Sympathie für die ostjüdische Kultur ist mehrfach dokumentiert. Laut Egon Erwin Kisch fand Kafka in den Volkserzählungen der Chassidim, „vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben, eine gewisse Harmonie“. Als Schriftsteller belegte er alles „explizit Jüdische […] mit einem Tabu: der Begriff kommt in seinem literarischen Werk nicht vor“. Gleichwohl interpretiert sein Biograph Reiner Stach die Lufthunde in Kafkas Parabel "Forschungen eines Hundes" als das jüdische Volk in der Diaspora. Ein bezeichnendes Bild auf seine brüchige religiöse und individuelle Selbsteinschätzung zeigt ein Tagebucheintrag vom 8. Januar 1914: „Was habe ich mit Juden gemeinsam? Ich habe kaum etwas mit mir gemeinsam und sollte mich ganz still, zufrieden damit dass ich atmen kann in einen Winkel stellen“. Zeitweise war Kafka entschlossen, nach Palästina auszuwandern, und lernte intensiv Hebräisch. Sein sich verschlechternder Gesundheitszustand hinderte ihn an der 1923 ernsthaft geplanten Übersiedlung. Reiner Stach resümiert: „Palästina blieb ein Traum, den sein Körper schließlich zunichte machte.“ Krankheit und Tod. Im August 1917 erlitt Franz Kafka einen nächtlichen Blutsturz. Es wurde eine Lungentuberkulose festgestellt; eine Erkrankung, die zur damaligen Zeit nicht heilbar war. Die Symptome besserten sich zunächst wieder, doch im Herbst 1918 erkrankte er an der Spanischen Grippe, die eine mehrwöchige Lungenentzündung nach sich zog. Danach verschlechterte sich Kafkas Gesundheitszustand von Jahr zu Jahr, trotz zahlreicher langer Kuraufenthalte, u. a. in Schelesen (heute Tschechien), Tatranské Matliare (heute Slowakei), Riva del Garda (Trentino im Sanatorium Dr. von Hartungen), Meran (1920) und Graal-Müritz (1923). Während seines Aufenthaltes in Berlin 1923/24 griff die Tuberkulose auch auf den Kehlkopf über, Kafka verlor allmählich sein Sprechvermögen und konnte nur noch unter Schmerzen Nahrung und Flüssigkeit zu sich nehmen. Während eines Aufenthalts im Sanatorium Wienerwald im April 1924 wurde von Dr. Hugo Kraus, einem Familienfreund und Leiter der Lungenheilanstalt, definitiv Kehlkopftuberkulose diagnostiziert. Infolge der fortschreitenden Auszehrung konnten die Symptome nur noch gelindert werden; ein operativer Eingriff war wegen des schlechten Allgemeinzustands nicht mehr möglich. Franz Kafka reiste ab und starb am 3. Juni 1924 im Sanatorium Hoffmann in Kierling bei Klosterneuburg im Alter von 40 Jahren. Als offizielle Todesursache wurde Herzversagen festgestellt. Begraben wurde er auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Prag-Žižkov. Der schlanke kubistische Grabstein von Franz Kafka und seinen Eltern mit Inschriften in hebräischer Sprache befindet sich rechts vom Eingang, etwa 200 Meter vom Pförtnerhaus entfernt. An der dem Grab gegenüber liegenden Friedhofswand erinnert eine Gedenktafel in tschechischer Sprache an Max Brod. Zur Frage der Nationalität. Kafka verbrachte den Hauptteil seines Lebens in Prag, das bis zum Ende des Ersten Weltkrieges im Jahr 1918 zum Vielvölkerstaat der k.u.k. Monarchie Österreich-Ungarn gehörte und dann Hauptstadt der neu gegründeten Tschechoslowakei wurde. Der Schriftsteller selbst bezeichnete sich in einem Brief als deutschen Muttersprachler („Deutsch ist meine Muttersprache, aber das Tschechische geht mir zu Herzen“). Die deutschsprachige Bevölkerung in Prag, die etwa sieben Prozent ausmachte, lebte in einer „inselhaften Abgeschlossenheit“ mit ihrer auch als „Pragerdeutsch“ bezeichneten Sprache. Diese Isoliertheit meinte Kafka auch, wenn er im selben Brief schrieb: „Ich habe niemals unter deutschem Volk gelebt.“ Zudem gehörte er der jüdischen Minderheit an. Schon in der Schule gab es heftige Auseinandersetzungen zwischen tschechisch- und deutschsprachigen Pragern. Das politische Deutsche Reich blieb für Kafka – etwa während des Ersten Weltkriegs – weit entfernt und fand keinen Niederschlag in seinem Werk. Auch Belege für die Selbstsicht einer österreichischen Nationalität lassen sich nicht finden. Ebenso wenig hatte Kafka einen Bezug zur 1918 gegründeten Tschechoslowakei. Im Unterschied zu seinen deutschböhmischen Vorgesetzten behielt Kafka aufgrund seiner Kenntnis der tschechischen Sprache und seiner politischen Zurückhaltung nach 1918 seine Stellung in der Arbeiter-Versicherungs-Anstalt und wurde sogar befördert. Im amtlichen Schriftverkehr in tschechischer Sprache verwendete er seitdem auch die tschechische Namensform "František Kafka", soweit er den Vornamen nicht, wie meist, abkürzte. Das Milieu, in dem Kafka aufwuchs, jenes der assimilierten Westjuden, war betont kaisertreu, weswegen Patriotismus unhinterfragt akzeptiert wurde. Kafka nahm selbst an einer patriotischen Veranstaltung zu Beginn des Ersten Weltkrieges teil und kommentierte diese: „Es war herrlich“. Dabei bezog er sich auf „die Größe des patriotischen Massenerlebnisses“, „die ihn überwältigt habe“. In dieses Bild passt auch, dass er erhebliche Summen an Kriegsanleihen zeichnete. Nach dem Zusammenbruch der Habsburger Monarchie verstärkten sich die vorher schon kaum verhüllten antideutschen und antisemitischen Ressentiments in der Prager Mehrheitsbevölkerung, und auch Kafka nahm diese wahr und zum Anlass, eigene Migrationspläne zu konkretisieren, ohne dadurch jedoch den zionistischen Ideologen aus seiner Umgebung (z. B. Max Brod) näherzukommen: „Die ganzen Nachmittage bin ich jetzt auf den Gassen und bade im Judenhass. Prašivé plemeno [räudige Brut] habe ich jetzt einmal die Juden nennen hören. Ist es nicht das Selbstverständliche, dass man von dort weggeht, wo man so gehasst wird (Zionismus oder Volksgefühl ist dafür gar nicht nötig)?“ Mutmaßungen über Kafkas sexuelle Orientierungen. Eine Aussage Kafkas aus seinen Tagebüchern lautet: „Der Coitus als Bestrafung des Glückes des Beisammenseins. Möglichst asketisch leben, asketischer als ein Junggeselle, das ist die einzige Möglichkeit für mich, die Ehe zu ertragen. Aber sie?“ Sexuelle Begegnungen mit seinen Freundinnen Felice Bauer und Milena Jesenka scheinen für ihn beängstigend gewesen zu sein. Andererseits sind Kafkas Besuche in Bordellen bekannt. Gleichzeitig war Kafka ein Mann mit vielfältigen platonischen Beziehungen zu Frauen in Gesprächen und Briefen, insbesondere bei seinen Kuraufenthalten. In Tagebüchern, Briefen und in seinen Werken werden Frauen häufig als unvorteilhaft beschrieben. Zu nennen ist hier seine ungewöhnliche Sicht auf das Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Die Frauen sind stark, körperlich überlegen, zum Teil gewalttätig. Im "Verschollenen" erscheinen das Dienstmädchen, das Karl Rossmann regelrecht vergewaltigt, oder die Fabrikantentochter Klara, die ihm einen ungleichen Kampf aufzwingt, oder die monströse Sängerin Brunelda, zu deren Dienst er gezwungen wird. Die Frauen im "Schloss" sind überwiegend stark und grobschlächtig (mit Ausnahme der zarten, aber eigenwilligen Frieda). Männliche Figuren aber werden mehrfach als schön oder reizend beschrieben. Karl Rossmann, "der Verschollene", der schöne Knabe, oder im "Schloss" der schöne, fast androgyne Bote Barnabas und der reizende Junge Hans Brunswick, der K. helfen will. Homoerotische Ansätze In Tagebucheinträgen Kafkas werden seine Freundschaften zu Oskar Pollak, Franz Werfel und Robert Klopstock thematisiert mit schwärmerischen, homoerotischen Anklängen. In seinem Werk treten homoerotische Anspielungen unverhüllt deutlich hervor. Bereits in einer seiner frühen größeren Erzählungen "Beschreibung eines Kampfes", als der Erzähler und ein Bekannter auf einem Hügel ein phantastisches Gespräch über ihre gegenseitige Beziehung und sich daraus ergebende Verwundungen führen. Karl Rossmann im "Verschollenen" entwickelt zu dem Heizer, den er eben auf dem Schiff kennengelernt hat, eine kaum verständliche Anhänglichkeit. Der Heizer hatte ihn in sein Bett eingeladen. Beim Abschied zweifelt er, dass sein Onkel ihm jemals diesen Heizer würde ersetzen können. Im "Schloss" dringt K. ins Zimmer des Beamten Bürgel vor. In seiner Ermüdung legt er sich zum Beamten ins Bett, wird auch von diesem willkommen geheißen. Während seines Schlafes träumt er von einem Sekretär als nacktem Gott. Sadomasochistische Phantasien In einem Brief an Milena Jesenska im November 1920 schreibt er: „Ja das Foltern ist mir äußerst wichtig, ich beschäftige mich mit nichts anderem als mit Gefoltert-werden und Foltern.“ Im Tagebuch vom 4. Mai 1913 notiert er: Bereits in der "Verwandlung" erscheint ein sadomasochistisches Moment. Der riesige Käfer kämpft um das Bild einer Frau mit Pelz, die an die Novelle "Venus im Pelz" von Sacher-Masoch denken lässt. In der "Strafkolonie" ist das Foltern mit Hilfe eines „eigentümlichen Apparates“ das Hauptthema. Dabei kommt es zu einer Verschiebung zwischen Opfer (nackter Verurteilter) und Täter (Offizier). Der Offizier glaubt zunächst an die kathartische Wirkung der Folterung durch die ausgefeilte Maschine, die er dem Reisenden vorführt. In seiner Ergriffenheit umarmt der Offizier den Reisenden und legt seinen Kopf auf dessen Schulter. Aber der Reisende ist von dieser Art Rechtsprechung durch Folter in keiner Weise zu überzeugen und bewirkt so einen Urteilsspruch über die Maschine, der der Offizier sich freiwillig unterwirft, indem er sich selbst unter die arbeitende Maschine legt. Aber der Offizier erkennt keine eigene Schuld. Die Prügler-Szene im "Prozess" ist eine ausgesprochene Sado-Maso-Inszenierung. Da sind zwei Wächter, die wegen K. gefehlt haben. Sie sollen nackt von einem halbnackten Prügler in schwarzer Lederkleidung mit einer Rute geprügelt werden. Diese Prozedur dauert offensichtlich über zwei Tage an. Auch die kleinen Erzählungen wie "Der Geier" und "Die Brücke" enthalten quälende, blutrünstige Darstellungen. Einflüsse. Aus der Literatur, Philosophie, Psychologie und Religion. Kafka sah in Grillparzer, Kleist, Flaubert und Dostojewski seine literarischen „Blutsbrüder“. Unverkennbar ist etwa der Einfluss von Dostojewskis Roman "Aufzeichnungen aus dem Kellerloch", der viele Eigenheiten von Kafkas Werk, aber auch zum Beispiel den Gedanken der Verwandlung des Menschen in ein Insekt in der Erzählung "Die Verwandlung" vorwegnimmt. Nabokov zufolge übte Flaubert den größten stilistischen Einfluss auf Kafka aus; wie dieser habe Kafka wohlgefällige Prosa verabscheut, stattdessen habe er die Sprache als Werkzeug benutzt: „Gern entnahm er seine Begriffe dem Wortschatz der Juristen und Naturwissenschaftler und verlieh ihnen eine gewisse ironische Genauigkeit, ein Verfahren, mit dem auch Flaubert eine einzigartige dichterische Wirkung erzielt hatte.“ Als Maturand (Abiturient) beschäftigte sich Kafka intensiv mit Nietzsche. Besonders "Also sprach Zarathustra" scheint ihn gefesselt zu haben. Zu Kierkegaard schreibt Kafka in seinem Tagebuch: „Er bestätigt mich wie ein Freund.“ Sigmund Freuds Theorien zum ödipalen Konflikt und zur Paranoia dürften Kafka zwar zeitbedingt zu Ohren gekommen sein, er scheint sich aber für diese Themen nicht interessiert zu haben. Kafka hat sich durch umfangreiche Lektüre intensiv mit der jüdischen Religion auseinandergesetzt. Besonders interessierten ihn religiöse Sagen, Geschichten und Handlungsanleitungen, die ursprünglich mündlich überliefert wurden. Persönlicher Kontakt bestand zu dem jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber. In enger Beziehung stand Kafka jedoch auch mit der in Prag präsenten Philosophie von Franz Brentano, über dessen Theorien er gemeinsam mit seinen Freunden Max Brod und Felix Weltsch an der Karls-Universität Vorlesungen von Anton Marty und Christian von Ehrenfels hörte. Die von den Brentanisten entwickelte empirische Psychologie prägte mit ihren Fragestellungen die Poetik des jungen Kafka nachhaltig. Aus dem Kino, dem jiddischen Theater und aus Vergnügungseinrichtungen. In einem Brief vom Dezember 1908 äußert Kafka: „[…] wie könnten wir uns sonst am Leben erhalten für den Kinematographen“. Er schreibt 1919 an seine zweite Verlobte Julie Wohryzek, er sei „verliebt in das Kino“. Kafka war aber offensichtlich weniger beeindruckt von Filmhandlungen (entsprechende Äußerungen fehlen in seinen Schriften); vielmehr geben seine Texte selbst eine filmtechnische Sichtweise wieder. Sein Erzählen entwickelt seinen besonderen Charakter durch die Verarbeitung filmischer Bewegungsmuster und Sujets. Es lebt aus den grotesken Bildfolgen und Übertreibungen des frühen Kinos, die literarisch verdichtet hier sprachlich auftreten. Der Film ist in Kafkas Geschichten allgegenwärtig: im Rhythmus des großstädtischen Verkehrs, in Verfolgungsjagden und Doppelgänger-Szenen und in Gebärden der Angst. Diese Elemente sind besonders im Romanfragment "Der Verschollene" zu finden. Auch in den deftigen Vorführungen des jiddischen Theaters aus Lemberg, die Kafka oft besuchte und mit dessen Mitgliedern er befreundet war, waren viele der genannten Elemente enthalten; Kafka hatte hier einen starken Eindruck von Authentizität. Von Kafkas Interesse an jiddischer Sprache und Kultur in Osteuropa zeugen zwei kleine Werke aus dem Nachlass, nämlich "Vom jüdischen Theater" und "Einleitungsvortrag über Jargon". Bis ca. 1912 hat Kafka auch rege am Nachtleben mit Kleinkunstdarbietungen teilgenommen. Hierzu gehörten Besuche in Cabarets, Bordellen, Varietés u. ä. Eine Reihe seiner späten Erzählungen sind in diesem Milieu angesiedelt; siehe "Erstes Leid", "Ein Bericht für eine Akademie", "Ein Hungerkünstler", "Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse". Werke und Einordnung. Franz Kafka kann als Vertreter der literarischen Moderne gesehen werden. Er steht neben Schriftstellern wie Rilke, Joyce oder Döblin. Die Romanfragmente. Wie in einem Albtraum bewegen sich Kafkas Protagonisten durch ein Labyrinth undurchsichtiger Verhältnisse und sind anonymen Mächten ausgeliefert. Die Literaturkritik spricht von einer „Traumlogik“. Die Gerichtsgebäude in "Der Process" bestehen aus einem weit verzweigten Gewirr unübersichtlicher Räume, und auch in "Der Verschollene" (von Brod unter dem Titel "Amerika" veröffentlicht) sind die seltsam unverbundenen Schauplätze – unter anderem ein Schiff, ein Hotel, das „Naturtheater von Oklahoma“ sowie die Wohnung des Onkels von Karl Roßmann, dem Helden – gigantisch und unüberschaubar. Insbesondere bleiben auch die Beziehungen der handelnden Personen ungeklärt. Im "Schloss" erzeugt Kafka Zweifel an der Stellung des Protagonisten K. als „Landvermesser“ und dem Inhalt dieses Begriffes selbst und schafft so Interpretationsspielraum. Nur bruchstückhaft erfährt K. und mit ihm der Leser im Laufe des Romans mehr über die Beamten des Schlosses und ihre Beziehungen zu den Dorfbewohnern. Die allgegenwärtige, aber gleichzeitig unzugängliche, faszinierende und bedrückende Macht des Schlosses über das Dorf und seine Menschen wird dabei immer deutlicher. Trotz all seiner Bemühungen, in dieser Welt heimisch zu werden und seine Situation zu klären, erhält K. keinen Zugang zu den maßgeblichen Stellen in der Schlossverwaltung, wie auch der Angeklagte Josef K. im "Process" niemals auch nur die Anklageschrift zu Gesicht bekommt. Nur im Romanfragment "Der Verschollene" – auch "Das Schloss" und "Der Process" blieben unvollendet –, bleibt die vage Hoffnung, dass Roßmann im fast grenzenlosen, paradiesischen „Naturtheater von Oklahoma“ dauerhaft Geborgenheit finden kann. Die Erzählungen. In vielen Erzählungen Kafkas, z. B. "Der Bau", "Forschungen eines Hundes", "Kleine Fabel" ist das Scheitern und das vergebliche Streben der Figuren das beherrschende Thema, das oft tragisch-ernst, manchmal aber auch mit einer gewissen Komik dargestellt wird. Ein fast durchgängiges Thema ist das verborgene Gesetz, gegen das der jeweilige Protagonist unwillentlich verstößt oder das er nicht erreicht ("Vor dem Gesetz", "In der Strafkolonie", "Der Schlag ans Hoftor", "Zur Frage der Gesetze"). Das Motiv des dem Protagonisten verborgenen Codes, der die Abläufe beherrscht, findet sich in den Romanfragmenten "Process" und "Schloss" und in zahlreichen Erzählungen. In seinem unvergleichlichen Stil, vor allem in seinen Erzählungen, beschreibt Kafka äußerst deutlich und nüchtern die unglaublichsten Sachverhalte. Die kühle minutiöse Beschreibung der scheinbar legalen Grausamkeit "In der Strafkolonie" oder die Verwandlung eines Menschen in ein Tier und umgekehrt, wie in "Die Verwandlung" oder "Ein Bericht für eine Akademie", sind kennzeichnend. Kafka hat zu Lebzeiten drei Sammelbände veröffentlicht. Dies sind "Betrachtung" 1912 mit 18 kleinen Prosaskizzen, "Ein Landarzt" 1918 mit 14 Erzählungen und "Ein Hungerkünstler" 1924 mit vier Prosatexten. Versteckte Themen. Neben den großen Themen Kafkas, also dem Verhältnis zum Vater, undurchdringliche große Bürokratien oder Grausamkeit eines Systems, gibt es in seinen Werken eine Reihe von anderen Motiven, die immer wieder eher unauffällig auftauchen. Zu nennen ist hier das Zurückweichen vor Leistung und Arbeit. Die Beamten des Schlosses in ihrer vielfachen Müdigkeit und Krankheit, die sie sogar veranlasst, ihre Parteien im Bett zu empfangen und am Morgen, die ihnen zugeteilte Arbeit abzuwehren versuchen. Ähnlich dem Anwalt Huld aus dem "Prozess". Die Bergarbeiterschaft in "Ein Besuch im Bergwerk", die den ganzen Tag die Arbeit ruhen lässt, um die Ingenieure zu beobachten. "Das Stadtwappen" erzählt vom Bau eines gigantischen Turmes. Doch er wird nicht begonnen. Es herrscht die Meinung, die Baukunst der Zukunft sei für die tatsächliche Errichtung des Turmes besser geeignet. Spätere Generationen von Bauarbeitern aber erkennen die Sinnlosigkeit des Vorhabens. "Beim Bau der Chinesischen Mauer" ist, wie der Titel sagt, ebenfalls ein großes Bauprojekt das Thema. Doch die Ausführung besteht, zunächst gewollt und vielfach abgewogen, immer in lückenhaften Mauersegmenten. Da niemand das Gesamtprojekt übersieht, bleibt schließlich unerkannt, ob es zu einer realen Schutzfunktion überhaupt fähig wäre. In "Die Prüfung" tritt ein Diener auf, der keine Arbeit hat und sich auch nicht dazu drängt. Andere Diener im Herrenhaus scheinen ebenfalls untätig. Ein Prüfender kommt dazu und bescheinigt, dass das Nichtstun und Nichtwissen genau richtig ist. In "Der große Schwimmer" tritt ein berühmter Schwimmsportler auf, den die großen Feierlichkeiten um seine Person verwirren und der behauptet, gar nicht schwimmen zu können, obwohl er es seit längerem hätte lernen wollen, aber es habe sich keine Gelegenheit dazu gefunden. Humoristische Momente So düster der Roman "Der Prozess" auch ist, gerade hier gibt es kleine humoristische Einlagen. Beim Vorlesen des Romans soll Kafka vielfach laut gelacht haben. Die Richter studieren Pornohefte statt Gesetzestexte, sie lassen sich Frauen wie prächtige Speisen auf einem Tablett herbeitragen, ein Gerichtsraum hat ein Loch im Boden, ab und zu hängt ein Verteidiger so sein Bein in den darunterliegenden Raum. Dann eine Slapstick-Szene, als alte Beamte neu ankommende Advokaten immer wieder die Treppe hinunterwerfen, diese aber immer wieder hinaufsteigen. Zum Teil sind es nur kleine Szenen, wie im "Schloss", als der Landvermesser in winterlicher Nacht seinen Boten trifft, der ihm ein wichtiges Schriftstück des Beamten Klamm überreicht. Als er es lesen will, stehen seine Gehilfen neben ihm und heben und senken in unnützer Weise abwechselnd ihre Lichter über K.s Schulter. Oder wie der Landvermesser die beiden Gehilfen zur Tür hinauswirft, diese aber schnell wieder zum Fenster hereinkommen. Die kleine Erzählung "Blumfeld, ein älterer Junggeselle" beinhaltet Slapstick und Verfolgung. Der ältere Junggeselle wird verfolgt von zwei kleinen weißen Bällen, die nicht abzuschütteln sind. Zwei kleine eifrige Mädchen aus dem Haus wollen sich der beiden Bälle annehmen. Kafkas Erzählstruktur und Wortwahl. Auf den ersten Blick scheint ein Spannungsgegensatz zwischen Thematik und Sprache zu bestehen. Stilistische Entsagung erscheint als Franz Kafkas ästhetisches Prinzip. Die schockierenden Begebenheiten werden in einer schmucklosen, nüchternen Sprache berichtet. Kafkas Stil ist ohne Extravaganzen, Verfremdungen und Kommentare. Sein Ziel ist eine höchstmögliche Steigerung der Wirkung des Textes kraft äußerster Beschränkung der sprachlichen Mittel. Kafka war sehr erfolgreich in seiner Bemühung, einen höchst objektiven Stil zu erreichen. Durch den sachlichen, kühlen Berichtsstil wird das Erstaunliche und Unerklärliche vom Leser als Tatsache hingenommen. Je knapper die Formulierungen ausfallen, desto stärker wird der Leser stimuliert, das Erzählte nachzuvollziehen. Die erzählte Begebenheit wird als dermaßen real suggeriert, dass der Leser gar nicht dazu kommt, über deren (Un-)Möglichkeit nachzudenken. Kafkas Ziel war es, adäquat darzustellen, statt zu verfremden, also Spracharmut zu betreiben. Aus diesem Verhältnis zur Sprache resultiert Kafkas charakteristische Tendenz zu einer Epik ohne einen kommentierenden oder allwissenden Erzähler. Die scheinbare Einfachheit des Kafkaschen Wortgebrauchs ist das Resultat einer strengen Wortwahl, das Ergebnis einer konzentrierten Suche nach dem jeweils eingängigsten und direktesten Ausdruck. Max Brod betonte als Franz Kafkas höchste dichterische Tugend das absolute Bestehen auf der Wahrhaftigkeit des Ausdrucks, das Suchen des einen, völlig richtigen Wortes für eine Sache, diese sublime Werktreue, die sich mit nichts zufriedengab, was auch nur im Geringsten mangelhaft war. Ein weiteres Stilmittel Kafkas ist es, schon im ersten Satz des Werkes die ganze künftige verstörende Problematik konzentriert offenzulegen, wie etwa in "Die Verwandlung", "Der Verschollene" oder "Der Process". Mit seinem Stil und seinen befremdlichen Inhalten formt Kafka nicht einfach ein Lebensgefühl nach, sondern schafft eine eigene Welt mit eigenen Gesetzen, deren Unvergleichlichkeit nicht zuletzt der Begriff des „Kafkaesken“ zu umschreiben versucht. Interpretation. Das Deutungsinteresse der Interpreten nach 1945 liegt vielleicht daran, dass seine Texte offen und hermetisch zugleich sind: Einerseits sind sie durch Sprache, Handlung, Bildhaftigkeit und relativ geringen Umfang leicht zugänglich; andererseits ist jedoch ihre Tiefe kaum auszuloten. Albert Camus meinte: „Es ist das Schicksal und vielleicht auch die Größe dieses Werks, daß es alle Möglichkeiten darbietet und keine bestätigt.“ Theodor W. Adorno meint zu Kafkas Werk: „Jeder Satz spricht: deute mich, und keiner will es dulden.“ Abgesehen von der textimmanenten Kritik weisen unterschiedliche Interpretationen von Kafkas Werk u. a. in folgende Richtungen: "psychologisch" (wie bei entsprechenden Deutungen von "Hamlet", "Faust" oder "Stiller"), "philosophisch" (vor allem zur Schule des Existenzialismus), "biographisch" (z. B. durch Elias Canetti in "Der andere Prozess"), "religiös" (ein dominierender Aspekt der frühen Kafka-Rezeption, der heute eher als fragwürdig angesehen wird, u. a. von Milan Kundera) und "soziologisch" (d. h. den gesellschaftskritischen Gehalt untersuchend). Eine wichtige Frage der Interpretation der Werke Kafkas ist die nach dem Einfluss der jüdischen Religion und Kultur auf das Werk, die schon von Gershom Scholem dahingehend beantwortet wurde, dass Kafka eher der jüdischen als der deutschen Literaturgeschichte zuzuordnen sei. Dieser Deutungshinweis wurde auf breiter Front von Karl E. Grözinger in seiner Publikation "Kafka und die Kabbala. Das Jüdische im Werk und Denken von Franz Kafka." Berlin/Wien 2003 aufgenommen. Seine Forschungen haben eine tiefe Verankerung ganzer Romane wie "Der Process" oder "Das Schloss" in der jüdisch religiösen Kultur gezeigt, ohne die das Werk kaum adäquat verstanden werden kann. Wenn auch von manchen modernen Autoren bestritten, haben sich Grözingers Auffassungen doch weithin durchgesetzt. Kafka bringt viele Figuren seiner Romane und Erzählungen in Beziehung zum Christentum: Im "Process" betrachtet Josef K. sehr genau ein Bild von der Grablegung Christi, und im "Urteil" wird Georg Bendemann auf dem Weg zu seiner Selbstopferung von der Bedienerin mit „Jesus!“ angesprochen. Im "Schloss" verbringt der Landvermesser K. ähnlich wie Jesus die erste Nacht seines (Roman-)Lebens in einem Gasthaus auf einem Strohsack, und im selben Roman trägt Barnabas, der von allen männlichen Romanfiguren dem Landvermesser am nächsten steht, den Namen eines Juden, dem das Christentum wichtiger wurde als das Judentum (Apostelgeschichte ). Besonders charakteristisch für Kafka sind die häufigen Wiederholungen von Motiven, vor allem in den Romanen und vielen der wichtigsten Erzählungen, zum Teil über alle Schaffensperioden hinweg. Diese Wiederholungsmotive bilden eine Art Netz über das gesamte Werk und können für eine verbindliche Deutung desselben fruchtbar gemacht werden. Zwei der wichtigsten Wiederholungsmotive sind das Motiv „Bett“, ein unerwartbar häufiger Aufenthalts- und Begegnungsort von Figuren, an dem bzw. in dem für viele Protagonisten der Texte das Unheil beginnt und sich fortsetzt, und das Motiv „Türe“ in Form der Auseinandersetzung um ihr Passieren (bekanntestes Beispiel ist das Tor zum Gesetz im Text "Vor dem Gesetz", der sogenannten „Türhüterlegende“). Ungeachtet der jeweiligen Interpretationen wird zur Bezeichnung einer auf „rätselhafte Weise bedrohlichen“ Atmosphäre der Begriff des Kafkaesken verwendet, der laut Kundera „als der einzige gemeinsame Nenner von (sowohl literarischen als auch wirklichen) Situationen zu sehen ist, die durch kein anderes Wort zu charakterisieren sind und für die weder Politikwissenschaft noch Soziologie noch Psychologie einen Schlüssel liefern.“ Wirkungsgeschichte. Literaturkennern wie Robert Musil, Hermann Hesse, Walter Benjamin oder Kurt Tucholsky war Kafka bereits in den zwanziger Jahren ein Begriff. Weltruhm erlangte sein Werk erst nach 1945, zunächst in den USA und Frankreich, in den 1950er-Jahren dann auch im deutschsprachigen Raum. Heute ist Kafka der meistgelesene Autor deutscher Sprache. Die Kafka-Rezeption reicht bis ins Alltagsleben hinein: So gab es in den 1970er Jahren einen Werbeslogan „Ich trinke Jägermeister, weil ich Kafkas Schloss nicht geknackt habe.“ Kafkas eigene Sichtweise auf sein Werk. Zu seinen Lebzeiten war Kafka der breiten Öffentlichkeit unbekannt. Kafka haderte mit sich selbst. Seine Zweifel gingen so weit, dass er seinen Nachlassverwalter Brod anwies, die noch nicht veröffentlichten Texte (darunter die heute berühmten Romanfragmente) zu vernichten. In der zweiten an Brod gerichteten Verfügung vom 29. November 1922 erklärte Kafka: Heute besteht in literarischen Kreisen weitgehend Einigkeit, dass Brod eine segensreiche Entscheidung traf, als er den letzten Willen seines Freundes überging und dessen Werk publizierte. Einen nicht näher bestimmbaren Teil seiner Texte hat Kafka allerdings eigenhändig vernichtet, so dass Brod zu spät kam. Kafka als verbotener Autor. Während der Zeit von 1933 bis 1945 war Kafka in der einschlägigen Liste verbotener Autoren während der Zeit des Nationalsozialismus als Erzeuger von „schädlichem und unerwünschtem Schriftgut“ aufgeführt. Seine Werke fielen wie viele andere den Bücherverbrennungen zum Opfer. Die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei (KSČ) rehabilitierte Kafka nach dem Zweiten Weltkrieg nicht, sondern stufte ihn als „dekadent“ ein. In dem Roman "Der Process" fand man unerwünschte Anklänge an die Denunziationen und Schauprozesse in den Staaten des Ostblocks. Im Allgemeinen identifizierte sich die Tschechoslowakei zur Zeit des Kommunismus kaum mit Kafka, wohl auch, weil er fast ausschließlich in deutscher Sprache geschrieben hatte. Im Mai 1963 hielt der tschechoslowakische Schriftstellerverband zum 80. Geburtstag des Schriftstellers auf Initiative von Eduard Goldstücker eine internationale Kafka-Konferenz im Schloss Liblice bei Prag ab, die sich mit dem damals im Ostblock noch weitgehend abgelehnten Schriftsteller sowie mit dem thematischen Schwerpunkt Entfremdung beschäftigte. Er wurde von vielen Rednern gewürdigt. Diese Konferenz gilt als ein Ausgangspunkt des Prager Frühlings von 1967/68. Aber bereits nach der Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 wurden Kafkas Werke wieder verboten. Die Bedeutung der Konferenz wurde im Jahr 2008 in einer Tagung aufgearbeitet. Heutiges Tschechien. Mit der Öffnung Tschechiens zum Westen und dem Zustrom ausländischer Besucher wuchs Kafkas lokale Bedeutung. 2018 gelang es einem Doktoranden der Prager Karls-Universität, eine bis dahin verschollen geglaubte zeitgenössische Werkbeschreibung zu Franz Kafkas Kurzgeschichten "Vor dem Gesetz" und "Ein Bericht für eine Akademie" wiederzuentdecken und zu veröffentlichen. Im Jahr 2003 wurde im Prager jüdischen Viertel Josefov auf Initiative der Franz-Kafka-Gesellschaft ein Franz-Kafka-Denkmal errichtet. Die Prager Franz-Kafka-Gesellschaft widmet sich den Werken Kafkas und versucht, das jüdische Erbe Prags wiederzubeleben. Im Kafka-Jahr 2008 (125. Geburtstag) wurde Kafka von der Stadt Prag zur Förderung des Tourismus herausgestellt. Es gibt viele Stätten zur Kafka-Begegnung, Buchläden und Souvenirartikel jeglicher Art. Seit 2005 zeigt das Kafka-Museum auf der Prager Kleinseite (Cihelná 2b) die Ausstellung "Die Stadt K. Franz Kafka und Prag". Seit 2014 steht in Prag die kinetische Skulptur Franz-Kafka-Kopf. Internationale Wirkung. Bereits 1915 wurde Kafka indirekt mit dem „Theodor-Fontane-Preis für Kunst und Literatur“ ausgezeichnet: Der offizielle Preisträger Carl Sternheim gab das Preisgeld an den noch weitestgehend unbekannten Kafka weiter. Verbürgt ist der große Einfluss Kafkas auf Gabriel García Márquez. Insbesondere von Kafkas Erzählung "Die Verwandlung" hat García Márquez nach eigener Bekundung den Mut für die Ausgestaltung seines „magischen Realismus“ genommen: Gregor Samsas Erwachen als Käfer, so García Márquez selbst, habe seinem „Leben einen neuen Weg gewiesen, schon mit der ersten Zeile, die heute eine der berühmtesten der Weltliteratur ist“. Kundera erinnert sich in seinem Werk "Verratene Vermächtnisse" (S. 55) an eine noch präzisere Auskunft von García Márquez zu dem Einfluss Kafkas auf ihn: „Kafka hat mir beigebracht, dass man anders schreiben kann.“ Kundera erläutert: „Anders: das hieß, indem man die Grenzen des Wahrscheinlichen überschreitet. Nicht (in der Art der Romantiker), um der wirklichen Welt zu entfliehen, sondern um sie besser zu verstehen.“ In einem Gespräch mit Georges-Arthur Goldschmidt bezeichnet der Kafka-Biograph Reiner Stach Samuel Beckett als „Kafkas Erbe“. Unter den zeitgenössischen Schriftstellern bezieht sich Leslie Kaplan in ihren Romanen und in Aussagen zu ihrer Arbeitsweise häufig auf Kafka, um die Entfremdung des Menschen, die mörderische Bürokratie, aber auch den Freiheits-Spielraum, den vor allem das Denken und Schreiben eröffnet, darzustellen. Auch abseits künstlerischer Kriterien findet Kafka große Bewunderung. So ist für Canetti Kafka deswegen ein großer Dichter, weil er „unser Jahrhundert am reinsten ausgedrückt hat“. Kafkas Werk hat zur Umsetzung in der bildenden Kunst angeregt: Streit um die Handschriften. Kafka hatte seinen Freund Max Brod vor seinem Tod gebeten, den Großteil seiner Handschriften zu vernichten. Brod widersetzte sich diesem Willen jedoch und sorgte dafür, dass viele von Kafkas Schriften postum veröffentlicht wurden. 1939, kurz vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in Prag, gelang es Brod, die Handschriften nach Palästina zu retten. 1945 schenkte er sie seiner Sekretärin Ilse Ester Hoffe, wie er auch schriftlich festhielt: „Liebe Ester, Bereits im Jahre 1945 habe ich Dir alle Manuskripte und Briefe Kafkas, die mir gehören, geschenkt.“ Nach Brods Tod 1968 erbte sie dessen literaturhistorisch bedeutenden Nachlass, darunter die Korrespondenz Max Brods und wichtige Manuskripte zum Werk Franz Kafkas, mit der Auflage, dass die materiellen Rechte und Ansprüche aus Kafkas Handschriften nach ihrem Tod ihren Erben zufallen sollten, diese aber verpflichtet seien, diesen Teil des Nachlasses „der Bibliothek der Hebräischen Universität Jerusalem oder der Städtischen Bibliothek Tel Aviv oder einem anderen öffentlichen Archiv im Inland oder Ausland“ zu übergeben und wissenschaftlich zugänglich zu machen. Hoffe verkaufte einige dieser Handschriften, darunter Briefe und Postkarten, das Manuskript zu "Beschreibung eines Kampfes" (heute in Besitz des Verlegers Joachim Unseld) und das Manuskript zum Roman "Der Process", das 1988 im Londoner Auktionshaus Sotheby’s für umgerechnet 3,5 Millionen Mark an Heribert Tenschert versteigert wurde. Dieses ist nunmehr im Literaturmuseum der Moderne in Marbach in der Dauerausstellung zu sehen. Die übrigen Handschriften schenkte Hoffe noch zu Lebzeiten ihren beiden Töchtern Eva und Ruth Hoffe. Nach dem Tod ihrer Mutter im Jahre 2007 vereinbarten Eva und Ruth Hoffe, die Handschriften an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach zu verkaufen, was zu einem Streit zwischen den beiden Schwestern und dem Literaturarchiv einerseits und dem Staat Israel, der den rechtmäßigen Platz von Kafkas Handschriften in der Nationalbibliothek Israels sieht, andererseits führte. Israel begründet seinen Anspruch auf die Handschriften mit einem Paragraphen aus Max Brods Testament, obwohl Ester Hoffe die Handschriften als Schenkung von Max Brod erhalten hatte und sie auch ihren Töchtern schenkte und nicht vererbte. Seit 1956 befinden sich sämtliche noch in Hoffes Besitz befindliche Handschriften in Banktresoren in Tel Aviv und Zürich. Am 14. Oktober 2012 entschied ein israelisches Familiengericht, dass die Manuskripte nicht Eigentum der Schwestern Hoffe sind. Kafkas Nachlass soll an die israelische Nationalbibliothek gehen. Eva Hoffe kündigte an, in Berufung zu gehen. Am 7. August 2016 wies der Oberste Gerichtshof Israels in letzter Instanz die Berufung zurück und sprach den Nachlass der israelischen Nationalbibliothek zu. Dan Miron kritisierte dieses Urteil in Ha’aretz scharf, denn mit dem Urteil des Obersten Gerichts würden völlig unangebracht „nationalistisches Denken und lokale Interessen über die universellen und objektiven Interessen der literarischen Kultur“ gestellt. Eva Hoffe kommentierte das Urteil mit den vielsagenden Worten, es zeige und belege den „Willen, Besitz zu ergreifen, nicht Recht zu sprechen“. In der Tat überraschte die Entscheidung angesichts der Tatsache, dass die Bestimmung der Institution, die die Dokumente erhalten sollte, eindeutig den Schlusserben vorbehalten worden war. David Blumenberg, der Direktor der Bibliothek, kündigte an, den Bestand einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Da ein Teil der Hinterlassenschaft auch in Banksafes der UBS in Zürich aufbewahrt wurde, war für die Urteilsvollstreckung ein weiterer Gerichtsentscheid erforderlich. Nötig war eine schweizerische Anerkennung des israelischen Urteils, die das Bezirksgericht Zürich Anfang April 2019 erteilte. Auf dieser Basis erst konnte die UBS im Juli 2019 den Inhalt der Safes der israelischen Nationalbibliothek aushändigen. Werke. Zu Lebzeiten veröffentlicht. Alle 46 Publikationen (zum Teil Mehrfachveröffentlichungen einzelner Werke) zu Lebzeiten Franz Kafkas sind aufgeführt auf den Seiten 300 ff. in Joachim Unseld: "Franz Kafka. Ein Schriftstellerleben. Die Geschichte seiner Veröffentlichungen." ISBN 3-446-13554-5. Posthum veröffentlicht. Erzählungen und andere Texte. In Klammern das Jahr der Entstehung. Briefe. Kafka schrieb intensiv und über eine lange Zeit seines Lebens teils sehr persönliche Briefe. Sie belegen seine hohe Sensibilität und vermitteln seine Sicht der bedrohlichen Aspekte seiner Innenwelt und seine Ängste angesichts der Außenwelt. Manche Autoren halten Kafkas Briefe nicht für eine Ergänzung seines literarischen Werks, sondern sehen sie als Teil davon. Besonders seine "Briefe an Felice" und "Briefe an Milena" gehören zu den großen Briefdokumenten des 20. Jahrhunderts. Die "Briefe an Ottla" sind ein bewegendes Zeugnis von Kafkas Nähe zu seiner (vermutlich 1943 von den Nationalsozialisten ermordeten) Lieblingsschwester. Im "Brief an den Vater" wird das prekäre Verhältnis des hochbegabten Sohnes zu seinem Vater deutlich, den er als lebenstüchtigen Despoten beschreibt, der die Lebensführung des Sohnes äußerst kritisch beurteilt. Die Briefe an Max Brod sind Dokumente einer Freundschaft, ohne die von Kafkas Werk allenfalls Bruchstücke erhalten geblieben wären. Die jeweiligen Antwortschreiben sind bis auf Ausnahmen nicht erhalten, was besonders im Hinblick auf die fehlenden Briefe der Journalistin und Schriftstellerin Milena Jesenská äußerst bedauerlich ist, die für Kafka das bewunderte Beispiel eines freien Menschen ohne Angst war. Briefe an Ernst Weiß, an Julie Wohryzek und an Dora Diamant sind, bedingt durch die Zeitumstände der Zeit des Nationalsozialismus bis heute verschollen. Ausgaben der Briefe Tagebücher. Kafkas Tagebücher sind für den Zeitraum von 1909 bis 1923 (kurz vor seinem Tod im Jahre 1924) großenteils erhalten geblieben. Sie enthalten nicht nur persönliche Notizen, autobiographische Reflexionen, Elemente einer Selbstverständigung des Schriftstellers über sein Schreiben, sondern auch Aphorismen (siehe z. B. "Die Zürauer Aphorismen"), Entwürfe für Erzählungen und zahlreiche literarische Fragmente. Ausgaben der Tagebücher Amtliche Schriften. Als Angestellter der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen verfasste Franz Kafka Aufsätze, Gutachten, Rundschreiben und anderes. Siehe oben den Abschnitt „Berufsleben“. Ausgaben der amtlichen Schriften Zeichnungen. Ausgaben der Zeichnungen Gedichte. Ausgaben der Gedichte Vertonungen. Seit Kafkas Texte in der Öffentlichkeit bekannt geworden waren (s. o. „Rezeption“), wurden auch Komponisten davon zu Vertonungen angeregt. Dabei war Kafka, was seine persönliche Haltung gegenüber der Musik betraf, eher zurückhaltend. So findet sich in seinem Tagebuch die bemerkenswerte Mitteilung: „Das Wesentliche meiner Unmusikalität ist, dass ich Musik nicht zusammenhängend genießen kann, nur hie und da entsteht eine Wirkung in mir und wie selten ist die eine musikalische. Die gehörte Musik zieht natürlich eine Mauer um mich und meine einzige dauernde musikalische Beeinflussung ist die, dass ich so eingesperrt, anders bin als frei.“ Seiner Verlobten Felice Bauer vertraute er einmal an: „Ich habe gar kein musikalisches Gedächtnis. Mein Violinlehrer hat mich aus Verzweiflung in der Musikstunde lieber über Stöcke springen lassen, die er selbst gehalten hat, und die musikalischen Fortschritte bestanden darin, dass er von Stunde zu Stunde die Stöcke höher hielt.“ Max Brod, der enge Vertraute Kafkas, „attestierte seinem Jugendfreund zwar ‚ein natürliches Gefühl für Rhythmus und Melos‘ und schleppte ihn in die Konzerte mit, gab es aber bald wieder auf. Kafkas Eindrücke seien rein visuell. Typisch wohl, dass ihn nur eine so bunte Oper wie ‚Carmen‘ begeistern konnte“. Bemerkenswerterweise wurde dem Phänomen der Kafka-Vertonung bisher nur wenig Beachtung geschenkt. Erst 2018 erfolgte mit einer weit gefächerten Aufsatzsammlung zum Thema „Franz Kafka und die Musik“ ansatzweise die Aufarbeitung. Auf die Frage, was Komponisten an Kafkas Texten so sehr reizen könnte, dass sie die Texte in musikalische Kompositionen umwandeln, versucht Frieder von Ammon eine Antwort mit dem Schlüsselbegriff der „Musikwidrigkeit“. Anhand von Kafkas Text "Das Schweigen der Sirenen" zeigt er, dass die literarische Vorlage per se „nicht den Wunsch“ habe, „Musik zu werden.“ Zwar sei der Text durchaus nicht „unmusikalisch“, doch stelle er für die Komponisten insofern eine besondere Herausforderung dar, als er die Komponisten zu einer „strengen Prüfung“ der „dabei zu verwendenden kompositorischen Mittel zwinge, und genau in diesem Moment, in der spezifischen Widerborstigkeit der Texte Kafkas, in ihrer anti-kulinarischen, anti-opernhaften Grundhaltung, die zugleich eine kritische Selbstreflexion erforderlich macht, muss ein besonderes Faszinosum für Komponisten liegen. Anders ist die große Zahl von Kafka-Kompositionen nicht zu erklären“. „Offenbar als erster hat Max Brod einen Kafka-Text vertont; er berichtet selbst, dass er 1911 das Gedicht "Kleine Seele – springst im Tanze" […] mit einer einfachen Melodie versehen habe“, schreibt Ulrich Müller in einer Darstellung der Vertonungen Kafka’scher Texte (1979). Abgesehen von diesem Jugendwerk Brods sind dessen Lieder "Tod" und "Paradies" für Gesang und Klavier (1952) sowie das Lied "Schöpferisch schreite!" aus dem Liedzyklus op. 37 (1956) künstlerische Zeugnisse seiner persönlichen Bindung an den Dichter. – Von historischer Bedeutung sind die „in den Jahren 1937/1938 unter dem Eindruck der Verfolgung durch die Nationalsozialisten“ im Exil entstandenen "5 Lieder für Gesang und Klavier nach Worten von Franz Kafka" von Ernst Krenek, der in seiner Musik „der existentiellen Bedrängtheit und Bedrohtheit des Individuums“ und somit „seiner eigenen Situation als Exilierter und Verfolgter“ Ausdruck verlieh. – Ebenfalls im Exil entstanden Theodor W. Adornos "Sechs Bagatellen" für Gesang und Klavier op. 6 (1942), darunter "Trabe, kleines Pferdchen" nach Franz Kafka. Mit kompositorischen Mitteln zeichnet er Kafkas Vorahnungen vom Krieg sowie das Zerbrechen vertrauter Lebensformen und alter Wertvorstellungen nach, das Kafka in Worte gefasst hat: „Kleines Pferdchen, du trägst mich in die Wüste, Städte versinken, […] Mädchengesichter versinken, verschleppt vom Sturm des Ostens.“ In der erwähnten Darstellung über die Vertonungen merkt Ulrich Müller an, dass erst „mit den frühen fünfziger Jahren die große Wirkung Kafkas in der Musik“ eingesetzt habe. Wichtige Vertonungen entstanden vor allem im osteuropäischen Raum, wo die für Kafkas Werk charakteristische existenzielle Bedrohung des Individuums in der Lebenswirklichkeit der Komponisten noch spürbar war. „Die vielleicht berühmteste Vertonung beruht übrigens nicht auf den Romanen Kafkas, sondern auf seinen Briefen und Tagebüchern. Der Ungar György Kurtág notierte sich daraus über Jahre hinweg einzelne Sätze in sein Skizzenbuch. ‚Ihre Welt aus knappen Sprachformeln, erfüllt von Trauer, Verzweiflung und Humor, Hintersinn und so vielem zugleich, liess mich nicht mehr los‘, sagte er einmal dazu. Daraus entwickelte sich allmählich in den 1980er-Jahren ein Zyklus von 40 ‚Kafka-Fragmenten‘ für Sopran und Violine. ‚Meine Gefängniszelle – meine Festung‘ sollte es ursprünglich heissen, denn es ist auch autobiographisch zu verstehen. Entstanden ist ein Werk von extremer Ausdruckskraft und eindringlicher Kürze.“ Dabei bedient sich Kurtág einer musikalischen Darstellungsweise, die der für Kafka typischen Sprachbehandlung entspricht: Es ist die „Reduktion“ auf kleine Gesten und Formulierungen, die Klaus Ramm als Erzählprinzip am Werk Kafkas festgemacht hat. Mehrere CD-Einspielungen belegen den hohen Grad der Wertschätzung, welche Kurtágs "Kafka-Fragmente" in kürzester Zeit gefunden haben. Nachfolgend eine Aufstellung von nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Kafka-Vertonungen (in chronologischer Reihenfolge). Die Werke sind nach Gattungen sortiert:
1606
234548470
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1606
Friesische Sprachen
Die friesischen Sprachen, allgemein nur "Friesisch" (westfriesisch "Frysk", saterfriesisch "Fräisk", nordfriesisch "Friisk", "fresk", "freesk", "frasch", "fräisch", "freesch") genannt, sind eine Gruppe von drei Sprachen. Sie gehören zum nordseegermanischen Zweig der westgermanischen Sprachen. Friesisch war ursprünglich an der Nordseeküste zwischen der Rhein- und Elbmündung und später auch nördlich der Eidermündung bis an die Wiedau verbreitet (siehe Karte). Heute wird es noch von etwa 400.000 Menschen gesprochen, vor allem in den Niederlanden. Einen Vergleich verschiedener Wortformen aus friesischen Dialekten und den benachbarten Sprachen Niederländisch, Niederdeutsch, Hochdeutsch und Dänisch bietet die Liste friesischer Wörter. Geschichte. Aus den Jahren von etwa 500 bis etwa 1200 sind lediglich einige friesische Runeninschriften und Einzelwörter innerhalb lateinischer Texte bekannt. Vollständige Texte sind erst seit dem 13. Jahrhundert überliefert. Die Sprachstufe von dieser Zeit bis ins 16. Jahrhundert wird als Altfriesisch bezeichnet und ist zeitlich in etwa in die gleiche Epoche einzuordnen wie Mittelniederländisch, Mittel- und teilweise auch Frühneuhochdeutsch sowie das frühe Mittelniederdeutsche. Bereits für die altfriesische Zeit sind deutliche Unterschiede zwischen den westfriesischen und ostfriesischen Dialekten festzustellen. Altfriesische Texte aus Nordfriesland sind dagegen nicht erhalten. Das heutige Nordfriesland wurde in zwei Wellen um die Jahre 700 und 1100 besiedelt, die nordfriesischen Dialekte spalteten sich zu dieser Zeit von der Sprache der Ost- und Westfriesen ab. Das moderne Friesisch entstand ab dem 16. Jahrhundert und zerfällt in drei Hauptgruppen. Es ist in der Sprachwissenschaft umstritten, ob die drei friesischen Hauptgruppen „nur“ Dialekte einer Sprache bildeten. Heute allerdings sind die drei verbliebenen Nachfolger untereinander nicht mehr verständlich und werden als unterschiedliche Sprachen betrachtet. Einzelsprachen des friesischen Sprachzweigs. Nordfriesisch. Nordfriesisch wird in Teilen des Kreises Nordfriesland und auf Helgoland in Schleswig-Holstein gesprochen. Auf den Inseln und dem Festland gibt es heute neun verschiedene nordfriesische Dialekte, die untereinander teils kaum verständlich sind. Von etwa 164.000 Einwohnern des Kreises Nordfriesland sprechen etwa 10.000 Nordfriesisch. Das Nordfriesische wird im "Endangered Languages in Europe Report" als " (ernsthaft gefährdet) eingestuft, da es nur noch an wenigen Orten, insbesondere im Norden und in der Mitte der Insel Amrum und im Westen der Insel Föhr, innerhalb der Familien an die jüngere Generation weitergegeben wird. Als dialektübergreifende nordfriesische Bezeichnung der Sprache hat sich " eingebürgert. Ostfriesisch. Im ehemaligen ostfriesischen Sprachgebiet zwischen der Lauwers und der Weser (vor allem Ostfriesland, die Provinz Groningen und das nördliche Oldenburg) ist die friesische Sprache fast gänzlich ausgestorben. Seit etwa 1400 wurde das Ostfriesische nach und nach durch unterschiedliche niederdeutsche Dialekte – und in jüngerer Zeit durch das Hochdeutsche – ersetzt. Zuletzt starb in den 1950er Jahren das Wangerooger Friesisch aus. Das letzte Überbleibsel der ostfriesischen Sprache, das Saterfriesische, wird in der Gemeinde Saterland im Landkreis Cloppenburg von etwa 1.000 bis 2.500 Menschen gesprochen. Zur eindeutigen Unterscheidung der ostfriesischen Sprache vom ostfriesischen Platt wird in Anlehnung an die Bezeichnung "westerlauwerssches Friesisch" für das Westfriesische auch der Terminus "osterlauwerssches Friesisch" verwendet. Westfriesisch. Das Westfriesische wird in der niederländischen Provinz Friesland "(Fryslân)" von ca. 440.000 Menschen gesprochen, von denen es etwa 350.000 als Muttersprache sprechen. Es besteht aus vier Hauptdialekten und vier weiteren kleinen Dialekten. Als einziger der drei friesischen Sprachzweige hat Westfriesisch eine Standardvarietät entwickelt. Nichtfriesische Varietäten mit der Bezeichnung „Friesisch“. Es existieren verschiedene sprachliche Varietäten, die von Friesen oder von Bewohnern ehemals friesisch besiedelter Gebiete anstelle des Friesischen angenommen wurden, aber linguistisch nicht zu den friesischen Sprachen zählen. Dennoch führen viele dieser volkssprachlichen Varietäten in irgendeiner Form den Namen „Friesisch“ als Selbst- oder Fremdbezeichnung oder zumindest deren Teil. So wird heute mit „Ostfriesisch“ in der Regel das ostfriesische Platt bezeichnet, das in Ostfriesland die friesische Sprache als Volkssprache ersetzt hat. Begünstigt wurde dies dadurch, dass die Saterfriesen sich lange nicht mehr zu den Friesen zählten und ihre eigene Sprache nicht als "friesisch" bezeichnen, sondern als "saterländisch" ('seeltersk'). Grundsätzlich ähnlich verhält es sich mit dem Plattdeutschen in Nordfriesland. Da dort die friesische Sprache aber noch lebendig ist, wird die Bezeichnung "Nordfriesisch" ausschließlich für die friesischen Dialekte verwendet. Das "nordfriesische Platt" unterscheidet sich zudem nicht so sehr vom übrigen Schleswiger Platt wie das ostfriesische Niederdeutsch von seinen Nachbardialekten. Die oft als Stadtfriesisch bezeichneten Mundarten der Städte in der Provinz Fryslân gehören ebenfalls nicht zum Friesischen. Sie wurden im 15. Jahrhundert von friesischen Kaufleuten aus der Provinz Holland übernommen. Durch starken Einfluss der westfriesischen Grammatik und Syntax fällt die Klassifizierung als holländischer Dialekt allerdings ebenfalls schwer. Sie werden daher meist als Sondergruppe innerhalb der niederländischen Sprache behandelt, bisweilen aber sogar als Sondersprache bezeichnet. Nicht zu verwechseln mit der westfriesischen Sprache ist auch der holländische Dialekt der Region Westfriesland in der niederländischen Provinz Noord-Holland. Er wird ebenfalls als Westfriesisch bezeichnet. Die Verwechslungsgefahr des Dialekts mit der westfriesischen Sprache besteht in den Niederlanden nicht. Dort ist "Westfriesland" eindeutig die nordholländische Region. Die Provinz Friesland, die in Deutschland meist als Westfriesland bezeichnet wird, heißt in den Niederlanden einfach Friesland oder Fryslân.
1607
292800
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Fotografie
Fotografie oder Photographie (aus "phōs", im Genitiv "photós" ‚Licht‘ und "graphein" ‚schreiben‘, ‚malen‘, ‚zeichnen‘, also „zeichnen mit Licht“) bezeichnet: Begriff. Bis ins 20. Jahrhundert bezeichnete Fotografie alle Bilder, welche rein durch Licht auf einer Oberfläche entstehen. Schreibweise. Bereits im Duden 1929 wurde die Schreibweise „Fotografie“ zugelassen und seit 1973 empfohlen, was sich jedoch bis heute noch nicht ganz durchsetzen konnte. Die Kurzform „Foto“ und das Verb „fotografieren“ gelten als vollständig in die deutsche Sprache integriert und sollen seit der deutschen Rechtschreibreform 1996 nicht mehr mit „ph“ geschrieben werden. Gemischte Schreibungen wie „Fotographie“ oder „Photografie“ sowie daraus abgewandelte Adjektive oder Substantive waren jedoch zu jeder Zeit falsche Schreibweisen. Allgemeines. Die "Fotografie" ist ein Medium, das in sehr verschiedenen Zusammenhängen eingesetzt wird. Fotografische Abbildungen können beispielsweise Gegenstände mit primär künstlerischem (künstlerische Fotografie) oder primär kommerziellem Charakter sein (Industriefotografie, Werbe- und Modefotografie). Die Fotografie kann unter künstlerischen, technischen (Fototechnik), ökonomischen (Fotowirtschaft) und gesellschaftlich-sozialen (Amateur-, Arbeiter- und Dokumentarfotografie) Aspekten betrachtet werden. Des Weiteren werden Fotografien im Journalismus und in der Medizin verwendet. Die Fotografie ist teilweise ein Gegenstand der Forschung und Lehre in der Kunstgeschichte und der noch jungen Bildwissenschaft. Der mögliche Kunstcharakter der Fotografie war lange Zeit umstritten, ist jedoch seit der fotografischen Stilrichtung des Piktorialismus um die Wende zum 20. Jahrhundert letztlich nicht mehr bestritten. Einige Forschungsrichtungen ordnen die Fotografie der Medien- oder Kommunikationswissenschaft zu, auch diese Zuordnung ist umstritten. Im Zuge der technologischen Weiterentwicklung fand zu Beginn des 21. Jahrhunderts allmählich der Wandel von der klassischen analogen (Silber-)Fotografie hin zur Digitalfotografie statt. Der weltweite Zusammenbruch der damit in Zusammenhang stehenden Industrie für analoge Kameras aber auch für Verbrauchsmaterialien (Filme, Fotopapier, Fotochemie, Laborgeräte) führt dazu, dass die Fotografie mehr und mehr auch unter kulturwissenschaftlicher und kulturhistorischer Sicht erforscht wird. Allgemein kulturelle Aspekte in der Forschung sind z. B. Betrachtungen über den Erhalt und die Dokumentation der praktischen Kenntnis der fotografischen Verfahren für Aufnahme und Verarbeitung aber auch der Wandel im Umgang mit der Fotografie im Alltag. Zunehmend kulturhistorisch interessant werden die Archivierungs- und Erhaltungstechniken für analoge Aufnahmen aber auch die systemunabhängige langfristige digitale Datenspeicherung. Die Fotografie unterliegt dem komplexen und vielschichtigen Fotorecht; bei der Nutzung von vorhandenen Fotografien müssen die Bildrechte beachtet werden. Die Gesetzgebungen in verschiedenen Ländern unterscheiden sich teilweise stark. Fototechnik. Prinzipiell wird meist mit Hilfe eines optischen Systems, in vielen Fällen einem Objektiv, fotografiert. Dieses wirft das von einem Objekt ausgesendete oder reflektierte Licht auf die lichtempfindliche Schicht einer Fotoplatte, eines Films oder auf einen fotoelektrischen Wandler, einen Bildsensor. Fotografische Kameras. Der fotografischen Aufnahme dient eine fotografische Apparatur (Kamera). Durch Manipulation / Veränderung des optischen Systems (unter anderem die Einstellung der Blendenzahl, Scharfstellung, Farbfilterung, die Wahl der Belichtungszeit, der Objektivbrennweite, der Beleuchtung und nicht zuletzt des Aufnahmematerials) stehen einem Fotografen zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten offen. Als vielseitigste Fotoapparatbauform hat sich sowohl im Analog- als auch im Digitalbereich die Spiegelreflexkamera durchgesetzt. Für viele Aufgaben werden weiterhin die verschiedensten Spezialkameras benötigt und eingesetzt. Lichtempfindliche Schicht. Bei der Digitalfotografie besteht das Äquivalent der lichtempfindlichen Schicht aus Chips wie CCD- oder CMOS-Sensoren. Bei der filmbasierten Fotografie (z. B. Silber-Fotografie) ist die lichtempfindliche Schicht auf der Bildebene eine Dispersion (im allgemeinen Sprachgebrauch Emulsion). Sie besteht aus einem Gel, in dem gleichmäßig kleine Körnchen eines Silberhalogenids (zum Beispiel Silberbromid) verteilt sind. Je kleiner die Körnung ist, umso weniger lichtempfindlich ist die Schicht ("siehe" ISO-5800-Standard), umso besser ist allerdings die Auflösung („Korn“). Dieser lichtempfindlichen Schicht wird durch einen Träger Stabilität verliehen. Trägermaterialien sind Zelluloseacetat, früher diente dazu Zellulosenitrat (Zelluloid), Kunststofffolien, Metallplatten, Glasplatten und sogar Textilien "(siehe Fotoplatte und Film)". Entwicklung und Fixierung bzw. Konvertierung. Mit Ausnahme von Rohdaten (RAW-Dateien) müssen digitale Bilddateien nicht entwickelt werden, um sie am Monitor betrachten oder verarbeiten zu können; sie werden elektronisch gespeichert und können anschließend mit der elektronischen Bildbearbeitung am Computer bearbeitet und bei Bedarf auf Fotopapier ausbelichtet oder beispielsweise mit einem Tintenstrahldrucker ausgedruckt werden. Rohdaten werden vorab mittels spezieller Entwicklungssoftware oder RAW-Konvertern am Computer in nutzbare Formate (z. B. JPG, TIF) gebracht, was als digitale Entwicklung bezeichnet wird. Durch das Entwickeln bei der filmbasierten Fotografie wird auf chemischem Wege das latente Bild sichtbar gemacht. Beim Fixieren werden die nicht belichteten Silberhalogenid-Körnchen wasserlöslich gemacht und anschließend mit Wasser herausgewaschen, sodass ein Bild bei Tageslicht betrachtet werden kann, ohne dass es nachdunkelt. Ein weiteres älteres Verfahren ist das Staubverfahren, mit dem sich einbrennbare Bilder auf Glas und Porzellan herstellen lassen. Der Abzug. Als Abzug bezeichnet man das Ergebnis einer "Kontaktkopie", einer "Vergrößerung" oder einer "Ausbelichtung"; dabei entsteht in der Regel ein Papierbild. Abzüge können von Filmen (Negativ oder Dia) oder von Dateien gefertigt werden. Abzüge als Kontaktkopie haben dieselbe Größe wie die Abmessungen des Aufnahmeformats; wird eine Vergrößerung vom Negativ oder Positiv angefertigt, beträgt die Größe des entstehenden Bildes ein Vielfaches der Größe der Vorlage, dabei wird jedoch in der Regel das Seitenverhältnis beibehalten, das bei der klassischen Fotografie bei 1,5 bzw. 3:2 oder in USA 5:4 liegt.Eine Ausnahme davon stellt die Ausschnittvergrößerung dar, deren Seitenverhältnis in der Bühne eines Vergrößerers beliebig festgelegt werden kann; allerdings wird auch die Ausschnittvergrößerung in der Regel auf ein Papierformat mit bestimmten Abmessungen belichtet. Der Abzug ist eine häufig gewählte Präsentationsform der Amateurfotografie, die in speziellen Kassetten oder Alben gesammelt werden. Bei der Präsentationsform der Diaprojektion wurde in der Regel mit dem Original-Diapositiv, also einem Unikat gearbeitet, während es sich bei Abzügen "immer" um Kopien handelt. Geschichte der Fotografie. Vorläufer und Vorgeschichte. Der Name Kamera leitet sich vom Vorläufer der Fotografie, der Camera obscura („Dunkle Kammer“) ab, die bereits seit dem 11. Jahrhundert bekannt ist und Ende des 13. Jahrhunderts von Astronomen zur Sonnenbeobachtung eingesetzt wurde. Anstelle einer Linse weist diese Kamera nur ein kleines Loch auf, durch das die Lichtstrahlen auf eine Projektionsfläche fallen, von der das auf dem Kopf stehende, seitenverkehrte Bild abgezeichnet werden kann. In Edinburgh und Greenwich bei London sind begehbare, raumgroße Camerae obscurae eine Touristenattraktion. Auch das Deutsche Filmmuseum hat eine Camera obscura, in der ein Bild des gegenüberliegenden Mainufers projiziert wird. Ein Durchbruch war 1550 die Wiedererfindung der Linse, mit der hellere und gleichzeitig schärfere Bilder erzeugt werden können. 1685 wurde der Ablenkspiegel erfunden, mit dem ein Abbild auf Papier gezeichnet werden konnte. Im 18. Jahrhundert kamen die Laterna magica, das Panorama und das Diorama auf. Chemiker wie Humphry Davy begannen bereits, lichtempfindliche Stoffe zu untersuchen und nach Fixiermitteln zu suchen. Die frühen Verfahren. Die vermutlich erste Fotografie der Welt „Blick aus dem Arbeitszimmer“ wurde im Frühherbst 1826 durch Joseph Nicéphore Niépce im Heliografie-Verfahren angefertigt. 1837 benutzte Louis Jacques Mandé Daguerre ein besseres Verfahren, das auf der Entwicklung der Fotos mit Hilfe von Quecksilberdämpfen und anschließender Fixierung in einer heißen Kochsalzlösung oder einer normal temperierten Natriumthiosulfatlösung beruhte. Die auf diese Weise hergestellten Bilder, allesamt Unikate auf versilberten Kupferplatten, wurden als Daguerreotypien bezeichnet. Bereits 1835 hatte der Engländer William Fox Talbot das Negativ-Positiv-Verfahren erfunden. Auch heute werden noch manche der historischen Verfahren als Edeldruckverfahren in der Bildenden Kunst und künstlerischen Fotografie verwendet. Am 13. April 1839, vier Monate vor Daguerre, veröffentlichten Carl August von Steinheil und Franz Ritter von Kobell das von ihnen entwickelte "Steinheil-Verfahren". Sie verwendeten dazu als lichtempfindliches Material Chlorsilberpapier. Die aufgenommenen Negative fotografierten sie nochmals ab und erhielten dadurch Positive. Ihre ersten Fotos zeigten unter anderem die Glyptothek und die Türme der Münchner Frauenkirche. Im Jahr 1883 erschien in der bedeutenden Leipziger Wochenzeitschrift "Illustrirte Zeitung" zum ersten Mal in einer deutschen Publikation ein gerastertes Foto in Form einer Autotypie, die Georg Meisenbach etwa 1880 erfunden hatte. Farbfotografie. Der amerikanische Baptistenprediger und Daguerrotypist Levi Hill beanspruchte um 1850/1851 als erster die Erfindung der Farbfotografie für sich. Hill weigerte sich allerdings, die Funktionsweise seines Verfahrens offenzulegen. 1860 arbeitete Niépce de Saint-Victor an einem Verfahren, alle Farben auf einer einzigen lichtempfindlichen Schicht aufzuzeichnen (Heliochromie). Eine Abbildung von James Clerk Maxwell 1861 gilt als die erste Farbfotografie. Gesellschaftliche Bedeutung der frühen Fotografie. Zwei Jahre nach der Erfindung der Fotografie wurden ab 1840/41 die ersten Fotoateliers eröffnet. Von Friedrich Wilhelm Schelling und Alexander von Humboldt wurden noch in deren hohem Alter Fotografien aufgenommen. Bilder von Herrschern entstanden, darunter Abraham Lincoln, Otto von Bismarck und Kaiser Wilhelm I. Sie wurden in zahllosen Kopien in privaten Wohnungen gehalten, aber erst mit dem Aufkommen der Presse als Massenartikel ab den 1880er Jahren verbreitet. Parallel entstanden dokumentarische Fotografien, etwa von Naturereignissen. Der erste deutsche Fotograf Hermann Biow fotografierte den Großbrand im Hamburger Alsterbezirk vom Mai 1842. Fotografien entstanden in allen nachfolgenden Kriegen, so im Krimkrieg (1853–1856) und im amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865). Der Kunstcharakter der Fotografie stand zu Beginn hinter ihrem dokumentarischen, technisch-objektivierenden Anspruch. In den Naturwissenschaften fand die Fotografie frühen Einzug, darunter der Astronomie oder der Medizin (Röntgen). Die Arbeitswelt wurde ab den 1860er Jahren fotografiert, die Reisefotografie entstand. Die Reisefotografie brachte den Menschen bis dahin wenig bekannte Regionen der Erde in neuer Form nahe. Das achtbändige Prachtwerk „The Peoples of India“ (1865–1875) zeigte 460 Aufnahmen. Das vierbändige "Illustration of China and Its People" (1873) dokumentierte ein damals den Europäern unbekanntes Land. Derselbe Fotograf, John Thomson richtete später seine Kamera auf die Armen in London. In den großen Städten entstanden Fotostudios. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gehörte das Familienbild oder das Gruppenfoto am Arbeitsplatz längst zur kulturellen Grundausstattung. Die Fotografie war in das Alltagsgeschehen vorgedrungen, dazu zählen Werbung, Propaganda, Bildpostkarte und Ansichtskarte. Schließlich wurde die private Nutzung der Fotografie durch die Rollfilmkamera stark gefördert. 20. Jahrhundert. Fotografien konnten zunächst nur als Unikate hergestellt werden, mit der Einführung des Negativ-Positiv-Verfahrens war eine Vervielfältigung im Kontaktverfahren möglich. Die Größe des fertigen Fotos entsprach in beiden Fällen dem Aufnahmeformat, was sehr große, unhandliche Kameras erforderte. Mit dem Rollfilm und insbesondere der von Oskar Barnack bei den Leitz Werken entwickelten und 1924 eingeführten Kleinbildkamera, die den herkömmlichen 35-mm-Kinofilm verwendete, entstanden völlig neue Möglichkeiten für eine mobile, schnelle Fotografie. Obwohl, durch das kleine Format bedingt, zusätzliche Geräte zur Vergrößerung erforderlich wurden und die Bildqualität mit den großen Formaten bei Weitem nicht mithalten konnte, setzte sich das Kleinbild in den meisten Bereichen der Fotografie als Standardformat durch. 21. Jahrhundert. Die Digitalfotografie, in den 1990er Jahren technologisch eingeleitet, ab den 2000er Jahren sich im professionellen Bereich, später auch bei Amateurfotografen adaptiert, veränderte die Fotografie nachhaltig. Sie veränderte als ein disruptiver Prozess die Fotoindustrie, die Bearbeitungskette und vor allem die Nutzung. Statt eines chemischen Films war nun ein Bildsensor Speicher der Fotografie. Digitale Bilder können nun beliebig auf den Computer übertragen werden und auch mit digitalen Bildbearbeitungsprogrammen bearbeitet (oder manipuliert) werden. Dies dürfte auch die Qualität der Bilder beeinflusst haben, denn Kameraautomatik oder nachträgliche Bildbearbeitungen konnten nun Fehler beim Entstehen der Aufnahme ausgleichen. Die Technik führte zu einer ungeheuerlichen Bilderflut und massenhaften Bildautorenschaften, die in sich noch gesteigert wurde durch die Verbreitung in sozialen Plattformen oder auch durch die Smartphone-Fotografie, bei der die Kamerafunktion nur noch einen Teil von vielen Funktionalitäten darstellt. Unabhängig von der Amateurfotografie als Massenmarkt, hat die Digitalfotografie auch die Arbeit von Profifotografen verändert. Deren Bilder können heute unter technischen Gesichtspunkten wesentlich in der Qualität gesteigert werden. Zugleich kann bei Auftragsarbeiten die Zeit zwischen Aufnahme durch den Fotografen und Nutzung durch den Auftraggeber auf ein Minimum reduziert werden. Technikgeschichte. Analogfotografie. Begriff. Zur Abgrenzung gegenüber den neuen fotografischen Verfahren der Digitalfotografie tauchte zu Beginn des 21. Jahrhunderts der Begriff Analogfotografie oder stattdessen auch die zu diesem Zeitpunkt bereits veraltete Schreibweise "Photographie" wieder auf. Um der Öffentlichkeit ab 1990 die seinerzeit neue Technik der digitalen Speicherung von Bilddateien zu erklären, verglich man sie in einigen Publikationen technisch mit der bis dahin verwendeten analogen Bildspeicherung der Still-Video-Kamera. Durch Übersetzungsfehler und Fehlinterpretationen sowie durch den bis dahin noch allgemein vorherrschenden Mangel an technischem Verständnis über die digitale Kameratechnik, bezeichneten einige Journalisten danach irrtümlich auch die bisherigen klassischen Film-basierten Kamerasysteme als Analogkameras. Der Begriff hat sich bis heute erhalten und bezeichnet nun fälschlich nicht mehr die Fotografie mittels analoger Speichertechnik in den ersten digitalen Still-Video-Kameras, sondern nur noch die Technik der Film-basierten Fotografie. Bei dieser wird aber weder digital noch analog 'gespeichert', sondern chemisch/physikalisch fixiert. Allgemeines. Eine Fotografie kann weder analog noch digital sein. Lediglich die Bildinformation kann punktuell mittels physikalischer, analog messbarer Signale (Densitometrie, Spektroskopie) bestimmt und gegebenenfalls nachträglich digitalisiert werden. Nach der Belichtung des Films liegt die Bildinformation zunächst nur latent vor. Gespeichert wird diese Information nicht in der Analogkamera, sondern erst bei der Entwicklung des Films mittels chemischer Reaktion in einer dreidimensionalen Gelatineschicht (Film hat mehrere übereinander liegende Sensibilisierungsschichten). Die Bildinformation liegt danach auf dem ursprünglichen Aufnahmemedium (Diapositiv oder Negativ) unmittelbar vor. Sie ist ohne weitere Hilfsmittel als Fotografie (Unikat) in Form von entwickelten Silberhalogeniden bzw. Farbkupplern sichtbar. Gegebenenfalls kann aus solchen Fotografien in einem zweiten chemischen Prozess im Fotolabor ein Papierbild erzeugt werden, bzw. kann dies nun auch durch Einscannen und Ausdrucken erfolgen. Bei der digitalen Speicherung werden die analogen Signale aus dem Kamerasensor in einer zweiten Stufe digitalisiert und werden damit elektronisch interpretier- und weiterverarbeitbar. Die digitale Bildspeicherung mittels Analog-Digital-Wandler nach Auslesen aus dem Chip der Digitalkamera arbeitet (vereinfacht) mit einer lediglich zweidimensional erzeugten digitalen Interpretation der analogen Bildinformation und erzeugt eine beliebig oft (praktisch verlustfrei) kopierbare Datei in Form von differentiell ermittelten digitalen Absolutwerten. Diese Dateien werden unmittelbar nach der Aufnahme innerhalb der Kamera in Speicherkarten abgelegt. Mittels geeigneter Bildbearbeitungssoftware können diese Dateien danach ausgelesen, weiter verarbeitet und auf einem Monitor oder Drucker als sichtbare Fotografie ausgegeben werden. Digitalfotografie. Die erste CCD (Charge-coupled Device) Still-Video-Kamera wurde 1970 von Bell konstruiert. 1972 meldete Texas Instruments das erste Patent auf eine filmlose Kamera an, welche einen Fernsehbildschirm als Sucher verwendete. 1973 produzierte "Fairchild Imaging" das erste kommerzielle CCD mit einer Auflösung von 100 × 100 Pixel. Dieses CCD wurde 1975 in der ersten funktionstüchtigen digitalen Kamera von Kodak benutzt. Entwickelt hat sie der Erfinder Steven Sasson. Diese Kamera wog 3,6 Kilogramm, war größer als ein Toaster und benötigte noch 23 Sekunden, um ein Schwarz-Weiß-Bild mit 100×100 Pixeln Auflösung auf eine digitale Magnetbandkassette zu übertragen; um das Bild auf einem Bildschirm sichtbar zu machen, bedurfte es weiterer 23 Sekunden. 1986 stellte Canon mit der RC-701 die erste kommerziell erhältliche Still-Video-Kamera mit magnetischer Aufzeichnung der Bilddaten vor, Minolta präsentierte den Still Video Back SB-90/SB-90S für die Minolta 9000; durch Austausch der Rückwand der Kleinbild-Spiegelreflexkamera wurde aus der Minolta 9000 eine digitale Spiegelreflexkamera; gespeichert wurden die Bilddaten auf 2-Zoll-Disketten. 1987 folgten weitere Modelle der RC-Serie von Canon sowie digitale Kameras von Fujifilm (ES-1), Konica (KC-400) und Sony (MVC-A7AF). Es folgten 1988 Nikon mit der QV-1000C, 1990 Kodak mit dem DCS "(Digital Camera System)" sowie 1991 Rollei mit dem "Digital Scan Pack". Ab Anfang der 1990er Jahre kann die Digitalfotografie im kommerziellen Bildproduktionsbereich als eingeführt betrachtet werden. Die digitale Fotografie revolutionierte die Möglichkeiten der digitalen Kunst, erleichtert insbesondere aber auch Fotomanipulationen. Die Photokina 2006 zeigte, dass die Zeit der filmbasierten Kamera endgültig vorbei ist. Im Jahr 2007 waren weltweit 91 Prozent aller verkauften Fotokameras digital, die herkömmliche Fotografie auf Filmen schrumpfte auf Nischenbereiche zusammen. Im Jahr 2011 besaßen rund 45,4 Millionen Personen in Deutschland einen digitalen Fotoapparat im Haushalt und im gleichen Jahr wurden in Deutschland rund 8,57 Millionen Digitalkameras verkauft. Fotografie als Kunstform. Pioniere und Kritiker. Der Kunstcharakter der Fotografie war lange Zeit umstritten: Charles Baudelaire führte dies bereits in seinem Werk "Die Fotografie und das moderne Publikum" im Jahre 1859 aus. Baudelaire beschäftigte sich mit dem Einfluss der Fotografie auf die Kunst und ebenso mit den tiefgreifenden Veränderungen der Kunstwahrnehmung: Ästhetische Erziehung und Geschmacksbildung wurde nun neben den klassischen Künsten auch durch die Fotografie bestimmt. Baudelaire sah hier die Geschlossenheit der Künste durch ein neues Medium erweitert. Baudelaire erkannte auch die Konkurrenz innerhalb der Kunst: Der Porträtmaler stand nun dem Porträtfotografen gegenüber. Baudelaire kritisierte die Bestrebungen, die Natur zu kopieren, ohne ihr Wesen zu kennen, als eine gegenüber der wahren Kunst feindlich eingestellte Lehre. Diese Kritik manifestiert sich bis heute: Die realistische oder auch idealisierte Abbildung wird oft kritisiert. Künstlerische Fotografie bedeutet bis heute, Wahrnehmung, Dialog und Schöpfung. Zugespitzt formuliert der Kunsttheoretiker Karl Pawek in seinem Buch "Das optische Zeitalter" (1963): „Der Künstler erschafft die Wirklichkeit, der Fotograf sieht sie.“ Diese Auffassung, u. a. von Walter Benjamin vertreten, betrachtet die Fotografie nur als ein technisches, standardisiertes, mechanisch reproduzierte Verfahren, mit dem eine Wirklichkeit auf eine objektive, quasi „natürliche“ Weise abgebildet wird, ohne dass dabei gestalterische und damit künstlerische Aspekte zum Tragen kommen: „die Erfindung eines Apparates zum Zwecke der Produktion … (perspektivischer) Bilder hat ironischerweise die Überzeugung … verstärkt, dass es sich hierbei um die natürliche Repräsentationsform handele. Offenbar ist etwas natürlich, wenn wir eine Maschine bauen können, die es für uns erledigt.“ Fotografien dienten gleichwohl aber schon bald als Unterrichtsmittel bzw. Vorlage in der Ausbildung bildender Künstler (Études d’après nature). Schon in Texten des 19. Jahrhunderts wurde aber auch bereits auf den Kunstcharakter der Fotografie hingewiesen, der mit einem ähnlichen Einsatz der Technik wie bei anderen anerkannten zeitgenössische grafische Verfahren (Aquatinta, Radierung, Lithografie, …) begründet wird. Damit wird auch die Fotografie zu einem künstlerischen Verfahren, mit dem ein Fotograf eigene Bildwirklichkeiten erschafft. Die ersten Schritte in Richtung künstlerische Fotografie entstanden mit Gedanken hin zu einer konzeptionellen Fotografie, also eine Fotografie, die neben das reale Festhalten eines Moments, Bildaussagen, Bildsprache und eine strukturierte Ordnung der Bildelemente im Sinne einer Komposition setzt. Auch zahlreiche Maler des 19. Jahrhunderts, wie etwa Eugène Delacroix, erkannten dies und nutzten Fotografien als Mittel zur Bildfindung und Gestaltung, als künstlerisches Entwurfsinstrument für malerische Werke, allerdings weiterhin ohne ihr einen eigenständigen künstlerischen Wert zuzusprechen. Allerdings gab es auch zuvor schon die Camera obscura die wohl schon Filippo Brunelleschi (1377–1446) bei seiner Anwendung der Zentralperspektive als Hilfsmittel einsetzte. Die Methode von Malern der Fotografie als Skizzenelement wurde auch im 20. und 21. Jahrhundert angewandt. So nutzt David Hockney fotografische Vorlagen (als Polaroid oder auf Film) für Porträts oder in der Landschaftsmalerei, setzte sie aber auch für Foto-Collagen im Sinne der Panografie ein. Auch Fotografen kritisierten teilweise den Mangel an künstlerischem Anspruch. Der Fotograf Henri Cartier-Bresson, selbst als Maler ausgebildet, wollte die Fotografie ebenfalls nicht als Kunstform, sondern als Handwerk betrachtet wissen: „Die Fotografie ist ein Handwerk. Viele wollen daraus eine Kunst machen, aber wir sind einfach Handwerker, die ihre Arbeit gut machen müssen.“ Gleichzeitig nahm er aber für sich auch das Bildfindungskonzept des „entscheidenden Augenblickes“ in Anspruch, das ursprünglich von Gotthold Ephraim Lessing dramenpoetologisch ausgearbeitet wurde. Damit bezieht er sich unmittelbar auf ein künstlerisches Verfahren zur Produktion von Kunstwerken. Cartier-Bressons Argumentation diente also einerseits der poetologischen Nobilitierung, andererseits der handwerklichen Immunisierung gegenüber einer Kritik, die die künstlerische Qualität seiner Werke anzweifeln könnte. So wurden gerade Cartier-Bressons Fotografien sehr früh in Museen und Kunstausstellungen gezeigt, so zum Beispiel in der MoMa-Retrospektive (1947) und der Louvre-Ausstellung (1955). Cartier-Bresson kritisierte sogar Kollegen: „Die Welt ist dabei, in Stücke zu fallen und Leute wie Adams und Weston fotografieren Felsen!“ Fotografie wurde bereits früh als Kunst betrieben (Julia Margaret Cameron, Lewis Carroll und Oscar Gustave Rejlander in den 1860er Jahren). Der entscheidende Schritt zur Anerkennung der Fotografie als Kunstform ist den Bemühungen von Alfred Stieglitz (1864–1946) zu verdanken, der mit seinem Magazin "Camera Work" den Durchbruch vorbereitete. Auch der Objektkünstler und Fotograf Man Ray versuchte mit fotografischen Methoden Kunst zu schaffen, allerdings auch mit Methoden der Abstraktion, der Bildsprache oder der Symbolik, mit denen er sich von einer realistischen Abbildung abzuheben versuchte. Etablierung in Ausstellungen. Erstmals trat die Fotografie in Deutschland in der Werkbund-Ausstellung 1929 in Stuttgart in beachtenswertem Umfang mit internationalen Künstlern wie Edward Weston, Imogen Cunningham und Man Ray an die Öffentlichkeit. Spätestens seit den MoMA-Ausstellungen von Edward Steichen ("The Family of Man", 1955) und John Szarkowski (1960er) ist Fotografie als Kunst von einem breiten Publikum anerkannt, wobei gleichzeitig der Trend zur Gebrauchskunst begann. Ein wichtiger Meilenstein war 1947 die Gründung der Bildagentur Magnum Photos, eine unabhängige Fotoagentur und Fotografenagentur. Die zahlreichen bekannten Fotografen von Magnum brachten Bilder von hoher Qualität und Aussage in die Massenmedien und veränderten damit auch die Wahrnehmung der Fotografie durch die Öffentlichkeit. Oft wurde das Zeitgeschehen mit künstlerischen Aussagen der Magnum-Fotografen kommentiert – es entstanden ikonografische Bilder. Ein anderer Aspekt ist die Nutzung der Fotografie in Mode oder Architektur. Diese „Kunstwerke“ wurden spätesten ab den 1920er Jahren zu Objekten einer künstlerischen Fotografie. Modefotografie und Architekturfotografie schufen nun auch ikonografische Bilder. Als ein mögliches Kriterium für Fotografien als Kunstform sieht Susan Sontag im Kriterium des Neuen. Neu bedeutet hier das Aufzeigen neuer formaler Möglichkeiten oder Abweichungen der tradierten visuellen Sprache, heute würde man also von Bildsprache oder „"fotografischem Sehen"“ sprechen. Wie für jede Kunstform gilt „"das Neue"“ als ein essentieller Anspruch an die künstlerische Fotografie. Den von Walter Benjamin aufgezeigten Makel der Fotografie, dem eines mechanisch reproduzierten Objektes, dem die Handwerklichkeit der Malerei und ihre Fähigkeit ein Original zu schaffen abgeht, setzt Sontag entgegen, dass Fotografien durchaus über eine gewisse Authentizität aufweisen können. Fotografien, die eine eigene Bildsprache hervorbringen können und in einen Dialog mit dem Betrachter eintreten, können sehr wohl Kunst sein. Nicht zuletzt gilt auch die Rezeption in Museen und Ausstellungen seit Mitte des 20. Jahrhunderts als ein möglicher Indikator für die zunehmende Herausbildung eines ästhetischen Urteils über Fotografien als Kunst. Innerhalb des Chemogramm wird 1974 die bis zu diesem Zeitpunkt vorhandene Schnittstelle zwischen den künstlerischen Medien Malerei und Fotografie kunsthistorisch relevant geschlossen. Das Chemogramm von dem Fotodesigner Josef H. Neumann, in den frühen siebziger Jahren erfunden und exakt spezifiziert, vereint Fotografie und Malerei erstmals weltweit innerhalb der schwarzweißen fotografischen Schicht. Im Jahr 1977 stellte die documenta 6 in Kassel erstmals als international bedeutende Ausstellung in der berühmten "Abteilung Fotografie" die Arbeiten von historischen und zeitgenössischen Fotografen aus der gesamten Geschichte der Fotografie in den vergleichenden Kontext zur zeitgenössischen Kunst im Zusammenhang mit den in diesem Jahr begangenen „150 Jahren Fotografie“. Etablierung in den Museen. Heute ist Fotografie als vollwertige Kunstform akzeptiert. Indikatoren dafür sind die wachsende Anzahl von Museen, Sammlungen und Forschungseinrichtungen für Fotografie, Ausstellungen, die Zunahme der Professuren für Fotografie sowie nicht zuletzt der gestiegene Wert von Fotografien in Kunstauktionen und Sammlerkreisen. Zahlreiche oftmals nicht trennscharfe Genres haben sich entwickelt, darunter die Landschafts-, Akt-, Industrie-, Architekturfotografie und viele mehr, die innerhalb der Fotografie eigene Wirkungsfelder entfaltet haben. Außerdem entwickelt sich die künstlerische Fotomontage zu einem der Malerei gleichwertigen Kunstobjekt. Neuere Diskussionen innerhalb der Foto- und Kunstwissenschaften verweisen indes auf eine zunehmende Beliebigkeit bei der Kategorisierung von Fotografie. Zunehmend werde demnach von der Kunst und ihren Institutionen absorbiert, was einst ausschließlich in die angewandten Bereiche der Fotografie gehört habe. Die Digitalfotografie und die massenhafte Verbreitung von Kameras führte zu neuen Diskussionen über den Kunstanspruch der Fotografie. So ist heute die gewohnte und immer wieder gesteigerte Ästhetik oft ein Kritikpunkt und die geschickte Vermarktung von bekannten Fotografen, die sich in immer neuen Rekorden bei Auktionen widerspiegelt. Technisch perfekte Bilder können Kitsch sein, und nur bekannte Muster reproduzieren, ohne das Neue aufzuzeigen. Kritiker schöner oder perfekter Bilder kehren damit zu Baudelaire zurück: Es kommt auf das Erkennen einer Aussage an, auf Kritik, auf das Neue. Fotografie als Kunstform muss Fragen stellen und einen Dialog auslösen. Die Rezeption der künstlerischen Fotografie in Museen und Ausstellungen, die zahlreichen Wettbewerbe zeigen deutlich, das Fotografie eine Kunstform sein kann. Die US-amerikanische Essayistin Susan Sontag kommentierte dazu: „Das wahre Ausmaß des Thriumphs der Fotografie als Kunst und über die Kunst, wird erst nach und nach erfasst.“ Urheberrecht. Ein Foto kann urheberrechtlichen Schutz genießen, wenn es als Lichtbildwerk im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG anzusehen ist. Dies erfordert eine persönliche geistige Schöpfung (§ 2 Abs. 2 UrhG), d. h. das Foto bedarf einer gewissen Gestaltungshöhe. Die Gestaltungshöhe kann durch die Auswahl des Aufnahmeorts, eines bestimmten Objektivs oder durch die Wahl von Blende und Zeit eintreten. Fehlt die Gestaltungshöhe, kann der Fotograf statt eines urheberrechtlichen Schutzes einen Leistungsschutz nach § 72 UrhG genießen. Durch § 72 UrhG sind die Vorschriften für Lichtbildwerke auch auf die Lichtbilder anwendbar. Ab dem Jahr 1909 mussten die Fotografen, die den Kaiser und die kaiserliche Familie fotografiert hatten, die Rechte an diesen Fotografien an diese abtreten. Einflussreiche Fotografen. Die Fotografie als Objekt der Kunstwissenschaft wurde geprägt durch herausragende Fotografen wie beispielsweise – ohne Wertung quer durch die Zeit- und Stilgeschichte der Fotografie – Tina Modotti, Gerda Taro, Franz Xaver Setzer, Jacob Wothly, W. H. Talbot, E. S. Curtis, Aenne Biermann, Karl Blossfeldt, Albert Renger-Patzsch, August Sander, Henri Cartier-Bresson, Germaine Krull, Florence Henri, Paul Wolff, Ansel Adams, vor dem Zweiten Weltkrieg, Marie Karoline Tschiedel, Otto Steinert, Richard Avedon, Diane Arbus und unzählige andere bis hin zu „Modernen“ wie Helmut Newton, Manfred Baumann, Walter E. Lautenbacher, Thomas Ruff, Jeff Wall, Andreas Gursky, Josef H. Neumann, Gerhard Vormwald und Rafael Herlich. Mit jedem dieser berühmten Fotografen ist eine bestimmte Zeit, eine bestimmte Auffassung von Fotografie, ein persönlicher Stil – möglicherweise innerhalb eines bestimmten Fachgebietes der Fotografie – und eine eigene Thematik verbunden. Einige Fotografen organisierten sich in Künstlergruppen wie f/64 um Edward Weston in den USA in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder arbeiteten zusammen in Foto- oder Bildagenturen wie Magnum Photos oder "Bilderberg – Archiv der Fotografen", andere arbeiten dagegen bevorzugt alleine. Oft sind künstlerisch bekannte Fotografen in ihrem „Brotberuf“ eher unauffällig und durchschnittliche „Handwerker“, erst in ihren freien Arbeiten treten sie mit Ausstellungen oder durch Preisverleihungen in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Als Beispiel seien der Modefotograf Helmut Newton, der Werbefotograf Reinhart Wolf, der Landschafts- und Architekturfotograf Robert Häusser und der deutsche Eisenbahnfotograf Carl Bellingrodt genannt. Sie wurden mit völlig anderen Sujets als denen ihrer täglichen Arbeit bekannt, wie Akt-, Eisenbahn-, Food-, Architektur- sowie mit künstlerischer Schwarz-Weiß-Fotografie. Die Fotografie ist jedoch keine exklusive Kunstform, sondern wird auch von zahllosen Amateurfotografen betrieben: Die Amateurfotografie ist der Motor der Fotowirtschaft und Motivation für die Produktion der meisten Bilder, deren Zahl weltweit monatlich in die Milliarden geht. Rezeption. Teuerste Bilder. Die aktuell teuerste Fotografie „Phantom“ von Peter Lik wurde nach Presseberichten im Dezember 2014 für 6,5 Millionen Dollar verkauft. Der englische Guardian" jedenfalls konnte das Bild sich sehr gut als "„abgedroschenes Poster in einem schicken Hotel"“ vorstellen. Vielleicht muss man die Frage stellen, ob der Preis eines aktuell gehandelten Bildes etwas über den künstlerischen Wert aussagt oder doch eher über die Vermarktung. Gursky, Salgado und andere Künstler entwickelten eine eigene Bildsprache – und haben wohl damit Kunstwerke geschaffen. Theorie und Praxis. Die Fotografie wird in zahlreichen Einzeltheorien diskutiert, eine einheitliche und umfassende „Theorie der Fotografie“ fehlt bisher, stattdessen existieren sehr unterschiedliche Perspektiven, die die Fotografie beispielsweise aus philosophischer, psychologischer oder kunsthistorischer Sicht betrachten. Die gestalterische Gratwanderung zwischen der fotografischen Technik und der gewünschten Bildaussage, bis hin zu einer "konzeptionellen Fotografie", vielleicht auch mit einer Bildsprache, wie sie professionelle Fotografen einsetzen, kennzeichnet die vielschichtig differenzierte Foto-Praxis der Gegenwart.
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https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1608
Fullerene
Als Fullerene (Einzahl: das Fulleren) werden hohle, geschlossene Moleküle (mit häufig hoher Symmetrie, z. B. "I"h-Symmetrie für C60) aus Kohlenstoffatomen, die sich in Fünf- und Sechsecken anordnen, bezeichnet. Sie stellen (neben Diamant, Graphit, Lonsdaleit, Chaoit, Kohlenstoffnanoröhren und Graphen) eine weitere Modifikation des chemischen Elements Kohlenstoff dar. Geschichte. Die erste Veröffentlichung zu Fullerenen von dem japanischen Chemiker Eiji Ōsawa, der ihre Existenz theoretisch vorhersagte und berechnete, stammt aus dem Jahr 1970. Diese und folgende seiner Publikationen veröffentlichte er in japanischer Sprache, weswegen erst die 15 Jahre später am 14. November 1985 in der Zeitschrift "Nature" erschienene Publikation der Forscher Robert F. Curl jr. (USA), Sir Harold W. Kroto (England) und Richard E. Smalley (USA) weltweite Aufmerksamkeit erlangte. Diese erhielten dafür 1996 den Nobelpreis für Chemie, während Osawa unberücksichtigt blieb. Vor diesen Veröffentlichungen zu Fullerenen gab es einige zu „Hohlmolekülen“, beispielsweise einen Artikel von David Jones im New Scientist 1966, nachgedruckt auch im Buch „Zittergas und schräges Wasser“ (S. 27 f.), mit Rechnungen zur Stabilität von Hohlmolekülen, wobei die damals größten bekannten Moleküle nur Dodekaeder-Form hatten, also nur 20 Atome enthielten. 2010 wurden Fullerene durch Infrarotaufnahmen des Weltraumteleskops Spitzer im planetarischen Nebel "Tc 1" nachgewiesen. Sie sind die größten nachgewiesenen Moleküle im extraterrestrischen Weltraum. Name. Die bekanntesten und stabilsten Vertreter der Fullerene haben die Summenformeln C60, C70, C76, C80, C82, C84, C86, C90 und C94. Das mit Abstand am besten erforschte Fulleren ist C60, das zu Ehren des Architekten Richard Buckminster Fuller "Buckminster-Fulleren" (auf Englisch auch ) genannt wurde, da es den von ihm konstruierten geodätischen Kuppeln ähnelt. Es besteht aus 12 Fünfecken und 20 Sechsecken, die zusammen ein Abgestumpftes Ikosaeder (Archimedischer Körper) bilden. Da ein klassischer Fußball dieselbe Struktur hat, wird es auch "Fußballmolekül" () genannt. Herstellung. Erstmals wurde C60 1984 von E. A. Rohlfing, D. M. Cox und A. Kaldor in Spuren hergestellt. Allerdings hatten die Autoren in ihrer Publikation das Ergebnis ihrer Molekularstrahlexperimente falsch interpretiert und die besondere Struktur und Wichtigkeit des Kohlenstoffclusters mit 60 Atomen nicht erkannt. Die richtige Interpretation eines vergleichbaren Experiments lieferte dann ein Jahr später die Forschergruppe Harold W. Kroto, James R. Heath, Sean C. O’Brien, Robert F. Curl und Richard E. Smalley 1985. Sie stellten dabei erstmals die Hypothese der Fußballform des derart nachgewiesenen C60-Clusters auf. Über eine im Vakuum drehende Graphit­scheibe hinweg wird unter hohem Druck ein kurzer Helium­puls geblasen. Gleichzeitig wird mitten in diesen Heliumpuls die Graphitoberfläche von einem Laserpuls getroffen. Das Laserlicht hatte in dem Versuch eine Wellenlänge von 532 nm, mit dem innerhalb einer Bestrahlungszeit von 5 ns eine Energie von 30 bis 40 mJ übertragen wurde. Der Kohlenstoff des Graphits sublimiert dabei schlagartig atomar und verbindet sich in der kühlenden Heliumumgebung zu penta- und hexagonalen Ringstrukturen, die sich, während sie von dem Heliumpuls aus dem Bestrahlungsraum hinausgetrieben werden, in einer Reaktionskammer zu Kohlenstoffclustern beliebiger Größe, darunter Fullerenen, verbinden und im Massenspektrometer nachgewiesen werden. Die Ausbeute an C60 war jedoch so gering, dass die Untersuchung weiterer Eigenschaften nicht möglich war. Insbesondere blieb auch die hypothetische Fußballstruktur unbewiesen. Die Heidelberger Experimente. Einen ersten Hinweis für die Existenz des hochsymmetrischen C60-Moleküls lieferten 1988 UV- und IR-Spektren von Spuren von Kohlestaub (Ruß) gemessen durch Wolfgang Krätschmer und den Praktikanten Bernd Wagner. Durch eine eigenwillige Einstellung seines Experiments gelang es dem Praktikanten, eine Kohlestaubprobe herzustellen, in deren IR-Spektrum sich vier diskrete Linien zeigten, die Krätschmer als „Pumpenöl“ einschätzte. Wagner hatte mittels Kontaktlichtbogen Graphit in einer Schutzgasatmosphäre von 50 Torr (65 hPa) Argon verdampft und dabei zum ersten Mal geringe Spuren eines molekularen Materials erzeugt, dessen schwache IR-Spektren mit früheren theoretischen Vorhersagen für C60 gut übereinstimmten. Monate später, im Februar 1989, griff Konstantinos Fostiropoulos gleich zu Beginn seiner Doktorarbeit das brachliegende Experiment Wagners auf. Nach nur wenigen Wochen hatte er das Kontaktlichtbogen-Verfahren soweit weiterentwickelt, dass er vom Potenzial der Wagner’schen Arbeit zunächst sich selbst überzeugen konnte. Schließlich gelang es ihm, unter 100 Torr (133 hPa) Helium sehr dünne aber hochkonzentrierte Fullerenschichten herzustellen. Sofort wurde für den vorjährigen MPIK-Jahresbericht (1988) von Krätschmer ein Bericht über die Praktikumsarbeit von Bernd Wagner verfasst (Krätschmer und Wagner). Später entwickelte Fostiropoulos zwei weitere Verfahren, eines durch Widerstandsheizung für empfindliche Elektroden und ein robustes Lichtbogen-Verfahren für die effiziente Produktion, sodass schließlich die präparative Herstellung im Grammmaßstab pro Tag und die definitive Charakterisierung des vermuteten Fußballmoleküls möglich wurde. Das Widerstandsheizung-Verfahren diente Fostiropoulos, um dem Argument der Verunreinigung durch Kohlenwasserstoffe („Pumpenöl“) zu begegnen. Dazu entwickelte er eine bindemittelfreie Sintermethode und stellte Graphitelektroden aus Kohlestaub des 13C-Isotops (99 %) her, um diese durch Widerstandsheizung unter 100 Torr He zu verdampfen. So erreichte er im Dezember 1989 eine (fast) vollständige isotopische Substitution und generierte das exotische 13C60, womit der notwendige Nachweis schlussendlich erbracht war, dass der molekulare Träger der IR-Absorptionen ein reines Kohlenstoffmolekül hoher Symmetrie war und nicht eine Verunreinigung. Anfang Mai 1990 kam schließlich der Durchbruch. Zum ersten Mal konnte Fostiropoulos ein natürliches Fullerengemisch (C60, C70, C84 …) unter dem Schutzgas Ar (oder unter Vorvakuum) thermisch aus dem generierten Kohlestaub treiben und damit Quarz- und Si-Substrate für die Spektroskopie beschichten. Diese Filme erwiesen sich in der Folge als löslich in Benzol, sodass die Extraktion aus dem Ruß mittels Filtration oder Soxhlet-Einsatz deutlich vereinfacht wurde und eine chromatografische Trennung der Fullerene gelang. Das Lichtbogen-Verfahren wie auch die Extraktion der Fullerene aus dem Ruß mittels Lösungsmittel wurde zur heute gebräuchlichen industriellen Herstellung ausgereift. Erst dieses letzte der drei Heidelberger Herstellungsverfahren ermöglichte ab 1991 die Forschung an Fullerenen im großen Maßstab: Zwei Graphitelektroden werden unter reduziertem Druck in statischer Schutzgasatmosphäre (Helium oder Argon) im Lichtbogen verdampft. Der Dampf kondensiert an der kühlenden Atmosphäre, und es bildet sich ein aufsteigender Rauch. Der so produzierte Ruß enthält bis zu 15 % Fullerene. Die generierten Fullerene können anschließend aus dem Ruß thermisch ausgetrieben werden oder lassen sich alternativ mit einem unpolaren Lösungsmittel (Benzol, Toluol …) herauslösen. Die gewonnene Fulleren-Mischung besteht zu ca. 90 % aus C60 und ca. 10 % C70. Dagegen entstehen höhere Fullerene nur in Spuren. Durch Chromatographie, z. B. an Aktivkohle und/oder Kieselgel, kann die Fulleren-Mischung aufgetrennt werden. Möglich ist auch die Herstellung unter ausschließlicher Verwendung rationaler Synthesen, wobei hier im letzten Schritt eine Flash-Vakuum-Pyrolyse erfolgt. Die Ausbeute bei diesem Verfahren liegt allerdings nur bei etwa einem Prozent, weshalb es deutlich teurer als die Herstellung im Lichtbogen ist. Die Fullerene C60 und C70 kommen natürlich in Shungit und Fulgurit, aber auch molekular im interstellaren Medium vor. Eigenschaften. Fullerene sind braun-schwarze Pulver von metallischem Glanz. Sie lösen sich in manchen organischen Lösungsmitteln (z. B. Toluol) unter charakteristischer Färbung. Fullerene lassen sich bei ca. 400 °C sublimieren. Verschiedene Möglichkeiten zur Verwendung als Katalysator, Schmiermittel, zur Herstellung künstlicher Diamanten, in der Medizin, als Halbleiter und Supraleiter sind Gegenstand der Forschung. Aufgrund der Bindungsverhältnisse im Molekül kann es extrem viele Radikale aufnehmen und binden (Radikalfänger). Diese sollen für den Alterungsprozess der Haut mitverantwortlich sein. Diese Wirkung von Fullerenen ist jedoch nicht wissenschaftlich belegt. Eine umstrittene Studie von 2012 berichtet, die orale Gabe von C60 aufgelöst in Olivenöl bei Ratten zeige keine toxische Wirkung und habe die Lebensdauer der Ratten deutlich verlängert. Eine Reproduktion des Experiments konnte die lebensverlängernde Wirkung nicht bestätigen. Nomenklatur. Lange Zeit weigerte sich die für verbindliche Empfehlungen zur Nomenklatur chemischer Verbindungen zuständige IUPAC, den Trivialnamen Fulleren anzuerkennen. Erst im Jahr 2002 änderte sie ihre Meinung und empfiehlt seitdem die Verwendung von Fulleran, Fulleren und Fulleroid. Das bedeutet eine erhebliche Erleichterung, denn bis dahin ist der "korrekte", das heißt IUPAC-konforme Name, z. B. des [60]Fullerens (C60), folgender gewesen: Hentriacontacyclo[29.29.0.02,14.03,12.04,59.05,10.06,58.07,55.08,53.09,21.011,20.013,18.015,30.016,28.017,25.019,24.022,52.023.50.026,49.027,47.029,45.032,44.033,60.034,57.035,43.036,56.037,41.038,54.039,51.040,48.042,46]hexaconta-1,3,5(10),6,8,11,13(18),14,16,19,21,23,25,27,29(45),30,32(44),33,35(43),36,38(54),39(51),40(48),41,46,49,52,55,57,59-triaconten Struktur und Stabilität. Viele Fullerene bestehen aus 12 Fünfecken, die von einer unterschiedlichen Anzahl Sechsecken umgeben sind. Durch die Unmöglichkeit, eine Ebene mit regelmäßigen Fünfecken (und Sechsecken) vollständig zu bedecken, ergibt sich die sphärische Wölbung (siehe Bild rechts). Das kleinste Fulleren ist ein Dodekaeder, C20, und besteht nur aus pentagonalen Kohlenstoffringen. C60 hat etwa den Durchmesser 700 pm, also 7 · 10−10 m. Der Van-der-Waals-Durchmesser beträgt allerdings etwa 1000 pm, also einen Nanometer oder 1 · 10−9 m. Die Masse des C60 Fullerens beträgt etwa 720 u, außerdem hat C60 Ikosaeder-Symmetrie. Die Fullerene mit mehr als 60 C-Atomen besitzen im Allgemeinen geringere Symmetrie, C70 etwa ist annähernd ein Ellipsoid mit "D"5h-Symmetrie. Die Stabilität eines Fullerens ist dann am größten, wenn Fullerene sind eng verwandt mit Graphen, einer Modifikation des Kohlenstoffs, bei der die C-Atome eine monomolekulare Schicht mit hexagonaler Struktur bilden. Es lässt sich folgende Reihe bilden: Graphen (nur 6-Ecke, plan) > Fullerene, allgemein (5- und 6-Ecke, gewölbtes Hohlmolekül) > C20-Fulleren (nur 5-Ecke, Dodekaeder, engste Krümmung, kleinstes Volumen). Reaktionen von C60. Fullerene bieten drei Ansatzpunkte für chemische Modifikationen. Durch Additionsreaktionen an die Doppelbindungen erhält man "exohedrale" Addukte. Das Ersetzen von Kohlenstoffatomen aus der Käfighülle durch z. B. Stickstoffatome zum C59N bezeichnet man als "substitutionelles" Doping. Schließlich bieten derartige Käfigstrukturen noch die Möglichkeit, Atome oder Verbindungen in den Hohlraum einzubringen. Verbindungen dieser Art bezeichnet man als endohedrale Komplexe. Zur Kennzeichnung endohedraler Komplexe hat sich in der Literatur die Schreibweise X@Cn durchgesetzt, bei der sich ein Atom oder Cluster X im Inneren eines Fullerenkäfigs aus n Kohlenstoffatomen befindet. C60 besitzt einen Hohlraum mit einem Durchmesser von 400 pm, in den Metall- und Nichtmetallatome eingelagert werden können. Ein Beispiel ist die Einlagerungsverbindung des Heliums, die mit der Notation He@C60 korrekt bezeichnet wird. He@C60 entsteht, wenn Graphit in einer Helium-Atmosphäre verdampft wird. Weiterhin kann C60 die für Aromaten aber auch Alkene typischen Reaktionen wie Hydrierung, Halogenierung, Ozonolyse und Birch-Reduktion eingehen. Jedoch findet in der Regel keine vollständige Umsetzung aller Doppelbindungen statt; nur mit Fluor kann die Zusammensetzung C60F60 erreicht werden. Weitere interessante Verbindungen sind die ionischen Alkalimetall-Fulleride: C60 kann mit Natrium und Kalium reduziert werden. Dabei entstehen Verbindungen der Zusammensetzung MC60, M2C60 und M3C60 (M = Na, K). KC60 kristallisiert in der Natriumchlorid-Struktur. In K3C60 liegt das C603−-Anion vor und bildet eine kubisch-dichteste Kugelpackung, wobei die K+-Kationen alle vorhandenen Tetraeder- und Oktaeder-Lücken in der Kristallstruktur besetzen. K3C60 ist ein Supraleiter. In der Gruppe von Anton Zeilinger an der Universität Wien (siehe Weblink) wurde die Interferenz von C60-Molekülen am Gitter beobachtet. Damit wurden die von Louis de Broglie postulierten Materiewellen auch für relativ makroskopische Objekte gezeigt. In der Arbeitsgruppe von Jochen Mattay an der Universität Bielefeld wurden weitreichende Untersuchungen über die Funktionalisierung der Fullerene zu Aza-Heterofullerenen gemacht. Natürliches Vorkommen. Fullerene kommen in der Natur nur in wirtschaftlich nicht verwertbaren Mengen (Konzentrationen) vor. Mit Hilfe der Massenspektrometrie wurden Fullerene nachgewiesen im graphitartigen Shungit, im durch Blitzeinschlag entstandenen glasartigen Fulgurit, in Kratern von Meteoriteneinschlägen und im Kerzenruß. Mit Hilfe des Hubble-Teleskops wurden große Mengen des C60-Fullerens im interstellaren Raum nachgewiesen. Verwendung. C60 eignet sich als Komponente in unterschiedlichen Konzepten organischer Solarzellen (OPV – organic photovoltaic). Solche Systeme basieren auf einer Absorberschicht, die aus einer Donator-Akzeptor-Kombination besteht. Wegen seiner hohen Elektronenaffinität ist das C60-Molekül für die Rolle als Elektronenakzeptor einzigartig und wird deshalb in solchen Bauteilen fast ausschließlich eingesetzt. Als Elektronendonator stehen dagegen eine große Zahl organischer Moleküle, wie z. B. das ebenfalls thermisch stabile Zn-Phthalocyanin, und viele Polymere zur Verfügung. Ein Beispiel für eine Verbindung, die C60 enthält, ist PCBM. Am Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie hatte eine Forschungsgruppe um Konstantinos Fostiropoulos 2001 eine organische Solarzelle aus C60 und Zn-Phthalocyanin, präpariert aus der Gasphase, mit einer Rekordeffizienz von η=2,5 % erreicht. Bis heute (Stand 2015) erreichen fullerenbasierte OPV-Konzepte Effizienzen bis zu 12 %. Eine industrielle Fertigung organischer Solarzellen wird angestrebt.
1609
10934
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1609
Frühmittelalter
Frühmittelalter oder frühes Mittelalter ist eine moderne Bezeichnung für den ersten der drei großen Abschnitte des Mittelalters, bezogen auf Europa und den Mittelmeerraum für die Zeit von etwa Mitte des 6. Jahrhunderts bis ca. 1050. Dem Frühmittelalter geht die Spätantike (ca. 300 bis 600/700) voran, eine Transformationszeit, die sich teils mit dem beginnenden Frühmittelalter überschneidet. Auf das Frühmittelalter folgen das Hoch- und das Spätmittelalter. Das Frühmittelalter ist als Übergang von der Antike zum Mittelalter sowie als eigenständige Epoche von Bedeutung. Beginn und Ende werden in der historischen Forschung unterschiedlich datiert, so dass verschieden breite Übergangszeiträume betrachtet werden. Entgegen der älteren Deutung als „dunkle“ oder „rückständige“ Epoche wird das Frühmittelalter in der modernen Forschung wesentlich differenzierter betrachtet. Es ist sowohl von Kontinuitäten als auch vom Wandel im politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Bereich gekennzeichnet, was Auswirkungen bis in die Moderne hat. So begann die fortdauernde Teilung Europas und des Mittelmeerraums in einen christlichen und einen islamischen Teil sowie des christlichen Teils in einen lateinischen und einen orthodoxen, der den Kulturkreis von Byzanz umfasste. Mehrere der im Frühmittelalter entstandenen Reiche bildeten außerdem die Grundlage für heute noch existierende Staaten. Der Beginn des Frühmittelalters ist mit der sogenannten Völkerwanderung verknüpft, in deren Verlauf das weströmische Kaisertum 476 unterging. Die römischen Verwaltungsstrukturen im Westen verschwanden nur langsam, auf dem Boden des Westreiches entstanden neue germanisch-romanische Reiche. Das von den Merowingern im späten 5. Jahrhundert gegründete Frankenreich entwickelte sich zum bedeutendsten Nachfolgereich im Westen. Im Osten behauptete sich hingegen Ostrom, das im 6. Jahrhundert sogar einige verlorene Territorien im Westen zurückerobern konnte. Allerdings gingen große Teile der eroberten Gebiete bald wieder verloren. Ostrom bzw. Byzanz befand sich zudem bis ins frühe 7. Jahrhundert im Abwehrkampf gegen die persischen Sāsāniden. Im 7./8. Jahrhundert veränderte sich infolge der arabischen Eroberungen die politische Ordnung im Mittelmeerraum grundlegend. Dies bedeutete das endgültige Ende der Antike. Der ehemals byzantinisch kontrollierte Raum im Vorderen Orient und in Nordafrika wurde von den muslimischen Arabern besetzt und langsam islamisiert. Auch auf der Iberischen Halbinsel und auf Sizilien hielten sich längere Zeit islamische Herrschaften. Im Osten eroberten die Araber Persien und drangen bis nach Zentralasien vor. Im 8. Jahrhundert übernahmen im Frankenreich die Karolinger die Herrschaft. Unter ihnen entwickelte sich das Frankenreich zur Hegemonialmacht im Westen. Damit verbunden war eine Verlagerung des politischen Schwerpunkts vom Mittelmeerraum nach West- und Mitteleuropa und eine neue Phase der „staatlichen Ordnung“ in Europa. Unter Karl dem Großen, der im Jahr 800 an das westliche Kaisertum anknüpfte, umfasste das Frankenreich den Kernteil der lateinischen Christenheit vom Norden Spaniens bis in den rechtsrheinischen Raum und nach Mittelitalien. Aus dem im 9. Jahrhundert zerfallenden Karolingerreich entstanden das Westfrankenreich und das Ostfrankenreich, aus denen sich später Frankreich und Deutschland entwickelten. In Ostfranken stiegen im 10. Jahrhundert die Liudolfinger auf, erlangten die westliche Kaiserwürde und legten die Grundlage für das römisch-deutsche Reich, das auch Reichsitalien umfasste. Frankreich und England entwickelten sich schließlich zu territorial geschlossenen Herrschaftsräumen. Politisch waren das 10. und 11. Jahrhundert in den karolingischen Nachfolgereichen, auf der Iberischen Halbinsel und in England eine Konsolidierungsphase; es vollzog sich der Übergang ins Hochmittelalter. Im Norden begann im 8. Jahrhundert die bis ins 11. Jahrhundert andauernde Wikingerzeit. In Osteuropa entstanden ab dem 7. Jahrhundert Herrschaftsgebiete der Slawen, teils auf Stammesbasis, teils in Form von Reichsbildungen. Byzanz konnte sich nach schweren Abwehrkämpfen behaupten und überwand auch den Bilderstreit im 8./9. Jahrhundert. Im 10./11. Jahrhundert stieg Byzanz wieder zur Großmacht im östlichen Mittelmeerraum auf. Dagegen wurde das arabische Kalifat wiederholt von inneren Kämpfen geschwächt. Die seit 661 herrschende Dynastie der Umayyaden wurde 750 von den Abbasiden gestürzt. Unter ihnen erlebte das Kalifat eine kulturelle Blüte, musste aber auch die Abspaltung von Teilgebieten hinnehmen. In Bezug auf staatliche Institutionen und die darauf beruhende Organisation komplexerer Aufgaben waren Byzanz und das Kalifat den schwächeren Monarchien im Westen lange Zeit überlegen. Ebenso war die dortige Wirtschaftskraft und vor allem das kulturelle Milieu ausgeprägter, zumal dort mehr vom antiken Kulturgut und der Wissenschaftstradition erhalten blieb. Im lateinischen Europa etablierte sich im Frühmittelalter eine neue Gesellschaftsordnung mit dem Adel und der hohen Geistlichkeit als den führenden Schichten. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Grundherrschaft. Nach einer Phase des Niedergangs blühte die Kultur in Westeuropa im Zuge der karolingischen Bildungsreform im späten 8. und frühen 9. Jahrhundert spürbar auf, bevor es wieder zu einem zeitweiligen Rückgang kam. Bildung blieb ganz überwiegend auf die Geistlichkeit beschränkt. Wirtschaftlich begann nach einem Einbruch im 7./8. Jahrhundert wieder eine Phase des Aufschwungs, an dem die Städte Anteil hatten, wenngleich das Frühmittelalter wirtschaftlich überwiegend agrarisch geprägt war. Im religiösen Bereich wurde im Inneren Europas die Christianisierung der paganen Gebiete vorangetrieben. Dieser langsame Prozess zog sich teilweise bis ins Hochmittelalter hin, erweiterte den christlichen Kulturkreis aber erheblich nach Nord- und Osteuropa. Das zunächst politisch nicht relevante Papsttum und das Mönchtum gewannen zunehmend an Bedeutung. Die Kirche spielte im kulturellen Bereich ebenfalls eine wichtige Rolle. Mit dem Islam entstand zu Beginn des 7. Jahrhunderts eine neue große monotheistische Religion. Begriff und zeitliche Abgrenzung. Das Mittelalter wird oft mit dem Jahrtausend von etwa 600 bis etwa 1500 gleichgesetzt. Der Begriff bezieht sich in erster Linie auf Europa sowie den Mittelmeerraum als Kulturbereich und lässt sich daher nur bedingt auf die außereuropäische Geschichte anwenden, wenngleich in der historischen Forschung auch bezüglich der Kulturräume Indien, China und Japan spezifische historische Perioden als das jeweilige Mittelalter bezeichnet werden. Relevant ist der Begriff Mittelalter vor allem für den christlich-lateinisch geprägten Teil Europas, da es dort in der Spätantike zu einem politischen und kulturellen Einschnitt kam. Aber auch der byzantinisch-griechische und islamisch-arabische Raum sind für das Verständnis des Mittelalters wesentlich, da alle drei Räume in einer wechselseitigen Beziehung standen. Die Geschichtswissenschaft diskutiert noch immer darüber, wie man das Frühmittelalter zeitlich zur Spätantike und zum Hochmittelalter abgrenzt. Mit dem Ende der Antike und dem Anfang des Frühmittelalters setzte eine Zeit ein, die in der älteren Forschung oft als eher „dunkle Periode“ betrachtet wurde. Dies begann bereits mit dem Aufkommen des Begriffs „Mittelalter“ "(medium aevum)" im Humanismus und festigte sich endgültig mit dem Geschichtsmodell der Aufklärung im 18. Jahrhundert, in der diese Form der Periodisierung vorherrschend wurde und Geschichtsabläufe in einem bestimmten Sinne (einer „mittleren Zeit“ zwischen Antike und Neuzeit) gedeutet wurden. Damit wurde von vornherein eine gewollte Abwertung vorgenommen. Speziell das Frühmittelalter galt im Vergleich zur Antike und der Renaissance als „finstere Epoche“. Dieses Geschichtsbild war noch bis ins 20. Jahrhundert prägend. In der modernen Forschung wird jedoch auf die Problematik solch pauschaler Urteile hingewiesen und für eine differenziertere Betrachtung plädiert. Für den Beginn des Frühmittelalters sind aus unterschiedlichen Perspektiven verschiedene Zeitpunkte und Ereignisse vorgeschlagen worden: Die frühen Datierungen werden in der neueren Forschung nicht mehr vertreten. Vielmehr betrachtet man nun den Zeitraum von ca. 500 bis ca. 700 als fließende Übergangszeit von der Spätantike ins frühe Mittelalter mit Überschneidungen. Dabei wird berücksichtigt, dass dieser Prozess regional sehr unterschiedlich verlief und (unterschiedlich stark ausgeprägt) antike Elemente erhalten blieben. Oft wird von Frühmittelalterhistorikern auch die Entwicklung in der Spätantike ab dem 4. Jahrhundert in die Betrachtung einbezogen, soweit in dieser Phase wichtige Voraussetzungen für die spätere Entwicklung Westeuropas geschaffen wurden. Denn die Spätantike war eine Übergangszeit, die einzelne Wesenszüge des Mittelalters vorwegnahm, so insbesondere die Christianisierung von Staat und Gesellschaft. Während die ältere, am Klassizismus orientierte Forschung einen Bruch zwischen der als vorbildlich geltenden griechisch-römischen Antike und dem vermeintlich „finsteren“ Mittelalter betonte („Katastrophentheorie“), werden in der heutigen Forschung daher die Aspekte der Kontinuität herausgearbeitet und stärker gewichtet. Die Vielzahl von aktuellen Publikationen zeigt den deutlichen Anstieg des Forschungsinteresses an der Übergangszeit von der Spätantike ins Frühmittelalter, wobei die Forschungsansätze stark variieren. In der neueren Forschung wird das Geschehen im eurasischen Raum im ersten Jahrtausend – die Entstehung des spätrömischen Reiches mit all den damit verbundenen Umbrüchen, die „Völkerwanderung“, die Auseinandersetzungen mit Persien, die Entstehung der islamischen Welt und der romanisch-germanischen Welt im Westen des ehemaligen Imperiums – zunehmend im zeitlichen und räumlichen Zusammenhang betrachtet. In diesem Zusammenhang entstand ein als „"long Late Antiquity"“ bezeichnetes Modell der Zeit vom 3. bis 9. Jahrhundert, das von einer Minderheit in der Forschung vertreten wird. Unbestritten ist inzwischen, dass Spätantike und Frühmittelalter nicht als starre chronologische Gebilde begriffen werden dürfen und vielmehr regional unterschiedliche Übergangszeiträume zu berücksichtigen sind. In der neueren Forschung wird das frühmittelalterliche Europa verstärkt nicht mehr isoliert betrachtet, sondern ist eingebettet in einen globalgeschichtlichen Kontext. Auch das Ende des Frühmittelalters und der Beginn des Hochmittelalters wird an keinem einzelnen Datum festgemacht. Als Eckpunkte gelten etwa der endgültige Zerfall des Karolingerreiches und die Bildung der Nachfolgereiche um und nach 900, die Adaptierung der weströmischen Reichsidee durch Kaiser Otto I. 962 (einschließlich der folgenden Entwicklung, die vom Ostfrankenreich zum später so genannten Heiligen Römischen Reich führte), das Ende des ottonischen Kaiserhauses (1024) oder allgemein die Zeit um 1050. Die Gliederungsansätze in der deutschsprachigen Forschung sind vor allem an der mitteleuropäischen Dynastiegeschichte orientiert; in der englischen, französischen und italienischen Forschung stehen andere Gesichtspunkte im Vordergrund. Dies hängt mit den unterschiedlichen Wissenschaftstraditionen zusammen. So gilt zum Beispiel in Großbritannien die Eroberung Englands durch die Normannen im Jahr 1066 als Zäsur. Aus byzantinistischer Sicht sind das Jahr 1054, mit dem das Morgenländische Schisma zwischen Rom und Konstantinopel begann, und die Eroberung Anatoliens durch türkische Nomaden ab 1071 wichtige Einschnitte. Die Datierungsansätze variieren daher in der Fachliteratur, auch in den „europäisch“ ausgerichteten Überblicksdarstellungen, zwischen ca. 900 und der Mitte des 11. Jahrhunderts. Politische Geschichte. Voraussetzungen: Rom in der Spätantike. Auch nach dem Erlöschen des weströmischen Kaisertums im Jahr 476 war das römische Erbe im Mittelalter weiterhin von Bedeutung. Latein blieb die zentrale Verkehrs- und Gelehrtensprache, römische Ämter existierten noch lange nach dem Ende Westroms in den germanisch-romanischen Nachfolgereichen fort. Viele Zeitgenossen nahmen 476 daher nicht als Einschnitt wahr. Materielle Hinterlassenschaften waren allgegenwärtig und wurden teils ebenfalls weiterhin genutzt. Die in Konstantinopel residierenden Kaiser des Ostreichs wurden in den meisten Regionen des Westens noch das ganze 6. Jahrhundert hindurch als Oberherr anerkannt (wenngleich meist ohne praktische Konsequenzen). Denn die Idee des römischen Imperiums prägte nachhaltig das gelehrte Denken: Da die Kirchenväter gelehrt hatten, das Römische Reich sei das letzte vor dem Weltende, folgerten viele christliche Autoren hieraus im Umkehrschluss, dass das "Imperium Romanum" weiterhin bestehe. Dieses Reich allerdings wandelte sich bereits lange vor 476 in vielerlei Hinsicht, und diese Tendenzen setzten sich nun nach dem Wegfall der kaiserlichen Zentralgewalt fort. Das Römische Reich durchlief in der Spätantike einen Transformationsprozess, der lange mit Dekadenz bzw. Verfall gleichgesetzt wurde und erst in der modernen Forschung differenzierter analysiert worden ist. An die Reformen Kaiser Diokletians anknüpfend organisierte Konstantin der Große Verwaltung und Heer zu Beginn des 4. Jahrhunderts weitgehend neu. Noch folgenreicher war die von Konstantin betriebene religionspolitische Wende, die oft als konstantinische Wende bezeichnet wird, vor allem die nach 312 deutliche Privilegierung des Christentums. Die auf Konstantin folgenden Kaiser waren mit Ausnahme Julians alle Christen. Diese Entwicklung gipfelte am Ende des 4. Jahrhunderts in der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion durch Theodosius I. Die paganen (heidnischen) Kulte konnten sich noch bis ins 6. Jahrhundert halten, verloren aber spätestens nach 400 zunehmend an Bedeutung und wurden nur noch von einer schrumpfenden Minderheit praktiziert. Im Gegensatz dazu gewann die christliche Reichskirche immer stärker an Einfluss, wenngleich die verschiedenen innerchristlichen Streitigkeiten (→ Erstes Konzil von Nicäa, Arianismus, Nestorianismus, Monophysitismus) teilweise erhebliche gesellschaftliche und politische Probleme verursachten. Bereits im 3. Jahrhundert entwickelte sich zuerst im Osten des Reiches das Mönchtum, das im Mittelalter von großer Bedeutung war. Im Gegensatz zur älteren Lehrmeinung wird die Entwicklung des römischen Staates und der römischen Gesellschaft in der Spätantike nicht mehr als ein Niedergangsprozess aufgefasst. Vielmehr zeigten Wirtschaft, Kunst, Literatur und Gesellschaft Zeichen spürbarer Vitalität, wenngleich regional unterschiedlich ausgeprägt. Im Osten des Reiches, der im Inneren weitgehend stabil blieb, war die Lage insgesamt deutlich günstiger als im krisengeschüttelten Westen. In der spätantiken Kultur wurde das „klassische Erbe“ gepflegt, gleichzeitig wuchs aber der christliche Einfluss. Christliche und pagane Autoren schufen bedeutende Schriften verschiedener Couleur (siehe Spätantike#Kulturelles Leben). Rechtsgeschichtlich von großer Bedeutung war das spätantike Werk des "Corpus iuris", das ab dem Hochmittelalter umfänglich rezipiert wurde. Der römische Staat war seit Konstantin zentralisierter als zuvor, wobei die nun rein zivilen Prätorianerpräfekten an der Spitze der Verwaltung standen. Es kann aber nicht von einem Zwangsstaat gesprochen werden, zumal die Verwaltung mit ihren rund 30.000 Beamten für die ca. 60 Millionen Einwohner nach modernen Maßstäben personell schwach ausgeprägt war. Im militärischen Bereich wurden häufig Germanen und andere „Barbaren“ für das Heer rekrutiert; da sie anders als früher nicht mehr in gesonderten Verbänden (Auxiliartruppen), sondern in der regulären Armee dienten, wirkte diese nun offenbar „unrömischer“ als zuvor. Eine Sonderrolle spielten dabei die "foederati", reichsfremde Krieger, die als Verbündete galten und nur indirekt römischem Befehl unterstanden. Außenpolitisch verschlechterte sich die Lage des spätantiken Imperiums ab etwa 400. Bereits zuvor hatten Germanen an Rhein und Donau sowie vor allem das neupersische Sāsānidenreich, Roms großer Rivale im Osten, für beständigen Druck gesorgt, doch blieb die Lage bis ins späte 4. Jahrhundert relativ stabil. Die Römer konnten zudem oft selbst die Initiative übernehmen. Nach der faktischen Teilung des Imperiums 395 wurden beide Kaiserhöfe aber wiederholt in Gebietsstreitigkeiten und in Konflikte über den Vorrang im Gesamtreich verwickelt. Das ökonomisch stärkere und bevölkerungsreichere Ostreich konnte die externen und internen Probleme dabei besser lösen, war ab dem 6. Jahrhundert allerdings in einen anhaltenden Konflikt mit den Sāsāniden verwickelt (→ Römisch-Persische Kriege). Westrom hingegen erlebte innere Wirren und eine Kette von Bürgerkriegen. Dort gewannen zudem die Heermeister zunehmend an politischem Einfluss (den sie, anders als im Ostreich, auch behaupten konnten) und kontrollierten am Ende faktisch die Kaiser. Von der Antike ins Mittelalter: die Völkerwanderung. Die sogenannte Völkerwanderung (ca. 375 bis 568) bildet ein Bindeglied zwischen der Spätantike und dem Beginn des europäischen Frühmittelalters. Die zunehmend schwach verteidigten weströmischen Grenzen wurden nun verstärkt von Plünderern germanischer Stämme aus dem Barbaricum überschritten, während im Inneren des Reiches Kriegerverbände (sehr oft mit Familien) umherzogen. "Foederati" (aufgrund von Verträgen in römischen Diensten stehende reichsfremde Kriegergruppen mit eigenen Befehlshabern) wurden insbesondere in die internen Kämpfe verwickelt, die in Westrom jahrzehntelang andauerten. Teils im Zusammenspiel und durch Verträge "(foedera)" mit den römischen Behörden, teils mit militärischer Gewalt gewannen ihre Anführer die Kontrolle über immer größere Teile des westlichen Imperiums, indem sie oft das Machtvakuum füllten, das die fortschreitende Desintegration der kaiserlichen Herrschaft geschaffen hatte. Auf diese Weise trugen sie umgekehrt zu einer Destabilisierung des Weströmischen Reiches bei. Der Auflösungsprozess, verbunden mit dem sukzessiven Verlust der Westprovinzen (vor allem "Africa" und Gallien), schritt bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts rasch voran und endete im Jahr 476 mit der Absetzung des letzten Kaisers in Italien, während sich Ostrom behaupten konnte. Ihren Anfang nahm diese Entwicklung gemäß traditioneller Ansicht bereits im 4. Jahrhundert: Im Jahr 376 baten Goten an der Donau auf der Flucht vor den Hunnen (ein aus Zentralasien stammendes, heterogen zusammengesetztes Reitervolk unklarer Herkunft) um Aufnahme im Osten des Imperiums. Die Römer warben die Krieger als Söldner an. Bald auftretende Spannungen führten jedoch zu einer Meuterei und 378 zur Schlacht von Adrianopel, in der der oströmische Kaiser Valens und ein Großteil seines Heeres fielen. In den folgenden Jahrzehnten agierten diese gotischen Gruppen im Imperium manchmal als "foederati" und manchmal als Gegner Roms. Unter ihrem Anführer Alarich forderten gotische "foederati" vom Westkaiser Flavius Honorius seit 395 zunehmend verzweifelt Versorgung "(annona militaris)"; als es zu keiner Einigung kam, plünderten sie 410 Rom, das längst nicht mehr kaiserliche Residenz, aber doch ein wichtiges Symbol des Imperiums war. In den Jahren 416/18 wurden die Krieger schließlich in Aquitanien angesiedelt. Sie agierten in der folgenden Zeit als römische "foederati" und kämpften etwa unter dem mächtigen weströmischen Heermeister Flavius Aëtius 451 gegen die Hunnen. Der westgotische "rex" Eurich (II.) brach bald nach seinem Regierungsantritt 466 den Vertrag mit dem geschwächten Westreich und betrieb eine expansive Politik in Gallien und Hispanien. Aus diesen Eroberungen entstand das neue Westgotenreich, das bis zum Jahr 507 weite Teile Hispaniens und den Südwesten Galliens umfasste. Für Westrom, das von inneren Machtkämpfen und Usurpationen erschüttert wurde, wurde die Lage durch den Rheinübergang von 406 und die dadurch ausgelöste Entwicklung immer bedrohlicher: Zum Jahreswechsel 406/07 überschritten Vandalen, Sueben und Alanen den Rhein, vermutlich im Raum Mogontiacum (Mainz). Die römische Rheinverteidigung brach vorübergehend zusammen und „barbarische Gruppen“ fielen plündernd in Gallien ein, bevor sie nach Hispanien weiterzogen. Die untereinander verfeindeten Römer warfen einander dabei vor, die fremden Krieger ins Land gerufen zu haben. An den Rhein stießen außerdem die Burgunden vor, die sich kurzzeitig in die römische Politik einmischten, bevor sie in den Dienst der Römer traten und am mittleren Rhein ein bis 436 bestehendes Reich errichteten. Anschließend wurden die Burgunden in das heutige Savoyen umgesiedelt, wo sie ein neues Reich errichteten, das in den 530er Jahren von den Franken erobert wurde. Eine wichtige Rolle im Rahmen der „Völkerwanderung“ und im weiteren Verlauf des Frühmittelalters kommt dem Frankenreich zu. Franken fungierten zu Beginn des 5. Jahrhunderts als römische "foederati" im Nordosten Galliens. Sie profitierten am meisten vom Zusammenbruch der römischen Herrschaftsordnung in Gallien, wo sie Ende des 5. und Anfang des 6. Jahrhunderts ein neues Reich errichteten (siehe unten). Der Kriegerverband der Vandalen setzte unter dem "rex" Geiserich im Jahr 429 von Südspanien nach Nordafrika über, wo die Krieger bis 439 ganz "Africa", die reichste weströmische Provinz, eroberten. Die Vandalen wurden mit einer neuen Flotte zu einer ernsten Bedrohung für die weströmische Regierung, die seit Ende 402 statt in Mailand in Ravenna residierte. Geiserich griff in der Folgezeit immer wieder in die weströmischen Machtkämpfe ein. Im Jahr 455 plünderte er Rom, 468 wehrte er eine gesamtrömische Flottenexpedition ab. Im Inneren erwiesen sich die Vandalen dabei, ähnlich wie viele andere "foederati" nicht als Barbaren, sondern durchaus als Anhänger der römischen Kultur, die weiter in "Africa" gepflegt wurde. Allerdings kam es zwischen den arianischen Vandalen und den katholischen Romanen zu erheblichen religiösen Spannungen, die nicht überwunden wurden, bis in den Jahren 533/534 oströmische Truppen das Vandalenreich eroberten. In Britannien ging währenddessen die römische Ordnung bereits in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts unter. Um 440 rebellierten hier Sachsen, später auch Jüten und Angeln, die als "foederati" gedient hatten, und gründeten eigene Kleinreiche, nachdem Westrom die Insel praktisch sich selbst überlassen hatte. Nur vereinzelt gelang es römisch-britannischen Truppen, den Invasoren Widerstand zu leisten, doch ist über die Details wenig bekannt (siehe unten). Die (später sogenannten) Ostgoten waren nach 375 unter hunnische Herrschaft geraten. Unter Attila erreichte das Hunnenreich an der Donau die größte Machtentfaltung: Sowohl West- wie auch Ostrom bemühten sich um möglichst gute Beziehungen (siehe etwa den ausführlichen Bericht des Priskos über eine oströmische Gesandtschaft 449). Um 450 kam es dann zum Konflikt mit Flavius Aëtius. Nach gescheiterten Vorstößen nach Gallien (451) und Italien (452) zerfiel nach Attilas Tod im Jahr 453 und der Schlacht am Nedao im darauffolgenden Jahr (454) das nur sehr locker organisierte Hunnenreich. Die Ostgoten profitierten davon, nachdem sie in der Schlacht an der Bolia (469) gegen Gepiden und Skiren siegreich geblieben waren. Zunächst in Pannonien, dann in Thrakien lebten sie als römische "foederati". Währenddessen war das immer weiter schrumpfende weströmische Reich, d. h. das vom Hof in Ravenna kontrollierte Gebiet, schließlich auf Italien beschränkt, nachdem Westrom "Africa", Hispanien und Gallien faktisch an die verschiedenen Kriegergruppen verloren hatte. Damit waren ganz erhebliche steuerliche Einbußen verbunden, was sich auf die militärischen Ressourcen auswirkte. Nach der Ermordung des durchaus ehrgeizigen Aëtius im Jahr 454 durch Kaiser Valentinian III. (der im folgenden Jahr getötet wurde) beschleunigte sich der staatliche Erosionsprozess im Westreich. Des Weiteren hatten in den letzten Jahrzehnten Westroms nur „Schattenkaiser“ regiert, während die wahre Macht bei den Heermeistern lag und die Armee von den Kaisern nicht mehr effektiv kontrolliert werden konnte. Das nun fast vollkommen „barbarisierte“ weströmische Heer hatte im Jahr 476 Land von der weströmischen Regierung gefordert; als die Forderung nicht erfüllt wurde, meuterten die Truppen. Ihr Anführer Odoaker setzte den letzten römischen Kaiser in Italien, Romulus Augustulus, Anfang September 476 ab. Damit blieb nur noch (wenngleich sich der im Jahr 475 aus Italien vertriebene Kaiser Julius Nepos bis 480 in Dalmatien hielt) der Kaiser in Konstantinopel als Oberhaupt des auf das Ostreich reduzierten Imperiums übrig. Der oströmische Kaiser Zenon schlug im Jahr 488 dem ostgotischen Heerkönig Theoderich, der ihm immer gefährlicher zu werden erschien, eine Invasion Italiens vor. Ein Jahr später (489) fiel Theoderich in Italien ein und besiegte und tötete Odoaker im Jahr 493. Italien prosperierte unter der Herrschaft Theoderichs, doch begann nach seinem Tod im Jahr 526 eine Krisenzeit. Ostrom nutzte dynastische Kämpfe aus, um im Gotenkrieg (ab 535) das ehemalige Kernland des Imperiums zu erobern. Dies gelang bis zum Jahr 552, doch war Italien anschließend verwüstet. Der Einfall der Langobarden im Jahr 568, die von Pannonien aus aufgebrochen waren und bald schon große Teile Ober- und Mittelitaliens beherrschten, setzte hierbei nur den Schlusspunkt. Im Gegensatz zur älteren Forschung wird heute auf die Problematik des Begriffs "Völkerwanderung" und dem damit verbundenen Geschichtsbild hingewiesen. Nicht ganze Völker „wanderten“ demnach, es waren vielmehr unterschiedlich große, heterogen zusammengesetzte Kriegergruppen mit ihrem Anhang, die erst im Laufe der Zeit zu Verbänden zusammenwuchsen und eine eigene Identität beanspruchten. Dieser Vorgang kann nicht anhand von biologischen Kategorien erfasst werden; Identitäten entstanden vielmehr in einem wechselhaften sozialen Prozess, bei dem mehrere Faktoren eine Rolle spielen. Die Mitglieder dieser Gruppen einte nicht zuletzt das Bemühen, am Wohlstand des Imperiums, das sie keineswegs zerstören oder erobern wollten, teilzuhaben. Lange Zeit versuchten sie dieses Ziel zu erreichen, indem sie in die Dienste der Römer traten und für diese gegen äußere und innere Feinde kämpften. In diesem Kontext spielt der Prozess der Ethnogenese eine wichtige Rolle, also der Entstehung neuer Gruppen, die fiktiv Abstammungsgemeinschaften waren, deren Einheit aber in Wirklichkeit politisch und sozial begründet war. Allerdings wurde dieser einflussreiche Forschungsansatz (den unter anderem Herwig Wolfram und mit Modifizierungen Walter Pohl vertreten haben) in den letzten Jahren durch mehrere anglo-amerikanische Forscher teilweise in Frage gestellt. Wolfram und Pohl verwenden den Ethnogenese-Begriff in ihren neueren Arbeiten allerdings selbst nicht mehr, sondern betonen den Identitätsbegriff, der in der neueren Forschung verstärkt eine Rolle spielt. Die Völkerwanderung war zudem viel mehr als nur ein Abwehrkampf des Römischen Reiches. Sie war vor allem eine Transformation der bisherigen römischen Mittelmeerwelt hin zu einer germanisch-romanischen Welt im Westen und einer griechisch-römischen Welt im Osten. Die teils dramatischen Veränderungen am Ende der Spätantike dürfen hierbei nicht übersehen, aber auch nicht überschätzt werden, denn es lassen sich ebenso zahlreiche Zeichen der Kontinuität ausmachen. Im Verlauf des sechsten und siebten Jahrhunderts kam es im Westen so zu einer langsamen Transformation hin zu einer germanisch-romanischen Welt, die das europäische Mittelalter prägen sollte. Dieser Prozess verlief aber keineswegs geradlinig oder war zwangsläufig, sondern war vielmehr geprägt von Kontingenzerfahrungen für die damalig handelnden Personen. Westrom wurde nicht von „Barbaren“ überrannt und vernichtet. Es fiel vielmehr einem politischen Desintegrationsprozess zum Opfer. Spätestens seit dem frühen 5. Jahrhundert nahm der Einfluss der hohen Militärs im Westreich derart zu, dass die Heermeister nun die wahre Macht ausübten. Neben dem Militär entglitten aber auch zusehends wichtige Provinzen (vor allem "Africa", bald darauf aber auch große Teile Hispaniens und Galliens) der kaiserlichen Kontrolle. Andere Militärführer oder auch Anführer diverser "gentes" agierten währenddessen als "Warlords" auf eigene Rechnung und profitierten so von der politischen Erosion im Westreich. Die im Laufe der Völkerwanderung entstandene „post-römische Welt“ war in vielerlei Hinsicht noch immer eng mit der Antike verbunden, wenngleich sie sich immer mehr veränderte. Johannes Fried fasst dies folgendermaßen zusammen: Nach und nach verschwanden im Westen immer größere Teile der gewohnten römischen Institutionen, zunächst (bereits im 5. Jahrhundert) die Armee, dann die römische Verwaltungsordnung. Römische Bildung und kulturelle Traditionen, die eng mit der spätantiken urbanen Gesellschaft zusammenhingen, befanden sich ebenfalls im Niedergang, aber keineswegs überall (wenn man vom Spezialfall Britannien absieht, wo es recht rasch zu einem Zusammenbruch kam): Vor allem in Nordafrika, im Westgotenreich sowie in Italien und teilweise in Gallien florierte die spätantike Kultur vielmehr noch bis weit ins 6. Jahrhundert hinein. Eine wichtige Vermittlerrolle kam in diesem Zusammenhang der Kirche zu, in deren Klöstern antike Texte aufbewahrt und später kopiert wurden, bereits beginnend mit Cassiodor. Die Bücherverluste in der Spätantike führten allerdings dazu, dass zahlreiche antike Werke nur anhand von Zitaten und Zusammenfassungen rezipiert werden konnten. Ebenso funktionierte die römisch ausgebildete Verwaltung in diesen Gebieten noch längere Zeit. Die ohnehin verschwindend kleine Minderheit der Germanen glich sich außerdem der einheimischen romanischen Bevölkerung mit deren überlegener römischer Zivilisation oft an, war aber religiös von den Romanen weitgehend abgesondert. Die Germanen waren, wenn sie nicht zuvor in paganer religiöser Tradition standen, mehrheitlich arianische Christen, die Bevölkerung hingegen römisch-katholisch, was oft zu Spannungen führte, vor allem im Vandalenreich sowie teils im ostgotischen und langobardischen Italien. Die Franken hingegen vermieden mit der Annahme des katholischen Bekenntnisses unter Chlodwig I. solche Probleme. Die spätantike Mittelmeerwelt im Wandel: Von Justinian bis zum Einbruch des Islam. Im 6. Jahrhundert wurden die Mittelmeerwelt und der Vordere Orient von zwei rivalisierenden Großmächten dominiert: dem Oströmischen Reich und dem neupersischen Sāsānidenreich, das Ostrom militärisch und kulturell durchaus gewachsen war. Der (ost-)römische Kaiser Justinian (reg. 527–565) betonte im Inneren die christlich-sakrale Komponente seines Kaisertums, nach außen strebte er seit den 530er Jahren die Rückgewinnung von Territorien im Westen an. Wenngleich die Zeit Justinians den Charakter einer Übergangszeit hat, orientierte sich der Kaiser politisch weiterhin an der römischen Tradition. Er kümmerte sich intensiv um die Religionspolitik und ging gegen die Reste der paganen Kulte und gegen häretische christliche Gruppen vor. Eine Lösung der teils schwierigen theologischen Probleme (siehe unter Monophysitismus) und die Durchsetzung eines einheitlichen christlichen Glaubensbekenntnisses für das gesamte Reich gelang ihm allerdings nicht. Außerdem betrieb er eine energische Bau- und Rechtspolitik (siehe "Corpus iuris civilis"). Außenpolitisch ging das Imperium in seiner Regierungszeit im Westen in die Offensive und konnte auf den ersten Blick beeindruckende Erfolge vorweisen. Dank fähiger Befehlshaber wie Belisar gelang 533/34 die rasche Eroberung des Vandalenreichs in Nordafrika. 535 bis 552 wurde nach harten Kämpfen im Gotenkrieg das Ostgotenreich in Italien erobert. Sogar in Südspanien fasste Ostrom seit 552 vorläufig wieder Fuß. Damit erstreckte sich das "Imperium Romanum" wieder vom Atlantik bis nach Mesopotamien. Allerdings beanspruchte diese Ausweitung alle Mittel des Reiches, das im Inneren durch Naturkatastrophen und Seuchen (→ Justinianische Pest und die daran anschließenden Pestwellen bis ins 8. Jahrhundert hinein) geschwächt wurde. Im Osten musste Justinian zudem gegen die Sāsāniden Rückschläge hinnehmen und konnte erst nach wechselhaften und verlustreichen Kämpfen 562 mit dem bedeutenden Perserkönig Chosrau I. Frieden schließen. Als Justinian 565 starb, war das Imperium von den langen Kriegen im Westen und im Osten geschwächt, aber zugleich unzweifelhaft die bedeutendste Macht im Mittelmeerraum. Nachdem es in der Regierungszeit Justins II. 572 wieder zum Krieg mit Persien gekommen war, wobei keiner Seite ein entscheidender Erfolg gelang, konnte Kaiser Maurikios (reg. 582–602) von einem Konflikt um die persische Thronfolge profitieren und mit König Chosrau II. 591 Frieden schließen. Die Ermordung des Kaisers im Jahr 602 nahm Chosrau II. aber zum Vorwand, um in römisches Gebiet einzufallen. Von 603 bis 628 tobte daher der „letzte große Krieg der Antike“. Persische Truppen eroberten bis 619 Syrien und Ägypten, die Kornkammer des Reiches, und belagerten 626 zusammen mit den Awaren (die Ende des 6. Jahrhunderts im Balkanraum ein Reich errichtet hatten) sogar Konstantinopel. Das Reich befand sich in einer äußerst schwierigen Situation, eine vollständige Vernichtung schien nicht ausgeschlossen. Der Gegenschlag des Herakleios (reg. 610–641) in den Jahren 622 bis 628 rettete aber das Reich und zwang die Perser schließlich zum Rückzug. 628 bat Persien angesichts innerer Wirren um Frieden, und Herakleios, der als einer der bedeutendsten Kaiser der oströmisch-byzantinischen Geschichte gilt, stand auf dem Höhepunkt seines Ansehens; sogar aus dem Frankenreich erreichten ihn Glückwünsche zu seinem großen Sieg. Doch das Imperium war von den schweren Kampfhandlungen über die vergangenen Jahrzehnte extrem geschwächt, in den Quellen kommt das Ausmaß der Vernichtung deutlich zum Ausdruck. Im Inneren schloss Herakleios die Gräzisierung des Staates ab, doch es gelang ihm weder die religiösen Streitigkeiten zu beenden (→ Monotheletismus) noch das Reich wieder zu konsolidieren. Als in den 630er Jahren die islamische Expansion begann, waren Ostrom und Persien nach den langen Kriegen nicht mehr in der Lage, effektiv Widerstand zu leisten, was ein wichtiger Grund für die schnellen arabischen Erfolge war. Die Wüstengrenze war für Ostrom und Persien ohnehin kaum zu kontrollieren (man hatte hier in Gestalt der Lachmiden und Ghassaniden vielmehr auf arabische Verbündete gesetzt) und größere Truppenverbände waren dort nach dem Perserkrieg nicht stationiert; hinzu kam die Mobilität der muslimischen Araber. Das von Bürgerkriegen zusätzlich geschwächte Sāsānidenreich erlitt zwei schwere Niederlagen gegen die Araber (638 in der Schlacht von al-Qādisīya und 642 in der Schlacht bei Nehawand). Zwar leisteten die Perser Widerstand und konnten zu Beginn eine große Schlacht gewinnen sowie einige erfolgreiche kleinere Gegenoffensiven führen, doch schließlich brach ihr Reich 651 zusammen; die Söhne des letzten persischen Großkönigs Yazdegerd III. flohen an den chinesischen Kaiserhof der Tang-Dynastie. Persien konnte seine kulturelle Identität unter der islamischen Herrschaft aber weitgehend bewahren und wurde relativ langsam islamisiert, ähnlich wie die christlichen Gebiete in Ägypten und Syrien. Zu Beginn des 8. Jahrhunderts eroberten die Araber Sogdien (siehe auch Ghurak und Dēwāštič) und stießen weiter nach Zentralasien vor. Im Westen unterlagen oströmische Truppen 636 in der Schlacht am Jarmuk den Arabern und mussten Syrien vollständig räumen, nachdem Damaskus 635 kapituliert hatte. Syrien diente von nun an als Ausgangsbasis für arabische Angriffe auf Kleinasien, das die Oströmer jedoch halten konnten und das nun zum Kernland des Imperiums wurde. Jerusalem ergab sich 638. Am schmerzhaftesten war der Verlust Ägyptens 640/42 (aufgrund dessen Wirtschaftskraft, des Steueraufkommens und des Getreides). Bald darauf nahmen die Araber Armenien, Zypern (649) und Rhodos (654) ein. Sie stießen die nordafrikanische Küste entlang nach Westen vor und besetzten um 670 das heutige Tunesien, Karthago konnte noch bis 698 gehalten werden. 711–725 folgte die Eroberung des Westgotenreichs in Hispanien und Südwestgallien. Vorstöße ins Frankenreich blieben aber erfolglos. 655 erlitt die oströmische Flotte unter Konstans II. in der Schlacht von Phoinix eine schwere Niederlage gegen die Araber, die nun als Seemacht auftraten und damit den Handel und die maritime Vorherrschaft Ostroms bedrohten. Den Oströmern/Byzantinern gelangen allerdings auch einige wichtige Erfolge: Bei der Verteidigung von Konstantinopel 674 bis 678 vernichteten sie die arabische Flotte; ob es in diesem Zusammenhang zu einer regelrechten Belagerung kam, ist in der neueren Forschung allerdings umstritten. 677/678 konnten die Oströmer trotz beschränkter Ressourcen zu einer Offensive übergehen und vorübergehend sogar Truppen in Syrien landen. Ostrom-Byzanz konnte den Verlust der orientalischen Provinzen dennoch nicht verhindern oder rückgängig machen und wurde in die Defensive gedrängt. Die antike Einheit des Mittelmeerraums (die sowohl politisch als auch wirtschaftlich von großer Bedeutung für die Stabilität des römischen Staatswesens gewesen ist) war mit den arabischen Eroberungen beendet. 100 Jahre nach Justinians Tod hatte das Römische Reich nun mehr als die Hälfte seines Territoriums und seiner Bevölkerung verloren, während an der Ost- und Südküste des Mittelmeers mit dem arabischen Kalifat ein neues Reich mit einem neuen Glauben entstanden war. Damit war die alte Weltordnung, die die gesamte Spätantike zwischen Ostrom und Persien bestanden hatte, infolge der arabischen Eroberungen zerbrochen und durch eine neue Ordnung ersetzt, in der Ostrom-Byzanz gegen das Kalifat um die reine Existenz kämpfen musste. Das Oströmische Reich, das um 700 schließlich auf Kleinasien, Griechenland, Konstantinopel samt Umland und einige Gebiete in Italien beschränkt war, wandelte sich nun endgültig zum griechischen Byzanz des Mittelalters. Die Zeit von der Mitte des 7. bis ins 8. Jahrhundert war weiterhin von schweren Abwehrkämpfen geprägt. Die schließlich erfolgreiche Abwehr verhinderte ein weiteres Vordringen der Araber nach Südosteuropa. Die Dynastie des Herakleios regierte noch bis 711. Unter Kaiser Leo III., der 717 an die Macht kam, ging Byzanz gegen die Araber wieder begrenzt in die Offensive (siehe unten). Für die Geschichte West- und Mitteleuropas war entscheidend, dass die Kaiser ab dem 7. Jahrhundert faktisch gezwungen waren, den einstigen Westen des "Imperium Romanum" weitestgehend sich selbst zu überlassen: Anders als noch im 6. Jahrhundert war mit militärischen Interventionen nun nicht mehr zu rechnen. Konstantinopel rückte in die Ferne. Das Frankenreich der Merowinger. Das im späten 5. Jahrhundert entstandene Frankenreich sollte sich zum bedeutendsten der germanisch-romanischen Nachfolgereiche im Westen entwickeln. Der Aufstieg der Franken von einer Regionalmacht im Nordosten Galliens zu einem Großreich begann unter der Führung von Königen aus dem Geschlecht der Merowinger. Der in Tournai residierende salfränkische König "(rex)" Childerich I. etablierte einen eigenen Machtbereich in Nordgallien, wobei er auf die weiterhin arbeitenden lokalen Waffenschmieden "(fabricae)" zurückgreifen konnte. Es wird oft angenommen, dass er mit dem gallorömischen Feldherrn Aegidius kooperierte, der sich 461 gegen die weströmische Regierung erhob, doch sind die Details unklar. Aegidius, der nun faktisch als Warlord agierte, errichtete in Nordgallien einen unabhängigen Herrschaftsbereich; nach seinem Tod folgte ihm nach kurzer Zeit sein Sohn Syagrius nach. Childerichs Sohn Chlodwig vernichtete die anderen fränkischen Kleinreiche (unter anderem Ragnachars und Chararichs) und wurde damit zum Gründer des Frankenreichs. 486/487 eroberte Chlodwig das Reich des Syagrius. 507 wurden die Westgoten in der Schlacht von Vouillé besiegt und faktisch aus Gallien verdrängt. Gegen die Alamannen ging Chlodwig ebenfalls vor, während es mit den Burgunden zu einer vorläufigen Annäherung kam. Der ursprünglich pagane Chlodwig trat zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt (wahrscheinlich eher gegen Ende seiner Herrschaft) zum Christentum über. Entscheidend war, dass er sich für das katholische Bekenntnis entschied und somit Probleme vermied, die sich bisweilen in den anderen germanisch-romanischen Reichen zwischen den Eroberern und der römischen Bevölkerung ergaben. Das geschickte und gleichzeitig skrupellose Vorgehen Chlodwigs sicherte den Franken eine beherrschende Stellung in Gallien. Das Frankenreich wurde nach dem Tod Chlodwigs im Jahr 511 unter seinen vier Söhnen Theuderich, Chlodomer, Childebert und Chlotar aufgeteilt, wobei jeder einen Anteil an dem fränkischen Stammland in Nordgallien und den eroberten Gebieten im Süden erhielt. Die verbreitete Praxis unter den Franken, den Herrschaftsbesitz nach dem Tod eines Königs unter den Söhnen zu teilen, sorgte für eine Zersplitterung der königlichen Zentralgewalt. Thronstreitigkeiten waren nicht selten, zumal die meisten Merowinger kein hohes Alter erreichten und oft Kinder von mehreren Frauen hatten, was die Nachfolgeregelung erschwerte. Für Verwaltungsaufgaben hatte bereits Chlodwig die gallorömische Oberschicht und hierbei speziell die Bischöfe (wie Gregor von Tours, dessen Geschichtswerk die wichtigste Quelle zur fränkischen Geschichte des 6. Jahrhunderts ist) herangezogen. Er hatte außerdem das System der vor allem in Südgallien verbreiteten römischen "civitates" genutzt, wo der gallorömisch-senatorische Adel (deren Vorfahren einst römische Staatsämter bekleidet hatten und nun als lokale und vor allem kirchliche Würdenträger fungierten) noch längere Zeit nachweisbar ist. Die Verwaltung orientierte sich zunächst noch weitgehend an spätrömischen Institutionen (so wurden im 6. Jahrhundert noch Steuerlisten geführt und von königlichen Beamten verwaltet), bevor diese verschwanden und zunehmend Grafen "(comites)" und Herzöge "(duces)" an Einfluss gewannen. Die fränkische Expansion wurde weiter vorangetrieben: 531/534 wurden die Thüringer und 534 die Burgunden unterworfen. Den Gotenkrieg in Italien nutzten die Franken, um Teile des ostgotischen Territoriums zu besetzen. Theuderichs Sohn Theudebert I. sah seine Stellung im Osten des Merowingerreiches als so gefestigt an, dass er angeblich sogar mit dem Gedanken gespielt haben soll, Kaiser Justinian herauszufordern. Allerdings deuteten sich schon im 6. Jahrhundert Spaltungen des fränkischen Herrschaftsbereichs ("Francia") an, die bei späteren Kämpfen zwischen Teilherrschern immer wieder eine Rolle spielten. Der galloromanische Süden mit den Zentren an Rhone und Saône behielt lange seine aus dem gallorömischen Senatsadel hervorgegangene Elite und seine spätantiken städtischen Strukturen mit starker Stellung der Bischöfe und das Römische Recht "(droit écrit)" bei. Hingegen wechselten im stärker germanisierten Norden die Eliten, die städtische Kultur verfiel zum Teil und das im germanischen Stammesrecht wurzelnde Gewohnheitsrecht "(droit coutumier)" spielte eine wachsende Rolle. Erst seit dem 15. Jahrhundert näherten sich die Rechtssysteme allmählich an. Im Südwesten Galliens hielten sich westgotische Einflüsse. Immer wieder flammten im Inneren Kämpfe zwischen den einzelnen merowingischen Teilherrschern auf. Nach dem Tod Chlothars I. 561 entbrannte ein merowingischer Bruderkrieg, der erst 613 mit der Wiedervereinigung des Gesamtreiches unter Chlothar II. endete. Dagobert I., der 623 die Herrschaft im Teilreich Austrasien antrat und von 629 bis 639 über das Gesamtreich herrschte, gilt allgemein als der letzte starke Merowingerkönig, wenngleich auch er dem mächtigen Adel einige Zugeständnisse machen musste. Nach der gängigen Lehrmeinung verfiel nach Dagoberts Tod die königliche Macht immer mehr und die wahre Macht lag in den Händen der Hausmeier. Diese waren ursprünglich nur Verwalter des Königshofes, doch gewannen sie im Laufe der Zeit immer mehr Einfluss. Da die adeligen Hausmeier (deren Titel schließlich erblich wurden) zudem über großen Landbesitz verfügten, waren sie für den König nur sehr schwer zu kontrollieren. Die Einschätzung der seit Mitte des 7. Jahrhunderts übergroßen Macht der Hausmeier orientiert sich an der Sichtweise der karolingerzeitlichen fränkischen Geschichtsschreibung, etwa den Reichsannalen und Einhards "Vita Karoli Magni". In der Darstellung dieser Quellen erscheint die Übertragung der fränkischen Königswürde auf die Karolinger im Jahr 751 als notwendige Konsequenz der Machtlosigkeit der letzten Merowinger, die sich in deren eher lächerlichem Erscheinungsbild gespiegelt habe. Die negative Einstellung der karolingerzeitlichen Autoren zu den späten Merowingern erschwert allerdings eine unvoreingenommene Beurteilung. In der neueren Forschung wird bisweilen bezweifelt, dass die letzten Merowingerkönige wirklich so machtlos waren, wie es die karolingische Geschichtsschreibung unterstellt. Es kann davon ausgegangen werden, dass die parteiischen Quellen zumindest Teile der historischen Erzählung verformt haben. Sicher ist, dass die Karolinger nach dem gescheiterten Versuch Grimoalds des Älteren, schon im 7. Jahrhundert einen Dynastiewechsel herbeizuführen, lange davor zurückschreckten, die Merowinger zu entmachten, sei es aufgrund sakraler Königsvorstellungen oder aufgrund eines verwurzelten dynastischen Denkens. Nach der Schlacht bei Tertry 687 begann der endgültige Aufstieg der Karolinger, deren Bezeichnung auf den mächtigen fränkischen Hausmeier Karl Martell zurückgeht. Karl Martell konnte sich gegen konkurrierende Hausmeier durchsetzen und fungierte bis zu seinem Tod 741 als wahre Macht hinter dem Thron, wobei er die Grenzen des Reichs sichern und erweitern konnte (unter anderem durch die Unterwerfung der Friesen). Die Karolinger kontrollierten fortan die Regierungsgeschäfte im Reich und errangen schließlich 751 die fränkische Königswürde, als der letzte Merowingerkönig Childerich III. abgesetzt wurde. Vom Karolingerreich zu West- und Ostfranken. 751 wurde in Absprache mit Papst Zacharias Pippin der Jüngere als erster Karolinger zum fränkischen König erhoben (reg. 751–768). Die Salbung Pippins durch den Papst im Jahr 754 diente offenbar der zusätzlichen Legitimation und legte das Fundament für die Rolle der fränkischen Könige als neue Schutzherren des Papstes in Rom. Die frühen karolingischen Könige erwiesen sich als fähige Herrscher. Pippin intervenierte in Italien, wo er gegen die Langobarden vorging, führte Feldzüge in Aquitanien und sicherte die Pyrenäengrenze. Er genoss bei seinem Tod im Jahr 768 weit über die Grenzen des Frankenreichs hinaus Ansehen. Das Reich wurde unter seinen beiden Söhnen Karlmann und Karl aufgeteilt. Zwischen den Brüdern bestanden offenbar starke Spannungen; nach dem unerwarteten Tod Karlmanns Ende 771 ignorierte Karl die Erbansprüche der Söhne Karlmanns (die später vermutlich auf Karls Befehl beseitigt wurden) und besetzte dessen Reichsteil. Karl, später "Carolus Magnus" („Karl der Große“) genannt, gilt als der bedeutendste Karolinger und als einer der bedeutendsten mittelalterlichen Herrscher (reg. 768–814). Nach Sicherung der Herrschaft im Inneren begann Karl ab dem Sommer 772 Feldzüge gegen die Sachsen. Die daraus resultierenden Sachsenkriege dauerten mit Unterbrechungen bis 804 und wurden mit äußerster Brutalität geführt. Ziel war nicht nur die Eroberung des Landes, sondern auch die gewaltsame Christianisierung der bis dahin paganen Sachsen. Militärisch spielte die fränkische Panzerreiterei eine wichtige Rolle. Zeitgleich dazu intervenierte Karl auf päpstlichen Wunsch hin 774 in Italien und eroberte das Langobardenreich, das er mit dem Frankenreich vereinigte. Weniger erfolgreich verlief der Spanienfeldzug im Jahr 778 gegen die Mauren, wenngleich später zumindest die Spanische Mark errichtet werden konnte. Karls diplomatische Kontakte reichten bis zum Kalifen Hārūn ar-Raschīd. Im Osten seines Reiches beendete er 788 die Selbstständigkeit des Stammesherzogtums Bayern. Es kam außerdem zu Kämpfen mit den Dänen und mehreren Slawenstämmen sowie zum letzten Endes erfolgreichen Reichskrieg gegen die Awaren (791–796). Karl hatte in jahrzehntelangen Kämpfen die Grenzen des Reiches erheblich erweitert und das Frankenreich als neue Großmacht neben Byzanz und dem Kalifat etabliert. Das Karolingerreich umschloss nun weite Teile der lateinischen Christenheit und war das bedeutendste staatliche Gebilde im Westen seit dem Fall Westroms. Karl machte Aachen zu seiner Hauptresidenz. Zur effizienteren Organisation der Herrschaftsordnung nutzte er "comites" (sogenannte „Grafschaftsverfassung“) und die von ihm geförderte Kirche. Die sogenannte karolingische Renaissance (die besser als „karolingische Bildungsreform“ bezeichnet werden sollte) sorgte für eine kulturelle Neubelebung des christlichen Westeuropas, nachdem es ab dem 7. Jahrhundert zu einem Bildungsverfall im Frankenreich gekommen war. Den Höhepunkt von Karls Regierungszeit stellte seine Kaiserkrönung zu Weihnachten des Jahres 800 durch Papst Leo III. in Rom dar. Die Details dieses Vorgangs und seine Vorgeschichte sind in der Forschung umstritten. Fest steht, dass damit aus Sicht der Zeitgenossen das Kaisertum erneuert worden war, was allerdings zu Konflikten mit Byzanz führte (Zweikaiserproblem). Für die Geschichte des Mittelalters ist dieses Ereignis von großer Bedeutung, da es den Grundstein für das westliche mittelalterliche Kaisertum legte. Karl hinterließ bei den folgenden Generationen einen bleibenden Eindruck. Im anonymen Karlsepos wird der Kaiser sogar als "pater Europae", als Vater Europas, gepriesen. Er galt im Mittelalter als Idealkaiser. Damit begann bereits die Mythenbildung um Karl, was bis in die Neuzeit unterschiedliche Geschichtsbilder zur Folge hatte. Nach Karls Tod im Januar 814 folgte ihm sein Sohn Ludwig der Fromme nach, den Karl bereits 813 zum Mitkaiser gekrönt hatte. Die ersten Regierungsjahre Ludwigs waren vor allem von seinem Reformwillen im kirchlichen und weltlichen Bereich geprägt. Programmatisch verkündete er die "Renovatio imperii Francorum", die Erneuerung des fränkischen Reiches. Ludwig bestimmte 817, dass nach seinem Tod eine Reichsteilung erfolgen sollte. Sein ältester Sohn Lothar sollte jedoch eine Vorrangstellung vor seinen anderen Söhnen Ludwig (in Bayern) und Pippin (in Aquitanien) erhalten. Eine schwierige Lage entstand jedoch, als Kaiser Ludwig 829 auch Karl, seinem Sohn aus seiner zweiten Ehe mit der am Hof einflussreichen Judith, einen Anteil am Erbe zusicherte. Bereits zuvor hatte es Gegner der neuen Reichsordnung gegeben; sie leisteten dem Kaiser nun offen Widerstand. Mit der Erhebung der drei ältesten Söhne gegen Ludwig den Frommen im Jahr 830 begann die Krisenzeit des Karolingerreiches, die schließlich zu dessen Auflösung führte. Die Rebellion richtete sich zunächst vor allem gegen Judith und ihre Berater, doch führte sie 833 zur Gefangennahme des Kaisers auf dem „Lügenfeld bei Colmar“, wobei das Heer Ludwigs zum Gegner überlief. Anschließend musste Ludwig einer demütigenden Bußhandlung zustimmen. Damit war aber der Bogen überspannt und die drei älteren Söhne Ludwigs zerstritten sich wieder. 834 wandten sich mehrere Anhänger von Lothar ab, der sich nach Italien zurückzog. Während das Reich von außen zunehmend von Wikingern, Slawen und Arabern bedrängt wurde, blieben die Spannungen im Inneren bestehen. Ludwig war bestrebt, Karls Erbteil zu sichern. Nach Pippins Tod 839 wurde Karl mit dem westlichen Reichsteil ausgestattet, doch war die Lage bei Ludwigs Tod im Jahr 840 weiterhin ungeklärt. Im Ostteil hatte Ludwig der Deutsche seine Stellung gesichert, ähnlich Karl im Westen, so dass der Druck auf Kaiser Lothar stieg. Karl und Ludwig verbündeten sich gegen Lothar und besiegten ihn in der Schlacht von Fontenoy am 25. Juni 841. Im Februar 842 bekräftigten sie ihr Bündnis mit den Straßburger Eiden. Auf Drängen der fränkischen Adeligen kam es 843 zum Vertrag von Verdun, womit die Teilung des Reiches im Grunde bestätigt wurde: Karl regierte den Westen, Ludwig den Osten, während Lothar ein Mittelreich und Italien erhielt. Die in diesem Zusammenhang in der Forschung oft diskutierte Frage nach den Anfängen der „deutschen“ Geschichte führt eher in die Irre, da es sich um einen längerfristigen, bis in das 11. Jahrhundert hinziehenden Prozess gehandelt hat; erst ab dem 10. Jahrhundert ist die Bezeichnung "Regnum Teutonicorum" gesichert nachweisbar. Offenbar grenzten sich jedoch die karolingischen Reichsteile bereits im 9. Jahrhundert immer mehr voneinander ab, die Reichseinheit konnte nur noch vorübergehend wiederhergestellt werden. Nach Lothars Tod 855 erbte sein ältester Sohn Lothar II. das Mittelreich. Nach dessen Tod 869 kam es zum Konflikt zwischen Karl und Ludwig um das Erbe, was 870 zur Teilung im Vertrag von Meerssen führte. Damit formierten sich endgültig das West- und das Ostfrankenreich, während in Italien von 888 bis 961 separat Könige regierten. Die Idee der Reichseinheit hatte weiterhin einige Anhänger. Unter Karl III., der 881 die Kaiserkrone errang und seit 882 über ganz Ostfranken herrschte, war das gesamte Imperium für wenige Jahre noch einmal vereint, als er 885 auch die westfränkische Königskrone erwarb. Doch blieb diese Reichseinigung eine Episode, zumal Karl die zunehmenden Wikingerangriffe nicht effektiv abwehren konnte (Frieden von Asselt 882 und Belagerung von Paris 885–886) und Ostfranken Ende 887 an seinen Neffen Arnolf verlor (reg. 887–899). In der „Regensburger Fortsetzung“ der Annalen von Fulda ist zum Jahr 888 abschätzig vermerkt, nach dem Tod Karls (im Januar 888) hätten viele "reguli" (Kleinkönige) in Europa nach der Macht gegriffen. Arnolf bestätigte die Herrschaft der neuen Könige, so in Westfranken, Burgund sowie Italien. Seine Herrschaftsbasis war Bayern. Er beschränkte seine Herrschaft explizit auf Ostfranken, wo er Slawen und Wikinger abwehrte. Einen Italienzug lehnte Arnolf zunächst ab. Erst 894 begab er sich einem päpstlichen Hilferuf folgend nach Italien; 896 erwarb er sogar die Kaiserkrone. Dennoch war der Zusammenbruch des Karolingerreichs unübersehbar. Auch kulturell trat im späten 9. Jahrhundert ein Niedergang ein, vor allem in Ostfranken, wo es zu einem spürbaren Rückgang der literarischen Produktion kam. Im Osten starb der letzte Karolinger Ludwig das Kind im Jahr 911; ihm folgte Konrad I. nach. Konrad war bemüht, Ostfranken zu stabilisieren, wobei er sich gegen den mächtigen Adel behaupten und gleichzeitig die Ungarn abwehren musste, die wenige Jahre zuvor ein Reich gegründet hatten. Am Ende erwies sich seine Herrschaft, die durchaus an karolingischen Traditionen orientiert war, als bloße Übergangszeit zu den Ottonen, die von 919 bis 1024 die ostfränkischen Könige stellten. In Westfranken regierten die Karolinger mit Unterbrechungen noch bis zum Tod Ludwigs V. 987, hatten jedoch schon zuvor ihre Macht weitgehend verloren. An ihre Stelle traten die Kapetinger, die anschließend bis ins 14. Jahrhundert die französischen Könige stellten. Allerdings war das französische Königtum zunächst weitgehend auf seinen Kernraum in der Île-de-France beschränkt und übte nur eine nominelle Oberherrschaft über die Machtbereiche selbstbewusster Herzöge aus. Das Reich der Ottonen. Nach dem Tod des ostfränkischen Königs Konrad im Jahr 919 bestieg mit Heinrich I. das erste Mitglied des sächsischen Hauses der Liudolfinger („Ottonen“) den ostfränkischen Königsthron; sie konnten sich in der Folgezeit bis 1024 im Reich behaupten. In der neueren Forschung wird zwar die Bedeutung der Ottonenzeit für die Ausformung Ostfrankens betont, sie gilt aber nicht mehr als Beginn der eigentlichen „deutschen“ Geschichte. Der damit verbundene komplexe Prozess zog sich vielmehr mindestens bis ins 11. Jahrhundert hin. Heinrich I. sah sich mit zahlreichen Problemen konfrontiert. Die an karolingischen Mustern orientierte Herrschaftsausübung stieß an ihre Grenzen, zumal nun die Schriftlichkeit, ein entscheidender Verwaltungsfaktor, stark zurückging. Gegenüber den Großen des Reiches scheint Heinrich, wie mehrere andere Herrscher nach ihm, eine Form der konsensualen Herrschaftspraxis betrieben zu haben: Während er formal auf seinem höheren Rang bestand, band er die Herzöge in seine Politik durch Freundschaftsbündnisse "(amicitia)" ein und ließ ihnen in ihren Herzogtümern weitgehenden politischen Spielraum. Schwaben und Bayern wurden dadurch in die Königsherrschaft Heinrichs integriert, blieben jedoch bis um das Jahr 1000 königsferne Regionen, in denen der Einfluss des Königtums schwach ausgeprägt war. Das Reich befand sich weiterhin im Abwehrkampf gegen die Ungarn, mit denen 926 ein Waffenstillstand geschlossen wurde. Heinrich nutzte die Zeit und ließ die Grenzsicherung intensivieren; auch gegen die Elbslawen und gegen Böhmen war der König erfolgreich. 932 verweigerte er die Tributzahlungen an die Ungarn; 933 schlug er sie in der Schlacht bei Riade. Im Westen hatte Heinrich den Anspruch auf das zwischen West- und Ostfranken umstrittene Lothringen zunächst 921 aufgegeben, bevor er es 925 gewinnen konnte. Noch vor seinem Tod im Jahr 936 hatte Heinrich eine Nachfolgeregelung im Rahmen einer „Hausordnung“ getroffen, so dass bereits 929/30 sein Sohn Otto als designierter Nachfolger gelten konnte und das Reich ungeteilt blieb. In der Regierungszeit Ottos I. (reg. 936–973) sollte das Ostfrankenreich eine hegemoniale Stellung im lateinischen Europa einnehmen. Otto erwies sich als energischer Herrscher. 948 übertrug er das wichtige Herzogtum Bayern seinem Bruder Heinrich. Ottos Herrschaftsausübung war allerdings nicht unproblematisch, denn er wich von der konsensualen Herrschaftspraxis seines Vaters ab. Bisweilen verhielt sich Otto rücksichtslos und geriet mehrfach in Konflikt mit engen Verwandten. So agierte etwa Ottos ältester Sohn Liudolf gegen den König und stand sogar in Verbindung mit den Ungarn. Diese nutzten die Lage im Reich aus und griffen 954 offen an. Liudolfs Lage wurde unhaltbar und er unterwarf sich dem König. Otto gelang es, gegen die Ungarn eine Abwehr zu organisieren und sie 955 in der Schlacht auf dem Lechfeld vernichtend zu schlagen. Sein Ansehen im Reich wurde durch diesen Erfolg erheblich gesteigert und eröffnete ihm neue Optionen. Im Osten errang er Siege über die Slawen, womit die elbslawischen Gebiete "(Sclavinia)" verstärkt in die ottonische Politik eingebunden wurden. Otto trieb die Errichtung des Erzbistums Magdeburg voran, was ihm 968 endgültig gelang. Ziel war die Slawenmission im Osten und die Ausdehnung des ostfränkischen Herrschaftsbereichs, wozu nach karolingischem Vorbild Grenzmarken errichtet wurden. Die erstarkte Stellung Ottos ermöglichte ein Eingreifen in Italien, das nie ganz aus dem Blickfeld der ostfränkischen Herrscher geraten war. Während des ersten Italienzugs 951 scheiterte sein Versuch, in Rom das westliche Kaisertum zu erneuern, wenngleich ihm italienische Adlige als „König der Langobarden“ huldigten. Er brach 961 wieder nach Italien auf und wurde am 2. Februar 962 in Rom vom Papst zum Kaiser gekrönt, im Gegenzug bestätigte er die Rechte und Besitzungen der Kirche. Das an die antike römische Kaiserwürde angelehnte westliche Kaisertum wurde nun mit dem ostfränkischen (bzw. römisch-deutschen) Königtum verbunden. Außerdem wurden weite Teile Ober- und Mittelitaliens dem ostfränkischen Reich angegliedert (Reichsitalien). Allerdings erforderte eine effektive Beherrschung Reichsitaliens die persönliche Präsenz des Herrschers, eine Regierung aus der Ferne war in dieser Zeit kaum möglich. Dieses Strukturdefizit sollte auch seinen Nachfolgern noch Probleme bereiten. Ein dritter Italienzug (966–972) erfolgte aufgrund eines päpstlichen Hilferufs, diente aber gleichzeitig der Absicherung der ottonischen Herrschaft. Im Inneren stützte sich Otto, wie generell viele frühmittelalterlichen Herrscher, für Verwaltungsaufgaben vor allem auf die Kirche. Beim Tod Ottos am 7. Mai 973 war nach schwierigen Anfängen das Reich konsolidiert und das Kaisertum wieder ein politischer Machtfaktor. Ottos Sohn Otto II. (reg. 973–983) war bereits sehr jung 961 zum Mitkönig und 967 zum Mitkaiser gekrönt worden. Im April 972 hatte er die gebildete byzantinische Prinzessin Theophanu geheiratet. Otto war selbst gleichfalls gebildet und wie bei seiner Ehefrau Theophanu galt sein Interesse auch geistigen Angelegenheiten. Im Norden wehrte er Angriffe der Dänen ab, während in Bayern Heinrich der Zänker (ein Verwandter des Kaisers) gegen ihn agierte und Unterstützung durch Böhmen und Polen erhielt. Die Verschwörung wurde aufgedeckt, doch erst 976 gelang die (vorläufige) Unterwerfung Heinrichs. Die Ostmark wurde von Bayern abgetrennt und den Babenbergern übertragen. Im Westen kam es zu Kampfhandlungen mit Westfranken (Frankreich), bevor 980 eine Übereinkunft erzielt werden konnte. Otto plante, anders als noch sein Vater, die Eroberung Süditaliens, wo Byzantiner, Langobarden und Araber herrschten. Ende 981 begann der Feldzug, doch erlitt das kaiserliche Heer im Juli 982 eine vernichtende Niederlage gegen die Araber in der Schlacht am Kap Colonna. Otto gelang nur mit Mühe die Flucht. Im Sommer 983 plante er einen erneuten Feldzug nach Süditalien, als sich unter Führung der Lutizen Teile der Elbslawen erhoben (Slawenaufstand von 983) und somit die ottonische Missions- und Besiedlungspolitik einen schweren Rückschlag erlitt. Noch in Rom starb der Kaiser am 7. Dezember 983, wo er auch beigesetzt wurde. In der mittelalterlichen Geschichtsschreibung wurde Otto II. aufgrund der militärischen Rückschläge und kirchenpolitischer Entscheidungen (so die Aufhebung des Bistums Merseburg) stark kritisiert, während in der modernen Forschung seine nicht leichte Ausgangslage berücksichtigt wird, ohne die militärischen Fehlschläge zu übersehen. Die Nachfolge trat sein gleichnamiger Sohn an, Otto III. (reg. 983–1002), der noch vor dem Tod seines Vaters als nicht ganz Dreijähriger zum Mitkönig gewählt worden war. Aufgrund seines jungen Alters übernahm zunächst seine Mutter Theophanu, nach deren Tod 991 dann seine Großmutter Adelheid von Burgund die Regentschaft. 994 trat Otto III. mit 14 Jahren die Regierung an. Der für seine Zeit hochgebildete Herrscher umgab sich im Laufe der Zeit mit Gelehrten, darunter Gerbert von Aurillac. Otto interessierte sich besonders für Italien. Streitigkeiten in Rom zwischen Papst Johannes XV. und der mächtigen Adelsfamilie der Crescentier waren der Anlass für Ottos Italienzug 996. Papst Johannes war jedoch bereits verstorben, so dass Otto seinen Verwandten Bruno als Gregor V. zum neuen Papst bestimmte, der ihn am 21. Mai 996 zum Kaiser krönte. Anschließend kehrte Otto nach Deutschland zurück. Gregor wurde jedoch aus Rom vertrieben, so dass Otto 997 erneut nach Italien aufbrach und den Aufstand Anfang 998 brutal niederschlug. Der Kaiser hielt sich noch bis 999 in Italien auf und strebte im Zusammenspiel mit dem Papst eine kirchliche Reform an. Während dieser Zeit ist ein Regierungsmotto Ottos belegt: "Renovatio imperii Romanorum", die Erneuerung des römischen Reiches, als dessen Fortsetzung man das mittelalterliche römisch-deutsche Reich betrachtete. Die Einzelheiten sind jedoch umstritten; eine geschlossene Konzeption ist eher unwahrscheinlich, weshalb die Bedeutung in der neueren Forschung relativiert wird. Nach Gregors Tod machte der Kaiser Gerbert von Aurillac als Silvester II. zum neuen Papst. Beide Papsternennungen verdeutlichen die Machtverteilung zwischen Kaisertum und Papsttum in dieser Zeit. Otto knüpfte auch Kontakte zum polnischen Herrscher Bolesław I. und begab sich nach Gnesen. Die nächsten Monate verbrachte der Kaiser in Deutschland, bevor er sich wieder nach Italien begab. 1001 brach in Rom ein Aufstand aus. Otto zog sich nach Ravenna zurück, beim erneuten Vormarsch nach Rom starb der Kaiser Ende Januar 1002. In den Quellen wird sein großes Engagement in Italien eher negativ bewertet; in der modernen Forschung wird betont, dass der frühe Tod Ottos eine abschließende Bewertung erschwert, da seine Politik nicht über Anfänge hinauskam. Nachfolger Ottos III. wurde Heinrich II. (reg. 1002–1024), der aus der bayerischen Nebenlinie der Ottonen stammte und dessen Herrschaftsantritt umstritten war. Heinrich II. setzte andere Schwerpunkte als sein Vorgänger und konzentrierte sich vor allem auf die Herrschaftsausübung im nördlichen Reichsteil, wenngleich er dreimal nach Italien zog. Auf seinem zweiten Italienzug 1014 wurde er in Rom zum Kaiser gekrönt. Im Süden kam es 1021/22 auch zu Auseinandersetzungen mit den Byzantinern, die letzten Endes ergebnislos verliefen und dem Kaiser keinen Gewinn einbrachten. Im Osten führte er vier Feldzüge gegen Bolesław von Polen, wobei es um polnisch beanspruchten Besitz und um Fragen der Ehre und Ehrbezeugung ging, bevor 1018 der Frieden von Bautzen geschlossen wurde. Im Inneren präsentierte sich Heinrich als ein von der sakralen Würde seines Amtes durchdrungener Herrscher. Er gründete das Bistum Bamberg und begünstigte die Reichskirche, auf die er sich im Sinne des „Reichskirchensystems“ stützte, wenngleich in neuerer Zeit dieser Aspekt unterschiedlich bewertet wird. Einige Forscher betrachten Heinrichs diesbezügliches Vorgehen als realpolitisch motiviert; Heinrich habe über die Reichskirche geherrscht, mit ihr regiert und damit versucht, die Königsherrschaft zu intensivieren. Sicher ist die enge Verzahnung von Königsherrschaft mit der Kirche im Reich. Damit erhoffte sich Heinrich wohl auch ein Gegengewicht zur Adelsopposition, die sich wiederholt gegen den König erhob, der seine Führungsrolle gegenüber den Großen im Reich betonte. Seine Regierungszeit wird sehr unterschiedlich bewertet; erst im Rückblick wurde er, von der Bamberger Kirche vorangetrieben, zu einem „heiligen Kaiser“ stilisiert und 1146 heiliggesprochen. Seine Ehe blieb kinderlos, statt der Ottonen traten die Salier die Königsherrschaft an. Frankreich und Burgund. Wenngleich in Westfranken (Frankreich) die Karolinger formal noch bis 987 die Könige stellten, von der Regierungszeit einiger (durchaus durchsetzungsfähiger) Könige aus anderen Geschlechtern wie Odo abgesehen, hatten sie bereits zuvor den Großteil ihrer Macht eingebüßt. Die Politik wurde im 10. Jahrhundert von den großen Adligen dominiert, wie z. B. von Herzog Hugo Magnus aus dem Hause der Robertiner. Der Gegensatz zwischen Karolingern und Robertinern war in dieser Zeit prägend. In der Spätphase der westlichen Karolinger geriet König Lothar sogar in Abhängigkeit von den mächtigeren Ottonen. Er versuchte sich militärisch davon zu lösen und unternahm Vorstöße nach Ostfranken, die aber erfolglos verliefen. 987 wurde der Robertiner Hugo Capet zum neuen König gewählt. Damit begann die Herrschaft der später nach Hugos Beinamen benannten Kapetinger. Von Hugo Capet stammten alle späteren französischen Könige bis zur endgültigen Abschaffung des Königtums im 19. Jahrhundert in direkter männlicher Linie ab. Hugos Zeitgenossen nahmen seinen Regierungsantritt allerdings nicht als bedeutsame Zäsur wahr, als dauerhafter Dynastiewechsel erwies sich seine Erhebung erst später. Noch im selben Jahr erhob Hugo seinen Sohn Robert zum Mitkönig; er sollte seinem Vater 996 als Robert II. nachfolgen und bis 1031 regieren. Der Dynastiewechsel von 987 verlief aber nicht ohne Konflikte. Herzog Karl von Niederlothringen, ein karolingischer Königssohn, machte seinen Thronanspruch geltend. Er verbuchte einige Erfolge, bevor er durch Verrat in die Hände der Kapetinger fiel. Ein Umsturzversuch der Familie Blois im Jahr 993 scheiterte ebenfalls. Die Kapetinger betonten die Sakralität ihrer Königswürde und das damit verbundene Ansehen "(auctoritas)". Den Kern der Königsherrschaft stellte die Krondomäne mit dem Zentrum Paris dar; der königliche Besitz wurde in den folgenden Jahrzehnten systematisch ausgebaut. Außerdem konnten die Kapetinger sich auf eine recht breite kirchliche Unterstützung verlassen. Die Durchsetzung der Königsherrschaft gelang jedoch nicht vollständig, denn die Großen des Reiches verkehrten mit den frühen Kapetingern auf einem relativ gleichen Niveau. Zwar waren sie zur Hof- und Heerfahrt verpflichtet, bisweilen kam es aber zu anti-königlichen Koalitionen. In mehreren Regionen konsolidierte sich die Fürstenherrschaft im frühen 11. Jahrhundert. Versuche Roberts II., die Königsmacht in herrschaftslos gewordenen Gebieten zu vermehren, waren nur im Herzogtum Burgund erfolgreich, während er etwa in den Grafschaften Troyes und Meaux scheiterte. Sein Sohn und Nachfolger Heinrich I. musste sich gegen das Haus Blois durchsetzen und unterhielt recht gute Verbindungen zu den salischen Herrschern. Außenpolitisch konnten die frühen Kapetinger keine Erfolge verbuchen; so scheiterte etwa der Versuch, Lothringen von den Ottonen zurückzugewinnen. Die französischen Könige waren aber bemüht, die Gleichrangigkeit ihres Reiches mit dem Imperium zu betonen. Im 12. Jahrhundert kam es zu Konflikten mit dem mächtigen Haus Plantagenet, das neben umfangreichem Festlandbesitz in Frankreich gleichzeitig bis ins Spätmittelalter die englischen Könige stellte. Erst unter Philipp II. August (reg. 1180–1223) gelang es den Kapetingern, die Oberhand zu gewinnen. Das Königreich Burgund entstand während des Zerfalls des Karolingerreiches. 879 wurde Boso von Vienne zum König von Niederburgund gewählt, sein Sohn Ludwig der Blinde erweiterte kurzzeitig den burgundischen Herrschaftsraum. Bereits vor Ludwigs Tod 928 zerfiel der niederburgundische Herrschaftsraum, wovon zunächst Hugo von Vienne, letztendlich aber Hochburgund profitierte. Dort war 888 Rudolf I. zum König gekrönt worden. Immer wieder kam es in der Folgezeit zu Spannungen mit dem örtlichen Adel; ein starkes Königtum konnte sich nie entwickeln, die Königsmacht blieb vielmehr regional begrenzt. Rudolf II., dessen Expansion nach Nordosten in den schwäbischen Raum 919 gestoppt worden war, knüpfte Kontakte zu den Ottonen. Er erkannte die ostfränkische Oberhoheit an und leitete die Vereinigung von Hoch- und Niederburgund ein (angeblich 933 vertraglich vereinbart, was allerdings in der Forschung teils bestritten wird), doch starb er bereits 937. Sein Sohn Konrad konnte mit ottonischer Unterstützung seinen Herrschaftsanspruch auch in Niederburgund zur Geltung bringen. Die enge Anlehnung der burgundischen Rudolfinger an die Ottonen drückte sich im Erbfolgevertrag von 1016 aus, wovon die salischen Herrscher profitierten, die 1033 Burgund mit dem Imperium vereinigten. Italien. Nach dem Ende Westroms 476 war es in Italien zunächst zu keinem kulturellen oder wirtschaftlichen Einbruch gekommen. Unter der Gotenherrschaft Theoderichs (489/93 bis 526) erlebte das Land vielmehr noch einmal ein Aufblühen der spätantiken Kultur, wie an den Philosophen Boethius und Symmachus zu erkennen ist. Theoderich zollte der senatorischen Elite Respekt und bemühte sich, im Einvernehmen mit den Römern zu herrschen. Er nutzte die Kenntnisse der senatorischen Führungsschicht in Italien und zog Römer für die Zivilverwaltung heran, trennte aber zivile und militärische Gewalt nach ethnischen Prinzipien auf. Seine Goten übten die Militärverwaltung aus und erhielten außerdem Land zugewiesen. Es scheint, als habe die Privilegierung der Ostgoten das Verschmelzen des römischen Adels mit der gotischen Führungsgruppe be- oder gar verhindert. Nach Theoderichs Tod 526 kam es zu Thronwirren, wobei Ostrom die günstige Gelegenheit nutzte und in Italien intervenierte. Der anschließende Gotenkrieg (535–552) verwüstete die Halbinsel, die nun vorläufig wieder eine oströmische Provinz wurde. Die unter ihrem König Alboin 568 nach Italien eingebrochenen Langobarden profitierten vom Zustand des erschöpften Landes und den nur wenigen kaiserlichen Besatzungstruppen. Nur vereinzelt wurde den Eroberern Widerstand geleistet, so dass Mailand schon 569 fiel, Pavia jedoch erst 572. Die langobardische Eroberung von Ober- und Teilen Mittelitaliens erwies sich jedoch als verheerend für die Reste der antiken Kultur und die lokale Wirtschaft. Bereits in Cividale del Friuli hatte Alboin kurz nach Beginn der Invasion ein Dukat (Herzogtum) errichtet; diese Form der Herrschaftsorganisation (eine Zusammenführung spätrömischer Verwaltung und der langobardischen Militärordnung) sollte typisch für die Langobarden werden. Die Königsmacht verfiel nach der Ermordung Alboins 572 und der seines Nachfolgers Cleph 574, die langobardische Herrschaft zersplitterte in relativ selbstständige Dukate. Das Langobardenreich stand weiterhin unter hohem äußeren Druck. Erst angesichts einer Bedrohung durch die Franken wählten die Langobarden nach zehnjähriger Königslosigkeit 584 erstmals wieder Authari in diese Position. Die Oströmer/Byzantiner konnten zudem mehrere der Seestädte halten, außerdem Ravenna, Rom und Süditalien. Innenpolitisch blieben die Spannungen zwischen den zumeist arianischen Langobarden und den katholischen Romanen eine Belastung für das gegenseitige Verhältnis, wenngleich auch katholische Langobardenkönige herrschten. Erwähnenswert unter den Langobardenkönigen des 7. Jahrhunderts sind etwa Agilulf, unter dem die Langobarden wieder einige Erfolge erzielen konnten, und Rothari, der 643 die langobardischen Rechtsgewohnheiten systematisch sammeln und aufzeichnen ließ. Liutprand (reg. 712–744) wirkte ebenfalls als Gesetzgeber und konnte seine Macht sogar gegenüber den "Duces" von Spoleto und Benevent, den beiden südlichen langobardischen Herrschaften, zur Geltung bringen. Die Langobarden waren zu diesem Zeitpunkt endgültig katholisch geworden und traten wieder expansiv auf, so gegen Byzanz, und intervenierten auch in Rom. 774 schlugen die Franken König Desiderius und eroberten das Langobardenreich. Italien im Frühmittelalter war ein politisch zersplitterter Raum. Während des Zerfallsprozesses des Karolingerreiches im 9. Jahrhundert stiegen lokale Machthaber auf. Sie regierten von 888 bis 961 als Könige unabhängig in Oberitalien, bis diese Region (außer der Republik Venedig) unter Otto I. in das Ostfrankenreich integriert wurde. Als Reichsitalien blieb es bis zum Ende des Mittelalters Teil des römisch-deutschen Reiches. In diesem Zusammenhang waren die von den Kaisern geförderten Bischöfe ein wichtiger Faktor zur Herrschaftssicherung. Die römisch-deutschen Könige seit Otto I. betrieben jedoch keine stringente Italienpolitik, sondern mussten ihre Herrschaftsrechte (Regalien), vor allem in späterer Zeit, auch militärisch durchsetzen. Realpolitisch relevant war die Beherrschung Oberitaliens vor allem aufgrund der vergleichsweise hohen Wirtschafts- und Finanzkraft der dortigen Städte, die seit dem 11. Jahrhundert wieder aufblühten; eine Sonderrolle spielten die Seerepubliken. Zunächst standen viele Städte in Reichsitalien unter dem Einfluss der Bischöfe, bevor sie nach und nach an politischer Autonomie gewannen. Neben der immer noch relativ starken städtischen Kultur war auch die antike Kultur dort in Teilen bewahrt worden. Das schriftliche Niveau lag höher als im Norden, was für eine effektive Herrschaftsausübung vorteilhaft war, wenngleich die persönliche Präsenz des Herrschers weiterhin ein wichtiger Faktor war. Andererseits profitierte Oberitalien von den nun stabileren politischen Verhältnissen. Im 8. Jahrhundert hatte sich in Mittelitalien der Kirchenstaat etabliert, wobei dessen Umfang und der Status der Stadt Rom selbst zwischen den Päpsten und Kaisern oft umstritten war. Politisch gewannen die Päpste während des Niedergangs der Karolinger für kurze Zeit Spielraum, andererseits musste man in Rom wiederholt Angriffe der Normannen und Araber auf päpstlichen Besitz abwehren. Schon aus diesem Grund begrüßte man das spätere Eingreifen der Ottonen in Italien. Das Papsttum geriet aber im 10. Jahrhundert außerdem in die Auseinandersetzung einflussreicher stadtrömischer Familien, die es für ihre Zwecke instrumentalisierten, was einen Ansehensverlust für den Bischof von Rom bedeutete. Seit der Ottonenzeit übten, wie zuvor die Karolinger, die römisch-deutschen Herrscher eine Schutzherrschaft über das Papsttum aus, wenngleich es in der Salierzeit zum offenen, auch politisch motivierten Konflikt im Investiturstreit kam. Byzanz verfügte noch bis ins 11. Jahrhundert über Stützpunkte in Italien. Nachdem Ravenna 751 an die Langobarden verloren gegangen war und man auch nicht mehr in Mittelitalien effektiv eingreifen konnte, konzentrierten sich die Byzantiner auf die Kontrolle ihrer Besitzungen in Süditalien. Diese wurden von arabischen Raubzügen, vor allem seit der von Nordafrika aus erfolgten Eroberung Siziliens im 9. Jahrhundert (Fall von Syrakus 878, Fall Taorminas 902), und seit dem 10. Jahrhundert auch von den römisch-deutschen Herrschern bedroht. Mit dem Fall Baris 1071 endete die byzantinische Herrschaft in Italien endgültig. In Süditalien übernahmen dafür die Normannen eine führende Rolle. Sie waren zu Beginn des 11. Jahrhunderts von dortigen langobardischen Lokalherrschern als Krieger angeworben worden, etablierten aber bald schon eigene Herrschaften. Sie nutzten die komplizierte politische Lage im Raum zwischen Byzanz, Papsttum und lokalen Herrschern aus, wobei die Bündnisse wechselhaft waren. In Aversa, Capua und Salerno entstanden in der Folgezeit normannische Fürstentümer. Die Normannen expandierten ab 1061 auch nach Sizilien, das in der Zwischenzeit partiell und kurzzeitig von den Byzantinern zurückerobert worden war, und gewannen die Insel für sich. Eine führende Rolle spielte die Familie Hauteville. Bereits 1059 war für sie das Herzogtum von Apulien und Kalabrien als päpstliches Lehen geschaffen worden; sie erlangten 1130 die Königswürde für Sizilien und Unteritalien, bis das Königreich Sizilien 1194 an die Staufer fiel. Iberische Halbinsel. In Hispanien und Südgallien hatte sich Ende des 5. Jahrhunderts das Westgotenreich etabliert. Die Westgoten mussten jedoch nach der schweren Niederlage in der Schlacht von Vouillé gegen die Franken 507 Gallien bis auf die Region um Narbonne räumen. Toledo wurde die neue Hauptstadt der Westgoten "(Toledanisches Reich)" und im Laufe des 6. Jahrhunderts entwickelte sich eine westgotische Reichsidee. Das Verhältnis zwischen König und einflussreichen Adeligen war nicht selten angespannt und es kam wiederholt zu Auseinandersetzungen. Die Westgoten waren zudem Arianer, was zu Konflikten mit der katholischen Mehrheitsbevölkerung führte. Leovigild war wie sein Sohn und Nachfolger Rekkared I. ein bedeutender Herrscher. Er eroberte 585 das Suebenreich im Nordwesten Hispaniens, scheiterte jedoch bei seinem Versuch, die kirchliche Einheit des Reiches durch einen gemäßigten Arianismus herzustellen. Das Problem löste Rekkared I., der 587 zum katholischen Glauben übertrat, indem er 589 auf dem 3. Konzil von Toledo den Übertritt der Westgoten erreichte. Dies begünstigte den ohnehin recht großen Einfluss der Westgotenkönige auf ihre Reichskirche. Die Oströmer wurden zu Beginn des 7. Jahrhunderts aus Südspanien vertrieben und die Franken stellten keine unmittelbare Bedrohung mehr dar. Dennoch gelang es den folgenden westgotischen Königen nicht, eine dauerhafte Dynastie zu begründen. Grund dafür waren die internen Machtkämpfe im 7. Jahrhundert. Es kam immer wieder zu Rebellionen und Machtkämpfen zwischen rivalisierenden Adelsgeschlechtern, wobei der Hofadel besonders einflussreich war. Von den westgotischen Königen des 7. Jahrhunderts wurden mehr als die Hälfte abgesetzt oder ermordet. Dennoch gelang es einzelnen Königen durchaus sich zu behaupten, so etwa Chindaswinth (642–653) oder König Rekkeswinth (653–672). Unter Rekkeswinth herrschte im Reich wieder weitgehend Frieden. Er regierte im Einklang mit dem Adel und erließ 654 ein einheitliches Gesetzbuch für Goten und Romanen. Das Reich profitierte von der Anknüpfung an spätrömische Traditionen und erwies sich insgesamt als gefestigt. Der christliche Königsgedanke des Frühmittelalters wiederum war von der westgotischen Idee des sakral legitimierten Königtums beeinflusst. Kulturell erlebte das Reich um 600 eine Blütezeit, deren wichtigster Repräsentant Isidor von Sevilla war. Das Westgotenreich erlangte, nicht zuletzt durch die Tradierung des Wissens in den dortigen Klosterschulen, eine beachtliche kulturelle Strahlkraft. Im frühen 8. Jahrhundert wurde das Reich von den Arabern erobert; sie schlugen 711 König Roderich in der Schlacht am Río Guadalete. Die politische Lage auf der Iberischen Halbinsel war im weiteren Verlauf des Frühmittelalters recht kompliziert. Nach dem Fall des Westgotenreichs drangen die Mauren zeitweilig sogar in das südliche Frankenreich vor. Alle Teile der Halbinsel kamen zunächst unter islamische Herrschaft, doch schon wenige Jahre nach der Invasion der Muslime formierte sich im Nordwesten Widerstand. Dort wählten christliche Adlige 718 den vornehmen Goten Pelagius zu ihrem König. Damit wurde das Königreich Asturien gegründet. Dies gilt als der Ausgangspunkt der "Reconquista", der Rückeroberung durch die Christen, wobei manche christliche Herrscher die Anknüpfung an die Westgoten betonten (Neogotismus). Bis ins späte 15. Jahrhundert standen sich ein christlicher Norden und ein islamisch beherrschter, lange Zeit sehr viel mächtigerer und (allerdings nicht in der Anfangszeit der Eroberung) kulturell höher entwickelter Süden (Al-Andalus) gegenüber. Neben dem bestehenden Königreich Asturien-León, das im 10. Jahrhundert eine Blütezeit erlebte und im 11. Jahrhundert mit Kastilien verbunden wurde, entstanden weitere christliche Reiche in Nordspanien: im 9. Jahrhundert die Grafschaft (seit Ferdinand I. im frühen 11. Jahrhundert: Königreich) Kastilien und das Königreich Navarra; hinzu kamen die ehemalige fränkische Spanische Mark, aus der sich die Grafschaft Barcelona entwickelte, und im 11. Jahrhundert das Königreich Aragon. Die Christen profitierten von den innenpolitischen Krisen im Emirat und dem späteren Kalifat von Córdoba und waren seit dem 9. Jahrhundert offensiver vorgegangen; trotz mancher Rückschläge und maurischer Gegenangriffe drängten sie die islamische Herrschaft Stück für Stück nach Süden zurück. Daneben gab es aber immer wieder Phasen der Koexistenz. In Al-Andalus lebten Muslime, Christen und Juden weitgehend friedlich zusammen, wenngleich es auch einige Übergriffe von Muslimen auf Christen gab und die Koexistenz nicht idealisiert werden sollte. Die Kultur im islamischen Spanien stand im 10. Jahrhundert in voller Blüte. Córdoba war zu dieser Zeit eine der größten und reichsten Städte des Mittelmeerraums. Es fand auch ein kultureller Austauschprozess statt, der für die christliche Seite sehr vorteilhaft war. Die Mehrheit der Bevölkerung im maurischen Spanien war noch im 10. Jahrhundert christlich (Mozaraber). Es fanden aber Abwanderungen in die christlichen Reiche und Konversionen zum Islam statt, vor allem als sich die tolerante muslimische Religionspolitik später teils änderte. Unter Sancho III. von Navarra, der sein Reich erheblich ausgedehnt hatte, erlebte das christliche Spanien im frühen 11. Jahrhundert eine politische und kulturelle Erstarkung (gestützt durch eine Klosterreform). Sancho teilte sein Reich unter seinen Söhnen auf, doch wurden nun diese Reiche von Nachfahren derselben Dynastie regiert. Nach dem Fall des Kalifats von Córdoba 1031 spaltete sich der islamische Süden in zahlreiche Klein- und Kleinstreiche auf (Taifa-Königreiche), was die christlichen Herrscher ausnutzten. 1085 fiel die ehemalige westgotische Königsstadt Toledo an Alfons VI. von León-Kastilien, woraufhin die muslimischen Herrscher in Sevilla und Granada die Almoraviden aus Nordafrika zu Hilfe riefen, die Alfons 1086 in der Schlacht bei Zallaqa schlugen, bald aber eigene Herrschaften errichteten. Die britischen Inseln. Über die Vorgänge in Britannien unmittelbar nach dem Abzug der Römer zu Beginn des 5. Jahrhunderts liegen fast keine schriftlichen Zeugnisse vor, weshalb kaum Details bekannt sind. Der grobe Rahmen kann aber anhand der wenigen schriftlichen und archäologischen Quellen zumindest annähernd rekonstruiert werden. Das Feldheer hatte die Insel 407/8 unter dem Gegenkaiser Konstantin III. wohl vollständig geräumt, es ist aber schwer vorstellbar, dass nicht zumindest ein Minimum an Garnisonstruppen zurückgelassen worden ist, da die Insel als Ganzes wohl nicht aufgegeben werden sollte. Die wenigen Verbände dürften sich erst im Laufe der Zeit aufgelöst haben, als die Insel faktisch sich selbst überlassen wurde, weshalb es 409 in Britannien zum Aufstand kam. Die lokale Verwaltung scheint anschließend zumindest teilweise noch längere Zeit funktioniert zu haben, es entstanden schließlich mehrere romano-britische Kleinreiche "(Sub-Roman Britain)". In dieser Zeit kamen Angelsachsen in relativ geringer Anzahl als Söldner nach Britannien und übernahmen statt römischer Soldaten Verteidigungsaufgaben. Um die Mitte des 5. Jahrhunderts erhoben sich die Angelsachsen gegen die romano-britischen Herrscher, wobei die Gründe nicht ganz klar sind. Um 500 scheinen die Angelsachsen zu einem vorläufigen Siedlungsstopp gezwungen worden zu sein, nachdem sie von Ambrosius Aurelianus in der nicht genau datierbaren oder lokalisierbaren Schlacht von Mons Badonicus geschlagen worden waren. In der Folgezeit drängten sie jedoch die Romano-Briten zurück. Zwar sind Einzelheiten darüber nicht überliefert, doch gelang es den Angelsachsen bis zum Ende des 7. Jahrhunderts weite Teile des Gebiets südlich des Firth of Forth unter ihre Kontrolle zu bringen, wobei es offenbar wiederholt zu schweren Kampfhandlungen kam. Einzelne britische Gebiete konnten jedoch ihre Unabhängigkeit bewahren, so Wales und das heutige Cornwall. Es kam auch kaum zu massenhaften Vertreibungen der romano-britischen Bevölkerung. Der Christianisierung der Angelsachsen gelang im 7. Jahrhundert der Durchbruch. In dieser Zeit bildete sich auch die sogenannte Heptarchie aus, die sieben bis ins 9. Jahrhundert dominierenden angelsächsischen Königreiche (Essex, Sussex, Wessex, Kent, East Anglia, Mercia und Northumbria), wovon Mercia und Northumbria die mächtigsten waren und immer wieder Kämpfe um die Oberherrschaft ausfochten. Mercia siegte über Northumbria 679 in der Schlacht am Fluss Trent, wodurch Mercias Vormachtstellung begründet wurde; bedroht wurden die angelsächsischen Reiche aber auch von Einfällen der Pikten. Die südlichen angelsächsischen Reiche gerieten in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts in die Abhängigkeit Mercias, das unter Offa zeitweise zum mächtigsten Reich in England aufstieg, während Northumbria aufgrund des mercischen Widerstands nach Norden expandierte. Die Vorherrschaft Mercias unter den angelsächsischen Reichen war nur von kurzer Dauer. Bereits im frühen 9. Jahrhundert befreiten sich East Anglia und Kent von der mercischen Vorherrschaft. Unter Egbert gewann Wessex wieder zunehmend an Einfluss. Mit dem Sieg über Mercia in der Schlacht von Ellendun 825 wurde die mercische Hegemonie endgültig gebrochen und Wessex annektierte mehrere andere angelsächsische Gebiete. Um die Mitte des 9. Jahrhunderts kontrollierte Wessex ganz England südlich der Themse, als 866 die große Wikingerinvasion begann. Das angelsächsische England war besonders in der Frühzeit mit Skandinavien verbunden. 865/66 schlossen sich jedoch mehrere Wikingerführer (darunter Ivar Ragnarsson, ein Held der skandinavischen Saga-Literatur) zusammen und fielen von Dänemark aus mit einem großen Heer in Nordostengland ein, wobei sie plünderten und zahlreiche Bewohner töteten. Der Einfall steht wahrscheinlich in Verbindung mit den verstärkten Abwehrbemühungen im Frankenreich, so dass England ein leichteres Ziel darstellte. Das Wikingerheer war offenbar den angelsächsischen Truppen zahlenmäßig überlegen. 871 kontrollierten die Wikinger bereits den Osten Englands, von York im Norden bis in den Raum London. Doch erst in den 870er Jahren begannen sie sich dort anzusiedeln, wenngleich sie teils angelsächsische Schattenkönige einsetzten. Damit zerbrach die bisherige politische Ordnung der angelsächsischen Reiche, nur Wessex blieb zunächst relativ unbeschadet. Mit Alfred von Wessex (reg. 871–899), später „Alfred der Große“ genannt, begann jedoch die Zurückdrängung der Wikinger und eine bedeutende Zeit des angelsächsischen Englands. Nach anfänglichen Rückschlägen besiegte Alfred die Wikinger 878 in der Schlacht von Edington. Sein Gegner Guthrum ließ sich taufen und zog sich aus Wessex zurück; 886 wurde in einem Vertrag die Grenze zwischen Angelsachsen und Danelag festgelegt. Faktisch herrschte Alfred zu diesem Zeitpunkt über alle Angelsachsen, die nicht im dänischen Herrschaftsbereich lebten. Zur weiteren Abwehr gegen die Wikinger, die gegen Ende seiner Regierungszeit wieder angriffen, wurden "burhs" (befestigte Plätze) eingerichtet und eine Kriegsflotte aufgestellt. Im Inneren betrieb er nach dem karolingischen Vorbild eine wirksame Kulturförderung. Die Nachfolger Alfreds (wie sein Sohn Eduard der Ältere) drängten die dänische Herrschaft immer weiter zurück, bis nur noch das Königreich York übrig blieb. Eduards Sohn Æthelstan betrieb wie Alfred eine intensive Förderung der Kultur und konnte auch militärische Erfolge verbuchen. Doch fanden einige Könige von Wessex nicht die allgemeine Anerkennung aller Angelsachsen. So versuchte man in Northumbria einige Zeit, mit Hilfe der Dänen die Unabhängigkeit zu bewahren. Im 10. Jahrhundert kam es daher immer wieder zu Kämpfen um die Herrschaft über das gesamte angelsächsische England. Die relativ lange Regierungszeit Edgars wirkte sich stabilisierend aus, doch nach seinem Tod 975 traten Spannungen wieder offen hervor. Darauffolgende Versuche, die Königsmacht weiter zu konsolidieren, hatten kaum Erfolg, vor allem weil es seit 980 wieder zu größeren Wikingereinfällen kam. Der Höhepunkt dieser Entwicklung war unter Knut dem Großen erreicht, der im frühen 11. Jahrhundert kurzzeitig ein maritimes Reich errichtete, das große Teile Westskandinaviens sowie England umfasste. In England bestieg 1042 Eduard der Bekenner den Thron, doch hatte er mit starken innenpolitischen Widerständen zu kämpfen, was ihm nur relativ geringen Handlungsspielraum ließ. Als er 1066 starb, endete damit die westsächsische Dynastie. Im Nachfolgekampf setzte sich schließlich der Normanne Wilhelm der Eroberer durch, der 1066 in der Schlacht bei Hastings siegte. Dies bedeutete das Ende des angelsächsischen Englands. Im Norden Britanniens entstand Mitte des 9. Jahrhunderts das Königreich Schottland aus Vereinigung der Pikten mit den keltischen Skoten (Dál Riada), wobei das Königtum eher schwach ausgeprägt war. Obwohl eine flächendeckende Herrschaftsdurchdringung nicht oder kaum gelang, wurde Lothian um 950, Cumbria 1018 hinzugewonnen. Unter Malcolm II. (gest. 1034) nahm das Königreich Alba (Schottland) langsam endgültig Gestalt an. Kämpfe mit den Angelsachsen waren relativ selten, dafür mussten wiederholt Wikingerangriffe abgewehrt werden. In Irland herrschten neben Stammeskönigen vor allem regionale Kleinkönige. Bemerkenswert ist das Fortbestehen irischer Dynastien über lange Zeiträume. Das Hochkönigsamt, das ahistorisch uralt gewesen sein soll, wurde von verschiedenen Gruppen immer wieder beansprucht. Vor allem die Uí Néill, deren Aufstieg bereits im 5. Jahrhundert begann und auf Kosten des Provinzialkönigreichs Ulaid ging, versuchten es zur Legitimation ihres Herrschaftsanspruchs zu nutzen und beanspruchten seit dem 7. Jahrhundert das „Königtum von Tara“. Zwischen den einzelnen Gruppen kam es wiederholt zu Kampfhandlungen. So konnte sich bis ins Hochmittelalter kein starkes, die ganze Insel umfassendes Königtum etablieren. Ende des 8. Jahrhunderts tauchten die Wikinger in Irland auf und errichteten Stützpunkte; im 10. Jahrhundert sind Siedlungen der Wikinger und Kämpfe mit ihnen belegt. Damit war Irland das erste Mal in geschichtlicher Zeit militärischen Angriffen von außen ausgesetzt. Skandinavien. Mehrere germanische Stämme der Völkerwanderungszeit beanspruchten in ihren Herkunftsgeschichten eine Abstammung aus Skandinavien, doch wird dies in der modernen Forschung in der Regel als Topos betrachtet, der vor allem der Identitätsstiftung diente und zusätzliche Legitimation verschaffen sollte. Das beginnende Frühmittelalter im skandinavischen Raum wird in der modernen Forschung als Vendelzeit (Schweden, nach den reichen Grabfunden in Vendel), Merowingerzeit (Norwegen) oder jüngere germanische Eisenzeit (Dänemark) bezeichnet. Über diesen Zeitraum sind nur wenige Details bekannt, vor allem auf Grundlage archäologischer Funde. In der Forschung wurde oft angenommen, dass sich im späten 6. und im 7. Jahrhundert ein Niedergang vollzogen habe, wobei mehrere Siedlungen verfallen seien. Neuere Untersuchungen zeigen hingegen, dass zahlreiche Siedlungen kontinuierlich bewohnt blieben. Um 600 wurden zusätzliche Flächen kultiviert und Funde deuten auf weiterhin aktive politische Zentren von Häuptlingen und Kleinkönigen hin; allerdings fehlen teilweise noch Studien für einzelne Regionen. Herrschaftsausübung hing in Skandinavien jedenfalls (wie auch in anderen Teilen des frühmittelalterlichen Europas) eng mit der Fähigkeit des jeweiligen Herrschers zusammen, durch Kämpfe Prestige und Reichtum zu erlangen und seine Anhänger daran teilhaben zu lassen. Dies führte schließlich zu Raubzügen in andere Regionen. Im späten 8. Jahrhundert begann in Skandinavien die Wikingerzeit. 793 überfielen skandinavische Seefahrer, die sogenannten Wikinger, das Kloster Lindisfarne vor der Küste Englands. In den folgenden Jahren fielen sie wiederholt auf der Suche nach Beute in das Frankenreich und in England sowie in Irland ein, wobei sie teilweise befestigte Plätze zum Überwintern bzw. Siedlungen errichteten. Die Wikinger waren sowohl als Räuber als auch als Händler aktiv. Ihre Züge führten sie bis ins Mittelmeer und nach Osteuropa, schließlich in den Nordatlantik. Dort entstanden auf Island wohl Ende des 9. Jahrhunderts erste Siedlungen, Ende des 10. Jahrhunderts wurde Grönland besiedelt; schließlich fanden sogar Fahrten nach Nordamerika statt (Vinland). Im Osten stießen skandinavische Seefahrer, die sogenannten Waräger, über verschiedene Flüsse bis ins Innere Russlands vor, betrieben Handel und waren auch politisch aktiv, wie etwa die Nestorchronik berichtet (siehe Kiewer Rus). Andere Gruppen gelangten bis in den arabischen und byzantinischen Raum. Die zeitgenössischen Quellen, etwa die angelsächsische Chronik oder die fränkischen Reichsannalen und deren spätere Fortsetzungen, beschreiben mehrfach die verheerenden Überfälle der Wikinger. Dem folgten auch Herrschaftsbildungen. Im späten 9. Jahrhundert setzten sie sich im Norden Englands fest, während 911 der Wikinger Rollo vom westfränkischen König mit der Normandie belehnt wurde. Die romanisierten Normannen sollten im 11. Jahrhundert auch in Unteritalien aktiv werden und 1066 England erobern. Die politische Geschichte Skandinaviens im Frühmittelalter ist recht verworren und die Quellen sind nicht immer zuverlässig. Schweden, wo Ende des 10. Jahrhunderts das Königtum der Svear Gestalt annahm, stand in enger wirtschaftlicher Beziehung zu Osteuropa. Das schwedische Königtum war im Frühmittelalter nur schwach ausgebildet und hatte in paganer Zeit vor allem kultischen Charakter. Vermutlich war Olof Skötkonung (gest. 1022) der erste König, der über ganz Schweden herrschte. Er war Christ und nutzte die Religion anscheinend bei dem Versuch, seiner Herrschaft Autorität zu verschaffen, was aber auf Widerstand stieß. Dafür siegte er 999 oder 1000 im Bündnis mit Dänemark in der Seeschlacht von Svold über den norwegischen König Olav I. Tryggvason. Über die ihm direkt nachfolgenden schwedischen Könige ist kaum etwas bekannt. Anund Jakob stellte sich zusammen mit norwegischer Unterstützung der dänischen Vorherrschaft unter König Knut entgegen. In Norwegen ist ein Königtum um 900 unter Harald I. in den Quellen belegt. Er scheint weite Teile Südwestnorwegens direkt beherrscht und in anderen Teilen eine eher formale Oberherrschaft ausgeübt zu haben, doch sind Details kaum bekannt (siehe Geschichte Norwegens von Harald Hårfagre bis zur Reichseinigung). Haralds ältester Sohn und Nachfolger Erik musste ins Exil gehen (vermutlich nach England), wo er auch starb. Im frühen 11. Jahrhundert förderte dann Olav II. Haraldsson das Christentum in Norwegen. Er hatte sowohl mit innenpolitischen Gegnern zu kämpfen als auch mit den Ansprüchen des Dänenkönigs Knut. Einen ersten Angriff Knuts konnte Olav abwehren, doch 1028 musste er an den Hof von Jaroslaw von Kiew flüchten und fiel 1030 beim vergeblichen Versuch, den norwegischen Thron zurückzugewinnen. Olavs Sohn Magnus wurde 1035 in jungen Jahren nach Norwegen gerufen, wo er schließlich gegen politische Gegner vorging. Magnus musste sich am Ende seiner Regierungszeit die Herrschaft mit seinem Onkel Harald Hardråde teilen, der ihm 1047 nachfolgte. Harald erlangte die Kontrolle über ganz Norwegen und vollendete die Reichseinigung, starb aber 1066 in England. Norwegen konnte in dieser Zeit die Unabhängigkeit von Dänemark bewahren, Magnus und Harald erhoben sogar Anspruch auf die dänische Königskrone. In Dänemark sind Könige, die möglicherweise recht früh über eine relativ starke Stellung verfügten, bereits im frühen 9. Jahrhundert belegt, als es zu Kämpfen mit den Franken kam. Allerdings scheint es sich um Kleinkönige gehandelt zu haben, die zunächst keine dynastisch legitimierte Herrschaftsausübung etablieren konnten. Dänemark übte im 9. Jahrhundert, in dem Könige wie Gudfred und Horik I. in den Quellen erwähnt werden, zeitweise eine Oberherrschaft im südlichen Skandinavien aus, die um 900 erschüttert wurde. Im frühen 10. Jahrhundert ist König Gorm belegt, in dessen Regierungszeit die dänische Macht wieder gefestigter war. Über Gorm selbst ist kaum etwas bekannt, aber anders als er, lehnte sein Sohn Harald Blauzahn die Taufe nicht ab. Haralds Sohn Sven Gabelbart versuchte sich als Wikingeranführer und fiel auch in England ein; dort wurde er 1013 als König anerkannt, starb aber 1014. Sein Sohn war der bereits erwähnte Knut (auch Knut der Große genannt), der England und Dänemark für kurze Zeit in einer Art Personalunion verband. Knut fiel 1015 in England ein und errang dort militärische Erfolge. Mit König Edmund II. verständigte er sich und übernahm nach dessen Tod 1016 auch Wessex. Somit herrschte Knut faktisch über ganz England. Seit 1014/1015 bezeichnete er sich als "rex Danorum" („König der Dänen“), Alleinherrscher in Dänemark war er seit 1019. In Schweden und Norwegen stieß seine Expansion auf harten Widerstand, wobei Knut gegen Norwegen erfolgreicher agierte. Das von ihm errichtete Nordseereich hatte nach seinem Tod 1035 jedoch keinen Bestand. Ost- und Südosteuropa. Der Osten und Südosten Europas war im Frühmittelalter ein politisch zersplitterter Raum. Noch im Verlauf der endenden Völkerwanderung im 6. Jahrhundert drangen in den von germanischen Stämmen weitgehend aufgegebenen Raum östlich der Elbe und nördlich der Donau Slawen ein. Ihre Herkunft bzw. der Prozess ihrer Ethnogenese ist bis heute umstritten und problematisch. Gesichert ist ihr Auftauchen durch archäologische Befunde sowie literarische Quellen (z. B. Jordanes und Prokopios von Kaisareia) erst für das 6. Jahrhundert. Eine aus dem 9. Jahrhundert stammende Aufzeichnung der Slawenstämme findet sich beim sogenannten Bayerischen Geographen. Einzelheiten über die weitere Ausbreitung der Slawen und ihren ersten Herrschaftsbildungen sind kaum bekannt; nur wenn sie in Kontakt oder Konflikt mit den Nachbarreichen kamen, ändert sich dies. Im Donauraum tauchten zur Zeit Justinians die Anten auf. In der Folgezeit überschritten offenbar mehrere slawischen Gruppen die Donau, wobei sie zunächst unter der Oberherrschaft der Awaren standen. Diese hatten Ende des 6. Jahrhunderts im Balkanraum ein Steppenreich errichtet, bevor die Macht der Awarenkhagane im 7. Jahrhundert spürbar nachließ. Seit den 580er Jahren geriet die byzantinische Grenzverteidigung im Donauraum unter massiven Druck und gab schließlich zu Beginn des 7. Jahrhunderts nach, zumal die Truppen im Osten im Kampf gegen die Perser benötigt wurden. Slawen fielen daraufhin in die römischen Balkanprovinzen und in Griechenland ein. 626 belagerten Slawen als awarische Untertanen vergeblich Konstantinopel. Nach dem Zusammenbruch der awarischen Vorherrschaft bildeten sich im Balkanraum mehrere slawische Herrschaften, die von den Byzantinern als Sklavinien bezeichnet wurden. Es fand eine faktische Landnahme statt, auch in Teilen Griechenlands siedelten sich Slawen an, wo es aber nach der byzantinischen Rückeroberung zu einer Rehellenisierung kam. Die byzantinischen Städte im Balkanraum schrumpften, wirtschaftlich und demographisch bedeutete dies ebenfalls einen erheblichen Verlust, wenngleich nur wenige Details bekannt sind. Andererseits übte Byzanz in der Folgezeit noch einen großen kulturellen Einfluss auf die Balkanreiche aus. Erst im 8. Jahrhundert konnte Byzanz in diesem Raum wieder in die Offensive gehen, als mit den (später slawisierten) Protobulgaren bereits ein neuer Gegner auftauchte, der ebenfalls eine Bedrohung für Byzanz darstellte, während die Wolgabulgaren eine eigene Reichsbildung betrieben. Trotz byzantinischer Militäroperationen (dabei unterlag eine byzantinische Armee bereits 679, während im 8. Jahrhundert Operationen teils sehr erfolgreich verliefen), konnte sich das Bulgarenreich in den Kämpfen mit den Byzantinern behaupten, wie etwa die Erfolge Krums belegen. Es kam im bulgarischen Herrschaftsraum zunehmend zu einer Verschmelzung der protobulgarischen und slawischen Gruppen. Unter Omurtag kam es zu einer intensiven Bautätigkeit im Reich, Bulgarien wurde aber ebenso von byzantinischen Einflüssen geprägt. Unter Boris I., der sich 865 auf den Namen Michael taufen ließ, verstärkte sich im 9. Jahrhundert die Christianisierung trotz mancher Widerstände bulgarischer Bojaren. Die stetige Slawisierung Bulgariens gipfelte in der Übernahme der Liturgie in slawischer Sprache und des kyrillischen Alphabets. Höhepunkt der frühmittelalterlichen bulgarischen Geschichte stellte die Regierungszeit Simeons I. im frühen 10. Jahrhundert dar, der gebildet und militärisch erfolgreich war. Er war der erste bulgarische und slawische Herrscher mit dem Titel Zar, der slawischen Entsprechung für einen (regional begrenzten) Kaisertitel. Die Kampfhandlungen mit Byzanz flackerten immer wieder auf, bevor Kaiser Basileios II. nach brutalen Kämpfen die Bulgaren 1014 entscheidend schlug und das Bulgarenreich 1018 eroberte. Eine slawische Westbewegung in den Raum des heutigen Tschechiens und des Ostalpenraums ist archäologisch für das 6. Jahrhundert belegt, die Ostseeküste wurde wohl im 7. Jahrhundert erreicht. Den Zerfall des Awarenreiches begünstigte die „slawische Expansion“. So nutzte dies ein fränkischer Kaufmann namens Samo aus, der sich an die Spitze eines Slawenaufstands stellte und in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts ein slawisches Reich (wohl im böhmischen Raum) errichtete, das auch einem Angriff der Franken widerstand, nach Samos Tod aber zusammenbrach. Besonders im 9. Jahrhundert entstanden mehrere, auch länger bestehende slawische Herrschaften, so in Böhmen, das bald christianisiert wurde und seit dem 10. Jahrhundert zum römisch-deutschen Reich gehörte. Des Weiteren Kroatien (wobei die Kroaten bereits im 7. Jahrhundert nach Dalmatien eingewandert waren) und Serbien (das bald unter byzantinischen Einfluss geriet). Weiter östlich entstanden in Polen und in der heutigen Ukraine neue Herrschaften, die in der weiteren Geschichte Europas eine bedeutende Rolle spielten. Dazu gehörte etwa der Kiewer Rus, der im 10. Jahrhundert christianisiert wurde und unter Wladimir I. eine erste Blütezeit erlebte. Um 900 fand auch die Landnahme der (nicht slawischen) Ungarn statt, die wiederholt weitreichende Raubzüge unternahmen und mehrmals in Italien und Ostfranken einfielen, bevor sie 955 geschlagen wurden. Erster ungarischer König wurde 1001 Stephan I., der Begründer der Árpáden-Dynastie. Stephan war Christ und unterstellte sein Reich dem Heiligen Stuhl, wofür er die kirchliche Organisationsoberhoheit erhielt. Er schuf im Inneren eine königliche Verwaltung und stärkte Kirche und Königsgewalt in Ungarn. Außenpolitisch kam es im frühen 11. Jahrhundert zu Konflikten mit dem römisch-deutschen Reich, während Ungarn, das zu einer bedeutenden Macht in Südosteuropa aufstieg, zu Byzanz und Polen recht gute Beziehungen unterhielt. Im 9. Jahrhundert wurde von den Franken die Grenze im Elberaum gesichert. Hier hatten sich in karolingischer Zeit mehrere Slawenstämme etabliert, darunter die Abodriten und Wilzen. In ottonischer Zeit wurde die Unterwerfung und Christianisierung der paganen Elbslawen versucht, doch erlitt dieses Vorhaben durch den Slawenaufstand von 983 einen erheblichen Rückschlag. Polen, das sich im 8./9. Jahrhundert mit dem Kernraum der Polanen etablierte, erstarkte unter den Piasten im 10. Jahrhundert. Mieszko I. nahm das Christentum an, fortan förderten die polnischen Herrscher die Missionierungen der paganen Gebiete. Mit den ottonischen und salischen Herrschern kam es immer wieder zu Kooperationen (verbunden mit Tributzahlungen) und Konflikten, als Abgrenzung zum römisch-deutschen Reich sind auch die drei Königskrönungen im 11. Jahrhundert zu verstehen. Bolesław I. ließ sich 1024/25 zum König krönen, doch musste Polen schließlich Gebiete an die salischen Herrscher abtreten. Hauptresidenz des verkleinerten Königreichs wurde Krakau. Byzanz. Das Oströmische Reich hatte sich im Laufe des 7. Jahrhunderts tiefgreifend gewandelt (). Das in Armee und Verwaltung noch gesprochene Latein war endgültig dem Griechischen gewichen; aufgrund der arabischen Eroberungen sowie der Bedrohung der Balkangebiete waren um die Mitte des 7. Jahrhunderts an den Grenzen Militärprovinzen entstanden, die sogenannten Themen. Auf dem Fundament römischen Staatswesens, griechischer Kultur und christlich-orthodoxen Glaubens entstand das mittelalterliche Byzanz. Die Abwehrkämpfe gegen die Araber dauerten bis ins 8./9. Jahrhundert an. Byzanz verlor mit den orientalischen und afrikanischen Provinzen bis Ende des 7. Jahrhunderts mehr als die Hälfte seiner Bevölkerung und des Steueraufkommens an das Kalifat. Der Verlust dieser Provinzen, in denen mehrheitlich christliche Kirchen mit einer abweichenden Haltung zur Reichskirche vertreten waren, sorgte aber auch für eine stärkere religiöse Gleichförmigkeit des Reiches. Die arabische Seemacht und regelmäßige Vorstöße zu Land bedrohten zunächst weiterhin Byzanz, während die Balkangebiete und Griechenland von Bulgaren und Slawen bedrängt wurden. In Griechenland siedelten sich im späten 6. (vielleicht aber auch erst im frühen 7.) Jahrhundert slawische Gruppen an, doch sind die Details in der neueren Forschung umstritten. Mehrere Küstenregionen blieben in byzantinischer Hand. Die von Slawen beherrschten Gebiete in Griechenland "(Sklavinien)" wurden bis ca. 800 nach und nach zurückerobert und wieder hellenisiert. Auf dem Balkan sowie in Kleinasien, der nun zentralen Reichsregion, entstanden Festungsstädte, Kastra genannt. Diesen Existenzkampf konnte das Reich durch eine militärische Neuorganisation mit fähigen Generalen, begünstigt durch innerarabische Machtkämpfe, überstehen, wonach sich der byzantinische Staat wieder konsolidierte. Ein nicht unwichtiger Verbündeter gegen das Kalifat war das mächtige Chasarenreich an der Nordküste des Schwarzen Meeres. Justinian II. war der letzte Herrscher der von Herakleios begründeten Dynastie, die das Reich seit 610 regiert hatte. Nach seinem Tod 711 folgten einige Jahre der Anarchie, bevor 717 mit dem Themengeneral Leo wieder ein fähiger Kaiser den Thron bestieg. Leo(n) III. wehrte 717–718 den letzten und ernsthaftesten arabischen Vorstoß auf Konstantinopel ab. Der neue Kaiser ging sogar zu einer begrenzten Offensive über und errang 740 bei Akroinon einen großen Sieg. Leo sicherte die Grenzen und begann im Inneren mit Reformen; so wurde etwa ein neues Gesetzbuch "(Ekloge)" herausgegeben. 741 folgte ihm sein Sohn Konstantin V. (reg. 741–775) nach, der zunächst eine Usurpation niederschlagen musste. Gegen Araber, Bulgaren und Slawen ging der Kaiser in den folgenden Jahren offensiv vor und errang mehrere Erfolge. Im Inneren wurde Byzanz im 8. und 9. Jahrhundert durch den sogenannten Bilderstreit erschüttert. In der modernen Forschung wird dieser wichtige Abschnitt der mittelbyzantinischen Zeit allerdings sehr viel differenzierter betrachtet. Verglichen mit der außenpolitischen Bedrohung, scheinen die erhaltenen (bilderfreundlichen) Quellen ein recht verzerrtes Bild von dieser inneren Auseinandersetzung zu vermitteln, das nicht der Realität entspricht. So ist es bereits sehr fraglich, ob es durch die „ikonoklastischen“ (bilderfeindlichen) Kaiser zu einem regelrechten Bilderverbot oder blutigen Verfolgungen aufgrund der Bilderverehrung gekommen ist (siehe unten). Die von Leo III. begründete Syrische Dynastie hielt sich bis 802 an der Macht; es folgten die Amorische Dynastie (820–867) und die Makedonische Dynastie (867–1057). Außenpolitisch musste das Reich im frühen 9. Jahrhundert einige Rückschläge verkraften. Der Bulgarenkhan Krum schlug 811 ein byzantinisches Heer, tötete den Kaiser und fertigte aus dessen Schädel ein Trinkgefäß an. 813 folgte eine weitere Niederlage gegen die Bulgaren, bevor an der Balkangrenze vorerst Ruhe einkehrte. Mitte des 9. Jahrhunderts begannen die Byzantiner die Missionierung der Balkanslawen und Bulgaren. Dennoch kam es Ende des 9. und zu Beginn des 10. Jahrhunderts wieder zum Konflikt mit Bulgarien, Byzanz musste zeitweise sogar Tributzahlungen leisten. Das ehrgeizige Ziel Simeons I., die byzantinische Kaiserkrone zu erlangen und ein bulgarisch-byzantinisches Großreich zu errichten, wurde nicht erreicht; Bulgarien blieb aber ein für Byzanz bedrohlicher Machtfaktor in der Region. Die Araber wiederum errangen im 9. Jahrhundert ebenfalls weitere Siege gegen die Byzantiner und eroberten 827 Kreta (Emirat von Kreta) und landeten auf Sizilien. Im 10. Jahrhundert errangen die Byzantiner mehrere Siege. Ihre Flotte beherrschte wieder die Ägäis und in der Regierungszeit der Kaiser Nikephoros II. und Johannes Tzimiskes wurden Kreta, Zypern, Kilikien und Teile Syriens zurückerobert; byzantinische Truppen stießen kurzzeitig sogar bis nach Palästina vor. Gleichzeitig ging allerdings der byzantinische Einfluss im Westen, wo Sizilien um 900 verloren ging, spürbar zurück. Nachdem es Mitte des 7. Jahrhunderts zu einem kulturellen Einbruch gekommen war, wenngleich mehr antike Substanz erhalten blieb als in vielen Regionen des Westens, erholte sich das Reich und es begann im 9. Jahrhundert die sogenannte Makedonische Renaissance. Diese Phase der verstärkten Rückbesinnung auf das antike Erbe in Byzanz wurde von mehreren Kaisern gefördert, darunter Leo VI. und Konstantin VII. Im Inneren bestimmten die Generale und Führer der großen Familien die Politik des 10. Jahrhunderts maßgeblich, bevor 976 ein neuer Kaiser an die Macht kam und sich nach schwierigem Beginn durchsetzen konnte. Basileios II. (reg. 976–1025) eroberte nicht nur das Bulgarenreich, sondern sicherte auch die byzantinische Ostgrenze. Er machte Byzanz wieder endgültig zur Großmacht im östlichen Mittelmeerraum. Seine Nachfolger hatten allerdings weniger Erfolg; die Folgen der Niederlage von Manzikert (1071) waren verheerend, da Byzanz das Innere Kleinasiens an die Türken verlor und von nun an wieder in einen Abwehrkampf gedrängt wurde. Die islamische Welt. In Arabien entstand im frühen 7. Jahrhundert mit dem Islam eine neue monotheistische Religion. Ihr Prophet und Religionsstifter war Mohammed, der aus einer führenden mekkanischen Familie stammte. Die islamische Überlieferung zu Mohammed (Koran, Hadithliteratur, Biographien und islamische Geschichtsschreibung) ist reichhaltig, doch sind verschiedene Aussagen widersprüchlich; einzelne Aspekte werden daher in der modernen Forschung kritischer betrachtet und sind umstritten. Die Frühgeschichte des Islams, für die die Quellenlage (unter anderem aufgrund zunächst vor allem mündlicher Überlieferung arabischer Berichte) problematisch ist, wird in der neueren Forschung wieder verstärkt diskutiert. Dazu gehört die Feststellung, dass die Entwicklung der neuen Religion im geschichtlichen Kontext der ausgehenden Spätantike erfolgte und von verschiedenen zeitgenössischen Strömungen beeinflusst wurde. Mohammed war als Kaufmann tätig, als er mit etwa 40 Jahren ein Offenbarungserlebnis hatte. Er trat anschließend für einen strengen Glauben an einen allmächtigen Schöpfungsgott (Allah) ein, der von den Gläubigen eine sittliche Lebensführung verlange. Damit stieß er in Mekka allerdings auf Widerstand. Die Stadt profitierte als paganer Wallfahrtsort mit der Kaaba als Mittelpunkt. Gleichzeitig gab es in Arabien aber auch jüdische und christliche Einflüsse, die monotheistische Strömungen wie den neuen Glauben begünstigten; Mohammed war zudem nicht die einzige Person, die in dieser Zeit als Prophet auftrat. 622 begab sich Mohammed mit seinen Anhängern nach Medina; der Auszug aus Mekka (Hidschra) ist der Beginn der islamischen Zeitrechnung. Allerdings musste er auch in Medina Widerstände überwinden. Es kam anschließend zum Krieg mit Mekka, den Mohammed schließlich 630 endgültig für sich entscheiden konnte. Bekehrte Mekkaner und vor allem Mohammeds eigener Stamm der Quraisch spielten fortan eine wichtige Rolle im neuen islamischen Reich. Sehr früh wurde im Islam, anders als beispielsweise im Christentum, ein Anspruch auf politische Herrschaft formuliert; daran wurde auch später festgehalten. Bis zu seinem Tod 632 konnte Mohammed mehrere Erfolge erringen und den Großteil Arabiens unter seiner Herrschaft und auf Basis des neuen Glaubens vereinen. Die nördlichen Randgebiete standen aber weiterhin unter der Kontrolle Ostroms und des Sāsānidenreichs. Nach Mohammeds Tod 632 fiel die Führung dem ersten Kalifen (Nachfolger, Stellvertreter) Abū Bakr zu, einem engen Vertrauten Mohammeds. Abū Bakr war der erste der vier sogenannten „rechtgeleiteten“ Kalifen. Unter den muslimischen Arabern kam es zu einer Abfallbewegung "(Ridda)", da viele Stämme glaubten, nur dem Propheten selbst verpflichtet gewesen zu sein; die Aufständischen wurden schließlich unterworfen (Ridda-Kriege). Unter Abū Bakr begann in den 630er Jahren auch die Islamische Expansion im eigentlichen Sinne: die Eroberung des christlichen Vorderen Orients und Nordafrikas sowie des Perserreichs der Sāsāniden (zu Details ). Die religiös und nicht zuletzt durch Aussicht auf reiche Beute motivierten Araber errangen in den folgenden Jahren große Erfolge über die beiden durch lange Kämpfe geschwächten Großmächte; der letzte Krieg zwischen Ostrom und Persien war nach gut 25 Jahren erst 628 beendet worden. Bis 651 war im Osten das Sāsānidenreich, allerdings erst nach schweren Kämpfen, erobert. Im Westen verlor Ostrom/Byzanz seine orientalischen und nordafrikanischen Besitzungen: 636 Syrien, 640/42 Ägypten, bis 698 ganz Nordafrika. 717/18 belagerten die nun auch als Seemacht auftretenden Araber vergeblich Konstantinopel. Die Araber verlagerten sich auf Raubzüge nach Kleinasien, während im Westen die Iberische Halbinsel (711) erobert wurde und im Osten die Grenze Indiens erreicht wurde; ein (wohl begrenzter) Feldzug ins Frankenreich scheiterte 732 in der Schlacht von Tours und Poitiers. Hinzu kam die Bedrohung der christlichen Reiche durch die neue arabische Seemacht. Von 888 bis 972 setzten sich etwa arabische Seeräuber an der Küste der Provence in Fraxinetum fest (das heutige La Garde-Freinet) und unternahmen ausgedehnte Raubüberfälle; im östlichen Mittelmeerraum bedrohten sie byzantinisches Gebiet (siehe etwa Leon von Tripolis). Die Quellenlage zu den frühen Eroberungen ist allerdings problematisch. Die erst später entstandenen arabischen Berichte (Futūh) sind nicht immer zuverlässig, während für das 7. Jahrhundert nur relativ spärliche christliche Berichte darüber vorliegen. Die Araber errichteten in den eroberten Gebieten neue Städte, wie Kufa, Basra, al-Fustat oder Kairouan, wie generell die Städte als Wirtschaftszentren eine wichtige Rolle im neuen Reich spielten, ebenso wie die Einnahmen aus Plünderungen und den Zwangszahlungen der (lange Zeit) nicht-muslimischen Mehrheitsbevölkerung. Bei der Verwaltung stützten sie sich zunächst weitgehend auf die vorhandene, gut funktionierende Bürokratie. Noch bis Ende des 7. Jahrhunderts war Griechisch (für die ehemaligen oströmischen Gebiete, Verwaltungssitz war Damaskus) und Mittelpersisch (für die ehemaligen persischen Gebiete, Verwaltungssitz war Kufa) in der Finanzverwaltung des Kalifenreichs gängig, die zunächst recht locker organisiert war; die Möglichkeiten einer zentralisierten Reichsverwaltung waren beschränkt. Die Verwaltung Ägyptens wurde von Fustat aus organisiert. In der Verwaltung des Kalifenreichs waren daher noch lange Zeit Christen tätig, die mit der effektiven spätrömischen Verwaltungspraxis vertraut waren. Sie bekleideten auch hochrangige Posten, wie etwa der einflussreiche Sarjun ibn Mansur und sein Sohn, der später als Johannes von Damaskus bekannt wurde. Erst ab 700 wurde damit begonnen, Christen aus der Verwaltung zu verdrängen, doch dies war ein langsamer Prozess, so dass sich die Kalifen noch einige Zeit auf Christen in den ehemaligen byzantinischen Gebiete stützten. Auch in kultureller Hinsicht waren die ehemaligen oströmischen und persischen Gebiete höher entwickelt als das arabische Kernland. Die Mehrheit der Bevölkerung im Kalifat war lange Zeit nichtmuslimisch und wurde nur relativ langsam islamisiert. Anhänger der Buchreligionen (Christen, Juden und Zoroastrier) mussten eine spezielle Kopfsteuer (Dschizya) zahlen (die wirtschaftlich nicht unbedeutend war), durften ihren Glauben nicht öffentlich verrichten und keine Waffen tragen, blieben ansonsten aber weitgehend unbehelligt. In der Folgezeit kam es allerdings zu Übergriffen etwa gegen Christen, wie der Druck seit dem späten 7. Jahrhundert insgesamt zunahm, so dass es zu Diskriminierungen und unterdrückenden Maßnahmen seitens der Kalifen und Statthalter gegenüber der christlichen Mehrheitsbevölkerung kam (siehe unten). Ebenso kam es später zu Zoroastrierverfolgungen durch muslimische Herrscher. Trotz der spektakulären außenpolitischen Erfolge kam es im Inneren des Kalifenreichs wiederholt zu Unruhen. Nach Abū Bakrs Tod 634 folgten zwei weitere Kalifen (ʿUmar ibn al-Chattāb und ʿUthmān ibn ʿAffān), bis 656 Mohammeds Schwiegersohn Ali Kalif wurde. Sein Anspruch innerhalb der Gemeinde (Umma) war allerdings umstritten, es kam zum Bürgerkrieg. Ali wurde 661 ermordet; Sieger war schließlich Muawiya (reg. 661–680), der die Dynastie der Umayyaden an die Macht brachte, die bis 750 das Kalifat beherrschen sollte. Die Anhänger Alis hingegen blieben weiterhin aktiv (Schia), was zu einer Spaltung der islamischen Glaubensgemeinde führte. Die Umayyaden machten Damaskus zur Hauptstadt des Kalifats, trieben die (oben geschilderte) Expansion voran und organisierten die Verwaltung nach dem Vorbild in Byzanz und Persien um. Allerdings war ihr Herrschaftsanspruch auch nach dem Tod Alis nicht unbestritten. In Mekka und Medina erhob sich Widerstand und mit ʿAbdallāh ibn az-Zubair trat ein Gegenkalif auf. Er wurde jedoch während der umayyadischen Eroberung Mekkas 692 getötet, womit der zweite Bürgerkrieg beendet war. Abd al-Malik (reg. 685–705) sicherte die umayyadische Herrschaft und schuf eine neue islamische Gold- und Silberwährung; in der Verwaltung ersetzte Arabisch endgültig Griechisch und Persisch. Allerdings blieb der Kalifenstaat relativ locker aufgebaut, die Kontrollmacht der Umayyaden war alles in allem recht begrenzt. Als letzter bedeutender umayyadischer Kalif gilt der 743 verstorbene Hischām ibn ʿAbd al-Malik. In der Spätphase der Umayyaden nahmen die inneren Spannungen zu; so kam es zwischen arabischen und nicht-arabischen Muslimen zum Konflikt, die ungelöste Steuerproblematik (da es verstärkt zu Konversionen kam und somit Gelder ausblieben) wurde zu einer ernsthaften Belastung und innere Unruhen erschütterten das Reich. 750 wurden die Umayyaden von den Abbasiden gestürzt, die im Osten des Reiches eine erfolgreiche Revolte begonnen hatten. Die meisten Umayyaden wurden ermordet, Abd ar-Rahman I. gelang aber auf abenteuerliche Weise die Flucht nach Spanien, wo er 756 das Emirat von Córdoba begründete und sich faktisch vom Kalifat löste. Unter den bis 1258 formal regierenden Abbasiden verlor das Kalifenreich zunehmend seinen spezifisch arabischen Charakter. Der politische Schwerpunkt verlagerte sich nach Mesopotamien im Osten, wo mit Bagdad im Jahr 762 eine neue Hauptstadt gegründet wurde (Runde Stadt Bagdad). Ursprünglich unterstützt von der schiitischen Bewegung, bemühten sich die Abbasiden bald um Distanz, was allerdings zu Widerständen führte. Anhänger Alis wurden bekämpft und vor-abbasidische Kalifen als Usurpatoren betrachtet. Die neuen Kalifen bemühten sich um eine religiöse Einigung des Reiches, doch verhinderte dies nicht das Aufkommen regionaler Dynastien in den Randgebieten ab ca. 800, wie beispielsweise der Aghlabiden in Nordafrika oder der Samaniden im Iran. Die frühe Abbasidenzeit war eine kulturelle Blütezeit in Kunst, Literatur, Philosophie, Theologie und Rechtswissenschaft. Der Kalifenhof in Bagdad entfaltete eine enorme Pracht, orientiert am Vorbild des Sāsānidenreichs, des letzten Großreichs des alten Orients. Das Monopol der Araber auf die hohen Posten im Reich war beendet; Perser spielten fortan eine wichtige Rolle am Hof in politischer und kultureller Hinsicht. Beispielhaft war die Hofhaltung von Hārūn ar-Raschīd (reg. 786–809), dessen Ruf sogar bis ins Frankenreich reichte. Politisch verschlechterte sich die Lage im 9. Jahrhundert jedoch dramatisch, als verschiedene türkische Söldnerführer in den Provinzen die Macht ergriffen. Sie gewannen schließlich auch am Kalifenhof Einfluss, was den politischen Niedergang des Kalifats einleitete. Mitte des 10. Jahrhunderts standen die Abbasiden unter der Kontrolle der Buyiden, die für gut 100 Jahre die wahre Macht in Bagdad ausübten, während der Kalif nur noch geistliches Oberhaupt war. 929 hatte sich in Spanien Abd ar-Rahman III. zum Kalifen proklamiert; dies war der Beginn des bis 1031 bestehenden Kalifats von Córdoba. Im 10. und 11. Jahrhundert bedrohten zudem die Fatimiden in Ägypten die Herrschaft der Abbasiden. Die Macht der Kalifen in Bagdad war bereits zu diesem Zeitpunkt gebrochen und nur noch eine Scheinherrschaft. Herrschaftsordnung und Herrschaftsausübung. Herrschaftsform. Die „staatliche Entwicklung“ verlief in den verschiedenen frühmittelalterlichen Reichen unterschiedlich. Zentrale Verwaltungsstrukturen aus spätrömischer Zeit hatten in den Königreichen der Völkerwanderungszeit zunächst fortbestanden (so vor allem in den Gotenreichen, aber auch im Vandalen- und im Frankenreich). Bestimmte Elemente (Finanzen, Münz- und Urkundenwesen) blieben im Westen in der Folgezeit weitgehend erhalten; allerdings waren die staatlichen Strukturen verglichen mit der römischen Zeit nur rudimentär ausgebaut bzw. brachen schließlich zusammen. Am problematischsten war, dass das römische Steuerwesen im Westen (das etwa im Merowingerreich im 6. Jahrhundert noch weitgehend funktionierte) schließlich aufhörte zu existieren und nun vor allem Landbesitz entscheidend war, hinzu kam Beute aus Kriegszügen. Die Einkommen der post-römischen Reiche waren daher weitaus geringer als zur Zeit des Imperiums. In diesem Zusammenhang zerfiel auch das an spätrömischen Strukturen orientierte Verwaltungswesen, das über fließende Steuern finanziert werden musste. Die Folge war ein im Vergleich zum spätrömischen Staat wesentlich schwächeres Herrschaftswesen. Eine erfolgreiche Herrschaftsausübung hing nun eng mit der Fähigkeit des jeweiligen Herrschers zusammen, durch Kämpfe Prestige und Reichtum zu erlangen sowie seine Anhänger daran teilhaben zu lassen, diese aber gleichzeitig nicht zu mächtig werden zu lassen. Im frühmittelalterlichen lateinischen Europa leitete sich die „staatliche Gewalt“ nicht von einer zentralen Autorität ab (wie dem König), sondern von jedem in welcher Form auch immer Herrschenden. Herrschaft war im Frühmittelalter daher ganz wesentlich an einzelne Personen gebunden, es existierten faktisch keine „staatlichen Institutionen“ (und damit kein abstrakter Begriff wie Staatlichkeit) losgelöst von diesen Herrschaftsstrukturen eines Personenverbands. In der Völkerwanderungszeit gewannen vor allem die militärischen Fähigkeiten von Anführern an Bedeutung (Heerkönig), die darauf aufbauend eigene Herrschaften errichteten. Der Trend hin zur Formierung einer Militäraristokratie hatte sich bereits in der spätrömischen Elite abgezeichnet. Allerdings kam es im Laufe der Zeit zu einer „Verdichtung“ der Herrschaft, indem nicht mehr nur das Königtum als zentraler Bezugspunkt existierte, sondern auch das Reich an sich als Idee an Kraft gewann und somit erst eine Stabilisierung der Herrschaftsgebilde, wie das Frankenreich, ermöglichte. Dieses Strukturdefizit betraf fast alle frühmittelalterlichen Herrschaftsgebilde in Europa – in Skandinavien sowie bei den Slawen hatte sich die Königsherrschaft im Vergleich zu den germanisch-romanischen Reichen und dem angelsächsischen England ohnehin relativ spät entwickelt. Nur in Byzanz und im Kalifat waren die staatlichen Strukturen straffer organisiert, so existierte dort unter anderem weiterhin ein effektives Besteuerungssystem und eine lokale, aber der Hauptstadt untergeordnete Verwaltung. Wenngleich in der neueren Forschung viele Aspekte der mittelalterlichen Herrschaft umstritten sind (zu unterscheiden ist etwa Königsherrschaft, Kirchenherrschaft, Dorf- und Stadtherrschaft usw.), kann generell als wichtiges Merkmal gelten, dass Herrschaft ganz wesentlich auf Gegenseitigkeit beruhte und es sich um einen Herrschaftsverband handelte. Der Herrscher und der Beherrschte waren durch Eide aneinander gebunden: Im Austausch für Schutz und bestimmte Leistungen wurde Unterstützung versprochen. Dies galt vor allem im militärischen Bereich, da die frühmittelalterlichen Reiche (außer Byzanz und Kalifat) keine stehenden Heere wie in römischer Zeit unterhielten, sondern für militärische Aktionen auf Gefolgschaften angewiesen waren. Untertanenloyalitäten galten im Grunde nur dem jeweiligen Herrscher und mussten daher bei einem neuen Herrschaftsantritt erneut gesichert werden. Es handelte sich nicht um ein reines Herrscher-Untertanen-Verhältnis, denn der Adel hatte Anspruch auf Teilhabe an der Herrschaft, was es zu achten galt. Dazu dienten unter anderem Freundschaftsbindungen, weshalb in den Quellen oft von "amicitia" die Rede ist. Die Bedeutung des römischen Rechts war im Frühmittelalter zwar vergleichsweise gering, die Beschäftigung damit brach aber vor allem in Italien nie völlig ab, zumal auch in den germanisch-romanischen Reichen Rechtssammlungen erstellt wurden. Eine wichtige Rolle spielten die germanischen Volksrechte "(Leges)", die vom 5. bis ins 8. Jahrhundert bezeugt sind, so bei Goten, Franken, Burgunden, Alamannen, Bajuwaren und Langobarden. Hinzu kam das später verstärkt rezipierte Kirchenrecht. Die Frage des Lehnswesens. In den germanisch-romanischen Nachfolgereichen Westroms entwickelte sich das germanische Gefolgschaftswesen der Völkerwanderungszeit, in dem der Heerkönig eine wichtige Rolle spielte, weiter und wurde durch den Kontakt mit der römischen Staatlichkeit beeinflusst. Die Herrschaft über ein freies Gefolge weitete sich schließlich zur Herrschaft über Land und Leute aus (Grundherrschaft, siehe unten). Nach traditioneller Ansicht der Forschung entwickelte sich daraus im frühmittelalterlichen lateinischen Europa das Lehnswesen als politische Organisationsform. Beide Seiten konnten vom Lehnsverhältnis profitieren, denn während der Lehnsherr zusätzliche Macht gewann, erhöhte sich auch das Prestige des Lehnsträgers, wenn er einem sozial Höhergestellten den Lehnseid leistete. Solche Eide konnten auch als Belohnung für geleistete Dienste abgelegt werden. In der modernen Forschung ist die traditionelle Vorstellung vom Lehnssystem, die unter anderem François Louis Ganshof maßgeblich geprägt hat, aber stark in Frage gestellt worden. Lange Zeit wurde angenommen, dass die später verbreitete Praxis von Vasallität und Lehensvergabe bereits in karolingischer Zeit üblich war. Die Wurzeln der Vasallität sind wohl gallorömisch/fränkisch, doch ist die Deutung der einschlägigen Quellen problematisch. So wurde z. B. der dort auftauchende Begriff "vassus" oft als Vasall gedeutet, ebenso "fidelis", während "beneficium" oft als Lehen interpretiert wurde. Die Begriffe sind aber mehrdeutig, so bedeutet "vassus" nicht zwangsläufig „Vasall“. "Fidelis" bedeutet zunächst nur „Getreuer“, "beneficium" als „Wohltat“ konnte eine Schenkung bezeichnen, die nicht an eine Gegenleistung geknüpft war. In den Quellen des 9. Jahrhunderts wird zudem bislang kein hoher fränkischer Amtsträger auch als "vassus" bezeichnet, was aber im Rahmen eines voll entwickelten Lehnssystems eigentlich der Fall sein müsste. In der Vergangenheit wurden, so lautet ein zentraler Kritikpunkt der neueren Forschung, oft Termini in den Quellen als Hinweise auf Vasallität gedeutet, deren Zuordnung nicht gesichert ist. Persönliche Bindungen waren demnach im Karolingerreich, das von der älteren Forschung in Bezug auf die Ausbildung des Lehnssystems oft untersucht worden ist, sehr vielfältig und folgten keinem starren Muster. Ein Treueid eines Getreuen war demnach nicht zwangsläufig ein Lehenseid. Aus diesem Grund wird in der neueren Forschung betont, wie unsicher viele ältere Interpretationen sind und sich das System, in dem Lehen und Vasallität eng verbunden waren und aufgrund erblicher Lehen das Treueverhältnis oft weniger respektiert wurde, erst später entwickelte und im Frühmittelalter in dieser Form nicht gängig war. Diese Diskussion ist noch nicht abgeschlossen. Königs- und Adelsmacht. Ideelle Grundlagen des frühmittelalterlichen Königtums im Westen des alten "Imperium Romanum" waren das Heerkönigtum der Völkerwanderungszeit, antike römische Herrschaftsvorstellungen und das Christentum. Die Bedeutung eines germanischen Sakralkönigtums in diesem Zusammenhang wird in der neueren Forschung hingegen sehr skeptisch gesehen bzw. abgelehnt. Das Heerkönigtum hingegen spielte offenbar eine entscheidende Rolle, ebenso wie römische Herrschaftsideologie. Denn die politischen Kontakte zwischen den germanisch-romanischen Königen des Frühmittelalters mit dem römischen Kaiser bildeten die Grundlage für die Etablierung zwischenstaatlicher Kontakte im Rahmen römischer Herrschaftsrepräsentation und Inszenierung; dieser Weg führte „vom Heerkönigtum zum vizekaiserlichen königlichen Monarchen“. Hinzu kamen schließlich die Einflüsse aus dem Christentum, das bereits das spätantike römische Kaisertum beeinflusst hatte. Demnach war jede weltliche Herrschaft vom göttlichen Willen abhängig, denn Gott stünde über den Königen dieser Welt. Gleichzeitig repräsentierten die Könige aber auch Gottes Herrschaft auf Erden (Gottesgnadentum); das Königtum wurde somit in den christlichen frühmittelalterlichen Reichen „verchristlicht“. Eine möglichst große Nähe des Königs zu seinen Untertanen war ein wichtiger Faktor hinsichtlich der Intensivierung der Königsherrschaft. Die frühmittelalterlichen Könige, speziell im Karolingerreich und seinen Nachfolgereichen, waren oft Reisekönige, die von Pfalz zu Pfalz reisten und unterwegs die notwendigen Regierungsgeschäfte regelten. Dies war in einer zunehmend oralen, „archaischen“ Gesellschaft essentiell, in der die Schriftlichkeit im Verwaltungsbereich nach der frühen Karolingerzeit regional unterschiedlich zurückging (speziell im 10. Jahrhundert); es war allerdings nicht sehr effektiv. Zentrum der Königsherrschaft war der königliche Hof mit der angeschlossenen Kanzlei; allerdings sind mehrere im Frühmittelalter ausgestellte Urkunden heute nicht erhalten und können nur teils indirekt erschlossen werden (Deperdita). Die zentrale Problematik in den post-römischen Reichen des Westens bestand darin, dass sie über keine mit dem römischen Staat vergleichbare administrativen Strukturen und über kein diese finanzierende effektives Steuerwesen verfügten. Stattdessen mussten sich die Könige auf Gefolgsleute verlassen, die aber oft auch große Landbesitzer mit eigenem Gefolge waren und somit zumindest potentielle Konkurrenten sein konnten. Problematisch war die Lage im Ostfrankenreich insofern, als sich dort keine spezifische Residenzstadt entwickelte, anders als etwa zuvor im West- und im Ostgotenreich oder später in England und Frankreich. Die Karolinger stützten sich auf ausgedehnte und wirtschaftlich leistungsfähige Besitzungen, während in der Ottonenzeit das Reisekönigtum bereits stärker ausgeprägt war, wobei die Herrscher aber königsnahe Gebiete in Sachsen und Franken bevorzugten. Es existierten im Karolingerreich und seinen Nachfolgereichen immer königsnahe und königsferne Räume, wo also eine effektive Herrschaftsausübung mal mehr, mal weniger gut gelang. Ebenso standen Adel und hoher Klerus in den jeweiligen Reichen in einer unterschiedlich starken Beziehung zum Königtum. Das Zusammenspiel zwischen König und Kirche war im Frühmittelalter von besonderer Bedeutung. Bereits die Merowinger und später noch stärker die Karolinger hatten die Kirche in ihre Herrschaftskonzeption eingebunden. Eine wichtige Rolle spielte dabei unter den Karolingern die Hofkapelle. Im Frankenreich waren Ämter bis in die späte Karolingerzeit in der Regel nicht vererbbar, sondern wurden vom König verliehen; dies änderte sich im ausgehenden 9. Jahrhundert, so dass verliehene Ämter zu Erbtiteln wurden (wie bei den Grafen und Herzögen), worunter die Autorität des Königtums litt. Im Inneren stützten sich auch die Ottonen aufgrund der wenig ausgebildeten Strukturen für Verwaltungsaufgaben auf die Reichskirche. Nur die Kirche verfügte über genügend ausgebildetes Personal, das lesen und schreiben konnte; die Bischofskirchen stellten außerdem Truppenkontingente. Im Gegenzug für die Übernahme dieser weltlichen Aufgaben wurden der Kirche zunehmend Herrschaftsrechte übertragen und sie erhielt umfangreiche Schenkungen. In der älteren Forschung wurde dieses Zusammenspiel als Ottonisch-salisches Reichskirchensystem bezeichnet. Die Praxis der Herrschaftsausübung stellt aber im Vergleich zu anderen christlich-lateinischen Herrschern keine Besonderheit dar und erfolgte auch kaum planmäßig. In der neueren Forschung wird darauf hingewiesen, dass es den ottonischen und frühsalischen Königen aufgrund ihrer Machtstellung nur effektiver gelang als anderen Herrschern, die Kirche in die weltliche Herrschaft einzubinden. Durchsetzungsfähigkeit und Akzeptanz der Königsherrschaft variierten. Im Westgotenreich z. B. kam es immer wieder zu Konflikten zwischen König und dem einflussreichen Adel, doch war das Königtum im Westgotenreich bereits stark sakral legitimiert. Der Aspekt der Sakralität von Herrschaft war auch später noch in den anderen frühmittelalterlichen Reichen bedeutend. Zur Stützung der Königsherrschaft wurde unter anderem die sakrale Salbung genutzt, das „Königtum von Gottes Gnaden“ gewann an Bedeutung. Das Königsideal ist immer wieder in den Quellen greifbar, wo der ideale König gerecht, tugendhaft und religiös ist und das Reich verteidigt. Während die späten Merowinger durch die starke Stellung der vom hohen Adel dominierten Hausmeierposten weniger oder gar nicht frei agieren konnten, konnten die frühen Karolinger ihre Herrschaft besser zur Geltung bringen, wobei sie bezeichnenderweise das Amt des Hausmeiers abschafften. Allerdings erschwerten die verschiedenen Herrschaftsteilungen eine konsolidierte Herrschaft. Der dynastische Bezug war oft durchaus vorhanden, allerdings war etwa im Ostfrankenreich der Wahlcharakter des Königtums stark ausgeprägt. Die Königswahl bzw. Königserhebung war dementsprechend in den jeweiligen Reichen unterschiedlich. In Westfranken verfiel die Königsmacht allerdings schließlich im Kampf mit den einflussreichen Großen, in Ostfranken gelang den Ottonen die Stabilisierung der Königsherrschaft, wenngleich die in spätkarolingischer Zeit (wieder) entstandenen Stammesherzogtümer ihre eigenen Interessen vertraten. Neben der effektiven personalen Bindung sowie dem Zusammenspiel mit der Kirche war auch die Verfügbarkeit über das Krongut von Bedeutung. Im angelsächsischen England hingegen gelang es nach der Zeit Alfreds des Großen nur zeitweise, das gesamte Land unter einem König zu vereinen. In Frankreich konnten die Kapetinger im 11. Jahrhundert nur in engen Grenzen die Königsherrschaft ausüben; sie waren im Wesentlichen auf die eigene Krondomäne beschränkt, die Beziehung zum hohen Adel basierte auf weitgehender Gleichheit. Zentrum des herrschaftlichen Handelns war der königliche Hof. Gelang es dem Adel bzw. unterschiedlichen Gruppen innerhalb des Adels, die eigene Herrschaftsausübung in den Territorien zu forcieren oder am Hof den König politisch weitgehend auszuschalten, so sank gleichzeitig die Königsmacht. Aber auch der Adel war ausdifferenziert; so existierten lokale Adelsgruppen und, wie in der Karolingerzeit, reichsweit agierender Adel (wie etwa die Robertiner und die Welfen); dementsprechend variierten die verschiedenen Adelsinteressen. Im Fall einer relativ stark ausgeprägten Königsmacht war es für die Großen wiederum von zentraler Bedeutung, einen möglichst guten Zugang zum Hof und damit zum König zu haben. Nur dies garantierte, dass die eigenen Bedürfnisse und Wünsche gezielt artikuliert und somit möglichst durchgesetzt werden konnten. Es war daher wichtig, wer das „Ohr des Königs“ besaß und damit die Möglichkeit hatte, Bitten, Wünsche und Forderungen vorzutragen oder auch als Fürsprecher aufzutreten. Die Bedeutung des Kräftedreiecks (König, Adel und Kirche) wird in der Forschung für das Frankenreich sowie das Ostfrankenreich betont. Auf den Hoftagen kam es immer wieder zu wichtigen Beratungen, in denen es vor allem um Rat und Unterstützung ging. Der Konsens zwischen König und dem hohen Adel spielte bei der effektiven Herrschaftsausübung eine wichtige Rolle („konsensuale Herrschaft“): Der König und die Großen des Reiches, die in einer wechselseitigen Beziehung zueinander standen, achteten den gegenseitigen Rang und versuchten, möglichst nicht konfrontativ zu agieren. In der modernen Mediävistik wird des Weiteren der Ritualforschung bzw. Herrschaftsrepräsentation ein großer Stellenwert eingeräumt. Es geht um die Beschreibung und Deutung von ritualisierten Abläufen in der mittelalterlichen Politik, die unter dem Begriff „symbolische Kommunikation“ zusammengefasst werden. Dies betrifft unter anderem den zeremoniellen Empfang oder das Konfliktverhalten, wie die Inszenierung der "deditio" (Unterwerfung) aufständischer Fürsten. Rituale waren in diesem Zusammenhang auch deshalb von Bedeutung, weil sie zumindest teilweise als Ausdruck der jeweiligen Rangordnung zwischen den Großen zu verstehen sind. Folgt man diesem Ansatz, so erforderten z. B. herrschaftliche Ehrverletzungen Genugtuung "(satisfactio)", etwa in Form der "deditio". Konflikte an unterschiedlichen Höfen im Frühmittelalter sind mehrmals belegt. Der gütliche Ausgleich "(compositio)" gestaltete sich allerdings umso schwerer, je mehr der Konflikt zuvor eskaliert war. In jüngster Zeit ist die Ritualforschung teilweise in die Kritik geraten. Herrschaftsansprüche und Realität. Eine Sonderrolle fiel dem von Karolingern und Ottonen erneuerten westlichen („römischen“) Kaisertum zu, das in spätantiker Tradition stand und eine neue universale Komponente einbrachte (Reichsidee). Das Zweikaiserproblem mit Byzanz hatte nur bis 812 realpolitische Folgen, als im Frieden von Aachen Venedig als Teil des Byzantinischen Reiches anerkannt wurde. Die karolingischen und ottonischen Kaiser übten eine hegemoniale Stellung im lateinischen Europa aus. Allerdings wirkte sich dies sehr selten in einer tatsächlichen politischen Einflussnahme in anderen Reichen aus, denn begründete Eingriffsrechte existierten für das Kaisertum nicht. Es handelte sich letztendlich in erster Linie um einen formalen Vorranganspruch. Das Verhältnis der Kaiser gegenüber dem Papsttum änderte sich jedoch: Während die frühen Karolinger noch eine „Schwurfreundschaft“ geleistet hatten, leisteten die Kaiser später nur noch Schutzversprechen sowie seit der Ottonenzeit Sicherheitseide. Im Zusammenhang mit neueren Untersuchungen ist zudem erkennbar, wie verhältnismäßig eingeschränkt die Gestaltungskraft des Kaisertums selbst im Karolingerreich (immerhin das mächtigste Herrschaftsgebilde im lateinischen Europa seit dem Fall Westroms) verglichen mit anderen Großreichen dieser Zeit war. Das wird an einem einfachen Beispiel deutlich: 792 ordnete Karl der Große den Bau eines 3 km langen Kanals in Mittelfranken an, der die Flusssysteme Rhein und Donau verbunden hätte. Die Bauarbeiten blieben jedoch bald stecken, so dass 793 der Bau abgebrochen wurde. 767 waren demgegenüber weitaus umfangreichere Bauvorhaben in Byzanz (wo Wasserleitungen über eine Distanz von mehr als 100 km instand gesetzt wurden) und im Kalifat (Runde Stadt Bagdad, an deren Bau über 100.000 Arbeiter beteiligt waren) ohne größere Probleme gelungen. Im China der Tang-Dynastie wiederum war 742/43 ein Kanal von rund 150 km Länge planmäßig gebaut worden. All diese Reiche hatten universale Herrschaftsansprüche, ähnlich wie das Karolingerreich; die Ressourcen und die darauf basierenden Gestaltungsspielräume waren jedoch im Fall des westlichen Kaisertums wesentlich eingeschränkter. Das änderte sich auch während der Ottonenzeit nicht maßgeblich. In Byzanz hatte hingegen in stärkerem Maße die spätantike Staatlichkeit überlebt. Der byzantinische Kaiser herrschte weitgehend absolut und konnte sich weiterhin auf einen Beamtenapparat stützen (siehe Ämter und Titel im Byzantinischen Reich), wenngleich sich der byzantinische Staat im 7. und 8. Jahrhundert, verglichen mit dem spätrömischen Reich des 6. Jahrhunderts, auch stark gewandelt hatte. Die Einflussmöglichkeiten des Kaisers waren in Byzanz aufgrund der differenzierteren und eindeutiger in ihren Abläufen geregelten und auf den Kaiser ausgerichteten politischen Infrastruktur höher; er unterlag auch, anders als im Westen (so während des Investiturstreits), nicht so sehr der Gefahr einer kirchlichen Maßregelung. Im Kalifenreich hatte man die funktionierende byzantinische bzw. persische Bürokratie zunächst weitgehend übernommen, Griechisch und Mittelpersisch blieben bis Ende des 7. Jahrhunderts auch die Verwaltungssprachen. Der Dīwān fungierte als eine zentrale Verwaltungsinstitution, in der Abbasidenzeit mit dem Wesir an der Spitze. Der Kalif selbst wurde nach der Zeit der „rechtgeleiteten Kalifen“ als politischer Führer betrachtet, unterstand aber dem religiösen Recht. Sein weltlicher Herrschaftsanspruch war ebenfalls nicht allumfassend. Nachdem sich im 8./9. Jahrhundert zunehmend lokale Herrschaften gebildet hatten, wurde die politische Theorie vertreten, der Kalif könne seine Macht delegieren, was die Aufgabe eines absoluten Herrschaftsanspruchs bedeutete. Die faktische Macht am Hof ging in der Abbasidenzeit ebenfalls zunehmend auf die hohen Beamten über. Gesellschaft und Wirtschaft. Menschen und Umwelt. Die modernen Kenntnisse über die frühmittelalterliche Gesellschaft im lateinischen Europa sind recht lückenhaft. Über das Leben der „einfachen Leute“ berichten die erzählenden Quellen nur sehr selten, während die archäologische Forschung bisweilen genauere Einblicke erlaubt. Im Frühmittelalter lebten nach modernen Schätzungen über 90 % der Menschen auf dem Lande und von der Landwirtschaft. Demographische Angaben sind recht spekulativ, für die Zeit um 1000 wird von einer Gesamtbevölkerung in Europa von etwa 40 Millionen ausgegangen, die in der Folgezeit zunahm. Die allgemeine Lebenserwartung war vor allem in der ärmeren Bevölkerung sehr viel geringer als in moderner Zeit. Manche Gebiete mussten im Laufe der Zeit erst urbar gemacht und kultiviert werden; sogar Gebiete, die in römischer Zeit genutzt wurden, mussten teils erneut gerodet und nutzbar gemacht werden. Die Schwierigkeiten der Lebensbedingungen, die sich aus dem natürlichen Umfeld ergaben, dürfen daher nicht unterschätzt werden. Zudem unterschieden sich die verschiedenen geographischen Räume kulturell und wirtschaftlich voneinander, wie die in spätrömischer Zeit stark urbanisierten und auf das Mittelmeer ausgerichteten Regionen und die weiter nördlichen Regionen. Es gab aber auch weiterhin zusammenhängende urbane Gebiete, so vor allem in Italien und im südlichen Gallien. Diese hatten aufgrund von Kriegen, Seuchen und aus anderen Gründen ebenfalls einen Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen, waren aber immer noch relativ dicht besiedelt. Hier sind auch stärkere Kontinuitätslinien von der Spätantike ins Mittelalter zu erkennen. Der östliche Mittelmeerraum ist aufgrund der andersartigen Entwicklung noch einmal ein Sonderfall. Je weiter man sich jedoch von den alten römischen Zentren entfernte, vor allem östlich des Rheins, desto geringer wurde die Bevölkerungsdichte. In der Folgezeit entstanden aber auch neue Siedlungszentren bzw. wurden auf Grundlage älterer Vorläufer Siedlungen und Städte wieder errichtet. Interkulturelle Kontakte zwischen dem lateinischen sowie dem byzantinischen und arabischen Raum waren zwar teils vorhanden, wurden aber nicht selten durch zahlreiche Faktoren (wie geringe Fremdsprachenkenntnisse und eher mangelhafte Raumvorstellungen) erschwert. Von zentraler gesellschaftlicher Bedeutung war die Kirche, die in den Gemeinden sichtbar vertreten war. Die jeweiligen Lebensgemeinschaften waren zumeist überschaubar. Übergreifendes Gemeinschaftsgefühl ist kaum feststellbar und manifestierte sich über spezielle „Trägerschaften“ (Adel und Klerus). Ethnische Identifikationen, also ein übergreifendes „Wir-Bewusstsein“, fehlten weitgehend und bildeten sich erst im Laufe der Zeit aus. Die Entwicklung in den einzelnen Regionen verlief eher heterogen. Vergleichbare Lebensbedingungen, technische Kenntnisse sowie geistige und religiöse Entwicklungen sorgten jedoch für eine gewisse Einheitlichkeit des nach-römischen Europas. Gesellschaftsordnung. Die Auflösung der römischen Ordnung im Westen setzte eine Entwicklung in Gang, die zu neuen gesellschaftlichen Verhältnissen führte. Die frühmittelalterliche Gesellschaft im lateinischen Europa war keine religiöse Kasten- oder ökonomische Klassengesellschaft, sondern eine Ständegesellschaft. Sie war hierarchisch geordnet und sozialer Aufstieg war nur relativ selten möglich. Durch Geburt begründete soziale und rechtliche Ungleichheit war nicht die Ausnahme, sondern der Regelfall. Die an der Spitze stehende adlige Führungsschicht war sehr klein. Königsnähe und Besitzumfang spielten für das adelige Standesbewusstsein eine wichtige Rolle, wenngleich sich gerade der jeweilige Territorialbesitz oft in die eine oder andere Richtung verschob und auch geographisch nicht immer konstant war. Adelige "memoria", zielgerichtete Erinnerungspflege, und herrschaftliche Schwerpunktbildung hatten daher eine wichtige Funktion. Bereits das römische Recht unterschied grundsätzlich zwei Personengruppen: Freie "(liberi)" und Unfreie "(servi)", dies wurde auch im Frühmittelalter getan. Eine Art mittlere Stellung zwischen Adel und Unfreien nahmen dabei die Freien mit Besitz ein, die nicht in der Grundherrschaft eingebunden waren. Eine Schicht darunter waren kleine, zu Abgaben pflichtige selbstständige Bauern oder Landarbeiter und Handwerker am Hofe eines Herren. Allgemein ist es nach Ansicht der neueren Forschung falsch, eine Tendenz zur Verelendung im Frühmittelalter zu betonen. Es gab durchaus eine Entwicklung hin zu größeren Freiheiten. Sozial niedrig gestellte Personen entzogen sich teils dem Zugriff ihres Herren und wanderten beispielsweise ab. Seit dem 9. Jahrhundert sind im Frankenreich rechtliche Besserstellungen und Abgabemilderungen feststellbar. Der Adel war allerdings oft bestrebt, Abhängigkeitsverhältnisse zu bewahren und zu verstärken. Selbst in der „niedrigen“ Gesellschaftsschicht finden sich aber Parallelen zur adligen Grundherrschaft, wie z. B. der Bauer, der über sein Haus und seine Familie das Verfügungsrecht hat. In der sozialen Hierarchie folgten die besitzlosen Armen "(pauperes)", die oft auf das Betteln angewiesen waren. Die Kirche griff hierbei oft ein, doch gelang es (auch in der Frühen Neuzeit) nie, dieses soziale Problem befriedigend zu lösen. Ganz unten befanden sich die Sklaven, doch stellt die Frage der frühmittelalterlichen Sklaverei ein Forschungsproblem dar. Dies liegt unter anderem an den unklaren Quellenaussagen zu den Sklaven, so dass man bisweilen versucht, dies mit „Unfreie“ oder „Abhängige“ zu umschreiben. Ebenso existierten zunächst noch im eigentlichen Sinn Sklaven, wobei es sich in der Regel um „Kriegsbeute“ handelte. Besonders Skandinavier (Wikinger) trieben regen Handel mit Sklaven, die vor allem in den arabischen Raum verschifft wurden. Unter christlichem Einfluss wurde das einfache Tötungsrecht des Hausherrn später aufgehoben, der aber über das „Hausgesinde“ weiter frei verfügen konnte. Unfreie "servi" konnten aber auch aufsteigen und befreit werden. Es gab jedenfalls unterschiedliche Abstufungen des Abhängigkeitsverhältnisses (siehe auch Leibeigenschaft). In jüngerer Zeit wurde auch die These vertreten, dass in der Forschung die Abhängigkeit der Bauern vom Grundherren im beginnenden Frühmittelalter zu stark betont worden sei und man das regionale Quellenmaterial jeweils genauer prüfen müsse. Frauen, Kinder und Juden. Im Rahmen der patriarchalischen Gesellschaft des Mittelalters wurde von einer untergeordneten Rolle der Frau ausgegangen. Aus den Quellen, in denen Frauen immer wieder hochachtungsvoll erwähnt werden, ist aber keine regelrechte Frauenfeindlichkeit abzuleiten. Die Rolle der Frauen im Frühmittelalter ist nicht ganz eindeutig. Rechtlich waren sie formal unmündig; Vater, Ehemann oder Vormund waren ihnen übergeordnet, auch die Verfügungsgewalt über den Besitz wird Frauen in mehreren Gesetzen abgesprochen. Es hat in der Praxis aber durchaus Möglichkeiten der Selbstentfaltung gegeben, dies hing allerdings entscheidend von ihrem jeweiligen Stand ab. Vor allem im adeligen Milieu finden sich Beispiele für Frauen, die über nicht geringen Einfluss verfügten und sich teils sogar politisch durchsetzen konnten. Dieser potentielle Einfluss von adeligen Frauen, speziell aber von einigen Königinnen, der in mehreren Quellen greifbar ist, konnte am Hof aber durchaus auf Widerstand stoßen. Dies musste nicht zwingend mit der weiblichen Person zusammenhängen, sondern konnte auch politisch begründet sein, wie das politische Wirken Brunichilds zeigt, während die Regentschaft Theophanus akzeptiert wurde. Denn auch als Frau war ein männliches Verhalten "(viriliter)" vorbildlich, um Anerkennung in einer herrschenden Position zu erhalten. Eine Frau hatte dann politischen Einfluss, indem sie entsprechend heiratete oder in eine hochrangige Adelsfamilie hineingeboren wurde. Im Gegensatz dazu wurden männliche Bewerber um das Amt des Königs oftmals gewählt oder kamen infolge von Erbschaften an die Macht. Sowohl für Frauen als auch für Männer der oberen Schichten galt, die Herrschaft zu sichern und dadurch die Familie bzw. die Dynastie zu stärken. Daher war es nicht unüblich, dass sich die Rolle der Frau und des Mannes ergänzten. Die Frauen der gesalbten Könige standen in der Pflicht, im Zeichen der Fruchtbarkeit einen geeigneten Nachfolger zu gebären. Sie hatten demnach eine ähnlich entscheidende Aufgabe als Ehegattin des Königs. Königspaare waren zum Erhalt der Macht in ihrem Herrschaftsraum unterwegs. Bei Anwesenheit von König und Königin am selben Ort wurde erwartet, dass sich die Gattin ihrem Mann ergeben zeigte, wobei die Königin unter Umständen ebenfalls politisch tätig war. Innerhalb der Familie kam es oftmals zu Streitigkeiten, sodass sowohl Frauen als auch Männer in den Machtpositionen vermitteln mussten. Dies taten sie dann gemeinsam am gleichen Ort oder wählten unterschiedliche Präsenzstätten, um zu vermitteln und zu schlichten. Auf Pfalzen oder Burgen hielten der König und die Königin Gericht auf ihren Reisen ab. Diese Auseinandersetzungen, beispielsweise zwischen Vätern und Söhnen, aber auch andere Streitigkeiten, wurden oftmals gewaltsam ausgetragen. Königliche Frauen wurden genauso in Urkunden erwähnt, wie ihre männlichen Gegenspieler. Theophanu wurde durch die Heiratsurkunde in das königliche Machtverhältnis durch die Bezeichnung "consortium imperii" (Teilhabe an der Herrschaft) aufgenommen. Um 989 führte Theophanu neben weiblichen Titeln die männlichen Beinamen Kaiser und Augustus. Ebenso ist es falsch, wie bisweilen geschehen, von Kinderfeindlichkeit im Frühmittelalter zu sprechen. Sorge und Liebe um das Wohlergehen der Kinder kommt in verschiedenen Quellen wiederholt zum Ausdruck; dazu wurde im zeitgenössischen Denken körperliche Bestrafung nicht als Gegensatz empfunden. Allerdings endete die Kindheit aufgrund der niedrigeren Lebenserwartung sehr früh. Eine spezielle Position nahmen die Juden als religiöse Randgruppe in den christlichen Reichen ein. Relativ starke jüdische Minderheiten existierten im Frühmittelalter in Byzanz, Italien, im südlichen Gallien und in Spanien. Im späteren Deutschland gab es in einigen Bischofsstädten jüdische Gemeinden, so unter anderem in Mainz. Bereits im Frankenreich nahmen sie eine durch Privilegien gesicherte Sonderstellung ein. Wirtschaftlich bedeutend war ihre Rolle als Fernhändler, aber auch jüdische Handwerker und Ärzte sind belegt. Rechtlich waren die Juden eingeschränkt und es gab bisweilen judenfeindliche Äußerungen, (im Frühmittelalter relativ seltene) gewaltsame Übergriffe und Versuche von (kirchlich abgelehnten) Zwangstaufen. Auf der Synode von Elvira war es schon um 300 zu einem ersten Eheverbot zwischen Juden und Christen gekommen ("canones" 16/78), mit dem Codex Theodosianus (III, 7,2; IX, 7,5) galt dieses Verbot im gesamten Reich bei Androhung der Todesstrafe. Außerdem wurden den Juden Kleidungsverbote auferlegt, die Sklavenhaltung (damit der Zugang zum Latifundienbesitz und zur Gutsherrschaft) verwehrt und die Übernahme öffentlicher Ämter verboten. Allerdings wurde ihre Religionsausübung auch nicht permanent und systematisch verhindert, oftmals wurden sie weitgehend toleriert. Über die kulturelle Entwicklung der Juden in der Diaspora im Frühmittelalter ist so gut wie nichts bekannt; anhand der späteren Ausformung lassen sich nur einige Schlussfolgerungen ziehen. Eine größere Rolle im religiösen Leben spielte die Midraschliteratur und der babylonische Talmud. Wirtschaftsordnung. Die frühmittelalterliche Gesellschaft war vorwiegend agrarisch geprägt. Grundlage der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung im Westen war die Grundherrschaft, in der die meisten Menschen auf dem Land eingebunden waren (Hörigkeit). Größte Landbesitzer waren der König, der Adel und die Kirche. Ob die adelige und kirchliche Grundherrschaft auf germanische oder spätrömische Wurzeln zurückging oder auf beide, oder ob sie vielmehr eine originäre frühmittelalterliche Entwicklung darstellt, ist in der Forschung umstritten. In spätrömischer Zeit dominierten die ausgedehnten kaiserlichen und senatorischen Landgüter (Latifundien) mit den entsprechenden "villae rusticae". Große Villengüter sind noch bis ins 6. Jahrhundert belegt, bevor das System kollabierte. Der Zusammenbruch der römischen Strukturen hatte somit weitreichende Folgen für die großen senatorischen Landbesitzer, die mit dem römischen Staatswesen eng verbunden waren. Typisch für das Frühmittelalter wurde die Villikation, die zweigeteilte Grundherrschaft: einerseits der Fronhof des Grundherrn, andererseits die vom Grundherrn abhängigen Bauernhöfe. Dem Bauern wurde vom Grundherrn Boden zur Bearbeitung zur Verfügung gestellt und er wurde unter dessen Schutz gestellt, der Bauer musste dafür unterschiedlich hohe Abgaben leisten. Es bestand folglich ein wechselseitiges Verhältnis, von dem freilich der Grundherr am meisten profitierte. Die Grundherrschaften waren aber keine geschlossenen Wirtschaftsräume, vielmehr wurde reger Handel getrieben. Die Landwirtschaft war der bedeutendste Wirtschaftszweig. Im Karolingerreich wurde versucht, das urbare Land genauer zu erfassen und es möglichst in Parzellen (Hufe) einzuteilen. Die im Frühmittelalter schließlich steigende Bevölkerungszahl war für das System der Grundherrschaft problematisch, zumal eine systematische schriftliche Erfassung nicht dauerhaft gelang. Es fand nun jedoch wirtschaftsbezogenes Rechnen statt. Dieser Prozess der wirtschaftlichen Erfassung ist nicht stringent, sondern mit zahlreichen Brüchen verbunden, vor allem seit dem Niedergang des Karolingerreichs, ist aber seit dieser Zeit sicher feststellbar. In der Landwirtschaft ist zwischen Acker- und Weideland zu trennen, wobei der Ackerbau wohl dominierte, auch der Weinanbau war von Bedeutung. Getreide stellte die wichtigste Nahrungsgrundlage für die breite Bevölkerung dar und wurde in vielfältiger Form genutzt. Fleisch und Fisch wurden regional unterschiedlich aber ebenso als Ergänzung verzehrt. Es kam allerdings wiederholt zu regionalen Hungersnöten, besonders bei zunehmender Bevölkerungszahl oder infolge militärischer Auseinandersetzungen. Tiere wurden nicht nur auf den Herrenhöfen, sondern auch auf den Bauernhöfen gehalten. Eine Vielzahl der Alltagsprodukte wurde zu Hause hergestellt. Die Erträge der Aussaat waren relativ gering, sie betrugen nach einer Quelle nur das 1,6 bis 1,8-fache; es ist allerdings fraglich, wie repräsentativ dies ist. Die Anfänge der Dreifelderwirtschaft scheinen auf das 8. Jahrhundert zurückzugehen, sie war im Frühmittelalter aber nicht flächendeckend verbreitet. Zwar begann bereits im Frühmittelalter auch ein Innovationsprozess, technisch wurden aber zunächst viele antike Vorläufer übernommen, so der bereits bekannte Pflug zur Bodenbearbeitung. Als Zugtiere dienten in der Regel vor allem Ochsen, da Pferde zu kostspielig dafür waren. Das Kummet kam erst im 11./12. Jahrhundert verstärkt zum Einsatz und auch nur in Regionen mit ausreichend vorhandenen Pferden; neueren Untersuchungen zufolge waren die antiken Anspannungssysteme dem Kummet auch nicht prinzipiell unterlegen, der erst im Zusammenspiel mit anderen Neuerungen eine wirkliche Effizienzsteigerung brachte. Bei der Getreideverarbeitung spielten Mühlen eine wichtige Rolle, wobei Wassermühlen bereits in der Spätantike weit verbreitet waren. Im Handwerk wurde an römische Traditionen angeschlossen, so in der Keramik-, Glas- und Metallverarbeitung. Spezialisierte Handwerker genossen zwar keine besonders hervorgehobene soziale Stellung, wurden aufgrund ihrer Fertigkeiten aber durchaus geachtet. Eine der wenigen diesbezüglichen Quellen, das karolingische Capitulare de villis, verzeichnet unter anderem die Handwerksspezialisten in den königlichen Domänen des Frankenreichs. Eine nicht unwichtige Rolle im Rahmen des Wirtschaftskreislaufs spielten die Klöster. Mehrere verfügten über eigenen, teils sehr erheblichen Besitz und nutzten ihn wirtschaftlich. Die größeren klösterlichen Grundherrschaften konnten über tausend Bauernstellen umfassen. Wichtigstes Transportmittel war das Schiff, gleich ob Binnen- oder Seeschifffahrt. Entgegen älteren Annahmen spielte im Frühmittelalter die Geldwirtschaft immer noch eine wichtige Rolle; die Bedeutung der naturalen Tauschwirtschaft darf daher nicht überschätzt werden. Münzprägungen wurden fast kontinuierlich von der Spätantike bis ins Mittelalter betrieben, doch ist ihre genaue Kaufkraft heute nur noch schwer einzuschätzen. Teilweise ist aber ein erheblicher Materialmangel feststellbar. Bereits seit spätmerowingischer Zeit ist im Frankenreich Bergbau nachweisbar, im 7. Jahrhundert ging man dort von Gold- zu Silbermünzen über. Handel. Handel und Verkehr im Frühmittelalter stellen ein viel diskutiertes Forschungsproblem dar, zumal die relativ wenigen Quellen zur frühmittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte recht verstreut sind. In der älteren Forschung wurde oft angenommen, dass der Fernhandel infolge der Umbrüche in der ausgehenden Spätantike zum Erliegen gekommen war (siehe Pirenne-These). Neuere Untersuchungen konnten jedoch belegen, dass es zwar zu einer Abnahme, nicht aber zu einem völligen Abreißen des Fernhandels gekommen war. Das spätantike Handelsnetzwerk hatte den gesamten Mittelmeerraum umfasst, wobei das weitere Handelsnetzwerk über Persien bis nach Zentralasien, China und Indien reichte (siehe die Ausführungen zu Zentralasien im Artikel und Indienhandel). Nach dem Zusammenbruch der römischen Staatsordnung im Westen (die Handelskontakte des Ostreichs waren bis ins ausgehende 6. Jahrhundert davon nicht betroffen) kam es zu regionalen Ausgestaltungen; in diesem Zusammenhang war die lokale Aristokratie, außer in der "Francia" (dem fränkischen Herrschaftsgebiet) und in der Levante, sogar ärmer und politisch regional beschränkter als in römischer Zeit. Die staatliche Gewalt schrumpfte infolge der geringeren Finanzkraft. Die Fiskalstruktur war einfacher gestaltet als zu römischer Zeit und brach im Westen sogar völlig zusammen. In diesem Zusammenhang darf jedoch nichts verallgemeinert werden, sondern die Regionen müssen jeweils einzeln betrachtet werden. Das spätantike Wirtschaftssystem im Mittelmeerraum hatte im 6. Jahrhundert schwere Rückschläge erlitten, nicht zuletzt durch die sogenannte Justinianische Pest und die anschließenden Pestwellen. Die Folgen der Pest sind allerdings im Einzelnen nur schwer einzuschätzen. Der Bevölkerungsrückgang im beginnenden Frühmittelalter ist aufgrund der uneinheitlichen Quellenbefunde nicht zwingend auf die Pest zurückzuführen; es kann sich auch um Folgen politischer Krisen handeln. Um die Mitte des 7. Jahrhunderts ist wohl ein wirtschaftlicher Tiefpunkt im Mittelmeerhandel festzustellen. Um 700 bildeten sich aber neue Handelsrouten heraus. Die einzelnen Regionen (auch im Westen) waren nicht vollkommen isoliert, sondern standen weiterhin in Handelskontakt zueinander. Entgegen der älteren Lehrmeinung kam es bereits im späten 8. Jahrhundert zu einem nicht unerheblichen wirtschaftlichen Aufschwung. Auch im Mittelmeerraum ist in dieser Zeit ein reger Warenaustausch zwischen den lateinisch-christlichen Reichen, Byzanz und dem Kalifat nachweisbar, von Luxuswaren (wie Pelze und Seide) bis hin zu Salz, Honig und nicht zuletzt Sklaven. In diesem Sinne bildete sich ein neues vernetztes und weitgespanntes Handelssystem heraus. Im Westen kam es in der Merowingerzeit außerdem zu einer Handelsverschiebung in den Norden, wobei fränkische Händler schon im 7. Jahrhundert bis in das Slawenland im Osten vorstießen. Hinzu kamen später Handelsrouten nach Skandinavien. Der wichtigste fränkische Hafen für den Nordhandel war Quentovic. Die nördlichen Regionen waren nach der arabischen Expansion also keineswegs vom Kulturraum des Mittelmeers abgeschnitten, denn es fand ein wechselseitiger Austauschprozess und eine entsprechende Kommunikation statt. Fernhändler überwanden die engeren Regionengrenzen, einige Jahrmärkte scheinen seit der Spätantike fortlaufend besucht worden zu sein. Dennoch ist es sinnvoll, den westlichen und östlichen Mittelmeerraum hinsichtlich des Warenaustauschs getrennt zu betrachten, da es durchaus Unterschiede gab. Die oftmals geschrumpften Städte waren für den Warenumschlag und Fernhandel auch nach dem 6. Jahrhundert von Bedeutung, besonders in den antiken Kulturlandschaften im Westen, so in Italien und teilweise im südlichen Gallien. Venedig verhandelte mit islamischen Herrschaften wegen Bauholz und trieb Handel mit Salz und vor allem Sklaven, die nach Byzanz und in den islamischen Raum verkauft wurden. Gaeta, Amalfi und Bari profitierten ebenfalls vom Fernhandel. Mailand, das bereits in der Spätantike eine wichtige Rolle gespielt hatte, gewann seit dem späten 10. Jahrhundert wieder an Bedeutung, so im Bereich der Geldwirtschaft. Dagegen brach die antike urbane Kultur im Donauraum und in Britannien faktisch zusammen. Kleinere Städte konnten – wie bereits zuvor und lange danach – nur mit dem Überschuss der lokalen Produktion handeln. Der Handel mit Massenwaren war vor allem für den Binnenhandel von Bedeutung. Der Großteil des Handels dürfte ohnehin innerhalb der Regionen stattgefunden haben, so dass die meisten Waren über relativ kurze Distanz transportiert wurden. Byzanz. Byzanz durchlief im 7./8. Jahrhundert eine Transformation, wobei wichtige antike Strukturen zwar erhalten blieben, Gesellschaft und Wirtschaft sich aber teils grundlegend wandelten. Aufgrund der angespannten außenpolitischen Lage militarisierte sich die Gesellschaft im 7. Jahrhundert zunehmend. Es formierte sich seit dieser Zeit eine Adelsschicht aus den Reihen der einflussreichen Bürokratie und der großen Landbesitzer und es bildeten sich Familiennamen heraus – Familien, die teils sehr bedeutend wurden. Im späten 9. Jahrhundert rekrutierte sich die Führungsschicht zunehmend aus diesen Geschlechtern. Parallel dazu nahm das freie Bauerntum ab, viele gerieten schließlich in die Abhängigkeit von Großgrundbesitzern. Trotzdem blieb die byzantinische Gesellschaft wesentlich offener als die westeuropäische, auch der Kaiserthron blieb nicht dem hohen Adel vorbehalten. Ein sozialer Aufstieg bis an die Spitze des Staates stand somit grundsätzlich jedem offen, wie das Beispiel von Basileios I. zeigt. Die byzantinische Wirtschaft erholte sich nach der Krisenphase des 6. und 7. Jahrhunderts langsam. In dieser Zeit hatte sie unter den Folgen von Pest und Kriegen gelitten, verbunden mit einem Bevölkerungsrückgang. Die Quellen zur mittelbyzantinischen Wirtschaftsgeschichte, speziell für das 8./9. Jahrhundert, sind jedoch nicht besonders ergiebig. Manche Städte wurden aufgegeben, andere waren auf ihre Kernzentren reduziert, Konstantinopel blieb aber weiterhin eine bedeutende Metropole im Mittelmeerraum und die wichtigste Stadt des Reiches. Die reichsten Provinzen des Reiches waren nach 700 zwar verloren, Kleinasien konnte aber zumindest in gewissem Maß als Ersatzbasis dienen. Die staatliche Bürokratie blieb im Gegensatz zum Westen voll funktionsfähig, wenngleich die Steuereinnahmen zurückgingen. Die Wirtschaftskraft stieg in der folgenden Zeit wieder an; war der byzantinische Staat im 8. Jahrhundert fast verarmt, verfügte er im 10. Jahrhundert wieder über erhebliche Mittel. Allgemein spielte in Byzanz der ländliche Wirtschaftsraum zwar eine wichtige, aber nicht die dominierende Rolle wie im lateinischen Europa, da die urbane Wirtschaftsproduktion weiterhin ein wichtiger Faktor war. Im Gegensatz zum lateinischen Europa war die Wirtschaft zudem stärker staatlich reglementiert und finanzierte über den Fiskus stärker den Herrschaftsapparat. Bildung. Bildungssystem und Entwicklung. Die frühmittelalterliche Gesellschaft war eine weitgehend orale Gesellschaft, in der nur wenige Menschen lesen und schreiben konnten. Literarisch gebildet war eine noch kleinere Minderheit, die ganz überwiegend, aber nicht ausschließlich, Geistliche umfasste. Das antike Kulturgut stellte die Grundlage dar. Allerdings war im frühmittelalterlichen westlichen Europa nur ein geringer Teil der antiken Literatur erhalten. Das mittelalterliche Latein (Mittellatein) unterschied sich zudem vom klassischen Latein, die Kenntnis des Griechischen hatte bereits in der Spätantike im Westen abgenommen. Dennoch verband die lateinische Sprache auch nach dem Zerfall Westroms weite Teile Europas miteinander, da eine gemeinsame kommunikative Grundlage vorhanden war. Das spätantike dreistufige Bildungssystem (Elementarunterricht, Grammatik und Rhetorik) war infolge der politischen Umwälzungen der Völkerwanderungszeit im Westen nach und nach verschwunden. Die ältere Forschung hat den Übergang von der Antike zum Mittelalter oft mit einer „Barbarisierung“ gleichgesetzt. Es handelt sich letztendlich aber um einen Übergang zu einer neuen Kultur, in der auch abweichende Interessen und ein neues Kulturideal feststellbar sind. Für die romanische Oberschicht war Bildung ohnehin noch längere Zeit von Bedeutung. Der Geschichtsschreiber und Bischof Gregor von Tours im späten 6. Jahrhundert entstammte einer vornehmen gallorömisch-senatorischen Familie und legte erkennbar Wert auf Bildung, denn er beklagte ihren Verfall. Schulen im südlichen Gallien und Italien gingen nach und nach unter, in privaten Zirkeln wurde aber teils weiterhin Bildung vermittelt. Die Entwicklung der schriftlichen Kultur im Frühmittelalter verlief sehr heterogen und wurde durch unterschiedliche Faktoren beeinflusst. Ebenso wenig waren Bildung und geistiges Leben im lateinischen Westen einheitlich. In der frühen Merowingerzeit wurde anscheinend noch Profanunterricht erteilt, denn die Merowinger verfügten über eine rudimentäre Bürokratie, für die Schriftkenntnisse erforderlich waren. In der frühen Merowingerzeit spielten nicht zuletzt die vornehmen gallorömischen Familien eine wichtige Vermittlerrolle im Hinblick auf klassische Lehrinhalte. Die merowingische Kanzlei bestand lange Zeit vorwiegend aus Laien, nicht aus Klerikern. Von der Königsfamilie und Mitgliedern des hohen Adels wurde erwartet, dass sie über Lese- und Schreibfähigkeiten verfügten. Einige Könige wie Chilperich I. besaßen eine gehobene Bildung und demonstrierten sie. Erst nach der Mitte des 7. Jahrhunderts kam es auch infolge der merowingischen Machtkämpfe mit dem Adel zu einem weiteren Verfall. Die Lese- und Schreibkenntnisse nahmen unter Laien, teils aber auch unter Geistlichen stark ab. Im Westgotenreich finden sich noch im 7. Jahrhundert Spuren der spätantiken Bildung. Ähnliches gilt für Italien auch nach der langobardischen Invasion im späten 6. Jahrhundert; in den italienischen Städten sind schriftkundige Laien weiterhin bezeugt. Auf den britischen Inseln entwickelte sich im 7. und 8. Jahrhundert eine neue Kultur der Schriftlichkeit. Im Merowingerreich brach die literarische Produktion zwar im 7./8. Jahrhundert dramatisch ein, doch entstanden noch einige Werke, wie die merowingischen Heiligenviten. Für die mittelalterliche Bildungsvermittlung und den Wissenstransfer im lateinischen Westen waren schließlich die Kloster-, Dom- und Stiftsschulen und somit die Kirche von zentraler Bedeutung. Der Großteil der antiken Literatur ist nicht erhalten, doch in den Klöstern wurde das im Westen noch vorhandene antike Wissen gesammelt und tradiert; diese Tradition begann bereits im 6. Jahrhundert mit Cassiodor. Texte wurden nach festen Regeln gelesen und teils auswendig gelernt sowie in den kirchlichen Skriptorien kopiert. Als Beschreibstoff wurde noch teilweise Papyrus verwendet (so in der merowingischen Verwaltung), doch setzte sich verstärkt das Pergament durch; die Schriftrolle wich zunehmend dem Buch (Kodex). Neben Klerikern erhielten auch Nonnen eine lateinische Ausbildung, einige Schulen standen zudem Laien (so aus der adeligen Oberschicht) offen. Die Laien waren aber in der Regel ungelehrt, in kirchlichen Kreisen wurde teilweise auch der Gegensatz zu den "illiterati" (Leseunkundigen) betont. Rosamond McKitterick vertritt allerdings die umstrittene These, dass in karolingischer Zeit die Schriftlichkeit unter Laien höher gewesen sei, als früher oft angenommen. In den kirchlichen Schulen wurden neben der Bibel und den Texten der Kirchenväter auch profane spätantike Texte für die Lehre herangezogen. Martianus Capella hatte in der Spätantike ein Lehrbuch verfasst, in dem der Kanon der sieben freien Künste (die "artes liberales") zusammengefasst war: Trivium und das weiterführende Quadrivium. Daneben spielten vor allem Boethius und Isidor von Sevilla eine wichtige Rolle. Die Schriften des Boethius genossen im Mittelalter ein gewaltiges Ansehen. Er hatte zudem die freien Künste neu bearbeitet und damit eine wichtige Grundlage für den mittelalterlichen Lehrkanon geschaffen. Isidor hatte im 7. Jahrhundert in der Enzyklopädie "Etymologiae" in 20 Büchern systematisch weite Teile des bekannten spätantiken Wissens gesammelt. Dem Werk kam für die Wissensvermittlung im Frühmittelalter große Bedeutung zu. Karolingische Bildungsreform. Im Frankenreich war die lateinische Sprache stilistisch zunehmend verwildert, auch die kirchlichen Bildungseinrichtungen verfielen. Dieser Prozess wurde im Karolingerreich seit Ende des 8. Jahrhunderts durch gezielte Maßnahmen der Kulturförderung gestoppt. Diese neue Aufschwungphase wird oft als karolingische Renaissance bezeichnet. Der Begriff „Renaissance“ ist aus methodischen Gründen allerdings sehr problematisch. Dies trifft auch auf die sogenannte Makedonische Renaissance in Byzanz zu, da dort eine Kulturkontinuität zur Antike bestand. Hierbei traten zwar Abschwächungen ein, es kam dort aber nie zu einem vollständigen Bruch. Im Frankenreich handelte es sich ebenfalls nicht um eine „Wiedergeburt“ des klassischen antiken Wissens, sondern vielmehr um eine Reinigung und Vereinheitlichung. Für die Karolingerzeit spricht man aus diesem Grund heute von der "karolingischen Bildungsreform". Den Anstoß dafür gab wohl die Reform der fränkischen Kirche durch Bonifatius Mitte des 8. Jahrhunderts. Bereits zuvor fand zudem eine Belebung des geistigen Lebens in England und Irland statt, wo die Schriftkultur zunehmend erstarkte. Die Schriften des sehr belesenen Beda Venerabilis (gest. 735) decken eine große Bandbreite ab, so Kirchengeschichte, Hagiographie, Chronologie sowie die freien Künste und vermitteln das Bild eines lebendigen geistigen Lebens. Karl der Große selbst war offenbar kulturell durchaus interessiert und versammelte an seinem Hof gezielt mehrere Gelehrte aus dem lateinischen Europa. Der angesehenste von ihnen war der Angelsachse Alkuin (gest. 804). Alkuin war zuvor Leiter der berühmten Kathedralschule in York gewesen; er besaß eine umfangreiche Bibliothek und genoss einen herausragenden Ruf. Er begegnete Karl in Italien und folgte 782 dem Ruf an dessen Hof, wo er nicht nur als ein einflussreicher Berater wirkte, sondern auch zum Leiter der Hofschule aufstieg. Einhard (gest. 840) stammte aus einer vornehmen fränkischen Familie und war zunächst Schüler Alkuins, später Leiter der Hofschule und Vertrauter Karls. Er war zudem als Baumeister Karls tätig und verfasste nach 814 eine an antiken Vorbildern orientierte Biographie des Königs, die als die „reifste Frucht der karolingischen Renaissance“ bezeichnet worden ist. Petrus von Pisa war ein lateinischer Grammatiker, der Karl in lateinischer Sprache unterrichtet hat. Der langobardische Gelehrte Paulus Diaconus hatte in Italien im Königsdienst gestanden und war 782 an den Hof Karls gekommen, wo er vier Jahre blieb und wirkte. Theodulf von Orléans war ein gotischer Theologe und Dichter. Er war überaus belesen und gebildet; für Karl verfasste er auch die "Libri Carolini". Der Hof Karls und die Hofschule gaben Impulse für eine kulturelle Erneuerung, wobei auch die karolingische Kirche als zentraler Kulturträger reformiert wurde. Die Umsetzung der folgenden Bildungsreform war maßgeblich Alkuins Verdienst. Der Schlüsselbegriff dafür lautete "correctio", wonach die lateinische Schrift und Sprache sowie der Gottesdienst zu „berichtigen“ waren. Das vorhandene Bildungsgut sollte systematisch gesammelt, gepflegt und verbreitet werden; dazu diente auch die Einrichtung einer Hofbibliothek. In der berühmten "Admonitio generalis" aus dem Jahr 789 wird auch das Bildungsprogramm angesprochen. Die Klöster wurden ermahnt, Schulen einzurichten. Die Reform der Kloster- und Domschulen war auch aus religiösen Gründen von Bedeutung, da der Klerus auf möglichst genaue Sprach- und Schriftkenntnisse angewiesen war, um die Bibel auslegen und theologische Schriften erstellen zu können. Die lateinische Schriftsprache wurde bereinigt und verbessert. Es wurde sehr auf korrekte Grammatik und Schreibweise Wert gelegt, wodurch das stilistische Niveau angehoben wurde. Als neue Schriftart setzte sich die karolingische Minuskel durch. Im kirchlichen Bereich wurde unter anderem die Liturgie überarbeitet, Homiliensammlungen erstellt und die Beachtung der kirchlichen Regeln eingefordert. Im administrativen Bereich wurden ebenfalls mehrere Änderungen vorgenommen. Die kirchlichen Bildungseinrichtungen wurden verstärkt gefördert, außerdem wurde eine revidierte Fassung der lateinischen Bibelausgabe angefertigt (sogenannte "Alkuinbibel"). Ältere Schriften wurden durchgesehen und korrigiert, Kopien erstellt und verbreitet. Die Hofschule wurde zum Lehrzentrum, was auf das gesamte Frankenreich ausstrahlte. Im Kloster Fulda beispielsweise entwickelte sich unter Alkuins Schüler Hrabanus Maurus eine ausgeprägte literarische Kultur. Daneben waren unter anderem Corbie und St. Gallen von Bedeutung. Die Forschung hat für die Zeit um 820 neben dem Karlshof 16 „Schriftprovinzen“ identifiziert, jede mit mehreren Skriptorien. Die Bildungsreform sorgte für eine deutliche Stärkung des geistigen Lebens im Frankenreich. Die literarische Produktion stieg nach dem starken Rückgang seit dem 7. Jahrhundert spürbar an, auch Kunst und Architektur profitierten davon. Antike Texte sowohl von paganen als auch von christlichen Verfassern wurden nun wieder zunehmend herangezogen, gelesen und vor allem kopiert. Besonders nachgefragt waren Ovid und Vergil, daneben wurden unter anderem Sallust, Quintus Curtius Rufus, Sueton und Horaz wieder zunehmend gelesen. Die karolingische Bildungsreform hatte somit für die Überlieferung antiker Texte eine große Bedeutung. Allerdings gab es im Frankenreich regionale Unterschiede. Westfranken war aufgrund des gallorömischen Erbes kulturell weiter entwickelt. Der Hof Karls des Kahlen wirkte als ein kulturelles Zentrum, von Bedeutung war auch die sogenannte Schule von Auxerre. In Ostfranken hingegen stagnierte die literarische Produktion Mitte/Ende des 9. Jahrhunderts zunächst, bevor es im 10. Jahrhundert wieder zu einem erneuten Aufschwung kam. In ottonischer Zeit gewannen die Kathedralschulen zunehmend an Bedeutung. Im 10. Jahrhundert sind Lese- und Schreibkenntnisse im Adel seltener, die adelig-kriegerische Erziehung war dafür bestimmend. Andererseits verfügten sowohl Otto II. als auch Otto III. über eine sehr gute Bildung. Kultur im östlichen Mittelmeerraum. Ein kulturelles Zentrum bildete vor allem der Osten, Byzanz und die islamische Welt, wo antikes griechisches Wissen bewahrt und gepflegt wurde. In Byzanz riss die Beschäftigung mit antiken Werken nicht einmal in der oft als „dunklen Periode“ bezeichneten Zeit von Mitte des 7. Jahrhunderts bis ins 9. Jahrhundert ganz ab; das beste Beispiel dafür ist Photios. Nicht nur Geistliche, sondern auch Laien, die es sich leisten konnten, genossen dort weiterhin eine Ausbildung, die für den Staatsdienst ohnehin unerlässlich blieb. Der Elementarunterricht in Lesen und Schreiben dauerte zwei bis drei Jahre und stand auch den mittleren Schichten offen. Genauere Einzelheiten über die Erteilung des Unterrichts sind aber kaum bekannt. Die höhere Bildung wurde bisweilen staatlich gefördert und überwacht. Der diesbezügliche Unterricht wurde an kaiserlichen Hochschulen erteilt, in mittelbyzantinischer Zeit also primär in Konstantinopel; in den Provinzen scheint es aber ebenfalls einige Einrichtungen gegeben zu haben. Es existierten mehrere umfangreiche Bibliotheken, die Ausbildung konnte etwa Rechtswissenschaften, Theologie oder Medizin umfassen. Die arabischen Eroberer profitierten erheblich von der bereits vorhandenen höheren kulturellen Entwicklung in den ehemaligen oströmischen Gebieten und in Persien, woran später muslimische Gelehrte anknüpften. Im islamischen Raum wurde in der Masǧid (Moschee) unterrichtet, zu der eine angegliederter Herberge für die Schüler gehörte. Höhere Bildung (außer in Al-Andalus) wurde in der gildenartig organisierten Madrasa unterrichtet, wo vor allem islamische Theologie und Rechtswissenschaft (auch mit Kenntnis des Koran) gelehrt wurde. Finanziert wurde der Unterricht durch private Zuwendungen. Es entstanden zahlreiche arabische Übersetzungen griechischer Werke (Haus der Weisheit). In Damaskus, Bagdad, später auch auf Sizilien und in Al-Andalus, beschäftigte man sich ausgiebig mit den antiken Schriften, die Impulse für neue Überlegungen gaben. In der Umayyadenzeit erfolgte die kulturelle Orientierung noch stark an den spätantiken Vorbildern. So wurden prächtige Jagdschlösser im spätantiken Baustil errichtet (so Chirbat al Mafdschar nördlich von Jericho und Qasr al-Hair al-Gharbi in Syrien). Zu erwähnen sind des Weiteren christliche syrische Gelehrte, die unter arabischer Herrschaft lebten, so Jakob von Edessa, Johannes von Damaskus und Theophilos von Edessa. Syrer spielten generell bei der Vermittlung des antiken Wissens an die Araber eine nicht unwichtige Rolle. Ebenso gelangte Wissen aus dem Osten in das lateinische Europa. Indisch-arabische Ziffern sind seit dem späten 10. Jahrhundert belegt. Vor allem Spanien und später Sizilien spielten eine wichtige Vermittlerrolle. Frühmittelalterliche Literatur. Geschichtsschreibung. Das letzte bedeutende und weitgehend erhaltene spätantike Geschichtswerk in lateinischer Sprache hat Ammianus Marcellinus im späten 4. Jahrhundert verfasst. Die Namen einiger lateinischer Geschichtsschreiber im Westen bis zum Ende der Antike sind zwar bekannt, von ihren Werken ist aber faktisch nichts erhalten. Das trifft auch auf die "Gotengeschichte" Cassiodors zu (der außerdem eine erhaltene Chronik verfasste), welche die Grundlage für die "Getica" des Jordanes darstellte. Ende des 6. Jahrhunderts verfasste der gebildete, aus senatorischer gallorömischer Familie stammende Bischof Gregor von Tours sein Hauptwerk, die bis 591 reichenden "Historien" in 10 Büchern. Es handelt sich um eine bedeutende christliche Universalgeschichte mit dem Frankenreich im Zentrum, wobei die Zeitgeschichte besonders ausführlich beschrieben wurde. Das Niveau Gregors wurde in der Folgezeit lange nicht mehr erreicht. Die Fredegarchronik aus dem 7. Jahrhundert etwa ist in einem verwilderten Latein geschrieben und auch inhaltlich dürftig. Typisch für die frühmittelalterliche Geschichtsschreibung sind neben der Chronik (Lokalchroniken und christliche Weltchroniken, die spätantiken Ursprungs sind) die Annalen. Sie entstanden in den karolingischen Klöstern und entwickelten sich von sehr kurzen, jahrweisen Einträgen zu teils ausführlichen, chronikartigen Schilderungen. Die bedeutendsten waren die bis 829 reichenden Reichsannalen, an denen sich in West- und Ostfranken verschiedene Fortsetzungen anschlossen (Annalen von St. Bertin, Annalen von Fulda). Inhaltlich standen sie dem karolingischen Herrscherhaus nahe und können bereits in gewisser Weise als Hofgeschichtsschreibung angesehen werden. Hinzu kamen weitere Annalen und Chroniken, die oft auf das eigene Bistums-, Kloster- oder Reichsgebiet ausgerichtet waren. In karolingischer Zeit entstanden auch mehrere erzählende Geschichtswerke. Paulus Diaconus schrieb eine Langobardengeschichte in 6 Büchern (sein Hauptwerk, die "Historia Langobardorum"), eine römische Geschichte in 16 Büchern und eine Geschichte der Bischöfe von Metz, die die karolingischen Ahnen pries. Nithard, im Gegensatz zu den meisten frühmittelalterlichen Autoren im Westen kein Geistlicher, schrieb vier Bücher "Historien" über die Geschichte der karolingischen Bruderkämpfe nach dem Tod Karls des Großen. Der karolingische Hofgelehrte Einhard verfasste die erste mittelalterliche Biographie eines weltlichen Herrschers: Inspiriert von den Kaiserbiographien Suetons, verfasste er nach dem Tod Karls des Großen die Vita Karoli Magni. Karls Sohn und Nachfolger Ludwig dem Frommen waren sogar zwei Biographien gewidmet: die Thegans und die eines anonymen Autors, der als Astronomus bezeichnet wird. In der späten Karolingerzeit schrieb Regino von Prüm eine bis 906 reichende Weltchronik. Im frühen 10. Jahrhundert entstanden zunächst keine größeren Geschichtswerke, wie auch die Schriftlichkeit in Ostfranken in dieser Zeit abgenommen hatte. Widukind von Corvey schrieb eine "Sachsengeschichte" in drei Büchern, die wichtig für die ottonische Geschichte ist. Die Ende des 10. Jahrhunderts verfasste Bischofschronik des Thietmar von Merseburg weitete sich zu einer bedeutenden Reichsgeschichte aus, die eine wichtige Quelle für die Ottonenzeit darstellt. In Westfranken schrieben des Weiteren Flodoard von Reims (Annalen und eine Geschichte der Kirche von Reims) und Richer von Reims ("Historien", teils unter Bezugnahme auf Flodoard) Geschichtswerke, die wichtige Informationen für die Vorgänge im spätkarolingischen Westfranken enthalten. In Britannien entstanden im Frühmittelalter die bedeutende Kirchengeschichte des Beda Venerabilis (frühes 8. Jahrhundert), die auch auf die politische und kulturelle Geschichte Britanniens eingeht, die Angelsächsische Chronik und Assers Biographie Alfreds des Großen; Lokalgeschichten sind für Irland und Wales "(Annales Cambriae)" belegt. Bereits in der Spätantike entstand in Rom der stetig fortgesetzte Liber Pontificalis, eine fortlaufende Papstgeschichte. Ansonsten stammen aus Italien mehrere, eher lokal ausgerichtete Chroniken. In Hispanien schrieb in westgotischer Zeit der bedeutende Gelehrte Isidor von Sevilla eine Universalchronik und eine Gotengeschichte. Später entstanden in Spanien unter anderem die Mozarabische Chronik und die Crónica Albeldense. Einzelne frühmittelalterliche Werke gingen zudem in der Folgezeit verloren (z. B. die "Historiola" des Secundus von Trient). Mehrere der genannten Werke sind aus Sicht der modernen Forschung in mancherlei Hinsicht problematisch. Hervorzuheben ist aber die Vielfältigkeit der frühmittelalterlichen lateinischen Geschichtsschreibung. Diese hatte sich von der spätantiken Geschichtsschreibung zwar entfernt, die antiken Grundlagen waren aber nicht völlig verschwunden. Seit der karolingischen Bildungsreform wurde der Blick wieder stärker der Antike zugewandt, so dienten beispielsweise antike Autoren oft als stilistische Vorbilder oder es wurde Bezug genommen auf vergangene Geschehnisse "(exempla)". Die frühmittelalterliche Geschichtsschreibung war vor allem von einem festen christlichen Geschichtsdenken durchzogen, z. B. hinsichtlich eines linearen Verlaufs, in dem das Imperium Romanum das Ziel der Geschichte darstellte; ebenso spielte das göttliche Wirken sowie christlich-ethisches Handeln eine wichtige Rolle. Die byzantinische Geschichtsschreibung in griechischer Sprache war im Frühmittelalter zwar ebenfalls christlich beeinflusst, doch der antike Bezug war weitaus größer als im Westen, zumal das antike Erbe stärker erhalten blieb und Geschichtsschreibung nicht auf Geistliche beschränkt war. Von Georgios Synkellos und Theophanes sind bedeutende byzantinische Chroniken überliefert. Die Tradition der antiken Geschichtsschreibung endete in Byzanz zwar im frühen 7. Jahrhundert, wurde aber im 10. Jahrhundert wieder verstärkt rezipiert. Die Nachahmung "(Mimesis)" der klassischen Texte wurde in vielen folgenden profangeschichtlichen byzantinischen Werken angestrebt. Unter Konstantin VII. wurden in einem gewaltigen Unterfangen Texte antiker Historiker exzerpiert; davon sind heute nur geringe Reste erhalten, die aber wertvolles Material enthalten, das ansonsten nicht überliefert worden wäre. Im Orient entstanden weiterhin (christliche) armenische und syrische Geschichtswerke, die teils sehr wertvolle Informationen vermitteln. Zu nennen sind z. B. das Werk des Pseudo-Sebeos im 7. Jahrhundert und die heute verlorene Chronik des Theophilos von Edessa im 8. Jahrhundert, die mehreren späteren Autoren als Quelle gedient hat. Die Anfänge der islamischen Geschichtsschreibung reichen wohl bis ins 8. Jahrhundert zurück, doch sind viele Details umstritten, zumal erhaltene Kompilationen des älteren Materials erst aus dem 9./10. Jahrhundert stammen. Besonders hervorzuheben ist etwa die Universalgeschichte des gelehrten at-Tabarī, die bis ins frühe 10. Jahrhundert reicht. Hagiographie. Eine Sonderrolle nimmt die Hagiographie ein. Sie wurde auch zur Gattung der "historia" (Geschichtserzählung) gezählt und war weiter verbreitet als die im engeren Sinne „weltliche Geschichtsschreibung“. Ein wichtiges Vorbild stellte die Vita des heiligen Martin von Tours dar, die Sulpicius Severus verfasst hat. Bereits in der Merowingerzeit entstanden Märtyrergeschichten und Viten als Exempel vorbildlicher Lebensführung sowie Bischofsviten, hinzu kamen Wunderberichte "(miracula)". Neben Gallien ist vor allem Italien zu nennen: Papst Gregor der Große verfasste im späten 6. Jahrhundert "Dialogi", in denen zeitgenössische Heilige dargestellt wurden; später wurde zunehmend in mehreren Städten der Schutzpatrone gedacht. In karolingischer Zeit wurden, beeinflusst von der Bildungsreform, zudem mehrere Viten neu- oder umgeschrieben. Während die hagiographische Überlieferung aus Hispanien relativ dürftig ist, sind aus England seit dem frühen 8. Jahrhundert Viten überliefert. In der byzantinischen Literatur ist die Gattungsgrenze fließend, da die theologische Literatur dort weit ausgeprägt war (Homilien, Briefe, Geschichtswerke etc.). Im slawischen Bereich entstanden nach der Übernahme des Christentums verschiedene hagiographische Werke, so in Bulgarien im 10. Jahrhundert durch die Übersetzung und Bearbeitung byzantinischer Werke. Lateinische Dichtung. Die mittellateinische Dichtung war recht stark von antiken Werken beeinflusst. Als erster frühmittelalterlicher Dichter kann der im späten 6./frühen 7. Jahrhundert lebende Venantius Fortunatus gelten, der seine Ausbildung in Italien erhielt und am merowingischen Königshof in Austrasien wirkte, wo er gute Kontakte knüpfte und schließlich Bischof wurde. Venantius Fortunatus stand dichterisch in spätantiker Tradition und verfasste über 200 Lobgedichte, Klage- und Trostlieder sowie Nachrufe, was Ausdruck eines um 600 durchaus noch vorhandenen Bedürfnisses traditioneller Bildung im Frankenreich ist. Besonders die frühmittelalterliche Hofdichtung war bedeutend, vor allem am karolingischen Königshof. Von Karls bereits erwähntem gelehrten Berater Alkuin sind mehr als 300 metrische Gedichte überliefert. Angilbert, Hofkaplan Karls des Großen und Vater des Geschichtsschreibers Nithard, verfasste neben Prosaschriften auch Gedichte und wurde Karls „Homerus“ genannt. Paulinus II. von Aquileia verfasste ein Klagegedicht zu Ehren Erichs, des Markgrafen von Friaul; auch andere Dichtungen werden ihm zugeschrieben. Paulus Diaconus, der auch als Geschichtsschreiber tätig war und einige Zeit am Hof Karls wirkte, verfasste mehrere Gedichte, darunter Lobgedichte und Epitaphien. Von Theodulf von Orléans sind ca. 80 Gedichte erhalten, die seine umfassende Bildung bezeugen. Im weiteren Verlauf des 9. Jahrhunderts wirkten in Westfranken noch Ermoldus Nigellus und der sehr gelehrte Johannes Scottus Eriugena. Hinzu kamen klösterliche Dichtungen, die zum Teil sehr bedeutend waren. Dazu zählen unter anderem Dichtungen Walahfrid Strabos und der "Liber Ymnorum" Notkers (entstanden um 884 und dem einflussreichen Liutward von Vercelli gewidmet). Die kulturelle Wiederbelebung nach dem Ende der Antike wurde durch die karolingischen Bildungsreform begünstigt. Die bedeutendste frühmittelalterliche Dichterin war Hrotsvit im 10. Jahrhundert. Im Bereich der mittellateinischen Epik ist vor allem der Waltharius zu nennen, eine epische Heldendichtung aus dem 9. oder 10. Jahrhundert. Im Übergang vom Früh- zum Hochmittelalter entstand die Dichtung über den Ritter Ruodlieb, die als erster fiktionaler Roman des Mittelalters gilt. Verbreitet waren Bibeldichtungen, zumal die Bibel als Stoffgrundlage in der mittellateinischen Literatur ohnehin eine zentrale Rolle spielte. Ebenso entstanden geschichtliche Dichtungen, so um 800 das Versepos Karolus Magnus et Leo papa und Ende des 9. Jahrhunderts das Werk des Poeta Saxo. In England wirkten im 7. Jahrhundert Cædmon und Aldhelm von Sherborne, in Italien und im spanischen Westgotenreich entstanden ebenfalls einige bedeutende Dichtungen. Volkssprachige Literatur. Seit Mitte des 8. Jahrhunderts sind im Westen nicht mehr nur lateinische, sondern auch volkssprachige Werke belegt; allerdings ist die Zahl der jeweils namentlich bekannten Verfasser überschaubar. Die Bandbreite der volkssprachigen frühmittelalterlichen Literatur ist recht beachtlich, sie umfasst unter anderem Zauber- und Segensbücher, Heldenerzählungen, Geschichtsdichtungen und Schlachtengedichte. Kirchliche Gebrauchstexte wurden ebenso übersetzt, vor allem im Hinblick auf die Vermittlung christlicher Glaubensbotschaften. Ein Großteil der volkssprachigen Dichtung war denn auch geistlicher Natur, wie z. B. Bibeldichtungen. Das früheste erhaltene Zeugnis für die althochdeutsche Bibeldichtung stellt das "Wessobrunner Schöpfungsgedicht" aus dem 9. Jahrhundert dar. Die karolingischen Bildungsreform hatte nicht nur eine zunehmende Beschäftigung mit lateinischen Texten und der vorhandenen antiken Überlieferung zur Folge, sie stärkte auch die Entwicklung des Althochdeutschen. Zentren altdeutscher Überlieferung waren unter anderem die Klöster Fulda, Reichenau, St. Gallen und Murbach. Fragmentarisch erhalten ist das "Hildebrandslied", ein althochdeutsches Heldenlied aus dem frühen 9. Jahrhundert. Karl der Große soll angeordnet haben, alte pagane Heldenlieder aufzuzeichnen, doch ist davon nichts erhalten. Unter Leitung des gelehrten Hrabanus Maurus entstand um 830 mit dem althochdeutschen Tatian eine Evangelienübersetzung. Als erster deutscher Dichter gilt Otfrid von Weißenburg, der in den 860er und 870er Jahren wirkte. Der von ihm um 870 verfasste "Liber Evangeliorum" ist ein althochdeutsches Bibelepos (im südrheinfränkischen Dialekt) und umfasst 7104 Langzeilen in fünf Büchern, wobei das Leben Jesu Christi im Mittelpunkt steht. Die Straßburger Eide von 842 sind in althochdeutscher und altfranzösischer Fassung überliefert und gelten als frühe Sprachzeugnisse. Das althochdeutsche Ludwigslied entstand im späten 9. Jahrhundert. In ottonischer Zeit endet für einige Zeit die althochdeutsche Literaturproduktion, wofür die Forschung bislang keine befriedigende Erklärung hat. Um 1000 wirkte dann etwa Notker von St. Gallen, der mehrere antike Texte ins Althochdeutsche übertrug und damit eine wichtige Grundlage für wissenschaftliche Texte in dieser Sprache schuf. Am angelsächsischen Königshof Alfreds des Großen wurden einzelne Werke lateinischer Gelehrter (so Boethius und Orosius) ins Altenglische übersetzt. Die Masse der altenglischen Literatur (die neben altenglischen auch mehrere lateinische Texte umfasst) ist in vier Handschriften überliefert (Junius-Handschrift, auch Cædmonhandschrift genannt, Exeter-Buch, Vercelli-Buch und Beowulfhandschrift). In Irland entwickelte sich im 6./7. Jahrhundert eine lebendige Schriftkultur mit zunächst lateinischen, bald auch altirischen Werken, die Heldenerzählungen, Dichtungen, Annalen, Heiligen- und Königsgenealogien, hagiographische und geistliche Literatur umfasste. Im Altfranzösischen sind nur wenige frühmittelalterliche Texte belegt, so etwa die Eulaliasequenz (zu Ehren der heiligen Eulalia) im späten 9. Jahrhundert und das Leodegarlied aus dem 10. Jahrhundert. Aus dem 11. Jahrhundert stammt die altfranzösische poetische Verarbeitung einer lateinischen Legende, das sogenannte "Alexiuslied". In Italien beginnt die Geschichte der volkssprachigen Literatur erst im 13. Jahrhundert. Auf der Iberischen Halbinsel sind Belege für romanische Werke aus dem Frühmittelalter kaum vorhanden. Aus dem Kloster San Millán de la Cogolla etwa stammen romanische Glossen (10. Jahrhundert), in arabischen und hebräischen Dichtungen (die sogenannten "Jarchas", 11. Jahrhundert) sind romanische Schlussstrophen belegt. Vollständig entwickelte volkssprachige Werke wurden aber erst im Hochmittelalter verfasst; dazu zählt unter anderem das Epos Cantar de Mio Cid. In der skandinavischen Literatur ist der Übergang von mündlichen Erzählungen und Gedichten (Skaldendichtung und Vorstufen der Edda im 9. Jahrhundert) zur Schriftsprache auch mit der Christianisierung und der Übernahme des lateinischen Alphabets (anstelle der Runenschrift) verbunden. Mit der Entwicklung des Kirchenslawischen im 9. Jahrhundert entstand im slawischen Kulturraum in der Folgezeit eine reichhaltige Literatur. Nach der Christianisierung Bulgariens wurden mehrere altkirchenslawische Übersetzungen griechischer Werke angefertigt, vor allem theologische Werke (liturgische und biblische Texte), Chroniken und Viten. In Byzanz selbst entstanden neben Schriften in der antiken griechischen Hochsprache auch mehrere volkssprachige (mittelgriechische) Werke. Eines der bedeutendsten ist das Epos Digenis Akritas. Philosophie. Die Philosophie des Mittelalters baute stark auf antiken Grundlagen auf, allerdings, anders als noch in der Spätantike, nun fest eingebettet in das christliche Weltbild. In diesem Sinne war die theologisch ausgerichtete Patristik von Bedeutung, die im 7./8. Jahrhundert endete. Bereits in der Spätantike wurde der Neuplatonismus von christlichen Gelehrten rezipiert, die die platonische Ideenlehre mit christlichen Überlegungen verbanden, zumal Platons Ideen bereits durch den Neuplatonismus ins Transzendente übertragen wurden. Aussagen der Bibel wurden teilweise mit Hilfe platonischen Gedankenguts gedeutet, unter anderem mit Bezug auf das Gute und das Sein/Seiende. Von den Schriften Platons und des Aristoteles war im Frühmittelalter im Westen allerdings nur sehr wenig bekannt. Einflussreich waren dafür platonisch beeinflusste Philosophen. Augustinus von Hippo und Boethius sind beide historisch noch zur Spätantike zu zählen, stehen aber philosophiegeschichtlich an der Schwelle zum Mittelalter. Beide hatten einen starken nachhaltigen Einfluss auf die mittelalterliche Philosophie, besonders im Frühmittelalter. Dies gilt auch für die Werke des Pseudo-Dionysius Areopagita, eines anonymen spätantiken christlichen Neuplatonikers, die bereits in karolingischer Zeit ins Lateinische übersetzt wurden. Pseudo-Dionysius arbeitete auch das Konzept der negativen Theologie weiter aus. Um die Mitte des 9. Jahrhunderts ist der aus Irland stammende bedeutende Philosoph Johannes Scottus Eriugena belegbar, der einige Zeit am westfränkischen Königshof verbrachte. Er war dort als gelehrter Berater tätig, erteilte auch Unterricht in den freien Künsten und genoss offenbar großes Ansehen. Eriugena stellt insofern eine Ausnahmeerscheinung dar, als ohne seine Schriften zwischen Boethius und Anselm von Canterbury eine weitgehende Lücke in der lateinischen philosophischen Literatur klaffen würde. Er verfügte, was im Westen zu dieser Zeit sehr ungewöhnlich war, über einige Griechischkenntnisse und trat für ein strikt logisches Denken ein, geriet dabei auch in Konflikt mit kirchlichen Autoritäten. Sein Hauptwerk mit dem griechischen Titel "Periphyseon" („Über die Naturen“) behandelt in Dialogform eingeteilt in fünf Büchern vor allem die kosmologische Weltordnung und das Verhältnis zwischen Schöpfer und Schöpfung. In logischer und systematischer Form sollte die christliche Offenbarung untersucht und ausgelegt werden, um die darin enthaltene Wahrheit zu erkennen. Das Werk basiert auf einer recht umfangreichen Quellenbasis und ist neuplatonisch geprägt. Eriugena verfasste außerdem einen (nur fragmentarischen) Kommentar zum Johannesevangelium und zu Martianus Capella. Im byzantinischen Raum gilt als letzter spätantiker Philosoph Stephanos von Alexandria im frühen 7. Jahrhundert. Der damalige militärische Überlebenskampf des Reiches hatte einen spürbaren Rückgang des kulturellen Interessenniveaus zur Folge. Die Überlieferung bezüglich der geistigen Entwicklung in Byzanz ist für das späte 7. und das 8. Jahrhundert nicht günstig, dennoch blieb in Byzanz mehr vom kulturellen antiken Erbe erhalten als im Westen. Im 9./10. Jahrhundert wirkte dann der sehr gelehrte Photios, der über eine große Bibliothek verfügte und heute verlorene philosophische Abhandlungen verfasste. Einer seiner Schüler, Zacharias von Chalkedon, schrieb in den 860er Jahren eine kleine Schrift „Über die Zeit“. Leon der Mathematiker und Arethas von Kaisareia sammelten ebenfalls klassische griechische Texte und gaben sie teils neu heraus. Aus verstreuten Fragmenten lässt sich zudem erschließen, dass auch im 9. Jahrhundert Aristoteles und Platon in Byzanz gelesen und wohl teils auch neu herausgegeben wurden. Infolge des Bilderstreits entstanden zudem Schriften, in denen auch philosophische Argumente vorgebracht wurden. Die Grundlage der islamischen Philosophie stellte zunächst die systematische Übersetzung griechischer philosophischer oder wissenschaftlicher Texte dar, wobei die weiterhin lebendige christlich-syrische Tradition der Beschäftigung mit griechischer Wissenschaft ebenfalls eine Rolle spielte. Bedeutung erlangte im 9. Jahrhundert al-Kindī, dessen Werke thematisch breit gestreut sind und unter anderem Astronomie, Mathematik, Optik, Medizin und Musik betreffen. Al-Kindī beschäftigte sich mit Platon und Aristoteles und fertigte Übersetzungen griechischer Werke an. Einflussreich war seine Abhandlung über Definitionen und Beschreibungen der Dinge, in der er das griechische philosophische Vokabular aufbereitete. Der jüdische Philosoph Isaak ben Salomon Israeli orientierte sich in seinem Buch über Definitionen eng an al-Kindī. Im 10. Jahrhundert wirkten der persische Philosoph Abu Bakr Muhammad ibn Zakariya ar-Razi und der aus Zentralasien stammende al-Fārābī. Letzterer konnte praktisch auf die gesamte noch erhaltene antike Überlieferung griechischer Philosophen zurückgreifen; er betrachtete die Philosophie als Grundlage jeglicher Wissenschaft und bezog dies auch auf die Religion. Der bedeutende persische Philosoph Avicenna (gest. 1037) stellte grundsätzlich die Frage nach der Aufgabe und der Möglichkeit der Philosophie. Seine sehr einflussreichen Überlegungen betrafen unter anderem die Logik und Intellektlehre. In seinem "Kanon der Medizin" fasste er außerdem systematisch das damalige medizinische Wissen zusammen. Daneben sind noch andere Gelehrte zu nennen, so z. B. al-Chwarizmi im 9. Jahrhundert. Kunst. Im Frühmittelalter kam den Fürstenhöfen, vor allem aber dem fränkischen Königshof mit der Hofschule, und der Kirche eine tragende Rolle in der kulturellen und künstlerischen Förderung zu. In den Motiven dominiert die christliche Symbolik. Die frühmittelalterliche Kunst orientierte sich zunächst an spätantiken Vorbildern, bevor sich neue Kunststile entwickelten. Die byzantinische Kunst beeinflusste auch den Westen, wobei in der Forschung der Grad dieses Einflusses umstritten ist. Wurde die frühmittelalterliche Kultur früher als eher rezipierend und weniger als kreativ betrachtet, wird in neuerer Zeit wieder betont, dass es im Westen bereits spätantike Vorbilder gab und die Beeinflussung zwischen Ost und West subtiler war. Die karolingische Bildungsreform und die sogenannte ottonische Renaissance (10./11. Jahrhundert) bewirkten wieder einen kulturellen Aufschwung. Im mittelalterlichen gelehrten Denken ist die Frage der Schönheit losgelöst von der Kunst und beruht auf platonischen und neuplatonischen Überlegungen. In der Kunsttheorie des frühen Mittelalters waren die Aussagen des Augustinus und des Pseudo-Dionysius Areopagita einflussreich. Ein Kunstwerk und die damit verbundene ästhetische Schönheit galt demnach nicht als Selbstzweck; Schönheit hatte vielmehr auch eine transzendentale Bestimmung. Für Johannes Scottus Eriugena z. B. galt das sinnlich Wahrnehmbare als ein Symbol des Göttlichen. In der Baukunst bildet die Vorromanik einen Übergang zwischen spätantiken und romanischen Architekturformen. Im Kirchenbau dominierten in Hispanien und England Saalkirchen aus Stein, östlich des Rheins waren zunächst Holzkirchen verbreitet, von denen fast nichts erhalten ist. In Italien wiederum waren Basiliken verbreitet. Es entwickelten sich neue Bautypen, oft aus Italien inspiriert und mit Mosaiken geschmückt, was bereits in der Spätantike üblich war. Die Monumentalarchitektur wurde seit der Zeit Karls des Großen wieder gepflegt, der Massenbau mit mehreren Pfeilern beruhte auf antiken Kenntnissen. In karolingischer Zeit entstanden schließlich mehrere Herrscherpaläste, wie die Aachener Königspfalz, die in der Gesamtkomposition ebenfalls an römischen Vorbildern orientiert waren. Nach 814 gab es im Frankenreich einen gewissen Einbruch in der Monumentalarchitektur. Es wurden zunächst nun eher kleinteilige, aus einzelnen Raumzellen zusammengefügte Kirchenbauten bevorzugt. Zwar entstand später im 9. Jahrhundert auch der Hildebold-Dom, ebenso wurde in Corvey die Lorscher Westwerkform aufgenommen oder etwa in Hersfeld der Zellenquerbau in größere Dimensionen ausgeführt, es war aber nicht der Regelfall. In ottonischer Zeit knüpfte man bewusst an die karolingische Tradition an, es wurden wieder mehrere große Kirchenbauten errichtet. Problematisch bei der Bewertung frühmittelalterlicher Architektur ist allerdings, dass etwa aus dem 10. und 11. Jahrhundert kaum Überreste herrschaftlicher Profanbauten erhalten sind, sondern vor allem kirchliche Bauten. In Italien war aufgrund relativer Kulturkontinuität der Übergang ins Frühmittelalter weniger stark ausgeprägt, neu waren aber quadratische Pfeiler und Hallenkrypten. In Hispanien verschmolzen in der Westgotenzeit antike, frühchristliche und volkstümliche Motive; nach 711 entwickelte sich die mozarabische Architektur. In England entstanden infolge der Christianisierung der Angelsachsen neben mehreren Holzkirchen auch größere Kirchenbauten, von denen aber nur geringe Reste erhalten sind. In den unterschiedlichen angelsächsischen Reichen sind im Kirchenbau abweichende Bautypen anzutreffen. Die auch byzantinisch beeinflusste karolingische Buchmalerei bedeutete eine Steigerung gegenüber der merowingischen Buchmalerei und ist eines der Resultate der karolingischen Bildungsreform. Beispiele dafür sind unter anderem das Lorscher Evangeliar, das Krönungsevangeliar und das Ada-Evangeliar (siehe auch Ada-Gruppe) aus der Zeit Karls des Großen oder der Codex aureus von St. Emmeram aus dem späten 9. Jahrhundert. Zentren der karolingischen Buchmalerei waren neben der königlichen Hofschule später Reims, St. Martin in Tours und Metz. Bedeutung erlangte im späteren 9. Jahrhundert die Hofschule Karls II. in Westfranken. Es entstanden auch in den großen Reichsklöstern und bedeutenden Bischofsresidenzen Bildhandschriften, teils in Nachahmung der königlichen Hofschulen (so das Fuldaer Evangeliar). Entscheidend hierfür war, dass die geistlichen Einrichtungen über gute Skriptorien verfügten und kulturelle Impulse aufnahmen, was auf weltlicher Seite zunächst kaum der Fall war. In der Ottonenzeit im 10./11. Jahrhundert wurde, nach einem kulturellen Abschwung am Ende der Karolingerzeit, an ältere Vorbilder angeknüpft. So entstand im Ostfrankenreich die ebenfalls bedeutende ottonische Buchmalerei, deren Zentren die Klöster Corvey, Hildesheim, Fulda und Reichenau waren; später gewannen auch Köln, Regensburg und Salzburg an Bedeutung. Zu deren bedeutendsten Produkten gehören das Gebetbuch Ottos III. und das Evangeliar Ottos III. Des Weiteren sind noch aus anderen Regionen Europas Buchmalereien erhalten. Einen Höhepunkt der angelsächsischen Buchmalerei stellt das Aethelwold-Benedictionale aus dem späten 10. Jahrhundert dar, in Westfranken entstand um 1000 die reich verzierte „Erste Bibel“ von St. Martial (Limoges). Aus Spanien stammt der Beatuskommentar zur Offenbarung des Johannes (8. Jahrhundert), während auch in Italien zahlreiche illustrierende Bildhandschriften entstanden, vor allem zum Leben bekannter Heiliger und bedeutender Geistlicher. Im Frühmittelalter gingen einige antike Kunstkenntnisse verloren. Dies betrifft etwa die Dreidimensionalität und die Darstellung des Menschen in seinen natürlichen Proportionen. Es entwickelte sich ein recht statischer Aufbau und eine gewisse Furcht vor der Leere "(horror vacui)". Hinzu kamen neue künstlerische Zielsetzungen und andere künstlerische Charakteristika, so keltische und germanische Ornamentik (siehe auch Germanischer Tierstil). Grundlage der frühmittelalterlichen Wandmalerei ist die spätantike Monumentalmalerei, von der im Frühmittelalter mehr als heute erhalten war. Wie stark die konkreten Zusammenhänge zwischen spätantiker und frühmittelalterlicher Wandmalerei sind, ist heute aber kaum noch zu erschließen, da oft jüngere Eingriffe vorliegen. Von verschiedenen frühmittelalterlichen Wandmalereien sind zudem nur Teile erhalten. Ein Bild der Monumentalmalerei in karolingischer Zeit um 800 vermitteln die heute zwar verlorenen, aber durch Beschreibungen und Skizzen bekannten Vorzeichnungen für den ursprünglichen Kuppeldekor der Aachener Pfalzkapelle Karls des Großen. In Kirchen waren Wandmalereien mit Darstellungen aus dem Leben Jesu Christi besonders beliebt, aber auch zahlreiche andere biblische Szenen wurden verwendet. Dies wurde durch eschatologische Erwartungen für die Zeit um 1000 noch verstärkt. In ottonischer Zeit griff man zunächst auf die karolingische Tradition zurück. Das Mittelschiff von St. Georg in Reichenau-Oberzell (10. Jahrhundert) ist wohl das beste Beispiel für die Innenausmalung eines Kirchenraums, die in karolingischer und ottonischer Zeit recht üblich war. Mehrere Bischöfe traten als Förderer der Kunst auf, so im späten 10. Jahrhundert Gebhard von Konstanz in seiner Eigenkirche in Petershausen oder Egbert von Trier, unter dessen Patronage der Meister des Registrum Gregorii wirkte. Das Kunsthandwerk brachte unter anderem Fibeln, Gürtelschnallen, aber auch Schnitzarbeiten aus Elfenbein, Goldblecharbeiten und reich verzierte Buchdeckelarbeiten hervor. In der Kleinplastik wurde aufgrund des starken religiösen Bedürfnisses viele Reliquienbehältnisse angefertigt. Es entstanden zudem zahlreiche liturgische Geräte; als eines der schönsten gilt das um 1000 angefertigte Lotharkreuz. Das in ottonischer Zeit entstandene Gerokreuz wiederum ist eine der ersten Monumentalskulpturen des Mittelalters. Die kulturellen Zentren befanden sich daneben vor allem im Osten. In Byzanz zählt die Ikonenmalerei zu den Höhepunkten frühmittelalterlicher Kunst, ebenso brachte die byzantinische Buchmalerei bedeutende Werke hervor. Die sogenannte makedonische Renaissance im 9./10. Jahrhundert führte in Byzanz, nachdem die existenzbedrohenden Abwehrkämpfe gegen die Araber überstanden waren, zu einer stärkeren Besinnung auf antike Motive und die antike Literatur. In Byzanz tobte im 8. und 9. Jahrhundert der Bilderstreit, was Auswirkungen auf die Kunst hatte. Im späten 8. Jahrhundert konnten sich kurzzeitig die Bilderverehrer durchsetzen und sie waren dann im 9. Jahrhundert endgültig siegreich. Im Westen beschäftigte man sich auf der Synode von Frankfurt 794 mit der religiösen Bilderverehrung, die man schließlich ablehnte (Libri Carolini). Im Westen wurden aber byzantinische Kunsteinflüsse durchaus aufgenommen, z. B. in der Buchmalerei oder bezüglich Formen des Zentralbaus bei romanischen Kirchen. In der Architektur sind vom byzantinischen Stil unter anderem der Markusdom in Venedig und die karolingische Pfalzkapelle im Aachener Dom (Oktogonform) inspiriert. Christentum. Allgemeines. Religion war im Frühmittelalter im lateinischen Europa, in Byzanz und im Kalifat ein bestimmendes Lebensmoment. Es ist jedoch sehr fraglich, ob man für jeden dieser Kulturräume von einer Einheit in Kultur und Religiosität sprechen kann; vielmehr bestand zwischen den gelehrten Denkvorstellungen und der gelebten Volksfrömmigkeit ein Unterschied. Dies betraf auch das lateinische Europa, wenngleich in populären Vorstellungen oft von einem monolithischen Block ausgegangen wird. Die allgemeine Geschichte des lateinischen Europas und des byzantinischen Kulturkreises im Frühmittelalter ist dennoch eng mit der Geschichte des Christentums in dieser Zeit verknüpft. Bereits in der Spätantike bestand eine enge Bindung von Kirche, Staat und Kultur. Das Christentum war unter Theodosius I. zur Staatsreligion erhoben worden, die paganen („heidnischen“) Kulte verloren immer mehr an Anhängerschaft und versanken schließlich in der Bedeutungslosigkeit, wenngleich kleine pagane Minderheiten in Byzanz noch bis ins 6. Jahrhundert belegt sind. Nach dem Untergang Westroms war zwar die politische Einheit im Mittelmeerraum aufgehoben, dennoch waren die neuen germanischen Reiche christliche Reiche – entweder bereits bei ihrer Gründung oder kurz darauf (wie das Frankenreich). Neigte die Mehrheit der christlichen Germanen zum Arianismus, so bestand die romanische Mehrheitsbevölkerung aus katholischen Christen, was teilweise zu erheblichen Spannungen führte. Im ostgotischen Italien wirkte sich der konfessionelle Unterschied sogar außenpolitisch im Verhältnis zu Byzanz aus (akakianisches Schisma). Die Langobarden, die 568 in Italien einfielen, waren ebenfalls überwiegend Arianer, doch erfolgte im 7./8. Jahrhundert zunehmend die Hinwendung zum katholischen Bekenntnis. Chlodwig I. ließ sich um 500 katholisch taufen und ihm folgten zahlreiche Franken; im Westgotenreich erfolgte die Konversion 589. Trotz politischer Zersplitterung blieb eine gewisse kulturell-religiöse Einheit bestehen, die erst mit der arabischen Expansion im 7. Jahrhundert endete. Päpste und weltliche Herrschaft. Das Papsttum spielte im Frühmittelalter politisch keine so entscheidende Rolle wie im weiteren Verlauf des Mittelalters. Der Bischof von Rom genoss als Nachfolger der Apostel Petrus und Paulus zwar großes Ansehen, doch übte er etwa über die byzantinische Kirche keine Oberherrschaft aus. Der Patriarch von Konstantinopel wiederum erhielt nie die Bedeutung wie der Papst im Westen, wo die Päpste schließlich auch eine weltliche Vollgewalt beanspruchten, und bestimmte zu keinem Zeitpunkt die byzantinische Politik. Während des Übergangs von der Antike zum Mittelalter standen die Päpste politisch stark unter byzantinischem Einfluss. Infolge des byzantinischen Machtverlustes im Westen gewannen die Päpste langsam, aber zunehmend an politischem Spielraum. Gregor der Große beispielsweise, der aus vornehmer römischer Familie stammte, sehr gelehrt und einer der bedeutendsten mittelalterlichen Päpste war, war auch politisch aktiv. Dennoch waren die Päpste formal noch Untertanen des byzantinischen Kaisers, der ihnen sogar den Prozess machen konnte. Mitte des 8. Jahrhunderts waren die Päpste aufgrund der langobardischen Bedrohung gezwungen, sich nach Unterstützung umzusehen. Papst Stephan II. reiste 753/54 zum Frankenkönig Pippin und ging ein Bündnis mit ihm ein. Die Karolinger übernahmen die Rolle als neue päpstliche Schutzmacht, die später die Ottonen und die folgenden römisch-deutschen Könige ebenfalls übernahmen. Durch diese Allianz wurden nicht zuletzt die päpstlichen Ansprüche geschützt, die sich, wie der entstehende Kirchenstaat zeigt, auch in weltlicher Form artikulierten. Die im 8./9. Jahrhundert gefälschte Konstantinische Schenkung sollte für diese Ansprüche eine Grundlage bieten. Seit der Kaiserkrönung Karls des Großen im Jahr 800 waren Papst und Frankenreich noch enger miteinander verquickt. Die Verbindung war insofern problematisch, als sowohl Papsttum als auch Kaisertum universale Gewalten waren, deren Interessen nicht immer parallel verliefen, wie der Investiturstreit im 11./12. Jahrhundert deutlich zeigt; doch bereits im 9. Jahrhundert kam es zu Konflikten zwischen Papst und den karolingischen Kaisern. Als Gegengewicht zur weltlichen Macht wurde von kirchlicher Seite die Zwei-Schwerter-Theorie entwickelt, wenngleich im Hochmittelalter die Päpste bisweilen selbst die weltliche Oberherrschaft nachdrücklich beanspruchten. Das päpstliche Ansehen stieg zunehmend, so dass verschiedene Herrscher im lateinischen Europa die Unterstützung des Papstes erbaten. Im 9. Jahrhundert erreichte die päpstliche Autorität unter Nikolaus I. einen ersten Höhepunkt, eine „Weltstellung“, bevor sie im späten 9. Jahrhundert verfiel. Das Papsttum wurde im frühen 10. Jahrhundert zu einem Spielball der Interessen stadtrömischer Familien. In ottonischer Zeit spielte es politisch keine entscheidende Rolle. Die Verbindung zwischen westlicher und östlicher Kirche wiederum schwand immer mehr und führte letztendlich zum Schisma von 1054. Die karolingische Bildungsreform um 800 hatte schon aufgrund der engen Verbindung von christlicher Religion und Kultur im Frühmittelalter auch Auswirkungen auf die Kirche im Frankenreich und förderte deren Erneuerung. Eine überarbeitete Fassung der lateinischen Bibelausgabe wurde erstellt und die kirchlichen Bildungseinrichtungen (Schulen, Skriptorien und Bibliotheken) gefördert, was zu einem kulturellen Aufschwung führte. Die Reichskirche im Frankenreich war politisch eng mit dem Königtum verbunden. Die fränkischen Könige waren seit der Karolingerzeit darauf angewiesen, dass die Kirche weltliche Verwaltungsaufgaben übernahm, nachdem die an spätrömischen Mustern orientierte Verwaltungspraxis der Merowingerzeit zusammengebrochen war. Diese Tradition wurde in West- und Ostfranken bis ins Hochmittelalter beibehalten. Aufgrund der effektiven Verbindung von Reich und Kirche in der Ottonen- und Salierzeit hat die ältere Forschung von einem Reichskirchensystem im Ostfrankenreich gesprochen. Tatsächlich hatte die Kirche aber ebenfalls in anderen christlichen Reichen des lateinischen Europas Verwaltungsaufgaben übernommen. Die christlichen Könige sowie vor allem die Kaiser übten eine Schutzherrschaft über die Kirche aus und waren oft bestrebt, dem Bild eines gerechten christlichen Idealherrschers wenigstens formal zu entsprechen. Kirchliche Konzile und Synoden wurden oft von den weltlichen Herrschern einberufen, gerade um das enge Zusammenwirken von Herrscher und Kirche zu demonstrieren. Mitte des 4. Jahrhunderts hatte Martin von Tours die erste Mönchsgemeinschaft im Westen Europas gegründet. Das Mönchtum gewann im Verlauf des Frühmittelalters zunehmend an Bedeutung. Einflussreich wurden die Mönchsregeln des Benedikt von Nursia. In den Klöstern war der Alltag von festen Abläufen geprägt. Die weitgehend von der Außenwelt abgeschirmten Mönche widmeten dabei ihr Leben und ihr Wirken ganz Gott, doch waren die Klöster ebenso ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor, da sie über Güter und Besitzungen verfügten. Das Mönchtum ist auch als Korrektiv zu einer Kirche zu verstehen, die sich zunehmend weltlichen Angelegenheiten zuwandte. Die Kirche war hierarchisch aufgebaut und verfügte über eine recht effektive Verwaltung. In der frühmittelalterlichen lateinischen Kirche genossen die einzelnen Bischöfe recht weitreichende Vollmachten. Nach dem Zusammenbruch der römischen Verwaltungsordnung im Westen kam den Bischofssitzen eine wichtige Verwaltungsaufgabe zu. Vor allem im südlichen Gallien, in Italien und auch in Spanien übernahmen Bischöfe politische Aufgaben, was zur Etablierung faktisch autonomer sogenannter „Bischofsrepubliken“ führte. Frömmigkeit und Gottesdienst. Das geistige und religiöse Leben im lateinischen Europa war im Frühmittelalter äußerst vielfältig und es wirkten zahlreiche christliche Gelehrte. Als Beispiele seien für den lateinischen Westen unter anderem genannt: Gregor von Tours und Gregor der Große im späten 6. Jahrhundert, Alkuin, Einhard, Hrabanus Maurus und Hinkmar von Reims im 9. Jahrhundert sowie Notker von St. Gallen um 1000. Christliche Frömmigkeit war im Frühmittelalter allgegenwärtig, drückte sich aber recht unterschiedlich aus und veränderte sich von Zeit zu Zeit. Der Glaube an ein Reich Gottes im Jenseits war gängige Vorstellung, wodurch Tod und Teufel überwunden werden sollten. Die Aufnahme in die christliche Gemeinschaft erfolgte durch die Taufe; noch in der Spätantike hatte sie nicht diese Bedeutung gehabt. Dem ging in der Regel das Katechumenat als Schulungszeit voraus. Die freiwillige Annahme war prinzipiell Voraussetzung, Zwangsbekehrung (obwohl teils praktiziert) galt nach dem Kirchenrecht als nicht gestattet und wurde von verschiedenen Päpsten (so von Gregor dem Großen) wiederholt abgelehnt. Die Kraft von Gottes Allmacht sollte durch gutes Handeln in der Gegenwart erlangt werden. Gott galt als gütig und gerecht, der aber durchaus Verfehlungen bestraft. Fehlverhalten erforderte daher eine angemessene Buße. Der Gottesdienst war von festen Ritualen geprägt, die innerhalb der Liturgie vor allem eine symbolische Bedeutung hatten. Wenngleich das Christentum eine Buchreligion ist, war aufgrund geringer Lesekenntnisse im Frühmittelalter der gesprochene Wortgottesdienst sehr bedeutend. Neben den lateinischen Gottesdiensten entstanden volkssprachige Gebete. Das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser waren von zentraler Bedeutung und wurden in mehrere Volkssprachen übertragen. In der Volksfrömmigkeit spielten Aberglauben, Heiligenverehrung und Reliquien eine wichtige Rolle. Sozialtätigkeit wie Armenfürsorge galt als religiöse Pflicht. Infolge der kriegerischen Auseinandersetzungen entstand zunehmend eine Friedenserwartung, deren Realisierung man von kirchlichen Maßnahmen erhoffte und die teilweise erfüllt wurde (Gottesfriedensbewegung). Eschatologische Vorstellungen eines Weltenendes existierten zwar, doch ist in der neueren Forschung umstritten, wie stark die Endzeiterwartungen um 1000 ausgeprägt waren. Mission und Glaubensverschiedenheit. Während des gesamten Frühmittelalters wurde die von den Päpsten geförderte Christianisierung, wozu die Germanenmission gehörte, in den paganen Gebieten Europas vorangetrieben. Dazu zählten Regionen, wo die germanische Religion in ihrer unterschiedlichen Ausprägung praktiziert wurde. Dies betraf noch nicht christianisierte rechtsrheinische Gebiete (so die Siedlungsgebiete der Bajuwaren und der Thüringer im 6. Jahrhundert sowie Sachsen in Nordwestdeutschland), Skandinavien (mit dem Hauptgott Odin sowie wichtigen Nebengöttern wie Thor und Tyr, siehe nordgermanische Religion) und Teile Britanniens (siehe angelsächsische Religion). Hinzu kamen Kulte im slawischen Raum, wo Perun, Svarog, Svarožić (Dazbog) und Veles wichtige Gottheiten darstellten. Neben älteren antiken Berichten, Runeninschriften und späteren Verarbeitungen (Edda) stammen viele der diesbezüglichen Berichte von christlichen Autoren. Pagane Gottheiten galten den Christen als Kreaturen des Teufels und als Dämonen. Wie bei den paganen Germanen spielte bei den Slawen Naturverehrung eine wichtige Rolle, ebenso war eine Jenseitsvorstellung hinsichtlich eines Lebens nach dem Tod verbreitet. Die slawischen Kulte waren recht stark gentilreligiös geprägt, also auf den jeweiligen Stammesraum bezogen. Die Christianisierung zuvor paganer Gebiete hatte nicht zuletzt Einfluss auf die dortigen Lebensverhältnisse: Totschlag oder Kindesaussetzungen wurden durch die neuen religiösen Regeln erschwert, die somit abmildernd wirkten; die verpflichtende Fürsorgetätigkeit unterschied den christlichen Glauben ebenfalls grundlegend von den paganen Kulten, in denen karitative Maßnahmen außerhalb der Familien nicht üblich waren. Die noch in der Spätantike begonnene Missionierung Irlands durch Mönche war im 6. Jahrhundert abgeschlossen. Im 7. Jahrhundert war die Christianisierung der Angelsachsen weitgehend abgeschlossen, doch bedeutete der Einfall der Wikinger im 9. Jahrhundert einen Rückschlag und erforderte teils neue Missionierungen. Irland, obwohl selbst nie Teil des römischen Reiches, nahm die antike Kultur auf und trug sie schließlich wieder in den kontinentaleuropäischen Raum zurück. So ist es kein Zufall, dass nicht zuletzt irische Gelehrte in karolingischer Zeit im Frankenreich wirkten. Irische Mönche wie Columban beteiligten sich zudem aktiv an der Christianisierung (Iroschottische Mission), auch in noch paganen Gebieten in der ehemaligen "Germania magna". Bonifatius war im 8. Jahrhundert im rechtsrheinischen Raum sehr aktiv und gründete das später bedeutende Kloster Fulda. Die Sachsen, für die die Irminsul ein wichtiges Heiligtum war, wurden erst durch die blutigen Sachsenkriege Karls des Großen im späten 8./frühen 9. Jahrhundert gewaltsam christianisiert. Um 900 bildete die Elbe die Grenze zum paganen Raum. Die Ottonen betrieben im 10./11. Jahrhundert eine aktive Missionierungspolitik im Slawenland, die aber mit erheblichen Rückschlägen wie dem Slawenaufstand von 983 verbunden war. In vielen Regionen verlief die Christianisierung im Frühmittelalter nicht gewaltsam, sondern friedlich, das heißt, das christliche Bekenntnis wurde freiwillig angenommen. Des Weiteren war die Zwangstaufe kirchlich sehr umstritten; sie wurde wiederholt von päpstlicher Seite abgelehnt und war kirchenrechtlich zudem untersagt, wenngleich nach den gleichen Beschlüssen Zwangsgetaufte dazu angehalten waren, Christen zu bleiben. Die Bulgaren und Serben übernahmen in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts das Christentum, Kiewer Rus wurde im späten 10. Jahrhundert, die Polen und (die nicht slawischen) Ungarn wurden um 1000 christianisiert. Um die Jahrtausendwende war die Christianisierung auch in Dänemark und Norwegen weitgehend erfolgreich. Die Missionstätigkeit im Norden wurde im 9./10. Jahrhundert maßgeblich vom Erzbistum Hamburg-Bremen übernommen. Die Christianisierung dieser Gebiete erfolgte in der Regel durch Bekehrung der Oberschicht. Dieser Prozess verlief langsam und war nicht immer spannungsfrei. Pagane Bräuche hielten sich zudem noch längere Zeit im Alltag. Die Christianisierung der Slawen, Ungarn und Skandinavier bedeutete eine erhebliche Ausdehnung des christlichen Kulturkreises. Byzantinische Missionare wirkten vor allem im östlichen und südöstlichen Europa, wo im 9. Jahrhundert die Brüder Methodios und Kyrill bei der Slawenmission erfolgreich waren; durch sie wurde außerdem die Grundlage für das Kirchenslawische geschaffen (siehe Glagolitische Schrift). Im Osten Europas konkurrierten lateinische und griechische Missionare, da die Zuständigkeit der neuen christlichen Gebiete entweder Rom oder Konstantinopel zufiel. So unterstellten sich Serbien und Bulgarien dem Patriarchat von Konstantinopel. In Bulgarien wurde 927 ein eigenes Patriarchat errichtet, das nach der byzantinischen Eroberung im frühen 11. Jahrhundert zum Erzbistum zurückgestuft wurde. In Byzanz bestanden innerhalb des Reichsgebiets bis ins 7. Jahrhundert erhebliche religiöse Spannungen zwischen den Vertretern der orthodoxen Reichskirche sowie den Nestorianern und den Miaphysiten. Mehrere kaiserliche Lösungsversuche schlugen fehl. Diese religionspolitische Problematik wurde faktisch durch die arabische Eroberung der byzantinischen Ostprovinzen im 7. Jahrhundert „gelöst“, denn die verbleibende Reichsbevölkerung (einschließlich nach Kleinasien strömender Flüchtlinge) war ganz überwiegend orthodoxen Glaubens. Die christliche Kirche in Nordafrika, die bedeutende Denker wie Augustinus von Hippo hervorgebracht hatte, verlor zunehmend an Bedeutung und erlosch schließlich. Dort bereitete ab 645 eine konfessionell bedingte Erhebung die Islamisierung vor. Schon seit etwa 640 betrieb Maximus Confessor seine Polemik gegen den Monotheletismus, der vielfach von Flüchtlingen aus den von Arabern eroberten Gebieten mitgebracht wurde. Er konnte 645 in einer öffentlichen Disputation den ehemaligen Patriarchen von Konstantinopel Pyrrhos I. von seiner dyotheletischen Lehre überzeugen. Ihre Lehren stimmten zwar darin überein, dass Jesus Christus zwei Naturen, nämlich eine göttliche und eine menschliche habe, aber in Konstantinopel herrschte zu dieser Zeit der Glaube an nur einen Willen oder ein Ziel vor, während Karthago und auch Rom an das Wirken zweier getrennter Willen in der Person Christi glaubten. Die christlichen Kirchen in Ägypten, Syrien und Mesopotamien behielten hingegen längere Zeit ihre Bedeutung (christliche Minderheiten sind noch heute in Ägypten und Syrien vorhanden) und die Mehrheit der Bevölkerung unter arabischer Herrschaft blieb noch lange christlich. Manche Christen waren sogar am Kalifenhof als Gelehrte tätig, wie z. B. Mitte des 8. Jahrhunderts Theophilos von Edessa. Die relativ tolerante arabische Herrschaft stieß anscheinend auf keinen nennenswerten Widerstand. Anhänger der Buchreligionen (Christen, Juden und Zoroastrier) mussten zwar eine spezielle Kopfsteuer (Dschizya) zahlen, durften ihren Glauben nicht öffentlich ausüben und keine Waffen tragen, blieben ansonsten aber zunächst weitgehend unbehelligt. Teils war auch eine besondere Kleidungspflicht für Christen vorgeschrieben. Ende des 7. Jahrhunderts verstärkte sich aber der Druck auf die christliche Mehrheitsbevölkerung: 699 löste im Kalifenreich Arabisch die bisherigen Verwaltungssprachen Griechisch und Mittelpersisch ab und Christen wurden von staatlichen Positionen ausgeschlossen. Das Gesellschaftsleben wurde zunehmend auf den neuen Glauben ausgerichtet und es kam zu verstärkten Diskriminierungen von Nichtmuslimen. Dies hing mit der jeweiligen Religionspolitik des regierenden Kalifen zusammen, die seit dem späten 7. Jahrhundert den Druck auf die nichtsmuslimische Bevölkerung nicht unerheblich verstärkten, sich in innerchristliche Angelegenheiten einmischten und auch Kirchengüter konfiszierten. Bilderstreit in Byzanz. Mit der Regierungszeit der byzantinischen Kaiser Leo III. und Konstantin V. wird traditionell ein wichtiger Abschnitt der byzantinischen Geschichte verbunden, der Beginn des sogenannten Bilderstreits, der erst Mitte des 9. Jahrhunderts endete. Den Bilderstreit soll Leo entfacht haben, als er 726 die Christus-Ikone über dem Chalketor am Kaiserpalast entfernt und bald darauf ein Gesetz erlassen habe, das angeblich die Verehrung der Ikonen verbot. In der Forschung wurden dazu unterschiedliche mögliche Motive diskutiert. Das Resultat sei ein „Bildersturm“ (Ikonoklasmus) gewesen, verbunden mit Zerstörungen von Heiligenbildern und Verfolgungen. Diese Schilderung entspricht der modernen Forschung zufolge aber keineswegs der Realität. Äußerst problematisch ist vor allem die Quellenlage, da fast ausschließlich Berichte der letztlich siegreichen Seite, der Bilderfreunde (Ikonodulen), erhalten sind und in ihnen nachweislich Geschichtsumdeutungen vorgenommen wurden. In mehreren dieser Werke wird gegen die militärisch erfolgreichen und durchaus nicht unbeliebten Kaiser Leo und Konstantin polemisiert (so in byzantinischen Geschichtswerken wie der Chronik des Theophanes). Unzweifelhaft ist, dass die byzantinischen Kaiser, aufgrund der vergleichsweise schwachen Stellung des Patriarchen von Konstantinopel, einen starken Einfluss auf die Religionspolitik des Reiches hatten. Es ist aber nicht einmal sicher, ob Leo III. tatsächlich konkrete Maßnahmen gegen die Bilderverehrung ergriff, denn belastbare Belege für ein gesetzliches Verbot fehlen. Konstantin V. wiederum hat zwar theologische Traktate gegen die Bilderverehrung verfasst und 754 das Konzil von Hiereia einberufen, anschließend aber kaum ernsthafte Schritte eingeleitet. Zwar war Konstantin offenbar kein Anhänger der Bilderverehrung, Vorwürfe gegen ihn werden aber nicht in zeitgenössischen, sondern in den später entstandenen ikonodulen Quellen erhoben. Mehrere harte Maßnahmen gegen politische Gegner des Kaisers sind demnach erst im Nachhinein zu Maßnahmen gegen Bilderfreunde umgeschrieben worden. Die Auseinandersetzung um die Bilder fand also Mitte des 8. Jahrhunderts zwar statt, jedoch nicht in der überlieferten Form; dass die Bevölkerung den Ikonoklasmus mehrheitlich abgelehnt hätte, ist ebenfalls nicht gesichert. Generell ist es fraglich, ob der Bilderstreit in Byzanz die Bedeutung hatte, wie es die späteren Quellen suggerieren. Das zweite Konzil von Nikaia 787 erlaubte die Bilderverehrung nur in bestimmten Grenzen, die Mehrheit der Bischöfe wird wohl noch ikonoklastisch orientiert gewesen sein. Im frühen 9. Jahrhundert flammte der Bilderstreit unter Leo V. (reg. 813–820) wieder auf, wenngleich wohl vor allem das öffentliche Bekenntnis von Bedeutung war. Hintergrund dürfte die Erinnerung an die militärischen Erfolge der „ikonoklastischen Kaiser“ gewesen sein, die bis dahin nicht wiederholt werden konnten. Die neue kaiserliche Politik wurde, wie anscheinend bereits zuvor, von zahlreichen Kirchenführern und Mönchen unterstützt. Kaiser Michael III. (reg. 842–867) gestattete jedoch 843 wieder die Ikonenverehrung und beendete damit den Bilderstreit. Literatur. Gesamtdarstellungen und Überblickswerke Literatur zu einzelnen Themenbereichen
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Fluss (Begriffsklärung)
Fluss (von ‚Fließen‘) steht für: Fluss oder Fluß ist der Familienname von: Siehe auch:
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Fata Morgana
Eine Fata Morgana oder Luftspiegelung ist ein durch Ablenkung des Lichtes an unterschiedlich warmen Luftschichten auf dem fermatschen Prinzip basierender optischer Effekt. Es handelt sich hierbei um ein physikalisches Phänomen und nicht um eine visuelle Wahrnehmungstäuschung oder optische Täuschung. Der französische Physiker Gaspard Monge hat 1798 in Niederägypten erstmals Luftspiegelungen naturwissenschaftlich untersucht und gedeutet. Erklärung und Vorkommen. Der Brechungsindex heißer Luft ist geringer als jener der kälteren Luft. Lichtstrahlen, die zunächst eine kalte Luftschicht durchqueren und anschließend in flachem Winkel auf wärmere Luftschichten stoßen, werden vom optisch dünneren Medium bis hin zu einer Totalreflexion weggebrochen. Dafür ist keine scharfe Grenze zwischen heißer und kalter Luft notwendig, es muss auch nicht windstill sein. Kontinuierliche Änderung des Brechungsindex bewirkt eine Krümmung der Strahlen. Wenn in Wüsten solche Luftschichtungen in größerer Höhe auftreten, sieht man Spiegelungen am Himmel, die Fata Morgana. In gemäßigten Breiten sind Spiegelungen häufig in Bodennähe über dunklen Flächen zu beobachten. Das obere Bild zeigt eine Asphaltstraße. Wegen ihrer dunklen Farbe heizt sie sich in der Sonne auf und mit ihr die Umgebungsluft. Darüber liegen kühlere Luftschichten. Auf der Straße spiegeln sich Gras, Häuser und das rote Auto. Die Grafik veranschaulicht die Situation: Eine Betrachterin sieht das Auto direkt entlang des Strahls "d". Ein weiterer Strahl "i" wird wegen der Schichtung von kalter, also optisch dichter, auf warmer, also optisch dünner, Luft zu ihr hin gebrochen. Für sie sieht es so aus, als käme der Strahl aus der Richtung "v" und als spiegelte sich das Auto an der Straße. Wenn sie das Phänomen der Luftspiegelung nicht kennt, könnte sie eine nasse Straße dafür als Ursache vermuten. Auch Vergrößerungen sind möglich, ebenso Mehrfachspiegelungen, welche die gespiegelten Objekte wieder aufrecht erscheinen lassen. Seefahrer früherer Jahrhunderte nannten solche Erscheinungen bei Schiffen auch fliegender Holländer. An der Straße, die westlich des Nils zwischen Assuan und Abu Simbel in Ägypten verläuft, bildet sich in den Sommermonaten mit ziemlicher Regelmäßigkeit wegen der kaum sich ändernden Wetterlage und Sonneneinstrahlung eine Fata Morgana. Die Touristenbusse stoppen hier und die Passagiere können eine Oase mit mehreren gespiegelten Wasserstellen fotografieren. Etymologie. Die Bezeichnung "Fata Morgana" kommt aus dem Italienischen. Sie bedeutet Fee Morgana, ein Name aus der im Mittelalter in ganz Europa verbreiteten Artussage. Morgana bewohnte die mystische und für Sterbliche unerreichbare Insel Avalon. Dementsprechend wurde die Erscheinung einer nicht vorhandenen Insel in der Straße von Messina zwischen dem italienischen Festland und Sizilien mit ihr in Verbindung gebracht.
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Fuzzylogik
Fuzzylogik ( ‚verwischt‘, ‚verschwommen‘, ‚unbestimmt‘; "fuzzy logic", "fuzzy theory" ‚unscharfe Logik‘ bzw. ‚unscharfe Theorie‘) oder Unschärfelogik ist eine Theorie, welche in der Mustererkennung zur „präzisen Erfassung des Unpräzisen“ (Zadeh) entwickelt wurde, sodann der Modellierung von Unschärfe von umgangssprachlichen Beschreibungen von Systemen dienen sollte, heute aber überwiegend in angewandten Bereichen wie etwa der Regelungstechnik eine Rolle spielt. Als Verallgemeinerung der zweiwertigen Booleschen Logik erlaubt sie beispielsweise die Ausprägung einer Eigenschaft – wie sie die sogenannten Heckenausdrücke „ein bisschen“, „ziemlich“, „stark“ oder „sehr“ der natürlichen Sprache zur Verstärkung oder Abschwächung eines Prädikats bereitstellen – als Zugehörigkeitsgrad numerisch zu erfassen und damit die "Unschärfe (Fuzziness)" eines sprachlichen Ausdrucks mathematisch präzise zu modellieren. Die Fuzzylogik basiert auf den "unscharfen (fuzzy) Mengen" (Fuzzy-Sets). Dabei wird die Menge nicht wie bisher durch die Objekte definiert, die Elemente dieser Menge sind (oder nicht sind), sondern über den Grad ihrer Zugehörigkeit zu dieser Menge. Das geschieht durch "Zugehörigkeitsfunktionen", die jedem Element einen numerischen Wert als Zugehörigkeitsgrad zuordnen. Die so eingeführten neuen Mengenoperationen definieren die Operationen eines zugehörigen Logikkalküls, das die Modellierung von Inferenzprozessen erlaubt. Historische Entwicklung. Die Überlegungen zu einer "Logik der Unschärfe" reichen zurück in die griechische Antike. Bereits der Philosoph Platon postulierte, dass zwischen den Begriffen "wahr" und "falsch" ein dritter Bereich liege. Dies stand ganz im Gegensatz zu seinem Zeitgenossen Aristoteles, welcher die Präzision der Mathematik darin begründete, dass eine Aussage nur entweder "wahr" oder "falsch" sein kann. Bezüge zum modernen Begriff der Unschärfe hat auch der von Georg Wilhelm Friedrich Hegel geprägte Begriff der Gedoppelten Mitte. Die "Fuzzy-Set-Theorie", also die unscharfe Mengenlehre, wurde 1965 von Lotfi Zadeh an der University of California, Berkeley entwickelt. Die Fuzzy-Set-Theorie nahm in den 1980er Jahren vor allem in Japan ihren Aufschwung mit der sogenannten japanischen "Fuzzy-Welle". Die Fuzzy-Set-Theorie wurde als Fuzzy-Regler erfolgreich in industriellen Prozessen eingesetzt. Ein historisches Beispiel ist die Regelung der vollautomatischen U-Bahn Sendai, die erste erfolgreiche Großanwendung mit Fuzzylogik in der Praxis. Später fand die Fuzzylogik auch in Geräten der Unterhaltungselektronik breite Anwendung. Die europäische Fuzzy-Welle kam erst Mitte der 1990er Jahre, als die Grundsatzdiskussionen über die Fuzzylogik verebbten. Zu den deutschen Pionieren gehört Harro Kiendl. Fuzzy-Set-Theorie. Die Fuzzy-Set-Theorie ist von der mehrwertigen Logik zu unterscheiden, die in den 1920er Jahren von dem polnischen Logiker Jan Łukasiewicz beschrieben wurde. Im engeren Sinne kann die so genannte Fuzzylogik zwar als eine mehrwertige Logik gedeutet werden, und insofern gibt es eine gewisse Nähe zur mehrwertigen Logik, für deren Wahrheitswert einer logischen Aussage Zahlen aus dem reellen Einheitsintervall [0, 1] (die reellen Zahlen von 0 bis 1) verwendet werden. Allerdings fasst Lotfi Zadeh die Fuzzy-Set-Theorie als Formalisierung von unbestimmten Begriffsumfängen im Sinne einer referenziellen Semantik auf, was ihm erlaubt, die Unschärfe der Zugehörigkeit von Objekten als Elemente der zu definierenden Mengen graduell über numerische Werte zwischen 0 und 1 anzugeben. Damit eröffnete sich eine weitergehende, linguistische Interpretation der Fuzzy-Set-Theorie als Basis einer Logik der Unschärfe. Die Bezeichnung "Fuzzy Logic" wurde zunächst auch nicht von Zadeh, sondern erst später von dem ebenfalls in Berkeley lehrenden Linguisten George Lakoff benutzt, nachdem Joseph Goguen, ein Doktorand Zadehs, eine "Logik unscharfer Begriffe" eingeführt hatte. In der linguistischen Semantik wird heute die Fuzzylogik aber mehrheitlich als nicht geeignet angesehen, um ein Modell für Vagheit und ähnliche Phänomene der natürlichen Sprache zu liefern. Anstatt einer unbestimmten Aussage einen Wahrheitswert zuzuweisen, der eine reelle Zahl zwischen 0 (falsch) und 1 (wahr) ist, wird die Methode der Supervaluation bevorzugt, bei der die Zuweisung eines klassischen Wahrheitswertes (0;1) aufgeschoben ist, weil sie erst noch von einem Parameter abhängt, der durch Information aus dem Kontext belegt werden muss. Das zugrundeliegende Modell bezeichnet man als eine "partielle Logik" (die in einem klaren Gegensatz zu mehrwertigen Logiken steht). Unscharfe Mengen. Grundlage der Fuzzylogik sind die sogenannten "unscharfen Mengen" (engl.: "fuzzy sets"). Im Gegensatz zu traditionellen Mengen (im Kontext der Fuzzylogik auch "scharfe" Mengen genannt), in denen ein Element einer vorgegebenen Grundmenge entweder enthalten oder nicht enthalten ist, wird eine unscharfe (fuzzy) Menge nicht durch die Objekte definiert, die Elemente dieser Menge sind (oder nicht sind), sondern über den Grad ihrer Zugehörigkeit zu dieser Menge. Das geschieht durch Zugehörigkeitsfunktionen "μA: X →" [0,1], die jedem Element der Definitionsmenge "X" eine Zahl aus dem reellwertigen Intervall [0,1] der Zielmenge zuordnen, welche den Zugehörigkeitsgrad "μA(x)" jeden Elements "x" zur so definierten unscharfen Menge "A" angibt. Damit wird jedes Element zum Element jeder unscharfen Menge, aber mit jeweils unterschiedlichen, eine bestimmte Teilmenge definierenden Zugehörigkeitsgraden. Zadeh erklärte hierzu neue Mengenoperationen, die als Operationen eines neuen Logikkalküls die mehrwertige "Fuzzylogik" begründen und sie als eine Verallgemeinerung der zweiwertigen, klassischen Logik ausweisen, welche als Spezialfall in ihr enthalten ist. Diese Operationen auf unscharfen Mengen sind wie auf scharfen Mengen definierbar, wie z. B. die Bildung von Schnittmengen (UND), Vereinigungsmengen (ODER) und Komplementmengen (NICHT). Zur Modellierung der logischen Operatoren der Konjunktion (UND), der Disjunktion (ODER) und der Negation (NICHT) bedient man sich der Funktionsklassen der T-Norm und T-Conorm. Negation. Die Negation in der Fuzzylogik erfolgt durch Subtraktion der Eingabewerte von 1. Also NOT(A)=1-A Nicht ausschließende-ODER-Schaltung. Die Adjunktion erfolgt durch Wahl des jeweils höheren Wertes der Eingabewerte. Also OR(A;B)=A wenn A>B B wenn A<=B UND-Schaltung. Die Konjunktion erfolgt durch Wahl des jeweils niedrigeren Wertes der Eingabewerte. Also AND(A;B)=A wenn A<B B wenn A>=B Ausschließende-ODER-Schaltung. Für die Disjunktion komplementiert man den kleineren zweier Werte und wählt den kleineren der beiden. Für mehr als zwei Eingabewerte setzt man das Ergebnis der letzten Operation rekursiv mit dem jeweils nächsten Eingabewert ein. Einfacher: man nimmt die Differenz des weniger Extremen von dem ihm gegenüberliegenden Extremwert. Also XOR(A;B)=A wenn A>B und A<(1-B) 1-B wenn A>B und A>=(1-B) B wenn B>=A und B<(1-A) 1-A wenn B>=A und B>=(1-A) Fuzzyfunktionen. Zusammenfassungen einzelner Zugehörigkeitsfunktionen ergeben die "Fuzzyfunktionen". Ein Beispiel dafür ist eine Fuzzyfunktion für das Alter eines Menschen. Diese könnte aus mehreren dachförmigen Dreiecken bestehen, die ihrerseits für verschiedene Alterstypen stehen und Zugehörigkeitsfunktionen dieser einzelnen Alterstypen darstellen. Jedes Dreieck deckt einen Bereich von mehreren Jahren des Menschenalters ab. Ein Mensch mit 35 Jahren hätte so die Eigenschaften: "jung" mit der Wertung 0,75 (das ist noch relativ viel), "mittleres Alter" mit der Wertung 0,25 (das ist ein bisschen) und von den übrigen Funktionen nichts. Anders ausgedrückt: mit 35 ist man ziemlich viel "jung" und ein bisschen "mittel". Die Fuzzyfunktion ordnet jedem "Alterswert" eine ihn charakterisierende Zugehörigkeitsfunktion zu. In vielen Fällen werden Fuzzyfunktionen über Tabellen aus statistischen Erhebungen erzeugt. Diese können auch von der Anwendung selbst erhoben werden soweit eine Rückkopplung gegeben ist, wie in der Fahrstuhlsteuerung. Praktisch bedeutsam ist auch, die Erfahrungen und Intuitionen eines Experten auf dem jeweiligen Gebiet in eine Fuzzyfunktion mit einfließen zu lassen, insbesondere dann, wenn überhaupt keine statistischen Aussagen vorhanden sind, beispielsweise dann, wenn es sich um ein komplett neu zu beschreibendes System handelt. Diese Dreiecksgestalt ist allerdings keineswegs zwingend, generell können die Werte von Fuzzy-Funktionen beliebige Gestalt haben, solange deren Funktionswerte im Intervall [0,1] bleiben. In der Praxis werden solche Dreieckfunktionen aufgrund ihrer einfachen Berechenbarkeit jedoch gerne verwendet. Relativ weit verbreitet sind noch Trapeze (nicht notwendigerweise spiegelsymmetrisch), aber auch Halbkreise finden sich in einigen Anwendungen. Auch können sich prinzipiell mehr als zwei Abschnitte einer Fuzzy-Funktion überlappen (beim hier betrachteten Beispiel scheint das aber nicht sinnvoll zu sein). Beispiel für eine nicht-lineare Fuzzy-Funktion. Ein Beispiel für eine nicht-lineare Zugehörigkeitsfunktion bildet die folgende Sigmoidfunktion: formula_1 Die Kurve drückt durch die Form des Buchstabens S eine ansteigende Zugehörigkeit zu der jeweils beschriebenen Menge durch einen Wert im Wertebereich [0,1] aus. Je nach Anwendungsfall lässt sich eine abnehmende Zugehörigkeit durch eine entsprechende Z-Kurve ausdrücken: formula_2 Der Parameter a gibt hierbei den Wendepunkt der S-Kurve an, der Wert δ bestimmt die Neigung der Kurve. Je größer δ gewählt wird, desto flacher wird der Verlauf der resultierenden Funktion. Das Alter eines Menschen lässt sich mittels dieser Kurve wie folgt als Fuzzy-Funktion darstellen: Dabei können die umgangssprachliche Modifikatoren "sehr", "mehr oder weniger" sowie "nicht sehr" durch einfache Modifikation einer gegebenen Funktion dargestellt werden: Den Anwendungsfällen entsprechend handelt es sich bei dieser Form der Repräsentation um "linguistische Variablen". Letztlich wird aus den einzelnen gewichteten Aussagen ein einziger Zahlenwert berechnet, der das Alter in mathematischer Form auszudrücken vermag. Mit diesem Wert lässt sich dann präzise weiterarbeiten. Auch bei dieser so genannten Defuzzyfikation sind viele Verfahren möglich, das bekannteste (aber bei weitem nicht immer beste) ist sicherlich die Methode Center-of-Gravity, bei der der Zahlenwert gewichtet nach der "Masse" der geometrischen Form der einzelnen Abschnitte der Zugehörigkeitsfunktion gebildet wird. Eine andere Möglichkeit ist, einfach einen gewichteten Mittelwert der Funktionswerte zu bilden. Anwendungsbeispiele. Fuzzylogik wird heute in unterschiedlichen Bereichen eingesetzt: Eine wesentliche Anwendung sind Fuzzy-Regler, z. B. in der Automatisierungstechnik, Medizintechnik, Unterhaltungselektronik, Fahrzeugtechnik und anderen Bereichen der Regelungstechnik, in denen Fuzzy-Regler verstärkt mit konventionellen Reglern konkurrieren. Anwendung findet sie auch in der künstlichen Intelligenz, in Inferenzsystemen, in der Spracherkennung und zum Beispiel in der Elektrosicherheit. Nützen kann Fuzzylogik besonders dann, wenn keine mathematische Beschreibung eines Sachverhaltes oder Problems vorliegt, sondern nur eine verbale Beschreibung. Auch wenn – wie fast immer – das vorhandene Wissen Lücken aufweist oder teilweise veraltet ist, bietet sich der Einsatz von Fuzzylogik an, um noch zu einer fundierten Aussage über einen aktuellen oder künftigen Systemzustand zu gelangen. Dann wird aus sprachlich formulierten Sätzen und Regeln mittels Fuzzylogik eine mathematische Beschreibung gewonnen, die in Rechnersystemen genutzt werden kann. Interessant ist dabei, dass mit der Fuzzylogik auch dann Systeme sinnvoll gesteuert (bzw. geregelt) werden können, wenn ein mathematischer Zusammenhang zwischen den Ein- und Ausgabegrößen eines Systems nicht darstellbar ist – oder nur mit großem Aufwand erfolgen könnte, wodurch eine Automatisierung zu teuer oder nicht in Echtzeit realisierbar wäre. Dies ist häufig bei defekten oder ungenauen Sensoren der Fall, deren Funktion mit Fuzzylogik kompensiert werden kann. Weitere Anwendungen sind die Regelung von U-Bahnen, die Prognose der zukünftigen Last in Routern, Gateways oder Mobilfunk-Basisstationen, die Steuerung automatischer Getriebe in Automobilen, Alarmsysteme für die Anästhesie, Zwischenfrequenzfilter in Radios, Antiblockiersysteme für Automobile, Brandmeldetechnik, die Prognose des Energieverbrauchs bei Energieversorgern, AF-gekoppelte Mehrfeld-Belichtungsautomatiken und AF-Prädiktion in Spiegelreflexkameras, um einige zu nennen. Auch in betriebswirtschaftlichen Anwendungen hat Fuzzylogik erfolgreich Einzug gehalten. Ein Beispiel mit Erfolgsquote ist die "Intelligente Schadenprüfung" (ISP), mit der sich Versicherungsunternehmen vor Versicherungsbetrug schützen. Begriffsabgrenzung. Nicht zu verwechseln mit der Fuzzylogik ist die Fuzzy-Suche, die eine "unscharfe Suche" in Datenbanken ermöglicht, zum Beispiel, wenn die genaue Schreibweise eines Namens oder Begriffes nicht bekannt ist. Auch wenn die Zugehörigkeits-Werte aus dem Intervall [0,1] formal wie Wahrscheinlichkeitswerte aussehen, so ist Unschärfe etwas grundsätzlich anderes als Wahrscheinlichkeit. Vor allem ist zu beachten, dass die Summe der Werte zweier Funktionen, die sich überschneiden, nicht 1 sein muss. Sie kann gleich 1 sein, aber auch darüber oder darunter liegen. Weblinks. Software und Tools
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Frisches Haff
Das Frische Haff (, ) ist ein Haff der Ostsee, das im Norden zur russischen Oblast Kaliningrad und im Süden zu Polen gehört. Geographie. Das Frische Haff beginnt etwa 40 Kilometer östlich von Danzig bei Elbląg (dt. Elbing) in der historischen Region Westpreußen und erstreckt sich von dort aus 70 bis 80 Kilometer weit in nordöstlicher Richtung bis zur Stadt Primorsk (dt. Fischhausen) in der historischen Region Ostpreußen. Mit einer Fläche von 838 km² ist das Frische Haff etwa anderthalb mal so groß wie der Bodensee. Zu Polen gehören 328 km², zu Russland 510 km² des Haffs. Bei etwa 90 Kilometern Länge ist das Haff 7 bis 15 km breit und nur 3 bis 6 Meter tief (tiefste Stelle auf polnischem Gebiet: 4,40 Meter). Der 70 Kilometer lange und zwei Kilometer breite Festland-Streifen der Frischen Nehrung trennt das Haff von der Danziger Bucht. Der einzige Durchlass zwischen dem Haff und der Ostsee war jahrhundertelang das 380 m breite und 3–5 m tiefe Pillauer Tief beim (russischen) Baltijsk; ein 1,3 km langer Kanal durch die Frische Nehrung auf polnischer Seite wurde am 17. September 2022 eröffnet. In das Haff münden die Nogat, der Elbingfluss, die Passarge, der Frisching und der Pregel. Die bedeutendsten Städte am oder in unmittelbarer Nähe zum Frischen Haff sind Kaliningrad (Königsberg) und Baltijsk (dt. Pillau) in der russischen Oblast Kaliningrad sowie Elbląg in der polnischen Woiwodschaft Ermland-Masuren. Name. Zeitweise hieß das Haff auch „Friesisches Haff“. Die Bezeichnung stammt von den ersten deutschen Siedlern auf der Nehrung, den Friesen. Der Begriff wurde im Laufe der Zeit zu „Fries’sches Haff“ und später zu „Frisches Haff“. In dem Buch "Speculum Germaniae oder ein kurtzer geographischer Bericht von dem gesammten Teutschland" von 1676 wird die Lage von Fischhausen, Frauenburg oder Tolkemit am "frischen Haff" erwähnt. Meyers Großes Konversations-Lexikon von 1907 erwähnt den Frisching als Namensgeber. Auf heißt das Frische Haff Калининградский залив, "Kaliningradski saliw" (Kaliningrader Bucht) und auf "Zalew Wiślany" (Weichsel-Bucht). Geschichte. In den Jahren 1924 bis 1939 kam es zum epidemieartigen Auftreten einer Fischvergiftung im nördlichen Teil des Haffs, die heute weltweit als Haffkrankheit (engl. "Haff disease") bezeichnet wird. Bis 1945 gehörten das Frische Haff und die Frische Nehrung zum Deutschen Reich. Als die Rote Armee am Ende des Zweiten Weltkriegs nach Westen vordrang, schnitt sie zehntausenden ostpreußischen Flüchtlingen den Landweg ab, weshalb diese den Weg über das zugefrorene Frische Haff nahmen. Tausende erfroren, starben durch sowjetischen Maschinengewehrbeschuss oder auch durch Bombardierungen der Eisdecke. Nach Kriegsende wurde die südliche Hälfte Ostpreußens von der sowjetischen Besatzungsmacht gemäß dem Potsdamer Abkommen unter polnische Verwaltung gestellt. Quer durch das Frische Haff verläuft deshalb heute die Grenze zwischen der polnischen Woiwodschaft Ermland-Masuren und der russischen Exklave Kaliningrad. Weichselhaffkanal. Vergessen ist die Binnenwasserstraße über das Frische Haff durch den Weichselhaffkanal zur Weichsel. Unter Vermeidung des Seeweges über die Ostsee verband sie Königsberg mit Danzig. Er wurde 1845–50 erbaut und war 19,7 km lang bei 2,1 m mittlerer Tiefe. Noch in den 1930er Jahren war sie wichtig für die ausgedehnte Ziegelindustrie an der Haffküste und für den Obsthandel. Neue Seeverbindung. Am 17. September 2022 wurde der Kanal durch die Frische Nehrung auf polnischem Staatsgebiet eröffnet. Damit soll der Hafen von Elbląg reaktiviert werden, der darunter litt, dass bis dahin die einzige schiffbare Verbindung zur Ostsee, das Pillauer Tief, auf russischem Gebiet lag. Der neue Kanal verkürzt auch die Länge des Schiffswegs von Elbląg nach Danzig von rund 180 km auf ca. 77 km.
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Département Doubs
Doubs [], amtlich "Département du Doubs", ist das französische Département mit der Ordnungsnummer 25. Es liegt im Osten des Landes in der Region Bourgogne-Franche-Comté und ist nach dem Fluss Doubs benannt. Das Département bedeckt eine Fläche von 5234 km² und hat Einwohner (Stand ). Hauptstadt ist Besançon. Geographie. Das Département Doubs grenzt im Norden an das Département Haute-Saône, im äußersten Nordosten an das Territoire de Belfort, im Osten und Südosten an die Schweizer Kantone Jura, Neuenburg und Waadt sowie im Westen an das Département Jura. Bedeutendster Fluss im Département ist der namengebende Doubs. Dessen wichtigste Nebenflüsse sind die den Südwesten des Départements durchziehende Loue und der die östliche Region bewässernde Dessoubre. Nur der Norden, das Gebiet zwischen dem die Nordwestgrenze bildenden Ognon und dem Unterlauf des Doubs, stellt niedriges Hügelland dar, während der restliche, etwa vier Fünftel ausmachende Teil des Départements, insbesondere der Südosten, gebirgig ist und von vier Kalkketten des Jura durchzogen wird. Die Montagnes du Lomont bilden die niedrigste von diesen Ketten; sie liegen östlich von Baume-les-Dames, steigen bis 835 m an und weisen eine Ost-West-Ausrichtung auf. Tief im Süden des Départements nahe der Schweizer Grenze befindet sich dessen höchste Erhebung, der Mont d’Or (1463 m). Weitere hohe Berggipfel sind der Morond (1419 m) und der Gros Crêt (1419 m). Zu den größten Seen gehören der Lac de Saint-Point (4,2 km2), Lac de Remoray (0,95 km2) und Lac des Brenets (0,8 km2). Das Klima ist gemäßigt kontinental und regnerisch; es weist einen beträchtlichen Unterschied zwischen der Sommer- und Wintertemperatur auf. Geschichte. Auf dem Gebiet des heutigen Départements Doubs siedelten in der Antike die Sequaner. Diese wurden in den 50er Jahren v. Chr. von Gaius Iulius Caesar dem Römischen Reich unterworfen. Augustus vereinigte das Land mit Gallia Belgica. Bis zum 5. Jahrhundert stand es unter römischer Herrschaft, dann kam es unter die der Burgunden. Ab dem 11. Jahrhundert gehörte es zur Grafschaft Burgund und im Spätmittelalter den Herzögen von Burgund. Durch die Heirat der burgundischen Erbin Maria mit Maximilian von Habsburg fiel das Gebiet 1477 an die spanische Linie der Habsburger, die es im Frieden von Nimwegen 1678 Frankreich überlassen musste. Das Département Doubs wurde am 4. März 1790 aus Teilen der Freigrafschaft Burgund gebildet. 1796 trat das Haus Württemberg die Grafschaft Mömpelgard an Frankreich ab. Deren Gebiet gehörte bis 1800 zum Département Mont-Terrible, nach dessen Auflösung zum Département Haut-Rhin und schließlich ab 1814 zum Département Doubs. Nach dem Sieg der Alliierten in der Schlacht bei Waterloo war das Département Doubs von Juni 1815 bis November 1818 von österreichischen und Schweizer Truppen besetzt. Von 1960 bis 2015 gehörte das Département zur Region Franche-Comté, die 2016 in der Region "Bourgogne-Franche-Comté" aufging. Wappen. Beschreibung: Im Blau und Gold durch Wellenschnitt geteilten Wappen ist oben ein wachsender goldener Löwe mit Krone, roter Zunge und Krallen zwischen besäten goldenen Schindeln und unten ein blauer Wellenbalken. Städte. Die bevölkerungsreichsten Gemeinden des Départements Doubs sind: Verwaltungsgliederung. Das Département Doubs gliedert sich in 3 Arrondissements, 19 Kantone und 573 Gemeinden: "Siehe auch:"
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Funktion
Funktion (von lateinisch "functio" ‚Tätigkeit, Verrichtung‘) steht für: Siehe auch:
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Freie Demokratische Partei
Die Freie Demokratische Partei (Kurzbezeichnung: FDP, von 1968 bis 2001 F.D.P.; Eigenbezeichnung: Freie Demokraten, bis 2015 "Die Liberalen") ist eine liberale Partei in Deutschland, die im politischen Spektrum im Bereich Mitte bis Mitte-rechts eingeordnet wird. Die FDP war 1949 bis 1956, 1961 bis 1966, 1969 bis 1998, 2009 bis 2013 und ist seit 2021 als jeweils kleinerer Koalitionspartner an der Bundesregierung beteiligt (siehe Liste der deutschen Bundesregierungen). Seit 1949 ist sie als Fraktion der Freien Demokraten mit Ausnahme der 18. Legislaturperiode (2013–2017) durchgehend im Deutschen Bundestag vertreten. Sie ist in dreizehn deutschen Landesparlamenten vertreten und an zwei Landesregierungen beteiligt. Zudem stellt sie eine Reihe von Oberbürgermeistern (darunter in Dresden und Jena) und über 3000 weitere kommunale Mandatsträger. Auf Landesebene stellte die FDP bislang zwei Ministerpräsidenten (1945–1953 in Württemberg-Baden/Baden-Württemberg mit Reinhold Maier sowie Anfang 2020 für 27 Tage in Thüringen mit Thomas Kemmerich). Historische Vorläufer der FDP fallen in die Frühzeit der demokratischen Bewegung in Deutschland Anfang des 19. Jahrhunderts. Die unmittelbare Linie der Partei geht zurück auf die vor der Märzrevolution abgehaltene Heppenheimer Tagung vom 10. Oktober 1847 und die am 6. Juni 1861 gegründete Deutsche Fortschrittspartei, die erste deutschlandweite Partei. Das alljährliche Dreikönigstreffen der FDP am 6. Januar im Staatstheater Stuttgart geht auf die Tagung liberaler Volksvereine am Dreikönigstag 1866 in Stuttgart zurück. Die FDP wurde am 12. Dezember 1948 auf dem Gründungsparteitag in Heppenheim gegründet und wirkte im Anschluss entscheidend an der Ausgestaltung des freiheitlich demokratischen Grundgesetzes und der ersten Bundesregierung mit. Beim Vereinigungsparteitag am 12. August 1990 erfolgte der Zusammenschluss mit den ostdeutschen Verbänden. Inhaltliches Profil. Der inhaltliche Grundgedanke der FDP ist der Liberalismus, den sie seit jeher traditionell in Deutschland vertreten hat. Ihr fundamentales Ideal besteht somit in der Freiheit des Einzelnen, insbesondere vor staatlicher Gewalt. Dem Ideal der FDP liegt damit ein negativer Freiheitsbegriff zugrunde. Die Ausrichtung der FDP wird wie in einigen zweidimensionalen Modellen des politischen Spektrums vorkommend als nahezu durchgängig wirtschaftsliberal bzw. marktliberal beschrieben. Die gegenwärtigen Leitlinien der FDP sind in den "Karlsruher Freiheitsthesen" verankert. Diese wurden auf dem 63. Ordentlichen Bundesparteitag am 22. April 2012 in Karlsruhe beschlossen. Vorher galten die "Wiesbadener Grundsätze," die auf dem 48. Ordentlichen Bundesparteitag am 24. Mai 1997 in Wiesbaden beschlossen wurden. Wirtschaftspolitik. Eigenen Aussagen zufolge orientiert sich die Wirtschaftspolitik der FDP an einer liberalen und sozialen Marktwirtschaft. Sie fordert eine staatliche Ordnungspolitik, die dafür die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffe, aber den Markt nicht durch Interventionen verzerren solle. Zentrales Ziel ist die Schaffung von Arbeitsplätzen durch Verbesserung des Investitionsklimas. Erreicht werden soll dies unter anderem durch Bürokratieabbau, Privatisierungen, Deregulierung, Abbau von Subventionen und eine Reform des Tarifrechts. Entsprechend sprach sich im Bundestagswahlkampf 2021 Parteichef Christian Lindner für ein „Comeback“ der Angebotspolitik aus. In der Globalisierung sieht die Partei vor allem Chancen. Die Staatsverschuldung soll reduziert werden. Es wird ein ausgeglichener Haushalt ohne Neuverschuldungen angestrebt. In der Steuerpolitik wird ein einfacheres Steuerrecht gefordert. Das Modell der Einkommensteuer sieht einen Stufentarif vor. Langfristig wird eine sogenannte Flat Tax angestrebt. Durch Steuersenkungen soll die Kaufkraft der Arbeitnehmer erhöht und die Wirtschaft belebt werden. Die FDP lehnte im Bundestagswahlkampf 2013 den bundesweiten Mindestlohn ab. Die Partei wollte dagegen Lohnuntergrenzen einführen, die auf Besonderheiten der jeweiligen Regionen und Branchen Rücksicht nehmen. Sozialpolitik. In der Sozialpolitik wird die Einführung eines Bürgergeldes angestrebt, in dem alle steuerfinanzierten sozialen Hilfen des Staates unbürokratisch zusammengefasst werden. Dabei handelt es sich um ein Modell einer negativen Einkommensteuer. Es wäre wie die jetzige Regelung an eine Arbeitsverpflichtung gebunden. Zusätzlich fordert die Partei bessere Hinzuverdienstgrenzen für Sozialhilfeempfänger und will Einkommen von Jugendlichen aus Familien, welche Sozialhilfe beziehen, bis zur Höhe des Minijobs nicht mehr anrechnen. In der Rentenpolitik sieht die FDP aufgrund des demographischen Wandels akuten Handlungsbedarf. Hier schlägt sie vor, das umlagefinanzierte Rentensystem durch eine kapitalgedeckte Aktienrente nach dem Beispiel Schwedens zu ergänzen, um so mittelfristig zu einem steigenden Rentenniveau zu gelangen. Die Partei plädiert ebenfalls für einen flexiblen Renteneintritt ab 60 Jahren. Gesundheitspolitik. Im Bereich der Gesundheitspolitik spricht sich die FDP für einen Abbau bürokratischer Regulierungen aus. Die FDP schlägt eine Bepreisung von Bürokratie- und Berichtspflichten vor. Derjenige, der sie anfordert, soll sie auch bezahlen. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen und die Einführung robotischer Assistenzsysteme soll gefördert werden. Die Entwicklung der Digitalisierung soll internationale technische Standards berücksichtigen, um die Interoperabilität in der Zukunft zu gewährleisten. Die Freien Demokraten fordern eine Verbesserung der Investitionsfinanzierung von maximal versorgenden, sowie von kleineren, spezialisierten Krankenhäusern. Fehlanreize für eine Überversorgung im Krankenhausbereich sollen vermieden werden. Eine Ungleichbehandlung von privaten, öffentlichen und konfessionellen Trägern wird ebenso abgelehnt wie die Planungshoheit der gesetzlichen Krankenkassen für die Versorgungsstrukturen. Die körperliche Selbstbestimmung wird besonders hervorgehoben. So soll jeder Mensch auch im Rahmen medizinischer Behandlungen das Recht haben, frei über seinen Körper zu bestimmen. Ein liberales Sterbehilfegesetz wird gefordert. Auch sprechen sich die Freien Demokraten für die Gleichberechtigung Homosexueller und Transsexueller bei der Blutspende aus. Die FDP ist dagegen, dass homosexuelle Männer generell für einen längeren Zeitraum auf die Blutspende warten müssen als heterosexuelle Männer und will dementsprechend das generelle Blutspendeverbot bei homosexuellen Männern beenden. Im Bereiche der Fortpflanzungsmedizin fordert die FDP, dass der Zugang zur künstlichen Befruchtung sehr stark vereinfacht werden soll. So wird von den Freien Demokraten eine Legalisierung der Eizellenspende befürwortet. Auch will die FDP die Finanzierung von Kinderwunschbehandlungen deutlich stärken und die Unterstützungsangebote bei den Erfüllungen von Kinderwünschen viel umfassender ausbauen. Unter anderem soll die Kryokonservierung (etwa zum Zweck des „Social Freezing“) gefördert werden und die Altersbegrenzung (derzeit zwischen 25 und 40 Jahren) soll an die „Lebenswirklichkeit in Deutschland“ angepasst werden. Ebenso spricht sich die FDP dafür aus, dass geschlechtsangleichende Operationen an intersexuellen Kindern ohne medizinische Notwendigkeit strengstens verboten sein müssen. Auch setzt sich die FDP für ein Verbot von Konversionstherapien in Bezug auf die Abänderungen der sexuellen Orientierungen ein. Ferner strebt die FDP eine kontrollierte Freigabe von Marihuana an. Die FDP will die Freigabe von Tetrahydrocannabinol-haltigen Hanfblüten für Erwachsene in Apotheken nach gesundheitlicher Aufklärung für den Eigenbedarf zugänglich machen. Gesellschaftspolitik. Ein gemeinsamer Nenner der Freien Demokraten ist die kritische Einstellung zu einer Übermacht des Staates und zu konservativen oder egalitären Gesellschaftsentwürfen. Nach dem Motto „So viel Staat wie nötig, so wenig Staat wie möglich!“ versucht die FDP, die Eingriffe des Staates in das Leben des Einzelnen so weit wie möglich zu beschränken. Daher lehnt sie auch alle Elemente eines Überwachungsstaates ab. Verbindendes Element ist für sie der Gedanke der „Schaffung und Wahrung der Freiheit des Einzelnen“. So trug sie nahezu alle gesellschaftlichen Liberalisierungen mit, die in der Bundesrepublik realisiert wurden. Familienpolitik. Die FDP setzt sich für die rechtliche Gleichstellung verschiedener Formen des Zusammenlebens ein. Die Ehe zwischen Mann und Frau dürfe gegenüber anderen Formen des Zusammenlebens nicht bevorzugt werden. Gleichgeschlechtliche Paare sollen die gleichen Rechte wie heterosexuelle Paare erhalten. Beispielsweise befürwortet die FDP das Recht auf die Simultanadoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare. So setzt sich die FDP auch dafür ein, dass zum Beispiel im Falle einer Sukzessivadoption durch ein rein weibliches Elternpaar die Frau der leiblichen Mutter ohne Eignungsnachweis als zweiter Elternteil anerkannt werden können muss. Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare wurde unterstützt. Das Ehegattensplitting soll beibehalten werden. Der Ausbau von Kindergartenplätzen soll bundesweit verstärkt werden. Innenpolitik. Die FDP spricht sich u. a. gegen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung von Verbindungsdaten bei Telefon und Internet aus. Umstritten war auch der „Große Lauschangriff“: 1995 führte die FDP dazu eine Urabstimmung durch, bei der sich eine Mehrheit von 63,6 Prozent für die Möglichkeit aussprach, nach Zustimmung eines Richters eine Privatwohnung abhören zu lassen. Als Reaktion auf das Ergebnis trat die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) von ihrem Amt zurück. Als 1998 der Bundestag das betreffende Gesetz verabschiedete, erhoben einige prominente FDP-Mitglieder aus dem linksliberalen Flügel der Partei teilweise erfolgreich Verfassungsbeschwerde. Der Bundesparteitag im Mai 2005 in Köln hat inzwischen wieder die Abschaffung des Großen Lauschangriffs gefordert. Der Bundesvorstand der FDP sprach sich in seiner Sitzung am 12. Dezember 2006 außerdem gegen die Möglichkeit zu Online-Durchsuchungen aus, da diese einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellten. Die Freien Demokraten stehen einer Verschärfung der Strafgesetze kritisch gegenüber. Das jetzige Recht reiche aus, um die innere Sicherheit zu gewährleisten. Sie fordert stattdessen die Einstellung von mehr Polizeibeamten, Richtern und Staatsanwälten, um die Sicherheit zu erhöhen und die Gerichtsverfahren zu beschleunigen. Außerdem wird eine bessere Resozialisierung insbesondere für jugendliche Straftäter gefordert. Die FDP fordert zudem, dass eine doppelte Staatsbürgerschaft zukünftig problemlos möglich sein soll. Bildungspolitik. Ein Ziel der FDP ist die vorschulische Förderung der Kinder. So soll es ab dem vierten Lebensjahr verbindliche Sprachtests geben, um mögliche sprachliche Schwächen, z. B. von Kindern mit Migrationshintergrund, zu erkennen und diese rechtzeitig vor der Schule in einer sogenannten Startklasse trainieren zu können. Kinderbetreuung soll entsprechend dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, halbtags zwischen dem dritten Lebensjahr und der Einschulung (oder der Startklasse), für Kinder und Eltern kostenlos sein. Schon in der ersten Klasse soll spielerisch mit Fremdsprachenunterricht als festem Bestandteil des Unterrichtplans begonnen werden. Außerdem stehen die Freien Demokraten zum gegliederten Schulsystem und lehnen eine Einheitsschule ab, da sie ihrer Meinung nach zu wenig leistungsorientiert und individuelle Förderung nicht ausreichend gewährleistet sei. In Regionen mit besonderen sozialen und regionalen Herausforderungen fordert die FDP Talentschulen. So soll ein Ausgleich der sozialen Nachteile im Sinne der Chancengerechtigkeit stattfinden. Zudem fordert die FDP stärkere Autonomie für Schulen und möchte künftig 1 Prozent des Mehrwertsteueraufkommens zusätzlich in Bildung investieren. Zusammen mit weiteren Bundestagsfraktionen hat die FDP das im Grundgesetz verankerte Kooperationsverbot gelockert. Seitdem ist es dem Bund erlaubt, sowohl Investitionen in die Infrastruktur als auch in qualitätsfördernde Maßnahmen von Bildung zu tätigen. Die FDP tritt für nachlaufende Studiengebühren zur Finanzierung der Hochschulen ein. Das bedeutet, dass der betroffene Student vor allem nach dem Absolvieren des Studienfachs die Studiengebühren bezahlen soll. Außerdem fordert sie, forschungsfeindliche Gesetze und Verordnungen zu ändern oder abzuschaffen, um damit den Forschungsstandort und die Freiheit von Forschung und Lehre Deutschland zu sichern. Die Stammzellenforschung soll gefördert werden. Im Bereiche des schulischen Unterrichts will die FDP mit Hilfe einer naturwissenschaftlich technischen Bildungsoffensive verstärkt die Kompetenzen von Grundschülern und Gymnasiasten in den MINT-Fächern fördern. Außerdem spricht sich die FDP gegen die in Berliner und Brandenburger Grundschulen und in fünften und sechsten Klassen der Gymnasien geplante Zusammenlegung der Fächer Politische Bildung, Erdkunde und Geschichte aus. Auch fordert die FDP nach der Einführung von mehr Aufstiegsscouts an weiterführenden Schulen. Ebenso beabsichtigt die FDP, dass auf die Wissensvermittlung an weiterführenden Schulen wieder ein größerer Schwerpunkt gelegt werden soll. Medienpolitik. Der Umfang des öffentlich rechtlichen Rundfunk und die Rundfunkbeiträge sollen nach dem Konzept der FDP reduziert werden. Diese Position stößt auf Kritik etwa von Seiten des Deutschen Journalisten-Verbandes, der darin eine „populistische“ Forderung sieht. Die FDP will Computerspiele als Kulturgut stärker fördern. In einem FDP-Antrag aus dem Oktober des Jahres 2019 werden Computerspiele als "Treiber für Innovation und Kreativität" von der FDP bezeichnet. Ebenso setzt sich die FDP dafür ein, dass E-Sports als Sport anerkannt werden. Europapolitik. Die FDP bezeichnet sich selbst als "die" Europapartei. Sie will eine politisch integrierte Europäische Union mit gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik. Über den Vertrag von Lissabon hätte nach FDP-Sicht in einer Volksabstimmung entschieden werden sollen. Sie tritt für eine politisch handlungsfähige Union ein. Ein Beitritt der Türkei zur EU wird abgelehnt, stattdessen treten die Liberalen für enge Beziehungen im Rahmen der Militär- und Wirtschaftspolitik ein. Die Vertiefung der EU habe Vorrang vor der Erweiterung. Die Partei befürwortet außerdem das transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) mit den USA. Klima- und Energiepolitik. Die Bekämpfung des Klimawandels ist laut Partei Menschheitsaufgabe. In der Umweltpolitik fordert die FDP ein strenges CO2-Limit über den Emissionsrechtehandel. Der Handel mit Emissionsrechten soll dabei auf alle emittierenden Sektoren ausgeweitet werden, die Anzahl der ausgegebenen Zertifikate jährlich sinken. Über eine jährlich an die Bürger auszuzahlende Klimadividende will die Partei Klimaschutz zudem sozial verträglich gestalten. In der Energiepolitik fordert die Partei Versorgungssicherheit sowie den marktwirtschaftlichen Ausbau erneuerbarer Energien. Der schnelle Ausstieg aus der Kernenergie wurde lange kritisch gesehen. Seit den Ereignissen im Kernkraftwerk Fukushima gab es eine parteiinterne Diskussion um einen beschleunigten Ausstieg aus der Kernenergie; inzwischen wird dieser genauso wie der mittelfristige Umstieg auf erneuerbare Energien unterstützt. Die FDP beschäftigt seit 2018 einen Referenten für Umwelt- und Klimapolitik, welcher 2019 sagte, dass er nicht davon ausgehe, „dass wir eine Klimakrise oder einen Klimanotstand haben“. Das Problem sei hingegen, dass die Politik von Aktivisten getrieben würde. Zu Studien zu den Folgen der globalen Erwärmung sagte er: „So wie ich die Studien lese, werden wir selbst in den Worst-Case-Szenarien in einer Welt mit viel mehr Wohlstand leben.“ Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf nennt diese und weitere Aussagen „Ladenhüter aus der Klimaskeptikerszene“. 2013 trat der Referent bei einer Veranstaltung neben Fred Singer auf einer Veranstaltung der Lobbyorganisation EIKE auf. Die FDP beauftragte Alexander Eisenkopf und Andreas Knorr mit einem Gutachten zum Tempolimit, welches 2023 veröffentlicht wurde. Beide Autoren sind dafür bekannt, Zweifel am menschengemachten Klimawandel in Veröffentlichungen zu suggerieren, und verwenden als Quellen auch EIKE und Gerd Ganteför. Innerhalb der Partei vertraten außerdem Frank Schäffler, Nicola Beer und Rainer Brüderle offen klimaskeptische Positionen (siehe auch Klimawandelleugnung in Deutschland). Verkehrspolitik. Die FDP spricht sich dafür aus, Verkehrswege weiter auszubauen und die dafür erforderlichen Haushaltsmittel bereitzustellen. Eine staatlich verordnete "Verkehrswende" weg vom Verbrennungsmotor hin zur Elektromobilität lehnt die Partei derzeit ab. Auch ein generelles Tempolimit auf Autobahnen oder eine Absenkung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten wird abgelehnt. Außenpolitik. Die FDP steht Bundeswehreinsätzen kritisch gegenüber und sieht sie lediglich als Ultima Ratio – und nur mit einem UN-Mandat – für gerechtfertigt an. Die Bundeswehr soll ein starker NATO-Partner sowie eine Parlaments- und Berufsarmee sein. Unter anderem deshalb setzten die Freien Demokraten die Aussetzung der Wehrpflicht durch. Zukünftig strebt die FDP den Aufbau einer Europäischen Armee unter gemeinsamen Oberbefehl und parlamentarischer Kontrolle an. International fordert die FDP eine entschiedenere Durchsetzung und Förderung der Menschen- und Freiheitsrechte, die weitere Vorantreibung von Abrüstungsbemühungen sowie eine Reform der Vereinten Nationen. Die von der Kommunistischen Partei Chinas vorangetriebene Politik in Hongkong kritisierte die Partei als Völkerrechtsbruch. Um Verstöße gegen Menschen- und Völkerrecht zu sanktionieren, setzt sich die Partei unter anderem für einen personenbezogenen Sanktionsmechanismus nach Vorbild des Magnitsky Acts ein. Einwanderungs- und Asylpolitik. In der Zuwanderungspolitik fordern die Freien Demokraten eine klare Trennung von Einwanderung und Asyl bzw. Flucht, wobei über ein neu zu schaffendes Einwanderungsgesetz qualifizierte Einwanderung erleichtert und beim humanitären Schutz schnellere und klarere Verfahren geschaffen werden sollen: So soll etwa ein neuer, temporärer Schutzstatus für Bürgerkriegsflüchtlinge geschaffen werden. Die Arbeitserlaubnispflicht von Asylbewerbern soll ebenso wie die als ungerechtfertigten Freiheitseingriff angesehene Residenzpflicht für Flüchtlinge abgeschafft werden. Weiterhin fordert die FDP, dass die Kommunen entlastet werden und der Bund mehr Kosten übernimmt. Mittelfristig soll ein gemeinsames EU-Asylrecht mit einem europäischen Quotensystem geschaffen werden, welches Asylbewerber auf die Mitgliedsstaaten verteilt. Flüchtlingen soll bereits in ihren Herkunftsländern geholfen werden, indem in den betroffenen Ländern Hilfe vor Ort geleistet wird (Fluchtursachenbekämpfung). Für akut bedrohte Menschen soll ein humanitäres Visum eingeführt und die Asyl-Antragstellung im Ausland ermöglicht werden, um ihnen eine lebensgefährliche Flucht zu ersparen. Die Westbalkanstaaten sollen zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden, um den Andrang aus diesen Staaten einzudämmen. Bezüglich der Einwanderung von Fachkräften setzt sich die FDP dafür ein, „die Regelungen für die Fachkräftezuwanderung stark zu vereinfachen“, beispielsweise die Mindestverdienstgrenze massiv abzusenken und bereits nach zwei Jahren den Anspruch auf eine Niederlassungserlaubnis (ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht) bei Nachweis von Sprachkenntnissen zu begründen. Geschichte. Der Liberalismus ist die älteste der modernen politischen Bewegungen. Er entstammt der Epoche der Aufklärung. Die „Freie Demokratische Partei“ (FDP) steht in der Tradition des klassischen Liberalismus, sie ist als politisch-liberale Wiedergründung der Nachkriegszeit in den drei westlichen Besatzungszonen der sozialen Marktwirtschaft verbunden. Die Partei wurde 1948 von ehemaligen Mitgliedern der DDP und der DVP gegründet. Die LDPD und die NDPD, als ehemalige DDR-Blockparteien, sowie die DFP und die F.D.P. der DDR, welche der Bürgerbewegung in der DDR entstammten, gingen 1990 in der gesamtdeutschen FDP auf. Das traditionelle Dreikönigstreffen der FDP am 6. Januar im Staatstheater Stuttgart geht auf die erste Landesvertretertagung der Volksvereine der württembergischen Demokratischen Volkspartei (DVP) von 1866 zurück. Am 6. Januar 1946 wurde die DVP in Stuttgart erneut gegründet. Nach einer zwölfjährigen Zwangsunterbrechung während des Nationalsozialismus nahm sie damit die Tradition des Dreikönigstreffens wieder auf und beteiligte sich 1948 an der Gründung der FDP. Heute ist das Dreikönigstreffen der FDP eine Großveranstaltung mit bundespolitischer Bedeutung. Die FDP trug bis 15. Juni 2014 von allen Parteien am längsten Regierungsverantwortung in der Bundesrepublik Deutschland, nämlich insgesamt 46 Jahre, jedoch immer als kleinerer der Koalitionspartner. In der Opposition war sie nur von 1956 bis 1961, von 1966 bis 1969 und von 1998 bis 2009. Sie stellte acht Vizekanzler in insgesamt 15 verschiedenen Kabinetten sowie mit Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher, Klaus Kinkel und Guido Westerwelle vier deutsche Außenminister. Weitere klassische FDP-Ministerressorts sind Justiz und Wirtschaft. Mit Theodor Heuss (1949–1959) und Walter Scheel (1974–1979) stellte sie zudem bisher zwei Bundespräsidenten. Das bisher beste Wahlergebnis bei Bundestagswahlen erzielte sie 2009 mit Guido Westerwelle als Spitzenkandidat. Bei den darauf folgenden Bundestagswahlen konnte die FDP die Fünf-Prozent-Hürde nicht überwinden, was den erstmaligen Nichteinzug der FDP in den Bundestag für eine Legislaturperiode bedeutete. Ein Archiv an Programmen und zeitgeschichtlich bedeutenden Dokumenten auf Europa-, Bundes- und Landesebene, die die deutschen Liberalen seit 1945 hervorgebracht haben, findet sich auf der Website der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Wurzeln des Liberalismus. Die liberale Bewegung setzte sich am Anfang des 19. Jahrhunderts im Zuge der Aufklärung für mehr Rechte der unteren Schichten und die nationale Einigung ein. Liberale Gruppen, die zum großen Teil aus Studenten und anderen Intellektuellen bestanden, protestierten für „Einheit und Freiheit“. Darauf folgten Gegenmaßnahmen der reaktionären Kräfte Deutschlands, besonders durch Kanzler Metternich, den die liberale Märzrevolution im Jahr 1848 zum Rücktritt zwang. Ab 1849 jedoch war die Revolution mangels Strukturen und Organisation im Lager der Liberalen erschöpft und die Monarchie setzte sich wieder durch, wenn auch das liberale Gedankengut fest verwurzelt blieb und zum Beispiel dem preußischen König bei der Durchführung seiner Politik bis zu Bismarcks Einspringen Probleme bereitete. Die 1861 gegründete Deutsche Fortschrittspartei war die erste Partei im modernen Sinne, mit einem Parteiprogramm und klaren politischen Zielen. Ihr rechter Flügel spaltete sich 1867 ab und bildete fortan die Nationalliberale Partei, während sich der verbliebene linke Flügel zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs mehrfach umbenannte und neu formierte. Zusammen mit der Liberalen Vereinigung, einer Abspaltung am linken Rand der Nationalliberalen, schloss sich die Fortschrittspartei 1884 zur Deutschen Freisinnigen Partei zusammen. Die Fusion endete 1893, als sich die Freisinnigen wieder in zwei eigenständige Parteien, die Freisinnige Volkspartei und die Freisinnige Vereinigung, spalteten. Beide Parteiengruppen gingen 1910 unter Einschluss der Deutschen Volkspartei in der Fortschrittlichen Volkspartei auf. In der Weimarer Republik knüpften die nationalliberale Deutsche Volkspartei und die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (ab 1930 Deutsche Staatspartei) an die Vorgängerorganisationen aus der Kaiserzeit an. Ihre Mitglieder waren später maßgeblich an den Gründungen der liberalen Parteien in der Nachkriegszeit beteiligt. Liberale Parteien nach 1945. Bald nach Kriegsende forcierte die Sowjetische Militäradministration die Gründung von Parteien. Daraufhin riefen Anfang Juli 1945 die ehemaligen DDP-Mitglieder Wilhelm Külz, Eugen Schiffer sowie dessen Schwiegersohn Waldemar Koch zur Gründung der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDP) als gesamtdeutscher Organisation auf, die jedoch aufgrund der zögerlichen Genehmigung in den drei Westzonen lediglich in der Ostzone konstituiert wurde. Im Oktober 1946 erreichten die Liberaldemokraten bei den einzigen freien Landtagswahlen in den sowjetisch besetzten Gebieten zwischen 7,8 Prozent in Groß-Berlin (Ost) und 29,9 Prozent in Sachsen-Anhalt, wo sie mit Erhard Hübener sogar den einzigen nichtkommunistischen Ministerpräsidenten stellten. Die LDP musste sich jedoch als „Blockpartei“ bald dem Führungsanspruch der SED unterordnen und konnte dementsprechend keine eigenständige Politik mehr betreiben. Unterdessen gründete sich im September 1945 in Hamburg die Partei Freier Demokraten (PFD) als bürgerliche Linkspartei und erste liberale Partei in den Westzonen. Im Oktober 1946 erreichte die nunmehr FDP genannte Partei bei den ersten Hamburgischen Bürgerschaftswahlen 18,2 Prozent. Des Weiteren wurde im Januar 1946 im Südwesten die Demokratische Volkspartei (DVP) wiederbegründet, die 1946/47 bei den ersten württemberg-badischen bzw. württemberg-hohenzollerischen Landtagswahlen ähnlich stark abschnitt. Auch in den übrigen Ländern erfolgten Neugründungen liberaler Parteien. Unter anderem erzielte die FDP Hessen, die bei ihrer Gründung im Dezember 1945 noch als "Liberaldemokratische Partei" firmiert hatte, durch eine Listenverbindung mit den Heimatvertriebenen, die seinerzeit noch nicht eigenständig kandidieren durften, im November 1950 bei den hessischen Landtagswahlen mit 31,8 Prozent das beste Landtagswahlergebnis ihrer Geschichte. In den Zonen und Ländern traten die Liberalen zunächst teilweise unter verschiedenen Namen auf: Am 17. März 1947 wurde in Rothenburg ob der Tauber die Demokratische Partei Deutschlands (DPD) als gesamtdeutsche Partei gegründet. Als gleichberechtigte Vorsitzende wählten die Delegierten Theodor Heuss (DVP) und Wilhelm Külz (LDP). Die Geschäftsstellen der Partei wurden in Frankfurt am Main, als Sitz der Bizonenverwaltung, und Berlin, als Sitz der Ostzonenverwaltung, eingerichtet. Aufgrund von Auseinandersetzungen wegen des konzilianten politischen Kurses von Külz gegenüber den sowjetischen Militärbehörden konnte sich dieses Projekt jedoch nicht dauerhaft etablieren. Im Januar 1948 fand die letzte Gesamtvorstandssitzung statt, eine formale Auflösung erfolgte nicht. Parteigründung. Die FDP wurde auf dem Gründungsparteitag am 11./12. Dezember 1948 in Heppenheim an der Bergstraße als ein Zusammenschluss aller 13 liberalen Landesverbände der drei westlichen Besatzungszonen ins Leben gerufen. Der Name "Liberaldemokratische Partei" konnte sich dabei nicht durchsetzen, der Name "Freie Demokratische Partei" wurde von den Delegierten der Landesverbände mit 64 gegen 25 Stimmen gebilligt. Erster Vorsitzender war Theodor Heuss, dessen Stellvertreter Franz Blücher. Der Ort der Parteigründung war mit Bedacht gewählt worden, denn am 10. Oktober 1847 hatte hier mit der Heppenheimer Versammlung ein Treffen führender süd- und westdeutscher Liberaler stattgefunden, das den Auftakt zur deutschen Revolution 1848/49 bilden sollte. Bis in die 1950er Jahre hinein standen einige Landesverbände der FDP rechts von den Unionsparteien, die ihrerseits anfänglich noch Konzepten eines christlichen Sozialismus nachhingen. Mit national orientierten Grundwerten wurde um Stimmen auch ehemaliger Nationalsozialisten und Beamter des NS-Staates geworben. So ist es dann für die damalige Einordnung bezeichnend, dass die FDP im Deutschen Bundestag stets „rechts außen“ zu finden war, indem ihr die Plätze rechts von der Union zugewiesen werden. 1949–1969: Wiederaufbau Deutschlands. Bei den ersten Wahlen zum Bundestag am 14. August 1949 errang die FDP einen Stimmenanteil von 11,9 Prozent (bei 12 Direktmandaten, vor allem in Württemberg-Baden und Hessen) und erhielt somit 52 von 402 Sitzen. Im September desselben Jahres wurde der FDP-Vorsitzende Theodor Heuss zum ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Bei seiner Wiederwahl 1954 erhielt er mit 871 von 1.018 Stimmen (85,6 Prozent) der Bundesversammlung das bis heute beste Wahlergebnis eines Bundespräsidenten. Zugleich wurde Adenauer auf Vorschlag des neuen Bundespräsidenten mit äußerst knapper Mehrheit zum ersten Bundeskanzler gewählt. Die FDP beteiligte sich mit CDU/CSU und DP an Adenauers Koalitionskabinett und stellte mit Franz Blücher (Vizekanzler, Minister für Angelegenheiten des Marshallplanes), Thomas Dehler (Justiz) und Eberhard Wildermuth (Wohnungsbau) drei Minister. In den bedeutendsten Fragen der Wirtschafts-, Sozial- und Deutschlandpolitik stimmte die FDP mit ihren Koalitionspartnern CDU/CSU überein. Allerdings empfahl sich die FDP den bürgerlichen Wählern als laizistische Partei, die die Konfessionsschulen ablehnte und den Unionsparteien Klerikalisierung vorwarf. Die FDP bekannte sich auch als konsequente Vertreterin der Marktwirtschaft, während die CDU damals nominell vom "Ahlener Programm" geprägt war, das einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus erlaubte; Ludwig Erhard, der „Vater“ der sozialen Marktwirtschaft, hatte seine Anhänger in den ersten Jahren der Bundesrepublik eher in der FDP als in der Union. Auf ihrem Bundesparteitag 1951 in München verlangte sie die Freilassung aller „so genannten Kriegsverbrecher“ und begrüßte die Gründung des Verbands deutscher Soldaten aus ehemaligen Wehrmachts- und SS-Angehörigen, um die Integration der nationalistischen Kräfte in die Demokratie voranzubringen. Die nach Werner Naumann benannte Naumann-Affäre (1953) kennzeichnet den Versuch alter Nationalsozialisten, die Partei zu unterwandern, die in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen viele rechtskonservative und nationalistische Mitglieder hatte. Nachdem die britischen Besatzungsbehörden sieben prominente Vertreter des Naumann-Kreises verhaftet hatten, setzte der FDP-Bundesvorstand eine Untersuchungskommission unter dem Vorsitz von Thomas Dehler ein, die insbesondere die Zustände in der nordrhein-westfälischen FDP scharf rügte. In den folgenden Jahren verlor der rechte Flügel an Kraft, die extreme Rechte suchte sich zunehmend Betätigungsfelder außerhalb der FDP. Bei der Bundestagswahl 1953 erhielt die FDP 9,5 Prozent der Zweitstimmen, 10,8 Prozent der Erststimmen (bei 14 Direktmandaten, vor allem in Hamburg, Niedersachsen, Hessen, Württemberg und Oberfranken) und 48 von 487 Mandaten. In der zweiten Legislaturperiode des Bundestages gewannen Kräfte der süddeutschen Liberaldemokratie in der Partei an Einfluss. Mit Thomas Dehler übernahm ein Vertreter eines eher linksliberalen Kurses den Partei- und Fraktionsvorsitz. Der ehemalige Justizminister Dehler, der nach 1933 unter der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu leiden hatte, wurde bekannt durch seine rhetorische Schärfe. Generell waren die verschiedenen Landesverbände sehr eigenständig und setzten so von Land zu Land unterschiedliche Akzente innerhalb der liberalen Politik. Nachdem die FDP Anfang 1956 die Koalition mit der CDU in Nordrhein-Westfalen verlassen und mit SPD und Zentrum eine neue Landesregierung gebildet hatte, traten insgesamt 16 Bundestagsabgeordnete, darunter die vier Bundesminister, aus der FDP aus und gründeten die kurzlebige Freie Volkspartei, die dann bis zum Ende der Legislaturperiode anstelle der FDP an der Bundesregierung beteiligt war. Die FDP ging damit erstmals in die Opposition. Als einzige der kleineren Nachkriegsparteien überlebte die FDP trotz vieler Probleme. 1957 erreichte sie noch 7,7 Prozent der Stimmen und ihr bis 1990 letztes Direktmandat, womit sie im Bundestag 41 von 497 Sitzen innehatte. Allerdings blieb sie trotzdem in der Opposition, weil die Union die absolute Mehrheit errang. Im Folgenden setzte sich die FDP beispielsweise für eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa ein. Bereits vor der Wahl war Dehler als Parteivorsitzender abgetreten. Auf dem Bundesparteitag in Berlin Ende Januar 1957 löste ihn Reinhold Maier ab. Dehlers Funktion als Fraktionsvorsitzender übernahm nach der Bundestagswahl der sehr national eingestellte Erich Mende. 1960 wurde Mende auch Parteivorsitzender. Nach der Bundestagswahl 1961 (bei der sie mit 12,8 Prozent ihr bis dahin bestes bundesweites Ergebnis erzielte) beteiligte sich die FDP nach schwierigen Verhandlungen wiederum an einer Koalition mit der CDU. Obwohl sich vor der Wahl darauf geeinigt wurde, auf keinen Fall weiterhin zusammen mit Adenauer in einer Regierung zu sitzen, wurde Adenauer erneut Kanzler, jedoch unter der Maßgabe, nach zwei Jahren zurückzutreten. Diese Ereignisse brachten der FDP den Spottnamen der „Umfallerpartei“ ein. In der Spiegel-Affäre zog die FDP ihre Minister aus der Bundesregierung ab. Zwar wurde die Koalition unter Adenauer 1962 noch einmal erneuert, doch unter der Bedingung, im Oktober 1963 zurückzutreten. Das trat auch ein, neuer Kanzler wurde Ludwig Erhard. Dies war für Erich Mende wiederum der Anlass, ins Kabinett einzutreten: Er übernahm das eher unbedeutende Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen. Bei der Bundestagswahl 1965 erlangte die FDP 9,5 Prozent. Die Koalition mit der CDU zerbrach 1966 am Thema Steuererhöhungen, und es folgte eine Große Koalition zwischen CDU und SPD. In der Opposition bahnte sich auch ein Kurswechsel an: Die bisherige Außenpolitik und auch die Haltung zu den Ostgebieten wurden diskutiert. Zum neuen Vorsitzenden wählten die Delegierten 1968 Walter Scheel, einen europäisch ausgerichteten Liberalen, der zwar aus dem nationalliberalen Lager kam, aber mit Willi Weyer und Hans-Dietrich Genscher die neue Mitte der Partei anführte. Diese Mitte bemühte sich darum, die FDP koalitionsfähig mit beiden Großparteien zu machen. Dabei näherten sich die Liberalen durch ihre Neuorientierung in der Ost- und Deutschlandpolitik besonders der SPD an. 1969–1982: Zeit in der sozialliberalen Koalition. Nach der Bundestagswahl 1969 begann am 21. Oktober die Periode einer sozialliberalen Koalition mit der SPD und dem Bundeskanzler Willy Brandt. Walter Scheel war es, der die außenpolitische Wende einleitete. Trotz einer sehr knappen Mehrheit setzten er und Willy Brandt die umstrittene Neue Ostpolitik durch. Diese Politik war innerhalb der FDP durchaus umstritten, zumal dem Eintritt in die Bundesregierung Niederlagen bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und dem Saarland am 14. Juni 1970 folgten. In Hannover und Saarbrücken schied die Partei aus dem Landtag aus. Nachdem der Bundesparteitag in Bonn nur eine Woche später die Politik der Parteiführung gestützt und Scheel im Amt bestätigt hatte, gründeten Parteirechte um Siegfried Zoglmann am 11. Juli 1970 auf der Hohensyburg einen „überparteilichen“ Verein namens Nationalliberale Aktion mit dem Ziel, den linksliberalen Kurs der Partei zu beenden und Scheel zu stürzen. Dies gelang jedoch nicht. Zoglmann unterstützte im Oktober 1970 einen Missbilligungsantrag der Opposition gegen Finanzminister Alex Möller; Erich Mende und Heinz Starke verfuhren ebenso. Wenig später erklärten alle drei ihren Austritt aus der FDP; Mende und Starke traten der CDU bei, Zoglmann gründete später die Deutsche Union, die über den Status einer Splitterpartei nicht hinauskam. Die außenpolitische sowie die gesellschaftspolitische Wende wurden 1971 durch die Freiburger Thesen, die als Rowohlt-Taschenbuch mehrere 100.000-mal verkauft wurden, auf eine theoretische Grundlage gestellt, die FDP verpflichtete sich darin auf „Sozialen Liberalismus“ und gesellschaftliche Reformen. Walter Scheel war zunächst Außenminister und Vizekanzler, 1974 wurde er dann zweiter liberaler Bundespräsident und machte damit den innerparteilichen Weg für den bisherigen Innenminister Hans-Dietrich Genscher frei. Von 1969 bis 1974 stützte die FDP Bundeskanzler Willy Brandt, danach regierte sie an der Seite Helmut Schmidts. Im Jahre 1977 vollzog sich erneut eine programmatische Wende. Die Freiburger Thesen wurden durch die Kieler Thesen abgelöst, die eine Abkehr von sozialliberalen Themen beinhaltete. Die Partei wendete sich verstärkt dem Wirtschaftsliberalismus zu und positionierte sich als Korrektiv zur Wirtschafts- und Sozialpolitik des linken SPD-Flügels. Bereits am Ende der 1970er Jahre schienen die Übereinstimmungen zwischen FDP und SPD nicht mehr für eine Koalition ausreichend zu sein, aber die beiderseits abgelehnte Kanzlerkandidatur von Franz Josef Strauß für die CDU/CSU bei der Bundestagswahl 1980 schweißte SPD und FDP nochmal zusammen. Die sozialliberale Koalition wurde schließlich nochmal bestätigt, auch wegen eines starken Wahlergebnisses der FDP (10,6 %). Die FDP sah jedoch immer mehr die Differenzen zur SPD, vor allem in der Wirtschaftspolitik. In der Haltung zur Frage des NATO-Doppelbeschlusses hatte Kanzler Schmidt seine eigene SPD immer weniger hinter sich. Auch wurden Widersprüche innerhalb der FDP immer größer. Schon bald nach der Regierungsbildung 1980 zeigten sich die Risse der beiden Koalitionspartner immer deutlicher. Im Sommer 1981 forderte FDP-Parteichef Hans-Dietrich Genscher in einem Brief an die FDP-Mitglieder indirekt die SPD zu einem notwendigen Politikwechsel auf. Zu dieser Zeit traf sich Hans-Dietrich Genscher auch zu geheimen Gesprächen mit dem CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl. Am 9. September 1982 veröffentlichte FDP-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff ein wirtschaftspolitisches Konzept, das mit SPD-Forderungen unvereinbar war und als „Scheidepapier“ bezeichnet wurde. Am 17. September 1982 zerbrach die Koalition schließlich offiziell: Bundeskanzler Helmut Schmidt erklärte, dass er das politische Vertrauen in den Koalitionspartner verloren habe. Daraufhin traten alle FDP-Minister zurück, womit sie einer Entlassung durch den Bundeskanzler zuvor kamen. Nach 13 Regierungsjahren endete die sozialliberale Koalition. Am 1. Oktober, also rund zwei Wochen später, initiierten die CDU/CSU-Fraktion und die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag ein konstruktives Misstrauensvotum, in dessen Folge Helmut Kohl zum neuen Bundeskanzler gewählt wurde und die Zeit von Helmut Schmidt nach acht Jahren endete. 1982–1990: Schwarz-gelbe Koalition, wirtschaftliche Neuorientierung und Wiedervereinigung. Am 1. Oktober 1982 wählte die FDP zusammen mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion den CDU-Parteivorsitzenden Helmut Kohl zum neuen Bundeskanzler (→ Wende (Bundesrepublik Deutschland)). Der Koalitionswechsel hatte heftige interne Auseinandersetzungen zur Folge, so verlor die FDP daraufhin über 20 Prozent ihrer 86.500 Mitglieder, was sich auch bei der Bundestagswahl 1983 (Rückfall von 10,6 Prozent auf 7,0 Prozent) niederschlug. Die Mitglieder liefen zumeist zur SPD, den Grünen und neu gegründeten Kleinparteien wie der linksliberalen Partei "Liberale Demokraten (LD)" über. Unter den austretenden Mitgliedern befand sich auch der damalige FDP-Generalsekretär und spätere EU-Kommissar Günter Verheugen. Beim Parteitag im November 1982 trat der schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Uwe Ronneburger gegen Hans-Dietrich Genscher als Parteivorsitzender an. Ronneburger erhielt 186 der abgegebenen Stimmen – rund 40 Prozent – und unterlag damit nur knapp. Junge FDP-Mitglieder, die mit der Politik der damaligen FDP-Jugendorganisation Jungdemokraten nicht einverstanden waren, hatten schon 1980 die Jungen Liberalen (JuLis) gegründet. Eine Zeit lang existierten beide Jugendorganisationen nebeneinander, bis sich die JuLis infolge der Wende durchsetzten und zur neuen offiziellen Jugendorganisation der FDP wurden. Die Jungdemokraten trennten sich von der FDP und wurden ein parteiunabhängiger linker Jugendverband. In der Zeit der Wiedervereinigung verfolgte die FDP das Ziel eines Sonderwirtschaftsgebiets in der Ex-DDR, konnte sich jedoch gegen die CDU/CSU nicht durchsetzen, da diese eventuelle Stimmenverluste in den fünf neuen Bundesländern bei der Bundestagswahl 1990 verhindern wollte. Während der politischen Umbrüche 1989/1990 entstanden in der DDR neue liberale Parteien, wie die F.D.P. der DDR oder die Deutsche Forumpartei. Sie bildeten mit der LDPD, die zuvor als Blockpartei an der Seite der SED gewirkt hatte und mit Manfred Gerlach auch den letzten Staatsratsvorsitzenden der DDR stellte, den Bund Freier Demokraten (BFD). Innerhalb der FDP kam es in den folgenden Jahren zu erheblichen internen Diskussionen um den Umgang mit der ehemaligen Blockpartei. Schon vor der Wiedervereinigung Deutschlands vereinigte sich auf einem Vereinigungsparteitag vom 11.–12. August 1990 in Hannover die westdeutsche F.D.P. mit den Parteien des BFD und der ehemaligen Blockpartei NDPD zur ersten gesamtdeutschen Partei. Die beteiligten Ostparteien hatten damals (aufgrund des allgemein höheren Organisationsgrads in der DDR) 135.000 Mitglieder, die West-F.D.P. nur 65.485. Um eine Vorherrschaft der ostdeutschen Mitglieder zu verhindern, wurde der Delegiertenschlüssel geändert und der Einfluss der Wählerstimmen gegenüber dem der Mitgliedszahlen aufgewertet. Der massive Mitgliederzuwachs hielt aber nur kurz an, die meisten ehemaligen Blockpartei-Mitglieder traten rasch wieder aus. Die F.D.P. „erbte“ von LDPD und NDPD Vermögenswerte von 6,3 Millionen DM in Bargeld und Immobilien. Bei den ersten Landtagswahlen in den Neuen Ländern schnitt die F.D.P. stark ab, vor allem in Sachsen-Anhalt (15,7 Prozent). Anschließend war sie mit Ausnahme von Sachsen in allen Neuen Ländern an der Regierung beteiligt, meist in CDU-FDP-Koalitionen, in Brandenburg in einer „Ampel“ mit SPD und Bündnis 90. In der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl wurde die CDU/CSU-FDP-Koalition bestätigt, die FDP bekam 11,0 Prozent der gültigen Stimmen (79 Sitze), wobei sie in den Neuen Ländern etwas stärker abschnitt als in den Alten. In Halle (Saale) – der Heimatstadt Genschers – errang die F.D.P. ihr erstes Direktmandat seit 1957. 1990–2001: Verluste auf Länderebene und Beginn der Oppositionszeit auf Bundesebene. Nach ihrem Erfolg bei der Bundestagswahl 1990 kehrte die FDP nach der Landtagswahl in Schleswig-Holstein 1992 in den Landtag zurück und war dadurch erstmals in allen 16 Landtagen gleichzeitig vertreten. Insbesondere in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre hatte die FDP jedoch mit einer Reihe von Wahlniederlagen auf kommunaler und Landesebene zu kämpfen, die dazu führte, dass sie im Zeitraum von 1993 bis 1995 aus zwölf der 16 Landtage sowie aus dem Europaparlament herausfiel. Spöttisch wurde sie „Dame ohne Unterleib“ genannt. Im Zeitraum von der Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin 1995 bis zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2000 war sie lediglich in den Landtagen von Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein vertreten und bis 1999 nur noch an den Landesregierungen von Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg beteiligt. Diese Serie von Wahlniederlagen gipfelte in der Bundestagswahl 1998, in der sie mit 6,2 Prozent der Stimmen auf ihr bis dahin zweitschlechtestes Bundestagswahlergebnis überhaupt kam und nach 29 Jahren permanenter Regierungsbeteiligung erstmals wieder in die Opposition musste. 1999 zog die Partei mit der Verlegung des Regierungssitzes vom Bonner Thomas-Dehler-Haus in das Berliner Hans-Dietrich-Genscher-Haus um. 2001–2009: Oppositionszeit unter dem Vorsitz von Guido Westerwelle. Im Jahr 2000 gelang der FDP die Rückkehr in den nordrhein-westfälischen Landtag. Als am 4. Mai 2001 auf einem Bundesparteitag der mehr als 18 Jahre jüngere Guido Westerwelle als Nachfolger von Wolfgang Gerhardt zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, begann ein Generationswechsel in der FDP. Auf demselben Parteitag nahm sie auch ein neues Logo an und verzichtete fortan auf die seit 1968 – im Unterschied zu anderen Parteien – verwendeten Punkte zwischen den drei Buchstaben der Kurzbezeichnung. Im Bundestagswahlkampf 2002 trat die FDP mit dem „Projekt 18“ an, einer Wahlkampfstrategie, die den Wähleranteil von 6 auf 18 Prozent erhöhen sollte. Diese wurde im Wesentlichen von Jürgen Möllemanns Wahlkampfberater Fritz Goergen entwickelt. Zu dieser Strategie gehörte auch, dass die Partei mit Guido Westerwelle erstmals einen eigenen Kanzlerkandidaten nominierte. Sie wollte damit ihre Eigenständigkeit neben den beiden großen Volksparteien hervorheben und der verbreiteten Wahrnehmung als bloße Mehrheitsbeschafferin für andere Parteien entgegentreten. Mit einem unkonventionellen, popkulturellen Wahlkampf wollte sie auch jüngere Wähler ansprechen. Westerwelle fuhr mit einem als „Guidomobil“ bezeichneten, blau-gelb lackierten Wohnmobil durchs Land, trug Schuhe mit der Zahl 18 unter der Sohle und trat als Gast in der damals kontroversen Fernsehsendung Big Brother auf. Die FDP wurde als „Spaßpartei“ wahrgenommen. Bei Meinungsumfragen vor den Wahlen erreichte die FDP 10 bis 13 Prozent. Zugleich bediente der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Jürgen Möllemann in dieser Zeit rechtspopulistische Tendenzen, indem er im Nahostkonflikt israelkritische Positionen einnahm, den wegen vehement anti-israelischer und anti-zionistischer Äußerungen aus den Grünen ausgeschiedenen Landtagsabgeordneten Jamal Karsli in die FDP-Fraktion aufnahm und Vertreter des Zentralrats der Juden in Deutschland verbal angriff. Kritiker, auch aus der eigenen Partei, warfen Möllemann vor, damit an latenten Antisemitismus zu appellieren. Wenige Tage vor der Bundestagswahl ließ Möllemann ein Faltblatt in einer Auflage von über acht Millionen Stück drucken und an alle Haushalte in Nordrhein-Westfalen verteilen, dessen Text abermals den israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon und den Vizechef des Zentralrats der Juden Michel Friedman angriff. Die „Grande Dame“ und einstige Präsidentschaftskandidatin der Freien Demokraten Hildegard Hamm-Brücher verließ daraufhin ihre Partei nach mehr als fünfzigjähriger Mitgliedschaft, da sie die Abgrenzung vor allem des Parteivorsitzenden Westerwelle von den Versuchen Möllemanns als unzureichend empfand. Mit einem Erststimmenergebnis von 5,8 Prozent und 7,4 Prozent bei den Zweitstimmen verbesserte die FDP ihre Wahlergebnisse gegenüber den vorangegangenen Bundestagswahlen, sie verfehlte jedoch ihr offiziell erklärtes Ziel von 18 Prozent der Stimmen deutlich, was unter anderem der „Möllemann-Affäre“ zugeschrieben wurde. Im Bundestag wurde sie viertstärkste Kraft und lag damit entgegen allen Erwartungen hinter den Grünen. Möllemann selbst verlor immer mehr an Rückhalt in der FDP und kam mit seinem Austritt im März 2003 einem vom Parteivorstand beschlossenen Parteiausschluss zuvor. Bei der Europawahl in Deutschland 2004 errang die FDP mit 6,1 Prozent ihr bis dahin bestes Europawahlergebnis und zog mit der Spitzenkandidatin Silvana Koch-Mehrin nach zehn Jahren Abstinenz wieder in das Europäische Parlament ein. Sie stellte sieben Abgeordnete innerhalb der ALDE-Fraktion, der drittstärksten Kraft im Europäischen Parlament. Koch-Mehrin übernahm den Vorsitz der FDP-Delegation und auch den stellvertretenden Vorsitz der ALDE-Fraktion. Bei der vorgezogenen Bundestagswahl am 18. September 2005 erhielt die FDP 9,8 Prozent der Zweitstimmen und wurde somit erstmals seit 1990 drittstärkste Kraft im Deutschen Bundestag. Die FDP stellte in der Legislaturperiode die größte Oppositionsfraktion, nachdem sie eine rechnerisch mögliche Ampelkoalition mit SPD und Grünen grundsätzlich ausgeschlossen hatte und Sondierungsgespräche mit der Union und den Grünen über eine Jamaika-Koalition gescheitert waren. Der Parteivorsitzende Westerwelle übernahm von Wolfgang Gerhardt nun auch das Amt des Fraktionsvorsitzenden und wurde Oppositionsführer. Bei der Europawahl 2009 konnte die FDP ihr Ergebnis von 2004 fast verdoppeln und stellte mit ihrer Europawahl-Spitzenkandidatin Silvana Koch-Mehrin 12 Abgeordnete für das Europäische Parlament. In der Folge wurde Koch-Mehrin eine von insgesamt 14 Vizepräsidenten des Europäischen Parlamentes. Bei der Bundestagswahl 2009 erreichte die FDP erneut mit Guido Westerwelle als Spitzenkandidat mit 14,6 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis bei Bundestagswahlen und erlangte 93 von 622 Sitzen im Deutschen Bundestag. Nach den Landtagswahlen 2009 war die FDP zudem in allen Länderparlamenten mit Ausnahme der Hamburgischen Bürgerschaft vertreten und an acht Landesregierungen beteiligt, und zwar in Baden-Württemberg (Kabinett Oettinger II), Bayern (Kabinett Seehofer I), Hessen (Kabinett Koch III), Niedersachsen (Kabinett Wulff II), Nordrhein-Westfalen (Kabinett Rüttgers), Sachsen (Kabinett Tillich II), Schleswig-Holstein (Kabinett Carstensen II) und im Saarland (Kabinett Müller III). 2009–2013: Schwarz-gelbe Koalition im Bund und Verluste in den Ländern. Koalitionsverhandlungen mit der CDU und der CSU führten am 26. Oktober 2009 zum Abschluss eines Koalitionsvertrags. Nach der Wiederwahl der Bundeskanzlerin Angela Merkel am 28. Oktober 2009 wurden mit dem Vizekanzler und Außenminister Guido Westerwelle, der Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, dem ersten FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler, dem Wirtschaftsminister Rainer Brüderle und dem Entwicklungsminister Dirk Niebel fünf FDP-Bundesminister im Kabinett Merkel II vereidigt. Die FDP war damit mit einem so hohen Anteil im Bundeskabinett vertreten wie nie zuvor. Wenige Monate nach der Bundestagswahl 2009 verlor die Partei stark an Rückhalt. Die Zustimmung sank von Rekordwerten Ende September 2009 von knapp 15 % auf 5 % im Juni 2010. Vor der Regierungsübernahme mit der CDU 2009 glaubten viele, dass eine schwarz-gelbe Koalition gut zusammenpassen würde, doch nach dem in Rekordzeit ausgehandelten Koalitionsvertrag wurde zwischen verschiedenen Flügeln von CDU, CSU und FDP bald über viele Themen kontrovers diskutiert, beispielsweise über Steuersenkungen, die Zukunft der Kernenergie, die Gesundheitsprämie bei der Krankenversicherung, den EU-Beitritt der Türkei und über das Arbeitslosengeld II. Zudem litt in dieser Zeit der Ruf der Partei unter Spenden mit falsch deklarierter Herkunft und der Senkung des Umsatzsteuersatzes für Hotelübernachtungen, welche öffentlich als Klientelpolitik für die Mövenpick-Hotelgruppe interpretiert wurde. Bei der einzigen Landtagswahl des Jahres 2010, die in Nordrhein-Westfalen stattfand, blieb die FDP stabil, aufgrund der hohen Einbußen der CDU verlor die schwarz-gelbe Koalition im Land aber ihre Mehrheit und beide Parteien traten den Gang in die Opposition an. Nach der Bürgerschaftswahl in Hamburg am 20. Februar 2011 war die FDP wieder in allen 16 Landtagen vertreten. Bereits einen Monat später, nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, endete diese deutschlandweite Repräsentation in den Landesparlamenten wieder. Jedoch war die Partei zu diesem Zeitpunkt noch an sieben Landesregierungen beteiligt. Nachdem die FDP im März 2011 bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz nicht mehr in den Landtag hatte einziehen können und bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg 2011 durch eine grün-rote Mehrheit in die Opposition verdrängt worden war, gab Guido Westerwelle vor dem Bundesparteitag vom 13. bis zum 15. Mai 2011 bekannt, auf diesem nicht mehr für den Bundesparteivorsitz zu kandidieren. Philipp Rösler wurde auf diesem Parteitag zum Nachfolger von Westerwelle gewählt. Bereits zuvor hatte Rösler im Zuge einer Kabinettsumbildung am 12. Mai 2011 das Amt des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie und von Guido Westerwelle die Funktion des Vizekanzlers übernommen, während ihm Daniel Bahr als Bundesgesundheitsminister folgte. Der bisherige Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle wurde am selben Tag zum Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion gewählt. Im Mai 2011 legte Silvana Koch-Mehrin ihr Amt als Vizepräsidentin des EU-Parlaments ebenso wie sämtliche Parteiämter wegen einer Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit nieder. Ihr Mandat als Mitglied des Europäischen Parlaments übte Koch-Mehrin allerdings bis zum Ende der Wahlperiode 2014 aus. Neuer Vorsitzender der FDP-Delegation im EU-Parlament wurde Alexander Graf Lambsdorff. Ebenfalls im Mai 2011 scheiterte die FDP bei der Bürgerschaftswahl in Bremen 2011 mit 2,4 % der Stimmen an der Fünf-Prozent-Hürde. Im September 2011 verlor die FDP bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern 2011 stark an Stimmen und verfehlte mit 2,7 Prozent der Stimmen den Einzug in das Parlament. Im gleichen Monat fand die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus statt, bei der die FDP mit nur 1,8 Prozent der Stimmen deutlich den Wiedereinzug verfehlte. Am 6. Januar 2012 kündigte Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer die seit 2009 im Saarland bestehende Koalition aus CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen vor Ablauf der Legislaturperiode auf. In Kramp-Karrenbauers Erklärung hieß es, dass die „seit Monaten anhaltenden Zerwürfnisse innerhalb der FDP Saar“ ausschlaggebend für die Aufkündigung seien. Bei der darauffolgenden Neuwahl des saarländischen Landtags erzielte die FDP nur 1,2 Prozent der Stimmen, so dass sie auch aus diesem ausschied. Dies war das schlechteste Ergebnis der FDP in einem westdeutschen Bundesland seit ihrer Gründung. Im Mai 2012 konnte die FDP hingegen bei den vorgezogenen Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen mit 8,2 beziehungsweise 8,6 Prozent unerwartet starke Ergebnisse erzielen und damit ihre dortige Landtagsrepräsentanz für weitere fünf Jahre sichern. Allerdings übernahm in beiden Ländern eine SPD-geführte Regierung die Amtsgeschäfte und die FDP ging in die Opposition. Bei der Landtagswahl in Niedersachsen 2013 konnte die FDP um 1,7 Prozentpunkte auf 9,9 Prozent zulegen, was dem Bundesvorsitzenden Philipp Rösler in seinem Heimatbundesland als Erfolg zugeschrieben wurde. Gleichzeitig verlor die schwarz-gelbe Koalition die Landtagsmehrheit an eine rot-grüne Koalition, so dass die FDP nach zehn Jahren aus der Landesregierung ausschied. 2013–2014: Ausscheiden aus dem Bundestag und mehreren Landtagen. Bei der eine Woche vor der Bundestagswahl stattfindenden Landtagswahl in Bayern 2013 verfehlte die FDP die 5-Prozent-Hürde, verlor damit ihre parlamentarische Repräsentanz und schied in der Folge auch aus der bayerischen Staatsregierung aus. Eine Woche danach wurden der Bundestag und der hessische Landtag gewählt. Während die FDP in Hessen mit 5,0 Prozent knapp die Sperrklausel überwand, scheiterte sie im Bund mit 4,8 Prozent erstmals bei Bundestagswahlen und schied aus dem Parlament aus. In Hessen konnte die bis dahin bestehende schwarz-gelbe Koalition nicht fortgeführt werden. Danach war die FDP noch in neun Landtagen und lediglich in Sachsen auch in der Regierung vertreten. Als Konsequenz des Ausscheidens aus dem Bundestag trat der Parteivorstand der FDP geschlossen zurück. Daraufhin wurde zwischen dem 6. und 8. Dezember 2013 ein außerordentlicher Parteitag einberufen, auf dem ein neues Präsidium gewählt und die Ursachen der Wahlniederlage analysiert wurden. Zum neuen Parteivorsitzenden wurde Christian Lindner gewählt. Er rief die Mitglieder dazu auf, von nun an die Partei „von der Basis ab“ neu aufzubauen. Außerdem kritisierte er die „Zweitstimmenkampagne“ und warnte vor einer Abkehr von der bisherigen Europapolitik. Die FDP-Fraktionsvorsitzendenkonferenz, der Zusammenschluss der Vorsitzenden der liberalen Fraktionen in den Bundesländern und der Gruppe im Europäischen Parlament, verabschiedete im Bestreben, einer staatsfixierten Politik das Modell einer modernen Sozialen Marktwirtschaft und einer aktiven Bürgergesellschaft gegenüberzustellen, in ihrer "Stuttgarter Erklärung" am 2. Oktober 2013 die Aufgaben der Bundestagsfraktion beim Neuaufbau der Partei. Auf dem Europaparteitag am 19. Januar 2014 in Bonn wurde Alexander Graf Lambsdorff zum Spitzenkandidaten für die Europawahl 2014 gewählt. Die FDP musste deutliche Verluste von 7,6 Prozentpunkten hinnehmen und erzielte mit 3,4 Prozent ihr zweitschlechtestes Ergebnis bei einer Europawahl und entsandte damit aufgrund des Wegfalls der Sperrklausel drei Abgeordnete ins Europaparlament. Bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg 2014 konnte die FDP in keinem der Länder die Fünf-Prozent-Hürde überwinden und war damit im Oktober 2014 nur noch in sechs Landtagen vertreten. Mit Abschluss der Regierungsbildung in Sachsen endete im November 2014 die bis dahin letzte Regierungsbeteiligung der FDP auf Landesebene. Damit war die FDP erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik an keiner Landesregierung beteiligt, womit sie auch über den Bundesrat keinen Einfluss auf die Bundespolitik mehr nehmen konnte. Der Parteienforscher Oskar Niedermayer sah die FDP nach dem verpassten Wiedereinzug in den Bundestag in einer „existenziellen Krise“, da es der Partei schwer falle, bundespolitisch noch wahrgenommen zu werden. Laut Bundesschatzmeister Hermann Otto Solms mussten die Ausgaben der Partei um rund 40 Prozent gesenkt werden, weil sie aus mehreren Parlamenten gewählt wurde und deshalb geringere Zuwendungen aus der staatlichen Parteienfinanzierung erhielt. Von vorwiegend ehemaligen Politikern der Hamburger FDP initiiert, erfolgte im September 2014 die Gründung der Partei Neue Liberale, die als linksliberale Alternative die FDP verdrängen wollte. Beim ersten Wahlantritt bei der Hamburger Bürgerschaftswahl im Februar 2015 blieb die neue Partei mit 0,5 Prozent der Stimmen allerdings Kleinpartei. Seit 2015: Zugewinne auf Länderebene und Wiedereinzug in den Bundestag. Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg am 15. Februar 2015 gelang es der FDP, mit der Spitzenkandidatin Katja Suding mit 7,4 Prozent der Stimmen erneut in die Bürgerschaft einzuziehen und damit ihr vorheriges Ergebnis um 0,7 Prozent zu übertreffen. Auch bei der Bürgerschaftswahl in Bremen am 10. Mai 2015 schaffte es die FDP, mit ihrer Spitzenkandidatin Lencke Steiner mit 6,6 Prozent das beste Ergebnis seit 20 Jahren einzufahren und wieder in der Bürgerschaft vertreten zu sein. Gegenüber der vorherigen Wahl gewann die FDP 4,4 Prozentpunkte hinzu und war damit in sieben Landtagen vertreten. Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz am 13. März 2016 verbesserte sie sich bei allen drei Landtagswahlen. In Baden-Württemberg zog sie mit 8,3 Prozent der Stimmen erneut in den Landtag ein und erhielt in Rheinland-Pfalz 6,2 Prozent der Stimmen. In Sachsen-Anhalt verfehlte sie den Wiedereinzug mit 4,9 Prozent knapp. Da die rot-grüne Koalition in Rheinland-Pfalz ihre Mehrheit verlor, wurde erfolgreich über die Bildung einer Ampelkoalition verhandelt. Am 9. Mai 2016 stimmte der Landesparteitag der FDP Rheinland-Pfalz mit 82 Prozent der Stimmen dem Koalitionsvertrag mit SPD und Grünen zu. Seit dem 18. Mai 2016 ist die FDP damit erstmals seit Oktober 2014 wieder an einer Landesregierung beteiligt und stellt mit Volker Wissing den stellvertretenden Ministerpräsidenten. Zwar verfehlte die FDP am 4. September 2016 bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern mit 3,0 Prozent den Einzug in den Landtag von Schwerin, jedoch konnte sie auch hier prozentual und in absoluten Zahlen zulegen. Bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin am 18. September 2016 ist die FDP mit 6,7 Prozent wieder in das Abgeordnetenhaus eingezogen. Bei der Landtagswahl im Saarland 2017 verfehlte die FDP mit 3,3 Prozent der Stimmen den Wiedereinzug in den Landtag, konnte allerdings sowohl prozentual als auch stimmenmäßig deutliche Zugewinne verzeichnen. Letzteres galt auch für die Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2017, wo die Partei erstmals wieder ein zweistelliges Wahlergebnis erzielte und fast gleich auf mit den Grünen die viertstärkste Kraft im Landtag bildet und Teil der dortigen Jamaika-Koalition ist. Noch besser war ihr Abschneiden kurz darauf bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2017: Hier wurde sie mit 12,6 Prozent nicht nur zur mit Abstand drittstärksten Kraft des Landtages gewählt, sondern kam auch auf ihr bestes Ergebnis in der Geschichte des Landes und wurde Teil der Landesregierung des bevölkerungsreichsten Bundeslandes, allerdings nur für eine Legislaturperiode. Bei der Bundestagswahl 2017 gelang der FDP mit einem Zweitstimmenergebnis von 10,7 Prozent nach vierjähriger Abwesenheit der Wiedereinzug in den Bundestag. Daraufhin trat die Partei in Sondierungsgespräche mit den Unionsparteien (CDU/CSU) und Bündnis 90/Die Grünen ein. Nach vierwöchiger Verhandlung stieg die FDP aus den Gesprächen aus, da es nach Aussage von Parteichef Lindner weder gelungen sei, eine „gemeinsame Vorstellung von der Modernisierung des Landes“ noch eine „gemeinsame Vertrauensbasis“ zu entwickeln. Infolgedessen kam es zu einer Neuauflage der Großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel. Bei der Landtagswahl in Niedersachsen 2017 musste die FDP erstmals seit 2015 bei einer Wahl prozentual Verluste verzeichnen. Bei den Landtagswahlen 2018 und 2019 schaffte die FDP in Bayern (5,1 %), Hessen (7,5 %), Bremen (5,9 %) und Thüringen (5,0 %) den (Wieder-)Einzug, verpasste diesen allerdings in Sachsen (4,5 %) und Brandenburg (4,1 %). Vom 5. bis 8. Februar 2020 stellte die FDP mit Thomas Kemmerich den Ministerpräsidenten von Thüringen. Die Wahl löste ein bundesweites Echo aus, da sie auch mit den Stimmen der AfD erfolgte und zog nach Kemmerichs Rücktritt die Regierungskrise in Thüringen 2020 nach sich. Bei der vorangegangenen Landtagswahl hatte die FDP mit nur 73 Wählerstimmen die Fünf-Prozent-Hürde überboten und somit knapp den Einzug in den Landtag erzielt, was zu besonderer Kritik an Ministerpräsident Kemmerichs Wahl führte. Auch unter dem Eindruck der hoch umstrittenen Wahl Kemmerichs auf Basis von AfD-Unterstützung scheiterte die FDP bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg 2020 mit 4,96 Prozent an der Fünfprozenthürde und verpasste dort zum ersten Mal seit der Bürgerschaftswahl in Hamburg 2008 als Fraktion den Wiedereinzug ins Landesparlament. Sie ist jedoch weiterhin mit einem Wahlkreismandat aus dem Wahlkreis Blankenese in der Bürgerschaft vertreten. Bei der Landtagswahl Baden-Württemberg im März 2021 gewann die FDP hinzu (10,5 %), musste aber in der Opposition verbleiben. Bei der am selben Tag stattfindenden Landtagswahl in Rheinland-Pfalz verlor die FDP leicht (5,5 %), blieb aber dennoch Teil der Landesregierung in Form einer Ampelkoalition unter Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Juni 2021 kehrte die FDP nach zehn Jahren Abstinenz mit 6,4 % der Stimmen in den Landtag zurück und bildete zusammen mit CDU und SPD eine Deutschland-Koalition unter Ministerpräsident Reiner Haseloff. Bei der Bundestagswahl 2021 gelang der Partei nicht nur ein leichter Zuwachs auf 11,5 % der Stimmen, sondern auch erstmals die Verteidigung eines zweistelligen Bundestagswahlergebnisses. Anschließend beteiligte sie sich am ersten Ampel-Bündnis auf Bundesebene unter Bundeskanzler Olaf Scholz. Bei den gleichzeitig stattfindenden Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern konnte die FDP ebenfalls zulegen und in Mecklenburg-Vorpommern mit 5,8 % der Stimmen nach zehn Jahren in den Landtag zurückkehren. Organisationsstruktur. Die Freie Demokratische Partei hat die Rechtsform des eingetragenen Vereins. Sie ist in 16 Landesverbände gegliedert und hatte Ende 2019 insgesamt rund 65.500 Mitglieder. Allein auf die FDP Nordrhein-Westfalen entfielen hiervon rund 16.000 Mitglieder. Bis September 2021 ist die Mitgliederzahl auf 75.000 gestiegen. Den höchsten Mitgliederstand wies die Partei 1981 mit rund 87.000 sowie 1990 (durch die Deutsche Wiedervereinigung) mit etwa 180.000 Mitgliedern auf. Die FDP ist Mitglied der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) und der Liberalen Internationalen. Im Europäischen Parlament gehört sie der Fraktion Renew Europe an, in der sie mit fünf Abgeordneten vertreten ist. Mit insgesamt 97 Sitzen stellt die Renew-Europe-Fraktion 13,76 Prozent der Europaabgeordneten (Stand: Mai 2021). Bundesvorstand. Der FDP-Bundesvorstand leitet die Bundespartei. Er beschließt über alle organisatorischen und politischen Fragen im Sinne der Beschlüsse des Bundesparteitages und des Kongresses der ALDE-Partei. Landesverbände. In der folgenden Liste werden die Daten zu den einzelnen Landesverbänden angegeben. Im Saarland führt der FDP-Landesverband den Zusatz "Demokratische Partei Saar" (FDP/DPS). In Baden-Württemberg trägt die Landtagsfraktion der FDP aus einer über 70-jährigen Tradition heraus den Zusatz "Demokratische Volkspartei" (FDP/DVP). In Berlin gibt es keine Kreisverbände, stattdessen wird die regionale Parteiarbeit von den Bezirksverbänden übernommen. Die Mitglieder des Internet-Landesverbandes "FDP LV Net" werden derzeit noch als bundesunmittelbare Mitglieder geführt, da eine formale Verankerung als 17. Landesverband noch nicht erfolgt ist. Außerhalb Deutschlands existieren Ortsverbände in Barcelona, Brüssel, London, Moskau, Paris, Wien und Zürich mit insgesamt 465 Mitgliedern, die in der "Auslandsgruppe Europa der FDP" zusammengefasst sind. Vorfeldorganisationen der FDP. Von der FDP sind folgende bundesweiten Vorfeldorganisationen anerkannt: Parteizentrale. Die erste Parteizentrale der FDP befand sich zunächst ab Juni 1950 in der "Moltkestraße 5" im Bonner Stadtbezirk Bad Godesberg. Im November 1956 wechselte die FDP in das Gebäude einer ehemaligen Nervenklinik am "Bonner Talweg 57" in der Südstadt. Seit April 1976 war die Bundesgeschäftsstelle der FDP in einem Objekt in der "Baunscheidtstraße 15" nahe der linksrheinischen Eisenbahnstrecke ansässig, das von der SPD vermietet wurde. Im Juni 1993 zog die FDP nach eineinhalbjähriger Bauzeit in das ca. 500 Meter nördlich gelegene, neu errichtete Thomas-Dehler-Haus an der "Willy-Brandt-Allee 20" im Bundesviertel um. Seit Juli 1999 befindet sich die Bundesgeschäftsstelle der FDP im Hans-Dietrich-Genscher-Haus (bis März 2017: "Thomas-Dehler-Haus") in der "Reinhardtstraße 14" in Berlin-Mitte. Parteizeitung. Die Parteizeitung der FDP nennt sich seit der 3. Ausgabe 2016 fdplus. Zuvor nannte sie sich "elde" (Liberale Depesche, Aussprache der Buchstaben L D). Sie erschien 2012 fünf Mal. Seit 2013 gibt es die elde auch im AppStore und bei Google Play sowie als ISSUU-Applikation. Archiv der FDP. Das Archivgut aller Organe und Gremien der FDP (insbesondere auf Bundes- und Landesebene), vieler liberaler Vorfeldorganisationen und zahlreicher liberaler Persönlichkeiten (u. a. Thomas Dehler, Wolfgang Mischnick, Hans-Dietrich Genscher) befindet sich im Archiv des Liberalismus der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Gummersbach. Strömungen. Schaumburger Kreis. Der Schaumburger Kreis vertritt "liberal-konservative" Wirtschaftsinteressen in der FDP. Bekannte Mitglieder sind Detlef Kleinert, Rainer Brüderle, Hermann Otto Solms, Patrick Döring, und Stefan Ruppert. Freiburger Kreis. Der Freiburger Kreis tritt in der Tradition der Freiburger Thesen für einen "ganzheitlichen" Liberalismus ein. Bekannte Mitglieder sind Gerhart Baum, Carola von Braun und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die Strömung verlor seit den 1980er-Jahren fortwährend Mitglieder und an Bedeutung. Liberaler Aufbruch. Der "Liberale Aufbruch" bezeichnete sich selbst als Vertreter "klassisch-liberaler" Denkansätze. Er trat für die Einhaltung liberaler Ordnungspolitik ein und sah diese im damaligen Regierungshandeln verletzt. Akteure waren unter anderem der Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler, der ehemalige Europaabgeordnete Holger Krahmer, sowie Carlos Gebauer. 2011 beim Verfahren für einen parteiinternen Mitgliederentscheid der FDP zum Europäischen Stabilitätsmechanismus auch Euro-Rettungsschirm genannt, der Ende 2011 knapp scheiterte, wurden Schäffler, Krahmer und Gebauer von Burkhard Hirsch unterstützt. Der "Liberale Aufbruch" ist seit ca. 2016 inaktiv. Libertäre Plattform. Die "Libertäre Plattform" vertritt den Libertarismus und orientiert sich hauptsächlich an der Österreichischen Schule. Ihre Vertreter fordern einen strikten Minimalstaat, der sich allein auf Justiz, Polizei und Militär beschränkt. Vereinzelt finden sich auch Anarchokapitalisten in der Tradition von Hans-Hermann Hoppe. Liberale Offensive und Nationalliberale. Die FDP hatte bis in die späten 1960er-Jahre eine starke "nationalliberale" Prägung. In späteren Zeiten gab es immer wieder Bestrebungen, diese Strömung in der Partei wiederzubeleben. So formierte sich etwa 1995 die "Liberale Offensive in der FDP" um Alexander von Stahl, Achim Rohde, Rainer Zitelmann, Klaus Rainer Röhl und Heiner Kappel. Ein Teil der Anhänger dieser Gruppierung schloss sich 1998 dem Bund freier Bürger an. Seit 2009 bestand unter Führung von Sven Tritschler der kurzlebige "Stresemann Club" als nationalliberales Netzwerk innerhalb der FDP. Im Zuge des Aufstiegs der AfD haben viele rechte Liberale die Partei gewechselt. Der Flügel war deshalb zeitweilig weniger aktiv, vertreten durch einige wenige in der FDP verbliebene Nationalliberale wie unter anderem die oben genannten Rohde und Zitelmann, Holger Zastrow sowie Thomas Kemmerich. In der Wahl Thomas Kemmerichs zum Ministerpräsidenten in Thüringen am 5. Februar 2020 und der anschließenden Regierungskrise sahen einige Beobachter ein Wiedererstarken der rechts- und nationalliberalen Strömung in der FDP. Finanzen. Unternehmensbeteiligungen und Grundstücke. Das Haus- und Grundvermögen der Partei wird mit 2,8 Millionen Euro bewertet. Die FDP hält Firmenbeteiligungen im Wert von rund vier Millionen Euro. Die FDP hält Anteile an folgenden Unternehmen: Vollständig gehören der FDP: Geldflüsse und Reinvermögen. Die FDP verfügte 2019 über Einnahmen von 38.027.729,86 Euro, davon wurden etwa 15,4 Millionen Euro durch staatliche Mittel, etwa 12,6 Millionen Euro durch Mitgliedsbeiträge und Mandatsträgerbeiträge sowie knapp 8,0 Millionen Euro durch Spenden erlangt. 4,7 Prozent der Parteieinnahmen stammte aus Spenden von Unternehmen und anderen juristischen Personen. Im Jahr 2019 konnte die FDP einen Überschuss in Höhe von 2.986.141,10 Euro erzielen. Den Verbindlichkeiten in Höhe von etwa 21,3 Millionen Euro standen Forderungen in Höhe von etwa 39,7 Millionen Euro gegenüber, sodass die Gesamtpartei ein Reinvermögen in Höhe von knapp 18,4 Millionen Euro besaß. Spende der Substantia AG. Die FDP erhielt in den Jahren 2008 und 2009 vier Spenden von der Substantia AG in einer Gesamthöhe von 1,1 Millionen Euro, die sie entsprechend den Vorschriften zur Parteienfinanzierung jeweils innerhalb einer Woche bei der Bundestagsverwaltung anzeigte. Die Substantia AG gehört der Familie Finck, die auch Mehrheitseigner der Mövenpick-Gruppe ist, welche in Deutschland neun Hotels betreibt. Die angesprochenen Spenden wurden von verschiedenen Seiten kritisiert, die einen Zusammenhang zwischen den Zahlungen und der Anfang 2010 auf Betreiben von FDP und CSU – welche im Vorfeld der Bayerischen Landtagswahl 2008 ebenfalls zwei größere Spenden von der Substantia AG erhalten hatte – durchgeführten Senkung der Umsatzsteuer für das Beherbergungsgewerbe durch das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz – in der Presse auch „Mövenpick-Gesetz“ genannt – vermuteten. Die FDP wurde infolgedessen teils spöttisch als „Mövenpick-Partei“ bezeichnet. Die FDP selbst wehrte sich gegen diese Bezeichnung mit der Begründung, dass in der Vergangenheit auch viele Tourismuspolitiker aller im Bundestag vertretenen Parteien eine entsprechende Steuersenkung gefordert hätten. Spenden unter Möllemann. Anfang Juli 2009 erließ der Präsident des Deutschen Bundestages gegenüber der FDP einen Sanktionsbescheid, nach dem die FDP insgesamt 4.336.648,79 Euro an den Bundestag zahlen muss. In einem mehrjährigen Verfahren war nach Auffassung des Bundestagspräsidenten festgestellt worden, dass unter dem ehemaligen nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden Jürgen Möllemann gegen Parteiengesetz verstoßen worden sei, indem die Herkunft von Spenden im Umfang von etwa 785.000 Euro durch Stückelungen und falsche Angaben der Spendernamen verschleiert worden sei. Die wahre Herkunft der Spenden konnte nicht geklärt werden. Weitere Spenden im Wert von mehr als einer halben Million Euro in Gestalt von Wahlkampfmaßnahmen wie zum Beispiel Plakat- und Anzeigenaktionen seien unter Verstoß gegen Parteiengesetz nicht ordnungsgemäß im Rechenschaftsbericht der Partei veröffentlicht worden. Die FDP erhob gegen den Sanktionsbescheid Widerspruch. Sie bewertet die Vorgänge nicht als Verstöße gegen das Parteiengesetz. Außerdem sieht sie sich strenger als andere Parteien behandelt. Im Dezember 2009 wies das Verwaltungsgericht Berlin die Klage gegen den Strafbescheid des Bundestages zurück und verurteilte die Partei zur Zahlung einer Strafe in Höhe von 3,46 Millionen Euro, das Oberverwaltungsgericht bestätigte diese Entscheidung im November 2011. Ende April 2013 stellte das Bundesverwaltungsgericht die Fälligkeit von mindestens zwei Millionen Euro fest. Über den Rest (ca. 1,4 Millionen Euro) wurde die Angelegenheit mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen. Haltung zur Spendentransparenz. Zusammen mit der CDU/CSU lehnte die FDP im Innenausschuss in der 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages die Vorschläge der "Staatengruppe gegen Korruption" (GRECO) vom Dezember 2009 zu mehr Transparenz bei Parteispenden in Deutschland ab. Nebenorganisationen. Die Jungen Liberalen erhielten 2019 öffentliche Zuschüsse von insgesamt 599.480,66 Euro. Die Bundes- und Landesstiftungen der FDP erhielten 2007 zusammen Zuwendungen von rund 25 Millionen Euro. Wahlen und Mandate. Bundestagswahlergebnisse seit 1949. 1 Spitzenkandidat gleichzeitig Kanzlerkandidat Landtagswahlergebnisse seit 1990. 1 bedingt durch Überschreiten der Sperrklausel in Bremerhaven mit einem fraktionslosen Abgeordneten in der Bürgerschaft vertreten 2 Wahl ohne Sperrklausel 3 keine Fraktion vertreten, aber Einzug über ein Direktmandat 4 zeitweise durch Thomas Kemmerich in der Regierung vertreten Mandatsträger. Die folgende Tabelle ist eine Übersicht, welche die Besetzung von Mandaten in den einzelnen Bundesländern zeigen soll. Dabei stammen die Zahlen der kommunalen Mandatsträger teilweise aus den Jahren 2016 und davor. 1 nur Kreistage und kreisfreie Städte im Jahr 2013 2 Jahr der Landtagswahl 3 Stand kurz nach der Landtagswahl Persönlichkeiten. Bundesvorsitzende. Ehrenvorsitzende. Ehrenvorsitzende der FDP waren Marie-Elisabeth Lüders , Reinhold Maier , Walter Scheel , Hans-Dietrich Genscher , Otto Graf Lambsdorff . Seit 2020 ist Hermann Otto Solms Ehrenvorsitzender. Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag. Seit Dezember 2021 ist Christian Dürr Fraktionsvorsitzender. Mit 8393 Tagen die längste Amtszeit hatte Wolfgang Mischnick von 1968 bis 1991. Bundespräsidenten. Theodor Heuss hatte von 12. September 1949 bis 12. September 1959 das Präsidentenamt inne und war gleichzeitig der erste Bundespräsident. Walter Scheel war vom 1. Juli 1974 bis 30. Juni 1979 Bundespräsident. Während der Präsidentschaft ruhte seine Mitgliedschaft in der FDP. Stellvertreter des Bundeskanzlers. Die nachfolgenden FDP-Mitglieder waren Stellvertreter des Bundeskanzlers. Literatur. Darstellungen Editionen
1626
3784544
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1626
Feng Shui
Fēng Shuǐ, auch Fengshui () ist eine daoistische Harmonielehre aus China. Ziel des Feng Shui ist die Harmonisierung des Menschen mit seiner Umgebung, die durch eine besondere Gestaltung der Wohn- und Lebensräume erreicht werden soll. Der historisch ältere Begriff für Fengshui ist Kanyu (), eine Kurzform für den Begriff „den Berg und das Land anschauen und bewerten“ im Sinne von „den Himmel und die Erde beobachten“. Nach der mystischen Vorstellung sollen mit Feng Shui „die Geister der Luft und des Wassers geneigt gemacht“ werden können. Anwendungsgebiete. Eines der traditionellen Anwendungsgebiete des Feng Shui in China ist die Planung von Grabstätten (Ahnenkult). Daneben hat Feng Shui auch die chinesische Gartenkunst maßgeblich geprägt. Die Prinzipien des Feng Shui können auch bei Zimmereinrichtungen, Hausarchitektur, Landschaftsgestaltung und städtebaulicher Planung berücksichtigt werden. Die Raumgestaltung und Baugestaltung erfolgt nach verschiedenen Regeln, die sicherstellen sollen, dass sich sogenannte „verstockte Energien“ nicht in diesen Räumen festsetzen können und das Qi (nach Wade-Giles "Chi") frei fließen kann. Feng Shui basiert auf chinesischen Philosophiesystemen, wie der Yin-und-Yang-Lehre, den nach den Himmelsrichtungen ausgerichteten Acht Trigrammen sowie der Fünf-Elemente-Lehre. Seit einigen Jahren erfahren die Lehren des Feng Shui auch zunehmendes Interesse in der westlichen Architektur und Innenarchitektur – es ist auch ein Verschmelzen westlicher Ideen der Esoterik mit Feng Shui zu beobachten. Grundlagen. Der Begriff „Feng Shui“ ist eine Abkürzung für einen Satz aus dem Buch der Riten von Guo Po (etwa 300 nach Christus): „Qi wird vom Wind zerstreut und stoppt an der Grenze des Wassers.“ Die Begriffe Wind und Wasser werden seither für die Kunst verwendet, mit der das Qi vor dem Wind geschützt und mit Wasser beeinflusst wird. Die Lehre des Qi bildet die Grundlage zur Erschließung des Feng-Shui. Qi ist im Daoismus die unsichtbare Lebensenergie, die überall um uns, in jedem Wesen und jeder Zelle fließt und alles belebt und gestaltet. Gemäß der Lehren des Feng Shui kann Qi nun durch planmäßigen Eingriff in die Architektur akkumuliert und geleitet werden. Die Aufgabe eines Feng Shui-Beraters ist es demnach, die Bewegung des Qi in der Umgebung und im Haus zu erkennen, zu harmonisieren und zu steigern. Eine hohe Ansammlung von günstigem Qi könne zu positiven Ergebnissen bei Gesundheit, Harmonie und Erfolg des Menschen führen. Die Lehre von Yin und Yang: Yang ist das Qi von Bergen und Straßen, Yin das Qi von Ruhe und Wasser. Die aus dem Daoismus stammende Lehre fördere das Gleichgewicht zwischen allen Gegensätzlichkeiten. Im New Age Feng Shui wird die Lehre von Yin und Yang allein auf die Wohnung angewandt, wie zum Beispiel die Yang-Bereiche, also die aktiven Bereiche wie Arbeits- und Wohnzimmer, und die Yin-Bereiche, die Ruhebereiche, wie das Schlafzimmer und den Meditationsraum. Jeder Bereich werde auf seine Funktionalität abgestimmt und die Anordnung der Räume harmonisch gestaltet. Die Lehre der Fünf Elemente: Die Energie wird nicht nur auf zwei, sondern auf fünf Ebenen, nämlich Erde, Metall, Wasser, Holz und Feuer analysiert und ausgeglichen. Dabei gilt Feuer als großes, Holz als kleines Yang, Metall als kleines, Wasser als großes Yin, und die Erde als "neutral". Hier sei das Wissen um die Auswirkung von Farbe, Form, Maßen und Klang auf den Menschen sehr wichtig. Der Ausgleich des Ortes könne durch die Anordnung und das Anbringen von Objekten, Farben oder Abhilfen durchgeführt werden. Das Luan Tou, die Landschaftsschule, ist die älteste Schule im Feng Shui und im Westen noch weitgehend unbekannt. Es wird die Positionierung des Hauses in Bezug auf die Landschaftsformation bewertet. Die Kompasslehre (Li Qi Pai): Der Luopan (Lopan), der Geomanten-Kompass, symbolisiert durch seine Form (ein Kreis in einem Quadrat) die Verbindung von Himmel und Erde. Nach der Lehre manifestiert sich der Einfluss der Sterne in bestimmten Formationen der Natur. Durch die Messung der Himmelsrichtung lässt sich die energetische Qualität des zu untersuchenden Hauses feststellen. Die Lehre der Fliegenden Sterne (auch "Flying Stars" genannt) ist ein Teil des "Li Qi Pai". Sie analysiert die Einflüsse von neun „Sternen“ und deren zeitlichen Einflüssen in Bezug auf die Landschaft, das Haus oder die Wohnung auf den Menschen. Die neun „Sterne“ entsprechen in Charakteristik und Eigenschaften den Acht Trigrammen, auf denen das I Ging basiert, plus eines weiteren „Sterns“, der die Mitte symbolisiert. Durch den zeitlichen Wechsel ändert sich auch die optimale Positionierung von Yin und Yang in der Umgebung eines Hauses. Dadurch gibt es günstige und ungünstige Einflüsse, denen durch die richtige Nutzung der Räume im Haus Rechnung getragen werden kann. Klassisches Feng-Shui. Die älteste Schule im klassischen Feng Shui ist "Luan Tou", im Westen „Formenschule“ genannt. In ihr geht es um die optimale Auswahl eines Bauplatzes, der durch die natürliche Landschaftsformation geschützt ist. Luan Tou wurde sowohl für Wohnhäuser als auch für Grabstätten angewendet, wobei in der chinesischen Geschichte mal die eine, mal die andere Anwendung zeitlich dominierte. "Li Qi Pai", die „Formelschule“, arbeitet mit den Himmelsrichtungen, die am Haus mit dem Luopan (Lopan), einem Kompass, gepeilt und auf den Hausgrundriss übertragen werden, sowie den zeitlichen Einflüssen. Die beiden populärsten Richtungen dieser Schule, die „Fliegende-Sterne-Methode“ und die „Acht-Häuser-Methode“, können beide auf lange Traditionen zurückblicken. Die „Geheimnisse“ der Fliegende-Sterne-Methode wurden Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals in einem Buch der chinesischen Öffentlichkeit präsentiert, nachdem sie bereits jahrhundertelang in Gebrauch gewesen waren. Traditionell wird Feng Shui als Philosophie betrachtet, die sowohl künstlerische als auch wissenschaftsähnliche und administrative Elemente in sich vereint. Die heutige Trennung von Kunst und Wissenschaft bereitet demnach Schwierigkeiten im Verständnis des philosophischen Hintergrundes. Der universelle Ansatz stellt dabei den Menschen selbst in den Mittelpunkt und vermeidet jede Abstraktion des Gegenstands. So gab es bis ins 19. Jahrhundert keine schriftlich fixierten Anweisungen, sondern nur Erfahrungsregeln, die individuell weitergegeben und angewandt wurden. Auf diese Art diente die Weitergabe auch als Machtinstrument der kaiserlichen Elite. Im klassischen Feng Shui werden als Hilfsmittel zur Harmonisierung von Räumen nur sehr wenige Objekte verwendet wie beispielsweise Amulette, Landschaftsbilder und Kalebassen. Feng Shui wurde in China nach der kommunistischen Revolution von Mao Zedong verboten. Viele Feng Shui-Schriften wurden vernichtet, und die Praktizierenden wurden gezwungen, von der Lehre abzulassen. Durch die Repressionen im chinesischen Stammland wurden viele Meister der Feng Shui-Disziplinen zur Emigration gezwungen. Nach dem Verbot und der Vertreibung aus dem kommunistischen China hat sich das klassische Feng Shui je nach Ursprung anders weiterentwickelt. Das Feng Shui aus Hongkong unterscheidet sich vom Feng Shui aus Malaysia oder Taiwan. Es lässt sich dort aber eine verstärkte Hinwendung zu den chinesischen Klassikern feststellen. In der Volksrepublik China, Taiwan und Hongkong werden Neubauten (zum Teil auch aufwendige Bauprojekte wie Hochbauten) manchmal nach den Regeln des klassischen Feng Shui errichtet. Wenn ein Gebäude im Feng Shui Prinzip gestaltet wird, müssen ganz besonders die Grundstücksausrichtung, Wegführung, Fassade und Raumaufteilungen berücksichtigt werden. Westliches Feng Shui oder Neo-Feng-Shui. Im Westen ist durch die Vermischung einiger traditioneller chinesischer Feng-Shui-Grundideen mit Vorstellungen der New Age- und Esoterik-Bewegung ein neues System entstanden, das Feng Shui vorwiegend als Methode zur Harmonisierung von Wohnräumen anwendet. Die in China übliche Praxis, Feng Shui bereits bei der Planung von Bauobjekten zu berücksichtigen, findet im Westen nur vereinzelt Anwendung. Das im Westen praktizierte Neo-Feng-Shui-System hat seinen Ursprung bei der von Lin Yun 1986 in Kalifornien gegründeten „Church of Black (Hat) Sect Tantric Buddhism“. Einbezogen werden zum Beispiel Theorien von Farbgestaltung und dem energetischen Einfluss von Kristallen und Düften. Unter Verwendung von zahlreichen Hilfsmitteln wie Windspielen, Kristallen, Zimmerbrunnen, Goldsteinen, farbigen Stoffen oder Wasserpostern soll der Fluss der Lebensenergie Qi in Wohnräumen regulierbar sein. Das Neo-Feng-Shui oder New-Age-Feng-Shui ignoriert die Himmelsrichtungen und richtet Maßnahmen nach dem Hauseingang oder der Wohnungstür aus, während klassisches Feng Shui in China versucht, bereits bei den Baumaßnahmen Einfluss auszuüben. Eine der beliebtesten Methoden im Neo-Feng-Shui, das sogenannte Drei-Türen-Bagua, lässt sich nur sehr ansatzweise auf klassische Quellen zurückführen: Im Shuo Gua, einem der Zehn Flügel des I Ging, finden sich Beschreibungen der acht Trigramme, die sich mit viel Fantasie zu den von Neo-Feng-Shui-Praktizierenden verwendeten Bedeutungen umdeuten lassen. Im Shuo Gua wird jedoch jedem Trigramm eine Himmelsrichtung fest zugeordnet, diese Richtungszuordnung wurde von Lin Yun jedoch fallen gelassen. Die klassische Lehre des Feng Shui vermeidet jede universelle Fassung der "Bedeutung". Dies gilt sowohl für die Elemente als auch für die „Wirkungsweisen“. Im modernen Kontext der Anwendung im Westen wird vereinzelt eine modellhafte Darstellung von Qi ähnlich einer naturwissenschaftlichen Modellbildung diskutiert. Der Chinaexperte Professor Hans-Heinrich Bass erklärte dazu in einem Interview: Gegenpositionen. Der Theologe Rüdiger Hauth, ehemaliger Beauftragter für Sekten und Weltanschauungsfragen der westfälischen Landeskirche, wandte ein, dass Feng Shui nicht naturwissenschaftlich begründet ist; außerdem wies er darauf hin, dass der Glaube, auf dem es basiert, mit dem christlichen nicht vereinbar sei. Eine Organisation der Skeptikerbewegung kritisierte, dass Feng Shui in Dienstleistungsangeboten häufig in Zusammenhang mit anderen aus naturwissenschaftlicher Sicht angezweifelten Konzepten wie Elektrosmog, Radiästhesie oder Erdstrahlung gebracht wird.
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Flugzeug
Ein Flugzeug ist ein Luftfahrzeug, das schwerer als Luft ist und den zu seinem Fliegen nötigen dynamischen Auftrieb mit nicht-rotierenden Auftriebsflächen erzeugt. In der enger gefassten Definition der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) ist es auch immer ein motorisiertes Luftfahrzeug. Der Betrieb von Flugzeugen, die am Luftverkehr teilnehmen, wird durch Luftverkehrsgesetze geregelt. Umgangssprachlich werden Flugzeuge mitunter auch "Flieger" genannt, der Ausdruck "Flieger" hat als Hauptbedeutung jedoch den Piloten. Definition. Die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (International Civil Aviation Organization, ICAO) definiert den Begriff "Flugzeug" wie folgt: Im rechtlichen Sprachgebrauch ist ein "Flugzeug" ein "motorgetriebenes Luftfahrzeug, schwerer als (die von ihm verdrängte) Luft, das seinen Auftrieb durch Tragflächen erhält, die bei gleichbleibenden Flugbedingungen unverändert bleiben," allgemeinsprachlich "Motorflugzeug" genannt. Wenn in einem Gesetzestext also von "Flugzeugen" die Rede ist, dann sind immer nur Motorflugzeuge gemeint, nicht aber Segelflugzeuge, Motorsegler und Ultraleichtflugzeuge. Letztere sind in Deutschland eine Unterklasse der Luftsportgeräte. Manche Autoren verwenden eine weiter gefasste Definition, nach der auch die Drehflügler eine Untergruppe der Flugzeuge darstellen. Die eigentlichen Flugzeuge werden dann zur besseren Abgrenzung als "Starrflügler", "Starrflügelflugzeug" oder "Flächenflugzeug" bezeichnet. Diese Einordnung widerspricht aber sowohl der rechtlichen Definition als auch dem allgemeinen Sprachgebrauch und kann damit als veraltet betrachtet werden. Die in diesem Artikel verwendete Definition richtet sich nach der umgangssprachlichen Bedeutung des Begriffes "Flugzeug", die sämtliche Luftfahrzeuge umfasst, die einen Rumpf mit festen Tragflächen besitzen. Abgrenzung zu anderen Luftfahrzeugen. Bei Flugzeugen wird der Auftrieb – bei der Vorwärtsbewegung des Luftfahrzeugs – durch die Umlenkung der notwendigen Luftströmung an den Tragflächen (mit geeignetem Profil und Anstellwinkel) erzeugt. Durch die Umlenkung wird der Luft ein senkrecht nach unten gerichteter Impuls übertragen. Nach dem ersten Newtonschen Gesetz erfordert diese Richtungsänderung der Strömung nach unten eine stetig wirkende Kraft. Nach dem dritten Newtonschen Gesetz (Actio und reactio) wirkt dabei eine gleiche und entgegengesetzte Kraft, der Auftrieb, auf die Tragfläche. Neben der starren Verbindung von Flügel und Flugzeugrumpf gibt es mit Wandel- und Schwenkflügelflugzeugen auch einige Flugzeugtypen, bei denen die Flügel flexibel am Flugzeugrumpf fixiert sind. Damit können bei diesen Typen Einsatzanforderungen realisiert werden, die mit einer starren Tragfläche nicht möglich sind. Im weiteren Sinn benutzen das Starrflügelprinzip auch Luftfahrzeuge mit vollkommen flexiblen Tragflächen, wie Gleit- und Motorschirme, sowie mit zerlegbaren Tragflächen wie bei Hängegleitern. Bodeneffektfahrzeuge. Bodeneffektfahrzeuge fliegen mit Hilfe von Tragflächen knapp über der Erdoberfläche und ähneln damit tief fliegenden Flugzeugen. Sie sind jedoch in der Regel nicht in der Lage, über den Einflussbereich des Bodeneffektes hinaus zu steigen, und gelten daher – ähnlich wie Luftkissenfahrzeuge – nicht als Luftfahrzeuge. Drehflügler. Bei Drehflüglern ("Hubschrauber", "Helikopter") sind die Tragflächen in Form eines horizontalen Rotors aufgebaut. Die Luftströmung über den Rotorblättern ergibt sich aus der Kombination der Drehbewegung des Rotors und der anströmenden Luft aus Eigenbewegung und Wind. Einige Drehflügler, wie zum Beispiel die Verbundhubschrauber oder Kombinationsflugschrauber, besitzen jedoch neben ihrem Hauptrotor auch mehr oder weniger lange, feste Tragflächen, die für zusätzlichen Auftrieb sorgen. Ein Zwischending zwischen Starrflügelflugzeugen und Drehflüglern sind die Wandelflugzeuge, die im Flug die Flugmodi (Flugzustände) wechseln können. Raketen. Anders als das Flugzeug fliegt die Rakete mit einem Raketentriebwerk (Rückstoßantrieb) durch Ausstoßen mitgeführter "Stützmasse" unabhängig von einer Luftströmung, auch wenn sie für Flugphasen in der Atmosphäre aerodynamische Steuerflächen haben kann. Diese dienen aber nicht dem Auftrieb, sondern nur der Stabilisierung und Steuerung. Ein Sonderfall ist der Raumgleiter, der meist mit einer Trägerrakete startet und im aerodynamischen Flug landet. Er kann als Flugzeug angesehen werden. Rotorflugzeuge. Ein Rotorflugzeug besitzt als Tragorgane Flettner-Rotoren, die den Magnus-Effekt nutzen. Rotorflugzeuge sind selbst im Modellbau nur selten anzutreffen und haben bisher keine praktische Bedeutung. Sie dürfen nicht mit Drehflüglern verwechselt werden. Schwingenflugzeuge. Bei Ornithoptern, auch "Schwingenflugzeug" genannt, bewegen sich die Tragflächen wie Vogelflügel auf und ab, um Auftrieb und Vortrieb zu erzeugen. Sie werden daher teils auch "Flatterflügel" genannt. Besonders in der Frühzeit der Luftfahrt wurde versucht, Schwingenflugzeuge nach dem Vorbild der Natur zu bauen. Es ist nicht bekannt, dass personentragende Flugzeuge dieses Typs bisher geflogen sind, es gibt aber funktionsfähige, ferngesteuerte Modell-Ornithopter und Kleinstdrohnen, so z. B. das DelFly der TU Delft. Genereller Aufbau. Traditionell wird ein Flugzeug in drei Hauptgruppen (Konstruktionshauptgruppen) unterteilt: Flugwerk, Triebwerksanlage und Ausrüstung. Flugwerk. Das Flugwerk besteht aus dem Rumpfwerk, dem Tragwerk, dem Leitwerk, dem Steuerwerk und dem Fahrwerk bei Landflugzeugen bzw. den Auftriebskörpern (Schwimmern) bei Wasserflugzeugen. Bei Senkrechtstartern und Segelflugzeugen älterer Bauart kann anstelle von Fahrwerk oder Schwimmern ein Kufenlandegestell vorhanden sein. In vielen, meist älteren Veröffentlichungen wird statt Flugwerk der Begriff Flugzeugzelle oder einfach Zelle verwendet. Rumpfwerk. Der Flugzeugrumpf ist das zentrale Konstruktionselement der meisten Flugzeuge. An ihm ist das Tragwerk angebracht, er beherbergt neben den Piloten auch einen Großteil der Betriebsausrüstung. Bei einem Passagierflugzeug nimmt der Rumpf die Passagiere auf. Oft ist auch das Fahrwerk ganz oder teilweise am Rumpf. Die Triebwerke können in den Rumpf integriert werden. Bei Flugbooten bildet der Rumpf den Haupt-Auftriebskörper. Man unterscheidet verschiedene Rumpfformen. Heute sind runde Rumpfquerschnitte die Regel, wenn die Maschine eine Druckkabine besitzt. Frachtmaschinen besitzen oft einen rechteckigen Rumpfquerschnitt, um das Beladevolumen zu optimieren. Die meisten Flugzeuge besitzen nur einen Rumpf, daneben gibt es auch Maschinen mit Doppelrumpf und Nurflügelflugzeuge. Tragwerk. Das Tragwerk besteht neben einer oder mehreren Tragflächen als Hauptkomponente aus sämtlichen Auftrieb liefernden Komponenten. Leitwerk. Das Leitwerk besteht aus dem Höhenleitwerk mit den Höhenrudern und den zugehörigen Trimmrudern, dem Seitenleitwerk mit dem Seitenruder und dem Trimmruder dafür und den Querrudern. Zudem ist die Hauptaufgabe des Leitwerks, die gegebene Fluglage und Richtung zu stabilisieren, ferner die Steuerung um alle drei Achsen des Flugzeuges. Steuerwerk. Das Steuerwerk oder die Steuerung besteht beim Starrflügelflugzeug aus dem Steuerknüppel oder der Steuersäule mit Steuerhorn oder Handrad und den Seitensteuerpedalen, mit denen die Steuerbefehle gegeben werden. Für die Übertragung der Steuerkräfte bzw. -signale können Gestänge, Seilzüge, Hydraulik, elektrische (Fly-by-wire) oder optische (Fly-by-light) Signale eingesetzt werden. Die Steuersäule wird bei einigen modernen Flugzeugen durch den Sidestick ersetzt. Fahrwerk. Das Fahrwerk ermöglicht einem Flugzeug, sich am Boden zu bewegen, die erforderliche Abhebegeschwindigkeit zu erreichen, die Landestöße zu absorbieren und Stöße z. B. durch Bodenwellen zu dämpfen. Fahrwerke werden eingeteilt in starre, halbstarre und Einziehfahrwerke. Ein starres Fahrwerk behält auch während des Fluges unverändert seine Position bei; das halbstarre Fahrwerk wird teilweise eingezogen (z. B. nur das Bugfahrwerk). Ein Einziehfahrwerk kann nach dem Start eingezogen und gegebenenfalls durch Fahrwerksklappen abgedeckt werden und muss vor der Landung wieder ausgefahren werden. Flugzeuge mit hoher Endgeschwindigkeit haben stets Einziehfahrwerke. Fahrwerke können auch eingeteilt werden gemäß ihrer Anordnung. Weitverbreitete Fahrwerksform ist das „Bugradfahrwerk“, bei dem ein oder mehrere kleine Räder am Flugzeugvorderteil angebracht sind und das Hauptfahrwerk hinter dem Flugzeugschwerpunkt liegt. Dies ermöglicht während des Rollens am Boden gute Sicht für den Piloten im Vergleich zum ehemals weit verbreitete Heck- oder Spornfahrwerk mit einem kleinen Rad oder einem Schleifsporn am Heck; es kommt heute nur noch selten zum Einsatz. Eine Besonderheit ist das Tandemfahrwerk, bei dem die Fahrwerksteile vorne und hinten am Rumpf gleich groß sind und sich die Hauptlast teilen, das Flugzeug wird seitwärts durch Stützräder am Tragwerk stabilisiert. Triebwerk. Die Triebwerksanlage eines Flugzeuges umfasst einen oder mehrere Motoren (i. Allg. von gleicher Bauart) mit Zubehör. Die häufigsten Bauweisen sind: Hubkolbenmotor (Flugmotor) mit Propeller, Gasturbine (Wellenleistungstriebwerk) mit Propeller (Turboprop) sowie das Turbinen-Strahltriebwerk, meist in Turbofan-Bauweise. Selten/experimentell sind Staustrahltriebwerk, Raketentriebwerk oder Elektromotor. Zum Zubehör gehören das Kraftstoffsystem und -leitungen, ggf. eine Schmieranlage, die Motorkühlung, Triebwerksträger und Triebwerksverkleidung. Außerhalb der Kampffliegerei sind die Strahltriebwerke aus Wartungsgründen mittlerweile nicht mehr in Flügel oder Rumpf integriert, eine Ausnahme bildet die Nimrod MRA4. Als Treibstoff wird meist Kerosin, AvGas, MoGas oder Ethanol verwendet. Betriebsausrüstung. Die Betriebsausrüstung eines Flugzeuges umfasst alle bordseitigen Komponenten eines Flugzeuges, die nicht zu Flugwerk und Triebwerk gehören und die zur sicheren Durchführung eines Fluges erforderlich sind. Sie besteht aus den Komponenten zur Überwachung von Fluglage, Flug- und Triebwerkszustand, zur Navigation, zur Kommunikation, aus Versorgungssystemen, Warnsystemen, Sicherheitsausrüstung und gegebenenfalls Sonderausrüstung. Der elektronische Teil der Betriebsausrüstung wird auch Avionik genannt. Viele Fachautoren zählen inzwischen das Steuerwerk oder die Steuerung nicht mehr zum Flugwerk, sondern zur Betriebsausrüstung, da bei modernen Flugzeugen die Steuerung von den Sensoren der Betriebsausrüstung und von Bordrechnern wesentlich beeinflusst wird. Bauweisen. Werkstoffe für Flugzeuge sollten eine möglichst große Festigkeit (s. a. Spezifische Festigkeit) gegenüber statischen und dynamischen Beanspruchungen besitzen, damit das Gewicht des Flugzeuges möglichst klein gehalten werden kann. Grundsätzlich eignen sich insbesondere Stähle, Leichtmetalllegierungen, Holz, Gewebe und Kunststoffe für den Flugzeugbau. Während Holz bis zu mittleren Größen sinnvoll angewendet worden ist, wird heute im Flugzeugbau allgemein die Ganzmetall- und Gemischtbauweise bevorzugt, bei der verschiedene Materialien so kombiniert werden, dass sich ihre jeweiligen Vorteile optimal ergänzen. Strukturen an Flugzeugen lassen sich durch verschiedene Konstruktions- und Bauweisen realisieren. Häufige Konstruktionsweisen sind Fachwerke, Schalen- und Halbschalenkonstruktionen; die Bauweisen werden in Holzbauweise, Gemischtbauweise, Metallbauweise und FVK-Bauweise unterschieden. Holzbauweise. Bei der Holzbauweise wird für den Rumpf ein Gerüst aus hölzernen "Längsgurten" und "Spanten" geleimt, das anschließend mit dünnem Sperrholz beplankt wird. Die Tragfläche besteht aus einem oder zwei Holmen, an die im rechten Winkel vorne und hinten die sog. "Rippen" angeleimt sind. Die Rippen geben dem Flügel die richtige Form. Vor dem Holm ist der Flügel mit dünnen Sperrholz beplankt, diese Beplankung wird "Torsionsnase" genannt. Sie verhindert, dass sich der Flügel beim Flug parallel zum Holm verdreht. Hinter dem Holm ist der Flügel mit einem Stoff aus Baumwolle oder speziellem Kunststoff bespannt. Dieser Stoff wird auf dem Holm oder der Torsionsnase und an der Endleiste, die die Rippen an der Flügelhinterkante verbindet, festgeklebt und mit Spannlack bestrichen. Spannlack zieht sich beim Trocknen zusammen und sorgt so dafür, dass die Bespannung straff ist. Bei Motorflugzeugen muss der Stoff zusätzlich noch an den Rippen festgenäht werden. Modernere Bespannstoffe aus Kunststoff ziehen sich beim Erwärmen zusammen, sie werden zum Spannen gebügelt. In die oberen Spannlackschichten wird bei Motorflugzeugen Aluminiumpulver als UV-Schutz eingemischt. Beispiele für solche Flugzeuge sind z. B. die Schleicher Ka 2 oder die Messerschmitt M17. Die reine Holzbauweise ist inzwischen veraltet. Metallbauweise. Die Metallbauweise ist bei Motorflugzeugen die gängigste Bauweise. Der Rumpf besteht aus einem verschweißten oder vernieteten Metallgerüst, das außen mit Blech beplankt ist. Die Tragflächen bestehen aus einem, bei großen Flugzeugen auch mehreren, Holmen, an die die Rippen angenietet oder angeschraubt sind. Die Beplankung besteht wie beim Rumpf aus dünnem Blech. Eines der bekanntesten Motorflugzeuge in Metallbauweise ist die Cessna 172, aber es gibt auch Segelflugzeuge aus Metall, wie den LET L-13 Blaník. Gemischtbauweise. Die Gemischtbauweise ist eine Mischung aus Holz- und Metallbauweise. Üblicherweise besteht hierbei der Rumpf aus einem geschweißten Metallgerüst, das mit Stoff bespannt ist, während die Flügel wie in der Holzbauweise gebaut sind. Es gibt allerdings auch Flugzeuge, deren Tragflächen ebenfalls aus einem bespannten Metallgerüst bestehen. Der Grundaufbau aus Holmen und Rippen unterscheidet sich aber nur durch die verwendeten Materialien von der Holzbauweise. Die Schleicher K 8 ist ein Flugzeug mit einem Rumpf aus Metallgerüst und hölzernen Tragflächen, bei der Piper PA-18 bestehen die Tragflächen aus einem Aluminiumgerüst. Kunststoffbauweise. Die Metallbauweise wird seit einigen Jahren zunehmend durch die Faser-Verbund-Kunststoff-Bauweise (kurz: FVK-Bauweise) verdrängt. Das Flugzeug besteht aus Matten, meistens Gewebe aus Glas-, Aramid- oder Kohlenstofffasern, die in Formen gelegt, mit Kunstharz getränkt und anschließend durch Erhitzen ausgehärtet werden. An den Stellen des Flugzeuges, die viel Energie aufnehmen müssen, wird zusätzlich ein Stützstoff, entweder Hartschaumstoff oder eine Wabenstruktur eingeklebt. Auch hier wird nicht auf Spanten im Rumpf und Holme in den Tragflächen verzichtet. Die FVK-Bauweise wurde zuerst im Segelflug angewendet, das erste Flugzeug dieser Bauweise war die FS 24, der Prototyp wurde 1953 bis 1957 von der Akaflieg Stuttgart gebaut. Inzwischen gehen aber auch Hersteller von Motorflugzeugen auf die FVK-Bauweise über, z. B. Diamond Aircraft oder Cirrus Design Corporation. Beispiele für die FVK-Bauweise sind der Schempp-Hirth Ventus oder die Diamond DA 40. Vor allem im Großflugzeugbau werden zurzeit auch Kombinationen aus Metallbauweise und FVK-Bauweise hergestellt. Ein populäres Beispiel ist der Airbus A380. Wartung und Lebensdauer. Wartung. Flugzeuge unterliegen während ihrer gesamten Lebensdauer verpflichtenden Wartungsanforderungen durch zertifizierte Betriebe. Diese sind in A-, B-, C- und D-Check eingeteilt, letzterer erfolgt nach ca. sechs bis zehn Jahren oder mehreren 10.000 Flugstunden. Dabei wird das gesamte Flugzeug generalüberholt. Die Wartungsintervalle der Turbinen liegen bei 20.000 Flugstunden. Lebensdauer. Flugzeuge unterliegen, im Gegensatz zu bestimmten Einzelkomponenten wie Fahrwerken, grundsätzlich keiner maximalen Betriebsdauer. Verkehrsflugzeughersteller setzen bei der Konstruktion für ihre Maschinen nur eine Zielgröße für die Lebensdauer fest, bei Boeing "Minimum Design Service Objective", bei Airbus "Design Service Goal" (DSG) genannt. Diese Zielgrößen orientieren sich an der typischen Nutzung innerhalb von 20 Jahren. Die meisten Typen sind auf etwa 50.000–60.000 Flugstunden konstruiert; die Zahl der möglichen Flüge schwankt zwischen 20.000 bei Langstreckenmaschinen, z. B. Boeing 747, und 75.000 bei Kurzstreckenmaschinen, z. B. Boeing 737. Diese Mindestzielgrößen werden insbesondere hinsichtlich des Alters und der Flugstunden in großer Zahl überschritten. Airbus bietet, noch bevor die erste Maschine die Grenze des DSG erreicht, eine erweiterte Grenze "Enhanced Service Goal" (ESG) in Verbindung mit bestimmten Wartungsanforderungen an. Seit dem Jahr 1988 stieg durch den Vorfall bei Aloha-Airlines-Flug 243 das Thema ausgedehnte Rissbildung ("Widespread Fatigue Damage", WFD) bei älteren Flugzeugen in der Aufmerksamkeit von Behörden und Herstellern. Die Federal Aviation Administration verlangt bei Flugzeugen mit einem Höchstabfluggewicht von 75.000 Pfund (34 t) seit dem Jahr 2011 mit Beginn ab 2013–2017 (je nach Alter des Flugzeugtyps) von den Herstellern die Angabe von "Limits of Validity" (LOV, Grenzen der Gültigkeit), bei deren Überschreitung die Flugzeuge nicht weiter betrieben werden dürfen. Diese Obergrenzen liegen deutlich oberhalb der Mindestzielgrößen mit 30.000–110.000 Flügen oder 65.000–160.000 Flugstunden Boeing schätzt, dass bei Inkrafttreten für die ältesten Flugzeuge im Juli 2013 nur 25 Boeing-Maschinen weltweit oberhalb der neuen LOV liegen. Militärflugzeuge werden für eine Einsatzzeit von ca. 15 Jahren konzipiert, jedoch nur für 5.000–8.000 Flugstunden. Auf dem Rollfeld legt eine Verkehrsmaschine im Mittel 5 km pro Flug zurück. Daraus ergibt sich innerhalb der Lebensdauer eine Kilometerleistung am Boden von mehr als 250.000 km. Grundlagen: Auftrieb und Vortrieb. Auftrieb. Die Größe der dynamischen Auftriebskraft an einer Tragfläche (mit ihrem gegebenen Profil) wird von den Größen Anstellwinkel (dem Winkel zwischen der anströmenden Luft und der Flügelebene), der Profilform, der Tragflächengröße, der Dichte der Luft und ihrer Strömungsgeschwindigkeit bestimmt. Durch Erhöhung des Anstellwinkels bei konstanter Fluggeschwindigkeit steigt der Auftrieb proportional; dies trifft bei der Besonderheit des Überschallfluges nicht zu. Bei Lifting-Body-Flugzeugen ist der Rumpf aerodynamisch so geformt, dass er einen großen Anteil des Auftriebs liefert. Im Geradeausflug ist die Auftriebskraft gleich der Gewichtskraft (Gleichgewicht); bei Flugmanövern wie Start und Steigflug ist sie größer, beim Sinkflug geringer als die Gewichtskraft. Zusammenhang zwischen Auftrieb, Vortrieb und Luftwiderstand. Um sich vorwärts zu bewegen, muss das Luftfahrzeug Vortrieb erzeugen, um den Widerstand zu überwinden, der die freie Vorwärtsbewegung hemmt. Der Luftwiderstand eines Luftfahrzeuges ist abhängig Während sich die "parasitäre Widerstandsleistung" mit zunehmender Fluggeschwindigkeit in dritter Potenz der Geschwindigkeit vergrößert, verringert sich die "induzierte Widerstandsleistung" umgekehrt proportional. Der resultierende Gesamtwiderstand führt während des Fluges zu einem Energieverlust, der durch Energiezufuhr (Treibstoff, Sonnen- oder Windenergie) ausgeglichen werden muss, um den Flug fortzusetzen. Ist die zugeführte Energie größer als der Verlust durch den Gesamtwiderstand, wird das Luftfahrzeug beschleunigt. Diese Beschleunigung kann auch in Höhengewinn umgesetzt werden (Energieerhaltungssatz). Maßgeblich für die aerodynamische Qualität eines Luftfahrzeugs ist sowohl ein günstiger Strömungswiderstandsbeiwert (formula_2-Wert) als auch das Verhältnis vom Widerstandsbeiwert formula_2 zum Auftriebsbeiwert formula_4, die Gleitzahl formula_5. Den Zusammenhang zwischen dem Widerstandsbeiwert und dem Auftriebsbeiwert eines bestimmten Flügelprofils und damit dessen aerodynamische Charakteristik nennt man die Profilpolare, dargestellt im Polardiagramm nach Otto Lilienthal. Daraus ergibt sich die Auftriebsformel sowie die Widerstandsformel wobei formula_4 und formula_2 für die Beiwerte von Auftrieb und Widerstand, formula_10 für Staudruck (abhängig von Geschwindigkeit und Luftdichte) und formula_11 für die Bezugsfläche steht. Fluggeschwindigkeit und Flugenveloppe. Man kann zwischen folgenden Ausdrücken für Geschwindigkeiten unterscheiden: Der Flugzeugführer bekommt über seinen Fahrtmesser die Geschwindigkeit gegenüber der umgebenden Luft angezeigt. Diese wird aus statischem und dynamischem Druck am Staurohr des Fahrtmessers ermittelt. Diese angezeigte Geschwindigkeit ("indicated air speed", abgekürzt IAS) ist von der Luftdichte und somit der Flughöhe abhängig. Die IAS ist maßgeblich für den dynamischen Auftrieb. Sie hat daher die größte Bedeutung für die Piloten. In modernen Cockpits wird die IAS rechnerisch um den Instrumentenfehler korrigiert und als CAS angezeigt. Der mögliche Geschwindigkeitsbereich eines Flugzeugs in Abhängigkeit von der Flughöhe wird durch die Flugenveloppe dargestellt. Die untere Grenze wird dabei von der Überziehgeschwindigkeit, die obere Grenze vom Erreichen der Festigkeitsgrenzen dargestellt. Bei Flugzeugen, die bedingt durch die hohe Leistung ihres Antriebs den Bereich der Schallgeschwindigkeit erreichen können, die aber nicht für Überschallflüge konstruiert sind, liegt sie in einem gewissen Abstand unterhalb der Schallgeschwindigkeit. Wie schnell ein Flugzeug bezogen auf die Schallgeschwindigkeit fliegt, wird durch die Mach-Zahl dargestellt. Benannt nach dem österreichischen Physiker und Philosophen Ernst Mach, wird die Mach-Zahl 1 der Schallgeschwindigkeit gleichgesetzt. Moderne Verkehrsflugzeuge mit Strahltriebwerk sind i. A. optimiert für Geschwindigkeiten (IAS) von Mach 0,74 bis 0,90. Damit die Tragfläche ausreichend Auftrieb erzeugt, wird mindestens die "Minimalgeschwindigkeit" benötigt. Sie wird auch als "Überziehgeschwindigkeit" bezeichnet, weil bei ihrem Unterschreiten ein Strömungsabriss (engl. "stall") erfolgt und der Widerstand stark ansteigt, während der Auftrieb zusammenbricht. Die Überziehgeschwindigkeit verringert sich, wenn Hochauftriebshilfen (wie Landeklappen) ausgefahren sind. Beim Drehflügler ist die Fluggeschwindigkeit durch die Aerodynamik der Rotorblätter begrenzt: Einerseits können die Blattspitzen den Überschallbereich erreichen, andererseits kann es beim Rücklauf zum Strömungsabriss kommen. Die bezogen auf die Masse des Drehflüglers zu installierende Antriebsleistung steigt außerdem überproportional zur möglichen Maximalgeschwindigkeit. Flugzeuge starten und landen vorteilhafterweise gegen den Wind. Dadurch wird die zum Auftrieb beitragende angezeigte Geschwindigkeit größer als die Geschwindigkeit über Grund, mit der Folge, dass wesentlich kürzere Start- und Landestrecken gebraucht werden als bei Rückenwind. Arten des Vortriebs. Zur Erzeugung des Vortriebs gibt es verschiedene Möglichkeiten, je nachdem, ob und welche Mittel mit welchem Krafterzeugungs- und -übertragungsprinzip eingesetzt werden sollen: ohne Eigenantrieb Bei Segelflugzeugen, Hängegleitern und Gleitschirmen ist der Vortrieb auch ohne Eigenantrieb gewährleistet, da vorhandene Höhe verlustarm in Geschwindigkeit umgewandelt werden kann. Der Höhengewinn selbst erfolgt durch Windenschlepp, Schleppflugzeuge oder Aufwinde (z. B. Thermik oder Hang- und Wellenaufwinde), oder durch erhöhte Startposition. Propeller in Verbindung mit Muskelkraft Eine extreme Form des Propellerantriebs stellen Muskelkraft-Flugzeuge (HPA) dar: Ein Muskelkraftflugzeug wird nur mit Hilfe der Muskelkraft des Piloten angetrieben, unter Ausnutzung der Gleiteigenschaften der Flugzeugkonstruktion, die verständlicherweise extrem leicht sein muss. Propeller in Verbindung mit einem Elektromotor Ein Propeller kann auch durch einen Elektromotor angetrieben werden. Diese Antriebsart wird vor allem bei Solarflugzeugen und bei Modellflugzeugen verwendet, mittlerweile auch bei Ultraleichtflugzeugen. Propeller in Verbindung mit Kolbenmotoren Propeller in Verbindung mit Kolbenmotoren waren bis zur Entwicklung der Gasturbine die übliche Antriebsart. Als praktische Leistungsgrenze für Flugmotoren dieser Art wurden angesehen, als erreichbare Geschwindigkeit 750 km/h. Heute ist diese Antriebsart für kleinere ein- bis zweimotorige Flugzeuge üblich. Auf Grund der besonderen Anforderungen an die Sicherheit der Motoren werden spezielle Flugmotoren verwendet. Turboprop Propellerturbinentriebwerke – kurz Turboprop – werden für Kurz- und Regionalverkehrsflugzeuge, militärische Transportflugzeuge, Seeüberwachungsflugzeuge und ein- oder zweimotorige Geschäftsreiseflugzeuge im Unterschallbereich verwendet. Weiterentwicklungen für die zukünftige Verwendung in Verkehrsflugzeugen und militärischen Transportflugzeugen sind „Unducted Propfan“, auch „Unducted Fan“ (UDF) genannt und „Shrouded Propfan“ (z. B. MTU CRISP). Turbinenstrahltriebwerk Turbinen-Strahltriebwerke werden für moderne schnelle Flugzeuge bis nahe zur Schallgeschwindigkeit (bis zum Transschallgeschwindigkeitsbereich oder dem transsonischen Geschwindigkeitsbereich) oder auch für Geschwindigkeiten im Transschall- und Überschallbereich eingesetzt. Für Flüge im Bereich der Überschallgeschwindigkeit besitzen Turbostrahltriebwerke zur Leistungserhöhung oft eine Nachverbrennung. Staustrahltriebwerk Staustrahltriebwerke erreichen Hyperschallgeschwindigkeiten und besitzen nur wenige bewegte Teile. Sie funktionieren jedoch i. A. erst bei hohen Geschwindigkeiten und müssen erst anderweitig auf diese beschleunigt werden. Eine Kombination aus Turbostrahltriebwerk mit Nachverbrennung und Staustrahltriebwerk wird Turbostaustrahltriebwerk oder Turboramjet genannt. Pulsstrahltriebwerk Historisch war das Pulsstrahltriebwerk der Vorgänger des Raketentriebwerks, damals für Marschflugkörper. Aufgrund weniger bewegter Teile und einfacher Funktionsweise ist es leicht zu bauen; extrem hoher Verschleiß ermöglicht nur Betriebsdauern von (maximal) wenigen Stunden. Wegen des sehr lauten Betriebsgeräusches sind Pulsstrahltriebwerke in einigen Ländern verboten. Raketentriebwerke Raketentriebwerke werden bisher nur bei Experimentalflugzeugen verwendet. Booster Um den Vortrieb und besonders den Auftrieb beim Start von STOL-Flugzeugen zu erhöhen, wurden zeitweise auch Booster in Form von Strahltriebwerken (Beispiel: Varianten der Fairchild C-123) oder auch Feststoff- oder Dampfraketen (siehe auch Booster (Raketenantrieb)) eingesetzt. Wandelflugzeuge, auch als "Verwandlungsflugzeuge" oder "Verwandlungshubschrauber" bezeichnet, nutzen beim Senkrechtstart die Konfiguration eines Hubschraubers. Beim Übergang zum Vorwärtsflug werden sie zum Starrflügler umkonfiguriert. Sie kombinieren so Vorteile von Drehflügler und Starrflügler. Die Wandlung erfolgt meist durch Kippen des Rotors, der dann als Zugtriebwerk arbeitet – Kipprotor oder "Tiltrotor" genannt (z. B. Bell-Boeing V-22). Zu den Wandelflugzeugen gehören auch "Kippflügel-, Schwenkrotor-, Einziehrotor- und Stopprotorflugzeuge". Die meisten nicht durch Strahltriebwerke angetriebenen Senkrechtstarter (VTOL-Flugzeuge) gehören zu den Wandelflugzeugen. Flugsteuerung. Die Flugsteuerung, engl. Flight Control System (FCS), umfasst das gesamte System zur Steuerung von Flugzeugen um alle drei Raumachsen. Neben der am häufigsten im Flugzeugbau eingesetzten aerodynamischen Flugsteuerung mit Steuerflächen werden auch Gewichtssteuerungen und Schubvektorsteuerungen verwendet. Zur Flugsteuerung gehören die Steuerelemente – z. B. Steuerflächen, bewegliche Massen, Steuerdüsen –, die Bedienorgane (z. B. Steuerknüppel und Seitenruderpedal) im Cockpit und die Übertragungselemente für die Steuereingaben von den Bedienorganen zu den Steuerelementen. Achsen. Zur Beschreibung der Steuerung werden Achsen benannt: Querachse (Nicken, ), Längsachse (Rollen, ), und Hochachse (Gieren, ). Jeder Achse ist bei einem 3-Achs-gesteuerten Flugzeug mit aerodynamischer Flugsteuerung eine oder mehrere Steuerflächen zugeordnet. Eine 2-Achs-Steuerung verzichtet z. B. auf Querruder oder Seitenruder, die fehlende Komponente wird durch die Eigenstabilität ersetzt. "Siehe auch:" Roll-Pitch-Yaw-Winkel Steuerelemente. Die Steuerelemente der verschiedenen Steuerungssysteme sind Beim Senkrechtstarter kommen als weitere Steuerungsmöglichkeiten insbesondere im Schwebe- und Transitionsflug das Kippen bzw. Schwenken von Rotoren oder Strahltriebwerken hinzu. Die Steuerung eines Flugzeuges sei am Beispiel der aerodynamischen Steuerung über Ruder dargestellt: Das Flugzeug kann simultan um eine oder mehrere dieser Achsen drehen. Das Höhenruder ist in der Regel hinten am Flugzeugrumpf angebracht, ebenso das Seitenruder, diese Kombination wird als Heckleitwerk bezeichnet. Abweichend davon kann die Höhensteuerung auch vorne platziert sein (Canard). Höhen- und Seitenruder können auch kombiniert werden wie beim V-Leitwerk. Die Funktion der Querruder kann durch gegenläufigen Ausschlag der Höhenruder ersetzt werden. Alle Arten von Trimmrudern dienen der Stabilisierung der Flugzeuglage und erleichtern dem Piloten die Flugsteuerung. Bei modernen Flugzeugen übernimmt der Autopilot die Kontrolle der Trimmruder. Die Hochauftriebshilfen werden beim Starten, im Steigflug und zum Landeanflug benutzt. An der Hinterkante der Flügel befinden sich die Hinterkantenauftriebshilfen oder Endklappen (flaps), die im Gegensatz zu den Rudern immer synchron an beiden Tragflügeln verwendet werden. Größere Flugzeuge und STOL-Flugzeuge haben meist auch noch Nasenauftriebshilfen in Form von Vorflügeln (Slats), Krügerklappen oder Nasenklappen (Kippnasen), die analog zu den an der hinteren Tragflächenkante gelegenen Landeklappen an der vorderen Tragflächenkante ausfahren. Durch die Klappen kann die Wölbung des Tragflügelprofils so verändert werden, dass die Abrissgeschwindigkeit gesenkt wird und auch beim langsamen Landeanflug oder im Steigflug der Auftrieb erhalten bleibt. Für die Begrenzung der Geschwindigkeit im Sinkflug werden auf den Tragflächen angebrachte sogenannten Brems-/Störklappen, „Spoiler“ genannt, verwendet. Im ausgefahrenen Zustand vermindern sie den Auftrieb an den Tragflächen (Strömungsablösung). Durch den verringerten Auftrieb ist ein steilerer Landeanflug möglich. Spoiler werden auch zur Unterstützung der – in bestimmten Flugbereichen auch als Ersatz für – Querruder verwendet. Nach der Landung werden die Spoiler voll ausgefahren, so dass kein (positiver) Auftrieb mehr wirken kann. Dies geschieht meist durch einen Automatismus, der unter anderem durch das Einfedern des Hauptfahrwerks bei der Landung eingeleitet wird. Es gibt auch Steuerflächen mit mehrfachen Funktionen: Neben der konventionellen Anordnung der Steuerflächen existieren, wie vorher angedeutet, auch Sonderformen: Bedienorgane. Bedienorgane sind diejenigen Hebel und Pedale, die im Cockpit vom Piloten betätigt werden können und zur Steuerung des Flugzeugs dienen. Steuerknüppel, Steuerhorn oder Sidestick Steuerknüppel, Steuerhorn oder Sidestick dienen zur Steuerung der Querlage und der Längsneigung und steuern das Querruder und das Höhenruder. Der Steuerknüppel eines Flugzeugs dient zum gleichzeitigen Steuern von Querneigung und Längsneigung. Er befindet sich vor dem Unterbauch des Piloten und wird normalerweise mit einer Hand gehalten. Das Steuerhorn ist eine andere Einheit zur Steuerung von Flugzeugen um die Längs- und Querachse. Angeordnet ist es im Cockpit zentral vor dem Piloten und verfügt über Haltegriffe für beide Hände. Dabei werden die Kräfte, die während des Fluges auf das Flugzeug wirken, in Form von Widerstand und Ausschlag auf die Steuereinheit übertragen. Ein Sidestick ist ein Steuerknüppel, der nicht zentral vor dem Piloten, sondern seitlich angeordnet ist und nur mit einer Hand bedient wird. Seitenruderpedale Die Pedale zur Seitensteuerung betätigen das Seitenruder und in der Regel am Boden auch die Bremsen. Bei Segelflugzeugen wird die Radbremse (wenn vorhanden) meist durch Ziehen des Bremsklappenhebels betätigt. Trimmung Zur dauerhaften Trimmung dienen Übertragungselemente. Die Übertragung der Steuereingaben kann erfolgen Instrumente zum Erkennen der Lage im Raum. Seine Lage im Raum erkennt der Flugzeugführer entweder durch Beobachtung der Einzelheiten des überflogenen Gebiets und des Horizonts oder durch Anzeigeinstrumente (Flugnavigation). Bei schlechter Sicht dient der künstliche Horizont der Anzeige der Fluglage in Bezug auf die Nickachse, also den Anstellwinkel des Flugzeugrumpfes, und bezüglich der Rollachse, der sogenannten Querlage (Banklage). Die Himmelsrichtung, in die das Flugzeug fliegt, zeigen der magnetische Kompass und der Kurskreisel. Magnetischer Kompass und Kurskreisel ergänzen sich gegenseitig, da der Magnetkompass bei Sink-, Steig- und Kurvenflügen zu Dreh- und Beschleunigungsfehlern neigt, der Kurskreisel jedoch nicht. Der Kurskreisel hat jedoch keine eigene „nordsuchende“ Eigenschaft und muss mindestens vor dem Start (in der Praxis auch in regelmäßigen Abständen beim Geradeausflug) mit dem Magnetkompass kalibriert werden. Der Wendezeiger dient zur Anzeige der Drehrichtung und zur Messung der Drehgeschwindigkeit des Flugzeugs um die Hochachse (engl. rate of turn). Er enthält meistens eine Kugellibelle, die anzeigt, wie koordiniert eine Kurve geflogen wird. Für die Höhensteuerung sind mindestens zwei Instrumente wichtig: Die Flughöhe wird über den barometrischen Höhenmesser dargestellt; die relative Änderung der Höhe, die sogenannte Steigrate bzw. Sinkrate, ausgedrückt als Höhenunterschied pro Zeitspanne, bekommt der Flugzeugführer über das Variometer signalisiert. Zusätzlich wird bei größeren Flugzeugen im Landeanflug die absolute Höhe über Grund über den Radarhöhenmesser angezeigt. Weitere Klassifizierungen. Neben der naheliegenden Klassifizierung nach der Bauweise oder der Antriebsart haben sich weitere Klassifizierungen etabliert. Klassifizierung nach Verwendungszweck. Zivilflugzeuge. Zivilflugzeuge dienen der zivilen Luftfahrt, dazu gehört die allgemeine Luftfahrt und der Linien- und Charterverkehr durch die Fluggesellschaften (Airlines). Zivilflugzeuge werden hauptsächlich nach folgendem Schema klassifiziert: Die ersten Flugzeuge waren Experimentalflugzeuge. Experimentalflugzeuge, auch Versuchsflugzeuge genannt, dienen dem Erforschen von Techniken oder dem Testen von Forschungserkenntnissen im Bereich der Luftfahrt. Sehr früh in der Geschichte des Flugzeugs entstanden auch die Sportflugzeuge. Ein Sportflugzeug ist ein Leichtflugzeug zur Ausübung einer sportlichen Tätigkeit, entweder zur Erholung oder bei einem sportlichen Wettkampf. Noch vor dem Ersten Weltkrieg kam es zur Erprobung und zum Bau des Passagierflugzeugs. Passagierflugzeuge dienen dem zivilen Personentransport und werden auch als Verkehrsflugzeug bezeichnet. Kleinere Passagierflugzeuge werden auch als Zubringerflugzeuge bezeichnet. Speziell für Geschäftsreisende entworfene kleine Passagierflugzeuge sind die Geschäftsreiseflugzeuge, für die auch der engl. Ausdruck "Bizjet" verwendet wird. Ein Frachtflugzeug ist ein Flugzeug zum Transport von (kommerzieller) Fracht. Flugzeugsitze sind daher nur für die Mannschaft eingebaut, meist enthalten sie heute ein Transportsystem für Paletten und Flugzeugcontainer. Eine Unterkategorie des Frachtflugzeugs ist das Postflugzeug. Frühe Postflugzeuge konnten auch dem Transport einzelner Personen dienen. Für den Bereich der Land- und Forstwirtschaft werden spezielle Flugzeuge verwendet, die Dünger, bodenverbessernde Stoffe und Pflanzenschutzmittel in Behältern mitführen können und über Sprühdüsen, Streuteller oder ähnliche Einrichtungen verbreiten können. Sie werden allgemein als Agrarflugzeuge bezeichnet. Feuerlöschflugzeuge, auch „Wasserbomber“ genannt, sind Flugzeuge, die Wasser und Löschadditive in ein- oder angebauten Tanks mitführen und über Schadfeuern abwerfen können. Es gibt unter dem Begriff Rettungsflugzeug (amtlich „Luftrettungsmittel“ genannt) verschiedene unterschiedliche Kategorien wie Rettungshubschrauber, Intensivtransporthubschrauber, Notarzteinsatzhubschrauber oder Flugzeuge zur Rückholung von Patienten aus dem Ausland. Unter den Überbegriff Search and Rescue (SAR) fallen Flugzeuge, die zum Suchen und Retten von Unfallopfern verwendet werden. Es gibt zahlreiche Sonderbauformen wie z. B. Forschungsflugzeuge mit spezieller Ausrüstung (spezielles Radar, Fotokameras, sonstige Sensoren). Militärflugzeuge. Militärflugzeuge sind Flugzeuge, die der militärischen Nutzung unterliegen. Ganz sauber ist die Grenze jedoch nicht immer zu ziehen. Viele Flugzeuge erfahren sowohl militärische als auch zivile Verwendung. Militärflugzeuge werden nach folgenden Verwendungszwecken unterschieden: Ein Jagdflugzeug ist ein in erster Linie zur Bekämpfung anderer Flugzeuge eingesetztes Militärflugzeug. Heute spricht man eher vom Kampfflugzeug, da die Flugzeuge dieser Kategorie keiner eindeutigen Aufgabe zugeordnet werden können. Sie werden für den Luftkampf, die militärische Aufklärung, die taktische Bodenbekämpfung und/oder andere Aufgaben genutzt. Ein Bomber ist ein militärisches Flugzeug, das dazu dient, Bodenziele mit Fliegerbomben, Luft-Boden-Raketen und Marschflugkörpern anzugreifen. Ein Verbindungsflugzeug ist ein kleines Militärflugzeug, mit dem in der Regel Kommandeure transportiert werden. Es kann außerdem der Gefechtsfeldaufklärung dienen (heute nur noch bei Truppenübungen), als kleineres Ambulanzflugzeug dienen oder für Botendienste eingesetzt werden. Heute werden als Verbindungsflugzeug meistens leichte Hubschrauber eingesetzt. Luftbetankung bezeichnet die Übergabe von Treibstoff von einem Flugzeug zu einem anderen während des Fluges. Üblicherweise ist das Flugzeug, das den Treibstoff zur Verfügung stellt, ein speziell für diese Aufgabe entwickeltes Tankflugzeug. Ein Aufklärungsflugzeug ist ein Militärflugzeug, das für die Aufgabe konstruiert, umgebaut oder ausgerüstet ist, Informationen für die militärische Aufklärung zu beschaffen. Manchmal werden Aufklärungsflugzeuge auch als Spionageflugzeuge bezeichnet. Ein Schlachtflugzeug, auch Erdkampfflugzeug genannt, ist ein militärischer Flugzeugtyp, der besonders für die Bekämpfung von Bodenzielen vorgesehen ist. Dieser Typus stellt eine eigene Flugzeugart dar, die ganz spezifische taktische Aufgaben erfüllen soll. Da die Angriffe in niedrigen bis mittleren Flughöhen stattfinden und mit starkem Abwehrfeuer zu rechnen ist, werden besondere Schutzmaßnahmen ergriffen, wie Panzerung der Kabine und Triebwerke gegen Bodenfeuer. Transportflugzeuge, die mit seitlich ausgerichteten Maschinenwaffen oder gar Rohrartillerie ausgerüstet sind, nennen sich Gunship. Drehflügelflugzeuge in der Rolle von Erdkampfflugzeugen werden als Kampfhubschrauber bezeichnet. Ein Trainer ist ein Flugzeug, das zur Ausbildung von Piloten benutzt wird. Transportflugzeuge sind besondere Frachtflugzeuge, die für den militärischen Lastentransport entwickelt werden. Sie müssen robust, zuverlässig, variabel für den Personen-, Material- oder Frachttransport geeignet sowie schnell ein- und ausladbar sein. Transportiert werden können, auch in Kombination, zum Beispiel Hilfsgüter, Fallschirmspringer, Fahrzeuge, Panzer, Truppen oder Ausrüstung. Die Klassifikation ist in der Praxis nicht immer streng zwischen zivil und militärisch zu trennen, denn manche Zweckbestimmung kann unabhängig vom Einsatz gegeben sein. Beispielsweise können Fracht- bzw. Transportflugzeuge je nach Fracht, Sanitätsflugzeuge je nach Arzt/Patient und Trainer je nach Lehrer/Schüler sowohl im Zivil- als auch im Militärbereich vorkommen. Klassifizierung nach Struktur des Flugzeugs. Flugzeuge, die starre Tragflügel besitzen, werden häufig auch nach der Anzahl und Lage der Tragflügel zum Rumpf kategorisiert. Ein Eindecker ist ein Flugzeug mit einer einzigen Tragfläche bzw. einem Paar Tragflügeln. Eindecker werden wiederum unterteilt in Doppeldecker ist die Bezeichnung für ein Flugzeug, das zwei vertikal gestaffelt angeordnete Tragflächen besitzt. Eine Sonderform des Doppeldeckers ist der „Anderthalbdecker“. Um die Zeit des Ersten Weltkriegs gab es auch Dreidecker. Doppelrumpfflugzeuge besitzen zwei Rümpfe, sie sind gewissermaßen die Katamarane unter den Flugzeugen. Jeder Rumpf besitzt hierbei in der Regel ein eigenes Cockpit. Damit nicht zu verwechseln sind Flugzeuge mit einem doppelten Leitwerksträger, die jedoch nur einen Rumpf aufweisen, der meistens als Rumpfgondel ausgebildet ist. Asymmetrische Flugzeuge sind ein sehr seltener Flugzeugtyp, das bekannteste Exemplar ist die Blohm & Voss BV 141 von 1938. Hier ist die Flugzeugkanzel auf der Tragfläche, während der Propeller und Motor den Rumpf alleine besetzen. Die Tragflächen sind asymmetrisch ausgebildet. Als Canard oder Entenflugzeug wird ein Flugzeug bezeichnet, bei dem das Höhenleitwerk nicht konventionell am hinteren Ende des Flugzeugs montiert ist, sondern vor der Tragfläche an der Flugzeugnase; das Flugbild erinnert an eine fliegende Ente. Sind im Extremfall beide Tragflächen annähernd gleich groß, wird diese Auslegung auch als Tandemflügel bezeichnet. Ein Nurflügel ist ein Flugzeug ohne ein separates Höhenruder, bei dem es keine Differenzierung zwischen Tragflächen und Rumpf gibt. Bildet der Rumpf selbst den Auftriebskörper und hat dieser nicht mehr die typischen Dimensionen eines Tragflügels, wird er als Lifting Body bezeichnet. Die Vereinigung dieser beiden Konzepte nennt man Blended Wing Body. Ein Wasserflugzeug ist ein Flugzeug, das für Start und Landung auf Wasserflächen konstruiert ist. Es hat meist unter jeder der beiden Tragflächen einen leichten, bootartigen Schwimmer. Bei Flugbooten ist der gesamte Rumpf schwimmfähig. Wasserflugzeuge und Flugboote können nur vom Wasser aus starten oder im Wasser landen. Sind diese Flugzeuge mit (meist einziehbaren) Fahrwerken versehen, mit denen sie auch vom Land aus starten und auf dem Land landen können, werden sie Amphibienflugzeuge genannt. Klassifizierung nach Start- und Landeeigenschaften. Starrflügelflugzeuge und einige Typen der Drehflügler benötigen eine mehr oder weniger präparierte Start- und Landebahn einer gewissen Länge. Die Ansprüche reichen von einem ebenen Rasen ohne Hindernisse bis zur asphaltierten oder betonierten Piste. Flugzeuge, die mit besonders kurzen Start- und Landebahnen auskommen, werden als Kurzstartflugzeug oder STOL-Flugzeuge typisiert. Flugzeuge, die senkrecht starten und landen können, sind Senkrechtstarter oder VTOL-Flugzeuge. Sie benötigen gar keine Start- und Landebahn, sondern nur einen festen Untergrund ausreichender Größe, der ihr Gewicht tragen kann, und auf dem der Abwind (engl. downwash), der durch das VTOL-Flugzeug erzeugt wird, nicht allzu viel Schaden anrichtet, z. B. ein Helipad. VTOL-Flugzeuge, die auf dem Boden senkrecht nach oben stehend starten und landen, sind Heckstarter. Unbemannte Flugzeuge. Im zivilen Bereich sind unbemannte Flugzeuge meistens als Modellflugzeug gebräuchlich und werden über Funkfernsteuerungen gesteuert, selten über Programmsteuerungen. Unbemannte Flugzeuge im militärischen oder staatlichen Einsatz werden Drohnen genannt. Das Spektrum reicht hier von Modellflugzeugen zur Zieldarstellung für Flugabwehrkanonen über unbemannte Aufklärungsflugzeuge bis hin zu unbemannten bewaffneten Kampfflugzeugen (Kampfdrohnen). Im staatlichen Bereich werden Drohnen von Polizei und Zoll zur Tätersuche und Verfolgung eingesetzt, häufig mit Video- und Wärmebildkameras, für die bisher bemannte Polizeihubschrauber eingesetzt werden. Die Steuerung erfolgt dabei ebenfalls über Funkfern- oder Programmsteuerung. Während Drohnen in der Regel wiederverwendbar sind, werden unbemannte Flugzeuge mit fest eingebauten Sprengköpfen als Marschflugkörper bezeichnet. Geschichte. Die Flugpioniere. 1810 bis 1811 konstruierte Albrecht Ludwig Berblinger, der berühmte "Schneider von Ulm", seinen ersten flugfähigen Gleiter, führte ihn jedoch der Öffentlichkeit über der Donau unter ungünstigen Windverhältnissen vor und stürzte unter dem Spott der Zuschauer in den Fluss. Der englische Gelehrte Sir George Cayley (1773 bis 1857) untersuchte und beschrieb als Erster in grundlegender Weise die Probleme des aerodynamischen Flugs. Er löste sich vom Schwingenflug und veröffentlichte 1809 bis 1810 einen Vorschlag für ein Fluggerät „mit angestellter Fläche und einem Vortriebsmechanismus“. Er beschrieb damit als Erster das Prinzip des modernen Starrflügelflugzeugs. Im Jahr 1849 baute er einen bemannten Dreidecker, der eine kurze Strecke flog. Der Russe Alexander Moschaiski baute ein Flugzeug mit einem Dampfmaschinenantrieb, mit dem er zwischen 1882 und 1886 mehrere Flugversuche unternahm. Das Flugzeug konnte vom Boden abheben, verlor jedoch in der Folge an Geschwindigkeit und sackte ab. Seine verbesserte Version, die mit mehr Leistung ausgestattet war, wäre nach der Schlussfolgerung des russischen Luftfahrtforschungsinstituts ZAGI (getestet 1982) flugfähig. Zu dem Flug ist es jedoch durch den Tod des Konstrukteurs nicht mehr gekommen. Otto Lilienthal und Clement Ader. Der Flugpionier Otto Lilienthal (1848–1896) entwickelte nach ausführlichen theoretischen und praktischen Vorarbeiten Gleitflugzeuge und führte mit ihnen erfolgreiche Gleitflüge nach dem Prinzip „schwerer als Luft“ durch. Er ist deutlich über 1.000-mal gesegelt. Die erzielten maximalen Flugweiten lagen bei 250 Metern. Die aerodynamische Formgebung seiner Tragflügel erprobte er auf seinem „Rundlaufapparat“, der von der Funktion her ein Vorgänger der modernen Windkanäle war. Clement Ader hat mit seiner Eole den ersten (ungesteuerten) motorisierten Flug in der Geschichte ausgeführt. Bei der Eole handelte es sich um einen freitragenden Nurflügel-Eindecker, der von einer auf eine vierblättrige Luftschraube wirkenden 4-Zylinder-Dampfmaschine angetrieben wurde. Die Eole hob am 9. Oktober 1890 zu ihrem einzigen Flug ab, flog ca. 50 m weit, stürzte ab und wurde dabei zerstört. Einen der ersten "gesteuerten" Motorflüge soll der deutsch-amerikanische Flugpionier Gustav Weißkopf im Jahr 1901 über eine Strecke von einer halben Meile zurückgelegt haben. Hierzu gab es lediglich Zeugenaussagen, aber keinen fotografischen Beweis. Karl Jatho hat sich, in ihm zugeordneten handschriftlichen Notizen, „Luftsprünge“ mit seinem motorisierten Jatho-Drachen ab dem 18. August 1903 zugeschrieben, die von zunächst ca. 18 m, später bis ca. 60 m reichten. Der Zeitpunkt der Entstehung dieser Notizen und der Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung sind unklar; ebenso unklar ist der Status von Zeugenaussagen zu diesen Luftsprüngen, die im August 1933, also 30 Jahre später, erfolgt sein sollen. Für 1907 belegte Flugversuche mit dem Jatho-Drachen scheiterten. Brüder Wright. Die herausragende flugtechnische Leistung der Brüder Wright war die Entwicklung der ersten vollständigen aerodynamischen Flugsteuerung des Flugzeugs um alle drei Raumachsen, die sie selbst als notwendige Voraussetzung für den "kontrollierten" Motorflug ansahen und bereits mit ihrem 1902 Wright Glider erreichten. Sie verwendeten einen Tragflächenverwindungsmechanismus, den Vorläufer des heutigen Querruders, zur Steuerung der Rollbewegung um die Längsachse (das seitliche Neigen), ein (vorn angebrachtes) Höhenruder („Canard“) für die Steuerung der Nickbewegung um die Querachse sowie ein Seitenruder für die Kontrolle des Gierens um die Hochachse, ohne welches eine Kurve weder ein- noch wieder ausgeleitet werden kann. Mit dieser Dreiachssteuerung als Basis reichten sie bereits im März 1903 das Patent ihrer "Flying Machine" ein (erteilt 1906). Dass sie am 17. Dezember 1903 mit ihrem Wright Flyer als Erste erfolgreich einen andauernden, gesteuerten Motorflug durchführten, fußte auf den praktischen Erfahrungen mit dem Glider. Darüber hinaus haben sie ihre Flüge genauestens dokumentiert und innerhalb kurzer Zeit in weiteren Flügen die Tauglichkeit ihres Flugzeuges zweifelsfrei bewiesen. Von herausragender Bedeutung ist, dass Orville Wright bereits 1904 mit dem Wright Flyer II einen gesteuerten Vollkreis fliegen konnte. Samuel Pierpont Langley, ein Sekretär des Smithsonian-Instituts, versuchte einige Wochen vor dem Wright-Flug, sein „Aerodrome“ zum Fliegen zu bringen. Obwohl sein Versuch scheiterte, behauptete das Smithsonian-Institut einige Zeit, die Aerodrome wäre die erste „flugtaugliche Maschine“. Der Wright Flyer wurde dem Smithsonian Institut mit der Auflage gestiftet, dass das Institut keinen früheren motorisierten Flug anerkennen dürfe. Diese Auflage wurde von den Stiftern formuliert, um die frühere Darstellung des Instituts, Langley hätte mit der Aerodrome den ersten erfolgreichen Motorflug durchgeführt, zu unterbinden. Diese Auflage führte immer wieder zu der Vermutung, dass es vor den Wright Flyern erfolgreiche Versuche zum Motorflug gegeben habe, deren Anerkennung aber im Zusammenhang mit der Stiftungsauflage unterdrückt worden sei. Die ersten Motorflugzeuge waren meistens Doppeldecker. Versuchsweise wurden auch mehr als drei Tragflächen übereinander angeordnet. Eine solche Mehrdeckerkonstruktion stammte von dem Engländer Horatio Frederick Phillips. Mit dem Fünfzigdecker „Horatio Phillips No. 2“ gelang ihm im Sommer 1907 der erste Motorflug in England. Erste Ärmelkanalüberquerung. Im Jahr 1909 setzte Europa weitere praktische Meilensteine in der Geschichte des Flugzeugs. Am 25. Juli 1909 überquerte Louis Blériot mit seinem Eindecker Blériot XI als Erster mit einem Flugzeug den Ärmelkanal. Sein Flug von Calais nach Dover dauerte 37 Minuten bei einer durchschnittlichen Flughöhe von 100 Metern. Blériot konnte somit den von der englischen Zeitung Daily Mail für die erste Kanalüberquerung ausgelobten Geldpreis entgegennehmen. Mit der Blériot XI wurde ihr Konstrukteur „Vater der modernen Eindecker“. Der Erfolg der Maschine machte ihn zum ersten kommerziellen Flugzeughersteller. Vom 22. bis zum 29. August 1909 fand mit der „Grande Semaine d’Aviation de la Champagne“ eine Flugschau bei Reims statt, die mehrere Rekorde bescherte: Henri Farman flog eine Strecke von 180 Kilometern in drei Stunden. Blériot flog die höchste Fluggeschwindigkeit über die 10-Kilometer-Strecke mit 76,95 km/h. Hubert Latham erreichte auf einer „Antoinette“ des Flugzeugkonstrukteurs "Levasseur" mit 155 m die größte Flughöhe. 1910 gelang dem französischen Ingenieur Henri Fabre mit dem von ihm konstruierten Canard Hydravion der erste Flug mit einem Wasserflugzeug. Monocoque. Im Jahr 1912 erfindet Louis Béchereau die Monocoque-Bauweise für Flugzeuge. Die Rümpfe anderer Flugzeuge bestanden aus einem mit lackiertem Stoff überzogenen Gerüst. Das von Béchereau entworfene Deperdussin-Monocoque-Rennflugzeug besaß jedoch einen Stromlinienrumpf aus einer Holzschale ohne inneres Gerüst. Neu war auch die „DEP“-Steuerung, bei der auf dem Steuerknüppel für die Nickbewegung ein Steuerrad für die Rollbewegung saß, ein Prinzip, das heute noch vielfach Verwendung findet. Als Triebwerk besaß das Flugzeug einen speziellen Flugzeugmotor, den Gnôme-Umlaufmotor. Die Deperdussin Monocoques waren die schnellsten Flugzeuge ihrer Zeit. Ein wesentlicher technischer Durchbruch gelang kurz vor dem Ersten Weltkrieg dem russischen Konstrukteur und Piloten Igor Iwanowitsch Sikorski, der später eher als Hersteller von Flugbooten und Konstrukteur von Hubschraubern in den USA bekannt wurde. Von 1913 bis 1914 bewies er mit den ersten von ihm konstruierten „Großflugzeugen“, dem zweimotorigen Grand Baltiski, dem viermotorigen Russki Witjas und dessen Nachfolger, dem viermotorigen Ilja Muromez, dass solche großen Flugzeuge sicher und stabil fliegen können, selbst wenn ein oder zwei Motoren abgestellt sind oder ausfallen. Der Erste Weltkrieg. Während des Ersten Weltkrieges erkannten die Militärs den Wert der Luftaufklärung. Zugleich wollten sie den Gegner an einer Aufklärung hindern. Das Flugzeug entwickelte sich zur Waffe, und die Grundlagen des Luftkrieges mit Propellerflugzeugen wurden gelegt. Die zu Anfang des Krieges noch weit verbreiteten Flugzeuge mit Druckpropeller wurden durch die wendigeren und schnelleren Maschinen mit Zugpropeller ersetzt. Hierzu trug bei, dass die Synchronisierung der Bordmaschinengewehre mit dem Propeller über ein Unterbrechergetriebe entwickelt wurde, so dass man mit der starren Bewaffnung durch den eigenen Propellerkreis schießen konnte. Auf diese Weise konnte der Pilot mit dem Flugzeug den Gegner anvisieren, was den Einsatz von Maschinengewehren im Luftkampf wesentlich erfolgreicher machte. Aus den Flugzeugen wurden Granaten, Flechettes und darauf folgend erste spezielle Spreng- und Brandbomben abgeworfen. Dabei sollten zunächst die Soldaten in den feindlichen Linien und später auch Fabriken und Städte getroffen werden. Während des Ersten Weltkrieges wurde eine Flugzeugindustrie aus dem Boden gestampft, es entstanden die ersten Flugplätze, und die Technik des Flugfunks wurde entwickelt. Durch den Einsatz von neuen Metallen (Aluminium) wurden Flugzeugmotoren immer leistungsfähiger. Im Jahr 1915 erprobte Hugo Junkers das erste Ganzmetallflugzeug der Welt, die Junkers J 1. Hugo Junkers baute 1919 auch das erste Ganzmetall-Verkehrsflugzeug der Welt, die Junkers F 13, deren Konstruktionsprinzipien richtungweisend für folgende Flugzeuggenerationen wurden. Zwischenkriegszeit. Während des Ersten Weltkrieges war die Flugzeugproduktion stark angekurbelt worden. Nach diesem Krieg mussten die Flugzeughersteller ums Überleben kämpfen, da nicht mehr so viele Militärflugzeuge gebraucht wurden. Gerade in Europa gingen viele der ehemaligen Flugzeughersteller in Konkurs, wenn es ihnen nicht gelang, ihre Produktion auf zivile Güter umzustellen. In den USA waren Kampfflugzeuge geradezu zu Schleuderpreisen zu kaufen. Ehemalige Piloten von Kampfflugzeugen mussten sich eine neue Beschäftigung suchen. Kommerzielle zivile Luftfahrt Sowohl in den USA als auch in Europa entstanden viele neue zivile Dienste und Luftfahrtgesellschaften, wie z. B. die Luft Hansa 1926. Die bekanntesten Passagierflugzeuge dieser Zeit waren die Junkers F 13, die Junkers G 38, die Dornier Wal, die Handley Page H.P.42 und die Junkers Ju 52/3m. Langstreckenflüge Die große Herausforderung nach dem Krieg waren Langstreckenflüge, vor allem die Überquerung des Atlantik. Diese Aufgabe kostete einige Menschenleben, bis eines von drei in Neufundland gestarteten Curtiss-Flugbooten der US-Navy, die Curtiss NC-4, nach 11 Tagen am 27. Mai 1919 in Lissabon landete. In der Zeit vom 14. bis 15. Juni 1919 gelingt den britischen Fliegern Captain John Alcock und Lieutenant Arthur Whitten Brown der erste Nonstop-Flug über den Atlantik von West nach Ost. Ihr Flugzeug war ein zweimotoriger modifizierter Bomber Typ Vickers Vimy IV mit offenem Cockpit. Charles Lindbergh gelingt zwischen 20. und 21. Mai 1927 mit seinem Flugzeug „Ryan NYP“ Spirit of St. Louis der erste Nonstop-Alleinflug von New York nach Paris über den Atlantik. Er gewinnt damit den seit 1919 ausgelobten "Orteig Prize". Allein dieser Überflug brachte der US-amerikanischen Flugzeugindustrie und den US-amerikanischen Fluggesellschaften einen deutlichen Aufschwung. Eine von Daniel Guggenheim finanzierte Reise Lindberghs durch alle US-Bundesstaaten führte im ganzen Land zum Bau von Flugplätzen. Am 12. April 1928 gelingt der Transatlantikflug von Ost (Baldonnel in Irland) nach West (Greenly Island – Neufundland) durch Hermann Köhl, James Fitzmaurice und Ehrenfried Günther Freiherr von Hünefeld mit einer modifizierten Junkers W 33. Flugboote Ab Ende der 20er Jahre beginnt das Zeitalter der großen Flugboote, deren bekannteste Vertreter die Dornier Do X und Boeing 314 waren. Haupteinsatzbereich waren weite Transatlantik- und Pazifikflüge. Mit der Flugbootkombination Short Mayo war ab 1937 in England für Transatlantikflüge experimentiert worden. Der Sinn der Short-Mayo-Kombination war, mit einem leicht betankten Flugboot, in diesem Fall einer Short-S.21, ein schwerbeladenes Wasserflugzeug (eine Short-S.20) auf Flughöhe zu tragen und dort auszuklinken. Diese Kombination sollte das Verhältnis zwischen Leistung, Nutzlast und Treibstoff optimieren. Katapultflugzeuge Als Pionier im Katapultflugzeugbau gilt Ernst Heinkel, der 1925 eine Abflugbahn (noch kein Katapult) mit Flugzeug auf das japanische Schlachtschiff "Nagato" aufsetzte und erfolgreich persönlich in Dienst nahm. Auf wenigen großen Passagierschiffen wie der "Bremen" wurden mit dem Aufkommen der Katapulttechnik Katapultflugzeuge eingesetzt, die mittels eines Dampfkatapults gestartet wurden. Die Flugzeuge dienten meist zur schnellen Postbeförderung, wie die Heinkel HE 12 und die Junkers Ju 46. Im militärischen Bereich wurden Katapultflugzeuge hauptsächlich für die Luftaufklärung eingesetzt. Kleine Maschinen, wie die Arado Ar 196, wurden von großen Kriegsschiffen aus eingesetzt und große Katapultflugzeuge, wie die Dornier Do 26, wurden in den 1930er Jahren von der Lufthansa für den Transatlantik-Luftpostverkehr von Flugstützpunktschiffen aus eingesetzt und im Zweiten Weltkrieg als Transportflugzeuge und See-Fernaufklärer. Höhenflugzeuge Bereits ab 1937 begann die deutsche Luftwaffe mit dem Bau von Höhenflugzeugen, diese waren mit Druckkabinen ausgestattet und erreichten Höhen zwischen 12.000 und 15.000 m. Die bekanntesten Vertreter waren die Junkers EF 61, später die Henschel Hs 130 und die Junkers Ju 388. Sie dienten als Höhenaufklärer bzw. Höhenbomber, allerdings wurden sie nur in wenigen Exemplaren gebaut. Als erstes Passagierflugzeug mit einer Druckkabine erlaubte der Boeing 307 "Stratoliner" einen Flug über dem Wetter und damit eine wesentliche Komfortsteigerung für die Passagiere. 1939 bis 1945. Am 20. Juni 1939 startet mit der Heinkel He 176 das erste Versuchsflugzeug mit regelbarem Flüssigkeitsraketenantrieb. Dieses Flugzeug besitzt auch als erstes als Rettungsmittel eine abtrennbare Cockpitkapsel mit Bremsschirm. Der Pilot musste sich im Notfall dann allerdings von der Kapsel befreien und mit dem Fallschirm abspringen. Das Flugzeug erreichte eine maximale Geschwindigkeit von ca. 750 km/h. Die Heinkel He 178 war das erste Flugzeug der Welt, das von einem Turbinen-Luftstrahltriebwerk angetrieben wurde. Der Erstflug erfolgte am 27. August 1939. Durch die Luftschlacht um England geriet das Jagdflugzeug zunächst in den Mittelpunkt. Die beiden herausstechenden Typen dieser Zeit waren die Messerschmitt Bf 109 und die Supermarine Spitfire, die durch Verbesserungen der Aerodynamik und auch der Leistungsfähigkeit der Motoren im Laufe ihrer Entwicklung wesentlich in ihrer Leistungsfähigkeit gesteigert wurden. Die Heinkel He 280 war das erste zweistrahlige Flugzeug der Welt; es besaß zwei Turbostrahltriebwerke. Es war auch das erste Flugzeug, das mit einem Schleudersitz ausgerüstet war. Der Erstflug fand am 2. April 1941 statt. Seinen ersten Einsatz als Rettungsgerät hatte der Schleudersitz wohl am 13. Januar 1943, als sich der Pilot aus einer He 280 katapultieren musste, die wegen Vereisung flugunfähig geworden war. Die Alliierten setzten für den strategischen Luftkrieg große viermotorige Bombenflugzeuge ein. Da Angriffe wegen der deutschen Luftverteidigung oft nachts geflogen werden mussten, hielt die Avionik in den Luftkrieg Einzug. Geräte zu Positionsbestimmung, wie das GEE-Verfahren, Radar zur Navigation und zur Nachtjagd und auch Funkgeräte zogen in Einsatz ein. Der Kampf führte zu immer größeren Flughöhen und Geschwindigkeiten. Um die Bombenflugzeuge wirksam schützen zu können, wurden Jagdflugzeuge mit großer Reichweite entwickelt, etwa die North American P-51 Die Arado Ar 234B-2 von 1944 war der erste vierstrahlige Bomber mit einem Autopiloten ("PDS"), gefolgt. Kurz vor Kriegsende entstand der zweistrahlige Nurflügler Horten H IX. Die Außenhülle war mit einer Mischung aus Kohlenstaub und Leim beschichtet, um Radarstrahlen zu absorbieren. Mit der Messerschmitt Me 163 wurde Mitte 1944 ein Raketengleiter, ausgehend von einem Segelflugzeug, zur Einsatzreife entwickelt. Als Objektschutzjäger eingesetzt bestach das Flugzeug durch seine Steigleistung, war jedoch aufgrund der Einsatzumstände praktisch wirkungslos. Während dieser Zeit steigerte sich die Fluggeschwindigkeit bis in den transsonischen Bereich. Umfangreiche Forschungsprojekte, insbesondere auf deutscher Seite, führten zu grundlegenden Entdeckungen der in der Hochgeschwindigkeitsaerodynamik, etwa die Anwendung der Tragflächenpfeilung oder die Entdeckung der Flächenregel. Produkt dieser Bemühungen war der schwere Strahlbomber Junkers Ju 287 mit negativer Pfeilung der Tragflächen und Anwendung der Flächenregel. Die Japaner errangen mit ihrer leichten und wendigen Mitsubishi Zero Sen im Pazifik zunächst herausragende Erfolge. Erst spätere Entwicklungen der USA erlaubten es, gegen den Gegner mit Erfolgsaussicht vorzugehen. Als die Lage Ende 1944 für Japan immer aussichtsloser wurde, ersannen sie Kamikaze-Flugzeuge, deren Piloten das voll Sprengstoff gepackte Flugzeug selbstmörderisch auf alliierte Schiffe lenkten. 1945 bis heute. 1947 durchbrach die Bell X-1 als erstes Flugzeug offiziell die Schallmauer, inoffiziell war das nach Berichten deutscher Kampfflieger aus Versehen bereits 1945 mit einer Messerschmitt Me 262 gelungen. Die X-1 war ein Experimentalflugzeug mit Raketenantrieb, welches von einer B-29 in ca. 10 km Höhe getragen und dort ausgeklinkt wurde, woraufhin der Raketenantrieb zündete und das Flugzeug die Schallmauer durchbrach. Mit dem Kalten Krieg und dem Koreakrieg (1950–1953) begann das Wettrüsten der Strahlflugzeuge. Am 8. November 1950 gelang der weltweit erste Sieg in einem Luftkampf zwischen Strahlflugzeugen, bei dem eine MiG-15 von einer Lockheed P-80 abgeschossen wurde. Grundsätzlich waren die P-80 und Republic F-84 den sowjetischen Jets jedoch nicht gewachsen und wurden deshalb bald von der F-86 Sabre abgelöst. Mit der Inbetriebnahme der britischen De Havilland DH.106 Comet bei der Fluggesellschaft BOAC begann 1952 das Zeitalter der Strahlturbinen auch für Verkehrsflugzeuge. Allerdings wurden die wechselnden Druck-Belastungen nicht ausreichend berücksichtigt – der Verkehr fand jetzt in größeren Höhen statt und die Lastwechsel der Druckkabine führten zu Haarrissen im Rumpf. Als 1954 zwei Maschinen dieses Typs abstürzten, musste mit großem Aufwand nach den Ursachen geforscht werden; es handelte sich um Materialermüdung. Diese Forschung kam allen Konstrukteuren zugute. Mit der Tupolew Tu-104 etablierte währenddessen die Sowjetunion ab 1956 erfolgreiche Liniendienste. Die Comet nahm mit einem weitgehend neu konstruierten Rumpf als DH.106 Comet 4B im Herbst 1958 ihren Dienst wieder auf, allerdings nur kurz vor der Boeing 707, welche eine etwas höhere Reichweite hatte und mehr als doppelt so viele Passagiere befördern konnte. Eine verbesserte Wirtschaftlichkeit brachte ab 1962 der Einsatz der leistungsstärkeren und verbrauchsärmeren Mantelstromtriebwerke (engl. Turbofan). Anfang der 1970er Jahre begann der Einsatz von Großraumpassagierflugzeugen wie zum Beispiel dem Boeing 747 „Jumbo-Jet“ und der McDonnell Douglas DC-10, später kamen Airbus-Baureihen dazu; größtes Passagierflugzeug ist heute der Airbus A380. Mit Beginn der 1950er Jahre begann die Entwicklung weitreichender strategischer Bomber, die auch Atombomben tragen konnten. Die bekanntesten Vertreter waren die Boeing B-52, Convair B-58, Mjassischtschew M-4, die Tupolew Tu-95 und die Avro Vulcan. Die B-58 war das erste Kampfflugzeug mit einem zentralen Bordrechner, der die zahlreichen Baugruppen zusammenfasste. 1955 rüstete die französische Firma Sud Aviation ihren Hubschrauber Alouette II mit einer 250-kW-Turboméca-Artouste-Wellenturbine aus und baute damit den ersten Hubschrauber mit Gasturbinenantrieb. Mit dem Hawker Siddeley Harrier begann die Serienherstellung senkrechtstartender VTOL-Flugzeuge ab 1966. Allerdings kamen fast alle anderen VTOL-Flugzeuge nicht über das Prototypenstadium hinaus. Die USA entwickeln zurzeit (2005) mit dem Lockheed Martin F-35 eine neue Generation von V/STOL-Flugzeugen. Mit dem Vietnamkrieg trafen erneut sowjetische und amerikanische Flugzeuge aufeinander. Dabei erwies sich die MIG 21 gegenüber der amerikanischen McDonnell F-4 Phantom II in vielen Fällen als überlegen. Die Boeing B-52 wurde zu großflächigen Bombardements eingesetzt. Der umfangreiche Einsatz von Hubschraubern, wie der CH-47 Chinook und Bell UH-1, wurde immer wichtiger. Mit dem Jungfernflug der Tupolew Tu-144 am 31. Dezember 1968 und der Concorde am 2. März 1969 begann die Episode des Überschall-Passagierluftverkehrs. Die Amerikaner hatten bei konventionellen zivilen, mit Turbinenstrahltriebwerken angetriebenen Passagierflugzeugen eine Monopolstellung erreicht. Diese wollten Engländer und Franzosen durch den Bau der Concorde durchbrechen. Der gestiegene Ölpreis (er vervielfachte sich während der Ölkrisen 1973 und 1979/80) machte die Concorde unwirtschaftlich. Der enorme Kraftstoffverbrauch galt als ökologisch bedenklich. British Airways und Air France – damals beide staatliche Fluggesellschaften – wurden von ihren Regierungen zum Kauf der Concorde genötigt. Der letzte Flug einer Concorde fand am 26. November 2003 statt. Die Lockheed F-117A Nighthawk der United States Air Force war das weltweit erste einsatzbereite Flugzeug, das sich die Tarnkappentechnik konsequent zunutze machte. Die erste F-117A wurde 1982 ausgeliefert. Während des Baus der F-117 wurde sie von den amerikanischen Ingenieuren als „hoffnungsloser“ Fall bezeichnet, da sie vermuteten, dass das Flugzeug aufgrund seiner Form nie in der Lage sein würde zu fliegen. Bevor sie einen offiziellen Namen bekamen, nannten die Ingenieure und Testpiloten die unkonventionellen Flugzeuge, die während des Tages versteckt wurden, um Entdeckung durch sowjetische Satelliten zu verhindern, „Cockroaches“ (Kakerlaken). Diese Bezeichnung wird noch immer häufig benutzt, weil diese Flugzeuge nach Meinung vieler zu den hässlichsten gehören, die bislang gebaut wurden. Das Flugzeug wird auch „Wobblin Goblin“ genannt, speziell wegen ihrer unruhigen Flugeigenschaften bei Luftbetankungen. Es lässt sich auf Grund seiner instabilen aerodynamischen Eigenschaften nur mit Computerunterstützung fliegen. Mit dem Raketenflugzeug SpaceShipOne gelang am 21. Juni 2004 der erste privat finanzierte suborbitale Raumflug über 100 km Höhe. Die Maschine wurde von der Firma Scaled Composites im Rahmen des Projekts Tier One entwickelt, um den Wettbewerb Ansari X-Prize der "X-Prize Foundation" für sich entscheiden zu können. Dieser stellte zehn Millionen Dollar für denjenigen in Aussicht, der als Erster mit einem Fluggerät neben dem Piloten zwei Personen oder entsprechenden Ballast in eine Höhe von mehr als 100 Kilometer befördert und dies mit demselben Fluggerät innerhalb von 14 Tagen wiederholt. Laufende Forschung und Zukunft. Um der Thematik der notwendigen Treibstoffeinsparung zu begegnen, wird häufig der mögliche Einsatz von Nurflüglern diskutiert. Damit soll auch die Lärmbelastung gesenkt werden. Ein realistischer Forschungsschwerpunkt ist der erweiterte Einsatz von Leichtbauwerkstoffen wie CFK und bedingt GLARE. Auch werden neue Triebwerke mit Wärmerückgewinnung über Wärmeübertrager entwickelt. Die Nutzung aerodynamischer Erkenntnisse bei z. B. den Winglets oder den Gurney Flaps werden untersucht. Im militärischen Bereich setzen sich immer mehr die Drohnen durch und mit der Boeing AL-1 werden ganz neue Waffensysteme auf Laser-Basis erprobt. Rekorde. Fluggeschwindigkeit. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die von Flugzeugen erreichten Geschwindigkeitsrekorde: Größe. Als größtes Flugzeug der Welt gilt das Frachtflugzeug Antonow An-225 „Mrija“. Es hat die größte Länge, das höchste Startgewicht und den größten Gesamtschub aller Flugzeuge. Der Airbus A380 ist aufgrund seiner Kapazität von maximal 853 Passagieren das größte Passagierflugzeug der Welt. Dennoch ist er nicht das längste Passagierflugzeug: Die Boeing 747-8 ist mit 76,30 m das längste Passagierflugzeug der Welt. Die größte Spannweite hat das für Raketenstarts vorgesehene Scaled Composites Stratolaunch. Das leistungsfähigste Triebwerk hat die zweistrahlige Boeing 777-300 mit 512 kN Schub. Die größte Reichweite ist nur schwer festlegbar, da sie bei jedem Flugzeug durch zusätzliche Tanks (im Extremfall bis zum maximalen Startgewicht) erhöht werden kann. Das Flugzeug mit der größten serienmäßigen Reichweite ist die Boeing 777-200LR mit 17.446 km. Die größte jemals ohne nachzutanken erzielte Reichweite gehört die Voyager mit 42.212 km.
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Fantasy
Fantasy (von „Phantasie“) ist ein Genre der Phantastik, dessen Wurzeln sich in der Mythologie und den Sagen finden. Ähnlich wie die benachbarten Genres Science-Fiction und Horror findet Fantasy ihre wichtigsten Ausprägungen in Literatur und Film, außerdem aber auch in Musik und bildender Kunst, im Bereich Gesellschaftsspiele, Computerspiele sowie Pen-&-Paper- und Live-Rollenspiele. Als modernes Subgenre der Phantastik stellt die Fantasy übernatürliche, märchenhafte und magische Elemente in den Vordergrund. Oft bedient sie sich der Motive alter Mythen, Volksmärchen oder Sagen. So tauchen Sagengestalten wie Zwerge oder Zauberer auf, aber auch eigens erfundene Wesen oder anthropomorphe (menschenartige) Tiere. Häufig wird die Handlung in eine fiktive Welt verlegt, die sich deutlich von der irdischen Realität unterscheidet. Das Fiktionale gilt innerhalb des imaginären Hintergrundes als real. Merkmale. Welt. Als Hintergrund der Fantasyerzählung dient für gewöhnlich eine fiktive Welt, die sich in ihren Gesellschaftsstrukturen jedoch meist an historischen Epochen orientiert. Besonders beliebt ist dabei das europäische Mittelalter, auch Eisenzeit und Renaissance können als Vorlage dienen. Technisch wie kulturell befindet sich die phantastische Welt deshalb fast immer auf einem Stand, der nach heutigen Maßstäben rückständig bis archaisch wirkt. Gelegentlich wird dies zu einem Dualismus erweitert, in dem sich eine dekadente Zivilisation und eine edle, aber barbarische Kultur gegenüberstehen. Die "politische Ordnung" einer Fantasywelt gleicht meist dem Feudalismus. Hierbei handelt es sich nicht zufällig um einen Personenverbandsstaat, in dem die besonderen Beziehungen zwischen Individuen den gesellschaftlichen Zusammenhalt bewirken. Dies grenzt sich vom modernen Staatsverständnis ab, nach dem die Bürger unmittelbar Akteure des Staates sind. Die positive Errungenschaft des modernen Staatswesens, nämlich relative Gleichheit, wird in der Fantasy-Literatur selten zur Kenntnis genommen oder thematisiert. Dies rückt Fantasy in ihrer Erzählhaltung oft in die Nähe des Historienromans. Die "Religionen" der Fantasywelt sind teilweise polytheistisch, teilweise monotheistisch geprägt, wobei sich oft konkurrierende Religionsgemeinschaften gegenüberstehen. Religion wird dabei häufig nicht nur mythisch, sondern auch magisch (nach Jean Piaget) aufgefasst: Einzelne Menschen sind in der Lage, in die physikalischen Gesetze der Welt einzugreifen. Entweder geschieht dies durch magische Kräfte (Zauberer) oder mit göttlicher Hilfe (Priester). Auch gewöhnliche Individuen sind in diese höhere Ordnung eingebunden. Die klassische Fantasy-Welt weist somit eine Einheit von Politik und Religion auf, was einer idealisierten Form der mittelalterlichen Ordnung entspricht. Die "Kulturen" einer Fantasywelt sind zumeist an irdische Völker angelehnt, wobei antike, mittelalterliche und neuzeitliche Elemente bunt gemischt werden. Auffällig ist, dass die Völker zumeist idealisierte Gemeinschaften darstellen, die sich hinter herausragenden Persönlichkeiten wie Königen, Feldherren oder Stammesführern sammeln. Konflikte zwischen gesellschaftlichen Gruppen werden zumeist vernachlässigt, stark vereinfacht oder zwischen Individuen ausgetragen. Dies erinnert mitunter an die historistische Geschichtsschreibung und ihre Deutungsmuster. Rassen und Völker. In der Regel wird die Fantasy-Welt von Menschen bewohnt. Darüber hinaus können aber weitere Völker existieren, von denen viele werkübergreifend auftreten. Besonders beliebt sind die von J. R. R. Tolkien definierten Fantasyvölker Zwerge, Elben und Orks, die unter dem Terminus „Rassen“ auftauchen. Sie orientieren sich an Vorbildern aus Feen-, Elfen-, Drachen- und Koboldsagen, wie auch an dem Mythos alter Religionen, weisen aber stereotype Züge und Eigenheiten auf, die erst durch die Fantasy definiert wurden: Zwerge sind ein kleinwüchsiges Volk, leben unter der Erde, tragen einen Vollbart, sind meisterhafte Axt- und Streithammerkämpfer, Schmiede und Zecher. Elben sind unsterbliche oder zumindest langlebige Wesen, die mal als naturverbundenes Waldvolk, mal als kulturschaffende Hochzivilisation den Menschen moralisch und kulturell überlegen sind. Orks sind hässliche, aggressive Wesen, die auf Krieg und Plünderung aus sind. Goblins sind kleine, gewitzte Kobolde, die feige, aber zahlreich sind. Des Weiteren tauchen Untote wie belebte Skelette, Zombies und Vampire, Tiermenschen wie Zentauren, Minotauren, Satyre, Echsen- und Insektenwesen und Halblinge in vielen Romanen auf. Darüber hinaus können auch eigens vom Autor geschaffene Wesen, oder von diesem abgewandelte oder kombinierte Formen auftreten. Im Fantasy-Jargon wird der Terminus „Rasse“ sehr viel unbefangener gebraucht, als dies sonst der Fall ist. Dies liegt zum einen daran, dass es sich um eine direkte Übertragung aus dem Englischen handelt. Zum anderen besteht nach biologischer Definition oft ein auf Rasse basierendes Verwandtschaftsverhältnis zwischen den einzelnen Völkern, da sie auch miteinander fertile Nachkommen hervorbringen können. So treten gelegentlich Halbelben als Abkömmlinge von Mensch und Elb auf. Welche „Rassen“ allerdings untereinander Nachkommen zeugen können, kann von Werk zu Werk verschieden sein. Die Darstellung der Rassen und Völker weist oft rassistische und biologistische Tendenzen auf. So werden die Orks meistens als böse, verschlagen und degeneriert dargestellt, wobei ihnen ihre Aggressivität und Mordlust angeboren ist. Andere Rassen werden zwar weniger negativ, aber keineswegs differenzierter präsentiert. Neuere Werke der Fantasy haben diese Tendenz zumindest teilweise abgeschwächt. Motive und Erzählstrukturen. Die Fantasy greift oft auf erprobte Motive der Abenteuerliteratur zurück: Schwertkämpfe und Monsterbegegnungen, Reisen zu exotischen Orten, epochale Schlachten, Hofintrigen und der Kampf gegen einen mächtigen Gegner, der eindeutig dem Bösen zugerechnet werden kann. Als klassische Erzählstruktur dient die Quest (Heldenreise), wobei inzwischen auch Einflüsse durch Filme, Computer- und Rollenspiele erkennbar sind. Der Handlungsbogen ist zumeist episch angelegt und bezieht die ganze Welt in die Ereignisse mit ein. Oft sind Einflüsse des Bildungsromans, Entwicklungsromans oder Internatsromans spürbar, wenn die Hauptfigur zunächst eine Ausbildung als Zauberer, Krieger oder Adeliger durchlaufen muss, ehe die eigentliche Handlung einsetzt. Im Zentrum der Erzählung steht dabei oft ein einzelner Held gemeinsam mit einem oder mehreren Begleitern, von deren Handeln das Schicksal des fiktiven Handlungsortes abhängt. Die Helden sind dabei oft extrem mächtig und anderen, an sich vergleichbaren Personen weit überlegen, oder aber entwickeln sich von einem „Taugenichts“ sprunghaft zu einem solchen überlegenen Helden. Wie jedes Genre hat auch die Fantasy ihre eigenen Stereotypen und Klischees entwickelt. Insbesondere die Spielindustrie hat das Genre durch Spiele wie "Dungeons and Dragons", "Warhammer", "" oder, insbesondere im deutschen Sprachraum, "Das Schwarze Auge" stark formalisiert. Handlungselemente werden immer wieder verwendet, um Lesern den Einstieg zu erleichtern und ihnen das zu liefern, was sich bewährt hat. Geschichte. Wurzeln. Fantasy schöpft ihre Motive und Erzählstrukturen aus der uralten Literaturform der Sagen und Heldenepen, in denen frühere Kulturen die Geschichten ihrer Götter, Halbgötter und Helden festhielten, etwa Homers "Ilias," dem "Nibelungenlied" oder dem Sagenkreis um König Artus. Oft greift moderne Fantasy diese Sagen direkt auf, erzählt sie nach oder adaptiert ihre Handlung. Eines der ersten Beispiele zum Ausspielen möglichst vieler dieser Möglichkeiten war der erstmals 1516 in Ferrara mit zunächst 40 Gesängen in Versform gedruckte "Orlando furioso" von Ludovico Ariosto. Dieser Mittelalter-Bestseller ist die Fortschreibung des unvollendet gebliebenen "Orlando innamorato" von Matteo Maria Boiardo. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann die mitteleuropäische Begeisterung für vorzeitliche Epik und schlug sich etwa in den Gesängen des fiktiven Barden Ossian nieder. Als einer der ersten Fantasy-Romane dürfte "Niels Klims unterirdische Reise" des dänisch-norwegischen Dichters Ludvig Holberg von 1741 gelten, der in dem Roman zahlreiche Sagenmotive aufgreift. Entwicklung der Phantastik im 19. Jahrhundert. Die Frühromantik war geprägt von einer philosophisch motivierten Begeisterung für übersinnliche Welten: Es entstanden Volksmärchensammlungen, Kunstmärchen und Bildungsromane mit phantastischen Komponenten, oft in mittelalterlichen Settings, die auch für die "High Fantasy" überaus typisch sind. Autoren wie Novalis ("Heinrich von Ofterdingen"), Ludwig Tieck ("Die Elfen") und Friedrich de la Motte-Fouqué ("Undine") nahmen strukturell und inhaltlich wesentliche Elemente der Fantasy-Literatur vorweg. Besonders zu betonen ist die Vermischung der literarischen Gattungen – eine zentrale Forderung der romantischen Universalpoesie. So ist etwa Novalis' Romanfragment "Heinrich von Ofterdingen" mit Gedichten und Märchen verschiedener Art durchsetzt, was später im Werk von "J. R. R. Tolkien" eine ebenso zentrale Rolle einnehmen sollte. In der Spätromantik begannen Autoren wie E. T. A. Hoffmann oder Edgar Allan Poe verstärkt damit, übernatürliche Elemente in ihre Romane und Erzählungen einzubinden. Diese neue Literaturrichtung der Phantastik erwies sich auf dem entstehenden Buchmarkt als verkaufsträchtig, wobei vor allem Schauer- und Abenteuerromane wie die Werke Sir Walter Scotts erfolgreich waren. Bedeutend ist auch der Dichter und Komponist Richard Wagner, der mit seinen monumentalen, auf nordischer Mythologie beruhenden Bühnendramen ("Der Ring des Nibelungen") die Fantasy maßgeblich beeinflusste. Auch die Anfänge der Science-Fiction, die bis heute in einer engen thematischen, wenn auch nicht inhaltlichen Nähe zur Fantasy steht, finden sich in dieser Zeit. So wäre die heutige Fantasy undenkbar ohne die Vorarbeit von Jules Verne, Erckmann-Chatrian, Herbert George Wells, Lord Dunsany, Mary Shelley ("Frankenstein"), Bram Stoker ("Dracula"), Robert Louis Stevenson ("Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde"), George MacDonald "(Tagjunge und Nachtmädchen)", Mark Twain ("Ein Yankee am Hofe des König Artus") und Oscar Wilde ("Das Bildnis des Dorian Gray"). Entstehung im 20. Jahrhundert. Als eigenes Literaturgenre entstand die Fantasy im 20. Jahrhundert. Als ihr Begründer wird oft J. R. R. Tolkien ("Der Herr der Ringe") genannt, der mit seinen Werken vor allem in den späten 1960er-Jahren einen regelrechten Boom auslöste und von vielen Autoren als Vorbild angeführt wird. Als weitere „Ahnherren“ der Fantasy gelten E. R. Eddison ("Der Wurm Ouroboros"), Fritz Leiber ("Fafhrd und der Graue Mausling"), C. S. Lewis ("Die Chroniken von Narnia") und der amerikanische Pulp-Autor Robert E. Howard, dessen Geschichten über Conan den Barbaren ebenso umstritten wie berühmt sind. Nach dem ersten Tolkien-Boom der 1960er-Jahre prägten zahlreiche weitere Autoren das Genre, oft in Anlehnung an Tolkien, etwa Marion Zimmer Bradley und Stephen R. Donaldson in den 1970er-Jahren, Terry Brooks und Raymond Feist in den 1980er-Jahren. Die Entstehung des Fantasy-Rollenspiels in den 1970er-Jahren wurde maßgeblich von der Fantasyliteratur beeinflusst, wodurch umgekehrt auch das Interesse an den geschriebenen Werken zunahm. In den 1980er- und 1990er-Jahren entwickelten sich parallel zu der klassischen High Fantasy, die von Autoren wie Tad Williams, Robert Jordan und Robin Hobb weitergetragen wurde, neue Subgenres wie die Urban Fantasy oder die Humoristische Fantasy. Entwicklung im 21. Jahrhundert. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts erlebte die Fantasy sowohl in der Literatur, als auch im Film einen neuen Aufschwung. Als Auslöser gelten insbesondere der Erfolg der "Harry-Potter"-Bücher und -Filme, sowie die . Die Neuverfilmungen der "Chroniken von Narnia" oder die Buchreihen "Percy Jackson" und "Eragon" trugen ebenfalls zu der Fantasywelle der 2000er Jahre bei, die zum Teil bis heute anhält. Auch Subgenres wurden populär, beispielsweise die "Dark Fantasy". In der zurzeit vorherrschenden High Fantasy zeichnet sich eine Entwicklung zu einer vielschichtigeren Behandlung der Fantasy-Motive ab, etwa durch Verzicht auf Genrekonventionen. Als Wegbereiter dieser modernen High Fantasy gelten George R. R. Martin, Steven Erikson und J. V. Jones. Diskurse der Fantasy. Überschneidungen mit anderen Genres. In der Fantasy finden sich viele Motive aus anderen Subgenres der Phantastik, etwa der Science-Fiction- und Horrorliteratur. Viele Autoren und Verlage sind zugleich in mehreren Genres aktiv, so dass es zu einer personellen wie inhaltlichen Überschneidung kommt und eine klare Abgrenzung schwierig ist. Hybridformen wie "Star Wars", das eine Science-Fiction-Kulisse mit Fantasymotiven anreichert, oder der Cthulhu-Mythos, in dem Science-Fiction, Horror und Fantasy zusammenfließen, sind keine Seltenheit. Literarische Wertung. Fantasy wird oft als reine Unterhaltungs- und Trivialliteratur betrachtet, da Fantasyliteratur in ihrer Entstehungszeit zumeist in Pulp-Magazinen erschien und sich an ein entsprechendes Publikum richtete. Nach den kulturellen Wertungskategorien „Hoch-“ und „Popkultur“ wird Fantasy für gewöhnlich der Popkultur zugeordnet. Das Verschwimmen der Grenzen zwischen „unterhaltender“ und „ernster“ Literatur macht jedoch auch vor der Fantasy nicht halt. Fantasymotive finden sich in zeitgenössischen Romanen und Filmen wieder und auch die Literaturwissenschaft nimmt sich verstärkt der Fantasy an. Vermarktung und Seriencharakter. Trotz der zunehmenden Akzeptanz wird die Fantasy in der Regel weiterhin als Genreliteratur vermarktet. Covergestaltung, Werbung und Publikationsform (Taschenbuch) richten sich nach dem vermeintlichen oder tatsächlichen Geschmack der Fantasy-Leser, deren Interesse durch die Publikation von Serien aufrechterhalten werden soll. Dabei kommt es zwangsläufig zu einer Wiederholung genretypischer Elemente, die eine Weiterentwicklung des Genres erschwert. So können immer wieder inhaltlich von der Kritik als belanglos betrachtete Werke allein durch die Verwendung klassischer Themen einen kommerziellen Erfolg erringen, während es als anspruchsvoller oder ungewöhnlicher betrachtete Romane deutlich schwerer haben, sich durchzusetzen. Eskapismus. Der Fantasy wird ein Hang zum Eskapismus unterstellt, weil sie meist eine mittelalterlich geprägte, vereinfachend strukturierte Gesellschaft darstellt und somit die gesellschaftlichen, politischen oder kulturellen Realitäten und Probleme unserer Zeit ausblendet oder verdrängt. Dieser Vorwurf trifft auf viele Werke zu, verschweigt aber, dass bereits die frühe Fantasyliteratur ihren fiktiven Hintergrund dazu genutzt hat, philosophische Fragen zu erörtern oder gesellschaftliche Probleme aufzuzeigen, etwa die König-Artus-Buchreihe von T. H. White. Auch zeitgenössische Fantasy greift immer wieder aktuelle Fragestellungen (Krieg, Nationalismus, religiöser Extremismus) auf. J. R. R. Tolkien bezeichnet in seinem Aufsatz On Fairy-Stories von 1937 den Eskapismus als integralen Bestandteil der Fantasy. Danach bestehen die Funktionen einer Fantasygeschichte immer auch darin, erstens die Phantasie zu wecken („Fantasy“), zweitens den Lesern Wiederherstellung zu ermöglichen („Recovery“), drittens Fluchtmöglichkeiten („Escape“) und viertens Trost („Consolation“) zu gewähren. Während die Phantasie gewissermaßen die Eintrittskarte in die phantastischen Welten ist, versteht Tolkien die Wiederherstellung als ein „Wiedererlangen eines klaren Blicks“ und die Einnahme einer neuen Perspektive. Beim Begriff der Flucht unterscheidet Tolkien zwischen zwei Varianten, die er als die Flucht des Deserteurs und die Flucht des Gefangenen charakterisiert. Ersterer ist einfach ein Feigling, der weglaufen will. Gefangenen aber könne man den Willen zur Flucht nicht übelnehmen. Ihre Flucht ist mehr Widerstand als bloßes Weglaufen. Somit versteht Tolkien die Fluchtmöglichkeit, die das Genre Fantasy bietet, als Möglichkeit zur Erfüllung von Sehnsüchten und Befriedigungen, die die reale Welt nicht bieten kann. Für ihn ist eine der wichtigen Funktionen von Fantasy die Rückkehr zu dem im Mythos und im mythischen Denken verankerten Zustand der Verzauberung. Rassismus, Sexismus und Reaktion. Ein weiterer Vorwurf an die Fantasy ist die als reaktionär empfundene, vereinfachende Weltsicht vieler Romane, die den Obrigkeitsgedanken gegenüber feudalen Strukturen, eine konservative Ausgestaltung der Geschlechterrollen und die Überbetonung der Unterschiede zwischen Völkern bzw. „Rassen“ enthält. Obwohl sich diese pauschale Kritik durch zahllose Gegenbeispiele widerlegen lässt, kann man eine gewisse Ambivalenz der Fantasy in diesen Spannungsfeldern nicht leugnen, was vor allem auf die Pulp-Vergangenheit des Genres zurückzuführen ist. Moderne und teilweise alte Fantasy blendet diese Fragen nicht aus, sondern behandelt sie im Gegenteil zumeist sehr komplex. Subgenres. Die Fantasyliteratur kann in folgende nicht streng voneinander abgrenzbare Untergruppen gegliedert werden; manche Werke weisen auch Merkmale mehrerer Subgenres auf: Fantasy außerhalb der Literatur. Film. Auch das Kino und das Fernsehen hat sich bereits des Öfteren dem Genre zugewandt, wenn auch vergleichsweise seltener als dem der Science Fiction. Abgesehen von den frühen Märchenfilmen, einigen Fantasy-Filmen Walt Disneys wie etwa "Das Geheimnis der verwunschenen Höhle" (1959) und einer ersten Zeichentrickversion des gleichnamigen Kult-Romans "Der Herr der Ringe" (USA, 1978) wurde echter Fantasystoff erst ab den 1980er-Jahren aufgegriffen. Damals entstanden Filmklassiker wie "Excalibur" (USA/GB, 1981), "Kampf der Titanen" (GB, 1981), "Der Drachentöter" (USA, 1981), "Der dunkle Kristall" (USA/GB, 1982), "Legende" (GB, 1985) und "Die Reise ins Labyrinth" (GB/USA, 1986). Auffallend ist, dass keiner der erfolgreichen Fantasy-Romane verfilmt wurde; "Der Herr der Ringe" galt nach dem an der Kinokasse erfolglosen Bakshi-Film als zu schwieriger Stoff, andere Romane offenbar als zu schlechte Vorlage. Einzige Ausnahme blieb eine Verfilmung des Romans "Die unendliche Geschichte" (D/USA, 1984) von Michael Ende. Mit dem Film "Willow" (USA, 1988) versuchte Produzent George Lucas seinen Science-Fiction-Erfolg mit "Star Wars" (USA, 1977) auch im Fantasybereich zu wiederholen, was ihm allerdings verwehrt blieb. Auch in den 1990er-Jahren blieben echte Fantasy-Filme selten; größeren Erfolg hatte "Dragonheart" (USA, 1996). Stattdessen entdeckte das Fernsehen das Genre für sich und kreierte mehrere Fantasy-Serien, etwa "Robin Hood" (GB, 1984–1986), "Hercules" (USA/NZ, 1995–1999), "Xena" (USA/NZ, 1995–2001) und "Charmed – Zauberhafte Hexen" (USA, 1998–2006). In den 2000er-Jahren wagte sich schließlich Regisseur Peter Jackson an die (NZ/USA, 2001) von "Der Herr der Ringe" und erntete mit der Filmtrilogie einen großen Erfolg an den Kinokassen. Zusammen mit den ebenfalls erfolgreichen "Harry-Potter"-Verfilmungen schuf er damit eine Basis für weitere Verfilmungspläne. So haben auch Cornelia Funkes "Tintenherz" und die "Narnia"-Reihe von C. S. Lewis den Weg auf die Leinwand gefunden. Serien. Infolge des Erfolgs der Serie "Game of Thrones" (2011–2019) wurden zahlreiche Fantasyserien angekündigt, die ab dem Ende von "Game of Thrones" nach und nach erscheinen. Im Jahr 2019 starten beispielsweise die Serien "The Witcher", "His Dark Materials", "Carnival Row" und "". Brett- und Rollenspiele. Fantasy diente früh als Hintergrund für zahlreiche Brettspiele, Spielbücher und vor allem Rollenspiele (Pen-&-Paper-Rollenspiele und Live-Rollenspiele). Gerade im Zuge der Rollenspielwelle – ausgelöst vom Marktführer "Dungeons and Dragons" ("D&D") in den 1980er- und 1990er-Jahren – ergaben sich Wechselwirkungen mit der Fantasyliteratur; einige Autoren fanden über das Rollenspiel zur Fantasy-Literatur und umgekehrt. Zudem wurden einige Rollenspiele literarisch verarbeitet, so dass etwa die "Drachenlanze"-Romane von Margaret Weis und Tracy Hickman oder die "Forgotten-Realms"-Reihe von R. A. Salvatore entstanden. Besondere Bedeutung erlangten die Fantasy-Spielbücher, die als Vorläufer des Textadventures angesehen werden; bekannt wurden unter anderem "Einsamer Wolf" von Joe Dever und die "Fighting-Fantasy"-Reihe von Steve Jackson. In den späten 1990er-Jahren drang die Fantasy-Thematik in andere Spielbereiche vor. Vor allem das Sammelkartenspiel "" feierte Erfolge, zog einige Spieler vom klassischen Rollenspiel ab und eröffnete gleichzeitig anderen Personen, die bisher keinen Zugang zur Fantasy hatten, dieses Genre. Nach der neuen Fantasy-Welle im Zuge der Tolkien-Verfilmung in den 2000er-Jahren wurden Live-Rollenspiele und das klassische Pen-&-Paper-Rollenspiel gesellschaftsfähiger, allerdings ist der Absatz der Rollenspielverlage seit Jahren rückläufig. Videospiele. Im Bereich des Videospiels wurden von jeher Fantasy-Motive verwendet, wie überhaupt alle fantastischen Genres Eingang in die Computerspielkultur gefunden haben. Vom frühen Textadventure wie etwa "Guild of Thieves" von der Firma Magnetic Scrolls bis hin zu frühen Rollenspielumsetzungen wie "Ultima" von der Firma Origin wurden immer wieder Fantasystoffe aufgegriffen. Mit der computerspieltypischen Quest entstand eine archetypische Erzählstruktur, die später wiederum in die Fantasy-Literatur zurückfand. In den 1980er-Jahren entstanden mehrere berühmte Fantasy-Computerspiele, etwa "The Legend of Zelda", "Final Fantasy", "Phantasy Star", "Dungeon Master", das bereits erwähnte "Ultima" oder "The Bard’s Tale", die teilweise bis heute fortgesetzt werden. In den 1990er-Jahren gelangten vor allem die Umsetzungen der "D&D"-Rollenspiele (etwa "Champions of Krynn" oder "Eye of the Beholder"), die Fantasy-Parodie "Simon the Sorcerer", das Rollenspiel "Lands of Lore", das Adventure "Erben der Erde" oder die "" sowie das Strategiespiel "Dungeon Keeper" größere Bekanntheit. In den 2000er-Jahren ermöglichten eine immer ausgefeiltere Grafik und höhere Rechenleistung der Computer immer detailliertere Welten, so dass heutige Computerspiele einen unglaublichen Umfang erreichen. Als Meilensteine gelten hier die Spiele "Diablo" und "Dungeon Siege", das Strategiespiel "Warcraft" und die Rollenspiele " World of Warcraft", "Baldur’s Gate", "Neverwinter Nights", "Gothic", "The Elder Scrolls", "Sacred", "Dark Age of Camelot" und "Fable". Die Verfilmungen des "Herrn der Ringe" und der "Harry-Potter"-Reihe führten ebenfalls zu Umsetzungen im Computerspielbereich, wie überhaupt eine immer engere Verzahnung von Literatur, Kino und Computerspiel zu beobachten ist. So wurde das Fantasy-Spiel "Dungeon Siege" von Regisseur Uwe Boll 2007 filmisch als "Schwerter des Königs – Dungeon Siege" umgesetzt. Musik. Mit Filk existiert eine eigene Musikrichtung und -kultur, deren Lieder Geschichten aus und über Fantasy- und Science-Fiction-Literatur und -Medien erzählen. Des Weiteren findet sich Fantasy im Progressive Rock und besonders im Heavy Metal wieder. Obschon der Begriff "Fantasy Metal" existiert, wird dieser selten verwendet, da sich Themen aus der Fantasy in so gut wie allen Metal-Stilen finden lassen, besonders im Power- und im Epic Metal. Sehr beliebt sind bei Metal-Alben auch Plattencover mit Fantasy-Motiven. Diese werden häufig sogar bei Alben und Bands verwendet, welche sich sonst nicht mit Fantasythemen beschäftigen. Als Bands mit einem teilweise starken Folk-Einschlag sind vor allem Summoning, Ensiferum, Blind Guardian, Rhapsody of Fire und Manowar zu nennen. Auch Symphonic-Metal-Bands wie Nightwish oder Within Temptation sowie Xandria oder die Sängerin Tarja verwenden in ihren Songs Fantasyelemente. Malerei. Die moderne Fantasy-Malerei hat im westlichen Kulturkreis ihre Vorläufer in den antiken und mittelalterlichen Bestiarien und im Werk von Hieronymus Bosch (1460–1516). Viele von ihm dargestellte Bildthemen – wie variierte menschliche Darstellungen in Verbindung mit Fauna und Flora, belebte Objekte und spielerische Formgebungen – kehrten thematisch in der Fantasy-Kunst des späten 20. Jahrhunderts wieder. Es gibt Monster und unmögliche Strukturen, bizarre Landschaften sowie ein beim Betrachter hervorgerufenes Gefühl des Unwirklichen, das häufig auf Stilelemente des Surrealismus und des Magischen Realismus zurückgreift. Der Maler Johann Heinrich Füssli und sein Nachfolger William Blake wandten sich im 18. Jahrhundert in revolutionärer Weise phantastischen, mythologischen und grotesken Themen zu, und sind bis heute für Fantasy- und Gothic-Malerei inspirierend. Eine erste große Blüte erlebte diese Art der Malerei in der Viktorianischen Epoche, als eine große Anzahl fiktiver Erzählungen, oft in Form des seit der Romantik beliebten Ritterromans, einer Wiederbelebung des mittelalterlichen höfischen Romans, kombiniert mit fortschrittlicheren Mal- und Drucktechniken zu einer Welle illustrierter Bücher für die Bevölkerung englischsprachiger Länder führte. Der Schweizer Maler und Medienkünstler Matthias A. K. Zimmermann kreiert Bilderwelten mit Fantasy-Elementen: Raumdarstellungen und Bildmotive sind der mittelalterlichen Malerei entliehen, sie zeigen Drachen, Einhörner, Tiere und weitere Referenzen wie ein mittelalterliches Weltbild und die Sonne aus Flammarions Holzstich. Bedeutende Fantasy-Maler sind Luis Royo, Frank Frazetta, Boris Vallejo, Roger Dean, Patrick Woodroffe, Alan Lee, John Howe, Ted Nasmith, Chris Foss sowie die Gebrüder Greg und Tim Hildebrandt.
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Liste von Fantasyautoren
Diese Liste umfasst Autoren, die vorwiegend im Bereich des Fantasygenres schreiben oder mit einzelnen Werken einen wichtigen Beitrag für das Genre geleistet haben. Zu beachten ist, dass mehrere dieser Autoren auch in anderen Genres – Horror, Science Fiction oder Historienroman – aktiv sind und die klare Festlegung eines Autors auf ein einzelnes Genre nicht möglich ist.
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Football (Sportart)
Football ist der Oberbegriff für verschiedene Sportarten (englisch: "codes of football"), die sich aus den Frühformen des Fußballs und des Rugbys entwickelt haben. Im angelsächsischen Sprachraum steht das Wort in der Regel für eine bestimmte Sportart, meistens die lokale Variante. Im britischen Englisch wird unter „football“ Fußball verstanden. Demgegenüber steht dort Rugby mit dem getragenen ovalen Ball, welches gelegentlich unter dem Begriff "rugby football" beim Begriff "football" mit einbezogen wird. Die international unmissverständliche Bezeichnung ist "association football". Davon abgeleitet ist "soccer football" oder kurz "soccer", unter dem der Sport vor allem in Nordamerika, aber auch in einigen anderen Ländern bekannt ist. So steht der Begriff "football" traditionell für American Football bzw. Canadian Football in den USA und Kanada, für Rugby Union in Neuseeland, und für Rugby League bzw. Australian Football in Australien. International besteht jedoch die Tendenz, dass in der Alltagssprache "soccer" immer weiter durch "football" verdrängt wird. 2005 änderte beispielsweise der australische Verband seinen Namen von "Soccer Association" in "Football Association", 2006 folgte der neuseeländische Verband. Das Treten des Balles mit dem Fuß ist nicht in allen Football-Sportarten die vorherrschende Aktion. Eine Hypothese über die Etymologie des Wortes ist, dass „foot ball“ allgemein „zu Fuß gespielte Ballsportarten“ bedeutete, in Abgrenzung zu Sportarten, die zu Pferde ausgeführt wurden. Eine andere Hypothese besagt, dass sich "football" auf die Länge eines ovalen Spielballs (ein Fuß; englisch "foot") bezieht. Varianten. Football wird im Deutschen mit diesen Sportarten assoziiert:
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Free Jazz
Free Jazz ist einerseits ein historischer Begriff für (harmonisch) freies Improvisationsspiel im Jazz seit den 1960er Jahren. Andererseits ist es ein bis heute ausstrahlendes Paradigma, das die Möglichkeit zur freien Entfaltung immer neuer Formen im Jazz und auch darüber hinaus (etwa in der Intuitiven Musik) bereithält. Der Begriff selbst kann zu Missverständnissen führen, da eine Freiheit in Bezug auf die herkömmlichen Spielhaltungen des Jazz nur bedingt genutzt wird und es neben einer völligen Freiheit in der Form "(Free Form Jazz)" durchaus Improvisationen gibt, die auf Kompositionen und kompositionsähnlichen Absprachen über Strukturen beruhen. Entwicklung. Der Begriff leitet sich von der her, die Ornette Coleman 1960 mit einem Doppelquartett (mit u. a. Don Cherry, Eric Dolphy und Charlie Haden) aufnahm. Die Entwicklung des Free Jazz fand in den USA und wenig später auch in Europa statt. Unbestritten ist der wegbereitende Einfluss solcher US-amerikanischer Musiker wie John Coltrane, Eric Dolphy, Ornette Coleman, Sun Ra, Albert Ayler, Pharoah Sanders, Anthony Braxton, Roscoe Mitchell, Cecil Taylor, Alice Coltrane, Jeanne Lee, Sonny Sharrock oder Rashied Ali, die auch aus heutiger Sicht noch zu den kreativsten Vertretern des frühen freien Jazz zählen. Seit Ende der 50er Jahre experimentierten junge afroamerikanische und europäische Jazzmusiker mit unerhört neuen Klängen: mit einem Durchbruch in den Raum der freien Tonalität, mit einer Aufgabe der Funktionsharmonik bzw. dissonanten (d. h. spannungsgeladenen) Akkorden, wie sie im Jazz bis dahin nicht vorstellbar gewesen waren. Vorbereitet war diese Ausweitung des musikalischen Materials bereits seit 1941 von der Tristanoschule, aber auch von George Russell, Paul Bley, Charles Mingus, Jaki Byard, Jackie McLean und durch die kammermusikalischen Experimente eines Jimmy Giuffre. Die schockierende Wirkung dieser Musik – in den frühen 1960er Jahren auch „Jazz der Avantgarde“ oder „The New Thing“ genannt – wurde noch gesteigert durch neuartige Spieltechniken und ausgefallene Klang- und Geräuscheffekte, wie extrem hohe, schrille, „schreiende“, „pfeifende“, „quäkende“ oder „grunzende“ Töne. Hinzu kam eine Betonung der Intensität, wie sie in früheren Jazzstilen unbekannt war. Noch nie zuvor wurde in der Geschichte des Jazz auf "Powerplay" und Intensität in einem so ekstatischen Sinne Wert gelegt. „Kraft und Härte des Neuen Jazz und ein revolutionäres, zum Teil außermusikalisches Pathos wirkten um so vehementer, als sich … vieles angestaut hatte, was nun über das an Oscar Peterson und das Modern Jazz Quartet gewöhnte, bequem gewordene Jazzpublikum hereinbrach“, analysierte Joachim Ernst Berendt in seinem „Jazzbuch“. Das Publikum reagierte überwiegend ablehnend, weil es den Free Jazz als Zumutung empfand, und als Herausforderung war er von den Musikern auch gemeint, als Protest der jungen Generation gegen Rassendiskriminierung, soziale Ungerechtigkeit und überholte Konventionen. Seit Mitte der 1960er Jahre bildete sich, unabhängig von Vorläufern (Joe Harriott entwickelte bereits 1960 einen eigenständigen Zugang) ein europäischer Free Jazz heraus, an dessen Entwicklung Musiker wie z. B. Derek Bailey, Willem Breuker, Peter Brötzmann, Gunter Hampel, Peter Kowald, Joachim Kühn, Maggie Nicols, Evan Parker, Friedhelm Schönfeld, Manfred Schulze, Irène Schweizer, John Stevens, Dick van der Capellen oder Keith Tippett beteiligt waren. Bis heute haben sich aus dem europäischen Free Jazz der 1960er Jahre die mannigfaltigsten Spielformen herausgebildet. Einige Musiker der zweiten und dritten Generation wie z. B. Joëlle Léandre, Thomas Lehn, oder Tony Buck stehen mit ihrer Musik mehr in der europäischen Musiktradition. Andere wie z. B. Theo Jörgensmann, Mats Gustafsson, Axel Dörner oder Christopher Dell integrieren vermehrt Jazzelemente in ihre Musik. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen und lässt interessante Entwicklungen erahnen. Stilistische Merkmale. Seit den 1960er-Jahren hat sich der Free Jazz weiter entwickelt und wurde dabei sehr heterogen. Daher ist eine einfache stilistische Typologie nur bedingt möglich. Der frühe Free Jazz orientiert sich noch an melodischen, harmonischen und rhythmischen Grundmustern der Jazztradition. Auch entspricht die Instrumentation zunächst meist noch der Besetzung der typischen Bebop-Combo. Die im Folgenden genannten Merkmale sind daher keinesfalls für alle Gruppen und Tonträger des Free Jazz zutreffend. Bei der weiteren Entwicklung des Jazz zeigt sich, dass eine Einteilung in Stilistiken oft nur schwer möglich ist und daher nur sehr selten sinnvoll ist. Insbesondere der Übergang zwischen Free Jazz und frei improvisierter Musik ist bisher kaum bestimmbar.
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Pharo
Pharo, Pharao, frz. Pharaon, in den USA und Kanada Faro (siehe hier) oder Faro Bank ist ein Glücksspiel mit französischen Karten. Der Name des Spiels wird so erklärt, dass einer der Könige im Kartenspiel als Pharao dargestellt wurde und diese Karte als besonders glückverheißend galt, weshalb auf sie am häufigsten gesetzt wurde – ob diese Erklärung korrekt ist, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Geschichte. Ein dem Pharo ähnliches Spiel ist "Landsknecht", welches zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges aufkam und wohl als Vorläufer anzusehen ist, ebenso die Spiele "Tempeln" und das spätere "Bassette". Dieses ist bereits (nahezu) identisch mit dem Pharo, Bassette soll in Venedig erfunden und von Justiniani, dem Gesandten der Serenissima in Paris, in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Frankreich eingeführt worden sein. Im 18. und 19. Jahrhundert war Pharo eines der am weitesten verbreiteten Kartenspiele in Europa. Daniel Bernoulli und Leonhard Euler verfassten mathematische Arbeiten über das Pharospiel. Pharo wird auch vielfach literarisch erwähnt, z. B. in den Memoiren Giacomo Casanovas, im Roman "Die Elixiere des Teufels" und der Novelle "Spieler-Glück" von E. T. A. Hoffmann, in Michail Lermontows Drama "Maskerade" oder William Makepeace Thackerays "Die Memoiren des Junkers Barry Lyndon" – im Film "Barry Lyndon" von Stanley Kubrick ist eine Gesellschaft beim Pharo-Spiel zu sehen –, ebenso in Lion Feuchtwangers "Jud Süß." Die Spielszenen in den Opern "Les Contes d'Hoffmann" von Jacques Offenbach, "Manon" von Jules Massenet und "Pique Dame" von Pjotr Iljitsch Tschaikowski nach Alexander Puschkins gleichnamiger Erzählung zeigen Personen beim Pharo – in diesen Opern wird Pharo jeweils explizit namentlich erwähnt, bei dem Spiel in Giuseppe Verdis "La traviata" dürfte es sich um eine Pharo-Variante handeln. Pharo wurde vermutlich Ende des 18. Jahrhunderts von französischen Emigranten in die Neue Welt eingeführt, der französische Name "Pharaon" wurde dabei zu "Faro" verkürzt. Im 19. Jahrhundert war Faro das beliebteste Glücksspiel im Wilden Westen, bevor es von Poker verdrängt wurde – in Giacomo Puccinis Oper "La fanciulla del West" vertreiben sich die Goldgräber ihre Zeit bei Faro und Poker. Die Stadt Faro in Yukon im Nordwesten Kanadas trägt ihren Namen nach dem Kartenspiel. Die Faro-Banken waren durch ein Schild mit dem Bild eines Tigers gekennzeichnet; daran erinnert der Ausdruck "“bucking a tiger”" (dt. einen Tiger mit Geld füttern) für Geldverschwenden. Auch wenn Pharo selbst heute kaum mehr bekannt ist, so lebt dieses Spiel in vielen Begriffen und Redewendungen fort, z. B. "Paroli bieten", "Va banque spielen" etc. Das Spiel. Die Grundregeln. Pharo wird mit zwei Paketen französischer Spielkarten zu 52 Blatt gespielt. Die beiden spielenden Parteien sind einerseits der "Bankier", andererseits bis zu vier "Pointeure", welche gegen den Ersteren spielen. Jeder Pointeur erhält vom Bankier ein "Buch" "(Livret)", also die 13 Karten einer Farbe, z. B. ♥ A, ♥ 2..., ♥ K, als Einsatzschema. Vor Beginn der Partie legt der Bankhalter seine Kasse "(Bank)" vor sich auf den Tisch und bestimmt den Mindesteinsatz, den "Point". Um zu setzen, legt der Pointeur seinen Einsatz auf die entsprechende Karte seines Buchs. Möchte ein Pointeur einen Einsatz in Höhe des in der Bank befindlichen Betrages riskieren, so annonciert er das mit den Worten "„Va banque!“" oder "„Va tout!“". Der Bankier nimmt nun das zweite Kartenpaket, den "Talon", mischt, lässt einen der Pointeure abheben und teilt den Spielern mit, welche Karte die letzte ist ("en bas", "en face" liegt). Nachdem die Pointeure nach Belieben auf eine oder mehrere ihrer Karten gesetzt haben, zieht der Bankier nacheinander je zwei Blätter vom Kartenpaket ab ("Abzug", "Coup") und legt sie nebeneinander offen vor sich auf den Tisch. Die erste Karte eines jeden Paares gilt für den Bankier, die zweite für die Pointeure, d. h. der Bankier gewinnt alle Einsätze der Spieler auf jenen Karten, die dem Range nach ohne Rücksicht auf die Farbe mit der zuerst gezogenen Karte übereinstimmen; die Pointeure erhalten einen Gewinn in der Höhe ihres Einsatzes (d. h., sie gewinnen im Verhältnis 1:1), wenn sie die zweite Karte eines Abzugs besetzt haben. Die Einsätze auf den übrigen Werten bleiben unverändert – sie dürfen allenfalls erhöht, aber keinesfalls verringert werden. Fällt eine Karte "plié", d. h. werden in einem Coup zwei gleichrangige Karten "(Doublet)" gezogen, so erhält der Bankhalter die Hälfte der Einsätze auf dieser Karte. Weiters erhält der Bankhalter die Einsätze, die auf die erste Karte des letzten Abzugs, d. h. auf die 51. Karte entfallen, während die letzte Karte niemals gewinnt – sie wurde ja vor Beginn der Partie vorgezeigt. Das Abziehen aller 52 Karten durch 26 Coups heißt "Taille". Eine Karte, die mehrmals hintereinander bzw. im Laufe eines Abends besonders häufig gewinnt, wird "Carte favorite" genannt, so in "Die Elixiere des Teufels" von E.T.A Hoffmann. Weitere Regeln. Lappé. "Lappé" (möglicherweise von "laper": frz. lecken), "La paix" (frz.: der Friede) oder kurz "Paix": Hat ein Spieler gewonnen und will er erneut auf dieselbe Karte setzen, so kann er auf die Auszahlung seines Gewinnes vorläufig verzichten und Lappé spielen. Gewinnt er, so erhält er als Gewinn das Doppelte des ursprünglichen Satzes; verliert er, so erhält er den ursprünglichen Satz zurück "(Double ou quitte)". Hat das Lappé gewonnen, so kann der Spieler erneut seinen Gewinn riskieren und das Lappé wiederholen "(Double lappé)": Gewinnt er erneut, so erhält er als Gewinn nun bereits das Vierfache des ursprünglichen Satzes; verliert er, so erhält er den ursprünglichen Einsatz zurück. Paroli. Hat ein Pointeur mit einer Karte gewonnen, so kann er "Paroli" spielen, d. h. auf das Inkasso des Gewinns vorläufig verzichten und diesen zusammen mit dem ursprünglichen Satz erneut aufs Spiel setzen – dies zeigt der Spieler dadurch an, dass er eine Ecke der Karte aufwärtsbiegt. Gewinnt das Paroli, so erhält der Spieler von der Bank das Dreifache des ursprünglichen Satzes. Davon leitet sich die Redensart „jemandem Paroli bieten“ oder – heute seltener gebraucht – „jemandem ein Paroli biegen“ ab, was so viel bedeutet wie „jemandem Widerstand entgegensetzen“ bzw. „jemandes Pläne durch unvermutete Maßnahmen zu vereiteln versuchen“. Mehrfache Paroli. Sept et le va. Hat das "Paroli" gewonnen, so kann der Pointeur mit der Ansage "„Sept et le va!“" erneut "Paroli" bieten. Gewinnt er wieder, so erhält er das Siebenfache seines ursprünglichen Satzes. Quinze et le va. Gewinnt der Spieler das "Sept et le va", so kann er mit der Ansage "„Quinze et le va!“" nochmals "Paroli" spielen und erhält nun, falls er gewinnt, das Fünfzehnfache des ursprünglichen Satzes. Bankvorteil. Nehmen wir an, dass ein Spieler – unabhängig davon, welcher Wert "en face" liegt – zu Beginn einer Taille auf eine bestimmte Karte, etwa auf den König, setzt – und den Einsatz so lange unverändert spielen lässt, bis diese Karte zum ersten Mal erscheint (und sich sodann bis zum Ende der Taille nicht mehr weiter durch Einsätze am Spiel beteiligt). Bei dieser Spielweise D. h., der Bankvorteil beträgt gerade 1,98 %. Diesen Wert gibt auch Leonhard Euler an; dieser Wert ist freilich nur als Richtwert zu verstehen: Der Bankvorteil ändert sich nach jedem einzelnen Abzug in Abhängigkeit davon, wie viele Karten des besetzten Wertes und wie viele Karten insgesamt noch in den verdeckten Karten des Stapels vorhanden sind. Zum Vergleich: Bei den mehrfachen Chancen des (europäischen) Roulette beträgt der Bankvorteil 2,7 %, bei den einfachen Chancen 1,35 %. Varianten. Nehmen an einer Pharopartie fünf Spieler, also ein Bankier und vier Pointeure teil, so verwendet man zwei Pakete zu 52 Blatt, und jeder Pointeur erhält wie oben beschrieben ein eigenes Buch. Nehmen mehr als vier Pointeure teil, so legt der Bankier von einem Paket die dreizehn Pique-Karten als "Tableau" (engl. "Layout") auf und verfährt mit einem 52er-Paket wie gewohnt. In dieser letzteren Form wurde das Spiel vor allem im Wilden Westen populär, das amerikanische "Faro" unterscheidet sich vom europäischen Pharo jedoch in der Art der Abwicklung und durch zusätzliche Wettmöglichkeiten (siehe Artikel Faro). "Jewish Faro" oder "Stuss" wird wie "Pharo" bzw. "Faro" mit 52 Blatt gespielt, bei einem "Split" (d. i. die englische Bezeichnung für "Carte plié") gewinnt der Bankhalter aber den vollen Einsatz und nicht bloß die Hälfte. Der Bankvorteil beträgt daher 3,96 %. Die in Wien als "Stoß", "Meine Tante, deine Tante" oder "Naschi Waschi" bekannte Variante wird mit nur 32 Karten gespielt, und die Bank zieht im Falle einer "Carte plié" den vollen Einsatz ein. Bei dieser eher räuberischen Spielart gilt unter der Annahme der oben angeführten Spielweise: D. h., der Bankvorteil beträgt hier sogar 6,56 %.
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Finnische Sprache
Finnisch (Eigenbezeichnung "suomi" oder "suomen kieli") gehört zum ostseefinnischen Zweig der finno-ugrischen Sprachen, die eine der beiden Unterfamilien des Uralischen darstellen. Damit ist es eng mit dem Estnischen verwandt und entfernt mit dem Ungarischen. Finnisch ist neben Schwedisch eine der beiden Amtssprachen in Finnland mit etwa 4,9 Millionen Muttersprachlern (89 % der Bevölkerung, im Jahr 2015). Es ist eine der Amtssprachen in der EU. In Schweden, wo es von ca. 300.000 Menschen gesprochen wird, ist Finnisch als offizielle Minderheitensprache anerkannt. Es gibt kleine finnischsprachige Minderheiten in der nordnorwegischen Finnmark, in der nordwestrussischen Republik Karelien und in Estland. Das Finnische unterscheidet sich als finno-ugrische Sprache erheblich von den indogermanischen Sprachen, zu denen der Großteil der in Europa gesprochenen Sprachen gehört. Der jahrhundertelange Sprachkontakt hat aber im Gebiet der Syntax und des Wortschatzes zu einer gewissen Annäherung des Finnischen an die umliegenden indogermanischen Sprachen geführt. Zu den Besonderheiten der finnischen Sprache gehören der agglutinierende Sprachbau, die große Anzahl (15) an Kasus, eine komplexe Morphophonologie (Vokalharmonie, Stufenwechsel), das Fehlen des grammatikalischen Geschlechts und ein konsonantenarmer Lautbestand. Sprachverwandtschaft. Das Finnische gehört zur Familie der finno-ugrischen Sprachen, die zusammen mit der kleinen Gruppe der samojedischen Sprachen die uralische Sprachfamilie bilden. Während die meisten in Europa gesprochenen Sprachen der indogermanischen Sprachfamilie angehören, zählen zu den finno-ugrischen Sprachen neben dem Finnischen noch die estnische, die samische und die ungarische Sprache sowie eine Reihe von im europäischen Russland und in Nordsibirien gesprochenen Sprachen. Die Verwandtschaft zwischen den verschiedenen Sprachen dieser Familie lässt sich vielfach über die grammatischen Formen nachweisen, während der Wortschatz zuweilen wenige Ähnlichkeiten aufweist. So sind die Urformen des Finnischen und Ungarischen schon seit vielen Jahrtausenden getrennt, und die Verwandtschaft ist nicht näher als die Beziehung zwischen entfernten indogermanischen Sprachen wie Deutsch und Persisch. Die nächsten Verwandten des Finnischen sind das Estnische, Ischorische, Karelische, Livische, Võro, Wepsische und das Wotische; sie bilden zusammen mit dem Finnischen die Gruppe der ostseefinnischen Sprachen, die als ganze wiederum dem Samischen gegenübersteht. Geschichte. Frühgeschichte. Die Zeiträume der frühen Entwicklungsvorgänge lassen sich nur mit großer Schwierigkeit bestimmen, da dies nur durch Rekonstruktion aus der Analyse von Wortschatz und Grammatik der heutigen Sprachen geschehen kann. Es wird jedoch angenommen, dass die Herausbildung des frühen Ostsee-Finnischen mit der Trennung vom Samischen spätestens um 1000 v. Chr. abgeschlossen war. Das Finnische stand bereits in prähistorischer Zeit mit germanischen und baltischen Sprachen im Kontakt und übernahm aus ihnen zahlreiche Lehnwörter. Obwohl die Bewohner des heutigen Finnlands durchweg finno-ugrische Sprachen sprachen, entwickelte sich eine gemeinsame finnische Sprache erst in der Neuzeit. In der vorangegangenen Zeit waren die Bewohner Finnlands in drei Hauptstämme aufgeteilt, die sprachlich wie kulturell erhebliche Unterschiede aufwiesen. Im Südwesten lebte die später als die „eigentlichen Finnen“ "(varsinaissuomalaiset)" bezeichnete Bevölkerungsgruppe. In dieser Region hatten sich germanischstämmige Zuwanderer aus Skandinavien mit der Bevölkerung vermischt und viele germanische Lehnwörter mitgebracht. Im Osten lebten die Karelier und in den Wäldern des Binnenlandes die Hämeer, die sich anfangs wahrscheinlich noch nicht stark von den Samen unterschieden. Aus einer Vermischung der letztgenannten Bevölkerungsgruppen entstand später, aber noch vor dem Mittelalter, der Savo-Dialekt. Entwicklung der Schriftsprache. Die Entstehung einer einheitlichen finnischen Sprache, insbesondere der finnischen Schriftsprache, wurde begünstigt durch die Reformation. König Gustav Wasa brach 1524 die Beziehungen zur katholischen Kirche ab und ordnete die Übernahme der lutherischen Lehren an. Zu diesen gehörte es das Wort Gottes in der Sprache des Volkes zu verkünden. In der Folge begannen die Pfarrer die notwendigen liturgischen Texte schriftlich aufzuzeichnen. Die Veröffentlichung der ersten gedruckten Texte in finnischer Sprache geht auf das Werk des späteren Bischofs Mikael Agricola zurück. Der Schüler Martin Luthers begann bereits während seiner Studienzeit mit der Übersetzung religiöser Texte, insbesondere des Neuen Testaments. Das erste gedruckte finnische Buch war die spätestens 1543 veröffentlichte „Fibel“ "Abckiria", die sich in erster Linie an Geistliche richtete und einen Katechismus enthielt. Die finnische Übersetzung des Neuen Testaments erschien 1548. Agricola schuf eine Rechtschreibung auf Grundlage des Lateinischen, Deutschen und Schwedischen und legte die Grundlagen für eine finnische Schriftsprache. Er benutzte in erster Linie den in der Gegend von Turku gesprochenen Dialekt, der zur Grundlage der sich entwickelnden gemeinsamen finnischen Sprache wurde. Von der Bauernsprache zur Kultursprache. Nach der Schaffung einer Schriftsprache blieb die schriftliche Verwendung des Finnischen über Jahrhunderte rudimentär. Ab dem 16. Jahrhundert wurden Gesetze teilweise auf Finnisch geschrieben, ein finnischsprachiges kulturelles Leben gab es jedoch nicht. Im zu Schweden gehörenden Finnland war Schwedisch die Sprache der Verwaltung, der Bildung und der Kultur. Erst nachdem Finnland 1809 als Großfürstentum Finnland unter die Herrschaft des russischen Zaren gekommen war, begann sich ein finnisches Nationalbewusstsein zu entwickeln. Es formierte sich eine als „Fennomanen“ bezeichnete Bewegung, die die finnische Sprache zur Kultursprache entwickeln wollte. Im frühen 19. Jahrhundert fehlten der Sprache hierfür aber noch alle Voraussetzungen. Die Grammatik war nie systematisch erfasst worden, und der Wortschatz spiegelte das Alltagsleben der bäuerlichen Landbevölkerung wider, entbehrte aber fast aller für Verwaltungs- und Kulturzwecke erforderlichen Vokabeln. Das 1835 von Elias Lönnrot veröffentlichte Nationalepos "Kalevala" bestärkte die Rolle der finnischen Sprache. Durch die Aktivitäten der Fennomanen entstand eine finnischsprachige Literatur und Presse. Viele, muttersprachlich meist schwedischsprachige, Angehörige der gebildeten Oberschicht arbeiteten an einer Weiterentwicklung der finnischen Sprache. In diesem Zusammenhang wurden zahlreiche Wörter geschaffen, die in der finnischen Sprache nicht existiert hatten. Den Idealen der finnischen Nationalbewegung folgend, wurden die neuen Wörter dieser Zeit fast ausnahmslos nicht durch Lehnwörter, sondern gänzlich neu gebildet, oft durch Abwandlungen alter finnischer Wörter. Der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begonnene Aufbau eines finnischsprachigen Schulwesens führte bis zur Jahrhundertwende dazu, dass sich eine gebildete finnischsprachige Bevölkerungsschicht entwickelte. Bis zum zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hatte sich Finnisch zu einer Kultursprache entwickelt, die im Wesentlichen dem heutigen Finnischen entspricht. Rechtschreibung und Aussprache. Bedingt durch die Entstehungsgeschichte der finnischen Schriftsprache ist das finnische Alphabet identisch mit dem des Schwedischen. Es besteht aus den 26 Buchstaben des lateinischen Alphabets, ergänzt um die Sonderzeichen å, ä und ö. Bei der alphabetischen Sortierung, z. B. in Wörterbüchern, werden die Umlaute in der genannten Reihenfolge am Ende des Alphabetes eingeordnet, nicht wie im Deutschen bei a und o. Der Buchstabe w, der insbesondere in älteren Texten oft frei mit dem gleichklingenden Buchstaben v ausgetauscht wird, wird dagegen bei der Sortierung meist nicht von letzterem unterschieden. Das ü, das etwa in deutschen und estnischen Namen vorkommt, wird identisch zum y einsortiert. Die Buchstaben c, q, w, x, z und å kommen in finnischen Wörtern nicht vor, treten aber zuweilen in Fremdwörtern auf, insbesondere das å auch in den in Finnland häufig vorkommenden schwedischen Namen. Die Buchstaben b und f kommen nur in Lehnwörtern vor. Teilweise wird bei Lehnwörtern für den Laut ein S mit Hatschek (š) verwendet. Es kann durch sh oder einfach s ersetzt werden (z. B. "šakki", "shakki" oder "sakki" „Schach“). Noch seltener ist die stimmhafte Entsprechung ž, die bei geographischen Bezeichnungen wie "Fidži" vorkommt. Das Finnische hat eine fast völlig phonematische Orthographie; das heißt, die Zuordnung von Phonemen (Lauten) und Graphemen (Buchstaben) ist eindeutig. Lehnwörter werden konsequent an die finnische Orthographie angepasst (z. B. "filosofia" „Philosophie“). Bei folgenden Buchstaben unterscheidet sich der Lautwert vom Deutschen: Zu den wenigen Ausnahmen in der Kongruenz von Buchstabe und Lautwert gehören die Buchstabenkombinationen nk und ng, die [] und [] gesprochen werden. Ferner wird ein vor einem p stehendes n durchgängig als m ausgesprochen (z. B. in "kunpa" gesprochen "kumpa", aber auch in "haen pallon" gesprochen "haem pallon"). Nach bestimmten Typen von Wörtern tritt bei der Aussprache eine Verdopplung des Anfangskonsonanten des nachfolgenden Wortes oder Wortteiles auf, so nach auf -e endenden Wörtern ("tervetuloa", gesprochen "tervettuloa") oder nach verneinten Verben ("en juo maitoa", gesprochen "en juom maitoa"). Beginnt das folgende Wort mit einem Vokal, tritt an die Stelle der Konsonantenverdopplung ein Glottisverschlusslaut . In der finnischen Aussprache spielt der Unterschied von langen und kurzen Lauten eine zentrale Rolle. Dieser Unterschied spiegelt sich konsequent in der Schreibweise wider, indem lange Laute durch Doppelbuchstaben dargestellt werden. Dies betrifft sowohl Vokale als auch Konsonanten ("tuli" „Feuer“; "tulli" „Zoll“; "tuuli" „Wind“). Die langen Laute sind in der Regel exakt doppelt so lang wie der einfache Laut. Dabei ist die Qualität der Vokale unabhängig von ihrer Quantität. Anders als im Deutschen wird z. B. o stets gesprochen, unabhängig davon, ob es lang oder kurz ist. Die Verlängerung der Konsonanten k, p und t geschieht in der Weise, dass der jeweilige Verschlusszustand für kurze Zeit aufrechterhalten wird. Im Finnischen wird stets die erste Silbe eines Wortes betont. Daneben liegt ab der dritten Silbe auf jeder zweiten Silbe eine Nebenbetonung, wobei die letzte Silbe unbetont bleibt. Die Länge der Vokale ist unabhängig von der Betonung. Phonologie. Phoneme. Das Finnische verfügt über acht Vokale (angegeben in IPA-Lautschrift): Daneben gibt es im Finnischen je nach Zählweise 16 bis 18 verschiedene Diphthonge, die als Phoneme gewertet werden: ai [], au [], ei [], eu [], ey [], ie [], iu [], iy [], oi [], ou [], ui [], uo [], yi [], yö [], äi [], äy [], öi [] und öy []. Der Diphthongstatus von "ey" und "iy" ist nicht eindeutig. Generell ist zwischen Diphthongen und zweisilbigen Vokalverbindungen zu unterscheiden, wobei die Grenze nicht immer klar zu ziehen ist. So ist das "au" in "kaula" [] (Hals) ein Diphthong, in "kulaus" [] (Schluck) aber eine Vokalverbindung. Das Finnische verfügt über 14 eigenständige Konsonantenphoneme. Weitere vier Konsonanten (in der Tabelle eingeklammert) kommen nur in Lehnwörtern vor. Das Finnische ist mit nur 14 Konsonantenphonemen eine konsonantenarme Sprache. In einem finnischen Text kommen auf 100 Vokale durchschnittlich 96 Konsonanten (zum Vergleich: im Deutschen sind es 177). Es besteht kein Kontrast zwischen stimmhaften und stimmlosen Lauten. Der Laut [] nimmt als einziger stimmhafter Plosiv eine Sonderrolle im phonologischen System des Finnischen ein. Er kommt bei echt finnischen Wörtern nur im Inlaut als schwache Stufe von [] vor. Historisch geht er auf den Frikativ [] zurück, der als "d" oder "dh" geschrieben wurde. Als der Laut [] nicht mehr gesprochen wurde, blieb die Schreibung "d" beibehalten und wurde, dem schwedischen Beispiel folgend, [] ausgesprochen. Der Laut [] kommt in keinem finnischen Dialekt vor, dort ist der ursprüngliche Laut entweder ausgefallen oder hat sich zu [], [] oder [] entwickelt. Während der Zeit der Sprachenstreite im 19. und 20. Jahrhundert gab es Bestrebungen, den Buchstaben "d" als unfinnisch aufzugeben und jeweils durch ein "t" zu ersetzen. Diese Schule hat sich jedoch nicht durchsetzen können. Bei traditionellen finnischen Wörtern können am Wortanfang keine Konsonantenverbindungen stehen. Ältere Lehnwörter wurden bei Bedarf angepasst: Bei ihnen ist nur der letzte Konsonant der Verbindung erhalten. Bei neueren Lehnwörtern bleiben die Konsonantenverbindungen erhalten. Die Aussprache fällt allerdings manchen Finnen schwer und sie sprechen nur den letzten Konsonanten. Am Wortende können nur Vokale oder die Konsonanten "-n", "-t", "-l", "-r" und "-s" stehen. Neuere Lehnwörter werden meist durch Anhängung eines "-i" gebildet (z. B. "presidentti" „Präsident“). Vokalharmonie. Zu den zentralen Lautgesetzen des Finnischen gehört die Vokalharmonie. Die Hintervokale "a", "o" und "u" können grundsätzlich nicht innerhalb eines Wortes zusammen mit den Vordervokalen "ä", "ö" und "y" vorkommen. Endungen und andere Suffixe werden an die im Wortstamm enthaltenen Vokale angepasst: Die Vokale "e" und "i" sind neutral und können innerhalb eines Wortes mit beiden Gruppen vorkommen. Enthält ein Wort nur neutrale Vokale, werden für die Endungen die vorderen Vokale verwendet: In zusammengesetzten Wörtern werden die Gesetze der Vokalharmonie auf jeden Wortbestandteil getrennt angewendet. Die Vokale der Endung richten sich nach den Vokalen im letzten Wortbestandteil: Fremdwörter enthalten manchmal sowohl vordere als auch hintere Vokale. In nachlässiger Aussprache werden dann meist statt der vorderen Vokale die korrespondierenden hinteren gesprochen. Beispielsweise wird "Olympia" von manchen Sprechern wie "Olumpia" gesprochen. Stufenwechsel. Die Konsonanten "k", "p" und "t" unterliegen in der Deklination wie der Konjugation finnischer Wörter einem Stufenwechsel. Sie kommen in einer „starken“ und einer „schwachen“ Stufe vor. Die starke Stufe steht in offenen, also auf einen Vokal endenden, Silben (z. B. "katu" „die Straße“) sowie vor langen Vokalen und Diphthongen (z. B. "katuun" „in die Straße“). Sonst steht die schwache Stufe (z. B. "kadun" „der Straße“). Bei der Mehrzahl der Wörter steht die Grundform (Nominativ bei Nomina, Infinitiv bei Verben) in der starken Stufe. Manche Wörter unterliegen dem umgekehrten Stufenwechsel, bei dem die Grundform in der schwachen Stufe steht und die flektierten Formen überwiegend die starke Stufe annehmen (z. B. "tuote" „das Produkt“ – "tuotteen" „des Produktes“). Man unterscheidet zwischen quantitativem und qualitativem Stufenwechsel. Beim quantitativen Stufenwechsel werden doppelte Konsonanten in der schwachen Stufe zu einfachen reduziert: Vom qualitativen Stufenwechsel sind die Einzelkonsonanten "k", "p" und "t" sowie zahlreiche Konsonantenverbindungen betroffen. Diese Art des Stufenwechsels ist nicht mehr produktiv; das heißt, neuere Wörter sind nicht mehr davon betroffen (vgl. "katu" „die Straße“ – "kadun" „der Straße“, aber "auto" „das Auto“ – "auton" „des Autos“). Sonderfälle: Grammatik. Sprachbau. Das Finnische ist eine agglutinierende Sprache. Das bedeutet, dass die verschiedenen grammatischen Merkmale der Wörter durch eine Kette einzelner Affixe ausgedrückt werden, und zwar hier durch Affixe, die am Ende des Wortes angehängt werden (Suffixe bzw. „Nachsilben“). Im Deutschen und anderen indogermanischen Sprachen werden die Funktionen dieser Suffixe in vielen Fällen durch eigenständige Wörter ausgedrückt, zum Beispiel Präpositionen. Im Finnischen kann ein einziges, durch Suffixe erweitertes Wort eine große Informationsfülle aufnehmen. Ein Beispiel ist das Wort "taloissanikinko", das von der Grundform "talo" (Haus) abgeleitet ist und so viel wie „auch in meinen Häusern?“ bedeutet. Das Wort lässt sich folgendermaßen auflösen: Im Gegensatz zu flektierenden Sprachen wie dem Deutschen oder Lateinischen bedeutet agglutinierender Sprachbau, dass jede grammatische Information in einem eigenen Suffix codiert ist. Zum Beispiel wird in der Form "taloissa" („in den Häusern“) der Kasus Inessiv durch das Suffix "-ssa" ausgedrückt, und der Plural getrennt davon durch das Suffix "-i" – hingegen drückt im Deutschen die Artikelform "den" den Dativkasus und den Plural zugleich aus und ebenso codiert die deutsche Endung "-n" in der Form "Häusern" Dativ und Plural zugleich. Eine Ausnahme ist im Finnischen, dass der Plural im Nominativ und Akkusativ durch "-t", in den übrigen Fällen durch "-i-" gekennzeichnet wird. Deutschen Nebensätzen entsprechen ebenfalls oft kompakte Partizipial- oder Infinitivkonstruktionen, „Satzentsprechungen“ genannt. Beispielsweise bedeuten die vier Wörter auf dem nebenstehenden Foto: 1. (Das) Parken; 2. nur; 3. den/einen Platz; 4. für reserviert Habende – also auf gut Deutsch: „Parken nur für diejenigen, die einen Platz reserviert haben“. Allerdings hat sich das Finnische typologisch in vielerlei Hinsicht seinen indogermanischen Nachbarsprachen angenähert. So können die Satzentsprechungen durch konjunktionale Nebensätze ersetzt werden. Im Gegensatz zum Ungarischen oder den meisten anderen agglutinierenden Sprachen nimmt im Finnischen das attributive Adjektiv die gleiche Endung an wie das dazugehörige Substantiv (vgl. ungarisch "nagy ház" „großes Haus“ – "nagy házakban" „in großen Häusern“ mit finnisch "iso talo" – "isoissa taloissa"). Auch ist die bevorzugte Satzstellung im Finnischen wie im benachbarten Schwedischen Subjekt-Verb-Objekt (SVO) und nicht Subjekt-Objekt-Verb (SOV), wie es bei agglutinierenden Sprachen häufiger der Fall ist. Deshalb verkörpert das Finnische den agglutinierenden Sprachtypus in keiner besonders reinen Form. Nomina. Zu den Nomina gehören Substantive, Adjektive, Pronomina und Zahlwörter. Die Deklinationsendungen sind für alle Nomina gleich. Allerdings werden sie nach den Veränderungen, die der Wortstamm durchmacht, in verschiedene Typen eingeteilt. Das Finnische kennt weder unbestimmte noch bestimmte Artikel. "Talo" kann je nach Zusammenhang „das Haus“ oder „ein Haus“ bedeuten. Auch eine Genuskategorie existiert nicht. Sogar bei den Personalpronomina gibt es nur ein Wort "hän" für „er“ und „sie“. Deklinationstypen. Die finnischen Nomen werden in verschiedene Typen eingeteilt. Die Endungen sind für alle Typen gleich, aber die Wortstämme unterliegen bei der Deklination unterschiedlichen Veränderungen. Um ein Nomen deklinieren zu können, muss man den Typ kennen; so ergibt sich der für die jeweilige Endung benötigte Wortstamm. Charakteristisch für die einzelnen Typen sind jeweils: Bei der Deklination kann der Wortstamm durch den Stufenwechsel verändert werden. Aus sprachgeschichtlichen Gründen werden diese Veränderungen nicht immer angewendet (vgl. "lasi – lasin" „Glas“ und "vuosi – vuoden" „Jahr“). Außerdem gibt es einige Adjektive, die nicht dekliniert werden. Diese Tabelle zeigt beispielhaft einige der wichtigsten Deklinationstypen. Aus den Stammformen können sämtliche Wortbildungen hergeleitet werden. Kasus. Im Finnischen gibt es 15 Kasus (Fälle). Die meisten von ihnen übernehmen ähnliche Funktionen wie die Präpositionen im Deutschen. Aufgeteilt werden sie in grammatikalische Kasus, die in ihrer Funktion den deutschen Kasus ähneln, Lokalkasus, die konkrete und abstrakte örtliche Relationen bezeichnen, und die marginalen Kasus, die in der heutigen Sprache nur noch selten benutzt und meist durch Post- oder Präpositionen ersetzt werden. Neben den 15 Kasus gibt es 12 weitere Adverbialkasus, die nur für eine jeweils kleine Anzahl an Wörtern benutzt werden, z. B. den Prolativ, der den Weg ausdrückt, über den eine Handlung ausgeführt wird (z. B. "postitse" auf dem Postweg, "kirjeitse" brieflich). Die Kasus werden gebildet, indem die Kasusendungen an den Wortstamm angehängt werden. Die Kasusendungen sind unabhängig vom Worttyp einheitlich. Die Endungen im Plural entsprechen prinzipiell denen im Singular, wobei zwischen Wortstamm und Endung das Pluralkennzeichen "-i-" tritt (z. B. Singular "talossa", Plural "taloissa"). Der Nominativ Plural wird durch ein angehängtes "-t" gebildet ("talot"). 1) Die Form des Akkusativs entspricht im Singular je nach syntaktischer Stellung dem Nominativ oder dem Genitiv, im Plural entspricht er dem Nominativ. 2) Diese Endungen unterliegen der Vokalharmonie, d. h. anstelle des "a" kann ein "ä" stehen. 3) Verdopplung des vorangehenden Vokals + n; endet ein Wort auf einen Doppelvokal, so wird bei einsilbigen Wörtern ("maa" Land, "puu" Baum, Holz) einer Verdreifachung des Vokals durch Einfügen eines "h" vorgebeugt: "maahan", "puuhun"; bei mehrsilbigen Wörtern wird die Silbe "-seen" angehängt: "Porvoo" (Ort in Finnland), "Porvooseen" 4) Der Komitativ verlangt bei Substantiven ein Possessivsuffix. Adjektive und Adverbien. Adjektivische Attribute stehen vor dem Wort, auf das sie sich beziehen, und kongruieren mit diesem. Der Komparativ wird mit dem Suffix "-mpi" gebildet ("iso" „groß“ – "isompi" „größer“), der Superlativ mit dem Suffix "-in" ("isoin" „der größte“). Adverbien werden mit dem Suffix "-sti" gebildet (vgl. "auto on nopea" „das Auto ist schnell“ – "auto ajaa nopeasti" „das Auto fährt schnell“). Pronomina. Bei den Personalpronomina der 3. Person wird nicht zwischen männlicher (er) und weiblicher (sie) Form unterschieden, beide lauten "hän". Personalpronomina referieren nur auf Menschen. Bei Nichtmenschen werden Demonstrativpronomina verwendet. Für die höfliche Anrede (Siezen) wird die 2. Person Plural "Te" verwendet. Das Siezen ist in Finnland aber weit weniger verbreitet als im Deutschen. Dagegen gelten neben dem Siezen auch verschiedene unpersönliche Redewendungen als höflich. So wird der Gesprächspartner bei offiziellen Anlässen oft mit dem bloßen Nachnamen (ohne Herr oder Frau) und in der 3. Person angesprochen. Gerne wird eine direkte Anrede durch die Wahl unpersönlicher Formulierungen auch ganz vermieden. Die Demonstrativpronomina können allein oder als Attribut stehen. Die Unterscheidung zwischen Menschen und Nichtmenschen in der 3. Person wird durch die Wahl zwischen den Personal- und Demonstrativpronomina gemacht. Das Fragepronomen lautet "kuka" (wer) bzw. "mikä" (was). Die Pronomina werden wie die Nomen dekliniert. Die Personalpronomina haben im Akkusativ eine besondere Endung "-t" ("minut", "sinut"). Possessivsuffixe. Im Gegensatz zum Deutschen werden Besitzverhältnisse nicht allein durch Pronomina (mein, dein), sondern durch an das Wortende angehängte Suffixe angezeigt. Zusätzlich zum Possessivsuffix kann der Genitiv des Personalpronomens treten. Die Possessivsuffixe der 3. Person benötigen meist ein Bezugswort. Ist das Subjekt des Satzes in der 3. Person und gehört das Objekt dem Subjekt, entfällt jedoch das Bezugswort. Beispiel: "Hän myi talonsa" (Er verkaufte sein [eigenes] Haus). 1) Diese Endung unterliegt der Vokalharmonie, d. h., anstelle des "a" kann ein "ä" stehen. 2) Verdopplung des vorangehenden Vokals + n. Diese Variante kommt bei der Deklination vor (z. B. Inessiv "hänen talossaan" „in seinem/ihrem Haus“). Die Possessivsuffixe treten auch bei Postpositionen auf, die ein Bezugswort im Genitiv verlangen. Daneben können die Possessivsuffixe in den so genannten Satzentsprechungen das Subjekt anzeigen. Zahlwörter. Die Bildung der finnischen Zahlwörter geht von den Grundzahlen eins bis zehn aus: "yksi" (1), "kaksi" (2), "kolme" (3), "neljä" (4), "viisi" (5), "kuusi" (6), "seitsemän" (7), "kahdeksan" (8), "yhdeksän" (9) und "kymmenen" (10). Ganze Zehner werden durch Anhängung von "-kymmentä" gebildet, also "kaksikymmentä" für „zwei Zehner“, also Zwanzig. Weitere Zahlen über 20 bilden sich durch einfache Anhängung der Zahl der Einer: "kaksikymmentäyksi" für Einundzwanzig. Entsprechend wird für Hunderter, Tausender usw. vorgegangen. Die Zahlen von 11 bis 19 weichen von diesem System ab und werden gebildet durch Anhängung von "-toista" an die Einerzahl, also "kaksitoista" für Zwölf. Direkt übersetzt bedeutet dies „Zwei vom Zweiten“, also die zweite Zahl des zweiten Zehnerblockes. Dieses Zahlenbildungskonzept wurde früher auch für höhere Zahlen befolgt, so dass 35 als "viisineljättä", also „Fünf vom Vierten“, gelesen wurde. Diese Ausdrucksweise ist jedoch aus der Sprache verschwunden; man findet sie nur noch in älteren Texten (z. B. bei den Kapitelangaben in der "Kalevala"). In ähnlicher Weise wird das Wort für Eineinhalb wie „die Hälfte vom Zweiten“, "puolitoista" gebildet. Zu den Besonderheiten der finnischen Zahlwörter gehört, dass diese wie Nomen dekliniert werden: "Kolmesta talosta" für „aus drei Häusern.“ Diese Deklination betrifft bei aus mehreren Teilen zusammengesetzten Zahlwörtern alle Teile: Die Zahlwörter ab zwei verlangen, wenn sie im Nominativ oder Akkusativ stehen, für die gezählte Sache den Partitiv Singular: "yksi auto" (ein Auto), "kaksi autoa" (zwei Autos). In anderen Fällen stehen Zahlwort und gezähltes Wort im gleichen Fall, das Substantiv aber immer im Singular: "kahdessa autossa" (in zwei Autos). Verben. Das finnische Verb hat vier Tempora (Präsens, Imperfekt, Perfekt und Plusquamperfekt), vier Modi (Indikativ, Konditional, Imperativ und Potential), mehrere Infinitive und ein Verbalsubstantiv sowie vier Partizipien. Das finnische Passiv unterscheidet sich vom deutschen Passiv und ist eine unpersönliche Form. Konjugationstypen. Die finnischen Verben werden in sechs Typen eingeteilt. Diese Einteilung kann noch in verschiedene Untertypen verfeinert werden. Die Endungen sind für alle Typen gleich, aber die Wortstämme unterliegen bei der Konjugation unterschiedlichen Veränderungen. Um ein Verb konjugieren zu können, muss man den Typ kennen; er wird für die jeweilige Endung des Wortstamms benötigt. Charakteristisch für die einzelnen Typen sind jeweils: Bei der Konjugation kann der Wortstamm durch den Stufenwechsel verändert werden. Aus sprachgeschichtlichen Gründen werden diese Veränderungen nicht immer angewandt. Diese Tabelle zeigt beispielhaft einige der wichtigsten Konjugationstypen. Kennzeichnend sind jeweils Infinitiv "(sprechen)" / 1. Person Präsens "(ich spreche)" / 3. Person Imperfekt "(er sprach)" / Partizip "(gesprochen)" / Impersonal Imperfekt "(man sprach)". Aus diesen Stammformen können sämtliche Wortbildungen hergeleitet werden. Konjugation. Konjugation des Verbs "puhua" (sprechen) im Präsens: 1) Verdopplung des vorangehenden Vokals tritt nur bei Kurzvokal ein, nicht jedoch bei Langvokal oder Diphthong. 2) Diese Endung unterliegt der Vokalharmonie, d. h., statt des "a" kann ein "ä" stehen. Die Personalpronomina der ersten und zweiten Person können weggelassen werden, da die Person bereits durch die Personalendung eindeutig bestimmt ist. Tempora. Das Präsens bezeichnet gegenwärtige oder zukünftige Handlungen. Das Imperfekt (auch Präteritum) bezeichnet die abgeschlossene Vergangenheit. Es wird regelmäßig mit dem Tempuszeichen "-i-" gebildet. Die Endungen sind dieselben wie im Präsens. Das Perfekt bezeichnet eine Handlung, die in der Vergangenheit stattgefunden oder angefangen hat, aber noch weiterwirkt oder für die Gegenwart von Bedeutung ist. Es entspricht weitgehend dem englischen "Present Perfect". Das Plusquamperfekt bezieht sich auf eine Handlung, die vor einem Vergleichszeitpunkt in der Vergangenheit stattfand. Perfekt und Plusquamperfekt werden mit dem Hilfsverb "olla" (sein) und dem Partizip Perfekt gebildet. Das Futur ist im Finnischen nicht vorhanden. Zukünftige Handlungen werden durch das Präsens ausgedrückt ("menen huomenna" „ich gehe morgen“, „ich werde morgen gehen“). In den überwiegenden Fällen ist trotz des fehlenden Futurs eine eindeutige temporale Zuordnung möglich, insbesondere weil sich diese oft aus dem verwendeten Kasus erschließt ("luen kirjaa" „ich lese (gerade) ein Buch“, aber "luen kirjan" „ich werde ein Buch lesen“). Um den Zukunftsbezug eindeutig zu kennzeichnen, wird in neuerer Zeit manchmal in Übernahme von Konzepten indogermanischer Sprachen auch eine Umschreibung mit dem Verb "tulla" (kommen) verwendet "(tulen menemään huomenna)". Modi. Der Indikativ ist der Grundmodus und wird zur Darstellung der Wirklichkeit benutzt. Der Konditional drückt hypothetische oder bedingte Handlungen aus. Er wird mit dem Moduszeichen "-isi-" gebildet. Der Imperativ ist die Befehlsform. Neben den Imperativen der 2. Person Singular und Plural gibt es auch in der Umgangssprache heute selten benutzte Imperative für die 3. Person Singular und Plural und die 1. Person Plural. Der Potential bezeichnet eine wahrscheinliche, aber nicht sichere Handlung. In der heutigen gesprochenen Sprache ist er recht selten. Er wird mit dem Moduszeichen "-ne-" gebildet. Passiv. Anders als im Deutschen und den meisten anderen indogermanischen Sprachen ist das finnische Passiv keine Umkehrung des Aktivs, sondern eigentlich ein Impersonal, das am ehesten deutschen Formulierungen mit "man" entspricht. Es bezeichnet Handlungen, bei denen die ausführende Person ungenannt bleibt. Das Passiv könnte als eine Art „4. Person“ aufgefasst werden. Das Kennzeichen des Passivs ist "-(t)ta-"/"-(t)tä-". Es kommt in allen Tempora und Modi vor. Das gedachte Subjekt eines Passivsatzes muss stets ein Mensch sein. Ein deutscher Satz wie „Bei dem Unfall wurde ein Mann getötet“ könnte im Finnischen nicht mit einem Passivsatz übersetzt werden, da dieser implizieren würde, eine nicht genannte Person hätte den Mann während des Unfalles umgebracht. Infinitive. Finnische Verben haben je nach Auffassung drei, vier oder fünf Infinitive und ein Verbalsubstantiv (die Anzahl der Infinitive variiert in unterschiedlichen Grammatiken). Der 1. Infinitiv ("puhua" „sprechen“) entspricht dem deutschen Infinitiv und ist die Grundform des Verbs. Die übrigen Infinitive werden dekliniert und dienen zur Bildung zahlreicher temporaler, modaler, finaler Satzkonstruktionen (z. B. "puhuessani" „während ich spreche“, "puhumatta" „ohne zu sprechen“, "olen puhumaisillani" „ich bin nah dabei, zu sprechen“). Das Verbalsubstantiv wird mit dem Suffix "-minen" gebildet und kann in allen Kasus dekliniert werden. Es entspricht dem substantivierten Infinitiv des Deutschen ("puhuminen" „das Sprechen“, "puhumisen" „des Sprechens“.). Partizipien. Im Finnischen gibt es vier Partizipien. Es gibt sie in zwei Zeitebenen (Präsens bzw. gleichzeitig und Perfekt bzw. vorzeitig) jeweils als aktive und passive Form. Daneben existiert ein Agenspartizip, das das Partizip Perfekt Passiv ersetzt, wenn das Agens (die handelnde Person) genannt wird. Verneinung. Die Verneinung wird mit dem speziellen Verneinungsverb "ei" und dem nicht konjugierten Verbstamm gebildet. Das verneinte Imperfekt wird anders gebildet als das bejahte, nämlich mit "ei" und dem Partizip Perfekt Aktiv des Verbs. Das verneinte Perfekt und Plusquamperfekt werden durch Verneinung des Hilfsverbs "olla" gebildet. Beim verneinten Imperativ steht das Verneinungsverb in einer speziellen Imperativform "älä". Haben. Es gibt im Finnischen kein Wort für „haben“, stattdessen eine Konstruktion mit der 3. Person Singular von "olla" (sein) und dem Adessiv. Syntax. Wortstellung. Die übliche Wortfolge eines finnischen Satzes ist Subjekt-Prädikat-Objekt, damit ist das Finnische eine SVO-Sprache. Die Wortstellung ist aber prinzipiell frei, wenn auch nicht beliebig, da sie Bedeutungsnuancen ausdrückt. Neue Informationen treten meist ans Satzende. Vergleiche: Fragen. In Entscheidungsfragen steht das Verb am Satzanfang und wird mit der Fragepartikel "-ko"/"-kö" versehen. Wenn die Frage ein anderes Wort fokussiert, steht dieses mit der Fragepartikel am Satzanfang. Fragewörter hingegen werden in der Standardsprache nie mit der Fragepartikel versehen. Die Frage kann auch elliptisch sein. Bei der Antwort auf eine Entscheidungsfrage entspricht dem deutschen „ja“ die Wiederholung des Verbs, dem deutschen „nein“ das Verneinungsverb. Subjekt. Die Kategorien von Subjekt und Objekt sind im Finnischen weniger deutlich ausgeprägt als im Deutschen. Das Subjekt kann im Nominativ oder Partitiv stehen oder auch völlig fehlen. Der Normalfall als Subjektskasus ist der Nominativ. Ein Partitivsubjekt kommt in den sogenannten Existentialsätzen („es-gibt“-Sätzen) vor, wenn eine unbestimmte Menge bezeichnet wird. Bei Sätzen, die eine Notwendigkeit ausdrücken, steht die finnische Entsprechung des deutschen Subjekts im Genitiv und wird ein Dativadverbial genannt, weil es sich semantisch um einen Dativ handelt. Das grammatikalische Subjekt ist der Infinitiv. Sätze, die im Deutschen ein unpersönliches „man“ oder das expletive „es“ als Subjekt haben, stehen im Finnischen ohne Subjekt. Objekt. Das Objekt kann im Akkusativ oder Partitiv stehen. Das Objekt steht stets im Partitiv, wenn der Satz verneint ist. In bejahenden Sätzen hat die Kasuswahl zwei Aufgaben. Der Akkusativ drückt eine quantitative Bestimmtheit aus, während der Partitiv benutzt wird, wenn eine unbestimmte oder unzählbare Menge gemeint ist. Außerdem kann ein Aspektunterschied ausgedrückt werden. Dabei drückt der Akkusativ eine perfektive oder resultative (abgeschlossene) und der Partitiv eine imperfektive oder irresultative (nicht abgeschlossene) Handlung aus. Satzentsprechungen. Bei den Satzentsprechungen handelt es sich um kompakte Infinitiv- oder Partizipialkonstruktionen, die einen Nebensatz ersetzen. Die Infinitivformen werden dabei dekliniert und drücken eine zeitliche, modale oder finale Bedeutung aus. Das Subjekt des Nebensatzes tritt in den Genitiv oder kann als Possessivsuffix angehängt werden. Wortschatz. Wortbildung. Die finnische Sprache hat ein komplexes Wortbildungssystem, durch das von einem einzelnen Wortstamm zahlreiche unterschiedliche Begriffe abgeleitet werden können. Beispielsweise stammen die folgenden Wörter alle vom selben Wortstamm ab: "kirja" („Buch“), "kirjain" („Buchstabe“), "kirjaimisto" („Alphabet“), "kirje" („Brief“), "kirjasto" („Bibliothek“), "kirjailija" („Schriftsteller“), "kirjallisuus" („Literatur“), "kirjoittaa" („schreiben“), "kirjoittaja" („Autor“), "kirjoitus" („Schrift“), "kirjallinen" („schriftlich“), "kirjata" („buchen“, „eintragen“), "kirjasin" („Letter“, „Druckbuchstabe“), "kirjaamo" („Registratur“), "kirjoitin" („Drucker“), und "kirjuri" („Schreiber“). Zur Wortbildung tragen viele Endsilben bei, die den Wortstamm in einen bestimmten Zusammenhang bringen. Im obigen Beispiel bedeuten beispielsweise "-in" ein Werkzeug, "-sto" eine Ansammlung, "-uri" einen Gegenstand bzw. einen Menschen, der eine (im Wortstamm steckende) Tätigkeit ausübt und "-mo" einen Ort, an dem eine (im Wortstamm steckende) Tätigkeit ausgeübt wird. Eine weitere häufig verwendete Silbe zur Ortsbezeichnung ist "-la". Durch Verbsuffixe können zahlreiche Bedeutungsnuancen ausgedrückt werden, z. B. "nauraa" („lachen“), "naurahtaa" („auflachen“), "naureskella" („vor sich hin lachen“), "naurattaa" („zum Lachen bringen“). Neologismen. Bei Neologismen werden im Finnischen generell eigenständige Wörter Fremdwörtern vorgezogen. Neue Begriffe werden oft auf Grundlage des vorhandenen Wortschatzes geschaffen (z. B. "tietokone", wörtlich „Wissensmaschine“ = „Computer“, "puhelin" von "puhua" (sprechen) = „Telefon“). Für heute neu in die finnische Sprache zu übertragende Fremdwörter gibt eine staatliche Kommission "(Kielitoimisto)" regelmäßig Empfehlungen ab, die aber nicht bindender Natur sind. In neuerer Zeit bürgern sich anstelle der eigenständigen finnischen Wortschöpfungen verstärkt auch direkte phonetische Übernahmen aus der jeweiligen Fremdsprache ein (z. B. für Scanner das übliche "skanneri" anstelle des empfohlenen "kuvanlukija", wörtlich „Bildleser“). Lehnwörter. Im finnischen Wortschatz existieren Entlehnungen aus sehr unterschiedlichen Zeitschichten. Die historische Linguistik kann uralte Lehnwörter nachweisen. So stammt das finnische Zahlwort für „100“, "sata", wahrscheinlich aus einer Urform des Indoiranischen und ist mit dem Sanskrit-Wort "śatam" verwandt. Ebenfalls in prähistorischer Zeit, seit dem 1. Jahrtausend v. Chr., hatten die Vorfahren der Finnen Kontakte zu den Balten, Germanen und Slawen, aus deren Sprachen sie zahlreiche Wörter übernahmen. Die Lautgestalt dieser alten Lehnwörter hat sich im Finnischen oft besser erhalten als in den Ursprungssprachen. So ist das finnische "kuningas" noch praktisch identisch mit der germanischen Urform *"kuningaz", während sich das Wort in den heutigen germanischen Sprachen weiterentwickelt hat (dt. "König", engl. "king", schwed. "konung" oder "kung"). Der größte Teil der Lehnwörter im Finnischen stammt aber aus der schwedischen Sprache. Das heutige Finnland gehörte ab dem 12. Jahrhundert bis ins Jahr 1809 zum Königreich Schweden. Während dieser Zeit und noch bis ins 20. Jahrhundert hinein war die Oberschicht schwedischsprachig. In die finnische Sprache wurden sehr viele Lehnwörter aus dem Schwedischen übernommen, z. B. "kuppi" (schwed. "kopp" „Tasse“) oder die Wochentage "maanantai", "tiistai" (schwedisch "måndag", "tisdag") usw. Auch Lehnübersetzungen wie die Phrase "ole hyvä" (wie schwedisch "var så god", wörtl. „sei so gut“) für „bitte“ sind häufig. Die kurze Zugehörigkeit Finnlands zu Russland hat in der Sprache weit weniger Spuren hinterlassen, zumal Russisch nie Amtssprache war. In neuerer Zeit sind Lehnwörter aus dem Englischen dazugekommen, wenn auch in geringerem Umfang als zum Beispiel in der deutschen Sprache. Sprachformen. Umgangssprache. Im Finnischen unterscheiden sich die geschriebene und gesprochene Sprache deutlicher voneinander als in den meisten anderen europäischen Sprachen. Die Unterschiede sind sowohl lautlicher als auch grammatikalischer Natur. Die Schriftsprache wird für fast alle geschriebenen Texte verwendet; eine Ausnahme bilden informelle Nachrichten (E-Mails, SMS-Mitteilungen). In Gesprächssituationen wird dagegen fast ausschließlich die Umgangssprache gesprochen, außer bei besonders formellen Anlässen. Die Umgangssprache variiert je nach dialektalem Hintergrund, Alter und sozialer Stellung des Sprechers, aber auch bei ein und derselben Person je nach Situation. Die finnische Umgangssprache basiert im Wesentlichen auf dem Dialekt von Helsinki. Die wichtigsten Merkmale der Umgangssprache sind: Dialekte. Die Unterschiede zwischen den finnischen Dialekten sind recht gering, sie unterscheiden sich fast ausschließlich in der Aussprache. Die finnischen Dialekte teilen sich in eine westliche und eine östliche Hauptgruppe. Die Einordnung der im nordschwedischen Torne-Tal gesprochenen Meänkieli ist umstritten. In Finnland wird es meist als Peräpohjola-Dialekt angesehen, während es in Schweden als eigenständige Sprache klassifiziert und auch an Schulen als Schriftsprache gelehrt wird. Gleiches gilt für das in Nordnorwegen gesprochene Kvenisch. Westfinnische Dialekte (Die Ziffern beziehen sich auf die nebenstehende Karte.) Ostfinnische Dialekte Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal zwischen westlichen und östlichen Dialekten ist die Entsprechung des schriftsprachlichen "d". In den westfinnischen Dialekten ist der Laut meist durch "r" oder "l" ersetzt ("tehrä" statt "tehdä"), in den ostfinnischen ist er ausgefallen ("tehä"). In den Südwestdialekten fallen Vokale oft aus, vor allem am Wortende (z. B. "snuuks" statt "sinuksi"), während in den östlichen Dialekten Vokale eingefügt werden (z. B. "kolome" statt "kolme"). Die östlichen Dialekte verfügen über palatalisierte Konsonanten (z. B. "vesj" statt "vesi"). Sprachbeispiel. Angegeben ist als Textprobe eine Nachrichtenmeldung aus der in Oulu erscheinenden Tageszeitung "Kaleva" vom 10. April 2008 mit Originaltext, IPA-Lautschrift, Interlinearübersetzung und deutscher Übersetzung:
1637
2921676
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1637
Forschung
Unter Forschung versteht man, im Gegensatz zum zufälligen Entdecken, die "systematische" Suche nach neuen Erkenntnissen sowie deren Dokumentation und Veröffentlichung. Die Publikation erfolgt überwiegend als "wissenschaftliche Arbeit" in relevanten Fachzeitschriften und/oder über die Präsentation bei Fachtagungen. Forschung und Forschungsprojekte werden im wissenschaftlichen und industriellen, aber auch im künstlerischen Rahmen betrieben. Teilgebiete. Forschung wird im Allgemeinen unterschieden in: Während die Grundlagenforschung vom reinen Erkenntnisinteresse geleitet wird und allgemein gültige Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten aufzuspüren versucht, ist die Angewandte Forschung auf praxisrelevante, nützliche Ergebnisse ausgerichtet wie etwa in der medizinischen Forschung. Jede der beiden Forschungsrichtungen kann Impulsgeber für die andere sein und von der anderen profitieren. Die Grundlagenforschung arbeitet auf einem höheren Abstraktionsniveau, die Anwendungsforschung bewegt sich näher an der praktischen Verwertbarkeit. Die Stanford University in Kalifornien mit dem Stanford Linear Accelerator Center, den Forschungen bzw. Studien in Natur- und Ingenieurwissenschaften und den IT-Unternehmen im Silicon Valley gilt als internationales Vorbild hinsichtlich Verbindung von Grundlagenforschung, Anwendungsforschung und wirtschaftlicher Nutzung. Finanzierung. Das Wirtschaftswachstum kann über die Investitions- bzw. Forschungsquote gefördert werden und daher ist die Forschung und deren Finanzierung volkswirtschaftlich erheblich. Vor allem die Konzentration von Forschung und Entwicklung auf Spitzentechnologie wirkt langfristig wachstumsfördernd. Gemessen am finanziellen Aufwand entfällt in den Industrieländern der Großteil der Forschung auf die Industrie, ist also vor allem der angewandten Forschung zuzurechnen. Die Grundlagenforschung wird hingegen überwiegend von Wissenschaftlern der Forschungseinrichtungen der Hochschulen sowie (in geringerem Ausmaß) spezialisierter Institute getragen. Diese Forschung wird überwiegend aus dem Budget des Instituts bzw. der Hochschule finanziert. Doch wächst in fast allen westlichen Staaten der Anteil sogenannter Drittmittelforschung. Im Wesentlichen sind dies von Hochschullehrern beantragte und durchgeführte Forschungsprojekte, für die meist eine (halb-)staatliche Forschungsförderung existiert. Im Rahmen der EU ist der Europäische Forschungsrat (European Research Council, ERC) eine wichtige Institution zur Finanzierung von Grundlagenforschung. Deutschland. Laut Berechnungen des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 2007 betrugen die gesamten Forschungsaufwendungen in Deutschland insgesamt rund 61,5 Milliarden Euro, wovon 70 Prozent von der Industrie finanziert wurden. Die forschenden Pharmaunternehmen in Deutschland trugen dabei 10,5 Prozent der gesamten Forschungsaufwendungen der deutschen Industrie. Von den etwa 18 Milliarden Euro „nichtindustrieller“ Forschung entfällt der Großteil auf die Institute an den Hochschulen und Akademien. Zu deren Primärbudgets kommen die eingeworbenen Drittmittel, welche überwiegend die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert. Deren Etat belief sich 2010 auf rund 2,3 Milliarden Euro. Laut "Forschungsbericht 2010" kamen davon "67,1 Prozent vom Bund, 32,7 Prozent von den Ländern und 0,2 Prozent aus Stiftungen und privaten Zuwendungen". Von den 32.000 Forschungsprojekten der laufenden Förderung waren über 15.000 in der Einzelförderung angesiedelt. Für sie wurden 2010 insgesamt 894 Millionen Euro an Fördermitteln bewilligt. Dazu kommen 256 Sonderforschungsbereiche, für welche die DFG etwa 4600 Projekte unterstützte (Bewilligungsvolumen 547 Millionen Euro). Der DFG-Bericht schreibt ferner: "Ebenfalls in den koordinierten Programmen gefördert wurden 237 Graduiertenkollegs (138 Millionen Euro), 113 Schwerpunktprogramme mit etwa 3400 Projekten (193 Millionen Euro) und 252 Forschergruppen mit fast 2500 Projekten (150 Millionen Euro)." Österreich. Österreichs Forschungsförderungsfonds FWF und FFG unterscheiden zwischen Grundlagen- und gewerblicher Forschung. Beide Fonds werden überwiegend vom Staat finanziert, der Rest aus der Privatwirtschaft. Der FWF bewilligte 2012 684 neue Forschungsprojekte in der Höhe von insgesamt knapp 200 Millionen Euro. Auf 427 Mio. Auszahlung für Forschungsprojekte kommt die FFG im Jahr 2012. Weitere (teils öffentliche) Fördereinrichtungen sind die Christian-Doppler Gesellschaft und die ÖAW. Neben FWF und FFG gibt es in Österreich noch eine Reihe weiterer Forschungsfinanzierungsagenturen, wie z. B. die Bundesministerien für Wissenschaft und Forschung, für Verkehr, Innovation und Technologie, und für Wirtschaft, Familie und Jugend. Einige Bundesländer haben ebenfalls Forschungsförderprogramme eingerichtet, wie z. B. Wien mit dem WWTF (Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds) und dem ZIT (Zentrum für Innovation und Technologie) oder die SFG in der Steiermark (Steirische Wirtschaftsförderungsgesellschaft). Fast alle Bundesländer bedienen sich aber auch der FFG, um eigenfinanzierte Programme abwickeln zu lassen. Der Anteil an privater non-for-profit Forschungsfinanzierung ist in Österreich vergleichsweise gering. Schweiz. Gemäß Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation wurden in der Schweiz 2017 Aufwendungen für Forschung & Entwicklung im Umfang von 22,5 Milliarden Schweizer Franken getätigt. Dieser Betrag entspricht 3,4 % des BIP. Die Schweiz gehört damit zu den Ländern, die im Verhältnis zu ihrem BIP die höchsten Investitionen in Forschung und Entwicklung tätigen. Wie in vielen weiteren Industriestaaten, entfällt der größte Teil dieser Aufwendungen auf die Privatwirtschaft, die rund zwei Drittel der Aktivitäten im Bereich Forschung & Entwicklung finanziert und durchführt. Neben den kantonalen Universitäten und den beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen ist in der Schweiz primär der Bund für die staatliche F&E-Förderung zuständig. Die wichtigsten Förderinstrumente des Bundes sind dabei der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und des wissenschaftlichen Nachwuchs (jährliches Förderbudget von rund 1,2 Milliarden CHF) sowie die Innosuisse, die Schweizerische Agentur für Innovationsförderung (jährliches Förderbudget von rund 200 Mio. CHF). Zusätzlich ist die Beteiligung an den Forschungsrahmenprogrammen der Europäischen Union von besonderer Bedeutung für die Schweiz.
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Free Software Foundation
Die Free Software Foundation (FSF, ) ist eine nichtstaatliche Stiftung, die als gemeinnützige Organisation 1985 von Richard Stallman mit dem Zweck gegründet wurde, freie Software zu fördern und für diese Arbeit Kapital zusammenzutragen. Executive Director der Free Software Foundation ist seit 2022 Zoë Kooyman (Stand: 18. September 2020). Bis Mitte der 1990er wurden die Finanzmittel der FSF im Wesentlichen dazu verwendet, Programmierer für die Entwicklung freier Software anzustellen. Seitdem viele Unternehmen und Privatpersonen begonnen haben, selbständig freie Software zu schreiben, konzentriert sich die Arbeit der FSF zunehmend auf rechtliche und strukturelle Belange der Freie-Software-Gemeinschaft. Arbeit der FSF. Die Hauptaufgabe der FSF ist die finanzielle, personelle, technische und juristische Unterstützung des GNU-Projekts (und damit neben der Software auch der Lizenzen GPL, LGPL, AGPL und GFDL). Neben dieser Arbeit bemüht sich die FSF gleichzeitig um allgemeine Beratung, Berichterstattung und Aufklärung rund um freie Software. Das "GPLv3.fsf.org"-Projekt beinhaltet die Ausarbeitung und die Kommunikation rund um die Schaffung der neuen Version der GNU-Lizenzen. Das Projekt "GPL Compliance Lab" bemüht sich, rechtliche Verstöße gegen die GNU General Public License, aber auch gegen andere GNU-Lizenzen zu ahnden bzw. Rechteinhabern bei Verstößen gegen die Lizenzen rechtlichen Beistand zu gewähren und entsprechend zu beraten. In diesem Rahmen werden auch Fragen bezüglich der Lizenzierung von Software beantwortet. Die Software des GNU-Projekts wird dabei neben anderer Software vom GNU-Savannah-Projekt gehostet, das eine Infrastruktur zur Entwicklung und Koordination freier Software bietet. Das Free Software Directory dient als zentrales Verzeichnis freier Software. Kampagnen. Die FSF hat die Kampagne "Defective by Design" gestartet, die sich gegen die Digitale Rechteverwaltung (, von der FSF als "Digital Restrictions Management" bezeichnet) wehrt. In DRM sieht die Free Software Foundation die Gefahr der „Zerstörung der digitalen Zukunft“. Mit der Kampagne "Badvista" gegen das Microsoft-Betriebssystem Windows Vista soll der Computernutzer über die Nachteile des proprietären Betriebssystems aufgeklärt werden. Zudem werden freie Betriebssysteme, welche dem Nutzer mehr Freiheiten lassen, als Alternativen präsentiert. Kritisiert wird unter anderem, dass die Gerätetreiber bei jeder Aktualisierung deaktiviert werden können, wenn Microsoft sich dazu entschließt. Das soll mit den Geräten jener Hersteller geschehen, von denen Microsoft meint, es schützt unzulänglich vor dem Umgehen der vorgesehenen Nutzungsbeschränkungen. Produkt-Zertifizierungsprogramm (RYF). Die FSF unterhält ein „Respects Your Freedom“ (RYF) Produkt-Zertifizierungsprogramm, um die Herstellung und den Verkauf von Hardware zu fördern, die Freiheit und Privatsphäre des Nutzers respektiert. Um den Anforderungen zu entsprechen, muss ein Produkt 100 Prozent Freie Software nutzen, frei von Hintertüren sein und andere Anforderungen erfüllen. Ende 2015 wurden 9 Produkte nach RYF zertifiziert, darunter Laptops, ein 3D-Drucker, ein WLAN-Router, und ein USB Wireless Access Point. Struktur. Schwester-Organisationen. Am 10. März 2001 wurde die Free Software Foundation Europe gegründet, um die Belange freier Software im europäischen Raum zu vertreten. Da es bisher keine allgemeine europaweit gültige Regelung für gemeinnützige Organisationen gibt, agiert die FSFE als Schirm-Organisation für die so genannten Chapters in den unterschiedlichen Ländern Europas. Als Schwesterorganisation der Free Software Foundation in den USA konzentriert sie ihre Aktivitäten im Umkreis des GNU-Projekts, beschränkt sich aber nicht darauf. Präsident der FSFE ist Matthias Kirschner. Die FSFE versteht es als ihre Hauptaufgabe, Initiativen freier Software in Europa zu koordinieren, ein Kompetenzzentrum für Politiker, Anwälte und Journalisten bereitzustellen und die Infrastruktur für freie Softwareprojekte und speziell das GNU-Projekt zur Verfügung zu stellen. Im Jahr 2003 wurde in Kerala die Free Software Foundation India gegründet. Am 23. November 2005 wurde die FSLA – Free Software Foundation Latin America in Rosario, Argentinien, gegründet. Mitgliedschaft. Am 25. November 2002 startete die FSF das "FSF Associate Membership Programm" für Einzelpersonen. Im März 2005 hatten sich mehr als 3400 Mitglieder angemeldet. Am 5. März 2003 wurde das "Corporate Patron Programm" für Unternehmen ins Leben gerufen. Mittlerweile unterstützen 45 Firmen dieses Projekt. Auszeichnungen. Die Free Software Foundation, die ihrerseits seit 1998 den FSF Award for the Advancement of Free Software und seit 2005 den Free Software Award for Projects of Social Benefit vergibt, hat bedeutende Auszeichnungen erhalten:
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Freiberg
Die Universitätsstadt Freiberg ist eine Große Kreisstadt und Bergstadt etwa in der Mitte des Freistaates Sachsen zwischen Dresden und Chemnitz. Die Mittelstadt ist Verwaltungssitz des 2008 gebildeten Landkreises Mittelsachsen und mit der 1765 gegründeten Bergakademie Freiberg Sitz der ältesten noch bestehenden technisch-montanwissenschaftlichen Universität der Welt. Der gesamte historische Stadtkern steht unter Denkmalschutz. Er gehört, zusammen mit örtlichen Denkmälern der Bergbaugeschichte wie der Reichen Zeche, seit 2019 zum UNESCO-Welterbe Montanregion Erzgebirge. Bis 1969 war die Stadt rund 800 Jahre vom Bergbau und der Hüttenindustrie geprägt. In den letzten Jahrzehnten findet ein Strukturwandel zum Hochtechnologiestandort im Bereich der Halbleiterfertigung und der Solartechnik statt, womit Freiberg zum Silicon Saxony gehört. In der eigentlichen Stadt ohne Ortsteile lebten Stand 31. Dezember 2015 laut Stadtverwaltung 39.318 Einwohner. Geografie. Geografische Lage. Die Stadt liegt an der nördlichen Abdachung des Erzgebirges mit dem Großteil des Stadtgebietes westlich der "Östlichen" oder der Freiberger Mulde. Die Stadt ist zum Teil in die Täler des Münzbaches und des Goldbaches eingebettet. Das Zentrum mit dem Bahnhof liegt auf etwa . Tiefster Punkt ist der Münzbach an der Stadtgrenze mit , der höchste Punkt befindet sich bei auf einer Bergbauhalde. Freiberg liegt innerhalb einer alten, durch den Bergbau genutzten und von ihm geprägten Rodungslandschaft und ist im Norden, Südosten und Südwesten von Wäldern, in den übrigen Richtungen von Feldern und Wiesen umgeben. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist mit den Städten Nossen, Roßwein, Großschirma, Freiberg und Brand-Erbisdorf eine Zone der Verstädterung tendenziell im Entstehen. Diese umfasst etwa 75.000 Einwohner. Freiberg befindet sich etwa 31 km westsüdwestlich von Dresden, etwa 31 km ostnordöstlich von Chemnitz, etwa 82 km südöstlich von Leipzig sowie etwa 179 km südlich von Berlin und etwa 120 km nordwestlich von Prag. Freiberg liegt etwa 8,4 km westlich des geographischen Mittelpunktes des Freistaates und ist somit die Stadt, die mit ihrem Zentrum diesem Punkt am nächsten liegt. Freiberg liegt an einer Grenze von zwei Formen des sächsischen Dialektes: östlich das "Südostmeißnische" und westlich das "Südmeißnische," die beide den fünf Meißenischen Dialekten zuzurechnen sind, sowie knapp nördlich des Dialektgebietes des "Osterzgebirgischen". Ausdehnung des Stadtgebiets. Die Keimzelle der Stadt, das ehemalige Waldhufendorf Christiansdorf, liegt im Tal des Münzbaches. Aus der ehemaligen bäuerlichen Siedlung entwickelte sich die hochmittelalterliche Stadt Freiberg (der freie Berg). An dessen Hängen und auf dem westlich davon gelegenen Höhenrücken entstand der ummauerte Stadtkern. Dies hatte unter anderem zur Folge, dass die östlich der alten Hauptstraßenachse (heute "Erbische Straße" und "Burgstraße" vom ehemaligen "Erbischen Tor" am "Postplatz" zum Schloss Freudenstein) abgehenden Straßen, die zum Teil bis auf den Gegenhang des Münzbachtals führen, steil sind. Der östlich der Hauptstraßenachse gelegene Teil wird als "Unterstadt" mit dem dazugehörenden Untermarkt bezeichnet. Das westliche Gebiet ist die "Oberstadt" mit dem Obermarkt. Der Stadtkern wird von den entlang der alten Stadtmauer verlaufenden Ringanlagen umschlossen. Im Westen verbreitern sich diese, in die die "Kreuzteiche" eingebettet sind, parkartig. Unmittelbar nördlich des Stadtkerns befinden sich neben dem Schloss Freudenstein Stadtmauerreste mit mehreren Mauertürmen und dem vorgelagerten "Schlüsselteich". Die Mauerreste setzen sich in östlicher Richtung mit Durchbrüchen bis zum "Donatsturm" fort. In diesem Bereich dominiert der historische Wallgraben. Die Südgrenze des Altstadtkerns wird zum Teil durch Bauten aus der Gründerzeit geprägt. Die Bundesstraße 101 flankiert als "Wallstraße" den Westen, die Bundesstraße 173 als "Schillerstraße" und "Hornstraße" den Süden der Altstadt. Freibergs Norden wird durch den Campus der TU Bergakademie Freiberg geprägt. Dessen Hauptteile beiderseits der "Leipziger Straße" (als B 101 wichtigste Verkehrsverbindung in diesem Gebiet) entstanden in den 1950er und 1960er Jahren. Weiterhin befinden sich dort die Stadtteile Loßnitz, Lößnitz und Kleinwaltersdorf, das nicht unmittelbar an die städtischen Bebauungsgrenzen reicht. Zwischen Kleinwaltersdorf und Lößnitz liegt der "Nonnenwald" und östlich der Leipziger Straße ein Gewerbegebiet. Der Osten Freibergs umfasst den rechten, östlichen Hang des Münzbachtales, das Tal der Freiberger Mulde und Teile der östlich davon gelegenen Hochfläche. Da dort über Jahrhunderte intensiver Bergbau betrieben wurde, ist dieses Gebiet vor allem durch die Tagesanlagen der Gruben, deren Halden und Industrieanlagen verschiedener Perioden gekennzeichnet. Große Teile der Bergbauhalden wurden ab den 1960er Jahren begrünt und sind heute bewaldet. Der Stadtteil Halsbach an der B 173 ist eine alte Streusiedlung am Osthang der Mulde, in der vor allem Bergleute mit ihren Familien wohnten. Zwischen den 1960er und 1990er Jahren standen in Halsbrücke und Muldenhütten insgesamt sechs zwischen 120 und 200 m hohe Schornsteine, die weithin die Freiberger Stadtsilhouette prägten. In Richtung Osten verläuft die Sachsen-Franken-Magistrale zunächst in einem tiefen Einschnitt, in einem nach Norden offenen Bogen aus der Stadt, um nach Passieren des Muldenhüttener Eisenbahnviadukts die Richtung nach Dresden einzuschlagen. Nach Südosten führt eine Landstraße in Richtung Osterzgebirge und Tschechien aus der Stadt. Die geschlossene Wohnbebauung im östlichen Stadtgebiet stammt im Wesentlichen aus der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nördlich der "Dresdner Straße" befindet sich zwischen dem "Donatsturm" und dem ehemaligen Bahnhof Freiberg (Ost) der mehrere hundert Jahre alte Donatsfriedhof. Weitere Friedhöfe befinden sich nördlich davon. Freibergs Süden ist in erster Linie von der in Ost-West-Richtung verlaufenden Eisenbahntrasse, die auf hohen Dämmen die nordwärts verlaufenden Täler von Münz- und Goldbach quert, bestimmt. Diese Eisenbahnstrecke mit ihrem ehemals bedeutenden Güterbahnhof schneidet im Süden die steiler werdenden, ins Erzgebirge führenden Hänge an. Zwischen Bahnhof und Altstadt befanden sich die übertägigen Anlagen alter Erzgruben. Seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nimmt dieses Terrain die Bahnhofsvorstadt ein. Um den Bahnhof gibt es alte Industrieflächen und am "Wernerplatz" befindet sich der Busbahnhof. im östlichen Teil befanden sich der alte "Jüdenberg" (jüdische Vorstadt) und mehrere Vorwerke. Südwestlich des Stadtkerns schließt sich südlich der Chemnitzer Straße (B 173) Freibergsdorf an. Südlich der Bahntrasse befindet sich ein in den 1930er Jahren angelegtes Siedlungsgebiet. Zwischen diesem, der Bahntrasse und dem Stadtteil "Zug" wurden zwischen den 1960er und 1980er Jahren die Wohngebiete "Seilerberg" und "Wasserberg" angelegt, die kreissegmentförmig den Ring bis fast zur "Chemnitzer Straße" im Westen schließen. Durch diese Wohngebiete verläuft die West-Osttangente, die die Innenstadt vom Fernverkehr entlastet. "Zug" ist heute ein von kleineren Bergwerkshalden geprägtes Siedlungsgebiet mit vielen Einfamilienhäusern. An der B 101, der "Annaberger Straße", befinden sich Einkaufszentren und Gewerbegebiete. Fast unmerklich geht das Gebiet von Zug in das Stadtgebiet von Brand-Erbisdorf über. Der Stadtteil "Langenrinne" im Südosten im Tal des Münzbachs war ehemals landwirtschaftlich geprägt und ist heute Wohngebiet in aufgelockerter Bauweise. Zwischen "Langenrinne" und dem "Seilerberg" hat die Solarindustrie einen Standort gefunden. Der Westen ist die bevorzugte Wohngegend mit dem "Stadtpark", einem Freizeitzentrum und einem der beiden deutschen Tempel der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (umgangssprachlich Mormonen genannt). Er wurde von 1983 bis 1985 gebaut und am 29. Juni 1985 geweiht. Am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden dort größere Villen, und während der DDR-Zeit wurden Einfamilienhäuser errichtet. Der Stadtteil Friedeburg ist eine Mischung von Villenkolonien, Wohnbauten aus den 1980er und 1990er Jahren und neuerer aufgelockerter Bebauung. Dort führt die Landstraße in Richtung Hainichen und Mittweida aus der Stadt. Im Südwesten wird die Stadt vom "Hospitalwald", in dem sich ein Freibad und ein Campingplatz befinden, begrenzt. Durch diesen Wald verläuft die Eisenbahntrasse in Richtung Westen. Umland. Im Freiberger Umland sind sowohl Industriestandorte als auch Landwirtschaft, Wälder und Naherholungsgebiete vorhanden. An den Standorten Muldenhütten und Halsbrücke sind Unternehmen der Hütten- und Metall verarbeitenden Industrie und in Weißenborn, Großschirma und Reinsberg Unternehmen der Papierindustrie ansässig. Die junge Stadt Großschirma liegt nördlich von Freiberg an der Bundesstraße 101. Nordöstlich schließt die Gemeinde Halsbrücke an das Freiberger Stadtgebiete an. Weiter befindet sich im Osten die Gemeinde Bobritzsch-Hilbersdorf. Ebenfalls nordöstlich der Stadt liegt das Naherholungsgebiet Tharandter Wald. Die sich im Südosten befindliche Gemeinde Weißenborn gehört zur Verwaltungsgemeinschaft Lichtenberg-Weißenborn mit dem noch weiter entfernten Städtchen Frauenstein. An der südlich aus Freiberg herausführenden Bundesstraße 101 liegen die Große Kreisstadt Brand-Erbisdorf und der Freiwald. Nach Süden, zum Kamm des Erzgebirges, und nach Norden in Richtung Nossen und Meißen erstrecken sich die technisch und hinsichtlich des Naturschutzes interessanten Anlagen der Revierwasserlaufanstalt Freiberg. Im Westen befinden sich Oberschöna und Oederan. Stadtteile (Stadtgliederung). Die Stadt Freiberg untergliedert sich in acht Stadtteile: Neben der Altstadt, den Stadtteilen Freiberg-Nord, Freiberg-Ost, Freiberg-Süd und Freiberg-West sind dies Halsbach, Kleinwaltersdorf und Zug. Zu diesen Stadtteilen gehören folgende Gemeindeteile und Stadtviertel: Geologie. Regionalgeologisch ist der Raum Freiberg der Erzgebirgs-Zentralzone innerhalb der fichtelgebirgisch-erzgebirgischen Antiklinalzone zuzuordnen. Die Festgesteinsbasis besteht aus Orthogneis proterozoischen Alters (auch „Freiberger Graugneis“, „Freiberger Kerngneis“ oder „Freiberger Gneiskuppel“ genannt). Der Gneis besteht aus etwa 40 % Feldspaten (Kalifeldspat und Plagioklas), 33 % Quarz und 27 % Glimmer (Biotit und Muskovit). Die Mineralkomponenten sind durch die regionalmetamorphe Überprägung meist länglich deformiert, was dem Gneis seine typische schiefrig-plattige („flaserige“) Gesteinstextur verleiht. Der Gneis war seit Entstehung der Stadt bis in die jüngere Vergangenheit Quelle von Baumaterial für eine große Anzahl von Bauwerken in und um Freiberg (siehe Fotografie der Annenkapelle). Der Festgesteinskörper wird von zwei Systemen tektonischer Bruchstrukturen durchzogen. Diese entstanden während der varistischen und alpidischen Orogenese. Durch den Absatz hydrothermaler Lösungen in diesen tiefreichenden Spaltensystemen entstanden die polymetallischen Erzgänge des Freiberger Lagerstättenbezirkes. Die Erzgänge waren vom Hochmittelalter bis in das zweite Drittel des 20. Jahrhunderts Gegenstand bergmännischen Abbaus, wobei Silber die überwiegende Gewinnungskomponente war. Der Bergbau prägte den Charakter und die Bedeutung der Stadt Freiberg nachhaltig (siehe Hauptartikel Freiberger Gangerzlagerstätte). An Vulkaniten ist ein Nordwest-Südost streichender Rhyolithgang erwähnenswert, der das Stadtgebiet nordöstlich tangiert. Die Festgesteinsoberkante steht in Abhängigkeit von der Morphologie meist nur wenige Meter unter der Geländeoberfläche an. Gneis verwittert auf Grund seiner schiefrig-plattigen Textur zu flachstückigem Grus und zersetzt sich bei anhaltender Verwitterungsintensität zu schluffig-sandigem Verwitterungslehm. In Folge von Verlagerungsprozessen bilden sich Mischbereiche aus Verwitterungs- und Hanglehm sowie Hangschutt, die die Festgesteinsoberfläche und die Verwitterungszone in unterschiedlicher Mächtigkeit bedecken. Holozäne Bildungen treten lediglich in einem schmalen Bereich entlang des Münzbaches in Form von Auelehm auf. Rezente Bodenbildungen liegen als Hangsandlehm-Braunerde und Staugleye vor. Geschichte. Die Stadt, deren Geschichte eng mit dem Bergbau verbunden ist, entstand ab etwa um 1162/1170. Markgraf Otto von Meißen ließ zwischen 1156 und 1162 mehrere Waldhufendörfer für das Kloster Altzelle anlegen, darunter Christiansdorf. Im Jahre 1168 wurde bei Christiansdorf Silbererz entdeckt. Der Markgraf erwirkte daraufhin das Regalienrecht, um so über die in seinem Land vorhandenen, eigentlich dem königlichen Bergregal unterliegenden Bodenschätze, selbst verfügen zu können. Die Zusicherung besonderer Freiheiten für die Bergleute, wie u. a. der Freiheit der Person und die Befreiung von verschiedenen Fronabgaben und -diensten, lockte zahlreiche Bergleute, Händler und Handwerker, samt ihren Familien ins Erzgebirge. Durch die Zuwanderungswelle entwickelte sich innerhalb von zwei Jahrzehnten die Stadt „Vriberge“ (1195), 1218 „Friberch“, 1227 im Stadtsiegel „Vriberch“ und 1328 „Fryberg“. 1466 werden erstmals die Bezeichnungen „Freiberg“ und „Freyberg“ verwendet. Dieser Name wird aus dem wichtigen Merkmal, der von Markgraf Otto eingeführte Berg(-bau)freiheit, also dem Schürfrecht eines jeden Zuwanderers, hergeleitet. Gegen eine entsprechende Abgabe durfte jeder nach dem Silbererz schürfen und konnte jeder eine Berechtigung zum Abbau erlangen. Das Silber durfte ausschließlich an die markgräfliche Münze verkauft werden. Im hohen Mittelalter war Freiberg die größte Stadt der Mark Meißen und wichtiger Handelsstandort. Ihr Silberreichtum und die bedeutsame Münzstatte machten das Kurfürstentum Sachsen zu einem wohlhabenden Staatswesen. Das berühmte Freiberger Stadt- und Bergrecht ("ius Fribergensis"), erstmals 1233 erwähnt, erlangte ab 1307 in schriftlicher Form große Bedeutung für das Erzgebirge. 1765 wurde die Bergakademie gegründet, eine der weltweit ältesten bergbautechnischen Hochschulen. 1913 wurde der Silberbergbau aufgrund des Verfalls des Silberpreises eingestellt. Vor dem Zweiten Weltkrieg wiederum aufgenommen, gab es bis 1969 wieder verstärkt Bergbauaktivitäten zur Blei-, Zink- und Zinngewinnung. Freiberg ist der Namensgeber für das 1853 durch Gustav Adolf Kenngott benannte Mineral Freibergit. Ein amerikanischer Luftangriff auf Freiberg, besonders auf die Bahnhofsvorstadt, am 7. Oktober 1944 forderte 172 Todesopfer. 2015 ereigneten sich in Freiberg ein Sprengstoffanschlag auf ein Asylbewerberheim sowie fremdenfeindliche Ausschreitungen gegen einen Flüchtlingskonvoi, wodurch der Ort bundesweit in die Medien geriet. Eingemeindungen. Darüber hinaus wurden am 1. Januar 1997 Flurstücke der Gemeinden Weißenborn und Oberschöna sowie am 1. April der Großen Kreisstadt Brand-Erbisdorf eingemeindet. Einwohnerentwicklung. Im Dezember 2015 hatte die Stadt 41.641 Einwohner. von 1471 bis 1988 "Quelle: unter anderem Stadt- und Bergbaumuseum Freiberg, Schriftenreihe 6, 1986". Die Volkszählung am 17. Mai 1939 ergab 35.712 Einwohner, davon 16.302 Männer und 19.410 Frauen. seit 1990 Politik. Stadtrat. Ergebnis der Stadtratswahl vom 26. Mai 2019: Die Wahlbeteiligung lag bei 61,6 % (2014: 48,1 %). Oberbürgermeister. Am 24. Juni 2015 wurde Sven Krüger (parteilos, bis 2018 SPD) im zweiten Wahlgang mit deutlicher Stimmenmehrheit zum Oberbürgermeister der Stadt Freiberg gewählt. Er war zuvor als Beigeordneter für Verwaltung und Finanzen in der Stadt tätig gewesen und löste den parteilosen Bernd-Erwin Schramm ab, der seit 1. August 2008 Oberbürgermeister gewesen war und 2015 das Rentenalter erreichte. Am 12. Juni 2022 wurde Krüger mit 74,1 % für eine zweite Amtszeit gewählt. Dezernent ist seit 1. April 2009 Holger Reuter (Beigeordneter für Stadtentwicklung und Bauwesen, CDU). Wappen, Flagge, Dienstsiegel. Das Wappen der Stadt Freiberg ist erstmals 1227 als Siegel belegt und damit das älteste Stadtsiegel der Mark Meißen. Die Stadt Freiberg führte es in der am 1. Juni 1899 durch die Königliche Kreishauptmannschaft Dresden genehmigten Form als Wappen ein. Wappenbeschreibung Flaggenbeschreibung Dienstsiegel Das Dienstsiegel der Stadt enthält das Stadtwappen. Die Führung des Dienstsiegels ist dem Oberbürgermeister vorbehalten. Nachdem der Sächsische Staatsminister des Innern, Markus Ulbig, am 11. Januar 2015 Freiberg den Titel „Universitätsstadt“ verliehen hat, führt Freiberg diesen Titel auch in der Beschriftung seines Dienstsiegels. Städtepartnerschaften. Freiberg unterhält Städtepartnerschaften in Deutschland mit Außerhalb Deutschlands werden Partnerschaften gepflegt mit Kultur und Sehenswürdigkeiten. Freiberg verfügt über 1250 technische, kunstgeschichtliche und kulturelle Denkmäler verschiedener Art und Größe. Die historische Altstadt, umgeben von Resten der Stadtmauer, besteht aus einem unzerstörten Stadtkern mit unverändertem Grundriss aus dem 12./13. Jahrhundert. Ergänzt wird die Vielfalt durch zahlreiche geowissenschaftliche Sammlungen. Theater. Das Theater wurde 1790 gegründet und gilt als ältestes in ursprünglicher Form erhaltenes und kontinuierlich von einem städtischen Theaterensemble bespieltes Stadttheater der Welt. 1800 wurde dort die erste Oper "Das stumme Waldmädchen" des damals vierzehnjährigen Carl Maria von Weber uraufgeführt. In den 1900er Jahren hatte Harry Liedtke hier eines seiner ersten Engagements. Später spielte auch Inge Keller auf dieser Bühne. Seit 1993 wird das Haus zusammen mit dem Stadttheater Döbeln als Mittelsächsisches Theater Freiberg und Döbeln geführt. Es umfasst die Sparten Schauspiel, Musiktheater und Philharmonie. Bauwerke. Dom St. Marien. Zu den bedeutendsten baulichen Sehenswürdigkeiten Freibergs zählt der Dom St. Marien, häufig als "Freiberger Dom" oder "Dom zu Freiberg" bezeichnet, eine spätgotische Hallenkirche, die 1484 bis 1501 am Untermarkt errichtet wurde. An der Südseite des Domes befindet sich die markante Goldene Pforte. An den Dom schließt sich die 1594 durch Giovanni Maria Nosseni im italienischen Renaissancestil ausgebaute, 1885 restaurierte "Kurfürstliche Begräbniskapelle" an. Hier ruhen alle protestantischen Fürsten der Albertinischen Linie von Heinrich dem Frommen († 1541) bis zu Johann Georg IV. († 1694). Sehenswert ist u. a. das marmorne lebensgroße Standbild des Kurfürsten Moritz († 1553). Im Inneren des Doms finden sich eine Triumphkreuzgruppe, die freistehende steinerne Tulpenkanzel und die große Silbermann-Orgel. Stadtkirche St. Petri. Auf dem höchsten Punkt der Innenstadt, am Petriplatz unweit des Obermarktes, liegt die "Stadtkirche St. Petri". Ihr Nordwestturm, dessen Höhe bis zur Spitze der vergoldeten Spille 74,10 m beträgt, bietet dem Besucher aus rund 45 m Höhe (Wachstube) einen Blick über weite Teile des Osterzgebirges. Die Holzkonstruktion mit den Wohnräumen und der Wachstube wurde 1733 fertiggestellt. Diese vermitteln einen Einblick in die Arbeits- und Lebensbedingungen vergangener Jahrhunderte. Profane Bauwerke. Im Norden, Nordosten und Osten der Altstadt zwischen Schloss Freudenstein und Donatsturm (in der Nähe eines alten Stadttores) stehen zwei komplett erhaltene, jedoch nicht mehr miteinander verbundene Teile der Stadtmauer mit mehreren Türmen (Altschloßturm, Turm des Pestpfarrers, Oberer Roßmühlenturm, Lazarett-Turm, Donatsturm, Kalkturm, Gelber Löweturm). Das vor dem im 19. Jahrhundert abgerissenen Peterstor auf dem Bebelplatz stehende Schwedendenkmal erinnert an die heldenmütige Verteidigung der Stadt gegen die belagernden schwedischen Truppen unter dem Kommando von Lennart Torstensson im Jahre 1643. Weitere bauliche Sehenswürdigkeiten sind der "Petriplatz", das ehemalige "Freibergsdorfer Hammerwerk" und drei erhaltene Kursächsische Postdistanzsäulen von 1723 sowie drei Weichbild- beziehungsweise Stadtgrenzsäulen von 1791. Weite Flächen nordöstlich, östlich, südöstlich und südlich der Stadt sind durch den Bergbau geprägt. Dort, wie ebenfalls in den nördlich und südlich unmittelbar angrenzenden Nachbarstädten Großschirma und Brand-Erbisdorf, der Gemeinde Halsbrücke und im (seit 2012 zu Freiberg gehörenden) Ortsteil Muldenhütten stehen dicht gedrängt eine große Anzahl technischer Anlagen, die unmittelbar mit dem 800-jährigen Bergbau, der Aufbereitung, dem Transport, der Verhüttung des Erzes sowie der Haldenwirtschaft in Zusammenhang stehen. Gegenwärtig werden diese Flächen hauptsächlich als Industrie- und Gewerbegebiete genutzt. Zum Herderhaus siehe: Stadtarchiv Freiberg. Parks und Wälder. Der Stadtkern wird von dem anstelle der mittelalterlichen Stadtbefestigung angelegten "Grünanlagen-" oder "Altstadtring" umschlossen. Im südwestlichen und westlichen Teil, dem Tal des Goldbaches, der auch "Saubach" genannt wird, liegt als Erweiterung der "Albertpark" mit den beiden "Kreuzteichen" ("Mittlerer" und "Unterer" oder "Großer Kreuzteich"). Im nördlichen Teil dieses Ringes ist unter anderem der "Schlüsselteich" zu lokalisieren. Historisch verfügte Freiberg über noch mehr Teiche im Zuge des Grünanlagenrings und Goldbaches. Westlich des "Albertparkes" befindet sich der ehemalige Johannispark, der Ende der 1950er Jahre zum Freiberger Tierpark umgestaltet wurde. Westlich schließt sich der "Ludwig-Renn-Park" an. Am südwestlichen Stadtrand befindet sich der "Hospitalwald", beziehungsweise bereits der Freiberger Stadtwald, nordwestlich der "Fürstenwald" (auch "Fürstenbusch" oder "Loßnitzforst") mit dem "Nonnenwald" und dem "Zechenteich" sowie dem "Schwarzen Teich". Südöstlich der Stadt, an den Talhängen beiderseits der Freiberger Mulde, trifft man auf den "Rosinenbusch". Viele der ehemaligen Bergbauhalden sind mit Wald bestockt und wertvolle Biotope. Diese zählen in großen Flächenanteilen zu den Freiberger Forsten. Naturdenkmäler. In Freibergsdorf befindet sich die "Torstensson-Linde", an der der schwedische Feldherr Lennart Torstensson im Dreißigjährigen Krieg die Befehle zur Belagerung Freibergs gegeben haben soll. In größerer Entfernung liegen der Freiberger Stadtwald mit Großem Teich und Mittelteich, der Zellwald und der Tharandter Wald, sowie das Striegistal. Botanisch und technisch bemerkenswert ist darüber hinaus die so genannte Grabentour. Regelmäßige Veranstaltungen. Der Freiberger Veranstaltungskalender beinhaltet diverse jährlich stattfindende Feierlichkeiten. Als größtes Volksfest Mittelsachsens wird am letzten Juniwochenende das "Bergstadtfest" mit dem Aufzug der historischen Berg- und Hüttenknappschaft – der Berg- und Hüttenparade – abgehalten. Seit 2004 hat sich im April ein zweitägiger Markt regionaler und überregionaler Töpfer- und Keramikkünstler auf dem Obermarkt etabliert. Auf dem Drei-Brüder-Schacht im Stadtteil Zug findet seit 1997 im Mai ein Dampfmodelltreffen statt. Zur Adventszeit wird der Freiberger Christmarkt veranstaltet – in diesem Rahmen wird auch eine Mettenschicht am Sonnabend vor dem zweiten Advent abgehalten. Darüber hinaus werden in jedem Jahr der Freiberger Kunstförderpreis vergeben und die „Bergstadt-Königin“ gekürt. Musikalische Großveranstaltungen sind die seit 1974 Mitte April abgehaltenen "Freiberger Jazztage" sowie im September die "Silbermann-Tage" zu Ehren Gottfried Silbermanns. Kulinarische Spezialitäten. Der Freiberger Bauerhase ist ein in Form eines Hasen gestaltetes Fastengebäck. Freiberger Eierschecke ist eine in Freiberg und der nahen Umgebung verbreitete Form der Eierschecke. In einer modernen Braustätte nördlich des Stadtgebietes wird "Freiberger Pils" gebraut. Wirtschaft und Infrastruktur. Verkehr. Straße. Freiberg ist über die Autobahn A 4, Abfahrt Siebenlehn und die Bundesstraße 101, aus Richtung Dresden beziehungsweise Chemnitz über die Bundesstraße 173 zu erreichen. Aus Richtung Leipzig führt die Autobahn A 14, Abfahrt Nossen-Ost und die Bundesstraße 101 nach Freiberg. Aus Richtung Prag ist die Anbindung über die A 17, Abfahrt Dresden-Gorbitz über die Bundesstraße 173 gegeben. Freiberg ist Kreuzungs- und Ausgangspunkt mehrerer Staatsstraßen in Richtung Reinsberg, Halsbrücke, Dippoldiswalde, Frauenstein, Altenberg (Erzgebirge), Brand-Erbisdorf, Kleinschirma und Hainichen. Abschnitte der Bundesstraßen 173 und 101 sind Teil der Silberstraße. Diese war mit dem Silberwagenweg zwischen Annaberg und Freiberg eine alte Poststraße. Die Staatsstraße in Richtung Frauenstein entspricht in ihrem Verlauf in Teilen der Alten Freiberg-Teplitzer Poststraße. Die verkehrstechnische Bedeutung Freibergs lässt sich unter anderem an den noch vorhandenen drei Sächsischen Postmeilensäulen ermessen. Kein weiterer Ort verfügt heute noch über eine solche Dichte von Postsäulen. Eine 13,5 Kilometer lange Ortsumgehung von Freiberg, ausgehend von der B 173 östlich Halsbach über die B 101 im Süden, über die B 173 im Westen bis zur B 101 im Nordwesten, befand sich im Planfeststellungsverfahren. Dieses wurde vom Bundesverwaltungsgericht, mit Urteil vom 14. Juli 2011, AZ. 9 A 12/10, für rechtswidrig und nicht vollziehbar erklärt. Eisenbahn. Freiberg liegt mit seinen beiden, in Betrieb befindlichen Bahnhöfen Bahnhof Freiberg (Sachs) in und dem Bahnhof "Muldenhütten" (etwa ) an der Sachsen-Franken-Magistrale auf deren Teilabschnitt Bahnstrecke Dresden–Werdau. Von Freiberg führt die Eisenbahnstrecke Nossen–Moldau ins Erzgebirge auf dem noch in Betrieb befindlichen Teilabschnitt bis nach Holzhau. In Richtung Nossen, nach Norden, liegt der stillgelegte Haltepunkt Kleinwaltersdorf (etwa ). Diese Strecke wird in Richtung Süden von der Freiberger Eisenbahn, die zur Transdev SE & Co. KG gehört, im Auftrag des Verkehrsverbundes Mittelsachsen betrieben. Die Bahnstrecke Freiberg–Halsbrücke mit dem "Bahnhof Freiberg (Sachs) Ost", , ist stillgelegt. Luftverkehr. Die nächstgelegenen Flughäfen sind Dresden-Klotzsche (45 km), Leipzig-Altenburg (85 km) und Leipzig/Halle (110 km). In der Nähe von Großschirma beziehungsweise Langhennersdorf gibt es einen Sonderlandeplatz. ÖPNV. Der ÖPNV wird durch die Regiobus Mittelsachsen erbracht. Diese betreibt in der Stadt neun Stadtbuslinien (Linien A–I), die unter anderem nach Brand-Erbisdorf, Zug, Halsbrücke und Oberschöna führen. Zentraler Umsteigepunkt ist neben dem Bahnhof Freiberg der Busbahnhof. Hier besteht die Umsteigemöglichkeit zwischen allen Stadtbussen und vielen Regionalbussen. In der Schwachlastzeit, im Nacht- und teilweise im Wochenendverkehr, werden die Stadtbuslinien durch das AnrufLinienTaxi ergänzt. Freiberg gehört zum Verbundgebiet des Verkehrsverbundes Mittelsachsen mit der Tarifzone 10. Zwischen 1902 und 1919 verkehrte in der Stadt Freiberg die Städtische Straßenbahn Freiberg in Sachsen mit einer Spurweite von 1000 Millimetern. Ansässige Unternehmen. Der Freiberger Silberbergbau beruhte auf dem Vorkommen von zirka 1.000 Erzgängen. Im Freiberger Bergrevier wurden etwa 180 verschiedene Mineralien gefunden. Der Bergbau förderte die Stadtentstehung entscheidend, war aber nicht allein für die Stadtgründung ausschlaggebend, denn etwa zur gleichen Zeit wurde der Landesausbau des südlichen Teils der Mark Meißen vorangetrieben. Der später auf andere Metalle erweiterte Erzbergbau, die Erzaufbereitung und -verhüttung, das damit in enger Verbindung stehende Handwerk, die Dienstleistung und weiterverarbeitende Industrien sowie die Wissenschaft, insbesondere die Montan- und Geowissenschaften, prägten über 800 Jahre die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt. Ein Beispiel ist das Deutsche Brennstoffinstitut, das für die Gaswirtschaft zuständig war. In der Stadt waren neben dem Bergbau die Aufbereitung und Verhüttung fast aller Nichteisenmetalle, der Spurenelemente und Edelmetalle zu Hause. Freiberg und Muldenhütten waren Münzstätten. In Freiberg werden Halbleiterwerkstoffe hergestellt und Einkristalle gezüchtet. Der Maschinenbau (Papiermaschinen), der Metallleichtbau, die Elektronik, die feinmechanische und optische Industrie, die Lederindustrie, die Textilherstellung, die Porzellanindustrie und die Lebensmittelindustrie sind oder waren in der Stadt vertreten. Wichtigster Arbeitgeber der Stadt ist derzeit die TU Bergakademie Freiberg. Eine chancenreiche wirtschaftliche Alternative zu den traditionell in Freiberg beheimateten Wirtschaftszweigen scheint sich mit der ressourcenschonenden Energiegewinnung und der Herstellung entsprechender technischer Anlagen zu entwickeln. Bisher gibt es folgende Einrichtungen und Anlagen: Für das Unternehmen Choren Industries, die unter Einsatz von Fördermitteln als erstes Unternehmen weltweit eine Anlage zur Herstellung synthetischen BtL-Kraftstoffs durch Biomasseveredlung (Waldrestholz, Altholz) betreiben wollte, wurde am 6. Juli 2011 die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet. Die Insolvenz des ehemaligen Vorzeigeunternehmens war Auslöser für zahlreiche Medienberichte. Auf dem Gebiet der Hochtechnologie sind/waren die "Deutsche Solar AG (SolarWorld)" (bis zum Konkurs 2018), die "Siltronic AG" und die "Freiberger Compound Materials GmbH" tätig. Mit der Niederlassung der "Deutschen Solar AG" entstand in Freiberg in direkter Fortführung der Waferproduktion die größte integrierte Solarzellenfabrik Deutschlands, die jährlich Solarzellen mit einer Gesamtleistung von 600 Megawatt produzierte. Im Jahr 2020 wurden ehemalige Produktionsstandorte der Solarworld von Meyer Burger Technology übernommen und werden zu einem modernisierten Werk für die Solarmodulproduktion umgerüstet. Am Standort Freiberg wird bereits seit der Gründung des VEB Spurenmetalle Freiberg 1957 Silizium verarbeitet. Die 1995 gegründete "ACTech GmbH Freiberg" verbindet Prototypenfertigung und Teileentwicklung mit dem Gießereihandwerk als Dienstleister im Bereich Gussteilentwicklung inzwischen auch mit Standorten in den USA und Indien. Einen weiteren Schwerpunkt bildet der Fremdenverkehr. Durch die Sehenswürdigkeiten und die historischen Bergbauanlagen ist Freiberg, das an der sächsischen „Silberstraße“ liegt, vor allem für technisch-historisch und kunsthistorisch interessierte Bildungstouristen ein Ziel. Seit Oktober 2008 existiert die Ausstellung "terra mineralia" im Schloss Freudenstein. Die Absicht, die Montanregion Erzgebirge für die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes zu kandidieren, setzt neue Impulse. Weiterhin sitzen in Freiberg Hersteller Feinmechanischer Geräte und von Messgeräten. WECO stellte mit 100 Beschäftigten pyrotechnische Erzeugnisse her und schließt Ende 2021. Die Lebensmittelindustrie ist mit der Freiberger Brauhaus AG und der Molkerei Hainichen-Freiberg, die als Gemeinschaftsunternehmen (jeweils 50 %) von der Ehrmann AG und der "Käserei Champignon Hofmeister" betrieben wird, vertreten. Freiberg verfügt weiterhin über einen Dienstleistungssektor, vor allem spezialisiert sich die Stadt auf wissenschaftliche Dienstleistungen im Bereich der Geowissenschaften und der Geoinformatik, was über die üblichen Aufgaben eines Mittelzentrums hinausgeht. In der Wohnungswirtschaft ist neben zahlreichen privaten Eigentümern vor allem die mehrheitlich in städtischem Besitz befindliche Städtische Wohnungsgesellschaft Freiberg mit rund 4.000 Wohnungen ein bedeutender Akteur. Gesundheitswesen. 1223 gab es mit dem St. Johannishospital das erste Krankenhaus in Freiberg. Die "Kreiskrankenhaus Freiberg gGmbH" feierte am 8. November 2011 ihr 150-jähriges Jubiläum. Hauptgesellschafter des Krankenhauses ist der Landkreis Mittelsachsen, weiterer Gesellschafter ist die Sana Kliniken AG. Seit 1998 ist es eins von zehn Krankenhäusern der Schwerpunktversorgung in Sachsen. Das Krankenhaus besitzt ein zertifiziertes Schlaganfallzentrum. 2010 wurde das Krankenhaus Akademisches Lehrkrankenhaus der medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden. Rettungsdienst. In Freiberg am Kreiskrankenhaus existiert eine Rettungswache, der die Außenstelle Brand-Erbisdorf zugeordnet ist. In dieser ist ein Notarzteinsatzfahrzeug 24 h am Tag besetzt, ein weiteres von Montag bis Freitag 7 bis 19 Uhr. Stand Januar 2019 sind in Freiberg drei Rettungswagen stationiert, zwei davon sind 24 h am Tag besetzt, der dritte ist Montag bis Freitag von 7 bis 19 Uhr und Samstag und Sonntag 24 h besetzt. Des Weiteren stehen 4 Krankentransportwagen für den Transport von Patienten von und zu Untersuchungen zur Verfügung. Bis zum 31. Januar 2020 wurde die Wache vom DRK-Kreisverband Freiberg betrieben. Zum 1. Februar gab es erstmals einen Betreiberwechsel an die Malteser Hilfsdienste gGmbh – allerdings nur als Interimsvergabe, da der DRK-Kreisverband Einspruch erhoben hat. Feuerwehr. Die Freiwillige Feuerwehr Freiberg „Moritz Braun“ ist die Freiwillige Feuerwehr mit hauptamtlichen Kräften der Stadt Freiberg. Deren Feuerwehrhaus befindet sich seit 1997 im Freiberger Stadtteil Freiberg Süd auf der Brander Straße 29. Gegründet wurde sie als Feuerlöschgruppe 1861 nach einem Stadtratsbeschluss aus den Reihen der Turner. Seit den 1940er Jahren wurden Feuerwehrleute direkt bei der Stadt angestellt, 1950 wurde dann die Berufsfeuerwehr Freiberg gegründet, die dann 1990 wieder in eine Freiwillige Feuerwehr mit hauptamtlichen Kräften umgewandelt wurde, da neben Personalnot auch die Voraussetzungen, ab wann eine Stadt eine Berufsfeuerwehr unterhalten muss, damals 80.000 Einwohner, nicht mehr erfüllt waren. So entstand die heutige Struktur als Freiwillige Feuerwehr mit hauptamtlichen Kräften, zu denen die ständig besetzte Feuerwache Freiberg, die Ortsfeuerwehren Freiberg, Kleinwaltersdorf und Zug gehören. Die Feuerwehr im Ortsteil Halsbach, die bis zuletzt ein KLF auf Barkas B1000 besetzte, wurde im Jahr 2008 aufgelöst. Die Feuerwehr der Stadt Freiberg hat insgesamt 225 Mitglieder: 136 aktive Kameraden, 55 Jugendfeuerwehrmitglieder und 34 in der Alters- und Ehrenabteilung. Derzeit sind 26 hauptamtliche Kräfte in drei 24-Stunden-Wachschichten angestellt, von denen einige auch in den Freiwilligen Feuerwehren aktiv sind. Seit 2021 haben alle Ortswehren eine eigene Jugendfeuerwehr und die Ortswehr Kleinwaltersdorf eine Kinderfeuerwehr. Technisches Hilfswerk. Das Technische Hilfswerk besitzt seit dem 1. Juli 1997 einen Ortsverband mit 60 aktiven Helfern und 9 Junghelfern in Freiberg, der seinen Standort im Ortsteil Zug hat. Er gehört zur Regionalstelle Chemnitz und besteht aus einem Zugtrupp, der 1. Bergungsgruppe, der Fachgruppe Notversorgung und Notinstandsetzung und den Fachgruppen Räumen, Ortung und schwere Bergung. Bildung und Forschung. Die Technische Universität Bergakademie Freiberg ist die älteste noch existierende montanwissenschaftliche Bildungseinrichtung der Welt. Sie wurde 1765, im Zeitalter der Aufklärung, durch Prinz Xaver als Ausbildungsstätte für Bergleute in Freiberg gegründet, als Sachsen nach der Niederlage im Siebenjährigen Krieg den Bergbau forcieren musste, um Reparationen zu zahlen. Zu ihren berühmtesten, ehemaligen Studenten zählt Alexander von Humboldt. Das Geschwister-Scholl-Gymnasium Freiberg wurde im Jahre 1515 als Städtische Lateinschule gegründet und war damit das erste humanistische Gymnasium in Sachsen. Es verfügt über die wertvolle Andreas-Möller-Bibliothek, zwei Chöre, die Bläsergruppe "Musica Concordia" und zahlreiche Sportgruppen. Das Gymnasium besteht aus zwei Schulgebäuden, deren Rekonstruktion und Modernisierung 2002 beziehungsweise 2004 abgeschlossen wurden. Das "Albertinum" ist das Haupthaus und beherbergt neben der Schulleitung die Klassenstufen 9 bis 12, das "Haus Dürer", benannt nach dem Maler Albrecht Dürer, die Klassenstufen 5 bis 8. Das Ulrich-Rülein-Gymnasium entstand 1992 aus den polytechnischen Oberschulen "Lenin" und "Gorki". Im Jahr 2007 wurde das Gymnasium mit dem Geschwister-Scholl-Gymnasium zusammengelegt und kurzzeitig als "Gebäude Rülein" des Geschwister-Scholl-Gymnasiums weitergeführt. Das Freiberg-Kolleg ist eine staatliche Einrichtung des zweiten Bildungswegs im Land Sachsen. Es bietet Erwachsenen die Möglichkeit, nach Abschluss einer Berufsausbildung in Vollzeit die allgemeine Hochschulreife zu erwerben. Das Freiberg-Kolleg ist mit dem Gründungsjahr 1949 das älteste der drei Kollegs in Sachsen. Zurzeit lernen hier zirka 230 Schüler. Bewerber mit Migrationshintergrund haben die Möglichkeit über zusätzliche DaZ-Kurse die Hochschulreife zu erlangen. Garnison. Freiberg war bis zum Jahr 1945 Garnisonsstadt der Sächsischen Armee, Reichswehr und Wehrmacht. Errichtet wurde u. a. die König-Friedrich-August-Kaserne.
1641
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https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1641
Ford Prefect
Ford Prefect war ein Personenwagenmodell von Ford in Großbritannien. Die Fahrzeuge wurden 1938 eingeführt und in Dagenham, Essex, hergestellt. Modellgeschichte. Prefect E93A und E493A. Der ursprüngliche Ford Prefect war eine Überarbeitung des Ford Model 7W und außerdem der erste Ford, der nicht in Detroit, Michigan, entworfen wurde. Er wurde speziell für den britischen Markt hergestellt. Dieses Modell des Prefect wurde mit wenigen kleinen Änderungen von 1939 bis ins Jahr 1953 produziert, das ursprüngliche "Model E93A" von 1939 bis 1941 und, nach kriegsbedingter Unterbrechung der Produktion, von 1945 bis 1948 und das leicht modernisierte "Model E493A" von 1949 bis 1953. Die Karosserien des Prefect lieferte ausnahmslos Briggs Motor Bodies. Prefect 100E. Im September 1953 wurde ein komplett überarbeiteter kleiner Ford mit moderner Ponton-Karosserie vorgestellt, der teilweise bis 1959 hergestellt wurde. Es waren die Typen Ford Anglia (Zweitürer) und Ford Prefect (Viertürer), jeweils "Model 100E". Eine Billigversion war der Ford Popular "Model 103E". Ab 1955 gab es auch noch einen Kombi, der mit der Ausstattung des Prefect 100E als Ford Squire bis 1959 und mit der Ausstattung des Anglia als Ford Escort angeboten wurde. Prefect 107E. Als 1959 ein komplett neuer Ford Anglia ("105E") erschien, machten der Prefect und der Squire diesen Modellwechsel nicht mehr mit. Stattdessen gab es von 1959 bis 1961 den Prefect "107E", eine geringfügig überarbeitete Version des "100E". 1962 erschien dann als Ablösung des Prefect der Ford Cortina. Außer in Großbritannien wurden Ford Prefects in Australien, Kanada und Schweden verkauft. Das kanadische Modell hatte Linkslenkung.
1642
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Fantasy-Rollenspiel
1643
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https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1643
Französische Revolution
Die Französische Revolution von 1789 bis 1799 gehört zu den folgenreichsten Ereignissen der neuzeitlichen europäischen Geschichte. Die Abschaffung des feudal-absolutistischen Ständestaats sowie die Propagierung und Umsetzung grundlegender Werte und Ideen der Aufklärung als Ziele der Französischen Revolution – das betrifft insbesondere die Menschenrechte – waren mitursächlich für tiefgreifende macht- und gesellschaftspolitische Veränderungen in ganz Europa und haben das moderne Demokratieverständnis entscheidend beeinflusst. Als zweite unter den Atlantischen Revolutionen erhielt sie ihrerseits orientierende Impulse aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskampf. Die heutige Französische Republik als liberal-demokratischer Verfassungsstaat westlicher Prägung stützt ihr Selbstverständnis unmittelbar auf die Errungenschaften der Französischen Revolution. Die revolutionäre Umgestaltung und die Entwicklung der französischen Gesellschaft zur Nation war ein Prozess, bei dem in der Geschichtsschreibung drei Phasen unterschieden werden: Ausschlaggebender Ordnungs- und Machtfaktor wurde in dieser Lage zunehmend das in den Revolutionskriegen entstandene Bürgerheer, dem Napoleon Bonaparte seinen Aufstieg und den Rückhalt bei der Verwirklichung seiner sich über Frankreich hinaus erstreckenden politischen Ambitionen verdankte. Ein wirkungsgeschichtliches Hauptereignis der europäischen Geschichte. Als ein Gründungsereignis, das so tief wie kaum ein anderes die Geschichte der Moderne geprägt habe, wird die Französische Revolution in einer neueren Überblicksdarstellung bezeichnet. Nicht nur im Bewusstsein der Franzosen hat diese Revolution eine enorme Bedeutung. Mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 wurden auf dem europäischen Kontinent jene Prinzipien bekräftigt und gegen absolutistische Monarchien in Stellung gebracht, die in der Unabhängigkeitserklärung der nordamerikanischen Kolonisten angelegt waren und die heutzutage von den Vereinten Nationen weltweit propagiert und eingefordert werden. Für Staaten mit schriftlich fixierter Verfassung und entsprechenden Bürgerrechtsgarantien hat die dreiphasige Revolution gleich mehrere Modelle hervorgebracht, die jeweils abweichende Akzente hinsichtlich Freiheit, Gleichheit und Vermögensdifferenzierung (etwa beim Wahlrecht) aufwiesen. Zeitgenossen des Revolutionsgeschehens meinten schon bald nach dem 14. Juli 1789 (Sturm auf die Bastille): „Wir haben in drei Tagen den Raum von drei Jahrhunderten durchquert.“ Dem schloss sich ein sozialer und politisch-kultureller Umbruch an, in dem für politische Fraktionen wie auch teils für benachteiligte Bevölkerungsschichten wie die Sansculotten durch gedruckte Medien Öffentlichkeiten geschaffen wurden, die mitbestimmend wurden auch für das politische Geschehen im nachfolgenden 19. Jahrhundert. Der revolutionäre Prozess wurde laut Johannes Willms fortlaufend von widerstreitenden Interessen und Kräften angetrieben. „Sie alle suchten Antworten auf Entwicklungen, die von der schieren Dynamik der Abläufe freigesetzt wurden.“ Es habe sich ausnahmslos um neue Herausforderungen gehandelt, „die nach Lösungen verlangten, für die es kein Vorbild gab.“ In wirtschaftlicher Hinsicht wurden durch die Abschaffung ständischer Privilegien sowie der Zünfte und Gilden die Unternehmensfreiheit und das Leistungsprinzip gefördert. Kulturell bewirkte die Französische Revolution eine weitgehende Auflösung des überkommenen Bündnisses von Kirche und Staat, indem der Laizismus den Religionslehren die Grenzen aufzeigte. Über Frankreich und den europäischen Kontinent hinaus regte das Revolutionsgeschehen neue revolutionäre Bewegungen an, die sich teils in Übereinstimmung mit der Entwicklung in Frankreich sahen, sich teils aber auch in Abgrenzung dazu formierten. Dabei waren es auch Vertreter benachteiligter sozialer Schichten, die die Losungen von Freiheit und Demokratie ihren eigenen Bedürfnissen entsprechend auffassten und umzusetzen suchten: im atlantischen Raum nicht zuletzt Sklaven, Mulatten und Indios. Als Erfahrungs- und Forschungsobjekt für die Wechselwirkungen von Innen- und Außenpolitik wie von Krieg und Bürgerkrieg, als ein Beispiel für Gefährdungen und Labilität einer demokratischen Ordnung wie für die Eigendynamik revolutionärer Prozesse bleibt die Französische Revolution auch künftig ein ergiebiges Studienfeld. Die vorrevolutionäre Krise des französischen Absolutismus. Bei der Vielzahl der Ursachen, die im Zusammenhang mit der Französischen Revolution in der Geschichtsforschung diskutiert werden, kann zwischen kurzfristig-akut wirksamen und längerfristig-latenten unterschieden werden. Zu den letzteren werden z. B. sozioökonomische Strukturveränderungen wie der in Entwicklung befindliche Kapitalismus gezählt, der mitsamt der sich seiner bedienenden Bourgeoisie durch das feudalabsolutistische Ancien Régime in seiner Entfaltung eingeengt war. Der Wandel des politischen Bewusstseins, der mit der Aufklärung vor allem im Bürgertum Rückhalt fand, konnte so gesehen von diesem als Instrument zur Durchsetzung eigener wirtschaftlicher Interessen genutzt werden. Für die konkrete Entstehung der revolutionären Ausgangssituation des Jahres 1789 waren aber vor allem die in aktueller Zuspitzung wirksamen Faktoren ausschlaggebend: die Finanznot der Krone, die Opposition des Amtsadels (und damit zusammenhängend die Reformunfähigkeit des Landes, weil der Adel nötige Reformen blockierte) sowie die teuerungsbedingte Brotnot speziell in Paris. Finanznöte als Dauerproblem. Als der Generalkontrolleur der Finanzen Jacques Necker 1781 erstmals die Zahlen des französischen Staatsbudgets () veröffentlichte, war dies gemeint als Befreiungsschlag zur Herstellung allgemeiner Reformbereitschaft in einer ansonsten ausweglosen Finanzkrise. Seine Amtsvorgänger hatten da bereits vergebliche Anläufe zur Stabilisierung der Staatsfinanzen unternommen. Neckers Zahlenwerk schockierte: Einnahmen von 503 Millionen Livres (Pfund) standen Ausgaben von 620 Millionen gegenüber, wovon allein die Hälfte auf Zins und Tilgung für die enorme Staatsverschuldung entfiel. Weitere 25 % verschlang das Militär, 19 % die Zivilverwaltung und ca. 6 % die königliche Hofhaltung. Dass für höfische Feste und Pensionszahlungen an Höflinge eine Summe von 36 Millionen Livres (5,81 % der gesamten Staatsausgaben) anfiel, wurde als besonders skandalös angesehen. Zu dem Schuldenberg erheblich beigetragen hatte auch die Beteiligung der französischen Krone am Unabhängigkeitskrieg der amerikanischen Kolonisten gegen das britische Mutterland. Zwar war die beabsichtigte Niederlage und machtpolitische Schwächung des Handels- und Kolonialmacht-Rivalen eingetreten, aber der Preis für das Regime Ludwigs XVI. war ein doppelter: Nicht nur wurden die Staatsfinanzen dadurch zusätzlich enorm belastet, sondern die aktive Beteiligung französischer Militärs an den Befreiungskämpfen der amerikanischen Kolonisten und die Beachtung von deren Anliegen in der meinungsbildenden französischen Öffentlichkeit schwächten die Position der absolutistischen Herrschaft auch auf ideologischer Ebene nachhaltig. Reformblockade der Privilegierten. Wie alle Amtskollegen vor und nach ihm stieß Necker mit seinen Plänen zur Verbesserung der Staatseinnahmen auf energischen Widerstand, der einen bereits geschwächten monarchischen Absolutismus schließlich zu Konsequenzen zwang. Das Einnahmen- und Verwaltungssystem des Ancien Régime war trotz zentralistischer Tendenzen, wie sie vor allem von den Intendanten als königlichen Verwaltungsbeauftragten in den Provinzen verkörpert wurden, uneinheitlich und zum Teil ineffektiv (vgl. Historische Provinzen Frankreichs). Neben solchen Provinzen, in denen die Besteuerung unmittelbar durch königliche Beamte geregelt werden konnte ("pays d’Élection"), gab es andere, wo die Zustimmung der Provinzialstände für Steuergesetze nötig war ("pays d’État"). Von direkten Steuern ausgenommen waren dabei die ersten Stände, Adel und Klerus. Die Hauptsteuerlast trugen die Bauern, die zusätzlich Abgaben an Grundherrn und Kirchensteuern aufzubringen hatten. Für die Steuereintreibung waren Steuerpächter zuständig, die gegen einen an die Krone abzuführenden Festbetrag die Abgaben bei den Steuerpflichtigen erhoben und dabei Überschüsse für sich behalten konnten – eine gleichsam institutionalisierte Einladung zum Missbrauch. Die Haupteinnahmen wurden bei der Salzsteuer (Gabelle) erzielt, die dafür nach zahlreichen Erhöhungen besonders verhasst war. Von ausschlaggebender Bedeutung als Reformbremse waren schließlich die Obersten Gerichtshöfe (Parlements), die den von der monarchischen Regierung erlassenen Gesetzen durch Einregistrierung Gültigkeit verleihen, Einwände erheben oder ihnen die Zustimmung verweigern konnten. Die Parlamente waren eine Domäne des Amtsadels "(Noblesse de robe)". Innerhalb ihres Standes waren die Amtsadligen Emporkömmlinge, die sich zumeist durch Ämterkauf den Adelsstatus erworben hatten. Bei der Wahrung ihrer Privilegien und Interessen waren sie aber nicht weniger engagiert als der alteingesessene Schwertadel "(noblesse d’épée)". Die in den Parlamenten praktizierte zunehmende Verweigerungshaltung gegenüber Steuergesetzen der Krone fand Rückhalt auch im Volk. Nachdem alle Einschüchterungsversuche des Hofes erfolglos geblieben waren und auch die Initiative Ludwigs XVI. gescheitert war, die Privilegierten in einer 1787 und 1788 eigens zusammengerufenen Notabelnversammlung auf seinen Kurs zu verpflichten, versuchte die Regierung, die Privilegien der Parlamente zu beschneiden. Es kam daraufhin zu einer breiten Solidarisierung mit den Parlamentsangehörigen. Diese gipfelte in Unruhen, die in Grenoble am „Tag der Ziegel“ Verlauf und Forderungen der späteren Revolution in mancher Hinsicht vorausnahmen. Letztlich kam der König an der Wiedereinberufung der seit 1614 ausgesetzten Generalstände nicht mehr vorbei, wollte er die Krise der Staatsfinanzen nicht weiter eskalieren lassen. Aufklärerisches Denken und Politisierung. Nicht nur auf einem zentralen Feld praktischer Politik und im institutionellen Bereich wies der vorrevolutionäre französische Absolutismus Schwächen auf. Aufklärerisches politisches Denken stellte auch seine Legitimationsgrundlage in Frage und eröffnete neue Optionen der Herrschaftsorganisation. Aus der französischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts ragen zwei Denker wegen ihrer besonderen Bedeutung für unterschiedliche Phasen der Französischen Revolution hervor: Montesquieus Modell einer Gewaltenteilung zwischen gesetzgebender, ausführender und richterlicher Gewalt kam im Laufe der ersten Revolutionsphase zur Anwendung, die in die Schaffung einer konstitutionellen Monarchie mündete. Für die radikaldemokratische zweite Revolutionsphase hat Rousseau wichtige Impulse geliefert, unter anderem, indem er das Eigentum als Ursache der Ungleichheit zwischen den Menschen ansah und Gesetze kritisierte, die ungerechte Besitzverhältnisse schützten. Er propagierte die Unterordnung des Einzelnen unter den allgemeinen Willen "(Volonté générale)", sah von einer Gewaltenteilung ab und die Richterwahl durch das Volk vor. Verbreitung fand aufklärerisches Denken im 18. Jahrhundert zunehmend in Debattierclubs und Freimaurerlogen sowie durch Lesezirkel, Salons und Kaffeehäuser, die im geselligen Rahmen zur Lektüre und Diskussion der Lesefrüchte anregten. Auch der Meinungsaustausch zu aktuellen politischen Fragen hatte hier zwanglos-selbstverständlich seinen Ort. Hauptnutzer waren bildungsbürgerliche Schichten und Berufsstände, wie z. B. Juristen, Ärzte, Lehrer und Professoren. Ein breitenwirksames Produkt und Kompendium aufklärerischen Denkens stellte die von Denis Diderot und Jean Baptiste le Rond d’Alembert herausgegebene "Encyclopédie" dar, die erstmals zwischen 1751 und 1772 erschien. Sie wurde – in mehrere Sprachen übertragen – zu dem Aufklärungslexikon schlechthin für die europäische Bildungswelt des 18. Jahrhunderts: „Verpackt zwischen vielen Bildtafeln und Artikeln über Technik, Handwerk und Gewerbe standen die geisteswissenschaftlichen Artikel, die die modernen Ideen vertraten und Sprengstoff enthielten, um mehr als ein Ancien Régime zu unterminieren.“ Teuerung als sozialer Treibsatz. Der Großteil der Bevölkerung im Ancien Régime war an Aufklärungsdenken und Politisierung wenig interessiert, am Brotpreis umso mehr. Die Bauern, die vier Fünftel der Bevölkerung stellten, hatten 1788 infolge der "Kleinen Eiszeit" eine schlimme Missernte erlitten und danach einen harten Winter durchlebt. Die klimatischen Extrema dieser Dekade könnten auch durch den Vulkanausbruch vom 8. Juni 1783 auf Island verstärkt worden sein. Während es den Bauern am Nötigsten fehlte, sahen sie die Speicher der weltlichen und geistlichen Grundherren, denen sie Abgaben zu entrichten hatten, noch gut gefüllt. Es kam zu Protesten und Forderungen nach Verkauf zu einem „gerechten Preis“, als die Getreidepreise stark gestiegen waren. Auch die kleinen Leute in den Städten wurden von den Preissteigerungen der Lebensmittel hart getroffen. Zur Jahresmitte 1789 war Brot teurer als zu jedem anderen Zeitpunkt des 18. Jahrhunderts in Frankreich und kostete das Dreifache des Preises der besseren Jahre. Handwerker in Städten mussten etwa die Hälfte ihres Einkommens allein für die Brotversorgung ausgeben. Jede Preissteigerung wirkte existenzbedrohend und ließ die Nachfrage nach anderen Gütern des täglichen Bedarfs sinken. „Nun erreichten Unzufriedenheit und Erregung auch diejenigen, die von der öffentlichen Auseinandersetzung um die Finanzmisere und die Funktionsunfähigkeit des Staates noch nicht unmittelbar erreicht und mobilisiert worden waren. Die wirtschaftliche Not, die infolge der Teuerung und Unterproduktion die städtischen Konsumenten und dann auch Handel und Gewerbe betraf, brachte die ‚Massen’ auf die politische Bühne.“ 1789 – ein vielschichtiges Revolutionsjahr. Im allgemeinen Bewusstsein ist 1789 das am engsten mit der Französischen Revolution verknüpfte Jahr, nicht nur, weil es den Beginn eines großen politischen und sozialen Umwälzungsprozesses markiert, sondern auch, weil in diesem Jahr die maßgeblichen Voraussetzungen für das Bewusstsein der nationalen Zusammengehörigkeit aller Franzosen geschaffen wurden. Möglich war dies auch wegen der Mehrgleisigkeit des revolutionären Geschehens, das nach und nach die gesamte Bevölkerung in seinen Bann schlug und bei dem drei Komponenten zusammen- und ineinanderwirkten: die Wendung der Volksvertreter gegen die absolutistische Monarchie, die Erhebung der städtischen Bevölkerung gegen die überkommenen Herrschafts- und Verwaltungsorgane und die Revolte der Bauern gegen das ländliche Feudalregime. Ohne die mit je besonderen Motiven verbundenen Volksaktionen wären die aufklärerisch inspirierten, zu Reformen entschlossenen Vertreter des Bildungs- und Besitzbürgertums mit ihren politischen Vorstellungen 1789 kaum weit gekommen. Von den Generalständen zur Nationalversammlung. Zur Einberufung der Generalstände war es durch die Blockadehaltung und auf Druck der Privilegierten in Parlamenten und Provinzialständen gekommen. Positive Erwartungen daran knüpften aber vor allem die Mitglieder des Dritten Standes, die mehr als 95 % der Bevölkerung ausmachten. In den Beschwerdeheften, die bei solcher Gelegenheit traditionell verfasst und den Abgeordneten zur Versammlung mitgegeben wurden, forderten die Bauern Erleichterungen bei den Abgaben und Sonderrechten, die ihre Grundherren beanspruchten, während die von aufklärerischen Vorstellungen bestimmten Teile des Bürgertums bereits auf die Umgestaltung der Monarchie nach englischem Vorbild zielten. Als gemeinsames Anliegen wurde die Forderung formuliert, dass der Dritte Stand in den Generalständen eine Aufwertung gegenüber Klerus und Adel erfahren müsste. Noch bei ihrer letzten Zusammenkunft 1614 war jeder der drei Stände mit etwa 300 Köpfen vertreten, wobei das Votum jedes Standes einheitlich abgegeben werden musste, was letztlich auf eine 2:1-Entscheidung für die privilegierten Stände hinauslief. Ludwig XVI. reagierte auf die Forderungen taktierend: Dem Dritten Stand wurde zwar die Verdoppelung der Abgeordnetenzahl zugestanden, der Abstimmungsmodus in den Generalständen blieb aber offen. Das Eröffnungszeremoniell am 5. Mai 1789 in Versailles verhieß nichts Gutes: Die beiden ersten Stände kamen in großer Festgarderobe auf reservierten Plätzen zu sitzen; die Abgeordneten des Dritten Standes, denen einfacher schwarzer Anzug vorgeschrieben war, mussten selbst sehen, wie sie sich platzierten. In den Ansprachen gab es von Seiten des Hofes noch immer keinen Hinweis auf die Geschäftsordnung. Mehr als ein Monat verging danach mit ergebnislosen Debatten, da die privilegierten Stände mehrheitlich auf dem alten Tagungs- und Abstimmungsmodus beharrten: getrennte Beratung der Stände, je einheitliche Stimmabgabe pro Stand. Doch vor allem beim volksnahen niederen Klerus, den Dorf- und Gemeindepfarrern, begann die Front massiv zu bröckeln, als sich seit dem 12. Juni einige dem Dritten Stand anschlossen und dessen Beratungen zu folgen begannen. Von da an überstürzten sich die Ereignisse. Auf Antrag des Abbé Sieyès, der die überragende Rolle des Dritten Standes schon vordem wirksam propagiert hatte, erklärten dessen Vertreter sich am 17. Juni zu Repräsentanten von mindestens 96 % der französischen Bevölkerung, gaben sich den Namen Nationalversammlung und forderten beide anderen Stände auf, sich ihnen anzuschließen. Diesem Aufruf folgte der Klerus am 19. Juni mit knapper Mehrheit, während der Adel bis auf 80 seiner Vertreter die Unterstützung des Königs zur Erhaltung der alten Ordnung suchte. Ludwig XVI. beraumte für den 23. Juni eine königliche Sitzung an und sperrte bis dahin den Sitzungssaal. Die nunmehr entschlossenen Deputierten organisierten aber am 20. Juni ein Treffen im Ballhaus, bei dem sie schworen, sich nicht zu trennen, bevor eine neue Verfassung geschaffen wäre. Sie widerstanden, aufgerührt von Mirabeau, dann auch allen Drohungen des Königs in der Sitzung vom 23. Juni. Bailly als gewählter Präsident der Versammlung verweigerte dem die Auflösungsorder überbringenden Zeremonienmeister den Gehorsam mit dem markanten Ausspruch, dass die versammelte Nation von niemandem Befehle entgegenzunehmen habe. Dem Gebrauch von Waffengewalt gegen den Dritten Stand stellten sich auch einige Adlige in den Weg. Als der Herzog von Orléans, Cousin des Königs, sich mit einer ganzen Reihe weiterer Adliger auf die Seite der Nationalversammlung stellte, gab Ludwig XVI. am 27. Juni nach und befahl nunmehr seinerseits beiden privilegierten Ständen die Mitwirkung. Vom Sturm auf die Bastille zum Kampf gegen die Feudalherrschaft. Die politischen Erfolge des Dritten Standes waren einstweilen vorläufige, denn zeitgleich mit seinem Nachgeben hatte der König Truppen nach Paris beordert, die die Öffentlichkeit beunruhigten und das Volk – zumal angesichts des wie nie zuvor teuren Brotes – eine nochmalige Verschlechterung der Nahrungsmittelversorgung fürchten ließen. Als der beim Dritten Stand als sein Interessenwahrer bei Hofe relativ angesehene Finanzminister Necker am 11. Juli vom König entlassen wurde, galt dies der Pariser Bevölkerung als unheilvolles Signal. Der Rechtsanwalt Camille Desmoulins trat als Wortführer des Volkszorns hervor: „Die Entlassung Neckers ist die Sturmglocke zu einer Bartholomäusnacht der Patrioten! Die Bataillone der Schweizer und Deutschen werden uns noch heute den Garaus machen. Nur ein Ausweg bleibt uns: zu den Waffen zu greifen!“ Zahlreiche Stadtzollhäuser wurden spontan zerstört, die königlichen Zolleinnehmer verjagt. Angesichts der aufgeheizten Stimmung formierten die unterdessen in die königliche Pariser Stadtverwaltung integrierten Wahlmänner des Dritten Standes am 13. Juli eine Bürgermiliz als ordnendes Element, die spätere Nationalgarde. Das Volk aber drängte zur Bewaffnung. Nach Plünderung eines Waffenlagers zog man am 14. Juli zur Bastille, um dort zusätzlich Waffen und Pulver zu beschaffen. Hier fanden sich weitere Aufstandsbereite zu gemeinsamer Aktion gegen dies Negativsymbol der absolutistischen Herrschaft ein, eine etwa 5000-köpfige Menge insgesamt. Das Stadtgefängnis beherbergte zu diesem Zeitpunkt allerdings nur sieben Gefangene ohne politischen Hintergrund. Der nur mit kleiner Besatzung operierende Bastille-Kommandant Launay ließ die Menge ungehindert in die Vorhöfe eindringen, dann aber unter Feuer nehmen. 98 Tote und 73 Verwundete hatten die Belagerer am Ende des Tages zu beklagen. Als die erregte Menge die Stadtverwaltung unter Druck setzte, wurden mit Hilfe von Militärs vier Kanonen vor der Bastille in Stellung gebracht; Launay kapitulierte. Die über die heruntergelassenen Brücken einströmenden Massen, denen die vorherige Beschießung als Verrat galt, töteten drei Soldaten und drei Offiziere; Launay wurde erst weggeschleift, dann umgebracht, sein Kopf ebenso wie der des Vorstehers der königlichen Stadtverwaltung Flesselles auf Piken gespießt und zur Schau gestellt. Die Spitzen des Ancien Régime reagierten schockiert-defensiv. Die Pariser Truppen wurden zurückgezogen und der Nationalversammlung Anerkennung und Schutz zugesichert. An die Spitze der Pariser Verwaltung trat als Bürgermeister nun Bailly; Befehlshaber der Nationalgarde wurde der vom Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg mitgeprägte liberale Marquis de La Fayette. Ähnlich umgestaltet wurden in der Folge auch die Stadtverwaltungen in den Provinzen Frankreichs (munizipale Revolution). Am 17. Juli morgens verließ der Graf von Artois, Bruder des Königs, als erster Emigrant das Land, während sich Ludwig XVI. unter Druck des Volkes nach Paris begab und zum Zeichen der Billigung des Geschehenen sich die blau-weiß-rote Kokarde an den Hut steckte. „Bis zum 14. Juli war so gut wie nicht von den Bauern die Rede gewesen“, so der Historiker Lefèbvre; doch ohne ihre Unterstützung, meint er, wäre die Revolution schwerlich gelungen. Der bäuerliche Eigenbesitz an Grund und Boden machte gegenüber dem von Adel, Klerus und Bürgertum etwa 30 Prozent aus. Leibeigene gab es nur noch in einzelnen Regionen. Der Anteil der landlosen Bauern, die Abgaben an den Grundherrn zu entrichten hatten, schwankte regional zwischen 30 und 75 Prozent. „Im allgemeinen stand dem Besitzer die Hälfte vom Viehzuwachs und der Ernte zu, aber er setzte immer häufiger alle möglichen anderen Abgaben durch…“ Vielfach wurden im Laufe des 18. Jahrhunderts von den adligen und bürgerlichen Grundherren Rechte wieder geltend gemacht und in die Grundbücher eingetragen, die teilweise bereits in Vergessenheit geraten waren. Eine neuere Deutung dieses häufig als „feudale Reaktion“ bezeichneten Phänomens lautet: „Der Kapitalismus drang überall durch die Ritzen der alten Ordnung und bediente sich ihrer Möglichkeiten.“ Missernten und Teuerung trafen viele kleinbäuerliche Existenzen, deren Produktion zur Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln nicht ausreichte, doppelt, da die Teuerung auch die bäuerlichen Zuverdienstmöglichkeiten in der Stadt minderte. „Im Frühjahr 1789 tauchten überall organisierte Bettlerbanden auf, die von Hof zu Hof zogen, bei Tag und bei Nacht, und mit heftigen Drohungen auftraten.“ Im Reizklima der Wahlen zu den Generalständen und in Reaktion auf die Ereignisse in Versailles und Paris entwickelte sich auf dem Lande die sogenannte „Große Furcht“ "(Grande Peur)" vor dem „aristokratischen Komplott“, das für alle misshelligen Entwicklungen und Umtriebe verantwortlich gemacht wurde und in vielerlei bloßen Gerüchten zusätzlich Gestalt annahm. Das Phänomen der Grande Peur herrschte zwischen Mitte Juli und Anfang August 1789, erfasste für drei Wochen nahezu ganz Frankreich und begleitete die massiven bäuerlichen Angriffe auf Schlösser und Klöster, die vom 17./18. Juli an geplündert und in Brand gesteckt wurden mit dem Ziel, die Archive mit den Urkunden über die Herrenrechte zu vernichten und den Verzicht der Grundherren auf ihre feudalen Rechte zu erzwingen. Ende der Ständegesellschaft, Erklärung der Menschenrechte und Triumphzug der Pariser Frauen. Die Heftigkeit und das Ausgreifen der Revolution auf dem Lande alarmierten auch Hof und Nationalversammlung in Versailles. Letztere war infolge der Ereignisse des 14. Juli zur allein maßgeblichen politischen Autorität geworden, von der die Neuordnung der Verhältnisse erwartet wurde. Nun geriet sie unter Zugzwang: Die bis dahin bereits kontrovers diskutierte Frage, ob eine Menschenrechtserklärung schon vor Abschluss der Verfassungsberatungen verkündet werden sollte, wurde plötzlich akut. Etwa 100 Abgeordnete des Dritten Standes, die sich zu gemeinsamen Beratungen im Bretonischen Klub zusammengefunden hatten, bereiteten einen Überrumpelungscoup in der Versammlung vor, mit dem der hinhaltende Widerstand der privilegierten Stände, die auf wieder etwas günstigere Zeiten zur Wahrung ihrer Besitzstände hofften, ausgehebelt werden sollte. Das Manöver gelang mit Unterstützung von liberalen Adligen, die in der Nachtsitzung vom 4./5. August 1789 mit großer Geste als Vorreiter des Verzichts agierten. Dieser betraf alle an die Person gebundenen Dienste, Hand- und Spanndienste, die grundherrliche Gerichtsbarkeit, den privilegierten Ämterzugang, die Abschaffung des Ämterkaufs und des Kirchenzehnten, dazu Vorrechte wie das der Jagd und der Taubenhaltung. Die Leibeigenschaft, die Steuerbefreiung der privilegierten Stände sowie alle Sonderrechte der Provinzen und Städte wurden aufgehoben: „In wenigen Stunden hatte die Versammlung die Einheit der Nation vor dem Recht hergestellt, hatte grundsätzlich mit dem Feudalsystem und der Herrschaft der Aristokratie auf dem Lande aufgeräumt, hatte das Element ihres Reichtums, das sie vom Bürgertum unterschied, beseitigt und die Finanz-, Justiz- und Kirchenreform jedenfalls eingeleitet.“ Es war das Ende des ständestaatlich organisierten Ancien Régime. Der in Windeseile sich verbreitende und die Revolution auf dem Lande nahezu schlagartig beendende Eingangssatz des die Beschlüsse dieser Nachtsitzung zusammenfassenden Dekrets lautete: „Die Nationalversammlung zerbricht vollständig das Feudalregime.“ Die frohe Kernbotschaft enthielt für die Bauern allerdings nicht die ganze Wahrheit. Zwar waren Leibeigenschaft und Frondienste ersatzlos abgeschafft, aber die übrigen Herrenrechte wurden lediglich rückkäuflich bzw. ablösbar gemacht, bei jährlich 3,3 Prozent Zinsen: „das politische Kalkül liegt darin, dass man das alte Herrenrecht in gutes bürgerliches Geld umrechnet und den Zins so lange zahlen lässt, wie das Kapital nicht zurückgezahlt ist. Die Adligen retten, was überhaupt zu retten ist, und die Grundbesitzer des Dritten Standes haben einen großen Vorteil durch die Gleichstellung von adeligen und bürgerlichen Gütern.“ Nachdem auf diese Weise die ländliche Bevölkerung hatte beruhigt werden können, setzte die Nationalversammlung ihre Arbeit an einer Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte fort, die am 26. August 1789 verabschiedet wurde und mit der Zusicherung beginnt: „Von ihrer Geburt an sind und bleiben die Menschen frei und an Rechten einander gleich.“ Verbürgt werden u. a. auch Eigentum, Sicherheit und das Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung, rechtsstaatliche Prinzipien, Religions-, Meinungs- und Pressefreiheit sowie Volkssouveränität und Gewaltenteilung. Furet/Richet urteilen: „Diese siebzehn kurzen Artikel von wunderbarem Stil und geistiger Dichte sind nicht mehr Ausdruck des vorsichtigen Taktierens und der Ängstlichkeit des Bürgertums: indem die Revolution ihre Ziele und ihre Errungenschaften frei definiert, gibt sie sich in der natürlichsten Weise eine Fahne, die von der ganzen Welt respektiert werden muß.“ Der bürgerliche Individualismus habe damit seine öffentlich-rechtliche Magna Charta erhalten. Dass sich die Erklärung nur auf Männer bezieht, wird im Text nicht ausdrücklich erwähnt, verstand sich jedoch dem Zeitgeist entsprechend nahezu von selbst – nicht jedoch für die französische Rechtsphilosophin und Schriftstellerin Olympe de Gouges, die 1791 die "Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne" („Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“) veröffentlichte, in der sie die völlige Gleichstellung der Frau mit dem Mann forderte. Auch den Juden wurde die Anerkennung als gleichberechtigte Bürger zunächst versagt. Wiederholte Versuche scheiterten am Widerstand von Jean-François Reubell und anderen Abgeordneten, die zumeist aus dem Elsass oder Lothringen stammten. Sie führten traditionelle judenfeindliche Stereotype an wie den angeblichen Wucher und die Ausbeutung der Landbevölkerung durch die Juden, ihren Kosmopolitismus und die angebliche Gefahr einer jüdischen Fremdherrschaft. Einzig den akkulturierten sephardischen Juden Südfrankreichs wurden im Januar 1790 die Bürgerrechte zuerkannt. Ludwig XVI., dessen Unterschrift gebraucht wurde, damit die Dekrete der Nationalversammlung in Kraft treten konnten, machte allerlei juristische Vorbehalte geltend und versuchte, als Gegenleistung für seine Zustimmung eine möglichst starke Veto-Position in der künftigen Verfassung herauszuschlagen. Zudem beorderte er neuerlich ein auswärtiges flandrisches Regiment "(Régiment de Flandre)" nach Versailles, dessen Offiziere bei einem königlichen Bankett am 1. Oktober die blau-weiß-rote Kokarde unter ihren Stiefeln zertraten. Der Vorgang wurde in Paris bekannt und heizte eine bei anhaltend hohem Brotpreis und Versorgungsmängeln ohnehin aufgeladene Stimmung weiter an. Jean-Paul Marat, der im September 1789 seine Zeitung „Der Volksfreund“ gegründet hatte, hielt mit anderen gemeinsam die Pariser auf dem Laufenden und mit Warnhinweisen auf die „Verschwörung der Aristokraten“ gegen das Volk in revolutionärer Spannung. Am 5. Oktober versammelte sich vor dem Rathaus eine hauptsächlich aus Frauen (Poissarden) bestehende mehrtausendköpfige Menge in der Absicht, nach Versailles zu ziehen, um ihre Forderungen vor Ort geltend zu machen. Unter dem Geläut der Sturmglocken verließen sie Paris; später folgten ihnen 15.000 Nationalgardisten und zwei Vertreter der Stadtverwaltung mit dem Auftrag, den König nach Paris zu bringen. Ludwig XVI. empfing die Frauen, versprach Lebensmittellieferungen und unterschrieb unter dem Eindruck der Bedrängnis die Dekrete der Nationalversammlung. Die Lage schien entspannt; doch die Frauen blieben über Nacht, bewachten das Schloss und setzten auch der Nationalversammlung mit ihren Brotforderungen und Zwischenrufen zu. Am darauffolgenden Vormittag drängten sie ins Schloss und erzwangen gemeinsam mit Stadtbeauftragten und Nationalgardisten das Zugeständnis des Königs, nach Paris umzuziehen. Die Nationalversammlung schloss sich an. „Am frühen Nachmittag machte sich der endlose Zug lärmend auf den Weg nach Paris. An der Spitze marschierten Einheiten der Nationalgarde; auf jedem Bajonett steckte ein Brotlaib. Dann folgen die Frauen, mit Piken und Flinten bewaffnet oder Pappelzweige schwingend; sie begleiten die Getreidewagen und die Kanonen. Hinter den entwaffneten königlichen Soldaten mit der Trikoloren-Kokarde der Leibgarde, dem (Régiment de Flandre) und der Schweizergarde rollt langsam wie ein Leichenwagen die Karosse mit der königlichen Familie […] Daran schließen sich die Wagen der Abgeordneten und den Schluss bildet die riesige Volksmenge mit dem Hauptteil der Nationalgarde. Als sei die Symbolkraft dieses Zuges noch nicht einleuchtend genug, rufen die Leute: ‚Wir bringen den Bäcker, die Bäckersfrau und den Bäckerjungen!’“ Monarch und Nationalversammlung würden fortan den Pressionen des Volkes in der Kapitale Paris ausgesetzt sein. Die konstitutionelle Monarchie. Der Umzug von König und Hofstaat nach Paris, gefolgt von einer Begrenzung der Finanzmittel, die der Krone fernerhin im Rahmen einer von der Nationalversammlung bewilligten sogenannten Zivilliste zur Verfügung standen, schwächte die Stellung Ludwigs XVI. zwar zusätzlich, doch blieb er eine zentrale Figur im politischen Kräftespiel. Von einer kleinen Minderheit abgesehen, beabsichtigte niemand in der Nationalversammlung die Abschaffung des Königtums. Wohl aber gab es unterschiedliche Positionen dazu, wie viel politischer Einfluss dem Monarchen im Rahmen der künftigen Verfassung zukommen sollte. Von seiner Zustimmung hing aber wiederum ab, ob die neue Verfassungskonstruktion überhaupt funktionieren könnte. An einer prinzipiellen Weigerungshaltung des Königs musste jede konkrete Fassung der konstitutionellen Monarchie scheitern. Die Nationalversammlung auf dem Weg zur Verfassung. Den stürmischen Unruhen und Umbrüchen von 1789 folgte, begünstigt durch eine gute Ernte und die verbesserte Versorgungslage, das „glückliche Jahr“ 1790, das seinen Höhepunkt im Föderationsfest auf dem Champ de Mars zum Jahrestag der Bastille-Eroberung hatte. Die Zahl der Teilnehmer wird unterschiedlich angegeben: Karl Griewank spricht von „Hunderttausenden jubelnder Zuschauer“, nach Jean-François Fayard nahmen 14.000 Menschen teil. Zahlreiche Nationalgardisten aus allen Teilen des Landes leisteten mit der Nationalversammlung den Eid der Treue auf Nation, Gesetz und König am ‚Altar des Vaterlandes’. Auch der König schwor Treue zur Verfassung und wurde von der Menge bejubelt. Die Heilige Messe zum „Fest der Menschheit“ zelebrierte Talleyrand mit 200 Priestern in Messgewändern, bei denen die Trikolore als Gürtel diente. Unter Kanonendonner wurde gemeinsam der Eid gesprochen und dies gleichzeitig in allen Teilen Frankreichs. Ebenfalls zeitgleich gab es Feiern in London, in Hamburg und in anderen deutschen Städten. Die Verfassungsberatungen der Nationalversammlung, die sich in eine Vielzahl themenbezogener Ausschüsse gegliedert hatte, machten beachtliche Fortschritte. Noch vor Jahresende 1789 nahm man das vordringliche Problem einer Sanierung der Staatsfinanzen mit revolutionärem Elan in Angriff: Sämtliche Kirchengüter wurden verstaatlicht und in Nationalgüter umgewandelt. Die Gesamtheit dieser Nationalgüter diente als Deckung einer neuen Papiergeld-Währung, der Assignaten. Da den Geistlichen aus Kirchenbesitz nun keine Einkünfte mehr zur Verfügung standen, waren sie auf staatliche Besoldung angewiesen. Die Zivilverfassung des Klerus legte schließlich fest, dass Pfarrer wie andere Beamte zu wählen waren, und ein Dekret schrieb ihnen vor, die Verordnungen der Nationalversammlung von der Kanzel herab zu verlesen und zu kommentieren. Anfang 1790 wurden die bis dahin ungleich gestellten Provinzen durch eine Neuaufteilung in 83 Départements mit einheitlicher Untergliederung und Verwaltungsstruktur abgelöst. Die Stadt- und Binnenzölle innerhalb Frankreichs wurden aufgehoben. Im Gerichtswesen wurde anstelle der Ämterkäuflichkeit die Wahl der Richter – unter juristisch Vorgebildeten – eingeführt, für Verhaftete das richterliche Gehör binnen 24 Stunden und die Pflichtverteidigung durch einen Anwalt vorgeschrieben. Im Wahlrecht gaben die besitzbürgerlichen Vorbehalte in der Versammlung den Ausschlag; man ging hinter das für die Wahlen zu den Generalständen praktizierte allgemeine (Männer-)Wahlrecht zurück: Wählen durften nur sogenannte Aktivbürger mit einem bestimmten Steuermindestaufkommen. Als maßgebliche Begründung für diese Einschränkung diente die Überlegung, dass nur ein nicht käuflicher und damit unabhängiger Bürger das Wahlrecht ausüben sollte. Einzig der Rechtsanwalt Robespierre geißelte dies als Verstoß gegen die in der Menschenrechtserklärung garantierte Rechtsgleichheit. Das heikelste Problem der Konstituante blieb aber die Frage, ob und wie es gelingen könne, Ludwig XVI. in das neue politische System einzubauen. Vor allem in dieser Frage gab es sehr unterschiedliche Vorstellungen und den Hang zu politischer Lagerbildung, die das Rechts-links-Schema, wie es späterhin geläufig geworden ist, begründet hat. Auf den Ehrenplätzen zur Rechten des Parlamentspräsidenten saßen die „Aristokraten“, Mitglieder der beiden ersten Stände und Anhänger des Ancien Régime, die Ludwig XVI. nicht nur die ausführende Gewalt überlassen, sondern ihm auch ein absolutes Veto in der Gesetzgebung verschaffen wollten. Richtung Saalmitte und nach links hinüber folgten dann in Abstufungen jene Abgeordneten, die eine Mitwirkung des Königs im Gesetzgebungsverfahren nur in geringem Umfang befürworteten oder völlig ablehnten. In dem Auslotungs- und Vermittlungsprozess zwischen Versammlung und König haben sich eine ganze Reihe herausragender Gestalten dieser ersten Revolutionsphase – letztlich vergeblich – engagiert und z. T. durch vermeintliche oder tatsächliche Nähe zu den höfischen Interessen kompromittiert, wie z. B. die zeitweiligen Präsidenten der Nationalversammlung Bailly, Mounier und Mirabeau, der Kommandant der Nationalgarde La Fayette und das „Triumvirat“ Barnave, Duport und Lameth. Laut Verfassungstext wurde dem König schließlich ein aufschiebendes Vetorecht eingeräumt, das ein Gesetzesprojekt für zwei Legislaturperioden blockieren konnte. Andererseits war er als Spitze der Exekutive in seinen Wirkungsmöglichkeiten eingeschränkt. Denn infolge des Wahlprinzips waren Justiz und Verwaltung vom König und seinen Ministern nicht abhängig, zumal, da die Verwaltungsvorschriften nicht von den Ministerien, sondern von der Nationalversammlung erlassen wurden. Zwar blieb er Chef der Streitkräfte, hatte das Offiziersernennungsrecht aber nur mehr für die höchsten Ränge, während die Mannschaften vielfach mit der Revolution sympathisierten und mit Aufständischen fraternisierten. Die Kräfte der Gegenrevolution. Das Revolutionsgeschehen zwischen Juli und Oktober 1789 hatte innerhalb der beiden vormals privilegierten Stände Emigrationswellen ausgelöst und zu Sammelpunkten an kleinen Fürstenhöfen etwa in Turin, Mainz und Trier geführt, von denen gegenrevolutionäre Umtriebe ausgingen, die sowohl die Destabilisierung der neuen Ordnung in Frankreich als auch die Herbeiführung einer ausländischen Intervention zum Ziel hatten. Moderate Unterstützung dafür kam von russischer, spanischer und schwedischer Seite, wo man sich in monarchischer Solidarität für die Wiederherstellung des Ancien Régime aussprach – zu mehr aber einstweilen nicht bereit war. Die Abschaffung des Feudalwesens in Frankreich berührte auch teilweise Ansprüche ausländischer Fürsten, z. B. bei päpstlichen Besitzungen in Südfrankreich und bei denen deutscher Reichsfürsten im Elsass. Weder deren an Kaiser Leopold II., den Bruder der französischen Königin Marie-Antoinette, gerichtete Aufforderung zum Einschreiten noch eine persönliche Begegnung mit dem emigrierten Grafen von Artois, dem Bruder Ludwigs XVI., vermochten den Habsburger aber vorerst zu militärischem Handeln zu bewegen. Nicht nur er hatte wegen anderer Verwicklungen wie dem Krieg Russlands und Österreichs gegen das Osmanische Reich 1790 kein Interesse an einem Krieg gegen Frankreich und ließ sich für die Zwecke der Emigranten nicht einspannen. Die grenznahen Aktivitäten der Armee der Emigranten, die von Koblenz und Worms aus gestartet wurden, hatten vorläufig nicht die gewünschte Wirkung, auch wenn sie im Osten panische Ängste vor der Verschwörung der Aristokraten schürten. Energischen und anhaltenden Widerstand, der teilweise bald die Form offener Rebellion und eines Religionskriegs annahm, löste dagegen ein Dekret der Nationalversammlung im Zusammenhang mit der Zivilverfassung des Klerus aus, das am 27. November 1790 allen Priestern den Eid auf die neue Verfassung vorschrieb. Papst Pius VI., der bereits die Erklärung der Menschenrechte als „gottlos“ bezeichnet hatte, verbot den Eid bei Strafe der Exkommunikation. Nur knapp die Hälfte der Geistlichen, hauptsächlich aus dem niederen Klerus, leistete daraufhin den Eid. Frankreich war fortan religiös gespalten, denn insbesondere die Landbevölkerung suchte für die Taufe und andere religiöse Kernzeremonien mehrheitlich die eidverweigernden Priester auf. „Die Revolution lieferte damit dem Generalstab der Gegenrevolution, der ohne Truppen war, das nötige Fußvolk: die eidverweigernden Priester und ihre Schäflein.“ Was König und Adel allein nicht zu schaffen in der Lage waren, bewirkte das päpstliche Handeln: religiösen Widerstand als Haupthebel zur Herbeiführung der Gegenrevolution zu wecken. Die Flucht des Königs. Die Kirchenpolitik der Konstituante stellte auch für Ludwig XVI., der im Tuilerien-Schloss den Gottesdienst in der hergebrachten Weise praktizierte, eine zusätzliche Herausforderung dar, da er im öffentlichen Rahmen genötigt war, von eidverweigernden Priestern die Kommunion zu empfangen. Im Februar 1791 appellierte Marie-Antoinette brieflich an Leopold II., nicht länger zu säumen und der weiter rasch fortschreitenden Revolution, die sich auch auf die Österreichischen Niederlande auszubreiten drohe, mit militärischen Mitteln entgegenzutreten. Als Ludwig XVI. dann im April von der Volksmenge daran gehindert wurde, Paris für einen seiner gewohnten Kuraufenthalte in Saint-Cloud zu verlassen, dürften heimliche Fluchtpläne der königlichen Familie vordringlich geworden sein. In der Nacht vom 20./21. Juni 1791 gelang es ihr, aus dem von Nationalgardisten bewachten Schloss in Verkleidung unerkannt zu entkommen, um in Kutschen an einen königstreuen Ort, die Festung Montmédy in Grenznähe zu Luxemburg, oder gleich außer Landes in die Österreichischen Niederlande zu gelangen. Einige Historiker glauben es, sei ihm dabei darum gegangen, aus sicherer Entfernung vom Pariser Unruheherd mit der Unterstützung ausländischer Mächte auf eine Wiederherstellung seiner monarchischen Machtfülle hinzuwirken. Andere meinen, er habe sich dem Druck der Pariser Stadtbevölkerung entziehen wollen, um unbeeinflusst auf eine Verfassung hinwirken zu können, in der der König eine starke Position hätte. Besondere Vorsicht ließ der König während der Flucht nicht walten, sodass er bei Aufenthalten mehrfach erkannt wurde. Die ohnehin im Zeitplan nachhängende Reisegesellschaft wurde von den Meldungen ihres Unterwegsseins überholt und schließlich nicht sehr weit vor der belgischen Grenze bei Varennes gestoppt. Die Rückführung der königlichen Familie löste in Paris einen Massenauflauf aus, der auch die Häuserdächer einschloss. Von der lärmenden Begeisterung, die noch die erzwungene Ankunft des Königs im Oktober 1789 bei den Parisern ausgelöst hatte, war allerdings nichts geblieben. Ein lastendes Schweigen lag über der Szene. In der Nationalversammlung, die ihr Verfassungswerk gefährdet sah, wurde an Ludwig XVI. auf widersprüchliche Weise festgehalten. Einerseits wurde wider besseres Wissen die Lesart verbreitet, der König sei entführt worden; andererseits wurde er von seinen monarchischen Funktionen so lange entbunden, bis ihm die noch zu vollendende Verfassung zur Unterschrift vorgelegt werden konnte. Barnave mahnte in der Debatte vom 15. Juli 1791: „Wollen wir die Revolution beenden oder wollen wir von neuem mit ihr beginnen? […] Mit noch einem Schritt voran würden wir Unheil und Schuld auf uns laden, ein Schritt weiter auf dem Weg der Freiheit wäre die Zerstörung des Königtums, ein Schritt weiter auf dem Wege der Gleichheit wäre die Zerstörung des Eigentums.“ Bei seiner Flucht hatte Ludwig XVI. eine gegenrevolutionäre Proklamation hinterlassen, die der Öffentlichkeit vorerst unbekannt blieb. Darin hervorgehoben hatte er u. a. die aus seiner Sicht unheilvolle Rolle der politischen Klubs und deren maßgebliche Einflussnahme auf die Beschlüsse der Konstituante. Wie sich nun zeigte, war es aber gerade seine Flucht, die zu einer Neuformierung und Radikalisierung dieser außerparlamentarischen politischen Organisationen führte. Der bis zum Oktober 1789 in Versailles maßgebliche Bretonische Klub hatte in Paris als „Gesellschaft der Freunde der Verfassung“ seinen Tagungsort im Jakobinerkloster gefunden und wurde folglich Jakobiner-Klub genannt. Bereits bis Ende 1790 breitete er sich in 150 Filialen über das ganze Land aus und entfaltete als Ort der politischen Meinungsbildung tatsächlich große Wirkung, wobei das Pariser Original zugleich vorberatenden Einfluss auf die Beschlussfassung in der Nationalversammlung ausübte. Die Flucht der königlichen Familie führte in der Frage der Absetzung Ludwigs XVI. zur Spaltung des Jakobinerklubs: Da die Linke um Robespierre für die Absetzung des Königs eintrat, zog die Mehrheit der die Linie von La Fayette und Barnave teilenden Klubmitglieder aus und gründete im ehemaligen Feuillanten-Kloster den Klub der Feuillants. Auch bei den Tochtergesellschaften kam es zu Abspaltungen; doch gelang es den Pariser Jakobinern auch mittels einer nun erst einsetzenden Kampagne für das allgemeine Wahlrecht, in den namensgleichen Filialen ein deutliches Übergewicht zu behalten. Da die Mitgliedsbeiträge im Jakobinerklub relativ hoch waren, gab es alsbald neben ihm zahlreiche weitere Klubs und Volksgesellschaften mit erleichtertem Zugang. Der einflussreichste unter ihnen war der im Franziskaner-Kloster tagende Klub der Cordeliers, ein Diskussions- und Kampf-Klub für die Durchsetzung der Menschenrechte und zur Aufdeckung von Missbräuchen der öffentlichen Gewalt. Marat, Desmoulins und Danton führten darin maßgeblich das Wort und gelangten über ihn zu politischem Einfluss. Nach der Flucht des Königs ging von hier zuerst die Forderung nach Abschaffung der Monarchie und nach Errichtung einer Republik aus. Am 14. Juli 1791 und noch einmal drei Tage später fanden Großdemonstrationen auf dem Champ de Mars statt, wo nun am Altar des Vaterlandes Unterschriften für die Absetzung des Königs gesammelt wurden. La Fayette ließ die zweite Versammlung durch die Nationalgarde mit Gewehrsalven auseinandertreiben, wobei es zahlreiche Tote gab. Ein unübersehbarer Riss trennte nun Nationalversammlung und Pariser Volksgesellschaften. Ein vielseitig motivierter Krieg. Die europäischen Höfe, mit deren Unterstützung Ludwig XVI. bei seiner Flucht gerechnet hatte, ließen sich gut einen Monat Zeit für eine Reaktion. Dann erklärten Kaiser Leopold II. und der preußische König Friedrich Wilhelm II. in der Deklaration von Pillnitz die nach der Flucht eingetretene Lage Ludwigs XVI. zum gemeinsamen Interesse für alle Könige Europas. Beide Monarchen stellten militärisches Eingreifen zugunsten Ludwigs XVI. in Aussicht, falls es zu einer großen Koalition der europäischen Mächte mit diesem Ziel käme. Da absehbar war, dass das Königreich Großbritannien sich daran nicht beteiligen würde, blieb die Erklärung lediglich eine symbolische Geste. Bewirkt wurde mit der Drohung allerdings, dass sich die Emigranten unter Führung des Bruders des Königs samt der in Koblenz stationierten Migrantenarmee in ihrem gegenrevolutionären Auslandsaktivitäten bestärkt sahen und dass die französischen Revolutionsanhänger eine noch größere Erbitterung gegen das „aristokratische Komplott“ hegten. Bereits seit 1790 kursierte in Frankreich die Vorstellung von einem „österreichischen Komitee“: Demnach handelte es sich um eine konterrevolutionäre Einrichtung, in der Marie-Antoinette mit Feinden der Revolution konspirierte und die es auszuschalten galt. Im September 1791 trat das Verfassungswerk der Konstituante unter Mitwirkung Ludwigs XVI., der den Eid auf die Verfassung ablegte, in Kraft. Noch kurz vor dem Ende ihres Wirkens beschloss die Verfassunggebende Nationalversammlung am 27. September die vollständige bürgerliche Gleichberechtigung aller Juden in Frankreich. Nachdem sogar Ausländer die Möglichkeit bekommen hatten, französische Staatsbürger zu werden, entfiel jeder Grund, den Juden zu verweigern, was ihnen im Prinzip bereits seit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte zustand. Am 1. Oktober konstituierte sich die neugewählte Gesetzgebende Nationalversammlung (Legislative), der kein Mitglied der Konstituante mehr angehören durfte. Die Feuillants stellten gegenüber den Jakobinern eine deutliche Mehrheit; die größte Abgeordnetengruppe gehörte aber keinem der beiden Lager an. Das große Thema und die Ursache dafür, dass diese Nationalversammlung nicht einmal ein Jahr bestand, wurde der Revolutionskrieg. Unter Feuillants wie La Fayette herrschte die Vorstellung, ein kurzer, begrenzter Krieg würde die Generäle stärken und sie in die Lage versetzen, die Revolution zu stabilisieren. Die linken Girondisten, wie man sie später aufgrund der geographischen Herkunft einiger ihrer prominenten Mitglieder nannte, sprachen sich aus einem innenpolitischen Grund für den Krieg aus: Sie glaubten, der König hätte der Verfassung nur zum Schein zugestimmt, und wollten diesen Verrat durch einen Krieg gegen die Heimat seiner Frau aufdecken. Ihr Abgeordneter Jacques Pierre Brissot fachte eine regelrechte Kriegsbegeisterung an: „Die Kraft der Überlegung und der Tatsachen hat mich davon überzeugt, dass ein Volk, das nach 10 Jahrhunderten der Sklaverei die Freiheit errungen hat, Krieg führen muß. Es muß Krieg führen, um die Freiheit auf unerschütterliche Grundlagen zu stellen; es muß Krieg führen, um die Freiheit von den Lastern des Despotismus rein zu waschen, und es muß schließlich Krieg führen, um aus seinem Schoß jene Männer zu entfernen, die die Freiheit verderben könnten.“ Der Abgeordnete Maximin Isnard sekundierte: „Glaubt nicht, unsere gegenwärtige Lage verwehre es uns, jene entscheidenden Schläge zu führen! Ein Volk im Zustand der Revolution ist unbesiegbar. Die Fahne der Freiheit ist die Fahne des Sieges.“ Nur Robespierre hielt im Jakobinerklub nachdrücklich dagegen: „Die ausgefallenste Idee, die im Kopf eines Politikers entstehen kann, ist die Vorstellung, es würde für ein Volk genügen, mit Waffengewalt bei einem anderen Volk einzudringen, um es zur Annahme seiner Gesetze und seiner Verfassung zu bewegen. Niemand mag die bewaffneten Missionare; und der erste Rat, den die Natur und die Vorsicht einem eingeben, besteht darin, die Eindringlinge wie Feinde zurückzuschlagen.“ Gemäß der neuen Verfassung war für eine Kriegserklärung das Zusammenwirken von König und Nationalversammlung nötig – mit der Prärogative in allen außenpolitischen Angelegenheiten beim König. Für Ludwig XVI. und Marie-Antoinette war ein Krieg nach dem gescheiterten Fluchtversuch der verbliebene Weg zur Wiederherstellung für sie akzeptabler Verhältnisse. Sie rechneten mit einer schnellen Niederlage des französischen Heeres und mit der Hilfe der Sieger bei der Rückabwicklung der revolutionsbedingten Veränderungen. „Mit einem Doppelspiel ohnegleichen“, heißt es bei Soboul, „wiegelten Ludwig XVI. und Marie-Antoinette die Gegner untereinander auf und machten den Krieg damit unvermeidlich.“ Am 14. Dezember 1791 kam der König dem Verlangen der Legislative nach, den Erzbischof von Trier mit Frist bis zum 15. Januar 1792 ultimativ zur Unterbindung aller gegen Frankreich gerichteten feindseligen Aktivitäten der Emigranten aufzufordern; andernfalls würde ihm von Frankreich der Krieg erklärt. Dieser Kriegsgrund entfiel, als die in Koblenz lagernden Truppeneinheiten der Emigranten mit Ablauf des Ultimatums tatsächlich zum Abzug genötigt wurden. Ein neuer, nun gegen Österreich gerichtet, tat sich auf, indem der österreichische Staatskanzler Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg Frankreich im Gegenzug mit einer Militärintervention drohte, sollte Frankreich gegen die geistlichen Fürsten in Trier und Mainz vorgehen. Am 20. April 1792 stellte der König in der Nationalversammlung den Antrag, dem „König von Böhmen und Ungarn“ den Krieg zu erklären. Mit dieser Formulierung hoffte man, die übrigen Staaten des Heiligen Römischen Reiches aus dem Konflikt herauszuhalten. Die Kriegserklärung wurde mit überwältigender Mehrheit angenommen, lediglich sieben Abgeordnete stimmten dagegen. In der Euphorie der ersten Tage nach diesem Beschluss entstand für die Rheinarmee in Straßburg die Marseillaise, die bis heute Nationalhymne Frankreichs ist („Allons enfants de la patrie…“). Die Kriegswirklichkeit zeigte sich dagegen schnell ernüchternd und verbitternd. Offiziere und Mannschaften setzten den verbündeten Österreichern und Preußen so wenig Widerstand entgegen, dass sehr bald Verrat gewittert wurde und eine Mobilisierung in den Pariser Sektionen einsetzte, durch die mit Piken bewaffnete Sansculotten zum ständigen Erscheinungsbild in den Straßen und auf den Tribünen der Stadt wurden. Ein konzentrierter Vorstoß in die Tuilerien am 20. Juni 1792 endete noch friedlich damit, dass der bedrängte König, der gerade eine unliebsame neue Ministerriege aus Feuillants berufen hatte, sich die rote Jakobinermütze aufsetzte. Am 11. Juli aber erließ die Legislative eine Proklamation, durch die das „Vaterland in Gefahr“ erklärt wurde. Alle waffenfähigen Bürger wurden zur Einregistrierung als Freiwillige aufgefordert, sollten die Nationalkokarde anlegen und wurden zu den Armeen geschickt. In den Provinzen verschärfte sich die königsfeindliche Stimmung. Man sprach wegen der in wichtigen Feldern unkooperativen Haltung Ludwigs XVI. und Marie-Antoinettes gegenüber der Legislative unterdessen oft nur noch abschätzig von „Monsieur et Madame Veto“. Von Marseille aus brach ein Bataillon aus Freiwilligen nach Paris zum Föderationsfest auf. Durch ihre Gesänge wurde das Lied aus den ersten Kriegstagen als Marseillaise (Hymne der Marseiller) bekannt und verbreitet. Die erste französische Republik. Bei den Vorgängen, die den Sturz der Monarchie, die Errichtung der Republik und die Ausbildung von Revolutionsregierung und Terror in der radikal-demokratischen Phase bis Juli 1794 bewirkten, hat der Revolutionshistoriker Georges Lefèbvre eine spezifische revolutionäre Mentalität als ursächlich gedeutet, die bereits den Sturm auf die Bastille und die anderen Volksaktionen des Jahres 1789 bestimmt habe und die sich erst nach der Festigung der revolutionären Errungenschaften allmählich zurückgebildet habe. Sie bestand nach Lefèbvre aus drei Komponenten: der Furcht (peur) vor dem „aristokratischen Komplott“, der Abwehrreaktion "(réaction défensive)", die die Selbstorganisation von Volksgruppen und die Durchführung von Widerstandsmaßnahmen umfasste, und dem Willen zur Bestrafung der revolutionsfeindlichen Widersacher (volonté punitive). Der von Hiobsbotschaften für die Revolutionsanhänger geprägte Kriegssommer 1792 setzte in dieser Hinsicht nachhaltige Akzente. Er führte nach 1789 in eine „zweite Revolution“. Durch Volkserhebung zum Nationalkonvent. Anfang August 1792 wurde in Paris das Manifest des Herzogs von Braunschweig bekannt, des Oberbefehlshabers der preußischen und österreichischen Truppen, die zum Einmarsch in Frankreich bereitstanden. Darin wurde mit Blick auf das Ziel, die königliche Familie aus der Gefangenschaft zu befreien und Ludwig XVI. in seine angestammten Rechte wiedereinzusetzen, zu widerstandsloser Unterwerfung der französischen Truppen, Nationalgardisten und Bevölkerung aufgerufen. Wo immer dagegen eine Verteidigung stattfände, drohte das Manifest mit Wohnungszerstörung und Niederbrennen. Paris wurde speziell hervorgehoben und allen irgend politisch Verantwortlichen der Stadt wurden bei Widersetzlichkeit Kriegsgericht und Todesstrafe in Aussicht gestellt. Die beabsichtigte Wirkung dieser Proklamation verkehrte sich ins Gegenteil. In den Pariser Sektionen, die sich bis auf eine bereits für die Absetzung des Königs ausgesprochen hatten – wenn auch gegenüber der Nationalversammlung erfolglos –, wurden nun Aufstandsvorbereitungen getroffen. Am Morgen des 10. August 1792 bildeten die Sektionen eine aufständische Kommune "(commune insurrectionelle)", die die bisherige Stadtverwaltung verjagte und an deren Stelle trat. Der amtierende Kommandeur der Nationalgarde wurde umgebracht und durch den Bierbrauer Santerre ersetzt. Massen von Handwerkern, Kleinhändlern und Arbeitern zogen gemeinsam mit den in Paris ebenfalls seit Wochen auf Absetzung Ludwigs XVI. drängenden auswärtigen Föderierten vor die Tuilerien und erstürmten sie gegen den Widerstand der Schweizergarde. Hunderte von Toten auf beiden Seiten waren der Preis des Tuileriensturms. Die königliche Familie hatte sich bereits vor dem Angriff in die Nationalversammlung geflüchtet, die aber unter dem Druck der aufgebrachten Volksmassen nun doch die vorläufige Absetzung des Königs und seine Gefängnisverwahrung beschloss. Mit der revolutionären Kommune von Paris war neben die Nationalversammlung ein rivalisierendes politisches Organ getreten, das in der Folgezeit maßgeblichen eigenen Einfluss beanspruchte. Indem nicht wahlberechtigte sogenannte Passivbürger erst in den Pariser Sektionsversammlungen und dann bei der Kommune ihre Interessen zunehmend zur Geltung bringen konnten, büßte die nach dem Zensuswahlrecht gebildete Legislative durch die Volksaktion des 10. August schlagartig ihre Autorität ein. Daher sah sie sich zur Selbstauflösung im Zuge von Neuwahlen nach allgemeinem (Männer-)Wahlrecht für einen Nationalkonvent genötigt. Für die Übergangszeit wurde ein provisorischer Exekutivrat mit den bisherigen Regierungsfunktionen des Königs betraut. Die Verfassung von 1791 hatte damit ausgedient. Bis Ende August gestaltete sich der Vormarsch der preußisch-österreichischen Truppen mit der Einnahme Longwys am 23. August und der Belagerung Verduns, das am 2. September fiel, für die Bevölkerung von Paris immer bedrohlicher. Zur Verteidigung der Hauptstadt beschloss die Legislative daraufhin eine Sonderaushebung von 30.000 Mann, die Kommune sogar die doppelte Anzahl. Unterdessen hatten die Sektionen nach dem Umsturz des 10. August Überwachungsausschüsse für alle als revolutionsfeindlich Verdächtigten eingerichtet. Sie sorgten mittels Haussuchungen und Verhaftungen, denen vor allem Hofbedienstete, Feuillants, Journalisten und eidverweigernde Priester ausgesetzt waren, für völlig überfüllte Gefängnisse. In dieser Situation, da sich nun die Freiwilligen-Trupps zum Abrücken gegen die preußisch-österreichischen Verbände unter dem Herzog von Braunschweig bereit machten, erschienen die Gefängnisinsassen als Bedrohung der Revolutionsmetropole von innen. In einer Spontanaktion von Föderierten, Nationalgardisten und Sansculotten, die damit Beschlüsse einzelner Sektionsversammlungen umsetzten, wurden vom 2. bis 6. September zwischen 1100 und 1400 Gefängnisinsassen hingemetzelt. In dieser angespannten Lage fand bei nur etwa 10 % Beteiligung die Wahl zum Nationalkonvent (2. bis 19. September) statt. In Paris geschah dies bei offener Stimmabgabe unter Ausschluss der Anhänger des Königtums. Als der Nationalkonvent am 21. September 1792 zu seiner Eröffnungssitzung zusammenkam, schienen die Vorzeichen günstiger als noch kurz zuvor: Es war der Tag nach der Kanonade von Valmy, in der das französische Revolutionsheer siegte und die äußere Bedrohung bis auf Weiteres abwendete. Girondins, Montagnards und das Urteil gegen Ludwig XVI.. Der Begriff Nationalkonvent ("convention nationale") für die nunmehr dritte französische Nationalversammlung signalisierte zwei Kernkompetenzen: die Ausarbeitung einer neuen Verfassung und die vorläufig ungeteilte Ausübung aller Kompetenzen der nationalen Souveränität (bzw. staatlichen Gewalt). Der Konvent sorgte in dieser Hinsicht mit seinen ersten Beschlüssen für klare Verhältnisse. Die Monarchie wurde abgeschafft, die Republik gegründet und eine neue Zeitrechnung eingeführt: Der 22. September 1792 war der erste Tag des Jahres I der Republik. Dieses relativ einmütige Bekenntnis zu der zweiten Revolution vom 10. August verdeckte zunächst jene Aufspaltung in verschiedene politische Lager, die alsbald in der Sitzordnung der Konventsmitglieder zum Ausdruck kamen. Auf der rechten Seite des Hauses sammelten sich die Anhänger Brissots, die Brissotins (Brissotisten), später Girondins (Girondisten) genannt. Sie standen mit ihrem Eintreten für Eigentumsschutz, freien Handel und Marktpreisbildung auf der Seite der Wirtschaftsbourgeoisie. Den Forderungen der Pariser Sektionsversammlungen und der aufständischen Kommune standen sie ablehnend gegenüber und versuchten dagegen den Einfluss der Föderierten in den Departements geltend zu machen. Ihre Widersacher im Konvent saßen in den höheren Sitzreihen, gleichsam auf dem Berg, und wurden deshalb Montagnards genannt. Wie die große Mehrheit der Konventsmitglieder gehörten auch sie zur Schicht des mittleren und gehobenen Bürgertums, darunter vor allem Beamte und Angehörige der freien Berufe, besonders Juristen. Sie hielten über ihre führenden Köpfe – u. a. Danton, Robespierre, Marat – anders als die Girondins engen Kontakt zu den Sektionen und Volksgesellschaften, öffneten sich deren Interessen und machten sich zu ihren Wortführern im Konvent. In der „Ebene“ "(plaine)" bzw. im „Sumpf“ ("marais") zwischen Girondins und Montagnards saß jene Mehrheit von Abgeordneten, die keinem der beiden Lager beitrat, sondern je nach Sachgegenstand und politischer Großwetterlage mal mit der einen, mal mit der anderen Seite stimmte. Dass bei einer Gesamtzahl von 749 Konventsmitgliedern 200 Girondins die ca. 120 Montagnards zahlenmäßig zunächst deutlich überwogen, musste deshalb nicht den Ausschlag geben, auch wenn die Girondins in der Entspannungsphase nach Valmy für ihren liberalen Kurs mehrheitlich Unterstützung fanden und sogar von Justizminister Danton umworben wurden. Die schwelende Frage, wie mit dem abgesetzten und inhaftierten König weiter zu verfahren sei, kam Ende November drängend auf die Tagesordnung des Konvents, als in einem Geheimschrank in den Tuilerien belastende Korrespondenz Ludwigs XVI. mit Emigranten und revolutionsfeindlichen Fürsten entdeckt wurde. Hiernach erwies sich ein Hochverratsprozess als unvermeidlich. Der Konvent selbst bildete den Gerichtshof. Gegen die widerstrebenden Girondins, die den König schonen wollten und den Jakobinerclub verließen, als sie sich dort nicht durchsetzen konnten, entschied der Konvent nach zwei Anhörungen des Angeklagten am 11. und 26. Dezember 1792 in seinen Beratungen vom 16. bis 18. Januar 1793 mehrheitlich, dass Ludwig XVI. sich der Verschwörung gegen die Freiheit schuldig gemacht habe, dass das Volk – anders als die Girondins es wollten – darüber nicht durch Plebiszit zu entscheiden habe, dass er die Todesstrafe erleiden solle, und zwar ohne Aufschub. Am 21. Januar wurde der im Prozess nur noch als Louis Capet Angesprochene auf der „Place de la Révolution“ (heute Place de la Concorde) durch die Guillotine hingerichtet. Von einzelnen royalistischen Protestaktionen abgesehen, blieb es weitgehend ruhig im Lande: „außer in Paris und in den Versammlungen ruft der Prozess gegen Ludwig den XVI. keinerlei Begeisterung hervor. Dieses Schweigen eines ganzen Volkes beim Tod seines Königs beweist, wie tief der Bruch mit den jahrhundertealten Empfindungen der Menschen schon ist. Der Gesalbte Gottes, der mit allen Heilskräften Begabte wird ein für allemal mit Ludwig XVI. zu Staub. Man kann zwar zwanzig Jahre später die Monarchie wieder aufrichten, nicht aber die Mystik des geweihten Königs.“ Jakobiner und Sansculotten im Radikalisierungsprozess. Heftige Reaktionen löste die Guillotinierung Ludwigs XVI. im Ausland aus. Zur treibenden Kraft entwickelte sich dabei Großbritannien, wo der Hof Trauerkleidung anlegte und der französische Gesandte ausgewiesen wurde. Auch die seit den Siegen von Valmy und Jemappes offensive Kriegführung und Annexionspolitik des Konvents sowie die Schädigung britischer Wirtschaftsinteressen in Holland machten den britischen Premierminister Pitt nach der französischen Kriegserklärung vom 1. Februar 1793 zum Haupt einer Koalition der europäischen Mächte gegen das republikanische Frankreich. Bereits zwei Monate später kämpften die zurückgedrängten Revolutionsheere wieder um die Verteidigung der eigenen Landesgrenzen – und innerhalb Frankreichs um den Fortbestand der Revolutionsergebnisse. Angesichts der gegnerischen Übermacht hatte der Konvent am 23. Februar die Aushebung weiterer 300.000 Mann beschlossen und es den Departements überlassen, mit welchem Verfahren sie das ihnen zugeteilte Kontingent zusammenbrachten. Konterrevolutionären Unmut löste diese Vorgabe vor allem in der bäuerlich-konservativ geprägten westfranzösischen Vendée aus, wo sich seit Anfang März bewaffnete Erhebungen wie ein Flächenbrand ausbreiteten und binnen Kurzem zu einem Bürgerkrieg eskalierten, der auch in anderen Teilen des Landes Nahrung fand. Das Dekret des Konvents, das allen bewaffneten Rebellen die Todesstrafe und die Eigentumsbeschlagnahme androhte, bewirkte vorerst ebenso wenig wie der Einsatz von Revolutionstruppen. Zusätzlich unter Druck stand der Konvent im Frühjahr 1793 durch die Pariser Sansculotten, deren Unruhe auch noch durch eine Preisinflation angetrieben wurde. Allein von Ende Januar bis Anfang April war der tatsächliche Wert der Assignaten von 55 % auf 43 % ihres Nennwertes gesunken. Trotz zufriedenstellender Ernte 1792 hielten die Bauern in Erwartung weiterer Preissteigerungen das Marktangebot gering. Die wirtschaftspolitischen Forderungen der Sansculotten, die in solcher Lage regelmäßig erhoben wurden, zielten auf Feststellung der vorhandenen Bestände an Nahrungsmittelvorräten, Beschlagnahme gehorteter Teile der Produktion bei Bauern und Händlern, Festsetzung von Höchstpreisen (bzw. eines Preismaximums) und des Kurses der Assignaten sowie auf die Bestrafung von Wucherern. Während die Girondisten es strikt ablehnten, sich auf solche Forderungen einzulassen, zeigten sich die Montagnards bereitwilliger und zogen unter dem Druck der Umstände die Mehrheit der Plaine-Abgeordneten mit sich, denen daran lag, dass der Konvent die politische Initiative behielt und nicht von den Pariser Sektionen und der Kommune überrollt wurde. Girondistischen Warnungen vor der Diktatur hielt Marat entgegen: „Die Freiheit muss mit Gewalt geschaffen werden, und jetzt ist der Augenblick gekommen, um auf eine gewisse Zeit den Despotismus der Freiheit zu organisieren, um den Despotismus der Könige zu zerschmettern!“ Im März 1793 wurde ein Revolutionstribunal geschaffen, das über Revolutionsgegner und Verdächtige zu urteilen hatte; als Zulieferer dienten die danach in den Gemeinden eingerichteten Überwachungsausschüsse. Der Zwangskurs für Assignaten, ein Preismaximum für Korn und Mehl sowie eine bei den Reichen zu erhebende Zwangsanleihe folgten im April und Mai. Für die Regierungsfunktionen wurde ein Wohlfahrtsausschuss geschaffen, in den am 11. April zunächst eine Mehrheit von Plaine-Abgeordneten gewählt wurde, in dem aber Danton den maßgeblichen politischen Einfluss ausübte. Seine Richtlinie bei der Einrichtung des Revolutionstribunals lautete in Erinnerung an die Septembermorde des Vorjahres: „Seien wir schrecklich, damit das Volk es nicht zu sein braucht!“ Die Girondisten dagegen suchten die Auseinandersetzung mit den Pariser Sansculotten, betonten, dass Paris nur ein Departement neben 82 anderen sei, und setzten im Konvent eine rein girondistisch zusammengesetzte Kommission zur Kontrolle der Umtriebe in den Pariser Sektionen durch. Der Abgeordnete Isnard eskalierte den Konflikt mit einer Drohung, die an das Manifest des Herzogs von Braunschweig erinnerte: „[…] sollte jemals durch einen Aufruhr, wie er seit dem 10. August unaufhörlich neu angezettelt wird, … die Vertretung der Nation in Mitleidenschaft gezogen werden, so erkläre ich hiermit im Namen ganz Frankreichs, daß Paris vom Erdboden getilgt werden würde; bald würde man sich beim Anblick des Seine-Ufers fragen, ob es dieses Paris wirklich einmal gegeben hat.“ Die Entscheidung wurde abseits der normalerweise die Volksbewegung anführenden Sektionen und der Kommune von einem aufständischen Komitee vorbereitet, dem es in mehreren Anläufen vom 31. Mai bis 2. Juni 1793 schließlich gelang, den Vorhof der Tuilerien von drei- bis viertausend bewaffneten Aufständischen besetzen zu lassen. Gegen den Widerstand auch der Montagnards wurde ultimativ die Auslieferung der führenden Girondins verlangt, sodass der Konvent letztlich den Beschluss fasste, diese unter Hausarrest zu stellen. Mit dem Ausscheiden der Girondins aus dem Konvent begann jener Abschnitt der Französischen Revolution, der vielfach als „Jakobinerherrschaft“ bezeichnet wird. Eine Revolutionsdiktatur zur Rettung der Republik. Durch die Vertreibung der Girondins aus dem Konvent war auch der wesentlich von dem Aufklärungsphilosophen Condorcet geprägte Verfassungsentwurf hinfällig, der strikte Gewaltenteilung, ein konsequentes Repräsentativsystem und eine stärkere politische Eigenständigkeit und Mitgestaltungskompetenz der Departements vorsah. Eilig wurden bis zur Verabschiedung der neuen Verfassung am 24. Juni 1793 – im Wesentlichen durch Marie-Jean Hérault de Séchelles, Georges Couthon und Louis Antoine de Saint-Just – nun noch Akzente zugunsten der sozialen Gleichheit verschoben, ein Recht auf Arbeit und die Pflicht zum Widerstand gegen eine volksfeindliche Regierung hervorgehoben sowie neben dem Recht des Einzelnen auf Eigentum und freie Verfügung darüber auch die Verpflichtung zur Unterordnung unter den allgemeinen Willen betont. Diese per Volksabstimmung bestätigte republikanische Verfassung wurde allerdings vom Konvent wegen der bedrohlichen Kriegslage auf Friedenszeiten verschoben und ist tatsächlich nie erfolgt. Der Konflikt wurde durch den von Anhängern der Girondins in den Departements geschürten Bürgerkrieg noch verschärft. Die Ermordung des radikalen Revolutionärs Marat durch die Girondistin Charlotte Corday am 13. Juli 1793 sowie Aufstände gegen die Herrschaft des Pariser Rumpfkonvents, die u. a. in Lyon, Marseille, Toulon, Bordeaux und Caen ausbrachen, hielten die Sansculotten in gespannter Erregung und den Konvent im Zugzwang. Nun erst wurde die endgültige Befreiung der Bauern von sämtlichen noch zur Ablösung verbliebenen urkundlich belegbaren Feudallasten beschlossen und damit den 1789 auf dem Lande geweckten Erwartungen entsprochen. Zugleich begann der Verkauf enteigneter und in Kleinparzellen zerlegter Emigrantengüter. Damit war die Bindung der noch vermehrten Menge von Kleinbauern an die Revolution erreicht. Die Pariser Sansculotten konnten so aber nicht zufriedengestellt werden. Jacques Roux, der Wortführer einer besonders radikalen Sansculotten-Gruppierung, hatte bereits am Tag nach der Verfassungsverabschiedung, am 25. Juni 1793, im Konvent das "Manifest der Enragés" (der Wütenden) vorgetragen, in dem es hieß: „Nun wird das Verfassungswerk dem Souverän übergeben. Habt ihr darin das Spekulantentum geächtet? Nein. Habt ihr die Todesstrafe für Schieber ausgesprochen? Nein. […] Nun so erklären wir euch, ihr habt für das Glück des Volkes nicht genug getan.“ Am 26. Juli beschloss der Konvent daraufhin die Todesstrafe für Kornaufkäufer. Auch bei den Maßnahmen zur militärischen Verteidigung der Republik gegen die äußeren und inneren Feinde wurde der Konvent im August 1793 – entgegen seinen Bedenken hinsichtlich der organisatorischen Folgeprobleme – zum Äußersten getrieben: „Von diesem Augenblick an bis zu dem Zeitpunkt, wo alle Feinde vom Territorium der Republik verjagt sein werden, befinden sich alle Franzosen im ständigen Aufgebot für den Armeedienst. Die jungen Männer ziehen in den Kampf; die verheirateten werden Waffen schmieden und Versorgungsgüter befördern; die Frauen werden Zelte und Kleidung herstellen und in den Krankenhäusern arbeiten; die Kinder werden aus alter Wäsche Verbandsmull machen, und die alten Leute begeben sich auf die öffentlichen Plätze, um dort die Kampfmoral der Krieger zu stärken und den Haß auf die Könige sowie die Einheit der Republik zu verkünden.“ In der Sitzung des Nationalkonvents vom 31. Juli 1793 wurde auf Anregung von Bertrand Barère beschlossen, alle Königsgräber zu öffnen und zu zerstören und die im Wesentlichen aus den Bleisärgen gewonnenen Metalle den Zwecken des Revolutionskrieges zuzuführen. Anfang September wurden bei nochmals verschlechterter Versorgungslage erneut wirtschaftspolitische Forderungen etwa aus der Sektion Sans-Culottes laut: „Jedem Departement wird eine genügende Summe bewilligt, damit der Preis der Grundnahrungsmittel für alle Einwohner der Republik auf gleicher Höhe gehalten werden kann. […] Es soll ein Maximum für Vermögen festgesetzt werden. […] Keiner soll mehr Ländereien pachten dürfen, als für eine festgesetzte Anzahl von Pflügen gebraucht wird. Ein Bürger soll nicht mehr als eine Werkstatt oder einen Laden besitzen dürfen.“ Jacques-René Hébert, Herausgeber der Volkszeitung "Le père Duchesne", erhob Anklage gegen die „Einschläferer“ im Konvent und trug dazu bei, dass es am 5. September 1793 zur Septemberbewegung kam: Kleine Leute aus den Pariser Sektionen besetzten den Konvent friedlich, um Druck auf die Beratungen der Abgeordneten auszuüben. Sie erreichten unmittelbar, dass eine Revolutionsarmee aus Sansculotten gebildet wurde, die die Hauptstadtversorgung mit Getreide und Mehl sicherstellen sowie Wucherer und Schieber verfolgen sollte. Auf Anregung Dantons sollten zudem allen Bedürftigen fortan Tagegelder von 40 Sous auf Staatskosten für den Besuch von wöchentlich zwei Sektionsversammlungen ausgezahlt werden. Außerdem wurde die Verhaftung der Verdächtigen beschlossen und damit der Weg in die Schreckensherrschaft geöffnet. Mit der Einführung des Allgemeinen Maximums für Preise – wie aber auch für Löhne – wurde Ende September schließlich eine weitere wirtschaftspolitische Kernforderung der Sansculotten berücksichtigt. Führungsanspruch und Entschlossenheit gingen in dieser Revolutionsphase hauptsächlich von dem umgebildeten Wohlfahrtsausschuss aus, in dem Robespierre nach dem Ausscheiden Dantons die Fäden zog. Am 10. Oktober 1793 mahnte Saint-Just als enger Weggefährte Robespierres im Konvent ein klares Mandat für die Revolutionsregierung des Wohlfahrtsausschusses an: „In Anbetracht der Umstände, denen sich die Republik gegenwärtig ausgesetzt sieht, kann die Verfassung nicht in Kraft gesetzt werden; man würde die Republik durch die Verfassung selbst zugrunde richten. […] Ihr selbst seid zu weit weg von allen Verbrechen. Das Schwert des Gesetzes muß allerorts mit reißender Geschwindigkeit dazwischenfahren, und eure Macht muß allgegenwärtig sein, um dem Verbrechen Einhalt zu gebieten. […] Ihr könnt auf gutes Gedeihen nur dann hoffen, wenn ihr eine Regierung bildet, die milde und nachsichtig gegenüber dem Volk, sich selbst gegenüber aber durch die Tatkraft ihrer Beschlüsse schrecklich sein wird. […] Es ist auch nützlich, den Volksvertretern bei den Armeen mit Nachdruck ins Gedächtnis zurückzurufen, worin ihre Pflichten bestehen. Sie sollten in den Armeen Väter und Freunde der Soldaten sein. Sie sollen im Zelt schlafen, bei militärischen Übungen zugegen sein, sich nicht in Vertraulichkeiten mit den Generälen einlassen, damit der Soldat mehr Vertrauen in ihre Gerechtigkeit und Unparteilichkeit hat, wenn er ihnen ein Anliegen vorträgt. Tags wie nachts soll der Soldat die Volksvertreter bereit finden, ihm Gehör zu schenken.“ Tatsächlich hatte die Republik in dieser Zeit vor allem einen militärischen Überlebenskampf zu führen. Der Konvent entsandte Kommissare (die von Saint-Just angesprochenen Volksvertreter) an die verschiedenen Kriegs- und Bürgerkriegsfronten, die vor allem mit unzuverlässigen Armeeführungen schonungslos aufräumen sollten. Der Nachlässigkeit verdächtige Generäle sollten militärgerichtlich abgeurteilt und durch erprobte und tatendurstige jüngere Offiziere ersetzt werden, zum Teil auf Vorschlag der Mannschaften. Die Umorganisation der Revolutionsheere wurde hauptsächlich von dem Militäringenieur Lazare Carnot geleitet, ebenfalls Mitglied des Wohlfahrtsausschusses. Dabei wurden die Reste der alten Linientruppen mit den jüngst erst Ausgehobenen zu neuen Truppenkörpern vereinigt, die loyal zur Revolutionsregierung standen. Zur Jahreswende 1793/1794 zeichneten sich erste Erfolge dieser Maßnahmen ab, auch weil infolge des Massenaufgebots nun das zahlenmäßige Übergewicht der Revolutionsheere den Druck des Mehrfrontenkriegs aufzuwiegen begann. Ein Ende der Bedrohung für die Republik schien aber sowohl in der Vendée als auch an den nordöstlichen Grenzen Frankreichs noch weit entfernt. Legalisierter Terror und Entchristianisierung. Das im März 1793 geschaffene Revolutionstribunal hatte bis zur Septemberaktion der Pariser Sansculotten von 260 Angeklagten nur etwa ein Viertel (66 Personen) zum Tode verurteilt. Den Aufständischen erschien das völlig unzureichend, wie aus ihrer dem Konvent vorgelegten Petition vom 5. September 1793 hervorging: „Gesetzgeber, es ist an der Zeit, dem seit 1789 andauernden unheiligen Kampf zwischen den Kindern der Nation und jenen, die sie im Stich gelassen haben, ein Ende zu bereiten. Euer und unser Schicksal sind mit der unveränderlichen Einrichtung der Republik verknüpft. Entweder müssen wir ihre Feinde vernichten oder sie uns. […] Weder Gnade noch Erbarmen mehr mit den Verrätern! Denn kommen wir ihnen nicht zuvor, werden sie uns zuvorkommen. Errichten wir zwischen ihnen und uns die Schranke der Ewigkeit!“ Auch in dieser Hinsicht verfehlte der Massenauftritt der Sansculotten im Konvent die beabsichtigte Wirkung nicht. Der Konvent beschloss nicht nur die Verhaftung der Verdächtigen, sondern auch die Säuberung der Revolutionsausschüsse, die mit der Suche nach ihnen beauftragt waren, und setzte damit seinerseits wie gefordert die "terreur" oder den "Schrecken", auf die Tagesordnung. Am 17. September beschlossen die Montagnards und Plaine-Abgeordnete das Gesetz über die Verdächtigen, zu denen alle gezählt wurden, „die sich durch ihr Verhalten oder ihre Beziehungen oder durch mündlich oder schriftlich geäußerten Ansichten als Parteigänger der Tyrannen, des Föderalismus und Feinde der Freiheit zu erkennen gegeben haben“; dazu alle vormaligen Adligen und deren Verwandte, „die nicht dauernd ihre Verbundenheit mit der Revolution unter Beweis gestellt haben“, sowie sämtliche nach Frankreich zurückgekehrten Emigranten. Die örtlich zuständigen Überwachungsausschüsse hatten eine Liste der verdächtigen Personen aufzustellen, die Verhaftungsbefehle zu fertigen und die Überstellung ins Gefängnis zu veranlassen, wo die Inhaftierten bis zum Friedensschluss auf eigene Kosten verwahrt werden sollten. Eine Liste der Internierten war zentral dem Allgemeinen Sicherheitsausschuss des Konvents zu übersenden. Gleichfalls auf der von den Sansculotten geforderten Linie lag eine Verfahrensbeschleunigung im Revolutionstribunal, das mit den Angeklagten zunehmend kurzen Prozess machte: In den Verurteilten dieses Zeitraums spiegelte sich bereits das Drama der Revolutionsgeschichte bis dahin. Neben Marie-Antoinette, Charlotte Corday und Olympe de Gouges mussten auch Feuillants und Girondins das Schafott besteigen, darunter führende Persönlichkeiten der unterdessen drei aufeinander folgenden Nationalversammlungen wie Bailly, Barnave und Brissot. Vergniaud, einer der prominentesten Redner der Gironde und selbst Betroffener, goss das Geschehen in die Formel: „Die Revolution, gleich Saturn, frisst ihre eigenen Kinder.“ Während die verurteilten Girondins am Morgen des 31. Oktober 1793 auf Karren zum Hinrichtungsplatz gefahren wurden, stimmten sie lautstark die Marseillaise an und wurden jeweils erst durch die Guillotine zum Verstummen gebracht: „Der Chor wurde immer schwächer, je öfter die Sichel fiel. Nichts konnte die Überlebenden davon abhalten, weiter zu singen. Immer weniger hörte man sie auf dem riesigen Platz. Als die ernste und heilige Stimme Vergniauds zuletzt allein sang, hätte man glauben können, die ersterbende Stimme der Republik und des Gesetzes zu hören …“ Als Madame Roland, die ehedem einflussreiche Frau des vormaligen girondistischen Innenministers Roland am 8. November das Schafott auf der Place de la Révolution bestieg, grüßte sie die nahebei aufgestellte monumentale Freiheitsstatue: „O Freiheit, was für Verbrechen werden in deinem Namen begangen!“ Unter den frühen Widersachern der Revolution waren die eidverweigernden Priester; nach der Ausschaltung der Girondins aus dem Konvent war im Sommer 1793 aber auch der konstitutionelle Klerus großteils ins gegenrevolutionäre Lager übergegangen. Dadurch wurden z. T. bereits vorhandene antikirchliche Strömungen verstärkt und brachen sich mancherorts Bahn. Besonders hervor tat sich dabei im Rahmen einer Konventsmission gegen föderalistische Aufstandsgebiete der Abgeordnete Fouché, der in Nevers u. a. für das Einschmelzen der Kirchenglocken sorgte, in der Kathedrale eine Brutus-Büste weihen ließ und ein Bürgerfest veranstaltete. Ähnliches geschah am 7. November in Paris, wo der Bischof Jean Baptiste Joseph Gobel zur Abdankung vor dem Konvent genötigt und die Kathedrale Notre Dame in einen Tempel der Vernunft umgewidmet wurde. Ein Konventsdekret stellte es jeder Gemeinde frei, sich von der Religion loszusagen. In Paris sorgten Revolutionsausschüsse und Volksgesellschaften dafür, dass Ende November alle Kirchen der Hauptstadt der Vernunft geweiht waren und dass in sämtlichen Pariser Sektionen ein Kult für die Märtyrer der Freiheit (Marat, Lepeletier, Chalier) eingeführt wurde. Zwar erließ auf Initiative Robespierres der Konvent am 6. Dezember 1793 ein Dekret, das das Recht auf freie Religionsausübung bekräftigte, doch haben Entchristianisierung und vorläufige Kirchenschließung dauerhafte Spuren hinterlassen. Robespierristen, Hébertisten und Dantonisten im Entscheidungskampf. In seiner Wendung gegen die Auswüchse der Entchristianisierungskampagne, in der er mit Danton einig war, suchte Robespierre den radikalen Gruppierungen unter den Sansculotten Schranken zu setzen. Als stetiger Wächter der Volksinteressen und des allgemeinen Willens in Anlehnung an Rousseau hatte er sich bereits in der Konstituante profiliert und den Ruf des „Unbestechlichen“ "(L’Incorruptible)" erworben. „Er wird es weit bringen“, hatte Mirabeau prophezeit, „er glaubt alles, was er sagt.“ Seit März 1790 war Robespierre Vorsitzender des Jakobinerklubs und hatte dort sowohl die Abspaltung der Feuillants als auch der Girondins mit eigenem Autoritätsgewinn überstanden. Als er am 25. Dezember 1793 vor den Konvent trat, um über die Grundsätze der Revolutionsregierung zu referieren, stand er als strategischer Kopf des Wohlfahrtsausschusses im Zenit seiner Macht. Teile seiner damaligen Ansprache werfen ein erhellendes Licht auf die nachfolgende Entwicklung bis zu seinem Sturz. Die Revolutionsregierung mahnte er zur Wachsamkeit gegenüber zwei gleichermaßen ins Verderben führenden gegensätzlichen Polen: „Sie muß zwischen zwei Klippen, der Schwachheit und der Verwegenheit, dem Moderantismus und der Maßlosigkeit, hindurchsteuern: dem Moderantismus, der für die Mäßigung ist, was die Impotenz für die Keuschheit ist; der Maßlosigkeit, die der Tatkraft ähnelt wie die Wassersucht der Gesundheit.“ Weder dem Moderantismus, wie Robespierre ihn im Sinne falscher Beschwichtigungs- und Mäßigungspolitik mehr und mehr den Dantonisten (Danton-Anhängern) unterstellte, noch einer maßlosen Radikalität, wie sie sich für ihn bei den Enragés und den Hébertisten, die zeitgenössisch als "Exagérés", also als „Übertriebene, Unbescheidene“ bezeichnet wurden, zeigte, durfte also Raum gelassen werden, wenn nicht den Absichten der konterrevolutionären europäischen Fürsten in die Hände gespielt werden sollte: „Die Höfe des Auslands beratschlagen in unseren Verwaltungen und in unseren Sektionsversammlungen mit; sie verschaffen sich Zutritt zu unseren Klubs. Sie haben sogar Sitz und Stimme im Heiligtum der Volksvertretung. […] Zeigt ihr Schwäche, preisen sie eure Vorsicht; legt ihr Vorsicht an den Tag, zeihen sie euch der Schwäche. Euren Mut heißen sie Tollkühnheit, euren rechtlichen Sinn Grausamkeit. Laßt ihr ihnen Schonung angedeihen, zetteln sie vor aller Augen Verschwörungen an.“ Der Tenor der Rede konnte leicht dahingehend verstanden werden, dass jede Abweichung vom Kurs der Revolutionsregierung als Hochverrat geahndet werden würde. Während die Hébertisten die Revolutionsregierung als noch zu wenig energisch gegenüber Revolutionsfeinden und in der Durchsetzung sansculottischer Wirtschaftsvorstellungen angriffen, drängte Dantons enger Freund Camille Desmoulins im „Vieux Cordelier“ auf Milderung der Schreckensherrschaft durch die Freilassung von 200.000 Verdächtigen und auf Schaffung eines Begnadigungsausschusses; schließlich forderte er auch die Umbesetzung des Wohlfahrtsausschusses. Beide gegnerischen Fraktionen entstammten dem Klub der Cordeliers, gehörten zu den Montagnards oder standen ihnen politisch nahe. Das schützte sie aber nicht vor dem Zugriff der Revolutionsregierung. Sowohl die Hébertisten als auch einige der Gefährten Dantons, insbesondere Fabre d’Églantine, hatten sich durch zwielichtige Kontakte mit ausländischen Waffenhändlern und Geschäftemachern angreifbar gemacht und standen unter Korruptionsverdacht. Nacheinander wurde ihnen der Prozess gemacht. Danton selbst, auf dessen Initiative das Revolutionstribunal ein Jahr zuvor eingerichtet worden war, fand sich nun als Angeklagter vor ihm wieder. Auf die Frage nach seiner Adresse meinte er: „Meine Wohnung? Bis jetzt rue Marat. Bald wird sie im Nichts sein. Und dann im Pantheon der Geschichte.“ Dantons Selbstverteidigung imponierte über die Mauern des Gerichtssaals hinaus und drohte einen Volksaufstand auszulösen. Der Ankläger Fouquier-Tinville, dem der Prozessverlauf entglitten war, erwirkte über den Wohlfahrtsausschuss ein Dekret des Konvents, das den Ausschluss Dantons von der Verhandlung wegen Störung der öffentlichen Ordnung ermöglichte. Die Hébertisten kamen am 24. März 1794 unter die Guillotine, die als „Gemäßigte“ (Indulgents) bezeichneten Männer um Danton am 5. April. Erosion und Ende der Schreckensherrschaft. Nach diesem Doppelschlag gegen wichtige Identifikationsfiguren breiter Volksschichten bröckelte die Basis von Montagnards und Revolutionsregierung unter den Sansculotten mehr und mehr, zumal diese sich durch die Festlegung eines Lohnmaximums erneut in ungünstiger wirtschaftlicher Lage sahen. Die Entchristianisierungskampagne, die die hergebrachte Religion durch einen Kult der Vernunft und der Revolutionsmärtyrer ersetzt hatte, suchte Robespierre zu entschärfen und in ihrer Wirkung nach innen und gegenüber dem Ausland unschädlich zu machen, indem er den Konvent im Mai 1794 dekretieren ließ: „Das französische Volk anerkennt die Existenz eines Höchsten Wesens und die Unsterblichkeit der Seele.“ Mit einem unter großem Zeremoniell und persönlicher Leitung Robespierres begangenen „Fest des Höchsten Wesens und der Natur“ am 8. Juni 1794 suchte Robespierre schließlich die Nation ideologisch auszusöhnen und auszurichten. Die Schreckensherrschaft wurde aber auch nach der Ausschaltung von Hébertisten und Dantonisten nicht gelockert, im Gegenteil: zwei Tage nach dem Fest des Höchsten Wesens wurde das Gesetz vom 22. Prairial verabschiedet, das den Kreis der potentiell Verdächtigen noch einmal nahezu beliebig erweiterte, indem als Feind des Volkes u. a. gelten sollte, „wer Mutlosigkeit zu verbreiten sucht mit der Absicht, die Unternehmungen der gegen die Republik verbündeten Tyrannen zu fördern; wer falsche Nachrichten ausstreut, um das Volk zu spalten oder zu verwirren“. Vor dem stark erweiterten Revolutionstribunal gab es fortan für die Angeklagten keine Verteidiger mehr, im Falle des Schuldspruchs aber nur noch ein Strafmaß: die Hinrichtung. Die damit eingeleitete Phase der „Grande Terreur“ (des „Großen Schreckens“) vom 10. Juni bis 27. Juli 1794 führte zu 1285 Todesurteilen allein am Pariser Revolutionsgerichtshof. Noch summarischer hatte die Schreckensherrschaft bis dahin schon in den vom Bürgerkrieg betroffenen Regionen Frankreichs gewütet. Bei den Strafaktionen gegen Marseille, Lyon, Bordeaux und Nantes spielte die Guillotine, das Instrument der Einzelexekution, nicht die Hauptrolle. In Lyon praktizierten die Konventskommissare Collot d’Herbois und Fouché Massenexekutionen durch Füsilladen und Mitrailladen. Ihr Kollege Carrier ließ in Nantes außerdem Massenertränkungen in der Loire vornehmen. Collot d'Herbois und Fouché gehörten nach ihrer Rückkehr in den Konvent neben Barras schließlich auch zu den treibenden Kräften beim Sturz Robespierres und seiner engsten Mitarbeiter im Wohlfahrtsausschuss. Beide sahen sich in Gefahr, als Robespierre ohne Namensnennung am 26. Juli 1794 vor dem Konvent sein politisches Testament ausbreitete: „In wessen Händen sind heute die Armeen, die Finanzen und die innere Verwaltung der Republik? In den Händen der Koalition, die mich verfolgt. […] Man muß die Verräter bestrafen […] Ich fühle mich berufen, das Verbrechen zu bekämpfen, nicht aber, über das Verbrechen zu herrschen. Die Zeit ist noch nicht gekommen, wo die rechtschaffenen Menschen ohne Gefahr dem Vaterland dienen können; solange die Horde der Schurken regiert, werden die Verteidiger der Freiheit geächtet sein.“ In der darauffolgenden Nacht formierte sich das Komplott zum Sturz Robespierres, nach Soboul eine Augenblickskoalition, die einzig durch Angst zusammengehalten wurde, die es aber verstand, Robespierre und Saint-Just am Folgetag im Konvent nicht mehr nennenswert zu Wort kommen zu lassen, sondern sie und weitere ihrer Weggefährten zu verhaften und am 28. Juli 1794 – nach einem halbherzigen Befreiungsunternehmen einiger Pariser Sektionen – ohne Urteil hinrichten zu lassen. In einem pointierten Resümee zu der damit endenden radikalen Phase der Französischen Revolution heißt es: „Diese Revolutionsdiktatur ist, wie sie sich schließlich gestaltete, an sich selbst zusammengebrochen, aber es war ihr Werk, dass nach ihr das Alte, welches sie endgültig hinweggefegt hatte, nicht mehr wiederkehren konnte.“ Insgesamt wurden während der Schreckensherrschaft in Frankreich circa 50.000 Menschen hingerichtet, weit mehr noch kamen in den Revolutionswirren um. In der Vendée fiel annähernd ein Viertel der Bevölkerung dem Bürgerkrieg zum Opfer. (Siehe auch Opferzahlen). Thermidorianer und Direktorium – das Besitzbürgertum an der Macht (1794–1799). In der dritten Phase der Französischen Revolution – mit gut fünfjähriger Dauer etwa ebenso lang wie die erste und zweite Phase zusammengenommen – lassen sich noch einmal drei Abschnitte unterscheiden: der etwa einjährige Abschnitt des (durch die Rückberufung der noch lebenden Girondins) erweiterten Thermidorianer-Konvents sowie die beiden Abschnitte des ersten und zweiten Direktoriums, die jeweils etwa 2 Jahre währten und auf der am 22. August 1795 in Kraft gesetzten neuen Verfassung beruhten. Sturz und Hinrichtung Robespierres und seiner engsten Anhänger geschahen kaum zufällig zu einem Zeitpunkt, da die Revolutionsregierung ihren selbstgesetzten Zweck erfüllt hatte. Die Bedrohung der revolutionären Errungenschaften durch innere und äußere Feinde war mit äußerster Radikalität und Konsequenz abgewendet worden. Nun hieß es für die bis dahin gefügige Mitte der Konventsmitglieder, die Früchte der Revolution im Rahmen einer neuen Verfassung zu sichern. Die Thermidorianer standen auf dem Boden der Republik, hatten dem Sturz der Monarchie das eigene Mandat zu verdanken und hatten die revolutionsbedingten kulturellen Neuerungen mitvollzogen. Die Revolution als Motor kulturellen Wandels. Die Französische Revolution hat nicht nur in politischer und sozialer Hinsicht zu Umwälzungen geführt, sondern auch das Alltagsleben und die Kultur durchgreifend verändert. Mit der Einführung des Revolutionskalenders war nicht nur eine neue Zeitrechnung (beginnend mit dem Jahr I der Republik) verbunden; der Tag wurde in zehn entsprechend längere Stunden aufgeteilt. Auch die Monatsnamen wurden geändert und auf jahreszeitliche Merkmale bezogen. So hießen die im Frühling liegenden Monate nun Germinal (für die da sprießenden Keime), Floréal (für die sich ausbreitende Blumenblüte) und Prairial (Wiesenmonat). Die Woche wurde in der alten Form abgeschafft und ein Zehn-Tage-Zyklus eingeführt, sodass nicht mehr jeder siebte, sondern nur noch jeder zehnte Tag arbeitsfrei gestellt war. Auch Maße, Münzen und Gewichte wurden auf das Dezimalsystem umgestellt. Kommuniziert wurde das Revolutionsgeschehen einschließlich der damit verbundenen Neuerungen durch das Zeitungswesen, das sich in dieser Zeit sprunghaft entwickelte. Die Blätter vervielfachten zum Teil ihre Auflage und wechselten von monatlicher zu wöchentlicher Erscheinungsweise. Auch die Bildpublizistik nahm mit Vignetten und Karikaturen zu politischen Themen einen bedeutenden Aufschwung. Beliebte Motive waren die Freiheitsgöttin Marianne, der Altar des Vaterlandes, auch Gesetzestafeln der Verfassung. Auf diese Weise wurde die politische Kultur von den Medien angeregt und mitgeprägt. Als Meinungsbildungs- und Kommunikationsformen dienten aber wesentlich auch die politischen Klubs, deren Spektrum von intellektuellen Diskussionszirkeln bis zu Volksgesellschaften reichte und die die jeweilige Bandbreite der politischen Interessen abdeckten. Für Frauen bildete diese Organisationsform nahezu die einzige Möglichkeit eigener Interessenartikulation während der Revolution, da ihnen das Wahlrecht durchgängig verwehrt blieb. In der Phase der Jakobinerherrschaft beanspruchten manche der Volksgesellschaften eine Kontrollfunktion auch dem Konvent gegenüber und betrieben Gesinnungsschnüffelei bis hin zur Überwachung bestimmter Revolutionssymbole (z. B. der Kokarden) und der Teilnahme an politischen Feiern. Der Identifikationsbereitschaft mit Revolution und Nation dienten die mit großem Aufwand und Engagement durchgeführten Revolutionsfeste, bei denen traditionelle und religiöse Formen und Rituale wie Eidesleistungen und Prozessionen in eine neue säkulare und entchristlichte Formensprache überführt wurden. Man trug festliche Kleidung und die Kokarden der Bürgergesellschaft, präsentierte die Trikolore, die Freiheitsgöttin mit phrygischer Mütze (von den Jakobinern als Erkennungszeichen getragen) und ab 1792 auch zeitweise eine Herkules-Gestalt als Symbol der Gleichheit des Volkes. Während aber das Fest der Einheit und Verbrüderung, das auf den 10. August 1792 bezogen war, nach dem Sturz der Jakobinerherrschaft verblasste, blieb das auf den 14. Juli 1789 gerichtete Revolutionsfest bis heute das stolzeste Ereignis der Nation und französischer Nationalfeiertag. Stabilisierungsversuche zwischen Volksaktion und monarchistischer Reaktion. Weitgehend einig waren sich die während der dritten Revolutionsphase im Konvent vorherrschenden Kräfte in der Wahrung ihrer besitzbürgerlichen Eigentums- und wirtschaftlichen Interessen. Dabei unterdrückten sie sowohl die verbliebenen Kräfte der Volksbewegung in Gestalt von Sansculotten und Jakobinern als auch die Royalisten auf der anderen Seite des politischen Spektrums, die die Rückkehr zur Königsherrschaft und zum Ständestaat anstrebten. Die Höchstpreisgesetze wurden am 24. Dezember 1794 aufgegeben und der Getreidehandel völlig freigegeben mit der Folge, dass der Spekulation mit Nahrungsmitteln neuerlich Tür und Tor geöffnet waren. Die begleitende Inflation entwertete das Papiergeld der Assignaten rasch völlig, sodass Bauern und Kaufleute nur mehr Münzgeld akzeptierten. Nahrungsmittelknappheit und Hunger nahmen z. T. katastrophale Ausmaße an. Davon unberührt blieben das handeltreibende Großbürgertum, Armeelieferanten und Aufkäufer von Nationalgütern. Die Sprösslinge der unter diesen Voraussetzungen sich entwickelnden Schicht von Neureichen, die mit der sprechenden Bezeichnung Jeunesse dorée (goldene Jugend) belegt wurden, schlossen sich zu Großbanden zusammen und machten gelegentlich regelrecht Jagd auf Jakobiner und Sansculotten. Die führungslos gewordene Pariser Volksbewegung versuchte in der ersten Jahreshälfte 1795 etwa im Prairialaufstand zwar erneut, den Konvent unter Druck zu setzen, wurde aber mit der Nationalgarde niedergehalten. Todesurteile, Deportationen und Zwangsarbeit wurden verhängt. Die Niederlage der Volksbewegung wiederum rief die Royalisten auf den Plan, die die Stunde gekommen sahen, den im Exil in Verona seine Thronansprüche anmeldenden Bruder Ludwigs XVI. zu unterstützen. Ende Juni 1795 landete eine von der britischen Flotte unterstützte Emigrantentruppe auf der Halbinsel Quiberon, wurde aber von Regierungstruppen aufgerieben. Auch in Paris scheiterte Anfang Oktober 1795 ein royalistischer Aufstand an den von Napoleon Bonaparte geführten regierungstreuen Soldaten. Neue Verfassung und erstes Direktorium. Die vom Konvent am 22. August 1795 beschlossene neue Verfassung wurde per Volksabstimmung bestätigt und am 23. September in Kraft gesetzt. Erstmals wurde in Frankreich ein Zweikammersystem geschaffen, bestehend aus einem Rat der 500, der die Gesetzesinitiative hatte, und einem 250 Mitglieder umfassenden Rat der Alten (hier waren nur über 40-Jährige zugelassen gegenüber mindestens 30-Jährigen im Rat der 500), dessen Zustimmung zu Gesetzesvorlagen nötig war. Der Rat der Alten wählte aus Basis einer Vorschlagsliste des Rates der 500 ein fünfköpfiges Direktorium, das die Exekutive bildete und die Minister der einzelnen Ressorts bestimmte. Um die Fortdauer der neuen Machtverhältnisse zu sichern, hatte der Konvent in einer Zusatzbestimmung festgelegt, dass zwei Drittel der neuen Abgeordneten aus den Reihen der bisherigen Volksvertreter stammen mussten. Das Direktorium versuchte der anhaltenden Inflation und Finanzkrise dadurch Herr zu werden, dass es im Dezember 1795 als neues Papiergeld die Territorialmandate einführte, die die Assignaten ersetzten. Doch auch der Kurs dieser Papiere sank rapide, im September 1796 hatten die Territorialmandate bereits 95 % ihres ursprünglichen Werts eingebüßt. Im Mai 1797 kehrte das Direktorium wieder zu einem edelmetallbasierten Währungssystem zurück, wie es vor der Revolution bestanden hatte. Die radikaldemokratische Opposition, organisiert von Babeuf, der Neujakobiner und Frühsozialisten in einer „Verschwörung für die Gleichheit“ um sich scharte, bereitete einen neuen Volksaufstand vor. Im „Manifest der Plebejer“ präsentierte Babeuf ein den Thermidorianern fundamental entgegengesetztes Gesellschaftskonzept: die sozialistische Gütergemeinschaft. Vorgesehen waren für alle gleiches Recht und gleiche Pflicht zur Arbeit, gemeinschaftliche Arbeitsorganisation und Verfügung über die Arbeitsprodukte. Unmittelbar vor der geplanten Erhebung wurden Babeuf und die führenden Mitverschwörer am 10. Mai 1796 verhaftet, er selbst nach mehrmonatiger Untersuchungshaft und Prozess ein Jahr später zum Tode verurteilt. Erneut führte die Niederlage der radikal auf Gleichheit zielenden Bewegung zu einer Stärkung der Royalisten, wie die Wahlen im April 1797 zeigten. Drei der fünf Direktoren entschlossen sich mit Unterstützung von Truppen, die die Generäle Hoche und Bonaparte zur Verfügung stellten, im September 1797 zum Staatsstreich, um einer royalistischen Wende vorzubeugen. Paris wurde militärisch besetzt, zwei der Direktoren und einige Abgeordnete festgenommen. In 49 Departements wurden die Wahlergebnisse und damit 177 Abgeordnetenmandate für ungültig erklärt. Die monarchistischen Kräfte waren mit verfassungswidrigen Mitteln vorerst kaltgestellt, die republikanische Verfassung dadurch aber diskreditiert und das zweite Direktorium delegitimiert, noch bevor es sich mit den drei bisherigen und zwei neuen Direktoren formiert hatte. Auch in dieser Konstellation kam es im Mai 1798 und Juni 1799 zu weiteren „kleinen“ Staatsstreichen, bevor Bonaparte schließlich zur Macht gelangte. Revolutionsexport. Der noch unter jakobinischer Führung zustande gekommene Befreiungsschlag gegen die Österreicher in der Schlacht bei Fleurus am 26. Juni 1794 zog die französische Annexion der Österreichischen Niederlande nach sich. Die Thermidorianer kassierten im Januar 1795 den früheren Beschluss der Jakobiner, auf die Einmischung in die Angelegenheiten anderer Völker zu verzichten und betrieben aktiv Revolutionsexport. In Holland wurde nach dem Vordringen des Revolutionsheeres die Batavische Republik gegründet. Auch die linksrheinischen deutschen Gebiete gerieten unter französische Vorherrschaft, ohne allerdings den Status einer unabhängigen Republik zu erlangen. Zum Friedensschluss mit Preußen kam es am 5. April 1795 in Basel; Österreichs Friedensbereitschaft erzwang der von Napoleon Bonaparte befehligte Italienfeldzug 1796/97. Im Frieden von Campo Formio gab Österreich die Ansprüche auf Belgien auf und akzeptierte vorerst die eigene Schwächung in Norditalien zugunsten der von Frankreich abhängigen Cisalpinischen Republik. Zu den weiteren machtpolitischen Erfolgen Bonapartes in Italien zählten die Gründung der Ligurischen Republik und die Unterwerfung des Vatikans, verbunden mit der Verschleppung von Papst Pius VI. In der Direktorialzeit überwog – anders als in einer zweiten Revolutionsphase, wo das Befreiungsmotiv in den von Revolutionssoldaten eroberten Gebieten dominierte – das Motiv der Ressourcenausbeutung eroberter Ländereien und Republik-Gründungen. Unterschiedliche Konzeptionen gab es daneben aber bezüglich des Status, den diese Gebiete künftighin haben sollten. Der eine Ansatz sah einen Gürtel von halb selbständigen Republiken vor, zu denen neben der Batavischen und Cisalpinischen noch eine die Schweiz einbeziehende Helvetische Republik und eine linksrheinische Cisrhenanische Republik hätten gehören sollen. Auf eine solche Perspektive hofften auch die freiheitlich-republikanisch eingestellten Revolutionssympathisanten der gemeinten Gebiete. Das andere Konzept knüpfte an die außenpolitischen Ziele des französischen Absolutismus an und setzte auf eine Politik der natürlichen Grenzen mit Einschluss aller linksrheinischen deutschen Gebiete. Dieses Konzept orientierte sich stärker an diplomatischen Verständigungsmöglichkeiten mit den deutschen Fürsten als an den emanzipatorischen Interessen der Bürger. Während des ersten Direktoriums überwogen noch die Anhänger der Schwesterrepubliken, unter dem zweiten dagegen dominierte der Expansionsdrang. Nach den Siegen der französischen Revolutionsarmee unter Bonaparte in Italien blieb für das zweite Direktorium nur mehr Großbritannien als militärischer Gegner übrig. Im Oktober 1797 wurde eine Armee unter Bonapartes Oberbefehl für die Kanalüberquerung gebildet, das Unternehmen im folgenden Februar wegen der Stärke der britischen Flotte aber wieder eingestellt. Das zweite Direktorium verlegte sich nun darauf, die britischen Exporte auf den europäischen Kontinent nach Kräften zu blockieren, um den Gegner wirtschaftspolitisch auszumanövrieren (später – 1806–1814 – verhängte Napoleon eine Kontinentalsperre). Der Schwächung Großbritanniens sollte auch die von Bonaparte betriebene Ägyptische Expedition dienen, die im Sommer 1798 erfolgreich anlandete. Am ersten August allerdings brachte die britische Flotte unter Admiral Nelson den Franzosen bei Abukir eine vernichtende Niederlage bei, ein Fiasko, das Bonaparte nicht daran hinderte, in Ägypten zu Lande weiter voranzukommen und den mitgenommenen Wissenschaftlern ein reiches Forschungsfeld zugänglich zu machen. Nach einem Syrienfeldzug gegen das Osmanische Reich, bei dem er zwar Gaza und Jaffa eroberte, dann aber aufgrund großer Verluste umkehren musste, legte Bonaparte im August des Folgejahres sein ägyptisches Kommando eigenmächtig nieder und schiffte sich nach Frankreich ein, wo er die politische Lage für die eigenen Machtambitionen reif vorfand. Napoleon Bonaparte – Usurpator und Stabilisator der Revolutionsergebnisse. Die nach der Entwertung des Papiergelds eingetretene Wirtschaftsdepression, die vor allem durch einen Preisverfall für bäuerliche Produkte und als Folge davon durch eine anhaltende allgemeine Geschäftsflaute bedingt war, hatte breite Kreise der Bevölkerung mehr und mehr gegen das Direktorium aufgebracht. In den Wahlen des Frühjahrs 1799 hatte die jakobinische Opposition deutlich an Boden gewonnen und im Sommer die Ersetzung zweier Direktoren durchgesetzt. Pressefreiheit und politische Clubs lebten wieder auf, eine jakobinische Renaissance schien sich abzuzeichnen. In dieser Situation ergriff Sieyès als einer der Direktoren die Initiative für einen neuerlichen Staatsstreich mit militärischer Rückendeckung, die er bei Bonaparte suchte und fand. Am 9./10. November (18./19. Brumaire VIII) zwang dieser als Kommandant der Pariser Truppen beide gesetzgebenden Kammern, der Abschaffung der geltenden Verfassung zuzustimmen. Die Folgerichtigkeit des Putsches ergab sich laut Willms aus dem Versagen des Direktoriums, „dem es nicht gelungen war, die Schreckenszeit durch eine politische Ordnung zu überwinden, die der Dynamik der Revolution ein Ende setzte.“ Demnach herrschte eine kaum mehr zu überbrückende Spaltung der revolutionären Bewegungskräfte, die sich nicht zuletzt an den unterschiedlich gewichteten und interpretierten Leitbildern Freiheit und Gleichheit zeigte. Der sozial und parteipolitisch nicht festgelegten Armee sei folglich die Aufgabe zugefallen, die anarchischen Zustände zu überwinden. Als Erster Konsul eines Dreier-Kollegiums übernahm Bonaparte faktisch die Macht der neuen provisorischen Regierung, präsentierte bereits am 13. Dezember 1799 eine neue Verfassung und verkündete abschließend: „Bürger, die Revolution ist auf die Grundsätze gebracht, von denen sie ausgegangen ist; sie ist beendet.“ Seinen Aufstieg und die Machtsicherung verdankte Bonaparte hauptsächlich dem Revolutionsheer und den mit seinen Soldaten errungenen militärischen Erfolgen. In der Konsulatsverfassung war zudem die Garantie enthalten, dass die mit der Revolution verbundene Besitzverschiebung erhalten bleiben sollte. Die Nationalgüter königlicher, kirchlicher oder adliger Herkunft blieben also rechtmäßiger Besitz derer, die sie im Zuge der Revolution erworben hatten – eine wichtige Voraussetzung zur Herstellung des sozialen Friedens. Den Emigranten, die ihren Besitz verloren hatten, wurde eine Entschädigung aus dem Staatsschatz angeboten, was etwa 140.000 zur Rückkehr nach Frankreich veranlasste. Auch mit dem Vatikan und den papsttreuen, eidverweigernden Priestern gelangte Bonaparte zu einem Ausgleich. In dem Konkordat vom 15. Juli 1801 mit Pius VII. wurde der Katholizismus als mehrheitliche Religion der Franzosen anerkannt und die freie Religionsausübung an Sonntagen und kirchlichen Feiertagen wieder offiziell gestattet. Andererseits blieb es bei der Trennung zwischen Kirche und Staat und bei der revolutionsbedingten Enteignung von Kirchenbesitz. Die „Organischen Artikel“ vom 8. April 1802 (18 germinal an X) folgten dem Konkordat als Ausführungsgesetz. Die ohne Beteiligung der Kurie verfassten 77 Artikel sicherten abermals die staatliche Prärogative sowie die Notwendigkeit der staatlichen Zustimmung zu päpstlichen Dekretalen. Mit dem Code civil als Bürgerlichem Gesetzbuch, das am 24. März 1804 verkündet wurde, bot die Herrschaft Napoleon Bonapartes schließlich konkrete rechtliche Grundlagen zur dauerhaften Sicherung des Eigentums gegen feudale Restaurationsansprüche wie gegen Forderungen nach sozialer Gleichheit. Staatsbürgerliche Gleichheit wurde damit als Rechtsgleichheit aller Franzosen fixiert. Anstelle regelmäßiger Wahlen jedoch ließ Bonaparte Plebiszite zu ausgewählten wichtigen Fragen abhalten. Seiner Erhebung als Napoleon I. zum Kaiser der Franzosen – mit eigenhändiger Krönung in Anwesenheit des Papstes am 2. Dezember 1804 in der Kathedrale Notre Dame – stimmten dreieinhalb Millionen Franzosen bei 2500 Gegenstimmen in einem Plebiszit zu. Rezeption und Deutung des Revolutionsgeschehens. Geschichte und Geschichtsschreibung der Französischen Revolution sind von ihrem Anbeginn bereits unter Zeitgenossen vielschichtig-facettenreich und kontrovers erfasst worden. In Frankreich hatte die „Große Revolution“ zeitüberdauernd auch politisch identitätsstiftende Bedeutung. Sie wirkte auf akademischer Ebene epochen- und schulbildend, führte zu politischen Polemiken und historiographischen Grabenkriegen. Die Varianten der Revolutionsgeschichtsschreibung erstrecken sich von gegenrevolutionären über liberale, republikanische, sozialistische, kommunistische und revisionistische Interpretationsansätze. Dem liberalen Ansatz zuzurechnen sind laut Pelzer unter anderen Adolphe Thiers und François-Auguste Mignet; als national-romantisch eingeordnet wird Jules Michelet, strukturanalytisch Alexis de Tocqueville, kulturkritisch Hippolyte Taine, politisch-religiös Alphonse Aulard, internationalistisch Albert Sorel, sozialistisch Louis Blanc, Albert Mathiez und Georges Lefèbvre, revisionistisch François Furet und Denis Richet. Exemplarische Arbeiten und Deutungen zur Französischen Revolution stammen zudem von Edmund Burke, Germaine de Staël, Thomas Carlyle, Alphonse de Lamartine, Edgar Quinet, Karl Marx, Friedrich Engels, Jean Jaurès, Hedwig Hintze, Pierre Gaxotte, Bernard Faÿ, George Rudé, Albert Soboul, Jacques Godechot und Michel Vovelle. Das zweihundertjährige Jubiläum der Französischen Revolution 1989 wurde weltweit begangen, unter anderem mit einer Flut von annähernd 5.000 Bänden, darunter Quelleneditionen, Monographien und Kongressakten. Ein Großteil der neueren Forschungsliteratur besteht laut Rolf Reichardt aus Regionalstudien und folgt damit einem Trend, die Revolution zu „ent"paris"ianisieren“. Auf Archivstudien und Quellenauswertungen beruhende exemplarische Fallstudien sind Reichardt zufolge geeignet herauszufinden, was in der Fülle des Revolutionsgeschehens für die Zeitgenossen besonders wichtig war.
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https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1644
Geschichte der Flugzeugträger
Die Geschichte der Flugzeugträger umfasst die technischen und organisatorischen Entwicklungen bezüglich Kriegsschiffen, die als seegestützte Luftwaffenbasis dienen, (Flugzeugträger) von den Anfängen zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Erste Versuche 1910. Als Vorgänger aller Flugzeugträger gilt die französische "Foudre". Der erste Start eines Flugzeugs von einem Schiff fand Ende 1910 in den Vereinigten Staaten statt. Der Flugakrobat Eugene Burton Ely startete mit seinem Curtiss-Doppeldecker von einer Rampe, die auf Deck des Kreuzers USS "Birmingham" errichtet wurde. Die Landung fand jedoch noch an Land statt. Zwei Monate später gelang es ihm bei einem weiteren Versuch, auf einem anderen Schiff, der USS "Pennsylvania" zu landen. Die Auffanganlage für sein Flugzeug bestand dabei aus Tauen, die einfach quer über das Deck gelegt und durch Sandsäcke an den Enden gebremst wurden. Dadurch war bewiesen, dass Schiffe als Start- und Landeplattform für Flugzeuge dienen können. Erster Weltkrieg. Bis zur Entwicklung echter Flugzeugträger, auf denen Flugzeuge starten und landen konnten, unterhielten einige Marinen Flugzeugmutterschiffe. Diese dienten als Operationsbasis für Wasserflugzeuge, die teilweise von Katapulten gestartet wurden. Sie landeten neben dem Schiff auf dem Wasser und wurden mittels Kran wieder an Bord geholt. Die HMS "Furious" der britischen Marine, ein umgebauter Kreuzer, besaß ab 1917 ein knapp 70 Meter langes Flugdeck vor den Schiffsaufbauten, auf dem Flugzeuge starten, aber nicht landen konnten. Die Maschinen mussten daher auf dem Wasser landen und gingen größtenteils dabei verloren. Von der "Furious" ging der erste Luftangriff von Bord eines Schiffes aus; die beiden deutschen Zeppelinhallen in Tondern wurden erfolgreich angegriffen und zerstört. Das Konzept wurde zwischen den Weltkriegen zum Seeflugzeugträger weiterentwickelt. Der erste funktionsfähige Flugzeugträger, auf dem Flugzeuge mit Radfahrwerk sicher starten und landen konnten, war die HMS "Argus" der britischen Marine. Sie entstand 1918 durch den Umbau eines halbfertigen Passagierdampfers, kam aber im Ersten Weltkrieg nicht mehr zum Einsatz. Es war der erste Träger mit einem glatten Flugdeck über die gesamte Länge des Schiffes. Entwicklungen bis zum Zweiten Weltkrieg. Die USA bauten von 1920 bis 1922 den Marine-Kohlentransporter "Jupiter" zu ihrem ersten Flugzeugträger, der "Langley", um. Auch die beiden folgenden Träger, die "Lexington" und die "Saratoga", die beide 1927 in Dienst gestellt wurden, waren Umbauten. Allerdings entstanden sie aus den Rümpfen zweier nicht vollendeter Schlachtkreuzer. Auch die Briten bauten weitere Schiffe um. So entstanden die "Courageous" und die "Glorious" aus Schlachtkreuzern (besser gesagt aus Large Light Battlecruisers – ein Hybrid aus Schlachtkreuzern und Leichten Kreuzern). Die ersten Flugzeugträger, die von vornherein als Träger entwickelt wurden, waren die 1922 in Dienst gestellte japanische "Hōshō" und die 1924 von den Briten fertiggestellte "Hermes", deren Bau noch vor der "Hōshō" begonnen worden war. Die USA folgten 1934 mit der "Ranger". Von 1931 bis 1935 besaß die US-Marine zwei Starrluftschiffe, die "Akron" und die "Macon", die in der Lage waren Jagd- und Aufklärungsflugzeuge abzusetzen und wieder aufzunehmen. Diese Luftschiffe kamen vor allem als Aufklärer zum Einsatz. Beide Luftschiffe gingen durch Unfälle verloren. Deutschland baute ab 1936 zwei große Flugzeugträger der "Graf-Zeppelin"-Klasse. 1940 wurde ein Baustopp verhängt, als die "Graf Zeppelin" in der Endausrüstung war, während der zweite Träger noch auf Stapel lag und dort abgebrochen wurde. 1942 wurde das Flugzeugträgerbauprogramm wieder aufgenommen. An der "Graf Zeppelin" wurde nun weitergebaut und Passagierschiffe und Kreuzer wurden zum Umbau in Flugzeugträger vorgesehen. Als im Januar 1943 das Trägerbauprogramm erneut eingestellt wurde, waren vier Schiffe im Umbau oder Fertigbau zum Flugzeugträger. Die weitgehend fertiggestellte "Graf Zeppelin" wurde im April 1945 in einem Oderarm bei Stettin auf Grund gesetzt, von den Russen erbeutet und nach Sprengversuchen am Schiff 1947 in der Ostsee versenkt. Ende Juli 2006 wurde das Wrack etwa 30 Seemeilen nördlich von Wladyslawowo (Ellerwald) wiedergefunden. Zweiter Weltkrieg. Im Zweiten Weltkrieg zeigte sich, wie verwundbar Schiffe durch Flugzeuge waren. Als markantes Symbol dafür gilt die Versenkung der "Bismarck" am 27. Mai 1941. Flugzeugträger lösten die Schlachtschiffe als kampfstärkste Einheiten ab. (siehe Zerstörung der Force Z) Bedeutende Einsätze von Flugzeugträgern im Zweiten Weltkrieg: Die Japaner versuchten zum Ende des Pazifikkriegs, vor allem der Übermacht der amerikanischen Flugzeugträger mit ihrer Shimpū-Spezialeinsatztruppe Herr zu werden. Nicht zur Ausführung gelangte das Projekt eines riesigen britischen Flugzeugträgers aus Eis unter dem Projektnamen "Habbakuk", allerdings wurden diverse Vorarbeiten hierzu geleistet. Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden zwei entscheidend wichtige Verbesserungen bei Flugzeugträgern vorgenommen: Außerdem wurde erstmals Kernkraft zur Energieerzeugung eingesetzt. Der erste Flugzeugträger mit Atomantrieb (acht Atomreaktoren) war die "Enterprise" der amerikanischen Marine. Sie wurde auf der Schiffswerft von Newport News Shipbuilding gebaut und war von 1961 bis 2017 im Dienst. Die gegenwärtig größten Flugzeugträger der Welt sind die amerikanischen Träger der "Nimitz"-Klasse mit einer Verdrängung von knapp 100.000 Tonnen. Es wurden zehn Stück gebaut, die durch die neue "Gerald-R.-Ford"-Klasse ersetzt werden. Das Typschiff, die "Gerald R. Ford", wurde am 22. Juli 2017 in Dienst gestellt und ersetzte die "Enterprise". Weitere Nationen mit Flugzeugträgern sind Großbritannien, Frankreich, Russland, Volksrepublik China, Spanien, Südkorea, Italien, Indien, Thailand und Brasilien. Auf Grund der immensen Kosten für einen Flugzeugträger sind die Träger dieser Länder jedoch deutlich kleiner als die amerikanischen. Frankreich versuchte mit der 1997 in Dienst gestellten "Charles de Gaulle" ein Gegenstück zu den amerikanischen Trägern zu präsentieren. Sie war der erste europäische Träger mit Atomantrieb und deutlich größer als die anderen europäischen Flugzeugträger. Der Erfolg blieb jedoch aus. Bereits während der Bauzeit schossen die Kosten in astronomische Höhen. Seit der Indienststellung hat das Schiff immer wieder mit technischen Problemen zu kämpfen, unter anderen brach bereits bei der ersten Fahrt der Propeller und der Reaktor überhitzte. 2019 stellte Großbritannien den letzten der insgesamt zwei neuen Flugzeugträger der "Queen-Elizabeth"-Klasse in Dienst. Die Indienststellung des ersten Trägers hatte indes bereits 2017 stattgefunden. Inzwischen hat auch Frankreich sein Interesse an diesem Projekt bekundet, um eventuell die zehn Jahre alte "Charles de Gaulle" durch einen Träger dieser Bauart zu ergänzen.
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Florianus
Marcus Annius Florianus († September 276 bei Tarsus) war ein römischer Kaiser. Leben. Aufgrund der dürftigen Quellenlage ist über Florianus wenig Sicheres bekannt. Er wurde von seinem Halbbruder Marcus Claudius Tacitus (beide hatten vermutlich dieselbe Mutter) nach dessen Ernennung zum Kaiser als Prätorianerpräfekt eingesetzt. Die Halbbrüder kämpften in Kleinasien zunächst gemeinsam gegen die Goten. Als er vom Tod seines Halbbruders erfuhr, erklärte sich Florianus im April 276 umgehend selbst zum neuen Kaiser. Obwohl er weder Zustimmung von den Soldaten noch vom Senat erhielt, gab es keinen Widerspruch. Florianus ging nach seiner Amtsaufnahme umgehend wieder gegen die Goten vor und erzielte angeblich große Erfolge. Doch kurz vor einem Ende dieses Feldzugs ereilte ihn die Nachricht, dass Marcus Aurelius Probus, Kommandant der an der Ostgrenze stehenden Legionen, zum Kaiser ausgerufen worden wäre. Florianus brach sofort sämtliche Militäroperationen gegen die Goten ab und warf alle entbehrlichen Kräfte nach Süden. Zunächst schien es, dass an Florianus’ Sieg kein Zweifel bestehen könne, da seine Truppen zahlenmäßig deutlich überlegen waren. Doch bald stellte sich – so die Quellen – heraus, dass seine hauptsächlich aus Mitteleuropa stammenden Soldaten mit dem heißen Wüstenklima nicht zurechtkamen. Durch die Hinhaltetaktik des Probus und um sich greifende Seuchen bröckelte die Moral der kaiserlichen Truppen zusehends. Im Juni 276 liefen viele von Florianus’ Soldaten zu Probus über. Als der Kaiser versuchte, die Loyalität seiner Truppen wieder zu sichern, wurde er im September 276 nach einer Herrschaft von angeblich nur 88 Tagen durch die eigenen Soldaten ermordet. Höchstwahrscheinlich geschah die Tat auf direkten Befehl des Probus, der in der Folge die Herrschaft übernahm.
1646
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Februar
Der Februar ( „reinigen“) ist der zweite Monat des Jahres im gregorianischen Kalender. Schon seit 153 v. Chr. war er auch der zweite Monat des römischen Kalenders. Er wurde nach dem römischen Reinigungsfest Februa benannt. In Österreich sowie Teilen Südtirols wird er auch Feber genannt, insbesondere in der Amtssprache (siehe auch Artikel ). Zahl der Tage. Der Monat umfasst in Gemeinjahren 28 Tage und in Schaltjahren 29 Tage. Der eigentliche Schalttag ist der 24. Februar, d. h. in Schaltjahren wird nach dem 23. Februar ein Tag eingeschoben, was jedoch nur für die kirchlichen Feiertage und Namenstage von Bedeutung ist, die sich vom 24. Februar und den folgenden Tagen in Schaltjahren auf den 25. Februar etc. verschieben. Dies erklärt, weshalb das Schaltjahr bspw. im Französischen "année bissextile" heißt: In der Antike wurde der 24. Februar (eigentlich der 25. Februar, der sechstletzte Tag vom 1. März aus gerechnet, lat. "sex") doppelt (lat. "bis") gerechnet. Der 25. Februar hieß in Schaltjahren also "dies sextus", der 24. Februar "dies bisextus" der 23. Februar "dies septus" und so weiter. Im römischen Kalender war der Februarius ursprünglich der letzte Monat. Aus diesem Grund erhielt genau dieser Monat damals überzählige Schalttage angehängt, ein Brauch, der sich durch die julianische und gregorianische Kalenderreform hindurch erhalten hat. Der Februar beginnt in Nicht-Schaltjahren mit dem gleichen Wochentag wie der März (28 geteilt durch 7 ist 4, daraus folgt, dass der Februar exakt vier Wochen lang ist und der Folgemonat mit dem gleichen Wochentag beginnt) und der November, in Schaltjahren wie der August. Der Februar beginnt immer mit dem gleichen Wochentag wie der Juni des Vorjahres, weil niemals ein Schalttag (29. Februar) zwischen beiden Monaten liegt. Banktechnisch hat der Februar wie jeder andere Rechnungsmonat (nach deutscher Zinsberechnungsmethode) 30 Zinstage, so dass Zinsabrechnungen zum 30. Februar durchaus sinnvoll sind. Geschichte. Alte Namen. Unter Kaiser Commodus wurde der Monat in "Invictus" umbenannt, nach dem Tod des Kaisers erhielt er allerdings seinen alten Namen zurück. Der alte deutsche Name für den Februar ist "Hornung", weil der reife Rothirsch in diesem Monat die Stangen seines Geweihes abwirft und beginnt, ein neues Geweih zu schieben. Eine andere Theorie geht davon aus, dass Hornung „der im Winkel/Geheimen gezeugte Bastard“ bedeutet, da er in der Anzahl der Tage zu kurz kommt. Im Elsass wird dieser Monat auch heute noch so bezeichnet. Auch im Pennsylvaniadeutsch ist der alte Monatsname als "Hanning" erhalten geblieben. Im Rheinland und in den Niederlanden verwendete man früher für den Februar die Bezeichnung "Sporkel", "Spörkel" bzw. "Spürkel". Dieser Ausdruck leitet sich vom lateinischen Begriff "Spurcalia" her, mit dem im Mittelalter von der Kirche die vom Volk gefeierten „sittenlose Feste“ in der Karnevalszeit bezeichnet wurden. Auch die Bezeichnung "Narrenmond" für den Februar rührt daher, dass in dieser Zeit die alten Vorfrühlings- und Fruchtbarkeitsrituale abgehalten wurden, um die Dämonen des Winters zu vertreiben. Unter dem Einfluss der Christianisierung wurden diese ausgelassenen Feierlichkeiten als Fastnacht (Fassenacht, Fasnet) oder Fasching auf die Tage vor dem Aschermittwoch beschränkt, so dass diese Narrenzeit (meistens) im Februar endet. Ein weiterer gebräuchlicher Name war "Schmelzmond" und bei Gärtnern war früher auch die Bezeichnung "Taumonat (Taumond)" üblich. Kalenderumstellungen. Bei Kalenderumstellungen, insbesondere der vom Julianischen auf den Gregorianischen Kalender, wurde der Februar aufgrund der gegenüber den übrigen Monaten abweichenden Zahl der Tage mehrfach genutzt, die Differenzen auszugleichen. Das geschah im Jahr 1700, als die protestantischen Territorien im Deutschen Reich und Dänemark die Reform vollzogen, Schweden nutzte den Monat Februar bei der Aufgabe des Schwedischen Kalenders 1712 – was zu einem 30. Februar führte – und nach der Oktoberrevolution in Russland erfolgte auch hier die Kalenderumstellung ebenfalls im Februar.
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Florenz
Florenz ( ) ist eine italienische Großstadt mit Einwohnern (Stand ). Nach Einwohnern ist sie die achtgrößte Stadt Italiens. Florenz ist die Hauptstadt sowie größte Stadt der Region Toskana und der Metropolitanstadt Florenz, in der etwa eine Million Menschen leben. Florenz ist für seine Geschichte berühmt. Als Zentrum des spätmittelalterlichen europäischen Handels- und Finanzwesens war sie eine der reichsten Städte des 15. und 16. Jahrhunderts. Florenz gilt als die Wiege der Renaissance. Aufgrund seiner kulturellen Bedeutung – insbesondere für die bildende Kunst – wurde es schon im 19. Jahrhundert auch als das „italienische Athen“ bezeichnet. Durch die mächtige Dynastie der Familie Medici stieg Florenz in der Renaissance zu einer der florierendsten Metropolen Europas auf. Zahlreiche Kunstschaffende und Geistliche waren hier beheimatet: Leonardo da Vinci verbrachte große Teile seiner Jugend in Florenz, Michelangelo fand Unterschlupf in der Kirche der Medici, Galileo Galilei wohnte als Hofmathematiker in den Palästen der Medici. Von 1865 bis 1871 war die Stadt die Hauptstadt des neu gegründeten Königreichs Italien. Das historische Zentrum von Florenz zieht Jahr für Jahr Millionen von Touristen an. Euromonitor International platziert die Stadt mit fast 4,2 Millionen Besuchern im Jahr 2015 weltweit an 40. Stelle unter den meistbesuchten Städten. Die historische Innenstadt wurde von der UNESCO im Jahre 1982 zum Weltkulturerbe erklärt. Aufgrund des künstlerischen und architektonischen Erbes hat das Forbes Magazine Florenz als eine der schönsten Städte der Welt ausgewählt. Hingewiesen wird vor allem auf den Reichtum an Museen, Palästen und Denkmälern. Geographie. Lage. Florenz liegt am Arno, der durch die Altstadt fließt, und am Mugnone, der von Norden kommend westlich der Altstadt in den Arno mündet. Von Süden kommend tritt der Ema dem Greve bei Galluzzo zu, zusammen münden sie danach im Stadtgebiet von Florenz im Arno. Der Arno war ebenso wichtig für die Versorgung der Menschen durch den Handel, sorgte allerdings durch Überflutungen auch für Zerstörung und Leid. Nördlich von Florenz erstreckt sich der Höhenzug des toskanisch-emilianischen Apennins, im Süden grenzen die Hügel des Chianti an die Stadt. Klima. Florenz befindet sich noch in der gemäßigten Klimazone mit sehr warmen Sommern und kalten und feuchten Wintern. Aufgrund seiner Lage und des damit verbundenen Mangels an Ventilation ist es in Florenz im Sommer spürbar wärmer als an der Küste. Die höchste gemessene Temperatur lag bei 44 °C im Juli 1983. Die tiefste festgestellte Temperatur war −23 °C im Januar 1985. Stadtgliederung. Im Mittelalter war Florenz in vier Stadtviertel "(Quartieri)" eingeteilt, welche nach den Stadttoren benannt waren: San Piero, Duomo oder Vescovo, San Pancrazio und Santa Maria. Später wurden daraus sechs sogenannte Sestieri: San Piero, Duomo, San Pancrazio, San Piero a Scheraggio, Borgo, Oltrarno. Hinzu kommen die Vororte westlich und östlich der Ausfallstraßen und der markanten Hügel San Miniato, Belvedere und Bellosguardo im Süden sowie Careggi, Montughi, Fiesole und Settignano im Norden. Die moderne Verwaltungsgliederung in fünf Stadtviertel ab 1990 orientiert sich im Außenbereich an den Grenzen der traditionellen Stadtviertel: Die fünf modernen Verwaltungseinheiten im Überblick, mit zugehörigen Stadtteilen: Bevölkerung. Bevölkerungsentwicklung. Der Aufstieg der Stadt von einem Armeelager zu einer Hochburg der Renaissance vollzog sich langsam. 1330 zählte die Stadt ungefähr 30.000 Einwohner. Bis zum Jahr 1348 wuchs die Zahl der Einwohner auf bis zu 100.000 an. Die Pestpandemie traf Florenz besonders hart und forderte in Florenz geschätzte 70.000 Tote, nur knapp ein Fünftel der Bevölkerung überlebte. Mitte des 19. Jahrhunderts war wieder ein kontinuierlicher Anstieg zu verzeichnen, die Stadt zählte 150.000 Einwohner. Diese Zahl verdoppelte sich bis zu Beginn der 1930er-Jahre auf 300.000 Einwohner. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 stieg die Zahl weiter, Anfang der 1970er-Jahre wurde mit über 450.000 Einwohnern ein historischer Höchststand erreicht. In den 1980er Jahren waren starke Abwanderungsströme und Geburtenrückgänge zu erkennen, weshalb seitdem die Einwohnerzahl in Florenz rückläufig ist. Ethnien und Migration. Am 31. Dezember 2019 lebten in Florenz 59.567 nicht-italienische Staatsbürger. Die meisten von ihnen stammen aus folgenden Ländern: Politik. Oberbürgermeister (ital. Sindaco) von Florenz ist seit 26. Mai 2014 Dario Nardella, Mitglied der PD (Partito Democratico). Der ehemalige Ministerpräsident Italiens Matteo Renzi war von 2009 bis 2014 Bürgermeister der Stadt. Bildung. Die 1321 gegründete Universität Florenz ist zentral, das Europäische Hochschulinstitut in Fiesole gelegen, wo sich ebenfalls die Zentren für Renaissance-Studien der Harvard University (Villa I Tatti), New York University (Villa La Pietra) und Georgetown University (Villa Le Balze) befinden. Die Accademia di Belle Arti ist eine der ältesten europäischen Kunsthochschulen. Des Weiteren befindet sich in Florenz der Zweitsitz der Elite-Universität Scuola Normale Superiore neben Pisa. Geschichte. Die Geschichte von Florenz ist heute u. a. deshalb so bekannt, weil sie um das Jahr 1520 von Niccolò Machiavelli (1469–1527) erstmals aufgeschrieben wurde. Machiavelli schrieb seine "Istorie fiorentine" im Auftrag der Medici und überreichte das umfangreiche Werk im Jahre 1525 Giulio de’ Medici, auch bekannt als Papst Clemens VII. Machiavelli begann schon in seiner Jugendzeit, die Geschichte seiner Heimatstadt aufzuschreiben und nannte sein erstes Buch "Decannale". Später knüpfte er daran an und wurde einer der ersten Historiker der Neuzeit. Antike. Florenz wurde nach 59 v. Chr. von Julius Cäsar als Colonia mit dem Namen "Florentia" (nach der römischen Göttin der Blumen und des Pflanzenwachstums) im fruchtbaren, aber noch teilweise sumpfigen Arnotal errichtet. Die Colonia bestand erstens aus einem Militärlager, dem Castrum, dessen quadratische Anlage sich auch heute noch im Straßenverlauf widerspiegelt (Via Tornabuoni, Via Cerretani, Via del Proconsolo und Piazza della Signoria). Das Forum befand sich am heutigen Platz der Republik. Florentia verfügte auch über Thermalbäder und ein Amphitheater. Zur Colonia gehörten auch die Ansiedlungen der Veteranen der Garnison außerhalb des Castrum, die gemäß der Lex Julia nach der Entlassung aus dem Militärdienst eine Landparzelle zur Bebauung zugewiesen erhielten, die aufgrund der Vergabepraxis in Form einer Verlosung "partes" genannt wurde. Die günstige Lage am Kreuzungspunkt der nach Rom führenden Via Cassia, der von Volterra kommenden Etruskerstraße (Volterana) und der ebenfalls etruskischen Pisana, die über Pisa ans Meer führte, begünstigte das rasche Aufblühen der Stadt auf Basis des Handels und der Handwerksbetriebe. Die älteren etruskischen Ansiedlungen, vor allem das auf einem Hügel nördlich der neuen Stadt gelegene bedeutende Fiesole (Gründung 7. Jahrhundert vor Christus) gerieten dadurch rasch ins Hintertreffen. Nachdem man neben Fiesole auch den Etruskerstädten Volterra und Chiusi sowie den römischen Coloniae Pistoia und Lucca den Rang abgelaufen hatte, ernannte Kaiser Diokletian Florenz zur Hauptstadt der Siebenten Region (Toskana und Umbrien). Mittelalter. Im Zuge der byzantinischen Rückeroberungskriege wurde die Stadt fast vollständig zerstört und nahm erst wieder unter den Langobarden einen Aufschwung. Da die Langobardenherzöge jedoch in Lucca bzw. Pisa residierten, konnte Florenz bis ins 12. Jahrhundert nicht an die Bedeutung vor der Völkerwanderungszeit anschließen. Entscheidend für den Wiederaufstieg wurde die um 1000 erfolgte Verlegung des Amtssitzes des von den Karolingern eingesetzten Markgrafen Hugo nach Florenz. Mit dem Aufkommen des Feudalismus expandierte die Stadt im 12. Jahrhundert und wurde schließlich autonom. Die Bürgerschaft gewann an Macht, es kam zu erbitterten Streitereien zwischen den kaisertreuen Ghibellinen und den später siegreichen Anhängern des Papstes, den Guelfen. Renaissance: Aufstieg und Fall der Medici. In den Jahren 1347 bis 1352 starben etwa 40 % der Bevölkerung an einer Pestepidemie (Schwarzer Tod). Im 14. und 15. Jahrhundert blühte Florenz auf und setzte Maßstäbe in der europäischen Kunst und Kultur. Viele Künstler und Gelehrte siedelten sich an, darunter Donatello, Botticelli; später Michelangelo, Machiavelli, Leonardo da Vinci und Galileo Galilei. Es entwickelte sich die kulturgeschichtliche Epoche der Renaissance (italienisch "Rinascimento"). Zugleich wurde Florenz zum Handels- und Finanzzentrum. Die reiche Familie der Medici stieg im 15. und 16. Jahrhundert zu einer Großmacht auf und prägte die Stadt wie keine andere Familie. Der erste bedeutende Medici war Cosimo, der sich die Stadt nach und nach untertan machte. Cosimo lebte kurze Zeit im Exil, als die Medici durch gegnerische Familien gestürzt worden waren. Da jedoch die Wirtschaft aufgrund der Abwesenheit der Medici zum Erliegen kam, kehrte Cosimo aus seinem Exil zurück und übernahm wieder die Regentschaft. Durch geschicktes Agieren und eine präzise ausgewählte Kundschaft schuf sich Cosimo ein Netzwerk aus bedeutenden Politikern, Handelsleuten und bis in die höchsten Ränge der katholischen Kirche. Die Tatsache, dass die Medici als die privaten Bankiers des Papstes fungierten, machte sie schnell zu einer angesehenen Bankiersfamilie. Hinter den Kulissen wurde die Politik jener Zeit aber von Intrigen und Skandalen erschüttert. Der Einfluss der Medici, ihr Geschick und ihr ausgeprägter Geschäftssinn ließen Florenz prosperieren und zur Kulturhochburg zweier Jahrhunderte in Europa aufsteigen. Stellvertretend steht hierfür unter anderem die Fertigstellung der Kuppel der Santa Maria del Fiore, die als technische Meisterleistung gilt. Die kulturelle Bedeutung von Florenz schwand im 17. Jahrhundert. Die Medici, die lange Zeit die Stadt geprägt hatten, starben aus. Mit ihrem Nachfolger, Franz I. Stephan, dem Ehemann von Maria Theresia, als "Franz II. Großherzog der Toskana" (1737–1765) gelangte Florenz in den Besitz der Habsburger. Von 1799 bis zum Frieden von Lunéville war Florenz zwischen französischen Revolutionstruppen und Anhängern des Hauses Habsburg-Lothringen umkämpft. Von 1801 bis 1807 war es Hauptstadt des Königreichs Etrurien, einem Vasallenstaat des napoleonischen Frankreich. Von Mai 1808 bis zum Ersten Pariser Frieden (30./31. Mai 1814) war das Gebiet, weiterhin mit der Hauptstadt Florenz, als Département Arno von Frankreich annektiert. 19. und 20. Jahrhundert. Erst im 19. Jahrhundert begann ein neuer wirtschaftlicher Aufschwung. Florenz wurde das Ziel von Bildungsreisen, den Grands Tours. Nach dem Wiener Kongress 1815 kam das Großherzogtum Toskana mit der Stadt Florenz wieder an das Haus Habsburg-Lothringen zurück und wurde ein Teil des Kaisertums Österreich. Aber 1859 verloren die Österreicher den Sardinischen Krieg gegen Frankreich und das Königreich von Sardinien-Piemont. Damit wurde Florenz 1861 Teil des vereinigten Italiens (→ Risorgimento). Aufgrund der italienisch-französischen Septemberkonvention wurde die Stadt 1865 italienische Hauptstadt und beherbergte so – nach Turin, das bis dahin Hauptstadt gewesen war – das erste Parlament des neuen Staates. Während dieser Zeit wurden in der Stadt ganze Viertel neu gebaut, breite Boulevards nach Pariser Vorbild rund um die Altstadt angelegt und auch viele Bauten im Zentrum der Stadt für die repräsentativen Bedürfnisse des noch jungen Staates errichtet. Insgesamt waren die Pläne Georges-Eugène Haussmanns in Paris maßgebend für die allgemeine Neugestaltung der Stadt. Nach italienischer Annexion des Kirchenstaats verlor sie diese Würde aber bereits im Februar 1871 an Rom. Im Sommer 1871 zog die Regierung von Florenz nach Rom. Nachdem die Stadtbevölkerung sich im 19. Jahrhundert verdoppelt hatte, verdreifachte sie sich im 20. Jahrhundert (siehe auch Demografie Italiens) und profitierte stark von Tourismus und der Industrie; auch Fernhandel und Finanzwirtschaft blühten auf. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland (→ NS-Staat) siedelten sich viele deutsche Intellektuelle in und um Florenz an. Nicht alle von ihnen waren Emigranten im klassischen Sinne, sondern verließen Deutschland „nur“, weil ihnen das politische und kulturelle Klima in der Heimat nicht behagte. Das gilt etwa für den Kreis um Hans Purrmann, der ab 1935 die Villa Romana in Florenz leitete. Politisch und rassistisch Verfolgte fanden sich dagegen eher in den Kreisen um den Verleger Kurt Wolff, die Schriftsteller Alfred Neumann und Karl Wolfskehl oder am Landschulheim Florenz. Nach der Verabschiedung der italienischen Rassengesetze von 1938 waren auch in Florenz und Umgebung viele jüdische Emigranten zur abermaligen Flucht gezwungen oder hatten, wie etwa Karl Wolfskehl, diesen Schritt schon nach dem Hitlerbesuch in Italien im Frühjahr 1938 vollzogen. Noch prekärer wurde die Situation ab September 1943: Nach dem Seitenwechsel Italiens besetzte die Wehrmacht Italien (Fall Achse); es kam zu Razzien und anschließenden Deportationen in das Vernichtungslager Auschwitz. Mit dem Herannahen westalliierter Truppen im Sommer 1944 wurde der Schutz der Kunst- und Kulturstadt Florenz von deutscher und alliierter Seite geschickt für eigene Propagandazwecke ausgenutzt. Trotz der vermeintlichen deutschen Verlautbarungen, Florenz zur offenen Stadt zu erklären und des von Kesselring am 27. Juni 1944 erlassenen Befehls die Stadt zu räumen, befanden sich weiterhin zahlreiche militärische Dienststellen und Truppenteile in der Stadt. Auch die Intervention des Kardinals Elia Dalla Costa und des deutschen Konsuls in Florenz Gerhard Wolf bei deutschen Dienststellen, sich eindeutig für den Status der offenen Stadt zu bekennen, blieben ungehört. Von deutscher Seite wurde im Gegenteil weiterhin die Zerstörung ziviler Infrastrukturen wie Eisenbahnanlagen, Umspannwerke, Telefonleitungen vorangetrieben. Aufgrund der unklaren deutschen Haltung weigerten sich die Alliierten ihrerseits, Florenz als offene Stadt anzuerkennen. Am 27. Juli 1944 ließ das Komitee der nationalen Befreiung der Resistenza verkünden, den deutschen Verlautbarungen bezüglich der offenen Stadt nicht zu glauben. Am 30. Juli 1944 wurde auf Befehl des Stadtkommandant Fuchs ein breiter Streifen auf beiden Seiten des Arno geräumt, wovon etwa ein Drittel der Bevölkerung betroffen war. Am Tag darauf wurden alle Brücken über den Arno gesperrt und deren Sprengung mit Ausnahme des Ponte Vecchio vorbereitet. In der Nacht vom 3. auf den 4. August 1944 wurden die Brücken gesprengt. Anstelle des Ponte Vecchio sprengten die Deutschen auf beiden Uferseiten die zur Brücke führenden Straßenzüge. Wenige Stunden danach erreichten am 4. August 1944 britische Truppen der 8. Armee den südlichen Stadtrand von Florenz. In den folgenden Tagen entwickelte sich in den von den Deutschen gehaltenen Stadtteilen am rechten Arnoufer ein Häuserkampf mit dem italienischen Widerstand, während sich die Westalliierten am linken Flussufer abwartend verhielten. Am 12. August setzten die ersten alliierten Einheiten über den Arno. Die Kämpfe mit den langsam abziehenden deutschen Truppen dauerten noch bis Ende August an. Beim landesweiten Referendum am 2. und 3. Juni 1946 über die zukünftige Staatsform Italiens, stimmten die Florentiner gegen den Erhalt des Königreichs und für die Republik Italien. Von 1946 bis 1950 regierte eine Koalition aus Sozialisten und Kommunisten die Stadt. Es vollzog sich ein rascher wirtschaftlicher und sozialer Wandel und Aufschwung. Die Jahre bis 1964 waren durch den christlich-sozialen Politiker Giorgio La Pira geprägt, der Bürgermeister von 1950 bis 1956 und wieder von 1960 bis 1964 war. Die Überschwemmung in Florenz 1966 beschädigte viele Kunstschätze und forderte 34 Menschenleben, wobei die genauen Angaben von den Behörden jahrzehntelang unter Verschluss gehalten wurden. Kultur. Bildende Kunst Florenz hat ein großes und bedeutendes künstlerisches Erbe. Cimabue und Giotto, die „Väter“ der italienischen Malerei, lebten in Florenz sowie Arnolfo und Andrea Pisano. Weitere bedeutende Pioniere in Architektur und Skulptur waren Brunelleschi, Donatello und Masaccio, allesamt verbrachten sie große Zeit ihres künstlerischen Lebens in Florenz. Auch der Universalgelehrte Leonardo da Vinci gilt als einer der herausragendsten Denker und Erfinder seiner Zeit. Er verbrachte einen großen Teil seines Lebens in der Stadt. Die Kunst vieler Maler und Bildhauer wird in den zahlreichen Museen in Florenz ausgestellt, die vor allem in den Sommermonaten ausverkauft sind oder sich Schlangen mit stundenlangen Wartezeiten bilden. Die bekanntesten Museen sind die Uffizien und der Palazzo Pitti, mit einer herausragenden Sammlung. Musik Seit 1933 findet in Florenz das Opernfestival Maggio Musicale Fiorentino statt. Mit der Opera di Firenze gibt es ein Opernhaus, ferner ist die Stadt Sitz des "Orchestra Regionale Toscana". Sprache und Dialekt In Florenz wird Florentinisch (fiorentino) gesprochen. Florentinisch ist ein toskanischer Dialekt, der in vielen Teilen identisch mit dem Standarditalienischen ist, in der Aussprache aber Besonderheiten aufweist. Recht Im Jahr 1786 endeten mit Abschaffung von Todesstrafe und Folter durch Peter Leopold (1765 bis 1790 Großherzog der Toskana) diese Methoden in Florenz. Das Großherzogtum Toskana war damit der erste Staat der Welt, der die Todesstrafe abschaffte. Religion. Die Bevölkerung ist zu etwa 99 % römisch-katholisch, bedingt durch den wichtigen Sitz des Erzbischofs und der Bischofskirche Santa Maria del Fiore. Das Bistum Florenz bestand bereits zur Zeit des Römischen Reiches und wurde 1419 Erzbistum mit Sitz eines Metropoliten. Neben dem römisch-katholischen Erzbistum existieren mehrere Kirchen anderer christlicher Glaubensgemeinschaften sowie eine Synagoge und Moschee. Sehenswürdigkeiten. Die historische Altstadt von Florenz spiegelt die überragenden Leistungen der Stadt auf dem Gebiet der Architektur wider. Hierbei sind insbesondere zahllose Bauten von der Zeit der Protorenaissance bis zur Herrschaft der Medici im 15. und 16. Jahrhundert entstanden, die die enorme wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung der Stadt zu dieser Zeit belegen. Die Entstehung vieler Bauten der Stadt wurde dabei durch die Bankiers und Kaufleute der Stadt gefördert. Die florentinische Architektur ist insbesondere durch die zu Beginn des 15. Jahrhunderts durch Brunelleschi, Donatello und Masaccio formulierten Prinzipien der Renaissancearchitektur geprägt, die weit über die Stadt hinaus Bedeutung erlangt haben. Die historische Altstadt von Florenz wurde 1982 in das UNESCO-Welterbe aufgenommen, wobei es hierzu im Antrag heißt, dass „jede Rechtfertigung hierfür lächerlich und unverfroren“ sei, da sich hier die „weltgrößte Anhäufung universell bekannter Kunstwerke“ befinde. Plätze, Straßen und Brücken. Piazza della Signoria Zentrum der historischen Altstadt ist die Piazza della Signoria. Hier sandten die Florentiner Dante 1301 ins Exil, hier verbrannten sie 1497 auf Aufforderung des Girolamo Savonarola im „Fegefeuer der Eitelkeiten“ Schmuck, Kosmetika, Spiegel, Musikinstrumente und Ähnliches und im darauffolgenden Jahr nach päpstlichem Urteil Savonarola selbst. Auf dem Platz befand sich ursprünglich Michelangelos Statue David an der Frontseite des Palazzo Vecchio. Die Statue wurde jedoch mittlerweile durch eine Kopie ersetzt, das Original befindet sich in der Accademia di Belle Arti. Auf dem Platz befindet sich zudem Bartolomeo Ammanatis marmorner Neptunbrunnen. Er bildet den Endpunkt eines noch funktionsfähigen Aquädukts aus der Antike. Außer dem Palazzo Vecchio liegt die Loggia dei Lanzi an diesem wichtigsten Platz der Stadt. Piazza della Repubblica An der Stelle des römischen Zentrums liegt der Platz mit dem Triumphbogen. Er wurde geplant, als Florenz ab 1865 italienische Hauptstadt war und vor allem um 1890 historistisch gestaltet. Ponte Vecchio Die einzige Brücke, die den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstand, ist der Ponte Vecchio. Die das erste Mal von den Etruskern gebaute Brücke verbindet die Uffizien mit dem Palast der Medici. Sie zeichnet sich heute vor allem durch entlang ihrer beiden Brüstungsverläufe erbaute Schmuckläden aus, deren Baulichkeiten teils über die Brücke hinausragen. Kirchen. Zentrum der Florentiner Kirchen ist die romanisch-gotische Kathedrale Santa Maria del Fiore mit ihrer eindrucksvollen Kuppel von Filippo Brunelleschi. Die vom 12. bis 14. Jahrhundert gebaute Kirche steht Touristen offen. Zum Domkomplex gehören weiter der Campanile des Giotto südlich an der Kathedrale und das westlich vor der Kirche gelegene Baptisterium San Giovanni mit Paradiespforte. Wichtige Skulpturen aus der Kirche wie die Pietà Palestrina des Michelangelo sind im Dommuseum zu besichtigen. Die Basilica di San Lorenzo stammt in ihrer ersten Version von 390 (von Ambrosius geweiht) und wurde ab 1421 von Brunelleschi in den Formen der Frührenaissance umgebaut. Auf Grund zwischenzeitlichen Geldmangels ruhten die Bauarbeiten mehrfach. Die Ausführung der Pläne Brunelleschis konnte so erst nach seinem Tode vollendet werden, dennoch blieb die Fassade trotz eines spektakulären Entwurfs Michelangelos von 1518 bis heute unvollendet. An ihren Chor schließt sich zwischen den beiden Sakristeien des Brunelleschi und des Michelangelo die Medici-Kapelle an, die wie diese Grablegen der Familie Medici beherbergt. An einem Kreuzgang südlich der Kirche liegt die Biblioteca Medicea Laurenziana, gleichfalls nach Plänen des Michelangelo geschaffen. Paläste. Der Palazzo Pitti, gegenüber der Piazza della Signoria jenseits des Arno gelegen, beherbergt heute die ehemalige Privatsammlung der Medici. Angeschlossen an den Palast ist der Boboli-Garten mit eindrucksvoller Landschaftsgestaltung und vielen Skulpturen, dahinter das Belvedere, das einen Blick über die Stadt erlaubt. Unter den mittelalterlichen Palästen erwähnenswert sind ferner: Sehenswerte Renaissancepaläste sind: Wirtschaft. Der Hauptwirtschaftszweig von Florenz ist der Fremdenverkehr. In den Sommermonaten liegt die Zahl der Touristen deutlich über der der Florentiner. Die großen Museen der Stadt sind regelmäßig ausverkauft. Florenz beherbergt das Hauptquartier der Haute-couture-Firma Gucci, das damit eines der wenigen italienischen Modehäuser ist, das nicht in Mailand ansässig ist. Bedeutende Zweigstellen in Florenz oder der näheren Umgebung betreiben darüber hinaus auch Prada, Pucci, Ferragamo und Roberto Cavalli. Im Jahr 2008 stand die Stadt bezüglich des Durchschnittseinkommens auf Platz 17 von 119 italienischen Städten. Als Handelsstadt profitiert Florenz als größte Stadt der Toskana und kann so einen umfangreichen Weinhandel beherbergen. Kulinarisch ist Florenz auch für die Produktion von Cantuccini bekannt. Verkehr. Luftverkehr. Im Nordwesten von Florenz liegt der kleine internationale Flughafen Amerigo Vespucci, der unter anderem von Alitalia und Lufthansa angeflogen wird. Der Flughafen wird durch Buslinien und eine im Jahr 2019 eröffnete Straßenbahnlinie bedient. Die Linie 2 der Straßenbahn Florenz verbindet seit Februar 2019 den Flughafen mit dem Hauptbahnhof und der historischen Altstadt. Die Fahrtzeit zum Hauptbahnhof beträgt ca. 20 Minuten. Straße. Florenz liegt an den Autobahnen E45–A1 (Mailand–Rom) und A11 (Pisa–Florenz). Hinzu kommen verschiedene Schnellstraßen. Außerdem ist Florenz seit 1928 Knotenpunkt für Staatsstraßen: die von Rom kommende und endende SS2, die nach Bologna führende SS65, die nach Piteglio-La Lima führende SS66 und die die Stadt durchquerende SS67 Pisa–Porto Corsini. In der historischen Altstadt herrscht für auswärtige PKW und Mietwagen – außer für Anwohner und an Feiertagen – ein striktes Einfahrverbot (Zone mit beschränktem Verkehr, "zona a traffico limitato", kurz ZTL). An den Einfahrten in die Verkehrszone überprüfen Überwachungskameras – ähnlich wie in London – in Echtzeit anhand des Kennzeichens, ob eine Einfahrtsgenehmigung vorliegt oder nicht. Einfahrten ohne Genehmigung werden sofort mit hohen Geldstrafen geahndet. Eisenbahn. Durch Florenz verläuft die wichtigste Nord-Süd-Eisenbahnverbindung Italiens von Norditalien nach Rom und Neapel (Schnellfahrstrecke Bologna–Florenz und Direttissima Florenz–Rom) und damit auch die TEN-Achse Nr. 1 Berlin–Palermo. Nebst dem Hauptbahnhof Firenze S.M.N. gibt es noch zwei weitere Fernbahnhöfe auf Stadtgebiet, Campo di Marte und Rifredi. Es ist zudem geplant, mittelfristig einen neuen Hochgeschwindigkeitsbahnhof (Firenze Belfiore) zu bauen. Nahverkehr. Die erste Linie der Straßenbahn Florenz verbindet den Hauptbahnhof Firenze S.M.N. mit der Nachbarstadt Scandicci. Sie wurde am 14. Februar 2010 in Betrieb genommen und hat auf einer Länge von 7,8 Kilometern 14 Stationen. Die Stadt rechnete vor der Inbetriebnahme mit etwa 9,8 Millionen Fahrgästen im Jahr. Sie wird im Rahmen einer nach einer Ausschreibung zugeteilten Konzession mit einer Laufzeit von 30 Jahren von "RATP Dev", einer Filiale des Betreibers der Pariser Metro RATP betrieben und gewartet. Sport. Fußball. Der Fußballverein AC Florenz, italienisch ACF Fiorentina, auch einfach Fiorentina genannt, ist der größte Fußballverein in Florenz. Er wurde am 29. August 1926 von Luigi Rudolfi gegründet. Der Verein gewann zwei italienische Meisterschaften, zuletzt 1969, im Jahre 1961 den Europapokal der Pokalsieger und sechsmal den italienischen Pokal. Die Fiorentina stand als erster italienischer Verein 1957 im Finale des Europapokals der Landesmeister. Die Heimspiele werden im 1931 erbauten Stadio Comunale Artemio Franchi ausgetragen, in dem auch mehrere Spiele der Weltmeisterschaften 1934 und 1990 stattfanden. Bei der Europameisterschaft 1968 wurde ein Halbfinalspiel dort ausgetragen. Andere Fußballvereine in Florenz sind die Associazione Sportiva Dilettantistica Ponte Rondinella Marzocco, die in den 1980er Jahren in der Serie C gespielt hat und Polisportiva Firenze Ovest A.S.D., die an regionalen Amateurmeisterschaften teilgenommen haben. In Florenz befindet sich der Sitz der italienischen Lega Italiana Calcio Professionistico, besser bekannt als Lega Pro, welche die Meisterschaft der Serie C, den Coppa Italia Serie C, den Supercoppa di Serie C, den Campionato nazionale Dante Berretti und ab 2018 den Supercoppa Dante Berretti der dritten Profiliga des italienischen Fußballs organisiert. Bis 2014 organisierte der Verband auch die Lega Pro Seconda Divisione und den Supercoppa di Lega di Seconda Divisione. Im Bezirk Coverciano befindet sich das nationale Trainings- und Leistungszentrum der italienischen Fußballnationalmannschaft. Dort trainiert die italienische Nationalmannschaft in Vorbereitung auf die offiziellen Spiele der Weltmeisterschaften und Europameisterschaften. Calcio Storico. Eine besondere Tradition ist das Calcio Storico ("historischer Fußball"), auch Calcio Fiorentino genannt, ist eine frühe Mischform aus Fußball, Kampfsport und Rugby, die im Italien des 16. Jahrhunderts ihren Ursprung hatte und heute nur in Florenz gespielt wird. Einst weit verbreitet, soll der Sport auf der Piazza Santa Croce in Florenz begonnen haben. Dort wurde es als "giuoco del calcio fiorentino", das florentinische Kickspiel, bekannt. Das Spiel könnte als eine Wiederbelebung des griechisch-römischen Sports Harpaston begonnen haben. Persönlichkeiten. Bekannte Persönlichkeiten der Stadt sind in der "Liste von Persönlichkeiten der Stadt Florenz" aufgeführt. Städtepartnerschaften. Florenz unterhält mit folgenden Städten Partnerschaften: Filmproduktionen. Die folgende Liste zeigt eine Auswahl von komplett oder teilweise in Florenz gedrehten Filmen und Serien:
1648
568
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Francis William Aston
Francis William Aston (* 1. September 1877 in Harborne / seit 1891 zu Birmingham; † 20. November 1945 in Cambridge) war ein englischer Chemiker und Physiker sowie Nobelpreisträger (Chemie 1922). Leben und Wirken. Francis William Aston studierte nach Abschluss seiner Schulzeit zunächst Chemie. Die damaligen Entwicklungen in der Physik bewogen ihn, über ein Stipendium 1903 ein weiteres Studium der Physik an der Universität von Birmingham nahe seinem Geburtsort Harborne aufzunehmen, nach dessen Abschluss er sich auf die Physik der Gasentladungsröhre konzentrierte. Bei diesen Arbeiten entdeckte er während einer Glimmentladung direkt an der Kathode vor dem ersten Kathodenlichtsaum eine hauchfeine, dunkle Schicht, die nach ihm der „Astonsche Dunkelraum“ („Aston Dark Space“) benannt wurde. 1909 folgte er einer Einladung von Sir Joseph John Thomson an das Cavendish-Laboratorium in Cambridge und befasste sich dort mit der Identifizierung der Neonisotope. Dazu hielt er Vorlesungen am Trinity College. Seine Arbeiten wurden durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen, nach dessen Ende er 1919 wieder an seine Arbeiten zurückkehrte. Er entwickelte während seiner Forschung 1901 eine Methode der elektromagnetischen Fokussierung von Partikelstrahlen (elektromagnetischer Massenspektrograph), die zur Entwicklung des ersten Massenspektrometers (1918) führte. Mit dessen Hilfe identifizierte er mehr als 200 der 287 natürlich vorkommenden Isotope. Bereits 1919 postulierte er die extrem energiereiche Fusion von Wasserstoff zu Helium. 1922 erhielt er den Nobelpreis in Chemie „für seine Entdeckung von Isotopen, darunter weitgehend die nicht-radioaktiver Elemente unter Zuhilfenahme seines Massenspektrographen und für seine Formulierung der ‚Regel der Ganzzahligkeit‘.“ Diese Regel (Whole Number Rule – Ganzzahlregel), nach ihm auch die „Astonsche Regel“ oder „(Astonsche) Isotopenregel“ benannt, besagt: Chemische Elemente mit ungerader Ordnungszahl haben nie mehr als zwei stabile Isotope, solche mit gerader Ordnungszahl besitzen hingegen oft bedeutend mehr. Francis William Aston machte dies am Sauerstoffisotop 16O fest, indem er formulierte: „Bei definierter Masse des Sauerstoffisotops [16O] haben alle anderen Isotope [des Sauerstoffs] Massen, die ziemlich nahe ganzer Zahlen liegen.“ Bereits vor seiner Nobelpreisverleihung wurde er 1921 in die Royal Society aufgenommen. Seit Dezember 1924 war er auswärtiges korrespondierendes Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften. Herausragend unter seinen Veröffentlichungen sind die Werke "Isotopen" (Isotopes, 1922) und "Massenspektren und Isotopen" (Mass-Spectra and Isotopes, 1933). 1932 erhielt er den Liversidge Award der Royal Society of Chemistry, 1938 wurde ihm die Royal Medal der Royal Society verliehen. Zu seinen Ehren wurde der Mondkrater „Aston“ sowie die Version 1.0 der Software OpenChrom benannt.
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Liste der Fourier-Transformationen
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Fourier-Analysis
Die Fourier-Analysis (Aussprache: ), die auch als Fourier-Analyse oder klassische harmonische Analyse bekannt ist, ist die Theorie der Fourierreihen und Fourier-Integrale. Sie wird vor allem verwendet, um zeitliche Signale in ihre Frequenzanteile zu zerlegen. Aus der Summe dieser Frequenzanteile lässt sich das Signal wieder rekonstruieren. Ihre Ursprünge reichen in das 18. Jahrhundert zurück. Benannt ist sie nach dem französischen Mathematiker Jean Baptiste Joseph Fourier, der im Jahr 1822 in seiner "Théorie analytique de la chaleur" Fourier-Reihen untersuchte. Die Fourier-Analysis ist in vielen Wissenschafts- und Technikzweigen von außerordentlicher praktischer Bedeutung. Die Anwendungen reichen von der Physik (Akustik, Optik, Gezeiten, Astrophysik) über viele Teilgebiete der Mathematik (Zahlentheorie, Statistik, Kombinatorik und Wahrscheinlichkeitstheorie), die Signalverarbeitung und Kryptographie bis zu Meereskunde und Wirtschaftswissenschaften. Je nach Anwendungszweig erfährt die Zerlegung vielerlei Interpretationen. In der Akustik ist sie beispielsweise die Frequenz-Transformation des Schalls in Oberschwingungen. Aus Sicht der abstrakten harmonischen Analyse sind sowohl die Fourier-Reihen und die Fourier-Integrale als auch die Laplace-Transformation, die Mellin-Transformation oder auch die Hadamard-Transformation Spezialfälle einer allgemeineren (Fourier-)Transformation. Die Fourier-Analysis ist jedoch nicht auf zeitliche Signale begrenzt. Sie kann sinngemäß auch bei örtlichen oder anderen Phänomenen verwendet werden. Z. B.: In der Bildverarbeitung wird eine 2-dimensionale Fourier-Analyse verwendet (siehe den entsprechenden Absatz in „Diskrete Fourier-Transformation“). Und die Fourier-Analyse kann auch auf Fourier-Spektren selbst angewendet werden, um Periodizitäten in Spektren oder andere Regelmäßigkeiten zu erkennen (siehe: Cepstrum, Hilbert-Transformation). Varianten der Fourier-Transformation. Die verschiedenen Begriffe in diesem Zusammenhang werden in der Literatur nicht einheitlich gebraucht und es existieren mehrere Namen für den gleichen Vorgang. So nutzt man Fourier-Transformation sehr oft als Synonym der kontinuierlichen Fourier-Transformation, und mit Fourier-Analyse wird oft die Zerlegung in eine Fourier-Reihe gemeint, manchmal aber auch die kontinuierliche Transformation. Je nach den Eigenschaften der zu untersuchenden Funktion gibt es vier Varianten, wie in nebenstehender Abbildung dargestellt: Man erhält bei allen Transformationen ein Frequenzspektrum, das je nach Variante diskret (unendlich scharfe Linien) oder kontinuierlich ist: Fourierreihen. Jede stetig differenzierbare Funktion, die auf dem Intervall formula_1 definiert ist, lässt sich in eine Fourierreihe entwickeln, das heißt, beide Seiten der Transformation existieren. Mit der Grundfrequenz formula_2 und den Kreisfrequenzen formula_3 gilt: Es können allgemeinere Typen von Funktionen in eine Fourier-Reihe entwickelt werden, so abschnittsweise stetige, beschränkte Funktionen oder allgemeiner messbare quadratintegrable Funktionen. Sprungstellenverfahren für Polygonzüge. Bei einem periodischen Polygonzug formula_5 (Punkte durch gerade Linien verbunden) liefern die Knick- und eventuell vorhandene Sprungstellen die Beiträge zu den Fourierkoeffizienten Mit diesen und dem Mittelwert einer Periode lässt sich die Ausgangsfunktion als die harmonische Summe synthetisieren. Die Abszissen formula_10 der formula_11 Stützwerte formula_12 (bei Sprüngen: Stützwertpaare formula_13 und formula_14) müssen in derselben Periode liegen, aufsteigend geordnet sein und formula_15 erfüllen. Die Wertsprünge an den formula_17 Sprungstellen werden jeweils als Differenz ihres rechts- und linksseitigen Grenzwerts formula_14 bzw. formula_19 berechnet, die Ableitungssprünge an den formula_21 Knickstellen analog als Differenz der rechts- und linksseitigen ersten Ableitung. Die Koeffizienten formula_22 betragen das formula_23-fache der formula_24-Werte; bei dieser Eichung der Fourierkoeffizienten sind die Amplituden der Harmonischen "gleich" den Beträgen von formula_22. Kontinuierliche Fourier-Transformation. Die kontinuierliche Fourier-Transformation ist definiert durch Die Rücktransformation lautet dazu: In der Literatur findet man auch andere Definitionen, die als Vorfaktor statt formula_28 nur formula_29 oder 1 haben. Dies hängt von den jeweils verwendeten Normierungskonventionen ab. Die hier verwendete Variante hat den ästhetischen Vorteil, dass der Vorfaktor bei Hin- und Rücktransformation gleich ist. Außerdem vereinfacht sie die Darstellung des Satzes von Parseval: Diese Bedingung ist zum Beispiel in der Physik wichtig für die Energieerhaltung durch die Fourier-Transformation. Mathematisch gesehen bedeutet die Gleichung, dass die Fourier-Transformation eine unitäre Abbildung ist, was unter anderem in der Quantenmechanik fundamental ist. Manchmal, zum Beispiel in der Signaltheorie, bevorzugt man die – ebenfalls energieerhaltende – Version der Fourier-Transformation, bei der die – auch "Spektralfunktion" genannte – Fourier-Transformierte von der Frequenz statt der Winkelgeschwindigkeit abhängt: Die Beziehung zwischen beiden Arten der Fourier-Transformation wird durch formula_32 vermittelt. Die Rücktransformation lautet dann Da hier über die Variable formula_34 statt formula_35 integriert wird, entfällt in dieser Darstellungsform der Vorfaktor. Diskrete Fourier-Transformation. Es gibt keine Einschränkungen in der Anwendung der Transformation und der Entwicklungsformel. Sind formula_36 positive Zahlen mit formula_37, und sind formula_38 beliebige ganzzahlige Verschiebungen, so kann eine allgemeinere Variante der Transformationsformeln angegeben werden. Mit formula_39 und formula_3 gilt und Zur Berechnung der diskreten Fourier-Transformation wird oft die schnelle Fourier-Transformation (FFT) verwendet, ein Algorithmus, bei dem die Anzahl der Rechenschritte zur Berechnung der Fourier-Koeffizienten wesentlich kleiner ist als bei einer direkten Implementation der Integration. Fourier-Synthese. Alle Transformationen, die in der Fourier-Analysis betrachtet werden, haben die Eigenschaft, dass eine entsprechende inverse Transformation existiert. In den Ingenieurwissenschaften, der Physik und der numerischen Mathematik nennt man das Zerlegen einer Funktion in ihr Spektrum ebenfalls Fourier-Analyse. Der Begriff beschreibt also nicht nur dieses Teilgebiet der Funktionalanalysis, sondern auch den Prozess der Zerlegung einer Funktion. Das Darstellen der Ausgangsfunktion mit Hilfe des Spektrums aus der Fourier-Analyse wird als Fourier-Synthese bezeichnet. Da diese Begriffsbildung besonders in den angewandten Wissenschaften üblich ist, tritt diese auch eher im Zusammenhang mit der diskreten Fourier-Transformation und der schnellen Fourier-Transformation auf. Anwendungen. Die Fouriertransformation besitzt vor allem in den Ingenieurwissenschaften, wie der Signalverarbeitung und in der Physik, bedeutende Anwendungsbereiche. "(siehe auch Fourier-Transformation#Anwendungsfälle)" Einer der ersten Anwendungen der Fourier-Analysis waren Modelle zur Vorhersage der Gezeiten im 19. Jahrhundert. Die Gezeiten hängen von mehreren oszillierenden Phänomenen ab, wie der Rotation der Erde gegenüber Sonne und Mond, und eignen sich daher von Natur aus für eine Fourier-Analysis. Basierend auf diesen Modellen wurden Gezeitenrechenmaschinen entwickelt. Je nach Anwendung werden auch spezielle Begriffe und Nomenklaturen verwendet: In technisch motivierten Anwendungen wird der Bezug zwischen dem Zeitbereich mit der Originalfunktion formula_5 und dem Frequenzbereich mit der Bildfunktion formula_44 auch mit folgender Symbolik dargestellt: In der Physik stellt die Fouriertransformation in der Wellenmechanik die Verknüpfung zwischen Zeitbereich und Frequenzraum dar. Werden statt Zeitsignale Signale als Funktion des Ortes betrachtet, stellt die Fouriertransformation eine Verknüpfung zwischen dem Ortsraum und den im Frequenzraum vorhandenen Ortsfrequenzen bzw. Wellenzahlen dar. In mehreren Dimensionen werden die Wellenzahlen in Form von Wellenvektoren beschrieben. In der Kristallographie heißt der zum Ortsraum reziproke Frequenzraum reziproker Raum. In der Quantenmechanik entsprechen, bis auf einen Proportionalitätsfaktor, die Wellenzahlen dem Impuls des Teilchens, woraus sich ein Zusammenhang mit der heisenbergschen Unschärferelation ergibt. Da Orts- und Impulsraum durch die Fouriertransformation verknüpft sind, führt die Verknüpfung der Ausdehnungen zu einer Unschärfe. Analog ergibt sich auch die Energie-Zeit-Unschärfe aus der Fouriertransformation, wobei hier die Frequenz bis auf den Proportionalitätsfaktor der Energie entspricht und somit eine Verknüpfung von Energie und Zeit durch die Fouriertransformation gegeben ist, die zu einer Unschärfe führt. Geschichte. Schon ab 1740 diskutierten Mathematiker wie Daniel Bernoulli und d’Alembert die Möglichkeit, periodische Funktionen als trigonometrische Reihen darzustellen. Die heute bekannte Reihenentwicklung für periodische Funktionen geht auf den französischen Mathematiker Fourier zurück. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts veröffentlichte er sein Werk "Théorie analytique de la chaleur", in dem er davon ausgeht, dass jede Funktion in eine trigonometrische Reihe entwickelt werden könne. Er benutzte diese Reihen insbesondere zum Lösen der Wärmeleitungsgleichung. In diesem Werk führte er auch die kontinuierliche Fourier-Transformation in Form einer Kosinus-Transformation ein. Mit dieser versuchte er, die Wärmeleitungsgleichung auf unbeschränkten Mengen, insbesondere auf der reellen Achse, zu lösen. Peter Gustav Lejeune Dirichlet untersuchte diese trigonometrischen Reihen, die heute Fourier-Reihen heißen, weiter und konnte erste Konvergenzeigenschaften beweisen. So konnte er 1829 zeigen, dass die Fourier-Reihe punktweise konvergiert, wenn die Ausgangsfunktion Lipschitz-stetig ist. Zur exakten Berechnung der Fourier-Koeffizienten führte Bernhard Riemann dann seinen Integralbegriff ein und entdeckte 1853 das Lokalisationsprinzip. Das besagt, dass die Konvergenz beziehungsweise Divergenz sowie gegebenenfalls der Wert der Fourier-Reihe einer Funktion formula_46 bei formula_47 durch das Verhalten von formula_46 in einer beliebig kleinen Umgebung von formula_47 eindeutig bestimmt ist. Erst 1876 fand Paul Du Bois-Reymond eine stetige Funktion, deren Fourier-Reihe nicht punktweise konvergiert. In seinem Satz konnte Fejér 1904 jedoch zeigen, dass die Fourier-Reihe für jede stetige Funktion im arithmetischen Mittel konvergiert. Im Jahr 1915 warf Nikolai Nikolajewitsch Lusin die Frage auf, ob die Fourier-Reihe für jede Funktion formula_50 konvergiert. Dies konnte erst 1968 von Lennart Carleson positiv beantwortet werden und Hunt verallgemeinerte 1968 das Ergebnis auf Funktionen formula_51 mit formula_52. Die Voraussetzung formula_52 ist allerdings wesentlich, wie das Beispiel einer integrierbaren Funktion mit überall divergenter Fourier-Reihe, das Kolmogorow 1926 fand, zeigt. Da die Fourier-Transformation auch außerhalb der Mathematik einen großen Anwendungsbereich hat, ist man an einem Algorithmus interessiert, mit dem ein Computer die Fourier-Koeffizienten mit möglichst wenig Aufwand berechnen kann. Solche Verfahren nennt man Schnelle Fourier-Transformation. Der bekannteste Algorithmus stammt von James Cooley und John W. Tukey, die ihn 1965 veröffentlichten. Jedoch wurde ein Algorithmus schon 1805 von Carl Friedrich Gauß entwickelt. Er benutzte ihn zur Berechnung der Flugbahnen der Asteroiden (2) Pallas und (3) Juno. Zum ersten Male wurde eine Variante des Algorithmus von Carl Runge im Jahre 1903 beziehungsweise 1905 veröffentlicht. Darüber hinaus wurden vor Cooley und Tukey schon eingeschränkte Varianten der schnellen Fourier-Transformation veröffentlicht. So hat zum Beispiel Irving John Good 1960 ebenfalls einen solchen Algorithmus veröffentlicht. Mathematische Motivation. Mathematische Grundlagen. Wir betrachten stetige, von der Zeit formula_54 reell abhängige Funktionen bzw. Vorgänge (z. B. als vektorwertige Funktionen) formula_55, die sich nach einer Zeit formula_56 wiederholen, also periodisch mit Periode formula_56 sind, formula_58. Joseph Fourier postulierte in seiner Arbeit, dass sich formula_46 aus periodischen, harmonischen Schwingungen, also Sinus- oder Kosinusfunktionen, verschiedener Phase und Amplitude und genau definierter Frequenz zusammensetzen lässt. Betrachten wir eine solche zusammengesetzte Funktion mit formula_60 Summanden: Die einzelnen Schwingungen haben die Kreisfrequenz formula_62, also die Frequenz formula_63. Damit hat die erste Schwingung (Grundschwingung) die Frequenz formula_64, die nächsten formula_65, formula_66, … Weil ein Sinus nur ein phasenverschobener Kosinus ist, konnte die Reihendarstellung auf Kosinus-Funktionen beschränkt werden. Wir erhalten sofort auch die Sinusterme, wenn wir die Additionstheoreme benutzen: Zusammen mit formula_68 erhalten wir eine phasenfreie Darstellung Im nächsten Schritt soll die Summe mit Hilfe komplexer Zahlen umgeschrieben werden. Es sind dann komplexe Koeffizienten erlaubt, und die Reihe wird komplexwertig. Sofern reellwertige Funktionen betrachtet werden, kann diese als Realteil der Summe zurückgewonnen werden. Aus der Euler-Formel oder auch nach der Definition der trigonometrischen Funktionen mit der Exponentialfunktion folgt somit Mit den komplexen Koeffizienten formula_73, formula_74 und formula_75 für "n>0" erhalten wir eine Summe mit auch negativen Indizes Fourier-Reihe. Wir kennen jetzt also die trigonometrische Summe in verschiedenen Darstellungen. Es war aber gefragt, eine periodische stetige Funktion mittels solch einer Summe zu approximieren. Dazu stellen wir fest, dass die komplexen Koeffizienten formula_77, und damit auch die der anderen Darstellungen, sich aus der Summenfunktion zurückgewinnen lassen. Dazu wird die obige Gleichung mit formula_78 multipliziert und sodann auf beiden Seiten über dem Intervall formula_1, d. h. über eine Periode integriert. Mit Umformungen erreicht man folgende Aussage: Daraus folgt Für das formula_11-te Integral auf der rechten Seite gilt: Es liefert also nur der Summand für n=0 einen Beitrag, es vereinfacht sich das Integral also zu Wir können nun versuchen, die trigonometrische Summe durch eine beliebige stetige periodische Funktion "f" zu ersetzen, die Koeffizienten nach obigen Formeln zu bestimmen und die mit diesen Koeffizienten gebildeten trigonometrischen Summen mit der Ausgangsfunktion vergleichen: Mit dem Dirichlet-Kern Aperiodische Vorgänge (Fourier-Integral). Voraussetzung für die hergeleitete Fourier-Reihe ist die Periodizität von formula_55 über dem Zeitintervall formula_56. Selbstverständlich gibt es auch nichtperiodische Funktionen, die diese Voraussetzung für kein endliches Zeitintervall erfüllen. Wie schon gezeigt, hat die formula_11-te Oberschwingung die Frequenz formula_91. Die Differenz der formula_11-ten Oberfrequenz von der vorherigen ist formula_93, das heißt, die Oberfrequenzen haben den Abstand formula_64. Für formula_56 gegen unendlich geht ihr Abstand gegen Null – die Summe wird im Grenzfall zum Riemann-Integral. Das Fourier-Integral, die kontinuierliche Fourier-Transformation, ist also gegeben durch mit Aus der Folge formula_98 ist nun das kontinuierliche Spektrum formula_99 geworden. Man bezeichnet genau genommen die zweite Transformation als Fourier-Transformation, die erste, deren inverse, ist die Fourier-Synthese. Die zweite Gleichung kann analog wie für die Reihe hergeleitet werden. Das angegebene Beziehungspaar gilt u. a. erneut für quadratintegrierbare Funktionen. Differentialgleichungen. Die Fourier-Transformation wird oft eingesetzt, um Differentialgleichungen zu lösen. Denn die formula_100 bzw. die formula_101 sind Eigenfunktionen der Differentiation, und die Transformation wandelt lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten in normale algebraische Gleichungen um. So ist zum Beispiel in einem linearen zeitinvarianten physikalischen System die Frequenz eine Erhaltungsgröße, und das Verhalten kann für jede Frequenz einzeln gelöst werden. Die Anwendung der Fourier-Transformation auf die Differentialgleichung ergibt den Frequenzgang des Systems. Abstrakte harmonische Analyse. Die abstrakte harmonische Analyse ist die Weiterentwicklung der Fourier-Analysis auf lokalkompakte topologische Gruppen. Auf diesen Gruppen kann man mit Hilfe des Haar-Maßes, das das Lebesgue-Maß als Spezialfall umfasst, ein Integral definieren. Zentral in der abstrakten harmonischen Analyse ist der Begriff der Charakters, der von Lew Semjonowitsch Pontrjagin eingeführt wurde. Das ist ein stetiger Gruppenhomomorphismus formula_102 von der lokalkompakten, abelschen Gruppe formula_103 in die Sphäre. In Analogie zu linearen Funktionalen und den Dualräumen bilden ihre Gesamtheit die Dualgruppe formula_104. Der Begriff Dualgruppe wird durch den Dualitätssatz von Pontrjagin gerechtfertigt. Aus Sicht der abstrakten harmonischen Analyse versteht man dann unter der Abbildung die Fourier-Transformation. Wählt man formula_106 und formula_107 so ist formula_108 und man erhält die klassische kontinuierliche Fourier-Transformation. In der abstrakten harmonischen Analyse gibt es genauso wie in der klassischen Fourier-Analysis für diese Transformation auch eine Rücktransformation. Außerdem umfasst diese abstrakte Fourier-Transformation auch die Fourier-Reihe sowie die Laplace-Transformation, die Mellin-Transformation und andere Transformationen als Spezialfälle.
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Funktion (Mathematik)
In der Mathematik ist eine Funktion () oder Abbildung eine Beziehung (Relation) zwischen zwei Mengen, die jedem Element der einen Menge (Funktionsargument, unabhängige Variable, formula_1-Wert) genau ein Element der anderen Menge (Funktionswert, abhängige Variable, formula_2-Wert) zuordnet. Der Funktionsbegriff wird in der Literatur unterschiedlich definiert, jedoch geht man generell von der Vorstellung aus, dass Funktionen mathematischen Objekten mathematische Objekte zuordnen, zum Beispiel jeder reellen Zahl deren Quadrat. Das Konzept der Funktion oder Abbildung nimmt in der modernen Mathematik eine zentrale Stellung ein; es enthält als Spezialfälle unter anderem parametrische Kurven, Skalar- und Vektorfelder, Transformationen, Operationen, Operatoren und vieles mehr. Begriffsgeschichte. Erste Ansätze zu einer impliziten Verwendung des Funktionsbegriffs in Tabellenform (Schattenlänge abhängig von der Tageszeit, Sehnenlängen abhängig vom Zentriwinkel etc.) sind bereits in der Antike zu erkennen. Den ersten Beleg einer expliziten Definition des Funktionsbegriffs findet man bei Nikolaus von Oresme, der im 14. Jahrhundert Abhängigkeiten sich ändernder Größen (Wärme, Bewegung etc.) graphisch durch senkrecht aufeinander stehende Strecken (longitudo, latitudo) darstellte. Am Beginn des Prozesses zur Entwicklung des Funktionsbegriffs stehen Descartes und Fermat, die mit Hilfe der von Vieta eingeführten Variablen die analytische Methode der Einführung von Funktionen entwickelten. Funktionale Abhängigkeiten sollten durch Gleichungen wie zum Beispiel formula_3 dargestellt werden. In der Schulmathematik wurde dieser naive Funktionsbegriff bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts beibehalten. Die erste Umschreibung des Funktionsbegriffs nach dieser Idee stammt von Gregory in seinem 1667 erschienenen Buch "Vera circuli et hyperbolae quadratura." Der Begriff "Funktion" kommt wohl erstmals 1673 in einem Manuskript von Leibniz vor, der in seiner Abhandlung von 1692 "De linea ex lineis numero infinitis ordinatim ductis" auch die Begriffe „Konstante“, „Variable“, „Ordinate“ und „Abszisse“ benutzt. Im Schriftwechsel zwischen Leibniz und Johann I Bernoulli wird der Funktionsbegriff von der Geometrie losgelöst und in die Algebra übertragen. In Beiträgen von 1706, 1708 und 1718 stellt Bernoulli diese Entwicklung dar. 1748 präzisiert Leonhard Euler, ein Schüler Johann Bernoullis, in seinem Buch "Introductio in analysin infinitorum" den Funktionsbegriff weiter. Bei Euler findet man zwei verschiedene Erklärungen des Funktionsbegriffs: Zum einen stellt jeder „analytische Ausdruck“ in formula_1 eine Funktion dar, zum anderen wird formula_5 im Koordinatensystem durch eine freihändig gezeichnete Kurve definiert. 1755 formuliert er diese Vorstellungen ohne Verwendung des Terminus „analytischer Ausdruck“ um. Außerdem führte er bereits 1734 die Schreibweise formula_6 ein. Er unterscheidet zwischen eindeutigen und mehrdeutigen Funktionen. Bei Euler ist damit auch die Umkehrung der Normalparabel, bei der jeder nicht-negativen reellen Zahl sowohl ihre positive als auch ihre negative Wurzel zugeordnet wird, als Funktion zugelassen. Für Lagrange sind nur Funktionen zulässig, die durch Potenzreihen definiert sind, wie er 1797 in seiner "Théorie des fonctions analytiques" festlegt. Eine fruchtbare Auseinandersetzung über das Bewegungsgesetz einer schwingenden Saite, zu dem d’Alembert 1747, Euler 1748 und Daniel Bernoulli 1753 unterschiedliche Lösungen vorstellten, führte zur Entdeckung der "Definitionsmenge" und einem weiter präzisierten Funktionsbegriff, in dem schon so etwas wie eindeutige Zuordnung umschrieben wird, durch Fourier in seinem 1822 erschienenen Buch "Théorie analytique de la chaleur." Ähnliches formuliert Cauchy 1823 in "Résumé des leçons … sur le calcul infinitésimal." Als die Analysis im 19. Jahrhundert mit einem exakten Grenzwertbegriff auf eine neue Grundlage gestellt wurde, wurden Eigenschaften, die bisher als für Funktionen konstituierend aufgefasst wurden, in einem Exaktifizierungsprozess als selbständige Begriffe eingeführt und vom Funktionsbegriff losgelöst. Dirichlet, ein Schüler Fouriers, formulierte diese neue Sicht: „Ideen an die Stelle von Rechnungen“ und stellte 1837 seine Ideen dar. Stokes führte in Arbeiten 1848 und 1849 ähnliche Ansichten aus. So verfuhr Riemann, Schüler von Dirichlet, 1851 in "Grundlagen für eine allgemeine Theorie der Functionen einer veränderlichen complexen Größe" mit der Stetigkeit, später folgten Integrierbarkeit und Differenzierbarkeit. Eine Zusammenfassung dieser Entwicklung macht Hankel 1870 in "Untersuchungen über die unendlich oft oscillierenden und unstetigen Functionen." Auch hier wird noch nicht zwischen der Funktion formula_7 und dem Funktionswert formula_6 an der Stelle formula_1 unterschieden. Weierstraß, Dedekind und andere entdeckten, dass Grenzwerte unendlicher Folgen „klassischer“ Funktionen sprunghaft sein können und sich nicht immer durch „geschlossene“ Formeln, d. h. mit endlich vielen Rechenoperationen, ausdrücken lassen. Das erzwang eine schrittweise Ausweitung des Funktionsbegriffs. Davon unabhängig wurde im 19. Jahrhundert die Gruppentheorie begründet, mit der man systematisch untersuchen kann, wie sich algebraische Gleichungen unter der Wirkung aufeinanderfolgender Transformationen verändern. Bei der Anwendung dieser Theorie auf geometrische Probleme wurden gleichbedeutend mit "Transformation" auch die Begriffe "Bewegung" und "Abbildung" gebraucht. Als Anfang des 20. Jahrhunderts die Grundlagen der Mathematik einheitlich in der Sprache der Mengenlehre formuliert wurden, stellten sich die mathematischen Begriffe "Funktion" und "Abbildung" als deckungsgleich heraus. Im Sprachgebrauch wirken die unterschiedlichen Traditionen jedoch fort. In der Analysis spricht man heute häufig noch von Funktionen, während man in der Algebra und in der Geometrie von Abbildungen spricht. Einige Mathematiker unterscheiden auch heute noch streng zwischen einer Abbildung und einer Funktion. Diese verstehen unter einer Funktion eine Abbildung in den reellen oder komplexen Zahlenkörper (formula_10 bzw. formula_11) oder auch Potenzen davon (formula_12 bzw. formula_13), andererseits ist es in der Booleschen Algebra gebräuchlich, von Booleschen Funktionen zu sprechen. Weitere Synonyme für "Funktion" in spezielleren Zusammenhängen sind unter anderem Operator in der Analysis, Operation, Verknüpfung und (etwas verallgemeinert) Morphismus in der Algebra. Heute sehen manche Autoren den Funktionsbegriff (genauso wie den Relationsbegriff) nicht unbedingt als auf Mengen beschränkt an, sondern lassen jede aus geordneten Paaren bestehende Klasse, die keine verschiedenen Elemente mit gleicher linker Komponente enthält, als Funktion gelten. Mengentheoretisch ausgedrückt werden Funktionen also als "rechtseindeutige Relationen" definiert. Definition. Grundidee. Eine Funktion formula_7 ordnet "jedem" Element formula_1 einer Definitionsmenge formula_16 "genau ein" Element formula_2 einer Zielmenge formula_18 zu. Schreibweise: Für das dem Element formula_21 zugeordnete Element der Zielmenge schreibt man im Allgemeinen formula_6. Anmerkungen: Mengentheoretische Definition. Mengentheoretisch ist eine Funktion eine spezielle Relation: Die letzten beiden Eigenschaften lassen sich auch wie folgt zusammenfassen: Oft möchte man aber auch die Zielmenge explizit zu einem Teil der Funktion machen, zum Beispiel um Aussagen zur Surjektivität (als eine Eigenschaft der betrachteten Funktion selbst) anstellen zu können: formula_71 wird dann auch der Graph der Funktion formula_7 genannt. Die Definitionsmenge formula_16 der Funktion ist dabei durch ihren Graphen eindeutig bestimmt und besteht aus den ersten Komponenten aller Elemente des Graphen. Stimmen zwei Funktionen in ihren Graphen überein, so sagt man auch, sie seien im Wesentlichen gleich. Insbesondere ist jede Funktion formula_59 im Wesentlichen gleich mit der surjektiven Funktion formula_76 mit der Bildmenge formula_77. Oft empfiehlt es sich, auch noch die Definitionsmenge hinzuzunehmen und eine Funktion entsprechend als ein Tripel formula_78 zu definieren. Diese Definition stimmt dann überein mit der entsprechenden ausführlichen Definition bei Relationen, sodass auch Multifunktionen und partielle Funktionen auf gleiche Weise erfasst sind. Notation. Schreibweisen. Eine Zuordnung kann unter anderem in einer der folgenden Formen beschrieben werden: Sprechweisen. Für die Zuordnung eines Funktionswertes formula_2 zu einem Argument formula_1 gibt es eine Reihe verschiedener Sprech- oder ausführlicher Schreibweisen, die alle mehr oder weniger gleichwertig sind und vor allem in Abhängigkeit von dem, was vordergründig ausgedrückt werden soll, vom jeweiligen Kontext, der benutzten Symbolik und auch vom Geschmack des Sprechers (Schreibers) gewählt werden. Hier einige Beispiele: Davon zu unterscheiden ist die Sprech- und Schreibweise: „formula_2 ist eine Funktion von formula_1“, die vor allem in der Physik sehr nahestehenden Bereichen der Mathematik auftaucht. Sie ist die ältere und ursprüngliche Sprech- und Schreibweise und beschreibt die Abhängigkeit einer Variablen formula_2 von einer anderen Variablen formula_1, im Gegensatz dazu, dass mit Hilfe der Variablen formula_1 und formula_2 (stellvertretend) die Zuordnung bestimmter Elemente von Mengen beschrieben wird. Die „physikalische“ Sprechweise stammt von dem Vorgehen, zunächst zwei veränderlichen Größen (der physikalischen Realität) Symbole, nämlich die Variablen formula_1 und formula_2, zuzuordnen und "danach" deren Abhängigkeit festzustellen. Steht beispielsweise formula_2 für die Raumtemperatur und formula_1 für die Zeit, so wird man feststellen können, dass sich die Raumtemperatur in Abhängigkeit von der Zeit ändert und somit „die Raumtemperatur eine Funktion der Zeit ist“ oder stellvertretend „formula_2 eine Funktion von formula_1 ist.“ Statt "Definitionsmenge" formula_16 wird auch "Definitionsbereich, Urbildmenge" oder schlicht "Urbild" gesagt. Die Elemente von formula_16 heißen "Funktionsargumente, Funktionsstellen" oder "Urbilder," salopp auch "formula_1-Werte." Die Elemente der Zielmenge formula_18 heißen "Zielwerte" oder "Zielelemente," salopp auch "formula_2-Werte." Diejenigen Elemente von formula_18, die tatsächlich auch als Bild eines Arguments auftreten, heißen "Funktionswerte, Bildelemente" oder schlicht "Bilder." Sie bilden die "Wertemenge" oder den "Wertebereich," der oft nur eine echte Teilmenge von formula_18 ist. Darstellung. Eine Funktion formula_120, kann man visualisieren, indem man ihren Graphen in ein (zweidimensionales) Koordinatensystem zeichnet. Der Funktionsgraph einer Funktion formula_7 kann mathematisch definiert werden als die Menge aller Elementepaare formula_43, für die formula_123 ist. Der Graph einer stetigen Funktion auf einem zusammenhängenden Intervall bildet eine zusammenhängende Kurve (genauer: Die Menge der Punkte der Kurve, aufgefasst als Unterraum des topologischen Raumes formula_124 ist zusammenhängend). Analog kann man Funktionen formula_125 und formula_126 visualisieren, indem man sie in ein dreidimensionales Koordinatensystem zeichnet. Ist formula_7 stetig, so ergibt sich eine Kurve (die auch Ecken haben kann), die sich durch das Koordinatensystem „schlängelt“. Ist formula_128 stetig, so ergibt sich eine Fläche als Bild, typischerweise in Form einer „Gebirgslandschaft“. Computerprogramme zur Darstellung von Funktionen heißen Funktionenplotter. Funktionsprogramme gehören auch zum Funktionsumfang von Computeralgebrasystemen (CAS), matrizenfähigen Programmierumgebungen wie MATLAB, Scilab, GNU Octave und anderen Systemen. Die wesentlichen Fähigkeiten eines Funktionenplotters sind auch auf einem graphikfähigen Taschenrechner verfügbar. Es gibt auch Web-gestützte Angebote, die nur einen aktuellen Browser benötigen. Grundeigenschaften. Bild und Urbild. Das Bild eines Elements formula_1 der Definitionsmenge ist einfach der Funktionswert formula_6. Das Bild einer Funktion ist die Menge der Bilder aller Elemente der Definitionsmenge formula_16, also Das Bild einer Funktion ist folglich eine Teilmenge der Zielmenge und wird "Bild-" oder "Wertemenge" genannt. Ist allgemeiner formula_133 eine Teilmenge von formula_16, dann ist das Bild von formula_133 unter der Funktion formula_7. Das Urbild eines Elements formula_2 der Zielmenge formula_18 ist die Menge aller Elemente der Definitionsmenge, deren Bild formula_2 ist. Es ist (formula_142 ist im Allgemeinen keine eindeutige Funktion, sondern eine Multifunktion, zur Schreibweise formula_143 siehe dort sowie bei Relation (Mathematik)#Relationen und Funktionen und Korrespondenz (Mathematik)). Oft werden diese "Fasern" einfach mit formula_144 bezeichnet, was aber im Fall (eindeutig) umkehrbarer Funktionen einerseits "x", andererseits {"x"} bezeichnet. Das Urbild einer Teilmenge formula_145 der Zielmenge ist die Menge aller Elemente der Definitionsmenge, deren Bild Element dieser Teilmenge ist: Stelligkeit. Eine Funktion formula_152, deren Definitionsmenge formula_16 eine Produktmenge formula_154 ist, heißt oft "zweistellig." Den Wert von formula_7, der bei Anwendung von formula_7 auf das Paar formula_157 erhalten wird, schreibt man (unter Weglassung eines Klammernpaares) als formula_158. Analoges gilt für höhere Stelligkeiten. Eine Funktion formula_159 bezeichnet man üblicherweise als "dreistellig." Eine Funktion, deren Definitionsmenge keine Produktmenge ist (oder bei der die innere Struktur der Definitionsmenge keine Rolle spielt), bezeichnet man als "einstellig." Unter einer nullstelligen Funktion versteht man eine Funktion, deren Definitionsmenge das leere Produkt formula_160 ist, bei einem beliebigen Funktionswert. Daher können nullstellige Funktionen als Konstanten aufgefasst werden, was bei algebraischen Strukturen (wie auch bei heterogenen Algebren) Anwendung findet. Statt nullstellig, einstellig, zweistellig, dreistellig sagt man auch oft unär, binär, ternär; Stelligkeit wird daher auch als „Arität“ (englisch: arity) bezeichnet. Menge der Funktionen. Mit formula_161 oder formula_162 wird die Menge aller Abbildungen von formula_16 nach formula_18 bezeichnet: Für die Mächtigkeit gilt: Operationen. Einschränkung. Die Einschränkung einer Funktion formula_167 auf eine Teilmenge formula_168 der Definitionsmenge formula_169 ist die Funktion formula_170, deren Graph durch gegeben ist. Umkehrfunktion. Zu jeder bijektiven Funktion formula_167 gibt es eine Umkehrfunktion sodass formula_144 das eindeutig bestimmte Element formula_175 ist, für das formula_69 gilt. Die Umkehrfunktion erfüllt damit für alle formula_175 Bijektive Funktionen werden daher auch als eindeutig umkehrbare Funktionen bezeichnet. Verkettung. Zwei Funktionen formula_167 und formula_180, bei denen der Wertebereich der ersten Funktion mit dem Definitionsbereich der zweiten Funktion übereinstimmt (oder als Teilmenge enthalten ist), können verkettet werden. Die Verkettung oder Hintereinanderausführung dieser beiden Funktionen ist dann eine neue Funktion, die durch gegeben ist. In dieser Notation steht meist die zuerst angewandte Abbildung rechts, das heißt, bei formula_182 wird zuerst die Funktion formula_7 angewandt und dann die Funktion formula_128 („g "nach" f“). Gelegentlich wird in der Literatur allerdings auch die umgekehrte Reihung verwendet und formula_185 geschrieben („g "vor" f“). Verknüpfung. Ist auf der Zielmenge formula_186 eine innere zweistellige Verknüpfung formula_187 gegeben, so lässt sich auch für Funktionen formula_188 eine innere zweistellige Verknüpfung definieren: Beispiele hierfür sind die punktweise Addition und Multiplikation von Funktionen. Weiter lässt sich mit Hilfe einer äußeren zweistelligen Verknüpfung der Form formula_190 auch die Verknüpfung einer Funktion mit einem Element aus formula_168 definieren: Beispiel hierfür ist die punktweise Multiplikation einer Funktion mit einem Skalar. Analog lässt sich so auch eine äußere Verknüpfung der Form formula_193 definieren. Sind Verknüpfungen der gleichen Art sowohl auf der Definitionsmenge als auch auf der Zielmenge gegeben, dann heißt eine Funktion verträglich mit diesen Verknüpfungen, wenn sich die Bilder bezüglich der einen Verknüpfung genauso verhalten wie die Urbilder bezüglich der anderen Verknüpfung. Spezielle Funktionen. Funktionale. Vor allem in der Funktionalanalysis finden Funktionale große Anwendung. Als Funktional bezeichnet man eine Funktion, deren Definitionsmenge als Teilmenge in einem Vektorraum formula_210 enthalten ist, während ihre Zielmenge in dem zugehörigen Skalarkörper liegt. Sei formula_210 ein formula_212-Vektorraum mit formula_213. Ein Funktional formula_145 ist eine Abbildung formula_215 Funktionale können somit als Argumente selbst Funktionen haben. Ein lineares Funktional auf dem Vektorraum formula_216, der Funktionen auf der reellen Achse, ist bspw. das Auswertungsfunktional an der Stelle Null Dieses Funktional heißt Delta-Distribution oder Dirac-Delta. Ein anderes Beispiel ist das Funktional das jeder quadratintegrierbaren Funktion formula_219 den Wert formula_220 zuordnet. Verwendung. Ein fundamentales Konzept in der Mathematik stellen Strukturen dar, die dadurch entstehen, dass Mengen in Verbindung mit dazugehörigen Abbildungen gesehen werden. Derartige Strukturen bilden die Grundlage praktisch aller mathematischen Disziplinen, sobald sie über elementare Mengenlehre, kombinatorische Probleme oder grundlegende mathematisch-philosophische Fragestellungen hinausgehen. Mengen können beispielsweise durch sogenannte Verknüpfungen strukturiert werden. Der wichtigste Spezialfall ist die innere zweistellige Verknüpfung, dabei handelt es sich um eine Abbildung der Form formula_221. Beispiele für innere zweistellige Verknüpfungen sind Rechenoperationen wie die Addition oder Multiplikation auf Zahlenmengen. Dementsprechend wird das Bild formula_222 eines Paares formula_43 unter einer Verknüpfung formula_224 üblicherweise in der Form formula_225 geschrieben. Weitere wichtige Beispiele solcher Strukturen sind algebraische, geometrische und topologische Strukturen, wie beispielsweise Skalarprodukte, Normen und Metriken. Verallgemeinerungen. Multifunktionen. Eine Multifunktion (auch mehrwertige Funktion oder Korrespondenz genannt) ist eine linkstotale Relation. Das heißt, die Elemente der Definitionsmenge formula_226 können auf mehrere Elemente der Zielmenge formula_227 abgebildet werden. Man schreibt auch formula_228. Wenn formula_227 eine Menge ist, dann kann man jede Multifunktion formula_228 auch als eine Funktion formula_231 darstellen, die in die Potenzmenge von formula_227 geht: Im Fall formula_234 stellt eine mehrwertige Funktion formula_7 eine Transitionsrelation dar, und formula_231 ist die zugehörige Transitionsfunktion. Die Verkettung von Multifunktionen lässt sich genauso definieren wie für (eindeutige) Funktionen, mengentheoretisch ist dies äquivalent einer Verkettung zweier zweistelliger Relationen. Umkehrungen von Funktionen als Multifunktionen. Ein Beispiel für Multifunktionen sind die Umkehrfunktionen (Umkehrungen) von nicht injektiven Funktionen. Wenn formula_237 surjektiv ist, gilt automatisch: formula_238 ist eine Multifunktion. Die Darstellung der Umkehrfunktion in die Potenzmenge von formula_226 liefert mit formula_240 die Fasern von formula_7 (siehe oben). Die Verkettung einer Funktion mit ihrer (im Allgemeinen nicht eindeutigen) Umkehrung in der Form formula_242 ist eine Äquivalenzrelation, die durch formula_7 "induzierte Äquivalenzrelation." Zwei Elemente aus dem Definitionsbereich sind genau dann äquivalent, wenn sie denselben Funktionswert haben. Partielle Funktionen. Wohl zu unterscheiden vom Begriff der Funktion ist der Begriff der partiellen Funktion, man spricht auch von einer „nicht überall definierten Funktion“ oder „funktionalen Relation“. Hier darf es Elemente der Quellmenge (formula_1-Werte) geben, denen kein Wert der Zielmenge (kein formula_2-Wert) zugeordnet ist. Hier ist dann die Nennung der Quellmenge in der obigen Tripelschreibweise tatsächlich notwendig. Allerdings darf es auch dort für einen formula_1-Wert nicht mehr als einen formula_2-Wert geben. Um partielle Funktionen von Funktionen zu unterscheiden, bezeichnet man Letztere auch als totale oder überall definierte Funktionen. Die Menge formula_248 der partiellen Abbildungen von formula_16 nach formula_18 ist die Vereinigung der totalen Abbildungen von Teilmengen von formula_16 nach formula_18: Sind die Mengen endlich, so gilt für ihre Kardinalzahlen schließlich kann man jede partielle Abbildung auf D umkehrbar eindeutig zu einer totalen Abbildung fortsetzen, indem man einen beliebigen festen Funktionswert formula_255 festschreibt, der nicht in formula_18 enthalten ist; und diese Operation stellt eine bijektive Abbildung auf formula_257 dar. Jede partielle Funktion formula_258 ist im Wesentlichen gleich mit der (totalen) Funktion formula_259 mit der Urbildmenge formula_260. Funktionen mit Werten in einer echten Klasse. Häufig liegen die Werte einer Funktion nicht in einer Zielmenge, sondern lediglich in einer echten Klasse, beispielsweise sind Mengenfolgen „Funktionen“ mit Definitionsmenge formula_261 und Werten in der Allklasse. Um die mengentheoretischen Probleme, die sich daraus ergeben, zu vermeiden, betrachtet man nur noch den Graph der entsprechenden Funktion, genauer: Ein "funktionsartiger Graph" ist eine "Menge" formula_71 von Paaren formula_43, sodass keine zwei Paare im ersten Eintrag übereinstimmen: Definitions- und Wertemenge sind tatsächlich Mengen, aber es ist nicht nötig, sich von vornherein auf eine Ziel"menge" festzulegen, solange die Funktionen im Wesentlichen gleich sind. Bei partiellen Funktionen gilt Gleiches für den Ziel- "und" Quellbereich. Beide können einzeln oder zusammen echte Klassen sein; mengentheoretische Probleme entstehen nicht, solange der Graph eine Menge bleibt. Symbolik. Für Funktionen gibt es etliche symbolische Schreibweisen, die jeweils einige spezielle Eigenschaften der Funktion ausdrücken. Im Folgenden werden einige wichtige genannt. ! Symbol ! Erklärung formula_269 formula_274
1654
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https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1654
Beurteilung eines binären Klassifikators
Bei einer Klassifizierung werden Objekte anhand von bestimmten Merkmalen durch einen Klassifikator in verschiedene Klassen eingeordnet. Der Klassifikator macht dabei im Allgemeinen Fehler, ordnet also in manchen Fällen ein Objekt einer falschen Klasse zu. Aus der relativen Häufigkeit dieser Fehler lassen sich quantitative Maße zur Beurteilung eines Klassifikators ableiten. Häufig ist die Klassifikation binärer Natur, d. h., es gibt nur zwei mögliche Klassen. Die hier diskutierten Gütemaße beziehen sich ausschließlich auf diesen Fall. Solche binären Klassifikationen werden häufig in Form einer Ja/Nein-Frage formuliert: Leidet ein Patient an einer bestimmten Krankheit oder nicht? Ist ein Feuer ausgebrochen oder nicht? Nähert sich ein feindliches Flugzeug oder nicht? Bei Klassifikationen dieser Art gibt es zwei mögliche Arten von Fehlern: Ein Objekt wird der ersten Klasse zugeordnet, obwohl es der zweiten angehört, oder umgekehrt. Die hier beschriebenen Kennzahlen bieten dann eine Möglichkeit, die Zuverlässigkeit des zugehörigen Klassifikators (Diagnoseverfahren, Brandmelder, Fliegerradar) zu beurteilen. Ja-Nein-Klassifikationen weisen Ähnlichkeiten zu statistischen Tests auf, bei denen zwischen einer Nullhypothese und einer Alternativhypothese entschieden wird. Wahrheitsmatrix: Richtige und falsche Klassifikationen. Um einen Klassifikator zu bewerten, muss man ihn in einer Reihe von Fällen anwenden, bei denen man zumindest im Nachhinein Kenntnis über die „wahre“ Klasse der jeweiligen Objekte hat. Ein Beispiel für so einen Fall ist ein medizinischer Labortest, mit dem festgestellt werden soll, ob eine Person eine bestimmte Krankheit hat. Später wird durch aufwändigere Untersuchungen festgestellt, ob die Person tatsächlich an dieser Krankheit leidet. Der Test stellt einen Klassifikator dar, der die Personen in die Kategorien „krank“ und „gesund“ einordnet. Da es sich um eine Ja/Nein-Frage handelt, sagt man auch, der Test fällt "positiv" (Einordnung „krank“) oder "negativ" (Einordnung „gesund“) aus. Um zu beurteilen, wie gut geeignet der Labortest für die Diagnose der Krankheit ist, wird nun bei jedem Patienten dessen tatsächlicher Gesundheitszustand mit dem Ergebnis des Tests verglichen. Dabei können vier mögliche Fälle auftreten: Im ersten und letzten Fall war die Diagnose also richtig, in den anderen beiden Fällen liegt ein Fehler vor. Die vier Fälle werden in verschiedenen Kontexten auch anders benannt. So sind auch die englischen Begriffe "true positive", "false positive", "false negative" und "true negative" gebräuchlich. Im Rahmen der Signalentdeckungstheorie werden richtig positive Fälle auch als "hit", falsch negative Fälle als "miss" und richtig negative Fälle als "correct rejection" bezeichnet. Es wird nun gezählt, wie häufig jede der vier möglichen Kombinationen von Testergebnis (ermittelte Klasse) und Gesundheitszustand (tatsächliche Klasse) vorgekommen ist. Diese Häufigkeiten werden in eine sogenannte "Wahrheitsmatrix" (auch "Konfusionsmatrix" genannt) eingetragen: "Anmerkungen:" formula_1 steht für „falsch“ (genauer: für die Anzahl an falschen Einstufungen); formula_2 steht für „richtig“ (genauer: für die Anzahl an richtigen Einstufungen); der Index formula_3 steht für „positiv“; der Index formula_4 steht für „negativ“. Also: formula_5 steht für „richtig positiv“ (genauer: für die Anzahl an richtigerweise als positiv Eingestuften) usw. Diese Matrix ist ein einfacher Spezialfall einer Kontingenztafel mit zwei binären nominalen Variablen – dem Urteil des Klassifikators und der tatsächlichen Klasse. Sie kann auch für Klassifikationen mit mehr als zwei Klassen eingesetzt werden, dann wird bei formula_6 Klassen aus einer 2×2-Matrix eine formula_7-Matrix. Statistische Gütekriterien der Klassifikation. Durch Berechnung verschiedener "relativer" Häufigkeiten können aus den Werten der Wahrheitsmatrix nun Kenngrößen zur Beurteilung des Klassifikators berechnet werden. Diese können auch als Schätzungen der bedingten Wahrscheinlichkeit für das Eintreten des entsprechenden Ereignisses interpretiert werden. Die Maße unterscheiden sich hinsichtlich der Grundgesamtheit, auf die sich die relativen Häufigkeiten beziehen: So können etwa nur all die Fälle in Betracht gezogen werden, in denen die positive bzw. negative Kategorie "tatsächlich" vorliegt, oder man betrachtet die Menge aller Objekte, die als positiv bzw. negativ "klassifiziert" werden (Summe über die Einträge einer "Zeile" der Wahrheitsmatrix). Diese Wahl hat gravierende Auswirkungen auf die berechneten Werte, insbesondere dann, wenn eine der beiden Klassen insgesamt viel häufiger vorkommt als die andere. Sensitivität und Falsch-negativ-Rate. Sensitivität. Die Sensitivität (auch Richtig-positiv-Rate, Empfindlichkeit oder Trefferquote; englisch "sensitivity", "true positive rate", "recall" oder "hit rate") gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der ein positives Objekt korrekt als positiv klassifiziert wird. Beispielsweise entspricht die Sensitivität bei einer medizinischen Diagnose dem Anteil an tatsächlich Kranken, bei denen die Krankheit auch erkannt wurde. Die Sensitivität eines Tests gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Infizierter auch tatsächlich erkannt wurde. Beispielsweise bedeutet eine Sensitivität eines Tests auf ein Virus von 98 %, dass (bei ausreichend großer Anzahl an durchgeführten Tests und unabhängig von den Testvorbedingungen) 98 % der Infizierten erkannt und 2 % der Infizierten nicht erkannt würden. 2 % (der Infizierten, welche getestet wurden, und nicht aller Getesteten) wären dann also falsch negativ. Die Sensitivität entspricht der geschätzten bedingten Wahrscheinlichkeit Im Kontext des statistischen Hypothesentests wird die Sensitivität des Tests als Trennschärfe des Tests bezeichnet, obwohl der Begriff Trennschärfe in diesem Kontext eine allgemeinere Verwendung hat, die im vorliegenden Kontext nicht anwendbar ist. Falsch-negativ-Rate. Entsprechend gibt die Falsch-negativ-Rate (englisch "false negative rate" oder "miss rate") den Anteil der fälschlich als negativ klassifizierten Objekte an der Gesamtheit der positiven Objekte an. Also im Beispiel die tatsächlich Kranken, die aber als gesund diagnostiziert werden. Die Falsch-negativ-Rate entspricht der geschätzten bedingten Wahrscheinlichkeit Zusammenhang. Da sich beide Maße auf den Fall beziehen, dass in Wirklichkeit die positive Kategorie vorliegt (erste Spalte der Wahrheitsmatrix), addieren sich die Sensitivität und die Falsch-negativ-Rate zu 1 bzw. 100 %. Spezifität und Falsch-positiv-Rate. Spezifität. Die Spezifität (auch Richtig-negativ-Rate oder kennzeichnende Eigenschaft; englisch: "specificity", "true negative rate" oder "correct rejection rate") gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der ein negatives Objekt korrekt als negativ klassifiziert wird. Beispielsweise entspricht die Spezifität bei einer medizinischen Diagnose dem Anteil an Gesunden, bei denen auch festgestellt wurde, dass keine Krankheit vorliegt. Die Spezifität eines Tests gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Nicht-Infizierter auch tatsächlich erkannt würde. Beispielsweise bedeutet eine Spezifität eines Tests auf ein Virus von 98 %, dass (bei ausreichend großer Anzahl an durchgeführten Tests und unabhängig von den Testvorbedingungen) 98 % der Nicht-Infizierten tatsächlich erkannt und 2 % der Nicht-Infizierten fälschlich als infiziert ausgewiesen würden. 2 % (der getesteten Nicht-Infizierten, nicht der Getesteten insgesamt) wären dann also falsch positiv. Die Spezifität entspricht der geschätzten bedingten Wahrscheinlichkeit Falsch-positiv-Rate. Entsprechend gibt die Falsch-positiv-Rate (auch Ausfallrate; englisch "fallout" oder "false positive rate") den Anteil der fälschlich als positiv klassifizierten Objekte an, die in Wirklichkeit negativ sind. Im Beispiel würde dann ein tatsächlich Gesunder zu Unrecht als krank diagnostiziert. Es wird also die Wahrscheinlichkeit für einen Fehlalarm angegeben. Die Falsch-positiv-Rate entspricht der geschätzten bedingten Wahrscheinlichkeit Zusammenhang. Da sich beide Maße auf den Fall beziehen, dass in Wirklichkeit die negative Kategorie vorliegt (zweite Spalte der Wahrheitsmatrix), addieren sich die Spezifität und die Falsch-positiv-Rate zu 1 bzw. 100 %. Positiver und negativer Vorhersagewert. Während Sensitivität und Spezifität eines medizinischen Tests epidemiologisch und gesundheitspolitisch relevante Kenngrößen sind (beispielsweise bei der Frage, ob ein Einsatz im Screening zur Früherkennung von Krankheiten sinnvoll ist), ist im konkreten Fall für Patient und Arzt der Vorhersagewert entscheidend. Nur er beantwortet einem positiv/negativ Getesteten die Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit er denn nun wirklich krank/gesund ist. Positiver Vorhersagewert. Der positive Vorhersagewert (auch Relevanz, Wirksamkeit, Genauigkeit, positiver prädiktiver Wert; englisch: "precision" oder "positive predictive value"; Abkürzung: PPV) gibt den Anteil der korrekt als positiv klassifizierten Ergebnisse an der Gesamtheit der als positiv klassifizierten Ergebnisse an (erste Zeile der Wahrheitsmatrix). Beispielsweise gibt der positive Vorhersagewert eines medizinischen Tests an, welcher Anteil der Personen mit positivem Testergebnis auch tatsächlich krank ist. Der positive Vorhersagewert entspricht der geschätzten bedingten Wahrscheinlichkeit Komplement des positiven Vorhersagewerts ist die als bedingte Wahrscheinlichkeit wie folgt zu formulierende Falscherkennungsrate (englisch: "false discovery rate"; Abkürzung: FDR): Negativer Vorhersagewert. Entsprechend gibt der negative Vorhersagewert (auch Segreganz oder Trennfähigkeit; englisch: "negative predictive value"; Abkürzung: NPV) den Anteil der korrekt als negativ klassifizierten Ergebnisse an der Gesamtheit der als negativ klassifizierten Ergebnisse an (zweite Zeile der Wahrheitsmatrix). Im Beispiel entspricht das dem Anteil der Personen mit negativem Testergebnis, der auch tatsächlich gesund ist. Der negative Vorhersagewert entspricht der geschätzten bedingten Wahrscheinlichkeit Komplement des negativen Vorhersagewerts ist die als bedingte Wahrscheinlichkeit wie folgt zu formulierende Falschauslassungsrate (englisch: "false omission rate"; Abkürzung: FOR): Zusammenhänge. Anders als die anderen Paare von Gütemaßen addieren sich der negative und der positive Vorhersagewert "nicht" zu 1 bzw. 100 %, da jeweils von unterschiedlichen Fällen ausgegangen wird (tatsächlich positiv bzw. tatsächlich negativ, d. h. unterschiedliche Spalten der Wahrheitsmatrix). Die Vorhersagewerte können aus Sensitivität formula_18 und Spezifität formula_19 berechnet werden, dazu muss aber die Prätestwahrscheinlichkeit formula_20 (entspricht bei Krankheiten der Prävalenz in der untersuchten Population) bekannt sein oder geschätzt werden. Der positive Vorhersagewert profitiert von einer hohen Prätestwahrscheinlichkeit, der negative Vorhersagewert von einer niedrigen Prätestwahrscheinlichkeit. Ein positives medizinisches Testergebnis hat also eine viel höhere Aussagekraft, wenn der Test auf Verdacht durchgeführt wurde, als wenn er allein dem Screening diente. Die für ein Kollektiv ermittelten positiven und negativen Vorhersagewerte sind auf andere Kollektive nur dann übertragbar, wenn die relative Häufigkeit der positiven Fälle dort dieselbe ist. Beispiel: Wurden zur Bestimmung des positiven Vorhersagewerts 100 HIV-Patienten und 100 gesunde Kontrollpatienten untersucht, so ist der Anteil an HIV-Patienten in dieser Gruppe (50 %) weit von der HIV-Prävalenz in der BRD (0,08 %) entfernt (siehe dazu auch das unten genannte Zahlenbeispiel). Die Vorhersagewerte wären also völlig andere, wenn derselbe Test an einem zufällig ausgewählten Menschen durchgeführt wird. Likelihood-Quotienten. Einfacher als die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Krankheit lässt sich die Chance (Odd) des Vorliegens einer Krankheit berechnen. Ein positives Testergebnis vergrößert die Chance, krank zu sein, um einen Faktor (Odds-Ratio), der als Likelihood-Quotient (LQ) oder Bayes-Faktor bezeichnet und folgendermaßen berechnet wird: Die Chance formula_22, bei positivem Testergebnis tatsächlich krank zu sein, beträgt somit Da kleine Chancen näherungsweise mit Wahrscheinlichkeiten gleichgesetzt werden können, lässt sich der positive Vorhersagewert oft über das Produkt von Prätestwahrscheinlichkeit und Bayes-Faktor abschätzen. Ein negatives Testergebnis verändert die Chance analog um den Bayes-Faktor Ein weiteres sich aus den beiden obengenannten Kenngrößen ableitendes und damit ebenfalls prävalenzunabhängiges Maß der Leistungsfähigkeit eines Tests ist das sogen. Diagnostische Chancenverhältnis (DOR) (engl. "diagnostic odds ratio"), das sich wie folgt berechnet: Korrekt- und Falschklassifikationsrate. Die "Korrektklassifikationsrate" (auch Vertrauenswahrscheinlichkeit oder Treffergenauigkeit; englisch: "accuracy") gibt den Anteil aller Objekte an, die korrekt klassifiziert werden. Der restliche Anteil entspricht der Falschklassifikationsrate (auch Größe des Klassifikationsfehlers). Im Beispiel der Diagnose wäre die Korrektklassifikationsrate der Anteil an richtig positiven und richtig negativen Diagnosen an der Gesamtzahl der Diagnosen, die Falschklassifikationsrate hingegen der Anteil der falsch positiven und falsch negativen Diagnosen. Korrektklassifikationsrate. Die Korrektklassifikationsrate entspricht der geschätzten Wahrscheinlichkeit Falschklassifikationsrate. Die Falschklassifikationsrate entspricht der geschätzten Wahrscheinlichkeit Zusammenhang. Die Korrekt- und die Falschklassifikationsrate addieren sich entsprechend zu 1 oder 100 %. Kombinierte Maße. Da sich die verschiedenen Gütemaße gegenseitig beeinflussen (siehe Abschnitt Probleme), wurden verschiedene kombinierte Maße vorgeschlagen, die eine Beurteilung der Güte mit einer einzigen Kennzahl erlauben. Die im Folgenden vorgestellten Maße wurden im Kontext des Information Retrieval entwickelt (siehe Anwendung im Information Retrieval). "F"-Maß. Das "F-Maß" kombiniert Genauigkeit (precision, formula_29) und Trefferquote (recall, formula_30) mittels des gewichteten harmonischen Mittels: Neben diesem auch als formula_32 bezeichneten Maß, bei dem Genauigkeit und Trefferquote gleich gewichtet sind, gibt es auch andere Gewichtungen. Der Allgemeinfall ist das Maß formula_33 (für positive Werte von formula_34): Beispielsweise gewichtet formula_36 die Trefferquote viermal so hoch wie die Genauigkeit und formula_37 die Genauigkeit viermal so hoch wie die Trefferquote. Effektivitätsmaß. Das "Effektivitätsmaß" formula_38 entspricht ebenfalls dem gewichteten harmonischen Mittel. Es wurde 1979 von Cornelis Joost van Rijsbergen eingeführt. Die Effektivität liegt zwischen 0 (beste Effektivität) und 1 (schlechte Effektivität). Für einen Parameterwert von formula_39 ist formula_38 äquivalent zur Trefferquote, für einen Parameterwert von formula_41 äquivalent zur Genauigkeit. Funktionsgraphen. Für die sechs Kennzahlen Sensitivität, Falsch-negativ-Rate, Spezifität, Falsch-positiv-Rate, positiver Vorhersagewert und negativer Vorhersagewert lassen sich normierte, zweidimensionale Funktionsgraphen darstellen: Betrachtet man beispielsweise das Verhältnis von formula_5 zu formula_44 und setzt so erhält man für die Sensitivität und für die Falsch-negativ-Rate wobei die beiden Funktionen formula_48 und formula_49, deren Graphen hier abgebildet sind, definiert sind als: Diese Vorgangsweise ist nur deshalb möglich, weil die Sensitivität die Eigenschaft besitzt, dass es für ihren Wert nicht auf die beiden konkreten Einzelwerte formula_5 und formula_44 ankommt, sondern ausschließlich auf deren Verhältnis formula_54 (bzw. dessen Kehrwert formula_55). Daher kann die Sensitivität, die – als zweistellige Funktion formuliert – von den zwei Variablen formula_5 und formula_44 abhängt, auch als einstellige Funktion in Abhängigkeit von formula_58 (bzw. formula_59) dargestellt werden, wodurch sich zweidimensionale Funktionsgraphen zeichnen lassen. Dasselbe gilt auch für die Falsch-negativ-Rate. Für die übrigen vier Kennwerte lässt sich analog vorgehen (wobei zu beachten ist, dass für formula_60 verschiedene Verhältnisse verwendet werden), wie die folgende tabellarische Zusammenfassung zeigt: Probleme. Gegenseitige Beeinflussungen. Es ist nicht möglich, alle Gütekriterien unabhängig voneinander zu optimieren. Insbesondere sind die Sensitivität und die Spezifität negativ miteinander korreliert. Zur Veranschaulichung dieser Zusammenhänge ist es hilfreich, die Extremfälle zu betrachten: Wie konservativ oder liberal ein Klassifikator optimalerweise sein sollte, hängt vom konkreten Anwendungsfall ab. Aus diesem leitet sich beispielsweise ab, welche der Fehlklassifikationen die schwererwiegenden Folgen hat. Bei der Diagnose einer schlimmen Krankheit oder sicherheitsrelevanten Anwendungen wie einem Feueralarm ist es wichtig, dass kein Fall unentdeckt bleibt. Bei einer Recherche durch eine Suchmaschine hingegen kann es wichtiger sein, möglichst wenige Resultate zu bekommen, die für die Suche irrelevant sind, also falsch-positive Resultate darstellen. Die Risiken der verschiedenen Fehlklassifikationen lassen sich zur Bewertung eines Klassifikators in einer Kostenmatrix angeben, mit der die Wahrheitsmatrix gewichtet wird. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Verwendung kombinierter Maße, bei denen sich eine entsprechende Gewichtung einstellen lässt. Um die Auswirkungen verschieden konservativer Tests für ein konkretes Anwendungsbeispiel darzustellen, können ROC-Kurven erstellt werden, in denen die Sensitivität für verschiedene Tests gegen die Falsch-positiv-Rate aufgetragen wird. Im Rahmen der Signalentdeckungstheorie spricht man auch von einem verschieden konservativ gesetzten "Kriterium". Seltene Positiv-Fälle. Darüber hinaus wird auch ein extremes Ungleichgewicht zwischen tatsächlich positiven und negativen Fällen die Kenngrößen verfälschen, wie es etwa bei seltenen Krankheiten der Fall ist. Ist beispielsweise die Anzahl der an einem Test teilnehmenden Kranken erheblich geringer als die der Gesunden, so führt dies im Allgemeinen zu einem geringen Wert im positiven Vorhersagewert (siehe dazu das unten angeführte Zahlenbeispiel). Daher sollte in diesem Fall alternativ zu den Vorhersagewerten der Likelihood-Quotient angegeben werden. Dieser Zusammenhang ist bei verschiedenen Labortests zu bedenken: Preiswerte Screening-Tests werden so justiert, dass eine möglichst kleine Anzahl falsch negativer Ergebnisse vorliegt. Die produzierten falsch positiven Testergebnisse werden anschließend durch einen (teureren) Bestätigungstest identifiziert. Für schwerwiegende Erkrankungen sollte immer ein Bestätigungstest durchgeführt werden. Dieses Vorgehen ist für die Bestimmung von HIV sogar gefordert. Unvollständige Wahrheitsmatrix. Ein weiteres Problem bei der Beurteilung eines Klassifikators besteht darin, dass häufig nicht die gesamte Wahrheitsmatrix ausgefüllt werden kann. Insbesondere ist oft die Falsch-negativ-Rate nicht bekannt, etwa wenn bei Patienten, die eine negative Diagnose erhalten, keine weiteren Tests durchgeführt werden und eine Krankheit unerkannt bleibt, oder wenn ein eigentlich relevantes Dokument bei einer Recherche nicht gefunden wird, weil es nicht als relevant klassifiziert wurde. In diesem Fall können nur die als positiv klassifizierten Ergebnisse ausgewertet werden, d. h., es kann nur der positive Vorhersagewert berechnet werden (siehe dazu auch das unten angeführte Zahlenbeispiel). Mögliche Lösungen für dieses Problem werden im Abschnitt Anwendung im Information Retrieval besprochen. Klassifikationsbewertung und statistische Testtheorie. Klassifikationsbewertung zur Beurteilung der Qualität statistischer Tests. Mit Hilfe der Klassifikationsbewertung kann die Qualität eines statistischen Tests beurteilt werden: Statistische Tests zur Beurteilung einer Klassifikation. Man kann statistische Tests einsetzen, um zu überprüfen, ob eine Klassifikation statistisch signifikant ist, d. h., ob bezüglich der Grundgesamtheit die Einschätzung des Klassifikators unabhängig von den tatsächlichen Klassen ist (Nullhypothese) oder ob er signifikant mit ihnen korreliert (Alternativhypothese). Im Fall von mehreren Klassen kann dafür der Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstest verwendet werden. Dabei wird geprüft, ob die Einschätzung des Klassifikators unabhängig von den tatsächlichen Klassen ist oder signifikant mit ihnen korreliert. Die Stärke der Korrelation wird durch Kontingenzkoeffizienten abgeschätzt. Im Fall einer binären Klassifikation wird der Vierfeldertest verwendet, ein Spezialfall des Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstests. Hat man nur wenige Beobachtungswerte, sollte der Exakte Fisher-Test verwendet werden. Die Stärke der Korrelation kann mit dem Phi-Koeffizient abgeschätzt werden. Lehnt der Test die Nullhypothese ab, bedeutet es jedoch nicht, dass der Klassifikator gut ist. Es bedeutet nur, dass er besser ist als (zufälliges) Raten. Ein guter Klassifikator sollte auch eine möglichst hohe Korrelation aufweisen. In Diettrich (1998) werden fünf Tests untersucht zum direkten Vergleich von Missklassifikationsraten von zwei unterschiedlichen Klassifikatoren: Als Ergebnis der Untersuchung von Güte und Fehler 1. Art der fünf Tests ergibt sich, dass sich der 5x2cv-Test am besten verhält, jedoch sehr rechenaufwendig ist. Der McNemar-Test ist etwas schlechter als der 5x2cv-Test, jedoch deutlich weniger rechenaufwendig. Beispiele. Anwendung im Information Retrieval. Ein spezieller Anwendungsfall der hier beschriebenen Maße ist die Beurteilung der Güte von Treffermengen einer Recherche beim Information Retrieval. Dabei geht es um die Beurteilung, ob ein gefundenes Dokument, etwa beim Webmining durch Suchmaschinen, entsprechend einem definierten Kriterium relevant ist. In diesem Zusammenhang sind die oben definierten Bezeichnungen „Trefferquote“ (engl. "recall"), „Genauigkeit“ (engl. "precision") und „Ausfallquote“ (engl. "fallout") gebräuchlich. Die Trefferquote gibt den Anteil der bei einer Suche gefundenen relevanten Dokumente und damit die Vollständigkeit eines Suchergebnisses an. Die Genauigkeit beschreibt mit dem Anteil relevanter Dokumente an der Ergebnismenge die Genauigkeit eines Suchergebnisses. Der (weniger gebräuchliche) Ausfall bezeichnet den Anteil gefundener irrelevanter Dokumente an der Gesamtmenge aller irrelevanten Dokumente, er gibt also in negativer Weise an, wie gut irrelevante Dokumente im Suchergebnis vermieden werden. Statt als Maß können Trefferquote, Genauigkeit und Ausfall auch als Wahrscheinlichkeit interpretiert werden: Eine gute Recherche sollte möglichst alle relevanten Dokumente finden (richtig positiv) und die nicht relevanten Dokumente nicht finden (richtig negativ). Wie oben beschrieben, hängen die verschiedenen Maße jedoch voneinander ab. Im Allgemeinen sinkt mit steigender Trefferrate die Genauigkeit (mehr irrelevante Ergebnisse). Umgekehrt sinkt mit steigender Genauigkeit (weniger irrelevante Ergebnisse) die Trefferrate (mehr relevante Dokumente, die nicht gefunden werden). Je nach Anwendungsfall sind die unterschiedlichen Maße zur Beurteilung mehr oder weniger relevant. Bei einer Patentrecherche ist es beispielsweise wichtig, dass keine relevanten Patente unentdeckt bleiben – also sollte der Negative Vorhersagewert möglichst hoch sein. Bei anderen Recherchen ist es wichtiger, dass die Treffermenge wenige irrelevante Dokumente enthält, d. h., der Positive Vorhersagewert sollte möglichst hoch sein. Im Kontext des Information Retrieval wurden auch die oben beschriebenen kombinierten Maße wie der F-Wert und die Effektivität eingeführt. Genauigkeit-Trefferquote-Diagramm. Zur Einschätzung eines Retrieval-Verfahrens werden meist Trefferquote und Genauigkeit gemeinsam betrachtet. Dazu werden im sogenannten "Precision-Recall-Diagramm" (PR-Diagramm) für verschieden große Treffermengen zwischen den beiden Extremen Genauigkeit auf der formula_61-Achse und Trefferquote auf der formula_60-Achse eingetragen. Dies ist vor allem leicht bei Verfahren möglich, deren Treffermenge durch einen Parameter gesteuert werden kann. Dieses Diagramm erfüllt einen ähnlichen Zweck wie die oben beschriebene ROC-Kurve, die man in diesem Zusammenhang auch als Trefferquote-Fallout-Diagramm bezeichnet. Der (höchste) Wert im Diagramm, an dem der Precision-Wert gleich dem Treffer-Wert ist – also der Schnittpunkt des Genauigkeit-Trefferquote-Diagramms mit der Identitätsfunktion – wird der Genauigkeit-Trefferquote-Breakeven-Punkt genannt. Da beide Werte voneinander abhängen, wird auch oft der eine bei fixiertem anderem Wert genannt. Eine Interpolation zwischen den Punkten ist allerdings nicht zulässig, es handelt sich um diskrete Punkte, deren Zwischenräume nicht definiert sind. Beispiel. In einer Datenbank mit 36 Dokumenten sind zu einer Suchanfrage 20 Dokumente relevant und 16 nicht relevant. Eine Suche liefert 12 Dokumente, von denen tatsächlich 8 relevant sind. Trefferquote und Genauigkeit für die konkrete Suche ergeben sich aus den Werten der Wahrheitsmatrix. Praxis und Probleme. Ein Problem bei der Berechnung der Trefferquote ist die Tatsache, dass man nur selten weiß, wie viele relevante Dokumente insgesamt existieren und nicht gefunden wurden (Problem der unvollständigen Wahrheitsmatrix). Bei größeren Datenbanken, bei denen die Berechnung der absoluten Trefferquote besonders schwierig ist, wird deswegen mit der "relativen Trefferquote" gearbeitet. Dabei wird die gleiche Suche mit mehreren Suchmaschinen durchgeführt, und die jeweils neuen relevanten Treffer werden zu den nicht gefundenen relevanten Dokumenten addiert. Mit der Rückfangmethode kann abgeschätzt werden, wie viele relevante Dokumente insgesamt existieren. Problematisch ist auch, dass zur Bestimmung von Trefferquote und Genauigkeit die Relevanz eines Dokumentes als Wahrheitswert (ja/nein) bekannt sein muss. In der Praxis ist jedoch oft die Subjektive Relevanz von Bedeutung. Auch für in einer Rangordnung angeordnete Treffermengen ist die Angabe von Trefferquote und Genauigkeit oft nicht ausreichend, da es nicht nur darauf ankommt, ob ein relevantes Dokument gefunden wird, sondern auch, ob es im Vergleich zu nicht relevanten Dokumenten genügend hoch in der Rangfolge eingeordnet wird. Bei sehr unterschiedlich großen Treffermengen kann die Angabe durchschnittlicher Werte für Trefferquote und Genauigkeit irreführend sein. HIV in der BRD. Das Ziel eines HIV-Tests sollte die möglichst sichere Erkennung eines Infizierten sein. Aber welche Konsequenzen ein falsch positiver Test haben kann, zeigt das Beispiel eines Menschen, der sich auf HIV testen lässt und dann aufgrund eines falsch-positiven Ergebnisses Suizid begeht. Bei einer angenommenen Genauigkeit von 99,9 % des nicht-kombinierten HIV-Tests sowohl für positive als auch negative Ergebnisse (Sensitivität und Spezifität = 0,999) und der aktuellen Verbreitung von HIV (Stand 2009) in der deutschen Bevölkerung (82.000.000 Einwohner, davon 67.000 HIV-positiv) wäre ein allgemeiner HIV-Test verheerend: bei nicht-kombiniertem HIV-Test würden nämlich von 67.000 tatsächlich Erkrankten lediglich 67 HIV-Infizierte fälschlicherweise nicht erkannt, aber ca. 82.000 Personen würden fälschlicherweise als HIV-positiv diagnostiziert. Von 148.866 positiven Ergebnissen wären etwa 55 % falsch positiv, also mehr als die Hälfte der positiv Getesteten. Somit liegt die Wahrscheinlichkeit, dass jemand, der nur mit dem ELISA-Test positiv getestet würde, auch wirklich HIV-positiv wäre, bei nur 45 % (positiver Vorhersagewert). Dieser angesichts der sehr geringen Fehlerrate von 0,1 % niedrige Wert liegt darin begründet, dass HIV nur bei etwa 0,08 % der Bundesbürger auftritt. Herzinfarkt in den USA. In den USA werden pro Jahr etwa vier Millionen Frauen und Männer wegen Schmerzen in der Brust unter der Verdachtsdiagnose Herzinfarkt in eine Klinik eingewiesen. Im Verlauf der aufwendigen und teuren Diagnostik stellt sich dann heraus, dass von diesen Patienten nur etwa 32 % tatsächlich einen Infarkt erlitten haben. Bei 68 % war die Diagnose Infarkt nicht korrekt (falsch positive Verdachtsdiagnose). Andererseits werden in jedem Jahr etwa 34.000 Patienten aus dem Krankenhaus entlassen, ohne dass ein tatsächlich vorhandener Herzinfarkt erkannt wurde (ca. 0,8 % falsch negative Diagnose). Auch in diesem Beispiel ist die Sensitivität der Untersuchung ähnlich hoch, nämlich 99,8 %. Die Spezifität lässt sich nicht ermitteln, weil die falsch-positiven Ergebnisse der Untersuchung nicht bekannt sind. Bekannt sind nur die falsch-positiven Eingangsdiagnosen, die auf der Angabe „Herzschmerz“ fußen. Betrachtet man ausschließlich diese Eingangsdiagnose, dann ist die Angabe der 34.000 Patienten, die fälschlich entlassen werden, wertlos, denn sie haben hiermit nichts zu tun. Man benötigt nämlich die Zahl der Falsch-Negativen, also jener Personen mit Herzinfarkt, die nicht eingewiesen wurden, weil sie keinen Herzschmerz hatten.
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Fehler 1. und 2. Art
Die Fehler 1. und 2. Art, auch α-Fehler (Alpha-Fehler) und β-Fehler (Beta-Fehler) genannt, bezeichnen eine statistische Fehlentscheidung bei statistischen Tests. Sie beziehen sich auf eine Methode der mathematischen Statistik, den sogenannten Hypothesentest. Beim Test einer Hypothese liegt ein Fehler 1. Art vor, wenn die Nullhypothese zurückgewiesen wird, obwohl sie in Wirklichkeit wahr ist (beruhend auf einer zufällig erhöhten bzw. niedrigeren Anzahl positiver Ergebnisse). Dagegen bedeutet ein Fehler 2. Art, dass der Test die Nullhypothese fälschlicherweise nicht zurückweist, obwohl die Alternativhypothese korrekt ist. Die "Fehlerwahrscheinlichkeiten 1. und 2. Art" (auch "α-" und "β-Risiko" genannt) werden in Qualitätsmanagement und -kontrolle häufig "Produzentenrisiko" und "Konsumentenrisiko" genannt (siehe "Prüflos"). In der statistischen Prozesslenkung durch Qualitätsregelkarten verwendet man dafür die Begriffe "blinder Alarm" und "unterlassener Alarm". Fehler 1. und 2. Art werden auch als frequentistische Konzepte bezeichnet. Das Konzept des Fehlers 1. und 2. Art wurde von Neyman und Pearson eingeführt. Formale Darstellung. Ein statistischer Test ist ein Entscheidungsproblem, bei dem es um einen unbekannten Parameter formula_1 geht, der in einem bestimmten Parameterraum formula_2 liegen muss. Der Parameterraum formula_2 kann in zwei disjunkte Teilmengen formula_4 und formula_5 zerlegt werden. Das Entscheidungsproblem liegt nun darin zu entscheiden, ob formula_1 in formula_4 oder formula_5 liegt. Bezeichne formula_9 die Nullhypothese und formula_10 die Alternativhypothese. Da formula_4 und formula_5 disjunkt sind, kann nur eine der beiden Hypothesen wahr sein. Da das Ziel des Hypothesentests eine Entscheidung ist, gibt es Wahrscheinlichkeiten dafür, dass man eine falsche Entscheidung trifft. Seien formula_13 und formula_14. Wenn Ablehnbereich formula_15 und Teststatistik formula_16 definiert wurden, dann kann die Wahrscheinlichkeit formula_17 abzulehnen für jedes formula_18 bestimmt werden. Sei formula_19, wobei formula_17 abgelehnt wird, wenn die Teststatistik in den kritischen Bereich formula_15 fällt, also formula_22 gilt. Die Funktion formula_23 für formula_18 wird auch Gütefunktion genannt. Ein Fehler 1. Art liegt vor, wenn die Nullhypothese formula_17 abgelehnt wird, obwohl diese richtig ist. Dem Fehler erster Art können die Fehlerwahrscheinlichkeiten 1. Art, das sind die Wahrscheinlichkeiten formula_26 für formula_27, mit denen es zu einem Fehler 1. Art kommt, zugeordnet werden. Es gibt also im Allgemeinen nicht "die" Fehlerwahrscheinlichkeit 1. Art, sondern im Fall einer zusammengesetzten Nullhypothese mehrere Fehlerwahrscheinlichkeiten 1. Art. Bei Hypothesentests ist es üblich, Testverfahren so zu konstruieren, dass die Fehlerwahrscheinlichkeiten 1. Art durch eine vorgegebene Konstante formula_28 noch oben beschränkt wird, die das Signifikanzniveau oder die "zugelassene Irrtumswahrscheinlichkeit" des Tests genannt wird. Es gilt also formula_29 für alle formula_27. Ein Test mit dieser Eigenschaft heißt "Signifikanztest zum Niveau" formula_31, kurz "Niveau-formula_31-Test" oder "formula_31-Niveau-Test". Bei einer einfachen Nullhypothese formula_34 kann der Test in der Regel so konstruiert werden, dass formula_35 gilt, dann fällt die – in diesem Spezialfall eindeutige – Fehlerwahrscheinlichkeit 1. Art mit dem Signifikanzniveau zusammen. Bei einer zusammengesetzten Nullhypothese ist es häufig möglich, den Test so konstruieren, dass formula_36 gilt. Man sagt dann, dass der Test das Signifikanzniveau ausschöpft. Das Signifikanzniveau ist dann der größte Wert von formula_26 im Bereich der Nullhypothese, also für alle formula_9. Ein Fehler 2. Art liegt vor, wenn die Nullhypothese nicht abgelehnt wird, obwohl sie falsch ist. Die Fehlerwahrscheinlichkeiten 2. Art sind durch die Wahrscheinlichkeiten formula_39 für formula_40 gegeben. Im Gegensatz zum Fehler 1. Art wird der Fehler 2. Art nicht durch eine vorgegebene Schranke für die Fehlerwahrscheinlichkeiten 2. Art kontrolliert. Es ist i. A. nicht möglich, beide Fehlerwahrscheinlichkeiten gleichzeitig zu minimieren. Daher sucht man unter allen Signifikanztests (Tests, die für einen Fehler 1. Art formula_31 kontrollieren) denjenigen, der die Fehlerwahrscheinlichkeiten 2. Art minimiert. Mit anderen Worten: Wenn das Signifikanzniveau als Schranke für den Fehler 1. Art a priori festgelegt wurde, dann ist man daran interessiert, die Trennschärfe gegen alle relevanten Alternativen zu maximieren. Die Trennschärfe eines Tests ist bestimmt durch die Komplemente der Fehlerwahrscheinlichkeiten 2. Art, d. h. durch formula_23 für formula_10. Eine große Trennschärfe bedeutet also eine kleine Fehlerwahrscheinlichkeit 2. Art. Die Fehlerwahrscheinlichkeit 2. Art ist abhängig von dem in der Grundgesamtheit vorliegenden Parameter. Zusammenfassend gilt für die Fehlerwahrscheinlichkeiten 1. Art und die Fehlerwahrscheinlichkeiten 2. Art sind durch gegeben Die Fehlerwahrscheinlichkeiten 2. Art werden auch Betafehler genannt und mit formula_46 bezeichnet. Im Allgemeinen gilt, dass eine Verringerung von formula_31 die Wahrscheinlichkeit eines Fehlers 2. Art erhöht und umgekehrt. Durch komplizierte Berechnungen kann auch formula_48 bestimmt werden. Im Spezialfall einer einfachen Nullhypothese formula_34 und einer einfachen Gegenhypothese formula_50, wie er häufig bei medizinischen Test vorliegt, bei denen z. B. über 'krank' oder 'gesund', 'infiziert' oder 'nicht Infiziert' entschieden wird, gibt es "die" Fehlerwahrscheinlichkeit 1. Art formula_51 und "die" Fehlerwahrscheinlichkeit 2. Art formula_52. Fehler 1. Art. Beim Test einer Hypothese liegt ein Fehler 1. Art vor, wenn die Nullhypothese zurückgewiesen wird, obwohl sie in Wirklichkeit wahr ist (beruhend auf falsch positiven Ergebnissen). Die Ausgangshypothese formula_17 (Nullhypothese) ist hierbei die Annahme, die Testsituation befinde sich im „Normalzustand“. Wird also dieser „Normalzustand“ nicht erkannt, obwohl er tatsächlich vorliegt, ergibt sich ein Fehler 1. Art. Beispiele für einen Fehler 1. Art sind: Als "Signifikanzniveau" oder "Irrtumswahrscheinlichkeit" bezeichnet man die vor einem Hypothesentest festgelegte maximale Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Nullhypothese aufgrund der Testergebnisse abgelehnt wird, obwohl die Nullhypothese wahr ist. In der Regel wählt man ein Signifikanzniveau von 5 % (signifikant) oder 1 % (sehr signifikant). Die andere mögliche Fehlentscheidung, nämlich die Alternativhypothese formula_54 zurückzuweisen, obwohl sie wahr ist, heißt Fehler 2. Art. Fehler 2. Art. Im Gegensatz zum Fehler 1. Art bedeutet ein Fehler 2. Art, dass der Test die Nullhypothese fälschlicherweise bestätigt, obwohl die Alternativhypothese korrekt ist. Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Fehlers 2. Art. Im Gegensatz zum Risiko 1. Art, die gegebene Nullhypothese, obwohl sie in Wirklichkeit zutrifft, irrtümlicherweise abzulehnen, lässt sich das Risiko 2. Art, also die Wahrscheinlichkeit eines Fehlers 2. Art meist nicht vorab bestimmen. Grund dessen ist die Art und Weise der Festlegung von Hypothesen statistischer Tests: Während die Nullhypothese stets eine dezidierte Aussage wie beispielsweise formula_17: „Mittelwert“ formula_56 darstellt, ist die Alternativhypothese, da sie im Grunde "alle" übrigen Möglichkeiten erfasst, damit i. d. R. auch nur recht unbestimmter bzw. globaler Natur (bspw. formula_54: „Mittelwert formula_58“). Die rechtsstehende Grafik illustriert diese Abhängigkeit der Wahrscheinlichkeit eines Fehlers 2. Art formula_59; (rot) vom unbekannten Mittelwert formula_60, wenn als „Signifikanzniveau“, d. h. maximales Risiko 1. Art, formula_31; (blau) in beiden Fällen derselbe Wert gewählt wird. Wie zu sehen, ergibt sich dabei überdies die paradoxe Situation, dass die Wahrscheinlichkeit eines Fehlers 2. Art umso größer wird, je näher der wahre Wert formula_60 an dem von der Nullhypothese behaupteten Wert formula_63 liegt, bis hin dazu, dass für formula_64 das Risiko 2. Art formula_59; den Grenzwert formula_66; annimmt. Anders gesagt: Je kleiner die Abweichung des tatsächlichen vom behaupteten Wert formula_67, desto größer paradoxerweise die Wahrscheinlichkeit, einen "Fehler" zu machen, wenn man aufgrund des Testergebnisses weiterhin dem behaupteten Wert formula_63 Glauben schenkt (obwohl die Abweichung beider Werte voneinander möglicherweise aufgrund ihrer Geringfügigkeit "praktisch" gar keine Rolle mehr spielt). Wie dieser Widerspruch zeigt, kann ein rein formal-logischer Umgang mit der Problematik des Fehlers 2. Art leicht Grundlage von Fehlentscheidungen sein. Bei biometrischen und medizinstatistischen Anwendungen heißt die Wahrscheinlichkeit, eine Entscheidung für H0 zu treffen, falls H0 richtig ist, "Spezifität". Die Wahrscheinlichkeit, eine Entscheidung für H1 zu treffen, falls H1 richtig ist, wird "Sensitivität" genannt. Wünschenswert ist, dass ein Testverfahren hohe Sensitivität und hohe Spezifität und damit kleine Wahrscheinlichkeiten für die Fehler erster und zweiter Art hat. Ergänzende Bemerkungen. Abweichende Notation. Die Bezeichnung Beta-Fehler für den Fehler 2. Art ist in einigen Anwendungsbereichen (z. B. Biometrie, Medizin, Qualitätskontrolle) gebräuchlich, aber in der mathematischen Statistik weniger üblich. Die oben mit formula_23 bezeichnete Gütefunktion, das ist die Wahrscheinlichkeit der Ablehnung der Nullhypothese in Abhängigkeit vom Parameter formula_1, wird in der mathematischen Statistik häufig mit formula_46 bezeichnet. In diesem Fall sind dann die Fehlerwahrscheinlichkeiten 2. Art durch formula_77 für formula_10 gegeben. Dies kann im Zusammenhang mit der Bezeichnung Beta-Fehler für eine Fehlerwahrscheinlichkeit 2. Art irritieren. Interpretation der Fehlerwahrscheinlichkeiten als bedingte Wahrscheinlichkeiten. Manchmal werden die Fehlerwahrscheinlichkeiten 1. und 2. Art als bedingte Wahrscheinlichkeiten bezeichnet. Die Wahrscheinlichkeit formula_19 ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Nullhypothese abgelehnt wird, falls der Parameter formula_1 vorliegt. Insoweit ist formula_81 eine Wahrscheinlichkeit, die im umgangssprachlichen Sinn auf das Vorliegen des Parameters formula_1 bedingt ist, da sich für jeden anderen Parameterwert eine andere Wahrscheinlichkeit formula_23 ergeben kann. Es handelt sich also im umgangssprachlichen Sinn um eine bedingte Wahrscheinlichkeit, nicht aber im Sinn der Wahrscheinlichkeitstheorie, da formula_1 kein Ereignis ist. In der Bayesschen Statistik wird ein Parameterwert formula_1 als realisierter Wert einer Zufallsvariablen formula_86 interpretiert. In dieser würde ein Ausdruck der Form formula_87 Sinn als bedingte Wahrscheinlichkeit mit dem bedingenden Ereignis formula_88 ergeben. Simultane Kontrolle der Fehler 1. und 2. Art. Es gibt Modifikationen des klassischen Neyman-Pearson-Ansatzes zur Testkonstruktion, bei denen die Null- und die Gegenhypothese symmetrisch behandelt werden, und die Fehler 1. und 2. Art simultan kontrolliert werden. Dies ist bei einer entscheidungstheoretischen Interpretation statistischer Test möglich, bei der die Fehler 1. und 2. Art durch eine Verlustfunktion bewertet werden. In der klassischen Testtheorie gibt es die Konzepte des Alternativtests – insbesondere des Niveau-α-β-Tests mit Indifferenzbereich – und des so genannten "agnostischen Tests", der neben einer Entscheidung für die Null- oder Gegenhypothese explizit einen Bereich ohne Entscheidung vorsieht.
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Fehler 2. Art
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Fibonacci-Zahlen
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FYROM
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Ferdinand de Saussure
Ferdinand Mongin de Saussure (* 26. November 1857 in Genf; † 22. Februar 1913 auf Schloss Vufflens, Kanton Waadt, Schweiz) war ein Schweizer Sprachwissenschaftler. Er hat den sprachwissenschaftlichen Strukturalismus und die Entwicklung der Indogermanistik und der Semiotik im 20. Jahrhundert nachhaltig geprägt. Er selbst veröffentlichte zeitlebens kein einziges Buch, doch die Mitschriften seiner Vorlesungen ("Cours de linguistique général") ließen ihn zum „Begründer der modernen Linguistik“ werden. Leben. Ferdinand de Saussure war der Sohn des Naturwissenschaftlers Henri de Saussure und von Louise Elisabeth de Pourtalès, Enkel von Nicolas Théodore de Saussure und Urenkel von Horace Bénédict de Saussure. Seine Brüder waren der Sinologe Léopold de Saussure, der Mathematiker und Esperantist René de Saussure, der zeitweise wie er in Genf lehrte, und der Maler Horace de Saussure. 1876 bis 1880 studierte er in Leipzig Indogermanistik, 1878/1879 auch ein Semester in Berlin bei Heinrich Zimmer. 1882 heiratete er Marie Faesch (1867–1950), Tochter des Schweizer Ingenieurs Jules Faesch (1833–1895). Durch seine Frau gelangte das Schloss Vufflens in den Besitz Ferdinand de Saussures und seiner Nachkommen. Nach seiner Promotion in Leipzig unterrichtete Saussure von 1881 bis 1891 an der École pratique des hautes études in Paris. Von 1891 bis zu seinem Tod war er Professor für vergleichende Sprachwissenschaft (Indogermanistik) an der Universität Genf. In dieser Zeit widmete er sich zunehmend Studien zur germanischen Heldensage und zur lateinischen Versdichtung, in der er – ohne Erfolg – die Präsenz von Anagrammen nachzuweisen suchte. Im Jahr 1906 erhielt er einen Lehrauftrag von der Universität Genf für Allgemeine Linguistik. In drei Vorlesungen über allgemeine Sprachwissenschaft, die von 1906 und 1911 gehalten wurden, stellte er seine Grundideen vor, wie er sie vor allem in seiner Pariser Zeit entwickelt hatte. Aus seiner Vorlesungsreihe entstand der "Cours de linguistique générale", der nachdem Saussure plötzlich erkrankte und 1913 starb, von Studenten, die seine Vorlesungen gehört und seine Ideen zur wissenschaftlichen Grundlegung der Sprachwissenschaft als wichtig eingeschätzt hatten, zusammengestellt und herausgegeben wurde. Sein Sohn Raymond de Saussure wurde Psychoanalytiker und war einer der wichtigsten Organisatoren der Psychoanalyse in der Westschweiz. Der Asteroid (13580) de Saussure wurde 2010 nach ihm und seinem Urgrossvater Horace-Bénédict de Saussure benannt. Werk. Vergleichende Sprachwissenschaft. Zu Lebzeiten trat Saussure ausschliesslich mit indogermanistischen Arbeiten zur vergleichenden Sprachwissenschaft hervor. Seine Veröffentlichung zur litauischen Phonetik ist grosso modo den Studien des preußisch-litauischen Forschers Friedrich Kurschat entnommen, mit dem Saussure im August 1880 für zwei Wochen durch Litauen reiste und dessen Bücher Saussure gelesen hatte. Saussure, der in Leipzig ein Semester lang einige Grundzüge der litauischen Grammatik studiert hatte, die Sprache aber nicht beherrschte, war also auf Kurschat angewiesen. Dennoch gelangen ihm in der Folge der Untersuchungen anhand des Litauischen bahnbrechende Erkenntnisse. 1878 sagte er die Entdeckung der Kehlkopflaut in der proto-indoeuropäischen Sprache voraus. In seinem "Mémoire sur le système primitif des voyelles dans les langues indo-européennes" (1879) rekonstruierte Saussure das indogermanische Vokalsystem. Er versuchte zu zeigen, dass die späturindogermanischen Laute "*a", "*ā", "*o" und "*ō" in vielen Fällen aus einem "*e" in Kombination mit zwei – wie Saussure es nannte – „sonantischen Koeffizienten“ ("coefficients sonantiques") entstanden sind. Über die lautlichen Eigenschaften dieser postulierten Koeffizienten machte er keine weiteren Angaben. Der dänische Sprachforscher Hermann Møller vermutete, dass es sich bei diesen Koeffizienten um Laryngale handle. Der polnische Sprachwissenschaftler Jerzy Kuryłowicz wies im Jahr 1929 nach, dass das erst 1917, vier Jahre nach Saussures Tod, entzifferte Hethitische einen der postulierten Laute aufwies. Im Lauf des 20. Jahrhunderts hat sich die Laryngaltheorie allgemein durchgesetzt. Allgemeine Sprachwissenschaft. Saussure gilt als Begründer der modernen Linguistik und des sprachwissenschaftlichen Strukturalismus. Seine Schüler Charles Bally und Albert Sechehaye veröffentlichten drei Jahre nach Saussures Tod den "Cours de linguistique générale" (zu Deutsch "Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft"). Der "Cours" entwickelt eine allgemeine Theorie der Sprache als Zeichensystem. Langue und Parole. Saussure unterscheidet bei der Sprache drei Aspekte, die er mit drei unterschiedlichen Ausdrücken bezeichnet: Der Begriff "langage" bezeichnet die menschliche Sprache als vortheoretischen Phänomenbereich, also so, wie sie den Sprechern in der Sprechtätigkeit begegnet. Demgegenüber ist die "langue" als theoretischer Sprachbegriff zu verstehen. Die "langue" kann also begriffen werden als sprachwissenschaftliche Perspektive, unter der die "langage" betrachtet wird. "Langue" hat eine soziale und eine individuelle Dimension: In ihrer sozialen Dimension "(fait social)" ist "langue" eine intersubjektiv geltende gesellschaftliche Institution, ein sozial erzeugtes und in den Köpfen der Sprecher aufgehobenes, konventionelles System sprachlicher Gewohnheiten. In ihrer individuellen Dimension ist sie mentales "depôt", bzw. "magasin" (etwa: Lager) einer subjektiv internalisierten Einzelsprache. Auch der Begriff der "parole" hat eine soziale und eine individuelle Seite. Er bezeichnet einmal den konkreten Sprechakt, also die individuelle Realisierung der "langue" durch den je einzelnen Sprecher "(hic et nunc)" gebundene, raum-zeitliche Realisierung des Systems. Zugleich ist die "parole" aber in ihrer sozialen Dimension der Ort der Genesis und Veränderung der "langue". "Langue" und "parole" stehen also in einem Verhältnis der wechselseitigen Bedingtheit: Auf der einen Seite gibt es nichts in der "langue", das nicht durch die "parole" zuvor in sie gelangt wäre. Andererseits ist die "parole" nur möglich aufgrund jenes sozialen Produktes, das "langue" heisst. Die Authentizität des "Cours". Die beiden Herausgeber hielten sich an Mitschriften aus Saussures Vorlesungen. Allerdings hatten sie nicht selbst an jenen Vorlesungen teilgenommen. Textkritische Untersuchungen haben gezeigt, dass der Wortlaut zentraler Thesen des "Cours" sich in den Nachschriften nicht findet, sondern von den Herausgebern hinzugefügt wurde. Dazu gehört etwa der oft zitierte Satz, Sprache sei „eine Form, keine Substanz“. Erst in den 1950er Jahren entwickelte sich eine quellenkritische Forschung, die sich seither darum bemüht, Saussures fragmentarischen Nachlass zu erschliessen. Ludwig Jägers Saussure-Deutung. Eine vom "Cours de linguistique générale" stark abweichende Darstellung der Lehren Saussures vertritt der deutsche Sprachwissenschaftler Ludwig Jäger mit seiner „transzendental-hermeneutischen“ Lesart. Jäger rekonstruiert Saussures Ansichten nicht anhand des "Cours", sondern aufgrund nachgelassener Manuskripte, in denen nach seiner Auffassung „der authentische Saussure“ zu finden sei. In der internationalen Saussure-Forschung stellt Jägers Auffassung eine einzelne Interpretation neben anderen dar, die nicht als allgemein akzeptiert gelten kann. Zeichen und Zeichensynthese. Während im "Cours" noch der Begriff des "signe" (‚Zeichen‘) Verwendung findet und (in Kongruenz mit der frühromantischen Diskussionen hierüber, insbesondere mit Novalis) die mentale und lautliche Seite sprachlicher Zeichen als "Signifikat" („signifié“ = Bezeichnetes, Zeicheninhalt) und "Signifikant" („signifiant“ = Bezeichnendes, Bezeichnung, äussere Zeichenform) unterschieden werden, verwendet Saussure diese Begriffe in den von Jäger herangezogenen Manuskripten nicht. Hier prägt er für das Ganze des Zeichens den Begriff des "Sème", für die lautliche Hülle des "Sème" den des "Aposème" sowie den des "Parasème" für den mentalen Zeichenaspekt. Der Begriff des "Sème" bezeichnet dabei stets das „Ganze des Zeichens, Zeichen und Bedeutung in einer Art Persönlichkeit vereint“ und soll die Vorherrschaft entweder der lautlichen oder der gedanklichen Seite beseitigen. Auch die Begriffe "Parasème" und "Aposème" bezeichnen nicht die Teile eines "Sème", sondern Aspekte desselben. Diese Aspekte sind keine dem "Sème" logisch vorausliegenden, unterscheidbaren Einheiten, die dann lediglich während des Sprechens zusammengesetzt werden. D. h., es werden nicht lediglich bereits mental vorhandene Bedeutungen mit ebenfalls vorhandenen Lauten verknüpft. Sprache bildet nicht Gedanken ab. Sie erschafft sie vielmehr: Erst im Akt des Sprechens, der Artikulation, vollzieht sich die Verbindung "(Synthese)" eines vorsprachlichen und daher chaotischen und gleichsam spurlos vorüberziehenden Denkens mit der lautlichen Substanz. Dieser Vorgang vollzieht sich in der Zeit, also "linear": Worte werden nacheinander geäußert. Lautlicher und gedanklicher Aspekt des Zeichens lassen sich so immer nur im Nachhinein ihrer Entstehung, der "Zeichensynthese", unterscheiden. Das dort erzeugte Ganze des Zeichens, das "Sème", ist notwendige Bedingung seiner beiden Seiten. "Aposème" und "Parasème" sind keine autonomen Bestandteile des "Sème", sondern lediglich Gesichtspunkte, unter denen dieses von Sprachwissenschaftlern betrachtet werden kann. Sie sind für Saussure vergleichbar mit einem Blatt Papier: das Denken ist die Vorderseite, der Laut die Rückseite. So wenig wie man die Vorderseite zerschneiden kann, ohne zugleich die Rückseite zu zerschneiden, so wenig kann der Gedanke vom Laut getrennt werden. Zeichen und Bedeutung. Bedeutung ist für Saussure nichts der Zeichensynthese logisch Vorausgehendes, sondern wird konkret im sozialen Austausch, in der Zeichensynthese erzeugt. Welche Bedeutung einem Zeichen zukommt, verdankt sie dabei nicht etwa einer wie auch immer gearteten inneren Verbindung zwischen Zeichen und Bezeichnetem. Es gibt keine im Zeichen selbst liegende Qualität, die eine bestimmte Bedeutung rechtfertigen könnte. Dieses von Saussure sogenannte Prinzip der "Arbitrarität" sprachlicher Zeichen wird im Deutschen unglücklich mit "Beliebigkeit" bzw. "Willkür" übersetzt. Das Arbitraritätsprinzip beschreibt aber gerade nicht eine freie Wählbarkeit des Zeichens im Hinblick auf eine bestimmte bezeichnende Funktion. Gemeint ist die "Freiheit des Zeichens", das durch keine in ihm selbst liegende und der Zeichensynthese vorausliegende Eigenschaft an eine bestimmte Bedeutung gebunden ist. Dies lässt sich sowohl an dem Umstand ablesen, dass verschiedene Sprachen verschiedene Zeichen für gleiche Bedeutungen verwenden, als auch daran, dass sich die Bedeutung von Zeichen mit der Zeit verändert. Bedeutung ist keine (ontologische) Eigenschaft von Zeichen, sondern ein Effekt ihrer Verwendung durch die Sprachgemeinschaft, insofern die "Parole" der ausschliessliche Ort der Hervorbringung sprachlichen Sinnes ist. Zugleich verdankt sie sich dem Umstand, dass Sprachzeichen Teile eines Systems (der "langue") sind, innerhalb dessen jedes Zeichen von allen anderen Zeichen unterscheidbar ist. Die sprachliche Form gewinnt erst dadurch Bedeutung, dass sie in systematischer Korrelation zu anderen Formen steht. Ein Zeichen wird also in seiner Bedeutung nicht aus sich heraus und damit positiv, sondern durch seine Differenz zu anderen Zeichen bestimmt. Bedeutung kommt mit Saussure „immer von der Seite“, also durch die Opposition zu anderen Zeichen. Er spricht daher von der Wertlosigkeit des – in sich bedeutungslosen – Zeichens an sich („nullité du sème en soi“). Diesen systemischen Aspekt der differenzlogischen Bestimmung von Bedeutung bezeichnet Saussure als "valeur", als systemischen "Wert" des Zeichens. Voraussetzung dieser Zeichenbestimmung ist neben dem "Prinzip der Arbitrarität" die "Linearität" der Lautsubstanz, bzw. der Artikulation. Erst das zeitlich differentielle Nacheinander, die Zergliederung des Gedankens in der Artikulation schafft die Voraussetzung für die Abgrenzbarkeit und Unterscheidbarkeit sprachlicher Einheiten und damit auch die Voraussetzung für ihre Identifizierbarkeit. Kontinuität und Transformation. Der gleichermassen individuelle wie soziale Charakter der "langue" als subjektiver Sprachschatz auf der einen und überindividuelles System sprachlicher Gewohnheiten auf der anderen Seite und ihre Verankerung in der "parole" als Ort der dialogischen Sinngenese sind es, aus denen die von Saussure bestimmten Prinzipien des Lebens der Sprache in der Zeit resultieren. Diese Prinzipien muten zunächst widersprüchlich an: Charaktereigenschaft der Sprache nämlich ist so sehr ihre "Kontinuität in der Zeit", wie ihre "fortwährende Transformation". Eines von Saussure eingeführten Prinzipien ist die Unterscheidung zwischen diachroner und synchroner Sprachwissenschaft. Während die Kontinuität der Sprache, ihr Ist-Zustand als bestimmtes Sprachstadium zu einer bestimmten Zeit als "synchronische" Ebene bezeichnet wird, nimmt die "diachrone" Ebene die Veränderung der Sprache in der Zeit in den Blick. Methodisch sind diese beiden Ebenen in der sprachwissenschaftlichen Praxis strikt voneinander zu trennen. Tatsächlich aber sind beide dicht ineinander verwoben: Der Aspekt der Kontinuität der Sprache adressiert Sprache zum einen als soziale und historische Tatsache. Die – in der Philosophie oft gestellte – Frage nach dem Sprachursprung, also nach einem Prozess der ursprünglichen Benennung von Welt, stellt sich für Saussure nicht, denn die Idee einer ursprünglichen Aushandlung von Bezeichnungen setzt eine begrifflich erschlossene Welt und damit die Existenz von Sprache immer schon voraus. Zum anderen ist die Kontinuität der Sprache Möglichkeitsbedingung der Verständigung überhaupt, die stets an – in Synchronie befangene – Sprecherbewusstseine, an zu einem bestimmten Zeitpunkt intersubjektiv geteilte Sinnhorizonte und Bedeutungszuschreibungen geknüpft ist. Die Kontinuität der Sprache ist also Grundlage ihres sozialen Charakters. Eben jener soziale Charakter, also der Umstand, dass Sprecher fortwährend und gemeinsam mit Sprache umgehen aber ist es, dem sich zugleich die permanente Verwandlung der Sprache verdankt. Die Bewegung der Sprache – systemisch gesprochen: die fortwährende Neujustierung des relationalen Systems "langue" – ist unstillbar und unausgesetzt. Sie wird jedoch in aller Regel von den Sprechern nicht wahrgenommen. Das Wesen der Sprache ist daher – mit einem Wort des Sprachwissenschaftlers Christian Stetters – das der "Fluktuanz": das einer „nicht seienden sondern beständig werdenden und insofern sich kontinuierlich verändernden Substanz.“
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Friedrich Dürrenmatt
Friedrich Reinhold Dürrenmatt (* 5. Januar 1921 in Stalden im Emmental; † 14. Dezember 1990 in Neuenburg; heimatberechtigt in Guggisberg) war ein Schweizer Schriftsteller, Dramatiker und Maler. Leben. Friedrich Dürrenmatt kam 1921 in Stalden im Emmental zur Welt, das 1933 in der politischen Gemeinde Konolfingen aufging. Er war das erste Kind von Reinhold (1881–1965) und Hulda Dürrenmatt (1886–1975), geborene Zimmermann. Sein Vater war reformierter Pfarrer des Dorfes, sein Großvater Ulrich Dürrenmatt war Politiker und Dichter. 1924 wurde seine Schwester Verena („Vroni“; † 2018) geboren. Im Oktober 1935 zog die Familie nach Bern um, wo der Vater Pfarrer am Diakonissenhaus wurde. Die Weltwirtschaftskrise machte sich zu diesem Zeitpunkt auch in der Schweiz bemerkbar und das mittelständische Bürgertum wurde ärmer. Friedrich Dürrenmatt besuchte zunächst (bis 1937) das Freie Gymnasium Bern, später das Humboldtianum, an dem er 1941 die Matura ablegte. Er war kein besonders guter Schüler (Gesamtnote: „knapp ausreichend“) und bezeichnete seine Schulzeit selbst als die „übelste Zeit“ seines Lebens. Die Schule wechselte er, weil ihm die Art des Unterrichts nicht gefiel, weil er schlechte Noten hatte und weil er durch sein Verhalten bei den Lehrern aneckte. Von Mai bis September 1941 war Dürrenmatt zunächst aktives, danach passives Mitglied einer Fröntler-Vereinigung und machte sich für die Aufnahme von extremen Nationalsozialisten stark. In seinen Erinnerungen erwähnte er, dass er dies nur tat, um sich von seinem Vater abzugrenzen. Wiederholt spielen in seinen Werken auch religiöse Motive, wie Schuld, Verzeihen und Verantwortung eine Rolle. Noch in Konolfingen begann er zu malen und zu zeichnen, eine Neigung, die er sein Leben lang verspüren sollte. Er illustrierte später manche seiner eigenen Werke, fertigte Skizzen und zum Teil ganze Bühnenbilder an. Seine Bilder wurden 1976 und 1985 in Neuenburg, 1978 in Zürich ausgestellt. Eigentlich wollte er eine Ausbildung zum Kunstmaler machen, studierte aber dann ab 1941 Philosophie, Naturwissenschaften und Germanistik an der Universität Bern, dazwischen 1942/43 an der Universität Zürich. In Bern wohnte er bei seinen Eltern in einer Mansarde, die er mit großen Wandbildern ausstattete, die später übertüncht und erst Anfang der neunziger Jahre entdeckt, freigelegt und restauriert wurden (siehe Dürrenmatt-Mansarde). Als angehender Student schrieb Dürrenmatt 1941 an seinen Vater: 1942 lernte er die Walliser Kunststudentin Christiane Zufferey (1920-2011) kennen, die an der Kunstgewerbeschule Zürich studierte und seine erste Freundin wurde. 1946 beendete er die Beziehung zu Christiane Zufferey, die zur Fortsetzung ihres Studiums als Malerin nach Paris ging. Im selben Jahr beendete er auch sein Studium, ohne seine geplante Dissertation zu Søren Kierkegaard auch nur anzufangen, entschlossen, Schriftsteller zu werden. Am 12. Oktober 1946 heiratete er die Schauspielerin Lotti Geissler (1919–1983). Die kirchliche Trauung erfolgte durch seinen Vater Reinhold. Zunächst wohnte das Paar in Basel, wo 1947 der Sohn Peter geboren wurde. 1948 übersiedelte die Familie in die Gemeinde Ligerz am Bielersee, wo sie zunächst im Haus der Schwiegermutter im Ortsteil Schernelz, ab 1949 im Weiler Festi wohnte. 1950 entstand der Kriminalroman "Der Richter und sein Henker" mit offenem Bezug auf angrenzende Lokalitäten wie Lamboing. In dessen Verfilmung im Jahr 1975 tauchte er als „Friedrich“ auf. Max Frisch hatte vom Theaterverleger Kurt Reiss das Manuskript von Dürrenmatts erstem Bühnenwerk "Es steht geschrieben" erhalten und nach der Lektüre mit einem Brief den Kontakt zu Dürrenmatt eröffnet. Die an das Täuferreich von Münster anknüpfende Komödie wurde im April 1947 am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt und verursachte einen Theaterskandal. Nachdem es nicht den erhofften Anklang gefunden hatte, zog der Autor es im folgenden Jahr wieder zurück. 1948 folgte sein zweites Stück, "Der Blinde"; auch dieses Drama fand kaum Beachtung. 1949 kam sein drittes Stück, die Komödie "Romulus der Große", auf die Bühne, anstelle des nicht zu Ende geschriebenen und vom Autor vernichteten Werks "Der Turmbau zu Babel". Die ersten Jahre als freier Schriftsteller waren wirtschaftlich schwierig für Dürrenmatt und seine bald fünfköpfige Familie – 1949 war Tochter Barbara, 1951 Tochter Ruth hinzugekommen. Dann besserte sich die finanzielle Situation allmählich, besonders aufgrund von Hörspiel-Aufträgen deutscher Rundfunkanstalten. Außerdem wurde zu dieser Zeit der Arche Verlag zu seinem Stammverlag. Seine beiden Krimis ("Der Richter und sein Henker" und "Der Verdacht") wurden ab 1950 zuerst als Fortsetzungsgeschichten im "Schweizerischen Beobachter" veröffentlicht. 1952 bezogen die Dürrenmatts ihren dauerhaften Wohnsitz im dann gekauften Haus oberhalb von Neuenburg. 1950 entstand die Komödie "Die Ehe des Herrn Mississippi", mit der er 1952 seinen ersten großen Erfolg auf den bundesdeutschen Bühnen verzeichnen konnte, nachdem sie von den Schweizer Bühnen zuvor abgelehnt worden war. Weltweiten Ruhm erzielte er 1956 mit seiner Tragikomödie "Der Besuch der alten Dame"; der überragende Erfolg dieses Werks begründete zudem seine finanzielle Unabhängigkeit. 1957 und 1959 verbrachte Dürrenmatt einen Kuraufenthalt im Grandhotel Waldhaus in Vulpera. Dieser besondere Ort und eine Sitzbank, von der er auf das Hotel Waldhaus hinunterschauen konnte, wirkten inspirierend auf ihn: "Auf diesen sich ständig wiederholenden Spaziergängen, bei denen ich mehr lief als ging, fielen mir 'Die Physiker' und 'Der Meteor' ein." Auf den Misserfolg mit der „musikalischen Komödie“ "Frank der Fünfte" (1960) folgte 1962 der zweite Welterfolg mit "Die Physiker". Das zum Theaterstück umgearbeitete Hörspiel "Herkules und der Stall des Augias" (1963) kam beim Publikum wiederum nicht an. Mit "Der Meteor", seinem persönlichsten Stück, konnte er 1966 den dritten und letzten Welterfolg als Dramatiker feiern. In den 1960ern stand Dürrenmatt mit seinen Theaterwerken auf dem Höhepunkt seines Öffentlichkeitserfolges. Zu großem Ruhm verhalf Dürrenmatt zudem sein Drehbuch zu dem Heinz-Rühmann-Film "Es geschah am hellichten Tag" (1958), nach dessen Vorbild er auch seinen Roman "Das Versprechen" schrieb. Der Film gilt noch heutzutage als einer der größten deutschen Kriminalfilme. Ab 1967 widmete er sich auch der praktischen Theaterarbeit, erst an Basler Bühnen, nach einem Herzinfarkt im Oktober 1969 in der Neuen Schauspiel AG in Zürich, schließlich in Düsseldorf. Dort fanden zwei seiner Uraufführungen statt, "Porträt eines Planeten" und "Titus Andronicus". Er inszenierte mehrere spektakuläre Wiederaufführungen seiner eigenen Stücke, so 1978 in Wien "Der Meteor" (1964/1965). Dürrenmatt nahm als gesellschaftskritischer Autor in Essays, Vorträgen und Festreden Stellung zur internationalen Politik, etwa mit "Sätze aus Amerika" (1970), dem Pressetext "Ich stelle mich hinter Israel" (1973) und einem Vortrag zum 100. Geburtstag von Albert Einstein an der ETH Zürich (1979). Im Februar 1987 nahm er an der von Michail Gorbatschow einberufenen Friedenskonferenz in Moskau teil und hielt eine Rede, die später unter dem Titel "Kants Hoffnung" erschien. 1990 hielt er eine Rede zu Václav Havel (unter dem Titel: "Die Schweiz – ein Gefängnis"). Auf Grund seiner Stellungnahmen wurde Dürrenmatt fünfzig Jahre lang von der Bundespolizei ausspioniert, was er in seiner Rede auf Havel auch thematisiert. Dürrenmatt hinterfragte die damalige Welt, die sich am Rande der Implosion befand. Er verarbeitete diese Themen kritisch und interpretierte sie neu. Und vor allem schuf er Gemälde, Zeichnungen und Karikaturen. Albrecht Dürer, Hieronymus Bosch, Pieter Bruegel, Giovanni Battista Piranesi, Francisco de Goya und sein Freund Varlin waren Inspirationsquellen für den Maler Dürrenmatt. Er legte die Themen aus Mythologie und Religion neu aus. Er verkaufte seine Bilder nicht und stellte sie nur selten aus. Er sagte: Am 16. Januar 1983 starb seine Frau Lotti. Dürrenmatt befand sich in einer persönlichen und beruflichen Krise. Einige Monate später willigte er ein, in einem Dokumentarfilm der Regisseurin Charlotte Kerr mitzuwirken. Diese berufliche Begegnung war Liebe auf den ersten Blick. Das Paar heiratete im folgenden Jahr. So erlebte Dürrenmatt im Alter von 64 Jahren einen neuen künstlerischen Aufschwung und setzte sein monumentales Werk "Stoffe" fort, mit dem er 20 Jahre zuvor begonnen hatte. Diese "Stoffe" bilden eine Autobiografie, die Erinnerungen, Fiktionen und philosophische Überlegungen vermischt. Es entstand ein literarisches Mosaik, das in keine Schublade passt. Im Dezember 1990 starb Friedrich Dürrenmatt in Neuenburg im Alter von 69 Jahren an Herzversagen. Charlotte Kerr hat ihre Erinnerungen an die gemeinsame Zeit in ihrem Buch "Die Frau im roten Mantel" verarbeitet. Für die 29-bändige Werkausgabe, die 1980 im Arche Verlag als gebundene Ausgabe und im Diogenes Verlag als Taschenbuch erschien, hatte Dürrenmatt von den meisten seiner Werke Neufassungen hergestellt. In dieser Zeit setzte er sich intensiv mit seiner eigenen Arbeitsweise und seinen von ihm erschaffenen Figuren und Orten auseinander, mündend in den beiden Bänden "Labyrinth. Stoffe I–III" (1981) und "Turmbau. Stoffe IV–IX" (1990). Aus Typoskripten wurde 1992 postum unter dem Titel "Gedankenfuge" eine Fortsetzung der "Stoffe" veröffentlicht. 2021 wurden die "Stoffe" in einer fünfbändigen Edition neu herausgegeben, die auch online frei verfügbar ist. Friedrich Dürrenmatt vermachte durch einen Erbvertrag seinen literarischen Nachlass der Schweizerischen Eidgenossenschaft, die im Gegenzug 1991 das Schweizerische Literaturarchiv (SLA) als Abteilung der Schweizerischen Nationalbibliothek in Bern geschaffen hat. Im Jahr 2000 wurde das Centre Dürrenmatt Neuchâtel eröffnet, ein Museum der Schweizerischen Nationalbibliothek, das vom Architekten Mario Botta entworfen wurde und dem Studium, der Erhaltung und der Vermittlung des bildnerischen Werks von Friedrich Dürrenmatt im Dialog mit seinem literarischen Werk gewidmet ist. Ehrungen. Für sein Schaffen erhielt er viele Auszeichnungen, so 1948 den Welti-Preis für "Es steht geschrieben", 1959 den Schillerpreis der Stadt Mannheim, 1960 den Grossen Schillerpreis und 1977 die Buber-Rosenzweig-Medaille. 1969 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Temple University in Philadelphia verliehen, und er erhielt weitere Ehrendoktortitel in Jerusalem und Nizza. In den 1980ern erhielt er wieder eine Reihe von Auszeichnungen, so 1981 den Weinpreis für Literatur, 1983 den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur und 1986 den Georg-Büchner-Preis. Im Jahre 1985 erhielt er den Bayerischen Literaturpreis (Jean-Paul-Preis) zur Würdigung des literarischen Gesamtwerks. 1986 erhielt er den Premio Mondello der Fondazione Sicilia für die italienische Übersetzung von "Justiz". Postum wurde Dürrenmatt mit Einverständnis seiner Witwe in die Lord Jim Loge aufgenommen. Im September 2000 wurde in seinem Wohnhaus das Centre Dürrenmatt eröffnet, wo seither Ausstellungen und Veranstaltungen zu seinem Schaffen stattfinden. Am 26. Juli 2000 wurde der Asteroid (14041) Dürrenmatt nach ihm benannt. Dürrenmatts Dramentheorie. Ähnlich wie Bertolt Brecht (1898–1956), dessen Theorien zum epischen Theater Dürrenmatt studierte und neben dem er als „originellster Theoretiker“ angesehen wird, wollte er beim Zuschauer Distanz zum Geschehen auf der Bühne erzeugen. Der Zuschauer soll nicht weiter die Rolle eines passiven Konsumenten innehaben. Er soll zum eigenständigen Nachdenken angeregt werden. Dazu bevorzugte Dürrenmatt das Stilmittel der Verfremdung, wodurch allgemein Anerkanntes hinterfragt und die Widersprüchlichkeit gesellschaftlicher Strukturen offenbart werden. Ebenso charakteristisch sind tragisch-groteske Elemente, also eine Verbindung von scheinbar Unvereinbarem. Im Gegensatz zu Brecht präsentierte Dürrenmatt aber keine Weltanschauung (bei Brecht: Marxismus). Dürrenmatt schuf so seinen eigenen Typus der Tragikomödie, einer Mischform aus Tragödie und Komödie, seiner Meinung nach „die einzig mögliche dramatische Form, heute das Tragische auszusagen“. Denn die Tragödie setzt, wie Dürrenmatt in seinem Text "Theaterprobleme" von 1955 sagt, „Schuld, Not, Maß, Übersicht, Verantwortung“ voraus, um ihr Ziel, die Läuterung des Einzelnen, zu erreichen. In der Unübersichtlichkeit der modernen Welt, so Dürrenmatt, werde Schuld verwischt und abgeschoben, der Moderne komme nur die Groteske bei. In Bezug auf sein Drama "Die Physiker" prägte er das Zitat "Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat". Von Marcel Reich-Ranicki werden drei Werke Dürrenmatts hervorgehoben, welche seine Epoche für spätere Generationen greifbar mache: „seine tragische Komödie von der Käuflichkeit des Menschen und von der korrumpierenden Wirkung des Wohlstands“ ("Der Besuch der alten Dame," 1956), „die Parabel von der Bedrohung der Menschheit durch die Zivilisation“ ("Die Physiker," 1962) „und schließlich die von der deutschen Kritik gänzlich unterschätzte Parabel von der Schuld des Individuums“ ("Die Panne," 1956). Werke. Anmerkung: Viele seiner Romane und Erzählungen wurden auch als Hörspiel bearbeitet. Von beinahe allen Werken existieren unterschiedliche Fassungen. Werkausgabe. Von 1980 bis 1986 ist das dramatische Werk in 17 und das Prosawerk in 12 Einzelbänden erschienen, herausgegeben von Daniel Keel in Zusammenarbeit mit dem Autor, gleichzeitig als Hardcover im Arche Verlag und als Taschenbuch im Diogenes Verlag. Band 30 mit Zeugnissen über Friedrich Dürrenmatt ist hier unter Literatur angeführt. 1988 erschien, ebenfalls im Diogenes Verlag, eine mit dieser Ausgabe inhaltsgleiche "Werkausgabe in 7 Bänden" (inkl. 64-seitigem Begleitheft) in den Ausstattungsvarianten Ganzleinen-Hardcover ISBN 3-257-01771-5 sowie als in Leder gebundene, auf 333 Exemplare limitierte Vorzugsausgabe. 1998 veröffentlichte der Diogenes Verlag die auf 37 Bände erweiterte Taschenbuch-Neuausgabe: Bildnerisches Werk (Auswahl). Dürrenmatts malerisches Werk blieb der breiten Öffentlichkeit lange Zeit unbekannt. In seinen „dramaturgischen“ Bildern interpretiert Dürrenmatt oft Motive aus der Mythologie oder der Religion neu.
1666
1684142
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1666
Flughafen Berlin-Tempelhof
Der Flughafen Berlin-Tempelhof war neben den Berliner Flugplätzen Johannisthal und Staaken einer der ersten Verkehrsflughäfen Deutschlands und nahm 1923 den Linienverkehr auf. Er war bis zu seiner Schließung am 30. Oktober 2008 neben Berlin-Tegel und Berlin-Schönefeld einer von drei internationalen Verkehrsflughäfen im Großraum Berlin und trug die Bezeichnung "Zentralflughafen". Im Jahr 2007 wurden dort rund 350.000 Fluggäste abgefertigt. Ab 2010 wurde das ehemalige Flughafengelände vom Land Berlin und seinen Unternehmen mit dem Projektnamen "Tempelhofer Freiheit" bezeichnet und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Am 14. Juni 2014 trat das "Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes" (ThF-Gesetz) in Kraft und schrieb den Namen "Tempelhofer Feld" fest. Lage und Verkehrsanbindung. Das Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof liegt im Innenstadtbereich Berlins innerhalb des S-Bahn-Ringes, vier Kilometer südlich des Stadtkerns und . Das Flughafengebäude und der größte Teil des Flugfeldes befinden sich im Ortsteil Tempelhof, das Flugfeld erstreckt sich östlich bis in den Ortsteil Neukölln. Auf der Straße ist der einstige Flughafen Berlin-Tempelhof über die Anschlussstelle 20 der A 100 (Stadtautobahn) sowie den Abschnitt Tempelhofer Damm der Bundesstraße 96 zu erreichen. Ebenfalls zum Flughafen führen der Mehring- und der Columbiadamm sowie als Zufahrtsstraßen die Manfred-von-Richthofen-Straße und die Dudenstraße. Diese Straßen enden am Platz der Luftbrücke, wo sich der Haupteingang zum Flughafengebäude befindet. An die öffentlichen Verkehrsmittel ist der ehemalige Flughafen durch die Linie U6 der Berliner U-Bahn mit dem Bahnhof Platz der Luftbrücke angebunden, durch die u. a. der Regionalbahnhof Friedrichstraße erreicht werden kann; ebenfalls am ehemaligen Flughafengelände bzw. am U-Bahnhof halten die Buslinien 104 und 248. Geschichte. Entstehung. Die Fläche, auf der der Flughafen Tempelhof gebaut wurde – das Tempelhofer Feld –, war ehemals ein Exerzierplatz. Der erste Motorflug auf dem Tempelhofer Feld fand bereits 1909 statt. Am 28. Januar begann der Franzose Armand Zipfel (1883–1954) hier mit seinen öffentlichen Vorführungen. Er flog auf Einladung des "Berliner Lokal-Anzeigers" unter großem öffentlichen Interesse bis Mitte Februar 1909 mit seinem Voisin-Doppeldecker. Vom 4. bis 20. September 1909 führte auch Orville Wright auf dem Feld Demonstrationsflüge durch, bei denen er unter anderem einen Höhenweltrekord von 172 m aufstellte und erstmals einen Passagierflug von 1:35 Stunden Dauer absolvierte. Im Oktober führte Hubert Latham (1883–1912) den ersten Überlandflug über einer Stadt vom Tempelhofer Feld über Rixdorf und Britz zum Flugplatz Johannisthal durch. Nach dem Ersten Weltkrieg stimmten im Jahr 1919 die Gemeindevertretungen Neuköllns und Tempelhofs, auf deren Gebiet sich das Tempelhofer Feld befand, gegen eine Bebauung des Feldes. Erst nach einer Initiative des Reichsverkehrsministeriums im Dezember 1921 vollzog sich im Laufe des Jahres 1922 ein Schwenk in den betroffenen Gemeinden und Berlins hin zum Bau eines Flughafens, allerdings verbunden mit dem Willen zur gleichzeitigen Schaffung eines Volksparks am Nordrand des Tempelhofer Feldes und eines Sportparks auf seiner östlichen Seite. Den Beschluss zum Flughafenbau fasste der Magistrat von Groß-Berlin nach einer Vorlage des Berliner Verkehrsstadtrates Leonhard Adler am 21. Februar 1923. Anfang März 1923 demonstrierte die Junkers Luftverkehrsgesellschaft die Tauglichkeit des Tempelhofer Feldes mit Sonderflügen von fünf Junkers F 13 zum Flughafen Leipzig-Mockau. Unter den Passagieren befanden sich Reichspräsident Friedrich Ebert und der Direktor des Reichsluftamtes, Traugott Bredow. Im April 1923 wurden für Berliner Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft auch einige Rundflüge vom Tempelhofer Feld aus veranstaltet. Dabei kam es zu einem Flugzeugabsturz über der Hasenheide, bei dem auch ein Berliner Stadtverordneter starb. Ungeachtet dieses Unglücks stimmten am 3. Mai 1923 die Berliner Stadtverordneten für den Bau des Flughafens. Provisorium. Auf Kosten der Junkers Luftverkehr AG und der Deutschen Aero Lloyd wurde ab Juni 1923 am Nordrand des Tempelhofer Feldes ein Stück Land planiert und zwei hölzerne Flugzeughallen mit je 1000 m² Grundfläche und ein Stationsgebäude errichtet. Die Anlage sollte später in den Besitz der Stadt Berlin übergehen. Der Flugbetrieb begann am 8. Oktober 1923 mit einer vorläufigen Konzession des Reichsverkehrsministeriums. Mehrere Hundert Zuschauer verfolgten an diesem Tag die Starts zweier Flüge, einer führte nach München, der andere nach Danzig. Die noch heute bestehende Berliner Flughafen-Gesellschaft mbH (BFG) wurde am 19. Mai 1924 gegründet, ihr erster Aufsichtsratsvorsitzender war Leonhard Adler. Aufgabe der Gesellschaft war der „Ausbau und Betrieb des Flughafens auf dem Tempelhofer Feld und anderer Luftverkehrseinrichtungen in Berlin“. Gesellschafter waren zunächst der Berliner Magistrat und ab 27. September 1924 das Deutsche Reich. 1925 beteiligte sich auch der Freistaat Preußen an der Gesellschaft. Planungen, auf einem Teilstück des Tempelhofer Feldes auch einen Standort für Messeanlagen zu schaffen, wurden im Verlauf des Jahres 1924 zugunsten des Charlottenburger Messegeländes aufgegeben. Erster Bauabschnitt. Mit dem nun zur Verfügung stehenden Kapital konnte der Ausbau des Flughafens beginnen. Es wurde ein rund 1,5 Millionen m² großes Areal im Zentrum des Tempelhofer Feldes planiert: Erhöhungen von bis zu vier Metern und Vertiefungen von bis zu fünf Metern sowie der leichte Abfall des Areals nach Süden hin mussten ausgeglichen werden. Hierfür wurden 140.000 m³ des Aushubs der gerade in Bau befindlichen Verlängerung der Nord-Süd-U-Bahn (heutige Linie U6) verwendet, was knapp der Hälfte des benötigten Füllbodens entsprach. Zudem wurde für längere Zeit der Berliner Müll auf das Flughafengelände gebracht: 18.000 Fuhren Müll bildeten die Füllmasse für den Untergrund des Geländes. Ende 1924 wurde mit dem Bau der großen Flugzeughallen begonnen. Es entstanden die drei westlichen Hallen mit einer Grundfläche von 64 m × 25 m und einer Höhe von 6 m. Diese Dimensionen erwiesen sich aber schnell als zu klein, weshalb die drei östlichen Hallen mit einer Grundfläche von 80 m × 30 m und einer Höhe von 8 m gebaut wurden. Neben den Hallen entstanden ein Scheinwerferturm sowie eine Funkstation und das Abfertigungsgebäude. Die Gebäude lagen nördlich des Flugfelds an der Flughafenstraße, die als Verlängerung der Paradestraße in West-Ost-Richtung verlief, an deren Einmündung der Lilienthalstraße. Der erste Bauabschnitt war im Jahr 1927 fertig und konnte über den damals ebenfalls neu eröffneten U-Bahnhof "Flughafen" (heute: U-Bahnhof Paradestraße) erreicht werden. Eine Flughafenanbindung durch eine U-Bahn war seinerzeit weltweit einzigartig. Der erste planmäßige Luftverkehr führte nach München mit Anschluss in die Schweiz bzw. nach Österreich und weiter auf den Balkan, sowie nach Königsberg mit Anschluss an die von London über Berlin-Staaken nach Moskau beflogene Strecke. Von der Eröffnung am 8. Oktober 1923 bis zum Jahresende wurden insgesamt 100 Starts und Landungen mit 150 Passagieren und 1300 kg Fracht durchgeführt. Die am 6. Januar 1926 aus der Vereinigung der Junkers Luftverkehr AG und Deutscher Aero Lloyd entstandene "Deutsche Luft Hansa A.G." machte Tempelhof zu ihrem Heimatflughafen (siehe auch: Geschichte der Lufthansa). Von dort aus erfolgte am Tag der Betriebsaufnahme, dem 6. April 1926 – im Winter hatte der Flugverkehr noch geruht – auch der erste planmäßige Flug nach Dübendorf (Zürich). Zweiter Bauabschnitt. In einem zweiten Bauabschnitt wurde das Abfertigungsgebäude verlängert und aufgestockt, das nun ein großer, mit Klinkern verkleideter Bau wurde. Darin gab es ein von der MITROPA betriebenes Flughafenrestaurant, das nun zwei weitere Gasträume belegen konnte, eine Besucherterrasse und ein Flughafenhotel. Doch schon lange vor der Eröffnung dieses Abschnittes im Frühjahr 1929 forderte die BFG, das Flugfeld nach Süden, wo sich Kleingartenkolonien befanden, zu erweitern. Sie begründete ihre Forderung mit dem starken Anstieg des Luftverkehrs in Tempelhof und der Verringerung der Rollfläche durch eine zunehmende Betonierung der Abstellbereiche für die Flugzeuge. Nach dem Protest der betroffenen Kleingärtner und den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise ab 1930 wurde dieses Vorhaben vorerst nicht weiter verfolgt. Neubau. In den 1930er Jahren stand der alte Flughafen Tempelhof mit seinem Verkehrsaufkommen noch vor Paris, Amsterdam und London an der Spitze des europäischen Flugverkehrs. Die Grenzen der technischen Möglichkeiten waren bald erreicht, und im Januar 1934 begannen – noch unter dem BFG-Hausarchitekten Heinrich Kosina – die ersten Planungsarbeiten für einen Neubau zu einem Großflughafen auf dem Tempelhofer Feld. Im Juli 1935 erhielt der Architekt Ernst Sagebiel vom Reichsluftfahrtministerium den Planungsauftrag für den Neubau, der sowohl den neuen städtebaulichen Vorstellungen und der monumentalen Architektur im Nationalsozialismus entsprach als auch die Entwicklung der Luftfahrt für einen längeren Zeitraum vorwegnehmen musste. Der Flughafen war für bis zu sechs Millionen Passagiere pro Jahr geplant. Die Anlage sollte aber nicht allein dem Luftverkehr dienen, sondern auch für Veranstaltungen wie den Reichsflugtag genutzt werden und möglichst vielen luftfahrtbezogenen Dienststellen und Institutionen einen Sitz bieten. Dieser Neubau erfüllte auch alle Voraussetzungen eines Militärflugplatzes der damaligen Zeit. Das ab 1936 entstandene Flughafengebäude war nach seiner Fertigstellung 1941 mit einer Bruttogeschossfläche von 307.000 m² für zwei Jahre das flächengrößte Gebäude der Welt, ehe es vom Pentagon in Arlington abgelöst wurde. Die Gesamtlänge des bogenförmigen Teils des Gebäudes (siehe auch Architektur weiter unten) beträgt etwa 1,2 km – es ist damit eines der längsten Gebäude Europas. Das Flugfeld wurde als ovaler Rasenplatz mit annähernd zwei Kilometer Durchmesser angelegt, sodass die zu diesem Zeitpunkt noch relativ leichten Flugzeuge, unter anderem die Ju 52, jeweils exakt gegen den Wind starten und landen konnten. Durch Einbeziehung des Volksparks, der um den alten Flughafen liegenden Sportplätze, darunter ein großes Fußballstadion, und Kleingartenflächen sowie durch Hinzunahme eines Teils des Garnisonsfriedhofs konnte das Flughafengelände auf über 4,5 Millionen m² erweitert werden. Auf diesem Gelände wurde die neue Flughafenanlage konstruiert – um den alten Flughafen herum – ohne dass es während der Bauarbeiten zu einer Beeinträchtigung des Flugbetriebes kam. Die Reste des alten Flughafens wurden erst in den 1950er Jahren von Notstandsarbeitern entfernt. Der U-Bahn-Zugang verschob sich mit dem neuen Gebäude zum Bahnhof Kreuzberg, der daraufhin in "Flughafen" (heute: Platz der Luftbrücke) umbenannt wurde. Anfang Oktober 1939 bis Anfang März 1940 diente der Flugplatz Rangsdorf als Ersatz für den zivilen Luftverkehr in Tempelhof, weil das NS-Regime alliierte Luftangriffe auf den innerstädtischen Flugplatz fürchtete. Busse transportierten die Passagiere zwischen dem Berliner Zentrum und Rangsdorf. Auflösung des KZ Columbia. Das direkt am Neubau gelegene, am 27. Dezember 1934 eröffnete frühe nationalsozialistische Konzentrationslager Columbia wurde aufgrund des Neubaus geschlossen. Es war bis zum 5. November 1936 in Betrieb und wurde 1938 abgerissen. An die Existenz des KZ Columbia erinnern seit 1994 ein von Georg Seibert entworfenes Mahnmal sowie der "Förderverein für ein Gedenken an die Nazi-Verbrechen auf dem und um das Tempelhofer Flugfeld e. V." mit Veranstaltungen, Führungen und Ausstellungen. Nutzung als Flugzeugwerk und Zwangsarbeit. Im Dezember 1939 verfügte Hermann Göring, Teile der Produktion des Weserflug-Werkes Lemwerder nach Tempelhof zu verlagern. Aus der Baustelle "Neuer Flughafen" wurde eines der größten Endmontagewerke für Bomber weltweit. Dort stellte „Weserflug“ nahezu 2000 Ju 87 (in Lizenz) und rund 170 Fw 190 her. Produziert wurde im Wesentlichen in den Hangars 3 bis 7, der Flugsteighalle (die deshalb eine hölzerne Außenfassade erhielt), der 5000 m² großen Empfangshalle, der darunter befindlichen Frachthalle und mit dem Beginn der Fw 190-Herstellung seit 1943 auch im Eisenbahntunnel. Rund die Hälfte der 4150 Weserflug-Beschäftigten in Tempelhof (1944) waren Zwangsarbeiter. Die Lufthansa nutzte ab 1940 ebenfalls den Flughafen-Neubau zu Produktionszwecken. In Hangar 2 reparierte ihre Dural-Werkstatt Beschussschäden an Flugzeugen der Luftwaffe, und im Hangar 1 wurden die von Telefunken entwickelten „Würzburg“-Radargeräte montiert. In Tempelhof und später auch an anderen Standorten hat die Lufthansa bis Kriegsende eine geschätzte Zahl von 4.000 dieser Geräte, die in der Luftverteidigung zum Einsatz kamen, hergestellt. Die Lufthansa beschäftigte während dieser Zeit auch Zwangsarbeiter, die in Baracken auf dem Flugfeld untergebracht waren. Nach der Annexion Tschechiens im März 1939 wurden tschechische Frauen und Männer aus dem „Protektorat Böhmen und Mähren“ zur Arbeit ins Reich verpflichtet und im Weserflug-Werk Tempelhof eingesetzt. Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs kamen zusätzlich Menschen aus nahezu allen anderen besetzten Ländern Europas dazu. Ab 1941 wurden sämtliche Männer zur Wehrmacht einberufen. Sie wurden durch „Ostarbeiter“ ersetzt – verschleppte Familien aus Osteuropa, vor allem der Sowjetunion. Die ersten Lager hatte das Reichsluftfahrtministerium (als Bauherr des Flughafens) für reichsdeutsche Arbeiter errichten lassen. Diese Baracken wurden als Unterkünfte für Zwangsarbeiter und (französische) Kriegsgefangene mitgenutzt. Weser-Flugzeugbau und die Lufthansa ließen weitere Lager errichten. Die Lager und Unterkünfte waren auf dem Flugfeld in der Nähe des Columbiadamms, des Tempelhofer Damms sowie beim alten Flughafengebäude. Am Columbiadamm befand sich auch ein noch nicht weiter erforschtes „Russenlager“, das dreifach umzäunt und schwer bewacht war. Die Bauarbeiten liefen auch nach Kriegsbeginn weiter; bei Kriegsende 1945 war der neue Flughafen noch nicht vollständig fertiggestellt. Der Flugverkehr wurde weiterhin über die alte Flughafenanlage abgewickelt, die aber während des Krieges durch die Luftangriffe der Alliierten mehr und mehr beschädigt wurde. Der restliche zivile Flugverkehr wurde kurz vor Kriegsende – auch aus Mangel an Treibstoff – ganz eingestellt. Der alte Flughafen wurde 1939 in den Status eines Fliegerhorstes der Luftwaffe erhoben und diente zur Erprobung und Auslieferung der bei Weserflug gebauten Maschinen. Am 22. April 1945 verließ die letzte Maschine der Lufthansa Tempelhof in Richtung Warnemünde (siehe auch Geschichte der Lufthansa). Im Zuge der Schlacht um Berlin eroberte die Rote Armee den Flughafen Tempelhof und befreite auch die verbliebenen Zwangsarbeiter, die hier buchstäblich bis zur letzten Minute arbeiten mussten. Nutzung als Fliegerhorst. Ab 1935 wurde für den militärischen Flugbetrieb eine Fliegerhorstkommandantur der Luftwaffe aufgestellt. Von 1933 bis zum März 1944 lag mit der "Fliegerstaffel des Führers" (F.d.F) die Flugbereitschaft der damaligen Reichsregierung hier. Im August 1939 wurde im Rahmen der Mobilmachung das Kampfgeschwader z. b. V. 172 als Transportgeschwader mit Transportmaschinen vom Typ Junkers Ju 52/3m hier aufgestellt. In dem Geschwader dienten viele Besatzungen der Lufthansa mit ihren Transportfliegern, die durch die Einstellung des zivilen Flugbetriebes frei geworden waren. Ab August 1939 war die "Versuchsstelle für Höhenflüge" hier beheimatet, bevor sie im November 1939 zum Flugplatz Oranienburg umzog. Ab 1939 hatte die Schule des Reichswetterdienstes ihr Domizil in den Gebäuden des Flugplatzes. Kriegsende. Als sich die Front Ende April 1945 näherte, sollte der Flughafen verteidigt werden. Der damalige Flughafenkommandant Oberst Rudolf Böttger und einige leitende Lufthansa-Angestellte umgingen jedoch diesen Befehl, indem sie die bereitgestellten Waffen beiseiteschaffen ließen und ein Feldlazarett einrichteten. Dadurch kam es nicht zu einer Verteidigung des Flughafens, die möglicherweise zu einer völligen Zerstörung geführt hätte. Böttger entzog sich dem Vernichtungsbefehl Adolf Hitlers, die gesamte Anlage zu sprengen, durch Selbstmord. Nach anderen Quellen wurde er wegen Befehlsverweigerung von einem Offizier der Waffen-SS erschossen. Tatsächlich wurde der Betonboden der Haupthalle gesprengt, sodass dieser auf die darunter liegende Gepäckebene stürzte und die Haupthalle unbenutzbar wurde. Am 28./29. April 1945 besetzten Truppen der Roten Armee den Bezirk Tempelhof und den Flughafen. Die neuen Gebäude blieben weitgehend von Zerstörungen verschont, jedoch kam es zu mehreren Bränden, die auch die Stahlkonstruktion der Hallenbauten schwer beschädigten. Die Gebäude des alten Flughafens waren restlos zerstört und das Flugfeld von Einschlägen übersät. Auch der unterirdische Bunker mit dem Filmarchiv brannte komplett aus, und alle Filme wurden dabei zerstört. Bereits kurz nach Ende der Kampfhandlungen richteten ehemalige Lufthansa- und Weserflug-Mitarbeiter die "Hansa-Werkstätten", eine Fahrzeugreparaturwerkstatt, im Flughafengebäude ein. Der Betrieb sammelte mit Genehmigung der Tempelhofer Bezirksverwaltung die in den Straßen herumstehenden Autowracks ein und baute aus noch brauchbaren Teilen wieder fahrbereite Autos zusammen. Nutzung durch die US-Streitkräfte. Am 2. Juli 1945 verließ die Rote Armee den Flugplatz, damit dieser von den US-Amerikanern (473rd Air Services Group) noch vor ihrem offiziellen Eintreffen am 4. Juli übernommen werden konnte. Am 2. Juli 1945 wurde "Tempelhof Central Airport" (TCA), der die alliierte Code-Bezeichnung "Airfield R.95" erhielt, eingerichtet, am folgenden Tag begannen die Aufräumarbeiten. Dabei wurden alle vorgefundenen Akten, Personalpapiere und auch fast alle Baupläne des noch unfertigen Baus vernichtet. Der Flugbetrieb wurde im August 1945 aufgenommen, um Passagiere zur Potsdamer Konferenz zu bringen. Die US Army Air Forces (USAAF, ab 1947 US Air Force) stationierten im August 1945 das 301 Troop Carrier Squadron mit Douglas C-47 Skytrain, das im Januar 1946 durch das aus München verlegte 306 Troop Carrier Squadron abgelöst wurde. Im Jahr 1946 wurde der im US-amerikanischen Sektor liegende Flughafen Tempelhof zum Militärstützpunkt, den überwiegend die USAAF nutzte. Er bekam den Namen "Tempelhof Air Base". Die erste Aufgabe war die Instandsetzung der Hallen 1 und 2, die dringend für die Wartung und Unterstellung der Flugzeuge gebraucht wurden. Außerdem musste eine befestigte Start- und Landebahn angelegt werden, damit auch schwerere Flugzeuge landen konnten. Dies geschah zuerst mit Hilfe von Lochplatten-Elementen der Pionier-Einheiten. Am 18. Mai 1946 landete auf dieser Bahn auch die erste zivile Maschine, eine DC-4 der American Overseas Airlines, die einmal wöchentlich die Strecke New York – Frankfurt – Berlin bediente. Parallel wurde aber bereits der Bau des bis zuletzt genutzten befestigten Rollbahnsystems in der Hauptwindrichtung Ost-West begonnen. Während der Luftbrücke wurde von der französischen Militärverwaltung zur dringend benötigten Entlastung von Tempelhof auch die erste Start- und Landebahn in Tegel angelegt, die dadurch den Ursprung des heutigen Flughafens Tegel bildete. Die US Army stationierte ab 1951 in Tempelhof eine Heeresfliegereinheit mit zunächst drei Hubschraubern des Typs Hiller H-23A Raven als Teil des 6. Infantry Regiments. Im Laufe der Jahre wurde sie als das Berlin Brigade BBDE Avn.Det. bekannt. Die Hiller H-23A wurden bald durch Bell OH-13 Sioux ersetzt. Es folgten Sikorsky H-19 Chikasaw (1958–1964), Sikorsky H-34 Choctaw (1962–1964), Bell UH-1B (Mai 1966–März 1971) und schließlich ab März 1971 bis zur Auflösung im August 1994 Bell UH-1H. Zu den Starrflüglern zählten unter anderem Cessna O-1 Bird Dog (bis 1975), de Havilland Canada U-6 Beaver (bis 1979), Cessna O-2A (1975–1979), Pilatus UV-20A Chiricahua (1979–1991), Beechcraft U-8D Seminole, Beechcraft U-21 (bis 1986 und 1991–1994), sowie Beechcraft C-12C (1986–1991). Luftbrücke. Der zivile Luftverkehr wuchs nun stetig. Die BEA flog bereits seit 1946 den Flughafen Gatow an, und am 5. Januar 1950 nahm die Air France den Berlin-Verkehr nach Tempelhof auf. Der Flughafen bekam 1948 eine neue Bedeutung: Zusammen mit dem Flugfeld Gatow, und später auch dem Flughafen Tegel, diente er während der Blockade West-Berlins dem Transport von Verpflegung und Gütern für Berlin per Flugzeug. Ein großer Teil der Ladung bestand aus Brennstoffen. Die lebensnotwendige Versorgung durch die Berliner Luftbrücke zwischen verschiedenen westdeutschen Städten und Berlin dauerte vom 26. Juni 1948 bis 12. Mai 1949. In Tempelhof starteten und landeten die Flugzeuge zeitweise im 90-Sekunden-Takt. Der amerikanische Pilot Gail Halvorsen machte das Abwerfen von Süßigkeiten während des Anfluges auf Tempelhof mit Fallschirmen aus Taschentüchern aus den Cockpit-Fenstern populär, was von weiteren Piloten übernommen wurde und den Flugzeugen den legendären Namen "Rosinenbomber" einbrachte. Für den reibungslosen Betrieb der Luftbrücke wurde die südliche Start- und Landebahn gebaut. Diese unterbricht seitdem die Oderstraße in Neukölln. Das auf dem Platz vor dem Flughafen gelegene Denkmal erinnert an die historischen Versorgungsflüge und die dabei umgekommenen Menschen. Im Berliner Volksmund wird es aufgrund seines Aussehens als "Hungerharke" oder "Hungerkralle" bezeichnet. Weitere Denkmäler baugleicher Art befinden sich beim Flughafen Frankfurt und in etwas kleinerer Ausführung beim Heeresflugplatz Celle. Anlässlich des 50. Jahrestages der Luftbrücke feierte die Bundeswehr am 27. Juni 1998 auf dem Flughafen Tempelhof einen Großen Zapfenstreich. Flughafen „West-Berlin“. Nach der Blockade bat der West-Berliner Senat die Amerikaner, einen Teil der Anlagen für die zivile Nutzung freizugeben. Am 1. Juli 1950 übertrug der amerikanische Hohe Kommissar dem Senat das Recht, einen Teil des Flughafens Tempelhof zur zivilen Nutzung zu übernehmen. Daraufhin wurde am südlichen Teil mit Zugang vom Tempelhofer Damm auf kleinstem Raum eine Abfertigungsanlage gebaut, die für eine Kapazität von 20.000 Passagieren monatlich ausgelegt war. Die Haupthalle, die später als Abfertigungsanlage diente, war damals noch im Rohbau und schwer beschädigt. Am 9. Juli 1951 konnte die neue Anlage dem Verkehr übergeben werden. Damit konnte die 1936 begonnene Anlage zum ersten Mal ihre offizielle Funktion übernehmen. Die drei westalliierten Fluggesellschaften Pan Am, BEA und Air France flogen nun gemeinsam Tempelhof an. Der Passagier-Luftverkehr entwickelte sich nun rascher als erwartet, war dies doch die einzige Möglichkeit, ohne Kontrollen durch die DDR von West-Berlin nach Westdeutschland zu gelangen. Einen erheblichen Anteil daran hatten auch die Flüchtlinge, die West-Berlin nicht auf dem Landweg verlassen konnten. Bereits Ende 1951 wurden 320.000 Passagiere befördert. 1954 hatte der Flughafen Tempelhof schon mehr als 650.000 Fluggäste, die weitgehend von den westalliierten Fluggesellschaften BEA, später British Airways, Air France (nur bis 1960) und Pan Am befördert wurden. Von den während der Blockadezeit entstandenen drei Start- und Landebahnen wurde die mittlere in den Jahren 1957/1958 entfernt. Die beiden anderen wurden im Laufe der 1950er Jahre von Grund auf erneuert. Man hatte während der Blockade zunächst Lochbleche verlegt und diese später mit einer Asphaltschicht überzogen, die zunächst entfernt werden musste. 1954 entstand so die nördliche Bahn mit 2093 m Länge und die südliche mit 2116 m Länge. Zum Ende der 1950er Jahre konnten die zur Verfügung stehenden Anlagen das Passagieraufkommen (1960 waren es bereits 1,5 Millionen) nicht mehr bewältigen. Durch Verhandlungen wurde 1959 erreicht, dass die US Air Force weitere bisher militärisch genutzte Bereiche für die zivile Nutzung freigab. Hierbei handelte es sich um den Vorplatz (auch als "Ehrenhof" bezeichnet), das Bürogebäude mit der Eingangshalle (auch als "Ehrenhalle" bezeichnet) und das Abfertigungsgebäude mit der großen Haupthalle, die durch die BFG wieder hergerichtet bzw. fertiggestellt wurden. Der südliche Teil am Tempelhofer Damm wurde nun für den zivilen Luftverkehr genutzt, während der nördliche Teil am Columbiadamm weiterhin von den Amerikanern militärisch genutzt wurde. Am 2. Juli 1962 konnten die neuen Abfertigungseinrichtungen, die für 200.000 bis 250.000 Fluggäste pro Monat ausgelegt sind, dem Verkehr übergeben werden. Die Gebäude wurden überwiegend in Stahlbeton- oder Backsteinbauweise ausgeführt und an den Sichtflächen mit Natursteinplatten verkleidet. Die der Haupthalle quer vorgelagerte 90 m breite, 9 m tiefe und 15 m hohe Eingangshalle war bei Kriegsende bereits fertiggestellt. Um Baumaterial für die Sichtflächen der stark beschädigten Haupthalle gewinnen zu können, wurde die Eingangshalle durch den Einbau einer Beton-Zwischendecke knapp unterhalb der 21 großen Hallenfenster geteilt und so in der Raumhöhe deutlich reduziert. Die unterhalb der Zwischendecke entstandene Eingangszone wirkt dadurch relativ unscheinbar. Der oberhalb der Zwischendecke verbliebene, rund zehn Meter hohe Rest der ursprünglichen Eingangshalle wird nicht genutzt – er kann bei Führungen besichtigt werden. In der Haupthalle ist die ursprünglich in 19 m Höhe hängende stark beschädigte Stuckdecke durch eine auf 15 m abgehängte Kassettendecke ersetzt worden. In den elf 5,60 m × 22,50 m großen Kassetten ist die Deckenstrahlungsheizung untergebracht. Diese Decke ist begehbar, um die Heizung und die Beleuchtung warten zu können. Acht Jahre nach Inbetriebnahme der großen Abfertigungshalle wurde 1970 erneut die Kapazitätsgrenze erreicht, obwohl Air France mit Einführung der Caravelle bereits 1960 zum Flughafen Tegel umgezogen war. 1968 verlegte man daher zunächst den Charter- und Pauschalreiseverkehr nach Tegel. 1971 konnte die Kapazität durch etliche Umbauten und Verbesserungen noch einmal gesteigert werden, aber man entschloss sich trotzdem, den verbliebenen Linienverkehr in Tempelhof einzustellen und nach Tegel zu verlagern. Von 1970 bis 1974 war der durch die Berliner Luftbrücke bekannt gewordene „Candy-Pilot“ Gail Halvorsen Kommandant des Flughafens Tempelhof. Im Sommer 1975 wurde Tempelhof für den zivilen Luftverkehr geschlossen und durch den neu errichteten Flughafen Tegel (auf dem Gelände des französischen Militärflugplatzes, nach Plänen der Hamburger Architekten Gerkan, Marg und Partner) ersetzt. Flughafenhalter und -betreiber war nun ausschließlich das US Army Aviation Detachment mit der Einheit 7350th ABG (Air Base Group). Es wurden verschiedene Hubschrauber- und Flugzeugtypen betrieben, zuletzt sechs Hubschrauber Bell UH-1H sowie ein Flugzeug Beechcraft C-12 C und zwei Maschinen des Typs Pilatus UV-20A. Am 30. August 1978 wurde eine Maschine der LOT bei ihrem Flug von Danzig nach Berlin-Schönefeld entführt und zur Landung in Tempelhof gezwungen. Da das Motiv eine Flucht aus der DDR war, kam es mitten im Kalten Krieg zu diplomatischen Verwerfungen zwischen den beiden Blöcken. Der Berliner Volksmund betitelte daraufhin das Kürzel der polnischen Fluggesellschaft LOT als „Landet ooch Tempelhof“. Wiedereröffnung 1981–2008. Im Jahr 1981 wurde Tempelhof für den Zivilluftverkehr, das heißt für den Geschäftsreiseverkehr, der seitdem ein Schwerpunkt des Flughafens war, und für Fluggesellschaften mit kleinerem Flugmaterial, wiedereröffnet. Als eine der ersten Fluggesellschaften nahm die US-amerikanische Regionallinie Tempelhof Airways 1981 mit einer Nord 262 ihren Shuttle-Dienst zwischen Tempelhof und Paderborn im Auftrag des Computerunternehmens Nixdorf auf, deren Hauptbetriebe und -büros sich in Paderborn und West-Berlin befanden. 1990 wurden wieder mehr als 400.000 Fluggäste gezählt. Auch noch bis kurze Zeit nach der politischen Wende lief die Abfertigung der Fluggäste zunächst nicht über die zu früheren Zeiten genutzte Haupthalle, sondern über einen relativ kleinen Bereich, dem späteren GAT (Abfertigungsbereich für allgemeine Luftfahrt), südwestlich der Haupthalle. Die Haupthalle selbst wurde aufgrund der rapide steigenden Passagierzahlen am 16. Dezember 1990 durch den Flughafenbetreiber etwas überraschend wiedereröffnet. Erst zu Beginn des Jahres 1992 war der Service dort vollständig einem gewissen Standard angepasst: Eine Hallenbar wurde errichtet, das neue Restaurant oberhalb der Haupthalle mit Blick auf das Vorfeld öffnete, neue Anzeigetafeln für Abflüge und Ankünfte wurden installiert, und ein neues Gepäckausgabeband für Inlandsflüge in der Haupthalle ging in Betrieb. Die U.S. Air Force übergab den Flughafen 1993 bei ihrem Abzug aus Berlin wieder komplett an die BFG. Auf Grund der mit nur 2116 m relativ kurzen Start- und Landebahn war die Größe der Flugzeuge für den Linienverkehr auf die gängigen Schmalrumpfflugzeuge begrenzt, sodass er als ziviler Verkehrsflughafen vorwiegend für innerdeutsche und innereuropäische Ziele genutzt wurde. Die U.S. Air Force hatte auf dem Flughafen große Transportflugzeuge wie die Lockheed C-5 Galaxy nur unter eingeschränkten Bedingungen nutzen können. Zweimal landete eine Boeing 747 der Pan American in Tempelhof. Am 18. September 1976 landete eine Boeing 747 SP, aus Amsterdam kommend, anlässlich des Tages der offenen Tür und am 12. Juni 1987 eine Boeing 747-121 von/nach Frankfurt mit 300 Journalisten anlässlich des Besuches von US-Präsident Ronald Reagan. Am 27. Mai 2006 war der Flughafen Austragungsort des Red Bull Air Race. Während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 erlebte der Flughafen noch einmal einen deutlichen Anstieg des Flugverkehrs, da er für zahlreiche Sonderflüge genutzt wurde, zudem wurden zahlreiche Privat-Flüge für V.I.P.-Gäste und Sponsoren abgefertigt. Seit 2007 war die – unter anderen von der Zeppelin-Stiftung getragene – Zeppelin University mit einem Standort im Flughafenfoyer vertreten. Am 8. September 2007 landete anlässlich der Veranstaltung „Reisemarkt“ ein Großraumflugzeug Airbus A330-200 der LTU in Tempelhof, der aufgrund des hohen Leistungsüberschusses moderner Antriebe sowie der geringen Beladung einen problemlosen Umgang mit der kurzen Startbahn sowie mehrere Durchstartmanöver mit Passagieren an Bord demonstrierte. In den Jahren 2007 und 2008 gab es zahlreiche von Luftfahrt-Verbänden und Vereinen organisierte sogenannte Fly-ins von Privatmaschinen, die bis zu 180 kleinere Flugzeuge gleichzeitig nach Tempelhof brachten. Schließung des Flughafens. Bereits der erste Flächennutzungsplan des wiedervereinigten Berlins aus dem Jahr 1994 sah im Gegensatz zum Flughafen Tegel eine Umwidmung des Flughafengeländes mit zukünftiger Nutzung als Gewerbe-, Wohn-, Park-, Sport- und Sonderfläche vor. Im sogenannten „Konsensbeschluss“ einigten sich 1996 Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (CDU), Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) auf den Neubau eines Großflughafens Berlin Brandenburg, in dessen Folge auch die Schließung der innerstädtischen Flughäfen Tempelhof und Tegel vereinbart wurde. Der Berliner Senat erließ nach erfolgtem Planfeststellungsbeschluss für den Flughafen Berlin Brandenburg 2003 den Bescheid, der die BFG von der Betriebspflicht des Flughafens befreite. Zu diesem Zeitpunkt war der Flugbetrieb laut Betreibergesellschaft defizitär, für das Jahr 2003 wurde der daraus entstehende Verlust mit 15,3 Millionen Euro angegeben. Gegen diesen Bescheid klagten einige Fluggesellschaften. In einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren entschied das Oberverwaltungsgericht Berlin am 23. September 2004, dass die Klagen eine aufschiebende Wirkung haben und der Flugbetrieb bis zur Entscheidung in der Hauptsache aufrechterhalten werden muss. Das Gericht stellte eine Entscheidung im Sinne der Kläger in der Hauptsache in Aussicht. Der Senat zog daraufhin den Bescheid zurück und bereitete einen fundierteren Bescheid zur Betriebseinstellung vor, der im August 2006 erlassen wurde und ein Ende der Betriebspflicht zum 31. Oktober 2007 vorsah. Die Klage der Fluggesellschaften gegen den neuen Bescheid wurde am 19. und 21. Dezember 2006 vor dem OVG in Berlin verhandelt. Ein vom OVG vorgeschlagener Vergleich zur Anerkennung eines auf Oktober 2008 neu datierten Bescheides scheiterte an der fehlenden Zustimmung der meisten klagenden Luftfahrtunternehmen. Der Berliner Senat griff den Vergleich des OVG auf und änderte nochmals den "Bescheid zum Widerruf der Betriebserlaubnis für den Flughafen Tempelhof", der nun als Datum für die Schließung den 31. Oktober 2008 vorsah. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg und das Bundesverwaltungsgericht haben die Senatsentscheidung schließlich bestätigt. Initiativen aus der Bevölkerung. Ab 1986 kämpften Anwohner mit der "Bürgerinitiative Flughafen Tempelhof", aus der 2008 der Verein "Bürgerinitiative flugfreies Tempelhof" (BIFT) mit 11 Gründungsmitgliedern hervorging, für die Stilllegung des Flughafens Tempelhof. Gegen die Schließung des Flughafens hatte sich die 1995 gegründete "Interessengemeinschaft City-Airport Tempelhof" (ICAT) mit 1250 Mitgliedern gewandt. Sie initiierte 2006 ein Volksbegehren. Dazu wurden zunächst ab Ende November 2006 Unterschriften gesammelt. Am 8. Mai 2007 bestätigte der Berliner Senat die Sammlung von knapp 30.000 gültigen Unterschriften. Damit wurde der nach der Verfassung von Berlin erforderliche Nachweis von mindestens 20.000 Unterstützern für die Einleitung eines Volksbegehrens erbracht. In der Zeit vom 15. Oktober 2007 bis zum 14. Februar 2008 konnte jeder wahlberechtigte Berliner per Unterschrift in einem der Berliner Bürgerämter das Volksbegehren unterstützen. Das Volksbegehren wurde auch durch das "Aktionsbündnis be-4-tempelhof", die "SPD-Wähler für den Flughafen Tempelhof" und andere Initiativen unterstützt. Bereits am 30. Januar 2008 wurde das nötige Quorum von 170.000 Unterschriften erreicht. Insgesamt wurden gut 208.000 Zustimmungserklärungen abgegeben. Gegen die Offenhaltung des Flughafens warb ab März 2008 das aus zehn Parteien und Organisationen bestehende "Bündnis für ein flugfreies Tempelhof" u. a. mit stadtweit 40.000 Plakaten (Slogan: „Nein! zum Flugbetrieb in Tempelhof“). Zu den Initiatoren gehörten SPD, Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), ferner engagieren sich die BIFT, der Verkehrsclub Deutschland (VCD), die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und der Naturschutzbund Deutschland (NABU). Der von der ICAT initiierte Volksentscheid "Tempelhof bleibt Verkehrsflughafen!" fand am 27. April 2008 statt. Er wurde abgelehnt, da bei einer Wahlbeteiligung von 36,1 % zwar 60,1 % der Teilnehmer dafür stimmten, jedoch bezogen auf alle Wahlberechtigten sich damit nur eine Zustimmung von 21,7 % ergab; notwendig wäre ein Viertel der Abstimmungsberechtigten gewesen. Die Kosten für die Durchführung des Volksentscheides betrugen rund 2,5 Millionen Euro. Gegen das festgestellte Ergebnis des Volksentscheids wurde von der ICAT Verfassungsbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof eingelegt. Am 27. Oktober 2008 entschied dieser, dass der Volksentscheid nicht wiederholt werden muss. Für die Nachnutzung des Flughafens Berlin-Tempelhof formierte sich 2007 die "Bürgerinitiative Nachnutzung des Flughafens Tempelhof" (NANU THF) und für eine Öffnung des umzäunten Flughafens setzt sich die Bürgerinitiative "Tempelhof für alle" ein. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hatte am 7. Juni 2007 den Bescheid zur Entwidmung des Flughafengeländes zum 31. Oktober 2008 verkündet. Gegen diesen Bescheid wurden zwei Klagen beim Oberverwaltungsgericht eingereicht. Dieses wies am 17. Dezember 2008 die Klage der ICAT als unbegründet zurück, die eines Privatmannes erklärte sie für unzulässig. Beide Kläger seien in ihren eigenen Rechten nicht verletzt worden. Eine Revision wurde nicht zugelassen. Auf die Einstellung des Flugbetriebes hatte das Verfahren keine Auswirkung. Die letzten Flüge. Der letzte Charterflug und gleichzeitig der letzte Start eines Jets von Berlin-Tempelhof erfolgte am 30. Oktober 2008 um 22:12 Uhr mit der Boeing 737-700 D-ABAB der Air Berlin unter Flugnummer AB1001 mit den Kapitänen Funke und Altenscheidt im Cockpit. Der Flug landete nach nur 22 Minuten um 22:34 Uhr in Berlin-Tegel und beendete damit die Geschichte der Jetfliegerei ab Tempelhof. Nur fünf Minuten später startete um 22:17 Uhr eine Dornier 328 der Cirrus Airlines mit dem Kennzeichen D-CIRP als letzter Linienflug in Richtung Mannheim. Cirrus Airlines und einige ihrer Piloten hatten eine besondere Bindung zum Flughafen Tempelhof, und so verabschiedete sich der letzte Abflug dieser Airline aus Tempelhof bei Tageslicht gegen 16:45 Uhr mit dem Flugzeug D-COSA mit einer Ehrenrunde über dem Südteil der Stadt und einem nochmaligen tiefen Überflug über die Piste 27L vom Flughafen. Die letzten Flugzeuge, die in Tempelhof offiziell starteten, waren eine Douglas DC-3 "(Rosinenbomber)" und die Junkers Ju 52/3m „Berlin-Tempelhof“ der "Deutschen Lufthansa Berlin-Stiftung", die um 23:55 Uhr parallel von den beiden Startbahnen abhoben, mit den Flügeln winkten und nach Südosten, Richtung Schönefeld wegdrehten. Die letzte offizielle Landung eines Flugzeuges in Berlin-Tempelhof machte die Piper PA31T1 Cheyenne I mit dem Kennzeichen D-ILCE. Sie landete am 30. Oktober 2008 nach 22 Uhr auf einem Ambulanzflug und verließ den Flughafen nach einem kurzen Aufenthalt am GAT-Bereich wieder. Drei unter Sichtflug (Visual Flight Rules, VFR) betriebene Kleinflugzeuge mussten am 30. Oktober 2008 wegen schlechter Witterungsbedingungen weiterhin am Flughafen verbleiben. Sie konnten erst nach einer behördlichen Außenstartgenehmigung am 24. November 2008 als nunmehr allerletzte Starts den Flughafen verlassen. Dieses waren die Antonow An-2 Doppeldecker D-FBAW der Fluggesellschaft LTS MiniHansa und D-FWJC der Fluggesellschaft Air Tempelhof, die am 24. November 2008 um 12:11 Uhr sowie 12:12 Uhr kurz hintereinander in Richtung Strausberg und Finow starteten; gefolgt von der Beechcraft F33A Bonanza D-EDBS, die um 12:15 Uhr den Flughafen Tempelhof in Flugrichtung Schönhagen verließ. Die derzeit letzte Flugbewegung gab es auf dem Flughafen Tempelhof am 26. Juni 2010. Die vom Flughafen Tegel kommende Socata TB 10 Tobago mit dem Kennzeichen D-EGKJ befand sich auf einem Rundflug über der Stadt. Aufgrund eines Leistungsverlustes des Triebwerks entschied sich der Pilot zu einer Notlandung auf der Piste 27L des mittlerweile geschlossenen Flughafens Tempelhof, um kein weiteres Risiko einer Außenlandung mitten im Stadtgebiet einzugehen. Der Wiederstart der Maschine von Tempelhof wäre möglich gewesen. Die Genehmigung dazu wurde vom Senat allerdings nicht erteilt, und so musste das Flugzeug teilweise demontiert und letztlich am 30. Juni 2010 auf einem Tieflader vom Gelände gebracht werden. Eigentümerwechsel. Das Flughafengelände gehörte als früheres Reichsvermögen ursprünglich dem Bund, ab 2005 der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) sowie dem Land Berlin als Miteigentümer. Im Jahr 2009 verkaufte die BImA dem Land Berlin ihren Anteil zu einem Preis von 35 Millionen Euro. Das Land Berlin ist somit alleiniger Eigentümer des denkmalgeschützten Gebäudekomplexes und der großen Freiflächen. Das Land Berlin hatte nach der deutschen Wiedervereinigung Ansprüche auf ehemaliges Reichsvermögen geltend gemacht, darunter auch auf die damals bundeseigenen Flächen des Flughafens Tempelhof; der Bund lehnte die Ansprüche ab. Ein Normenkontrollantrag des Landes vor dem Bundesverfassungsgericht hatte 2008 keinen Erfolg. Ob die Voraussetzungen für einen Rückfallanspruch Berlins nach dem Reichsvermögen-Gesetz auf die Bundesflächen des Flughafens vorlagen, steht nicht fest, da das Land die maßgebliche Frist versäumt hatte. Berlin versuchte auf dem Verwaltungsrechtsweg seine Ansprüche weiterzuverfolgen, ist dabei 2011 in zweiter Instanz vor dem OVG Berlin-Brandenburg und schließlich 2013 mit der Revision beim Bundesverwaltungsgericht unterlegen. Nachnutzung, Entwicklung. Verschiedene Nachnutzungskonzepte wurden diskutiert und teilweise wieder verworfen. So bestand eine Planung, dass im Jahr 2017 auf dem Gelände die Internationale Gartenausstellung (IGA) stattfinden sollte. Im Juli 2012 hat der Berliner Senat diese Pläne wieder verworfen, da sich die Parknutzung durch die Bürger besser als erwartet entwickelte und somit eine Steigerung der Attraktivität des Geländes zu diesem Zweck nicht mehr nötig erschien. In diesem Zusammenhang gab es im Vorfeld Proteste gegen die kostenpflichtige IGA, die die Nutzung des Tempelhofer Feldes für viele Besucher einschränken würde. Für das Jahr 2020 war geplant, einen Teil der Internationalen Bauausstellung (IBA) auf dem Gelände auszurichten. Anfang August 2013 wurde ein bis dahin unter Verschluss gehaltenes Gutachten bekannt, das die Kosten für die notwendige Sanierung des Gebäudes mit 478 Millionen Euro beziffert. Zum reinen Substanzerhalt seien 144 Millionen Euro notwendig. Tempelhofer Freiheit Die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat am 5. März 2008 als Folgenutzungskonzept für das Flughafengelände das städtebauliche Projekt "Tempelhofer Freiheit" vorgestellt. Die Grundlage bildete das 1998/1999 erarbeitete Planungskonzept "Vom Flughafen zum Park der Luftbrücke." Darin vorgesehen ist die Einrichtung eines "Tempelhof Forum THF" für Kultur-, Medien- und Kreativwirtschaft im denkmalgeschützten ehemaligen Flughafengebäude und den südlich anschließenden befestigten Vorfeldflächen. An den Rändern des ehemaligen Flugfeldes sollen neue Wohnanlagen der Stadtquartiere Tempelhof (westlich bis südlich), Neukölln (östlich) und dem neuen nordöstlichen Columbiaquartier entstehen. Dazwischen soll die rund 220 ha große unbebaute Grünfläche des ehemaligen Flugfeldes als Parklandschaft mit zahlreichen Freizeitnutzungen erschlossen werden. Das überwiegend offengehaltene Wiesengelände soll dann auch weiterhin dem Temperaturausgleich des Stadtklimas dienen. Seit dem 8. Mai 2010 ist der Tempelhofer Park, der sich auf dem ehemaligen Flugfeld befindet, für die Öffentlichkeit zugänglich. Das Betreten des Geländes ist tagsüber durch zehn Eingänge möglich, die am Tempelhofer Damm, am Columbiadamm und an der Oderstraße liegen. Eine Volksinitiative richtete sich gegen den Namen "Tempelhofer Freiheit", da damit die NS-Geschichte dieses historischen Ortes verharmlost werde. Am 14. Juni 2014 trat das Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes (ThF-Gesetz) in Kraft und schrieb damit den offiziellen Namen "Tempelhofer Feld" fest. Zwischennutzungen. Seit der Schließung am 30. Oktober 2008 haben rund 26.000 Besucher (Stand: September 2010) das denkmalgeschützte Flughafengebäude besichtigt. Filmstudio Babelsberg. Nach dem gescheiterten Volksentscheid zur Rücknahme des Schließungsbeschlusses des Berliner Senats erneuerte das Filmstudio Babelsberg das Angebot, im Tempelhofer Flughafengebäude in mehrere Filmateliers sowie Europas größten Requisiten- und Kostümfundus investieren zu wollen. Messegelände. Am 29. Januar 2009 unterzeichnete die für den Flughafen Tempelhof zuständige Berliner Immobilienmanagement (BIM) einen zehn Jahre laufenden Nutzungsvertrag mit der Modemesse Bread & Butter. Die Modemesse nutzte zweimal jährlich für jeweils einen Monat sämtliche Hangars, das Vorfeld sowie die Haupthalle des ehemaligen Flughafens Tempelhof, ehe sie 2018 eingestellt wurde. 2019 lief der Vertrag aus. Seit 2009 findet zweimal im Jahr die Messe "Berlin Vital", die zum Rahmenprogramm des alljährlichen Berliner Halbmarathons im Frühjahr sowie des Berlin-Marathons im Herbst gehört, im Gebäude des ehemaligen Flughafens statt. Die Messe ist nach Angaben des Veranstalters die größte deutsche Sport- und Gesundheitsmesse. Die Jugendmesse "YOU" sowie die internationale Messe für Umwelttechnologie "Clean Tech World" fanden zum ersten Mal im September 2010 in Tempelhof statt. Sport. Anfang August 2009 beschloss der Berliner Senat in Zusammenarbeit mit dem Berliner Eissportverband und der Eishockeymannschaft des "ECC Preussen", dass im ehemaligen Hangar 3 eine Eisfläche installiert werden soll. Diese Eisfläche wurde gebaut, da der Verein aufgrund der Schließung der Deutschlandhalle eine Ersatzfläche für seine knapp 800 Eissportler brauchte. Zuerst ohne Tribünen und nur für den Trainingsbetrieb geplant, entstanden zur Eishockey-Saison 2010/2011 drei kleine Tribünen, die insgesamt durch 199 Zuschauer genutzt werden können. Mehrere Hangars des Flughafens wurden Ende September / Anfang Oktober 2009 zur Austragung eines hochdotierten nationalen Reitturniers genutzt, das als "Hauptstadtturnier" bezeichnet wird. Ebenfalls im Oktober 2009 fand das Funsport-Event "Swatch freestyle.berlin" statt. Im November 2009 wurde auf dem Gelände der "17. Kondius Berliner Marathon-Staffel-Wettbewerb" ausgetragen. Am 4. Oktober 2009 hat die "Turngemeinde in Berlin 1848 e. V." (TiB) die Freiluft-Sportanlagen auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens in Berlin-Tempelhof wieder in Betrieb genommen. Die TiB übernahm beide Softball-Felder, das östliche wurde für den Baseballbetrieb der Berlin Rangers umgebaut. Zur Anlage gehören noch zwei Tennisfelder, sowie ein Sandplatz für Speed-Badminton, Beachvolleyball und Beachsoccer. Die FIA-Formel-E-Weltmeisterschaft, eine Serie von ausschließlich mit Elektroantrieb betriebenen Rennwagen, trug in der Saison 2014/15 auf einer temporären Rennstrecke auf dem ehemaligen Vorfeld des Flughafens den Berlin ePrix 2015 aus. Nachdem die Formel E 2016 aufgrund der Flüchtlingskrise auf den Karl-Marx-Allee Street Circuit ausweichen musste fährt die Formel E seit 2017 auf dem Tempelhof Airport Street Circuit. 2020 wurden aufgrund der COVID-19-Pandemie die letzten sechs Saisonrennen der Formel E auf dem Tempelhofgelände absolviert, dabei wurde nach jeweils zwei Rennen die Streckenkonfiguration geändert. In den ersten beiden Rennen fuhr man die Strecke im Uhrzeigersinn, in den beiden darauffolgenden gegen den Uhrzeigersinn und die letzten beiden Rennen wurden auf einer Strecke mit stark verändertem zweiten Sektor absolviert. Der asphaltierte Rundkurs ist vor allem bei Läufern sehr beliebt. Die Streckenlänge beträgt 6218 m und ist läuferisch wenig anspruchsvoll, da der Rundkurs mit nur 53 Höhenmetern keine nennenswerten Steigungen aufweist. Startpunkt ist der Haupteingang am Columbiadamm und man folgt der mit lilafarbenen Punkten markierten Strecke im Uhrzeigersinn. 18 Skulpturen wurden in einer Open-Air-Galerie names "Nuture Art" aufgestellt. Die Installationen sind als Minigolf-Anlage bespielbar. Flüchtlingsunterkunft. Im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise in Deutschland 2015/2016 wurden Hangars des Flughafens von Ende Oktober 2015 bis Dezember 2018 als Notunterkünfte für Flüchtlinge genutzt. Zeitweise waren dort in Zeltbauten bis zu 3000 Menschen untergebracht. Im Dezember 2017 zogen die in der Notunterkunft Untergebrachten in ein neu errichtetes Containerdorf im Randbereich des Flugfeldes um. Bis Dezember 2018 befand sich in den Hangars noch ein sogenanntes Ankunftszentrum zur kurzfristigen Unterbringung neu in Berlin angekommener Flüchtlinge. Die Baugenehmigung für das Containerdorf wurde im Februar 2017 erteilt, die Bauarbeiten begannen noch im selben Monat. Dies geschah auf Basis einer bis Ende 2019 befristeten Änderung des durch den Volksentscheid zum Tempelhofer Feld in Berlin 2014 beschlossenen Tempelhof-Gesetzes, das eigentlich jegliche Bebauung des ehemaligen Flughafengeländes ausschließt. Die für rund 17 Millionen Euro errichteten sogenannten Tempohomes boten in 256 abgeschlossenen Apartments mit Küche und Bad Platz für 1024 Personen. Sie wurden von Dezember 2017 bis Juni 2019 genutzt; danach begann der planmäßige Abbau. Proteste gegen die Entwicklung des Tempelhofer Feldes. Bürgerbegehren im Bezirk. Das Aktionsbündnis "be-4-tempelhof.de" initiierte im Bezirk Tempelhof-Schöneberg ein Bürgerbegehren mit dem Titel "Das Denkmal Flughafen Tempelhof erhalten – als Weltkulturerbe schützen." Der Bürgerentscheid am 7. Juni 2009 ergab bei 37,9 % Wahlbeteiligung 65,2 % Zustimmung. Da auch das hier notwendige Quorum von 15 % Abstimmungsbeteiligung erreicht wurde, hat der erfolgreiche Bürgerentscheid die Rechtskraft eines Beschlusses der Bezirksverordnetenversammlung. Squat Tempelhof. Aus Protest gegen die Nachnutzungspläne versuchten mehrere tausend Aktivisten, die sich in dem Bündnis "Squat Tempelhof" zusammengeschlossen hatten, am 20. Juni 2009 das Gelände zu besetzen. Dazu aufgerufen hatten neben Mieterbündnissen auch die Grünen. Die Demonstranten kritisierten, dass die Fläche nicht für die Öffentlichkeit freigegeben wurde und befürchteten neben einer zunehmenden Privatisierung und Kommerzialisierung einen vorangetriebenen Gentrifizierungsprozess. Die Besetzung wurde jedoch von der Polizei verhindert, die mit etwa 1500 Beamten im Einsatz war. 102 Demonstranten wurden festgenommen. Volksentscheid "100 % Tempelhofer Feld". Im September 2011 gründete sich im östlich an die Parkfläche angrenzenden Schillerkiez unter dem Titel "Demokratische Initiative 100 % Tempelhofer Feld" eine Bürgerinitiative mit dem erfolgreichen Ziel, die Nachnutzungspläne des Senats im Wege eines Berlin-weiten Volksentscheides zu kippen und eine Bebauung des Geländes zu verhindern. Nach Vorstellung der Initiative solle die Freifläche weder mit einem Neubau der Landesbibliothek, Wohn- und Gewerbeimmobilien, noch der Internationalen Gartenausstellung versehen und für Parkbesucher in ihrem natürlichen Zustand belassen werden. Die Unterschriftensammlung für das Volksbegehren gegen die Bebauung des Tempelhofer Feldes lief bis zum 13. Januar 2014 und brachte rund 185.000 Unterschriften. Der Volksentscheid über den Erhalt des Tempelhofer Feldes fand am 25. Mai 2014 statt: 64 % der abgegebenen Stimmen waren für den Volksentscheid, 36 % dagegen. Das notwendige Abstimmungsquorum von mindestens 25 % wurde mit 30 % überboten. Ausstattung. Das Gelände des ehemaligen Flughafens erstreckt sich auf eine Fläche von vier Millionen Quadratmetern, wovon das Vorfeld 486.000 m² einnimmt; auf diesem befanden sich 60 Flugzeugabstellpositionen, wovon 40 der allgemeinen Luftfahrt zustanden. Zur Wartung standen sieben Hangars zur Verfügung, deren Bruttogrundfläche insgesamt 52.250 m² beträgt. 19.200 m² davon sind die offenen Abfertigungsflächen A1 und A2. Der Flughafen verfügte über zwei Start- und Landebahnen, deren Oberfläche jeweils aus Asphalt besteht. "09R/27L" ist 1840 m lang und 42,5 m breit; sie war für Anflüge in beiden Richtungen für das Instrumentenlandesystem (ILS) in der Kategorie I sowie für Nichtpräzisions-Instrumentenanflüge (NDB/DME) zugelassen. "09L/27R" ist 2094 m lang und ebenfalls 42,5 m breit; sie konnte für Nichtpräzisions-Instrumentenanflüge (VOR/DME) und unter Sichtflugbedingungen benutzt werden. Instrumentenabflüge waren von beiden Bahnen in alle Richtungen möglich. Architektur. Mit dem neoklassizistischen Neubau des Flughafens Tempelhof ab 1934 durch den Architekten Ernst Sagebiel wurden erstmals alle Anforderungen eines modernen Großflughafens in einer architektonischen Gesamtform mit getrennten Funktionsebenen für Ankunft, Abflug, Post- und Frachtverkehr organisiert. Die in der Gebäudeanlage verwirklichte funktionale Komplexität (Ebenentrennung sowie zahlreiche – erst heute allgemein übliche – Sekundärfunktionen wie Hotels, Kongresszentrum, Großrestaurants, Lufthansa-Verwaltungen) war zum Zeitpunkt der Entstehung als Flughafen einzigartig und ist in zahlreichen Bestandteilen Vorbild für moderne Flughafenanlagen geworden. Der britische Architekt Lord Norman Foster bezeichnete den Flughafen daher im Jahr 2004 als „die Mutter aller Flughäfen“. Diese Metapher bekräftigte er 2009 und fügte hinzu: „Tempelhof müsste eine Sache des nationalen Gewissens sein – es ist viel zu bedeutend, um auf dem Altar kommerzieller Immobilienentwicklung geopfert zu werden.“ Wegen seiner besonderen ingenieurtechnischen Bedeutung wurde das Bauwerk am 1. Juni 2011 von der Bundesingenieurkammer mit dem Titel "Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland" ausgezeichnet. Gesamtanlage. Der Flughafen teilt sich in die mehr als 1200 m lange Flughalle mit Hangar und die Empfangs- und Verwaltungsgebäude. Das Empfangsgebäude befindet sich axial dem Hallenbogen angeschlossen, umschließt einen Vorplatz dreiseitig und schafft einen Übergang zu dem dahinter liegenden heutigen Platz der Luftbrücke. Dieser Platz war als Rundplatz konzipiert und sollte einen Durchmesser von 250 m haben. Die am Platz liegenden viergeschossigen Bauten sollten einen Dreiviertelkreis um den Platz legen und Dienste wie Luftpostamt und Frachthof aufnehmen. Die vorgesehene Bebauung ist allerdings nur auf der Ostseite des Platzes verwirklicht. Die Außengebäude sind, ähnlich wie viele andere Bauten aus der NS-Zeit, mit Natursteinplatten aus Muschelkalk verkleidet. Die Gesamtanlage steht unter Denkmalschutz. Seit Dezember 2007 liegt dem UNESCO-Welterbe-Komitee ein Antrag auf Ernennung zum Weltkulturerbe vor. Flugfeld. Vom letzten freien Viertel des Rundplatzes, das sich gegenüber dem Empfangsgebäude geöffnet hätte, sollte eine Wasserkaskade bis zum naheliegenden Kreuzberg reichen. Diese Wassertreppe wurde allerdings nicht verwirklicht. Die damit durch die Haupthalle verlaufende Achse der Flughafen-Anlage ist in ihrer Richtung auf das Kreuzbergdenkmal von Karl Friedrich Schinkel orientiert. Der Flughafen sollte, den Wünschen Adolf Hitlers entsprechend, seine monumentale Wirkung östlich der geplanten Nord-Süd-Achse entfalten. Die Anlage des Flugfeldes entsprach den zum Planungszeitpunkt gültigen Bedingungen, indem sie für den Betrieb kleiner Flugzeuge als Rasenfläche mit vier betonierten Start-Taschen ausgelegt wurde. Hierdurch war ein Starten und Landen der noch relativ leichten Fluggeräte exakt gegen den Wind möglich. Die Gesamtform als Oval erfüllte neben der idealen windrichtungsneutralen Form zugleich die Anforderungen als Luftstadion für die von Hermann Göring vorgesehenen Flugschauen. Flughalle und Hangar. Die Passagierhalle teilt das Gebäude in zwei Hälften und ist 100 m lang und 50 m breit. Daran schließen sich unmittelbar zu beiden Seiten die Hangars an. Diese alle Funktionen eines Flughafens integrierende Anordnung, die heute wegen der damit verbundenen geringeren Flexibilität unüblich ist, war wesentlicher Konzeptbestandteil mit dem Ziel, Zusammenhang und Größe zu demonstrieren. Eine technische Meisterleistung ist die über 40 m weit auskragende stählerne Dachkonstruktion entlang des Flugsteigs. Flugzeuge bis zu einer Höhe von fast 12 m können unter das Dach des Flugsteigs rollen, um dort abgefertigt zu werden. Das Flughallendach war ursprünglich auch als Tribünenbereich für mehr als 100.000 Zuschauer gedacht, wie bei Flugschauen zu den Reichsflugtagen. Eine weitere Besonderheit ist, dass die gesamte Dachanlage nicht nur in Bezug auf ihr eigenes Gewicht freitragend ist, sondern auch Schneemassen von mehreren Metern Höhe problemlos aufnehmen kann. Die Stadtseite der gebogenen Hangar- und Hallenanlage wird durch die sich in gleichen Abständen befindenden Treppentürme zur Erschließung der von Hermann Göring auf dem Dach vorgesehenen Zuschauer-Tribünen gegliedert. Die Treppentürme waren so ausgelegt, dass 100.000 Zuschauer in weniger als 30 Minuten die Dachtribünen hätten erreichen können, für die damalige Zeit eine ausgeklügelte logistische Meisterleistung. Diese – seit der Bauzeit im Rohzustand belassenen und für die Öffentlichkeit nie genutzten – unzugänglichen Treppenhäuser bestimmen die dominante Erscheinungsweise des Gebäudes; allein hierdurch wird der Zeitbezug zur NS-Architektur deutlich. Der aktuelle Betreiber, die Tempelhof Projekt GmbH, bietet Führungen an, bei denen die ansonsten nicht zugänglichen Bereiche besichtigt werden können. Hierzu zählt auch der als Ballsaal gedachte Raum über der Abfertigungshalle, der in seiner Funktion nie fertiggestellt wurde. Während der Nutzung durch die amerikanischen Streitkräfte wurde hier eine Basketball-Halle errichtet, die noch immer so erhalten ist. Im Nebenraum befindet sich eine Bar, die als Entertainment-Bereich mit Billard-Tischen und Bowling-Bahnen genutzt wurde. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller erklärte am 12. November 2015, dass aufgrund anhaltend hoher Flüchtlingszahlen bis auf weiteres die Hangars und die überdachte Haupthalle für die Flüchtlingsregistrierung und -unterbringung benötigt und damit andere Nutzungen ausgeschlossen würden. In Spitzenzeiten lebten in den Massenunterkünften bis zu 3000 Menschen; Ende 2018 kamen die letzten Flüchtlinge aus den Hangars in anderen Unterkünften unter. Unterirdische Anlagen. Der ehemalige Flughafen Berlin-Tempelhof hat außerdem umfangreiche unterirdische Anlagen, die über drei Etagen hinab in die Tiefe reichen. Mit der Aufgabe des Ausbaus 1942 wurden diese sowie auch einige oberirdische Elemente nicht weitergebaut. Unterirdisch wurden beispielsweise Fertigungsanlagen für Flugzeuge (im Zweiten Weltkrieg), Filmarchive, Kraftwerke und die spätere Kommandozentrale der US Army untergebracht. Dabei wird die Größe des „Tunnellabyrinths“ legendenhaft überschätzt. Die von Fotos her bekannte Endmontage von Jagdflugzeugen fand erst 1945 an der Endstation des Eisenbahntunnels am Hauptgebäude statt, und zwar in einer Halle, die zu einem tief gelegenen Innenhof hin offen ist. Im Zweiten Weltkrieg wurden die unterirdischen Räume auch für die Bevölkerung unverzichtbar als Luftschutzbunker genutzt, wobei Überreste von „Wandmalereien“ nach Motiven von Wilhelm Busch erhalten geblieben sind. Sie wurden auch während der Nutzung der Räume durch die amerikanische Luftwaffe bis 1993 nicht entfernt. Die Wände der Räume wurden zwar mehrfach weiß gestrichen, doch es wurde um die Gemälde sorgsam herumgestrichen, sodass die Wandmalereien nicht beschädigt wurden. Eine weitere Besonderheit ist eine in die unterirdische Ebene hinein verlaufende Straße zur Versorgung des Flughafens und Anlieferung von Gütern sowie ein Eisenbahntunnel. Der für den Austausch von Postsendungen zwischen Bahn und Flugzeugen angelegte Tunnel wurde über einen im Westen und Süden am Flughafenrand verlaufenden Gleisanschluss zum Güterbahnhof Hermannstraße, an dem auch die Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn beginnt, an das Eisenbahnnetz der Deutschen Reichsbahn angebunden. Im südöstlichen Anschluss an dem Gebäudeteil Columbiadamm 1–9 befindet sich in 5 m Tiefe ein zweigeschossiger Bunkerbau, der sogenannte „Filmbunker“. Seine untere Fußbodensohle ist mit 12,50 m das tiefstgelegene Stockwerk des gesamten Flughafenbaus. Der Filmbunker diente der Hansa Luftbild und der Luftwaffe zur Lagerung von Kartenmaterial und Luftbildaufnahmen auf Zelluloid, wofür auch eine aufwendige Lüftungsanlage eingebaut wurde. War bislang angenommen worden, dass der Zugang zum Bunker im April 1945 durch sowjetische Truppen aufgesprengt und sein Inhalt durch den dadurch ausgelösten Brand vollständig vernichtet worden war, ist inzwischen erwiesen, dass das über 1200 °C heiße mehrtägige Feuer nicht durch äußere Explosion entstanden sein konnte. „Also bleibt eigentlich nur die Möglichkeit, dass die Deutschen den Inhalt des Bunkers selbst und mit voller Absicht vernichtet haben, um ihn nicht dem Feind in die Hände fallen zu lassen.“ Die Spuren des Feuers sind heute noch sichtbar; Rohrleitungen, Überdruckventile und Aktivkohlefilter-Reinigungsanlagen der Lüftung sind ebenfalls erhalten. Radarturm. Der markante und über 71 m hohe Turm der RRP-117-Radaranlage östlich des Flughafengebäudes wurde 1982 so konstruiert und errichtet, dass sich die durch den Wind verursachten Turmbewegungen kaum auf die Qualität des Radarbildes auswirken. Es wurde bewusst eine dem monumentalen Baustil des Flughafens entgegengesetzte filigrane Bauform gewählt. Bis zu Beginn der 1990er Jahre, als der Flughafen noch von der US Air Force betrieben wurde, gab es einige weitere Navigationsanlagen am Flughafen. Sie wurden mit dem Abzug der amerikanischen Streitkräfte abgebaut, da es sich größtenteils um rein militärisch nutzbare Anlagen handelte. So existierte südlich der südlichen Start- und Landebahn auf Höhe der Bahnmitte ein Präzisionsanflugradar (PAR), das für die Südbahn genutzt wurde. Auf dem Dach des Gebäudes in Höhe des GAT befand sich ein Flughafenrundsichtradar (ASR). Die Radaranlage selbst ist abgebaut, allerdings ist die Trägerkonstruktion immer noch erhalten. Bereits im Oktober 1984 wurde ein auf dem Dach des Gebäudes befindlicher Funkhöhenmesser abgebaut. Nutzung. Flugbetrieb. Zuletzt haben lediglich vier Fluggesellschaften den Flughafen Berlin-Tempelhof im Linienbetrieb angeflogen. Diese waren unter anderem Brussels Airlines, InterSky sowie Cirrus Airlines. Daneben gab es mehrere Fluggesellschaften wie die am Flughafen ansässige Windrose Air, die mit ihren Maschinen Flüge der allgemeinen Luftfahrt durchführten. Die sogenannte ‚Executive-Fliegerei‘ nutzte für Flüge nach Berlin in großem Maße den Flughafen Tempelhof, weil er aufgrund der Lage eine einzigartig schnelle Anbindung an das Stadtzentrum bot. Darüber hinaus wurden von Tempelhof aus vom Air Service Berlin Rundflüge mit einem restaurierten ‚Rosinenbomber‘ vom Typ Douglas DC-3 angeboten. Die Luftschiffgeneration Zeppelin NT benutzte den Flughafen als Ausgangspunkt ihrer Fahrten. Außerdem gab es nördlich der Start- und Landebahnen noch mehrere Hubschrauber-Bahnen im Grasgelände, die später allerdings nicht mehr genutzt wurden. Daten zur Flugsicherung und zum Flugbetrieb. Frequenzen Funkfeuer Landehilfen Wichtige Navigationspunkte Kulisse für Film und Fernsehen. Über die Geschichte und Architektur des Flughafens Berlin-Tempelhofs wurde unter anderem auch eine detaillierte Dokumentation für das ARD-Fernsehen unter dem Titel "Geheimnisvolle Orte 2/7: Die Katakomben von Tempelhof" gedreht. In den folgenden Filmen diente der Flughafen als Kulisse: Der Flughafen war ebenfalls Kulisse in mehreren Folgen der Sat.1-Telenovela "Schmetterlinge im Bauch", der ARD-Vorabendserie "Berlin, Berlin" sowie der Sat.1-Serie "HeliCops – Einsatz über Berlin" (später wurde die Kulisse im brandenburgischen Briest nachgebaut). In einigen Filmen, in denen der Flughafen auftaucht, handelt es sich jedoch nur um eine Studiokulisse oder einen anderen Flughafen, der als Kulisse dient. Bekannte Filme aus dieser Kategorie sind beispielsweise "Indiana Jones und der letzte Kreuzzug" von Steven Spielberg oder "The Good German – In den Ruinen von Berlin" von Steven Soderbergh, sowie "Atomic Blonde" von David Leitch. Für einige Musikvideos ist der Flughafen Berlin-Tempelhof ebenfalls als Drehort ausgewählt worden: So sind in dem 1999 erschienenen Video zum Lied "1, 2, 3 Rhymes Galore (From New York to Germany)" von DJ Tomekk einige Aufnahmen während des laufenden Flugbetriebes in der Haupthalle und in angrenzenden Räumen entstanden. Im Jahr 2011 diente die Haupthalle des mittlerweile stillgelegten Flughafens als Kulisse zum Musikvideo zu "Hollywood Hills" der finnischen Band Sunrise Avenue. In Folge 8 der 2. Staffel der Dokufiktion-Serie "Zukunft ohne Menschen" ("Chaos am Himmel", USA 2010) dient der Flughafen als Beispiel für den Verfall von Flughafenanlagen nach einem fiktiven Verschwinden der Menschheit. Der Flughafen spielt eine hervorgehobene Rolle im Spiel "TwinKomplex", als Sitz einer mutmaßlichen Geheimorganisation. Sonstiges. Am ehemaligen Flughafen gab es ein Heizkraftwerk sowie ein Wasserwerk zur Versorgung des Flughafens. Die Ressourcen reichten auch für die Versorgung des damaligen Bezirks Tempelhof, was insbesondere zur Zeit der Berliner Luftbrücke von großer Bedeutung war. Wichtig für die militärische Luftraumüberwachung der NATO war während des Kalten Krieges das Radar am nordöstlichen Ende des Hauptgebäudes. Das 7000 m² große Areal wird bis heute von der Bundeswehr genutzt. Seit Ende 2020 wird in den Hangars eine Impfstelle der Senatsverwaltung für Gesundheit betrieben und mit AstraZeneca gegen COVID-19 geimpft. Verkehrszahlen. Bei den Zahlen handelt es sich bis 1972 um Summen der Flughäfen Berlin-Tempelhof und Berlin-Tegel, 1973 zusätzlich mit Flughafen Berlin-Schönefeld. Von 1974 bis 1991 sind keine Zahlen verfügbar.
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Freiburg
Freiburg steht für: Orte: Verwaltungseinheiten: Freiburg steht für: Freiburg ist der Familienname folgender Personen: Siehe auch:
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Flügelbohne
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Fetischbohne
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Fuge (Musik)
Die Fuge (von lateinisch "Fuga" „Flucht“) ist ein musikalisches Kompositionsprinzip polyphoner Mehrstimmigkeit. Kennzeichnend für die Fuge ist eine besondere Anordnung von Imitationen zu Beginn der Komposition: Ein musikalisches Thema wird in verschiedenen Stimmen zeitlich versetzt wiederholt, wobei es jeweils auf unterschiedlichen Tonhöhen einsetzt (in der Regel abwechselnd auf dem Grundton und der Quinte). Eine Fuge kann eine eigenständige Komposition sein. Fugen wurden oft zusammen mit einem vorangehenden Präludium komponiert. Fugen und fugenartige Strukturen werden aber auch innerhalb von Werken anderer Formen verwendet, z. B. in Kantaten, Messen, Konzerten, Symphonien oder Ouvertüren. Entstehung des Begriffes. Der Begriff "Fuga" wurde bereits im 14. Jahrhundert für den Kanon verwendet, später auch allgemein für Imitationen. Noch bei den Komponisten der franko-flämischen Schule bezeichnet "Fuga" oder "ad fugam" kanonische Kompositionen, obwohl in der Polyphonie des 16. Jahrhunderts bereits die ersten im späteren Sinne der Fuge angelegten Strukturen auftauchen. Erst im Laufe des 17. Jahrhunderts werden solche Stücke als "Fugen" bezeichnet. Merkmale. Besonderes Kennzeichen der Fuge ist ihre komplexe Themenverarbeitung. Eine Fuge beginnt mit der "Exposition" der Stimmen: Die erste Stimme trägt das – meist kurze und prägnante – Thema vor. Dieser Themeneinsatz wird auch als "Dux" (lat. "dux" „Führer“) bezeichnet. Hierzu gesellt sich in der Folge eine zweite Stimme, die das Thema nun als "Comes" (lat. "comes" „Gefährte“) meist auf die Oberquinte (bzw. Unterquarte) versetzt vorträgt. Wenn im Themenkopf des Dux der Quintton über dem Grundton exponiert erscheint, wird dieser im "Comes" meist zur Quarte abgewandelt (tonale Beantwortung), um die Identität der Tonart zu gewährleisten. Diese Technik geht auf die Anordnung der Modi zurück. Andernfalls wird das Thema intervallgetreu („real“) transponiert. Weitere Stimmen können nach diesem Prinzip hinzukommen, bis die volle Stimmenzahl (meistens 3 oder 4, seltener 5 oder mehr) erreicht ist. Bringt die erste Stimme während des zweiten Themeneinsatzes motivisch oder thematisch bedeutsames Material, das später wieder aufgegriffen wird (in manchen Fällen sogar als neues Thema), so spricht man von einem Kontrasubjekt. Das Kontrasubjekt muss mit dem Thema einen doppelten Kontrapunkt bilden, um sowohl über als auch unter dem Thema erscheinen zu können, ohne die Stimmführungsregeln zu verletzen. Alle Abschnitte, in denen das Thema – in verschiedenen Stimmen – vorgetragen wird, heißen "Durchführungen" (nicht zu verwechseln mit der Durchführung des Sonatensatzes) oder "Thema-Phasen", wobei der Beginn der Fuge, also die "Exposition" bereits die erste "Durchführung" darstellt. Die weiteren Themeneinsätze bzw. "Durchführungen" können u. a. auch in der Paralleltonart der Grundtonart sowie der Ober- und Unterquinttonart stehen. Ab dem 19. Jahrhundert erscheint das Thema auch in noch entfernteren Tonarten. Es gibt verschiedene Fugentypen. In den meisten Fällen sind die Themeneinsätze durch "Zwischenspiele" miteinander verbunden, die im Allgemeinen der Modulation dienen und oft aus Sequenzen bestehen. Andere Fugen besitzen überhaupt keine "Zwischenspiele" (z. B. C-Dur, WK I, BWV 846). Einen besonderen Fall stellt hier die Fuge in cis-Moll von J. S. Bach (WK I, BWV 849) dar, die drei Themen beinhaltet. Diese werden der Reihe nach eingeführt und im weiteren Verlauf ständig miteinander enggeführt, sodass neben fehlenden "Zwischenspielen" auch kaum Raum für themenfremdes Material überhaupt bleibt. Für die formale Gliederung ist in solchen Fällen weniger die Tonart eines jeden Einsatzes als vielmehr die zugrundeliegende Kadenzordnung entscheidend – sprich: welche Stufen der Grundtonart werden durch eine erkennbare Kadenz erreicht? In den "Thema-Phasen" können neben Engführungen des Themas auch Umkehrungen, Augmentationen (Vergrößerung der Notenwerte), Diminutionen (Verkleinerung) etc. von Thema oder Kontrasubjekt auftreten. Vor dem Ende einer Fuge wird manchmal ein Orgelpunkt – auf der Dominante oder der Tonika – eingefügt, sei es als Signal für den kommenden Schluss oder bereits als Ausgestaltung desselben. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die hier zitierte Fuge c-Moll (WK I) oder die g-Moll-Fuge aus der Sonate für Violine solo (BWV 1001) von J. S. Bach. Beispiel. "Das Wohltemperierte Klavier", Teil I, Fuga Nr. 2 in c-Moll   Diese dreistimmige Fuge von Johann Sebastian Bach beginnt mit einer typischen Exposition, die sich bis zum Anfang von Takt 9 erstreckt. Es beginnt zunächst die Altstimme, es folgen der Sopran in Takt 3 und der Bass in Takt 7. Das "Thema" hat eine Ausdehnung von zwei Takten. Es erscheint, wie bei Fugen üblich, zu Beginn allein, um sich vorzustellen, und zwar in der Grundtonart c-Moll. Die Beantwortung des Themas (lateinisch mit "Comes" bezeichnet) stellt eine genaue Transposition des Themas auf die Oberquint-Tonart g-Moll dar, mit einer Ausnahme: die vierte Note ist c, nicht d, wie eigentlich zu erwarten wäre. Diese kleine Veränderung ist notwendig, um die Grundtonart noch über den 2. Themeneinsatz hinaus beibehalten zu können. Man spricht in diesem Falle von "tonaler Beantwortung" (im Gegensatz zur "realen Beantwortung", bei der ein Thema ohne Veränderung in der Oberquint-Tonart erscheint). In Takt 5 haben die beiden Stimmen die Oberquint-Tonart g-Moll endgültig erreicht. Damit die dritte Stimme mit dem Thema einsetzen kann, muss jedoch zur Originaltonart c-Moll zurückmoduliert werden. Dies geschieht in der zweitaktigen "Codetta" der Takte 5 und 6. Der Komponist macht hier im Sopran Gebrauch von dem charakteristischen Anfangsmotiv des Themas, während der Alt das von ihm in Takt 3 eingeführte "Kontrasubjekt" (oder "Kontrapunkt") verwendet. Jedoch erscheinen die für dieses Kontrasubjekt typischen Tonschritte umgekehrt, d. h., nicht absteigend, sondern aufsteigend. Außerdem erfolgt der Aufstieg dreimal hintereinander auf der jeweils nächsthöheren Tonstufe: es handelt sich um eine Sequenz. In Takt 7 ist die Grundtonart c-Moll wieder erreicht, und der Bass kann mit dem Thema einsetzen. Während der Bass das Thema durchführt, ist im Sopran das Kontrasubjekt zu hören. Der Alt führt ein zweites Kontrasubjekt ein, das im weiteren Verlauf der Fuge noch einige Male in verschiedenen Stimmen auftauchen wird und den dreifachen Kontrapunkt begründet. Durch ihre einfache, fast homophone Führung übernehmen Sopran und Alt ab Takt 8 Begleitfunktionen. An dieser Stelle wird der kammermusikalische, weniger komplex-polyphone Charakter dieser Fuge besonders deutlich. Zu Beginn von Takt 9 ist der Themeneinsatz im Bass abgeschlossen, und somit auch die Exposition: Jede der drei Stimmen hat das Thema vollständig durchgeführt. Geschichte und Bedeutung. Das Prinzip der Imitation zwischen verschiedenen Stimmen eines Musikstücks ist seit dem ausgehenden Mittelalter bekannt. Als Vorstufe der Fuge wurde zunächst der Kanon gepflegt. Um 1600 bezeichnen die Begriffe Fantasia, Canzona, Capriccio, Ricercar und Tiento ähnliche Formen von Instrumentalstücken (meist für Tasteninstrumente), die (wie insbesondere das im Gegensatz zur Fantasia rein polyphone Ricercar) als toccataartige Vorläufer der Fuge gelten dürfen. Auch in der Motette hält das Fugenprinzip nach und nach Einzug. Im Hochbarock folgt die Emanzipation der Fuge als selbständige (Teil-)Form. Lautenisten und Gitarristen, etwa der Spanier Gaspar Sanz, komponierten im 17. Jahrhundert ebenfalls Fugen. In der Französischen Ouvertüre ist der zweite Teil eine Fuge, in der Norddeutschen Orgelschule wird die Fuge zum abschließenden Gegenstück eines vorangehenden Präludiums, einer Toccata oder anderer Formen. Der wohl bekannteste Komponist von Fugen war Johann Sebastian Bach; in seinen Werken (z. B. "Wohltemperiertes Klavier", "Die Kunst der Fuge") erprobte er sämtliche Möglichkeiten der Fuge, sodass viele spätere Komponisten sich beim Thema Fuge auch mit Bach auseinandersetzten. 1753/54, einige Jahre nach Bachs Tod, erschien Friedrich Wilhelm Marpurgs "Abhandlung von der Fuge", die bis weit ins 19. Jahrhundert als musiktheoretische Anleitung zum Erlernen der Fugentechnik Verwendung fand. Nach dem Barock galt die Fuge zwar als historische und damit veraltete Form, sie wurde aber nie aufgegeben. Spätere Komponisten setzten sich immer wieder mit ihren Prinzipien auseinander, wobei jeweils klar war, dass die Ergebnisse stets einen Verweis auf die Vergangenheit bedeuteten. Das Schreiben einer Fuge galt zudem als Nachweis besonderer kompositorischer Fähigkeiten. Nachbarocke Meister der Fugenkomposition (Auswahl). Komponisten, die sich nach dem Barockzeitalter der Fuge widmeten, waren unter anderem: Spezielle Formen. Permutationsfuge. Von einer "Permutationsfuge" spricht man, wenn zum Thema immer mehrere, stets gleichbleibende Kontrapunktthemen treten. Der Komponist tauscht dann in der jeweils nächsten Thema-Phase nur die Stimmen gegeneinander aus. Dies ist beliebt in Vokalsätzen; Beispiel: Eingangschor der Kantate Himmelskönig, sei willkommen von J. S. Bach. Doppelfuge. Eine "Doppelfuge" ist eine Fuge mit zwei Themen sowie einem oder zwei Kontrasubjekten, die nacheinander oder gleichzeitig vorgestellt und verarbeitet werden können. Beispiele: Johann Sebastian Bach: Wohltemperiertes Klavier II. Teil, gis-Moll-Fuge; Contrapunctus IX und X aus der Kunst der Fuge. Ein Spezialfall ist der Gebrauch des Begriffs Doppelfuge durch Johann Mattheson. In seiner 1739 erschienenen Schrift „Der vollkommene Capellmeister“ nennt er Doppelfugen alle Fugen, in denen doppelter Kontrapunkt angewendet wird. Dabei stellt er die Forderung nach „Doppelfugen mit dreyen Subjecten“ auf, einer Fugenart, die Bach nicht nur in der Kunst der Fuge, sondern schon in früheren Werken verwendete. Beispiele dafür sind die Fuge zur Passacaglia c-Moll BWV 582, in der dem Thema (Subjekt) zwei Kontrasubjekte beigegeben werden, und die dreistimmige Sinfonia f-Moll BWV 895. Wenn drei Themen im doppelten Kontrapunkt behandelt werden, spricht man in moderner Terminologie von sechsfachem Kontrapunkt. Tripelfuge. Die "Tripelfuge" ist eine Fuge mit drei Themen. Diese werden wiederum in getrennten Expositionen aufgestellt und anschließend miteinander kombiniert. Beispiele: J. S. Bach, Wohltemperiertes Klavier, Teil II, Fuge fis-Moll; Kunst der Fuge, Contrapunctus 8 und 11; die den Dritten Theil der Clavierübung beschließende Orgelfuge Es-Dur BWV 552. Quadrupelfuge. Die "Quadrupelfuge" ist eine Fuge mit vier Themen. Als Beispiel wird oft die fragmentarisch überlieferte Schlussfuge von Bachs Zyklus „Die Kunst der Fuge“ genannt, die aber nach der Einführung des dritten Themas und dessen Kombination mit den Vorhergehenden abbricht. Da das Grundthema des Werks ebenfalls noch hinzupassen würde, ist eine geplante Quadrupelfuge wahrscheinlich, in dieser Form aber nicht überliefert. Fächerfuge. Dies ist eine Fuge, in der das Thema im Comes zuerst zur Quinte geht, dann aber der Dux nicht wieder auf der Tonika folgt, sondern erneut eine Quinte ansteigt. Diese Technik entwickelte sich mit dem Modulationsbedürfnis der Romantik. Zum Beispiel, in Johannes Brahms „Warum ist das Licht gegeben den Mühseligen?“ (aus den Zwei Motetten, op. 74) wird das Fugenthema, welches in d-Moll beginnt, in a-Moll real beantwortet. Diese Beantwortung wird wieder real beantwortet in e-Moll. Diese wiederum in h-Moll und jene ein letztes Mal in fis-Moll. Das Fugenthema steigt in dieser Motette demnach gleich viermal hintereinander um eine Quinte an. Ebenfalls in Fächer- oder Pyramidenform gestaltet ist der erste Satz aus Béla Bartóks „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“. Der erste Auftritt des Themas wird zunächst in der Oberquinte, dann in der Unterquinte beantwortet, es folgt die zweite Oberquinte, die zweite Unterquinte usw. Im ganzen Stück kommen somit Transpositionen des Themas auf jeder chromatischen Tonstufe vor. Nach sechs Einsätzen erklingt das Thema im Tritonus des Ausgangstons, d. h. in einem bei Bartók konstruktiv wichtigen Intervall. Dieser Einsatz ist gleichzeitig der dynamische Höhepunkt des Stücks. Spiegelfuge. In einer "Spiegelfuge" ist der gesamte kontrapunktische Satz spiegelbildlich umkehrbar. Dabei werden alle Abwärts- zu Aufwärtsbewegungen, die höchste Stimme zur tiefsten usw. Fugen dieser Art sind äußerst selten; Bach bringt drei Beispiele in der "Kunst der Fuge" (Contrapunctus 16, 17, 18), in denen jeweils der gesamte Satz in (tonaler, also nicht hundertprozentig 'exakter') Spiegelung wiederholt wird. Kontrafuge. Um eine "Kontrafuge" handelt es sich, wenn der "Comes" die Umkehrung des "Dux" ist und zwar meist so, dass Tonika und Dominante einander entsprechen. Kontrafugen finden sich beispielsweise in J. S. Bachs "Kunst der Fuge", Contrapunctus 5, 6, 7 und 14. Fughetta. Die "Fughetta" oder "Fugette" ist eine Fuge von kleinerem Umfang, ohne eine breite Durchführung und schon im Thema von leichterer, graziöserer Haltung. Fugato. Ein "Fugato" ist ein fugenähnlicher Abschnitt in einer Sonate, einer Symphonie, einem Konzert etc. Dabei geht es nicht darum, das Thema durch alle Stimmen zu führen, es soll lediglich wirken wie eine Fuge. Oft sind diese Fugati nur wenige Takte lang. Beispiele sind die meisten Schlusssätze in Bachs Cembalo-Suiten und Partiten oder in den Brandenburgischen Konzerten Nr. 2 und 5 sowie die schnellen Mittelteile seiner französischen Ouvertüren in den ersten Sätzen der Orchestersuiten. Händel bedient sich im Hallelujah-Chorus seines "Messias" gekonnt der Fugato-Technik. Mozart entwickelt u. a. im letzten Satz seiner "Jupiter-Sinfonie" ein äußerst effektvolles Fugato. Auch in der 9. Sinfonie Beethovens und der 5. Sinfonie Bruckners sind bekannte Fugati enthalten. In der 4. Sinfonie von Schostakowitsch bildet ein Fugato den Höhepunkt des ersten Satzes.
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Fuge
Fuge steht für: Fuge ist der Familienname folgender Personen: Siehe auch:
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https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1672
Feuerbohne
Die Feuerbohne oder Wollbohne, in Österreich Käferbohne genannt, ("Phaseolus coccineus") ist eine Pflanzenart aus der Gattung "Phaseolus" in der Unterfamilie der Schmetterlingsblütler (Faboideae) innerhalb der Familie der Hülsenfrüchtler (Fabaceae oder Leguminosae). Die leuchtend hellrote Blüte ist namensgebend für die Feuerbohne. Weitere Trivialnamen sind Prunkbohne, Blumenbohne, Schminkbohne, Türkische Bohne, Arabische Bohne oder die griechischen Gigantes. Diese Nutzpflanze ist nahe verwandt mit einer Reihe anderer „Bohnen“ genannter Feldfrüchte, darunter die kleinere Gartenbohne. Beschreibung, Inhaltsstoffe und Ökologie. Erscheinungsbild und Blatt. Die Feuerbohne wächst als linkswindende, meist einjährige, jedoch in frostfreien Gebieten auch zwei- und mehrjährige krautige Schlingpflanze. Die Feuerbohne ist eine Langtagpflanze. Die Keimblätter bleiben im Boden, ergrünen also nicht: hypogäische Keimung. Die Wurzel verdickt sich bei mehrjährigen Pflanzen zu einer im Durchmesser 2 bis 3 Zentimeter dicken, spindelförmigen Knolle. Der meist 2 bis 4, selten bis zu 7 Meter lange, im unteren Bereich runde und im oberen Bereich sechskantige Stängel ist wie bei der Gartenbohne stets linkswindend. Der Stängel ist anfangs schwach und kurz behaart und später verkahlend. Die wechselständig und schraubig am Stängel verteilt angeordneten Laubblätter sind in Blattstiel und Blattspreite gegliedert. Der sechskantige Blattstiel besitzt oben eine Rinne. Der Blattstiel und die Fiederstiele besitzen Gelenke, welche über Turgor-Veränderungen funktionieren. Die Laubblätter führen ausgeprägte nyktinastische Bewegungen aus, bei Eintritt der Dunkelheit nehmen sie eine Schlafstellung ein. Die unpaarig gefiederte Blattspreite besteht aus drei Fiederblättern. Die relativ großen Fiederblätter sind breit-eiförmig. Von den relativ rauen Blattflächen ist die Oberseite deutlich behaart sowie glänzend dunkelgrün, und die Unterseite heller grün; Netznerven sind deutlich erkennbar. Der Blattrand ist glatt oder seltener schwach geschweift. Die auf der Blattunterseite vorhandenen Drüsenhaare geben ein kaliumkarbonathaltiges Sekret ab, das hygroskopisch wirkt, dies ermöglicht die Aufnahme von Wasser aus der Luft. Sowohl die Nebenblätter (Stipeln) als auch die Nebenblättchen (Stipellen) der Fiederblätter sind relativ klein sowie kurz-lanzettlich. Blütenstand und Blüte. Die Blütezeit reicht von Juni bis September. Die Blütenstände sind bei einer Länge von 25 bis 35 Zentimeter meist länger als die Laubblätter. Die Blütenstände enthalten sechs bis zehn in den Achseln kleiner eiförmiger Tragblätter stehende Blütenpaare. Der Blütenstiel ist relativ lang. Die zwittrigen Blüten sind bei einer Höhe von 1,5 bis 3,0 Zentimeter leicht asymmetrisch zygomorph und fünfzählig mit doppelter Blütenhülle. Der Kelch besteht aus zwei Lippen und die oberen Kelchzähne sind deutlich kürzer als die anderen. Die kurze Fahne ist zurückgeschlagen. Die relativ großen Flügel sind breit. Schiffchen und Fruchtknoten sind schraubig eingerollt. Der relativ kurze Griffel ist dick. Blütenökologisch handelt es sich bei der Feuerbohne um Pollen-Schmetterlingsblumen mit Bürstenmechanismus, so dass der Bestäubungsmechanismus nur von großen Apidae ausgelöst werden kann. Die Blüten sind selbststeril. Frucht und Samen. Die Hülsenfrüchte sind bis zu 25 cm lang. Die nierenförmigen Samen sind bis 2,5 cm lang und meistens braun, rot, schwarz und violett gescheckt oder bei manchen Sorten vollständig weiß. Bei den Kulturformen bleiben die Hülsenfrüchte meist geschlossen, die Wildformen verbreiten sich als Austrocknungsstreuer. Die nierenförmigen Samen der Feuerbohne enthalten 18,4 % Rohprotein, 1,8 bis 2,9 % Rohfett, 4,4 % N-freie Extraktstoffe, 6,8 % Rohfaser, 3,8 % Asche sowie 15,0 % Wasser. Chromosomenzahl. Die Chromosomenzahl beträgt 2n = 22. Anbau und Verwendung. Die Feuerbohne stammt aus Südamerika und wurde im 17. Jahrhundert nach Europa gebracht. Da die Feuerbohne Kälte besser toleriert als die Gartenbohne, ist sie heute von Nord- bis Südeuropa anzutreffen und wird auch in höheren Lagen in Österreich kultiviert. In Mitteleuropa wird die Feuerbohne als einjährige Pflanze kultiviert; sie kann in Ländern mit milderem Klima mehrjährig sein. In Europa werden Feuerbohnen vielfach als Zierpflanzen gepflanzt. Zur Nahrungserzeugung kultiviert man die Feuerbohne wegen ihrer Wuchshöhe meist an 4 bis 5 Meter langen Stangen, die zur besseren Stabilität zeltförmig gegeneinander gestellt und miteinander verbunden werden. Manchmal werden die Bohnen auch mit Mais gemeinsam angebaut, wobei die Maispflanzen die Stangen ersetzen. Diese Methode ist mit weniger Aufwand verbunden, da die Ernte mit einem Mähdrescher vollzogen werden kann. Danach muss die Ernte jedoch sortiert werden. Die Blüten, die jungen Hülsenfrüchte und die getrockneten Samen werden als Nahrungsmittel genutzt. Die rohen Bohnen enthalten rund 1,2 % gesundheitsschädliche Lektine und sind daher giftig. Durch Erhitzen auf mindestens 75 °C wird die Struktur dieses Giftes zerstört, sodass gekochte Bohnen bedenkenlos verzehrt werden können. Käferbohne. Die Käferbohne ist violett bis schwarz gesprenkelt. Im Jahr 2016 wurde die "Steirische Käferbohne" auch von der EU als Geschützte Ursprungsbezeichnung anerkannt. Als Spezialität gilt in der österreichischen Steiermark der Käferbohnensalat aus den gekochten Samen mit frischen Zwiebelscheiben, Essig und steirischem Kürbiskernöl. Auch sonst wird die Käferbohne in der Steiermark traditionell gerne verwendet und findet sich auf jedem Bauernmarkt. Gigantes. Die „Fasolia Gigantes“ () sind weiß blühende griechische Sorten der Feuerbohne mit geschützter geografischer Bezeichnung. Die reifen Bohnen sind weiß bis hellbraun und bis zu 2,5 Zentimeter lang. Sie werden im Norden Griechenlands in den Regionen Kato Nevrokopi, Florina und Kastoria angebaut. In der griechischen Küche spielt sie eine wichtige Rolle, dort kennt man vielfache Zubereitungsarten der jungen grünen Hülsen und der getrockneten Bohnensamen. Aus Griechenland, anderen mediterranen Ländern und Nordafrika kommen schon früh im Jahr die frischen flachen Hülsen als „grüne Bohnen“ oder „breite Bohnen“ auf den Markt, die sich anhand der Größe und der raueren Haut von den Hülsen der Gartenbohne unterscheiden lassen.
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Freibeuter
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Helmbohne
Die Helmbohne ("Lablab purpureus"), auch Indische Bohne oder Ägyptische Bohne, Hyazinth-Bohne, früher Faselbohne genannt, ist einzige Pflanzenart der Gattung Lablab in der Unterfamilie Schmetterlingsblütler (Faboideae) innerhalb der Familie der Hülsenfrüchtler (Fabaceae oder Leguminosae). Diese Nutzpflanze ist nahe verwandt mit einer Reihe anderer, Bohnen genannter Feldfrüchte. Verbreitung. Die Helmbohne hat mit großer Wahrscheinlichkeit ihren Ursprung im (süd-)östlichen Afrika, weil nur dort Wildpflanzen der Art vorkommen. In Indien ist andererseits die größte morphologische Vielfalt der Nutzpflanze zu beobachten. Als tropische Pflanze benötigt sie hohe Temperaturen (>20 °C), aber relativ wenig Wasser; insbesondere verträgt sie keine Staunässe. Beschreibung. Die Helmbohne ist eine stark wuchernde, halbaufrechte bis kletternde krautige Pflanze, die bis zu 10 m weit (in gemäßigtem Klima meist um 2 m) rankt. Sie ist ausdauernd, wird aber meist als einjährige Pflanze kultiviert, da sie wie die meisten Bohnen keinen Frost verträgt. Sie bildet eine starke, bis zu 2 m tiefe Pfahlwurzel. Die Stängel sind oft stark behaart. Die wechselständigen Laubblätter sind gestielt und dreiteilig. Die Nebenblätter sind zurückgebogen. An einem achselständigen, bis 20 cm langen Stiel stehen traubigen Blütenstände. Die angenehm duftenden Blüten sind zygomorph und zwittrig. Die Kelchblätter sind verwachsen. Der Kelch ist zweilippig; die obere Kelchlippe ist nicht geteilt, die untere ist dreilappig. Die Kronblätter sind rosa bis violett oder weiß. Das einzelne Fruchtblatt enthält einige Samenanlagen. Die Blüte beginnt in Europa ab Juni. Die purpurroten Hülsenfrüchte der Ziersorten sind knapp 20 cm lang und enthalten viele Samen. Die eiförmigen Samen sind gut 1 cm lang und 0,5 cm dick. Die gefleckten, marmorierten oder einfarbigen Samen sind weiß über rotbraun bis schwarz. Das Tausendkorngewicht liegt zwischen 140 und 600 Gramm. Die typischen in Indien angebauten buschigen frühen Sorten sind weißblühend und haben eher helle Samenfarben (weiß, beige, hellbraun). Samen und Hülsen vieler Sorten sind im rohen Zustand giftig, da sie cyanogene Glykoside enthalten. Das Gift wird durch Kochen zerstört. Allerdings gibt es große Sortenunterschiede. Die Chromosomenzahl beträgt 2n = 22. Nutzung. Die Verwendungsmöglichkeiten der Faselbohne sind vielfältig: Man kann die unreifen Hülsen und Samen sowie die reifen Samen gekocht essen. Die Pflanze wird auch als Bodendecker und Gründüngung zur Bodenverbesserung genutzt. In Europa und Nordamerika wird sie wegen ihrer duftenden, violetten Blüten als Zierpflanze zum Beranken von Zäunen oder als Sichtschutz u. ä. genutzt. Blätter und Stängel werden in den Tropen als Viehfutter verwendet. Sowohl in Afrika als auch in Ostasien hat sie zudem Bedeutung als Medizinalpflanze. In Kenia ist die "njahĩ" genannte Helmbohne im ganzen Land sehr beliebt, besonders bei den Kikuyu. Sie hat den Ruf, die Milchproduktion anzuregen und ist daher traditionell eine Hauptmahlzeit stillender Mütter. Die Bohnen werden gekocht und mit gemusten reifen und/oder halbreifen Bananen vermischt, was dem Gericht einen süßen Geschmack verleiht. Heutzutage geht die Produktion der Helmbohne im östlichen Afrika zugunsten von Bohnen ("Phaseolus vulgaris") und Augenbohnen ("Vigna unguiculata") zurück. Dieser Rückgang wird z. T. jedoch auch darauf zurückgeführt, dass kenianische Bauern in der Kolonialzeit gezwungen wurden, ihre traditionellen (Helm-)Bohnen für die Erzeugung von trockenen Bohnen ("Phaseolus vulgaris") aufzugeben, die für den Export bestimmt waren. Systematik. Die Gattung "Lablab" gehört zur Subtribus Phaseolinae der Tribus Phaseoleae in der Unterfamilie Schmetterlingsblütler (Faboideae) innerhalb der Familie der Hülsenfrüchtler (Fabaceae). Der Gattungsname "Lablab" wurde 1763 von Michel Adanson in "Familles des plantes", 2:325 veröffentlicht. Die Erstbeschreibung der Art erfolgte 1753 unter dem Namen "Dolichos lablab" durch Carl von Linné in "Sp. Pl.", 725. Der britische Biologe und Taxonom Bernard Verdcourt unterzog die Art 1970 einer Revision, woraufhin nun viele der früheren Namen als Synonyme zu gelten haben. Trotzdem hält sich der Name "Dolichos lablab" noch immer hartnäckig in wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen. Synonyme von "Lablab purpureus" sind: "Dolichos lablab" , "Lablab niger" , "Lablab lablab" , "Vigna aristata" , "Lablab vulgaris" . Laut Verdcourt gibt es von "Lablab purpureus" zwei kultivierte Unterarten: Dazu eine wilde Unterart: von der eine spezielle Variante mit gelappten Blättern nur in Namibia vorkommt:
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DR 877
Der Schnellverbrennungstriebwagen (SVT) 877 (später DB-Baureihe VT 04.0) war der erste Schnelltriebwagen der Deutschen Reichsbahn (DR) und zugleich der erste Stromlinienzug in planmäßigem Einsatz. Mit ihm wurde ab 1933 zwischen Berlin und Hamburg die damals weltweit schnellste Zugverbindung hergestellt, die Höchstgeschwindigkeit lag bei 160 km/h. Er war als Fliegender Hamburger bekannt. Daten und Entwicklung. Der aus zwei kurzgekuppelten Wagen bestehende Triebzug mit der damaligen Betriebsnummer "877a/b" wurde im Februar 1932 von der DR bei der Waggon- und Maschinenbau AG Görlitz (WUMAG) bestellt. Ausgeliefert wurde er Ende 1932 und abgenommen im Februar 1933. Eine Probefahrt am 19. Dezember 1932 zwischen dem Lehrter Bahnhof und dem Hamburger Hauptbahnhof legte der Schnelltriebwagen mit einem Geschwindigkeitsrekord zurück. In 142 Minuten hatte der Zug die Strecke von 286 km bewältigt. Neu am Fliegenden Hamburger waren die Stromlinienform (wobei dies aber der einzige Triebzug mit tiefgezogenem Frontdach blieb), die in Windkanalversuchen entwickelt wurde, die Leichtbauweise und der dieselelektrische Antrieb. Jeder der beiden Wagen hatte einen Maybach-Zwölfzylinder-Viertaktdieselmotor GO 5 mit daran angeschlossenem Gleichstromgenerator und elektrischen Tatzlager-Fahrmotoren. Die Dieselmotoren waren mit den angeflanschten Generatoren in die Enddrehgestelle eingebaut (Maschinendrehgestell), die Fahrmotoren aus Gründen der Masseverteilung in das Jakobsdrehgestell. Mit einer Leistung von () wurde bei Versuchsfahrten eine Höchstgeschwindigkeit von 175 km/h erreicht; für den planmäßigen Einsatz wurde die Höchstgeschwindigkeit auf 160 km/h festgelegt. Die Maybach-GO-5-Motoren bereiteten anfangs eine Reihe von Problemen, teils durch die zu starre Motoraufhängung im Maschinendrehgestell, teils durch das zu schwach dimensionierte Kurbelgehäuse. Diese Probleme wurden mit der Weiterentwicklung zum Maybach GO6 weitestgehend beseitigt. Franz Kruckenberg berücksichtigte dies bereits bei der Konstruktion seines Schnelltriebwagens DR 137 155 (nicht zu verwechseln mit dem ebenfalls von ihm konstruierten Schienenzeppelin) und lagerte die Motoren in angeschuhten Rahmenaufhängungen statt in bisher verwendeten Maschinendrehgestellen. Der Maybach-Motor ist in seiner letzten Ausbaustufe als GTO 6 noch heute in diversen Loks der DB-Baureihe V 60 eingesetzt. Der Zug war mit einer einlösigen, schnellwirkenden Knorr-Druckluftbremse Ksbr und einer Magnetschienenbremse ausgerüstet, mit denen er aus einer Geschwindigkeit von 160 km/h innerhalb von 800 Metern zum Halten gebracht werden konnte. Der Triebwagen sollte nur als Einzelfahrzeug verkehren, deshalb erhielt er nur verkleidete, leichte Notpuffer und ebenso verkleidete Zughaken. Der Triebzug hatte 98 Sitzplätze in zwei Großraumwagen-Abteilen und ein viersitziges Buffet. Als Zeichen seiner Exklusivität wurde er wie die Wagen des „Rheingold-Zuges“ cremefarben und violett lackiert. Anfangs war das cremefarbene Fensterband auch um die Stirnseiten herumgezogen, auf späteren Abbildungen sieht man, dass der Bereich um die Stirnfenster bis zu einer viertelkreisförmigen Farbtrennkante ebenfalls in Violett lackiert wurde. Dies geschah zum einen, um das Erscheinungsbild an die übrigen Schnelltriebwagen vom Typ Hamburg, Leipzig und Köln anzupassen, zum anderen litt die cremefarbene Stirnseite sehr schnell unter Verschmutzungen durch den Fahrbetrieb. Der DR 877 war Prototyp für weitere Schnelltriebwagen: Die Erfolge dieser Schnelltriebwagen führten dazu, dass 1935 in Kassel von Henschel & Sohn zusammen mit der Waggonfabrik Wegmann & Co. der stromlinienverkleidete, aber dampflokomotivbespannte „Henschel-Wegmann-Zug“ mit vergleichbaren Leistungen entwickelt und zwischen Berlin und Dresden eingesetzt wurde. Einsatz. Ab 15. Mai 1933 verkehrte der Triebzug planmäßig zwischen Berlin Lehrter Bahnhof und Hamburg Hauptbahnhof. Für die 286 km lange Strecke benötigte er 138 Minuten, eine Zeit, die erst 64 Jahre später im Juni 1997 von einem ICE-Zug der Deutschen Bahn AG mit 132 Minuten unterboten wurde. Aktuell (2015) bewältigen die schnellsten Züge die Strecke in 98 Minuten. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Triebwagen abgestellt. Ab 1945 wurde er von der französischen Besatzungsmacht als Reisezug eingesetzt und 1949 an die Deutsche Bundesbahn zurückgegeben, die ihn 1951 modernisierte, mit einem Anstrich in Purpurrot versah und als VT 04 000 a/b einreihte. Zur Modernisierung gehörte auch der Einbau einer Vielfachsteuerung und von Scharfenbergkupplungen mit Kontaktaufsätzen an beiden Enden, um ihn zusammen mit weiteren VT 04 gekuppelt einsetzen zu können. Der Triebwagen war 1955/1956 in Hamburg stationiert und wurde dort gelegentlich als Verstärkungstriebwagen des Kopenhagen-Express zwischen Hamburg und Großenbrode Kai eingesetzt. Er wurde 1957 abgestellt. Verbleib. Nach seiner Abstellung wurde das Fahrzeug dem Verkehrsmuseum Nürnberg übergeben, dort wurde der Triebwagen getrennt. Die vordere Triebwagenhälfte a wurde wegen Platzmangels nochmals in der Mitte zerschnitten, der Torso mit Führerstand ist heute im Verkehrsmuseum Nürnberg ausgestellt. Die Sektion b wurde 1961 im AW Nürnberg mangels Interessenten ebenso verschrottet wie die restliche Hälfte der Sektion a. Konstruktive Merkmale. Der Wagen zeigte zum ersten Mal die wegweisende Konstruktion der Schnelltriebwagen, die nach ihm von den Fahrzeugen der Bauarten Hamburg, Leipzig, Köln und Berlin vor dem Zweiten Weltkrieg realisiert wurde. Die Wagenkästen waren in Leichtbauweise weitgehend in Schweißkonstruktion hergestellt worden. Sie stützten sich über ein gemeinsames Jakobs-Drehgestell und zwei Enddrehgestelle ab. Auffällig bei dem Fahrzeug gegenüber den anderen Schnelltriebwagen der Deutschen Reichsbahn waren die heruntergezogene Dachfront und die kleinen Stirnfenster, die als Folge von Windkanaluntersuchungen entstanden waren. Aus diesen Untersuchungen resultierten ebenfalls die seitlichen Schürzen sowie der Verzicht auf eine reguläre Zug- und Stoßeinrichtung. Die Wagenkästen waren zum ersten Mal in der folgend im Triebwagenbau dominierenden Spantenbauart mit senkrechten Säulen aus gewalzten Profilen, einem durchgehenden Obergurt aus Stahlblech sowie Dachspriegeln aufgebaut. Die Fahrgasträume mit der Sitzplatzanordnung 1 + 3 waren als Großraumabteile mit Mittelgang ausgebildet. Der Sitzkomfort auf den Dreierbänken wurde bald als unzureichend empfunden und bei den nachfolgenden SVT in die Anordnung 1+2 geändert. Der Wagen "a" enthielt neben dem Maschinenraum das Gepäckabteil mit einer Grundfläche von 7,4 m², einen schmalen Vorraum, den Fahrgastgroßraum mit 42 Sitzplätzen sowie den beiden Aborten incl. Wascheinrichtung und einen weiteren Vorraum, der auch eine Heizungsnische besaß. Der Wagen "b" begann vom Kurzkuppelende ebenfalls mit einem kurzen Vorraum mit Erfrischungsraum inkl. vier Sitzplätzen, dem Großraumabteil mit 56 Sitzplätzen. Ihm schlossen sich ein weiterer Vorraum sowie der Maschinenraum an. Beide Maschinenräume waren auch die Führerstände des Fahrzeuges. Die Drehgestelle waren ebenfalls eine Schweißkonstruktion aus Profilen und Blechen der Bauart Görlitz. Die Wagenkästen stützten sich über eine Wiege auf den Drehgestellrahmen ab. Beim mittleren Jakobsdrehgestell war die Federung auf Grund der höheren Belastung doppelt ausgeführt. Die mechanischen Bremsen waren Außentrommelbremsen mit einem Durchmesser von 780 mm. Die Bremstrommeln waren bei den Enddrehgestellen innen, beim Jakobsdrehgestell außen mit den Radscheiben verschraubt. Die Bremssohlen waren mit einem Asbestbelag belegt, sie wurden von Einzelbremszylindern mit einem Durchmesser von 70 mm bei einem Hub von 60 mm anlegt. Die Maschinenanlage war bei diesem Fahrzeug mit den beiden Dieselmotoren Maybach GO 5 und den angeflanschten Generatorsätzen in den Enddrehgestellen sowie den Fahrmotoren in Tatzlageranordnung im Jakobsdrehgestell, ausgeführt. Die Dieselmotoren waren in je einem Hilfsrahmen gelagert, dieser war in drei Punkten im Maschinendrehgestell aufgehängt. Die Dieselgeneratoreinheit war mit einer Blechhaube abgedeckt. Da diese im Bogen mit dem Drehgestellrahmen ausschwenkte, war sie noch von einem am Bodenrahmen befestigten klappbaren Holzrahmen überdeckt. Mit dem zur Verfügung stehenden Dieselkraftstoff von zweimal 990 Litern erreichte der Triebwagen einen Aktionsradius von 1000 km. Unter den Langträgern waren auf beiden Seiten Füllstutzen zur Betankung angebracht. Die Drehzahl der Dieselmotoren wurde abhängig von der eingestellten Fahrstufe in sieben Stufen geregelt, von der Fahrstufe "0" mit 800 min−1 bis 1400 min−1 in der Fahrstufe 6. Zusätzlich gab es noch eine Stellung "*" für besonders große Zugkräfte, die nur zum Anfahren bis zu einer Geschwindigkeit von 25 km/h benutzt werden durfte, bei größeren Geschwindigkeiten musste auf eine geringere Fahrstufe zurückgeschaltet werden. Das Kühlwasser der beiden Dieselmotoren wurde bei jedem Maschinendrehgestell unterflur in je einem Rippenkühler mit acht Elementen rückgekühlt. Diese Rippenkühler wurden von zwei Ventilatoren zwangsbelüftet. Eine vom Dieselmotor über Zahnräder angetriebene Kühlwasserumwälzpumpe sorgte für den Kreislauf des Kühlwassers im Motor. Über elektrische Heizstäbe konnte dieses im Ausgleichbehälter vorgewärmt werden. Beheizt wurden beide Wagen des Triebwagens von einer koksgefeuerten Warmwasserheizung. Die Abgase wurden nach oben geführt und gaben mit der am Kurzkuppelende befindlichen Abgashutze das charakteristische Abbild des Triebwagens. Ausgerüstet zur Versorgung der Druckluftanlage war der Doppelwagen mit einem zweistufigen Luftverdichter der Bauart Knorr. Angetrieben wurde dieser elektrisch unmittelbar von dem Hauptgenerator. Bei einer Spannung unter 380 V konnte der Verdichter nicht anlaufen. Um trotzdem bei längeren Fahrten im Leerlauf oder bei Rangierfahrten Druckluft zu erzeugen, gab es zwei Möglichkeiten; durch einen sogenannten "Pumpenschalter" konnte die Erregung des Generators verstärkt werden, was die Spannung auf 600 V erhöhte, oder es konnte der batteriegespeiste Hilfsluftverdichter genutzt werden. Der Triebwagen besaß ein Bordnetz von 48 V, das durch eine unterflur angeordnete Lichtmaschine oder die Batterie gespeist wurde. Bei Stillstand der Dieselmotoren erfolgte selbsttätig die Umschaltung der Speisung auf Batteriebetrieb. Rezeption. Der "Fliegende Hamburger" wird im Computerspiel Transport Fever 2 als Mod in Steam kostenfrei zur Verfügung gestellt. Einige Hersteller haben Modelle für Modelleisenbahnen hergestellt.
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https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1676
Foxtrott
Der Foxtrott (englische Schreibweise "Foxtrot" ‚Fuchsgang‘) ist ein Gesellschaftstanz, der paarweise getanzt wird und zu den Standardtänzen des Welttanzprogramms gehört. Geschichte. Entstanden ist der Foxtrott zwischen 1910 und 1915 in Nordamerika. Sowohl die tänzerischen Wurzeln als auch die Herkunft des Namens sind nicht eindeutig zu bestimmen, da sich hier zahlreiche Quellen deutlich widersprechen. Der Foxtrott nahm Elemente des "Ragtime, Onestepp, Twostep" sowie des von Vernon und Irene Castle choreografierten "Castle Walk" auf. Der Name Foxtrott geht möglicherweise auf den Schauspieler Harry Fox zurück, der für sein damals populäres Varieté „Harry Fox & the Ziegfeld Follies“ Schritte aus "Onestep" und "Castle Walk" übernahm. Fox verbreitete so diesen Tanz in der Öffentlichkeit. Der Foxtrott wurde zum Synonym für eine Reihe von Geh- und Schreittänzen, von denen die meisten nicht mehr existieren. Nach Europa kam der Foxtrott erst nach dem Ersten Weltkrieg. 1920 wurde das vorhandene Schrittmaterial auf einer Konferenz in England zum ersten Mal geordnet. Seit 1924 unterscheidet man zwischen der langsamen Variante, dem "Slowfox" sowie dem schnelleren "Quickstepp". Ins Welttanzprogramm wurde der Foxtrott 1963 mit aufgenommen, als Turniertanz wurde er in Europa jedoch nie verwendet. Technik. Während Slowfox und Quickstepp technisch sehr anspruchsvoll sind, ist der Foxtrott recht unkompliziert. Die Schritte werden normal gesetzt, besondere Körperhaltungen, Posen oder schwierige Figuren sind nicht vorgesehen; einzig das „Auf-und-ab-Hüpfen“ – vor allem des Kopfes – bei den schnellen Seitschritten gilt es zu vermeiden. Rhythmus und Musik. Der Foxtrott wird auf Musik im 4/4-Takt getanzt, wobei ein kompletter Grundschritt sechs Schläge und damit anderthalb Takte umfasst. Dadurch wird der Grundschritt auf den Takt bezogen zeitlich versetzt, wie es auch beim Abkömmling Discofox der Fall ist. Die Geschwindigkeit ist in einem weiten Rahmen möglich. Der Foxtrott wird traditionell auf Popmusik getanzt, ist aber in Tanzschulen besonders deswegen beliebt, weil er sich auch gut auf Hip-Hop-Musik tanzen lässt. Grundschritt. Legende: X = (Vollzogener) Schritt, < … | …> = ein Grundschritt. Herrenschritte: Damenschritte: Den „Seit-Schluss“-Teil führt man allgemein doppelt so schnell aus wie die restlichen Schritte.
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https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1677
Frühgeschichte
Die Frühgeschichte ist ein Teilgebiet der archäologischen Disziplin „Ur- und Frühgeschichte“ und bezeichnet eine Periode der menschlichen Geschichte: Sie befasst sich mit jenen Kulturen der Menschheit, über die erste schriftliche Aufzeichnungen (teils aus anderen Kulturen) bekannt sind, ein Teil der Erkenntnisse aber auch durch archäologische Grabungen gewonnen wird. Sie beginnt regional sehr unterschiedlich mit dem ersten Auftreten von Schriftzeugnissen und reicht bis in die historische Zeit der Geschichte im engeren Sinne. Die vorangehende Epoche ist die Urgeschichte, welche bis zurück vor etwa 2,5 Millionen Jahren in die Zeit des Auftretens erster Steinwerkzeuge in der Menschheitsgeschichte reicht; die nachfolgende Epoche ist die Geschichte im engeren Sinne, in der historische Entwicklungen wesentlich durch Auswertung schriftlicher Quellen erkannt werden und die materielle Kultur oft parallel archäologisch erschlossen wird. Regionale Frühgeschichte. In den Regionen archäologischer und historischer Forschung setzt die Schriftkultur zu unterschiedlichen Zeiten ein. Deshalb lässt sich Frühgeschichte nur regional definieren. Entwicklungen im Fernen Osten, in Nordamerika, in Afrika und in Australien werden in eigenen Disziplinen behandelt. Der Nahe Osten, der Mittlere Osten, Nordafrika und der Mittelmeerraum sind dagegen jene Gebiete, für welche eine frühgeschichtliche Phase üblicherweise bestimmt werden kann und behandelt wird. Europäische Frühgeschichte. Südeuropa. In Südeuropa beginnt die Frühgeschichte mit der minoischen Kultur und dem Einsetzen der Archanesschrift um 2000 v. Chr. in der Stufe "Mittelminoisch I". Abgelöst wurde sie auf Kreta um 1450 v. Chr. von der mykenischen Kultur, die ab etwa 1700/1600 v. Chr. auf dem griechischen Festland entstand, während der Stufe Späthelladisch II bzw. Spätminoisch II. Mit den schriftführenden Kulturen der Griechen und Römer endet die Frühgeschichte zu Beginn der Archaik, mit der in Südeuropa die historische Zeit einsetzt. Mit der materiellen Kultur befassen sich hier die Fächer Klassische Archäologie und Provinzialrömische Archäologie. Mitteleuropa. Der Übergang von der Urgeschichte zur Frühgeschichte lässt sich für Mitteleuropa nicht exakt definieren. Üblicherweise gilt das Einsetzen römischer Schriftzeugnisse über Germanen und Kelten außerhalb des Römischen Reiches (zu nennen sind vor allem Werke von Caesar und Tacitus) als Beginn der Frühgeschichte. Die römisch beherrschten Gebiete Mitteleuropas sind dem Fachgebiet provinzialrömische Archäologie zugeordnet, hier setzt die Frühgeschichte als archäologische Spezialdisziplin erst mit dem Ende der Antike ein. Daher wird gelegentlich auch die römische Kaiserzeit im Barbaricum nicht als frühgeschichtlich, sondern als eigener Zeitabschnitt zwischen Vorgeschichte und eigentlicher Frühgeschichte bewertet. Gegenstand der Forschung und Diskussionen ist seit längerem unter anderem die Problematik kultureller und politischer Kontinuität bzw. Diskontinuität im Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter. In der Archäologie Mitteleuropas wird die Frühgeschichte unterteilt in Nordeuropa. In der Archäologie Nordeuropas gelten auch die Vendelzeit 550–800 n. Chr. und die anschließende Wikingerzeit bis 1050 n. Chr. als frühgeschichtliche Perioden.
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https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1680
Fluchtgeschwindigkeit
Fluchtgeschwindigkeit steht für
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https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1681
Fußball-Weltmeisterschaft
Die Fußball-Weltmeisterschaft ist ein Fußball-Wettbewerb für Nationalmannschaften. Alle vier Jahre können sich die Mannschaften für die Endrunde der Weltmeisterschaft qualifizieren. In einem abschließend rund vierwöchigen Turnier wird daraus die beste Nationalmannschaft als Weltmeister ermittelt. Der Weltfußballverband FIFA veranstaltet und vermarktet das Turnier unter dem offiziellen Label "FIFA World Cup" bzw. "FIFA Fussball-Weltmeisterschaft." Das jeweilige Gastgeberland richtet das Turnier aus. Gemessen an der Zahl der TV-Zuschauer ist dieses Endrundenturnier die weltweit größte Sportveranstaltung und gilt neben den Olympischen Spielen als das bedeutendste Sportereignis überhaupt. 2022 fand die 22. Austragung vom 20. November bis zum 18. Dezember im arabischen Golfstaat Katar statt. Geschichte. Die Zeit des organisierten Fußballs begann 1863 mit der Gründung der englischen Football Association in London, die sich in ihren Regeln für den Association Football erstmals in der Geschichte verbindlich vom Rugby Football abgrenzte und so zum Beispiel das kontrovers diskutierte Handspiel verbot, was zu Austritten aus dem neuen Verband und zum Rückzug des Schatzmeisters führte. Am 9. Januar 1864 fand mit ausgewählten Spielern das weltweit erste Fußballspiel nach den Regeln der FA statt. Zu diesem Zeitpunkt war das britische Empire die einflussreichste Macht der Welt, es hatte weltweit Stützpunkte und britische Schiffe waren in jedem Hafen zu finden. Diese historische Besonderheit war die Grundlage für die weltweite Verbreitung der englischen Fußballregeln innerhalb einer Generation. Die ersten Spiele außerhalb der Britischen Inseln wurden unter anderem in Seehäfen von britischen Matrosen organisiert. Während des ausgehenden 19. Jahrhunderts wurden in Europa und Amerika viele Nationalverbände gegründet, was erstmals die Organisation internationaler Begegnungen ermöglichte. Das erste Spiel zwischen Vertretern nationaler Verbände fand am 30. November 1872 auf dem Hamilton Crescent, im heutigen Glasgower Stadtteil Partick, zwischen Schottland und England statt, die Begegnung endete torlos. Am 1. Mai 1904 kam es in Uccle/Ukkel in Belgien zum ersten Länderspiel zwischen den Nationalmannschaften Belgiens und Frankreichs (3:3). Dabei wurde angeregt, eine internationale Fußballorganisation zu gründen. Am 21. Mai 1904 wurde dann durch Robert Guérin, dem Sekretär der Fußballabteilung der Union des sociétés françaises de sports athlétiques, und Carl Anton Wilhelm Hirschmann, dem Sekretär des Nederlandse Voetbal Bond, in Paris die FIFA gegründet und damit ein rein nationales Denken der Verbände verhindert. Dennoch sollte es viele Jahrzehnte dauern, bis die FIFA sich gegen die Vormacht der englischen FA behaupten konnte und bis die amerikanischen Verbände einen bedeutenden Einfluss auf die von den europäischen Verbänden geprägte Politik der FIFA nehmen konnten. Im Juli 1905 fand der zweite FIFA-Kongress statt und Vizepräsident Carl Anton Wilhelm Hirschmann machte den Vorschlag für ein Welt-Turnier. Für diese rein europäische Veranstaltung hatte er bereits einen Spielplan erstellt, Austragungsland sollte die Schweiz sein. Die Kongressteilnehmer waren begeistert, aber vielen Worten folgten wegen ausbleibenden Interessenten keine Taten. Bis zur ersten Fußball-WM 1930 in Uruguay hatten die Olympia-Turniere quasi den Stellenwert einer Weltmeisterschaft. Aus Sicht der Olympia-Verantwortlichen war Fußball für die Spiele ungeeignet, da es sich nicht um eine Wettkampfsportart, sondern nur um ein Spiel handelte, und sie betrachteten diese Sportart als Showeinlage. 1896 war Fußball nicht im olympischen Programm, und vier Jahre später in Paris waren nur drei Vereinsmannschaften aus Frankreich, Belgien und Großbritannien für einen Demonstrationswettbewerb anwesend. 1904 in St. Louis traten drei nordamerikanische Mannschaften gegeneinander an. Ein Glücksfall für die Zukunft des internationalen Fußballs war die Vergabe der Spiele an London 1908. Im Heimatland des Fußballs konnte man eine professionelle Organisation durch die FA erwarten. Außerdem wurde die FIFA mittlerweile von dem Briten Daniel Burley Woolfall angeführt. Neben Großbritannien stellten die Verbände aus Dänemark, Schweden und den Niederlanden eine Mannschaft auf. Frankreich schickte sogar zwei Teams in die britische Hauptstadt. Sieger wurden überzeugend die Engländer, die im Finale Dänemark, die damals stärkste Mannschaft Kontinentaleuropas, besiegten. 1912 nahmen bereits 11 Mannschaften am olympischen Fußballturnier teil. Die Finalbegegnung wiederholte sich, mit einem 4:2 konnten die Engländer erneut die Goldmedaille erringen. Zum Termin 1916 fanden im Zuge des Ersten Weltkriegs keine Olympischen Spiele statt. 1920 war Antwerpen der Mittelpunkt der Fußballwelt, und 14 Mannschaften kämpften um den Olympiasieg. Im Finale standen sich Belgien und die Tschechoslowakei gegenüber. Während des Spiels fühlten sich die Tschechoslowaken vom Schiedsrichter benachteiligt und verließen das Spielfeld, Belgien wurde zum Sieger erklärt. Die Olympischen Spiele 1924 wurden zum ersten Weltturnier des Fußballs. Neben den Europäern schickte Ägypten ein Team. Ebenfalls dabei war eine US-amerikanische Auswahl, die allerdings zum Großteil aus europäischen Einwanderern bestand, sowie das siegreiche Team aus Uruguay. Die unerwartet überlegene Vorstellung des südamerikanischen Fußballs vier Jahre zuvor führte dazu, dass vor dem olympischen Turnier von 1928 viele Mannschaften aus Südamerika zu Gastspielen in Europa eingeladen wurden. Die Olympiateilnehmer mussten Amateure sein, was zur Absage einiger wichtiger Länder führte. Der FIFA war zunehmend klar, dass die Amateurregel des IOC ein Problem darstellte. Deshalb entschied sie sich am 28. Mai 1929 für die Organisation einer eigenständigen Weltmeisterschaft, nachdem FIFA-Präsident Jules Rimet und der uruguayische Mäzen Enrique Buero schon seit 1924 darauf hingearbeitet hatten. Neben Uruguay wollten auch einige europäische Länder diese Veranstaltung ermöglichen. Deren Gruppe wurde rasch kleiner, und am Ende waren nur noch Italien, Ungarn und Uruguay übrig. Der argentinische Delegierte Adrian Beccar Varela hielt eine Rede für sein Nachbarland, was die beiden europäischen Mitbewerber überzeugte. Somit wurde Montevideo zum Austragungsort der ersten Fußball-Weltmeisterschaft bestimmt. Regelwerk. Bezeichnung. Die offizielle deutschsprachige Schreibweise der Fußball-Weltmeisterschaft ist "FIFA Fussball-Weltmeisterschaft". Dabei entspricht zwar die Schreibweise des Bestandteils "Fussball" der amtlichen Regelung der deutschen Rechtschreibung im schweizerischen Geltungsbereich (§ 25 E2, der Weltfußballverband FIFA hat seinen Hauptsitz in Zürich, Schweiz), nicht aber das Leerzeichen hinter "FIFA" (s. § 44, Abs. 1). Vergabeverfahren zum Austragungsort. Über den Austragungsort einer Fußball-Weltmeisterschaft entscheidet der Exekutiv-Ausschuss der FIFA. Bei Stimmengleichheit zählt die Stimme des FIFA-Präsidenten doppelt. Von 1958 bis 2010 fanden alle Fußball-Weltmeisterschaften immer abwechselnd in Europa und einem anderen Kontinent statt. Im Jahr 2000 beschloss die FIFA ein sogenanntes Rotationsverfahren, demzufolge Weltmeisterschaften ab 2010 im regelmäßigen Wechsel zwischen den sechs Kontinentalverbänden stattfinden werden. Dieses Verfahren wurde 2007 durch das Exekutivkomitee wieder abgeschafft. Ausgeschlossen sind nur die Kontinentalverbände, in welchen die letzten beiden Weltmeisterschaften stattgefunden haben. Für die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 bedeutete dies, dass Länder aus dem Afrikanischen Fußballverband und dem Südamerikanischen Fußballverband als Gastgeber ausgeschlossen waren. Am 19. Dezember 2008 beschloss das FIFA-Exekutivkomitee auf seiner Sitzung in Tokio, die WM 2018 und die WM 2022 gleichzeitig zu vergeben. Mit den seit 2016 geltenden FIFA-Statuten besteht die einzige Einschränkung darin, eine Fußball-Weltmeisterschaft nicht zweimal nacheinander an Mitglieder derselben Konföderation zu vergeben. Qualifikation. Um an der Endrunde der Fußball-Weltmeisterschaft teilnehmen zu dürfen, müssen sich die Mannschaften in der Regel in der Qualifikationsrunde durchsetzen. Nur das Gastgeberland ist automatisch bei der Endrunde startberechtigt. Bei den Endrunden von 1938 bis einschließlich 2002 war neben dem Gastgeberland auch der amtierende Weltmeister automatisch qualifiziert. Die Qualifikation wird innerhalb der einzelnen Kontinentalverbände ausgetragen. Jedem Kontinentalverband steht eine festgelegte Zahl an Endrunden-Teilnehmern zu, wobei es auch „halbe“ Startplätze gibt, die sich in einer interkontinentalen Relegation durchsetzen müssen. Der Modus in den Qualifikationsturnieren ist von Kontinent zu Kontinent unterschiedlich. So spielen in der südamerikanischen Zone alle zehn Nationalmannschaften in einer Gruppe. Die vier besten Teams der Gruppe sind für die Endrunde qualifiziert, während die fünftplatzierte Nationalmannschaft in Relegationsspielen gegen einen nordamerikanischen Vertreter um einen weiteren Startplatz spielt. In den anderen Kontinentalverbänden werden die Teilnehmer auch in Gruppenspielen oder im K.-o.-System ermittelt. Endrunde. Die qualifizierten Mannschaften spielen mit dem vorher bestimmten Gastgeberland in einem ca. vier Wochen dauernden Wettstreit um den Titel des Weltmeisters, welcher alle vier Jahre vergeben wird. Der Modus der Endrunde wurde im Lauf der Geschichte mehrfach verändert. Frühere Modi sind weiter unten beschrieben. Der aktuell gültige Modus ist seit 1998 im Einsatz. In der ersten Turnierphase (Gruppenphase) sind die Mannschaften nach dem Zufallsprinzip in mehrere Gruppen mit jeweils vier Mannschaften unterteilt, wobei einige Mannschaften nach gewissen Kriterien (Gastgeber, Weltmeister, FIFA-Rangliste) gesetzt und die anderen Mannschaften aus vorwiegend regional orientierten Lostöpfen gezogen werden. Dadurch soll verhindert werden, dass in der Gruppenphase bereits die Turnierfavoriten aufeinandertreffen oder eine Gruppe nur aus Nationalmannschaften eines Kontinents besteht. Jedes Team hat in der Gruppenphase drei Spiele gegen seine Gruppengegner zu bestreiten. Wie im Fußball weltweit Standard, bringt ein Sieg drei Punkte (seit 1994, vorher zwei), ein Unentschieden einen Punkt und eine Niederlage keinen Punkt. Die beiden letztplatzierten Mannschaften jeder Gruppe scheiden nach den drei Spielen der Gruppenphase aus. Bei Punktgleichheit von zwei oder mehr Mannschaften wird die Rangfolge in der Gruppe gemäß Art. 42 Ziffer 5 der FIFA-Regeln für die WM 2014 folgendermaßen ermittelt: Erstes Kriterium ist die Tordifferenz aus allen Gruppenspielen. Sollte diese gleich sein, zählt die höhere Zahl der in allen Gruppenspielen erzielten Tore. Sollten zwei oder mehr Mannschaften in allen diesen Kriterien übereinstimmen, entscheidet der direkte Vergleich dieser Mannschaften (wieder in der Reihenfolge Punkte, Tordifferenz und Anzahl der geschossenen Tore aus den Spielen dieser Mannschaften untereinander) und letztlich das Los. In den kommenden Runden gilt das K.-o.-System, d. h. nur der Sieger kommt in die jeweils nächste Runde. Steht es nach Ablauf der regulären 90-minütigen Spielzeit unentschieden, geht das Spiel in die Verlängerung. Für die Entscheidung in der Verlängerung galt zwischenzeitlich die Golden-Goal-Regel. Seit der WM 2006 findet die Verlängerung wieder in klassischer Form statt: Nach einer Pause von fünf Minuten wird ohne weitere Pause (nur mit Seitenwechsel) zwei Mal 15 Minuten gespielt. Die Mannschaft, die in der Verlängerung mehr Tore erzielt, hat gewonnen. Sollte nach der Verlängerung immer noch kein Sieger feststehen, entscheidet ein Elfmeterschießen. Nachdem in der Gruppenphase die Hälfte der Mannschaften ausgeschieden sind, verbleiben 16 Teams, die in den Achtelfinalspielen um ein Weiterkommen kämpfen. Dabei spielt jeder Gruppenerste gegen den Gruppenzweiten einer anderen Gruppe. Die Sieger der Achtelfinals bestreiten eines von vier Spielen, die als Viertelfinale bezeichnet werden. Die vier Sieger dieser Partien dürfen in eines von zwei Halbfinalen einziehen. Die beiden Verlierer der Halbfinalspiele bestreiten das Spiel um den dritten Platz der WM, welches am Vorabend des Finalspiels stattfindet und auch als „Kleines Finale“ bezeichnet wird. Das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft ist eines der prestigeträchtigsten und beliebtesten sportlichen Ereignisse, die ein Fußballspieler erleben kann. Das Siegerteam des Finalspiels bekommt den Pokal und darf sich für vier Jahre Weltmeister nennen. Der Austragungsmodus im Wandel. Der Austragungsmodus der Fußballweltmeisterschaften wurde mehrmals geändert. Das erste Turnier 1930 sollte eigentlich komplett im K.-o.-System durchgeführt werden. Da aber nur 13 Mannschaften angereist waren, entschloss man sich, vor dem Start zunächst eine Gruppenphase mit drei Gruppen à drei und einer Gruppe à vier Mannschaften durchzuführen. Dies sollte für die langwierig per Schiff angereisten vier europäischen Teams auch garantieren, dass sie nicht unmittelbar die Rückreise antreten mussten. Die Zusammensetzung der Gruppen wurde nach Ankunft aller Teilnehmer kurz vor dem Turnier gelost. Die Sieger der vier Gruppen spielten im Halbfinale gegeneinander, die beiden Sieger bestritten das Finale. Zum einzigen Mal in der WM-Geschichte wird das Spiel um Platz 3 noch nicht ausgetragen. 1934 und 1938 wurde das Turnier, beginnend mit einem Achtelfinale, komplett im K.-o.-System durchgeführt, wobei alle Partien einer Runde zeitgleich stattfanden. Bei einem Unentschieden nach Verlängerung gab es einen Tag (1934) bzw. zwei bis fünf Tage (1938) später ein Wiederholungsspiel. Danach hätte ggf. das Los entschieden. 1934 musste sich der Gastgeber Italien erst sportlich qualifizieren, der Titelverteidiger verzichtete aus Protest gegen ein Turnier in Europa; 1938 fällt durch den Anschluss Österreichs eine Mannschaft weg und wird stattdessen Teil der deutschen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte man 1950 zum Gruppenmodus in der Vorrunde zurück. Da drei qualifizierte Mannschaften auf die Teilnahme verzichteten, gab es zwei Gruppen mit vier, eine Gruppe mit drei und eine mit lediglich zwei Teams, also einer einzigen Partie. Dies stieß in der nächsten Runde auf Kritik, da die uruguayische Mannschaft damit nur ein Spiel absolviert hatte, während es bei der brasilianischen drei Spiele waren. Die vier Gruppensieger spielten anschließend in einer weiteren Gruppenrunde den Weltmeister aus, so dass es kein offizielles Endspiel gab. Jedoch ergab es sich, dass im dritten Spiel die beiden bestplatzierten Mannschaften aufeinandertrafen. Den bis heute einmaligen Modus hatte zur damaligen Zeit noch der Ausrichter des Turniers bestimmt. 1954 wurde die Vorrunde in einem sehr ungewöhnlichen Gruppenmodus mit vier Gruppen durchgeführt: Pro Gruppe waren zwei Teams gesetzt, die gar nicht gegeneinander spielen mussten. Endeten Spiele in der Gruppenphase remis, wurden sie um zweimal 15 Minuten verlängert, bevor das Endergebnis zählte. Bei Punktgleichheit des Zweiten und Dritten gab es ein Entscheidungsspiel, zwischen dem Ersten und Zweiten einen Losentscheid. Das Torverhältnis spielte keine Rolle. Der Versuch, favorisierte Mannschaften durch den Setzmodus in der Vorrunde zu schonen, führte jedoch nur zu geringen Punkteausbeuten, die insgesamt je zwei Entscheidungsspiele und Losentscheide notwendig machten. Anschließend fand eine K.-o.-Runde statt, bei der die teils gelosten Gruppensieger gegen die Zweiten spielten. Erstmals trugen die Mannschaften feste Rückennummern. 1958 wurde die Vorrunde ebenfalls im Gruppenmodus, aber ohne gesetzte Teams gespielt, bei Punktgleichheit gab es aber weiterhin direkt Entscheidungsspiele. Die K.-o.-Runde wurde wieder im Überkreuzvergleich (Erster gegen Zweiter einer anderen Gruppe) durchgeführt. 1962 bis 1970 wurde für die Ermittlung der Gruppensieger und -zweiten bei Punktgleichheit erstmals das Torverhältnis (Quotient) herangezogen, seit 1974 ist es die Tordifferenz, so wie heute noch üblich. 1970 wurden die Gelbe und die Rote Karte sowie die Möglichkeit zu zwei Auswechslungen eingeführt. 1974 und 1978 folgte nach der Vorrunde mit 16 Mannschaften eine Zwischenrunde, in der je zwei Gruppensieger und Gruppenzweite in zwei Gruppen wieder jeder gegen jeden die Endspielteilnehmer ausspielten. Die beiden Zwischenrundenzweiten spielten den dritten Platz aus. Es gab also keine Halbfinalspiele. 1982 wurde erstmals ein Turnier mit 24 Mannschaften durchgeführt. Nach der Vorrunde im nun üblichen Gruppenmodus erfolgte eine Zwischenrunde mit vier Gruppen à drei Mannschaften. Die Gruppensieger spielten im Halbfinale gegeneinander die beiden Finalisten aus. Bei diesem Turnier wurde auch erstmals ein Elfmeterschießen durchgeführt, wenn ein Spiel nach Verlängerung noch remis stand. 1986 bis 1994 qualifizierten sich neben den sechs Gruppensiegern und Gruppenzweiten noch die vier besten Gruppendritten für das erstmals seit 1938 ausgetragene Achtelfinale. Seit 1998 wird das Turnier mit 32 Mannschaften durchgeführt. Für das Achtelfinale qualifizieren sich die acht Gruppensieger und -zweiten, wobei zwei Mannschaften aus derselben Gruppe erst wieder im Finale bzw. im Spiel um den dritten Platz aufeinandertreffen können. 2002 jedoch sollte verhindert werden, dass die beiden Veranstalter (Japan und Südkorea) zu früh aufeinandertreffen können, wodurch zwei Mannschaften aus der gleichen Gruppe (Brasilien und Türkei) im Halbfinale erneut gegeneinander spielten. Außerdem gab es 1998 und 2002 das Golden Goal, was bedeutete, dass eine Verlängerung durch das erste erzielte Tor automatisch vor Spielende entschieden wurde. Seit 2006 ist der amtierende Weltmeister nicht mehr automatisch qualifiziert, sondern nur der Gastgeber. Am 10. Januar 2017 beschloss die FIFA, dass ab 2026 48 Mannschaften in insgesamt 16 Gruppen zu je drei Mannschaften teilnehmen werden, wobei sich die beiden Gruppenbesten für die K.-o.-Phase qualifizieren sollten. Die Zahl der Vorrundenspiele bliebe damit gleich (48 Spiele), es käme jedoch im K.-o.-System die Sechzehntelfinalrunde mit 16 zusätzlichen Spielen hinzu, so dass die Gesamtzahl der Spiele von 64 auf 80 steigen würde. Ob tatsächlich in Dreiergruppen gespielt wird oder ob es bei – dann 12 – Vierergruppen bleibt, wird noch diskutiert. Bei diesem Modus würden sich die Gruppenersten und -zweiten sowie die acht besten Gruppendritten für das Sechzehntelfinale qualifizieren. Trophäen. Bei der ersten Fußball-Weltmeisterschaft 1930 wurde bekannt gegeben, dass derjenige Verband, dessen Auswahl den Weltpokal dreimal gewinnt, diesen behalten dürfe. Durch den dritten WM-Gewinn der brasilianischen Nationalmannschaft 1970 ging die Trophäe, welche 1946 nach dem FIFA-Präsidenten Coupe Jules Rimet benannt worden war, in den Besitz des Brasilianischen Fußballverbandes über. Das Original wurde 1983 gestohlen und vermutlich eingeschmolzen. Aus 53 Entwürfen wurde der von dem Italiener Silvio Gazzaniga entworfene FIFA-WM-Pokal ausgewählt, der seit 1974 an den Turniersieger vergeben wird. Der Wanderpokal ist 36,8 cm hoch, wiegt 6175 g und besteht aus 18-karätigem Gold sowie zwei Ringen aus Malachit. Zunächst durfte der amtierende Fußball-Weltmeister den Pokal bis zur nächsten WM behalten. Nun muss der Original-Pokal auf Verlangen der FIFA spätestens bei der Abreise aus dem Gastgeberland der Endrunde der FIFA zurückgegeben werden. Der Weltmeister erhält eine vergoldete Replik. Auch die Replik bleibt Eigentum der FIFA und muss dieser auf Verlangen zurückgegeben werden. Seit 2006 wird der Pokal vor jeder Endrunde im Rahmen der „FIFA World Cup Trophy Tour“ auf eine mehrmonatige Weltreise geschickt und anschließend im Gastgeberland präsentiert. Die Mannschaften auf dem ersten, zweiten und dritten Platz bekommen Medaillen aus Gold, Silber oder Bronze. Erstteilnahmen. Insgesamt sind in der FIFA 211 nationale Fußballverbände registriert (Stand: 13. Mai 2016). Bis einschließlich der WM 2022 waren 80 dieser Verbände bei einer Weltmeisterschafts-Endrunde mit einer eigenen Auswahl vertreten. Die folgende Liste gibt einen Überblick der WM-Premieren aller bisherigen Teilnehmer einschließlich der zum jeweiligen Zeitpunkt gültigen Bezeichnung ihres Staates bzw. Teilstaates. Ranglisten. Seit einigen Jahren wird die Anzahl der bisher erworbenen Weltmeistertitel durch Sterne dargestellt, die meist oberhalb der Logos des Fußballverbands auf dem Trikot der Nationalmannschaften angebracht sind. Als erste Mannschaft trug Brasilien 1971 drei Sterne, heute sind es fünf (siehe auch Meisterstern). Rekordspieler. Mehr als ein WM-Titel. Aufgeführt sind Spieler, die mehr als einen Titel gewannen. Bei fett gedruckten Turnieren stand der Spieler im Finale auf dem Platz. Bei "kursiv" gedruckten Turnieren stand der Spieler im Kader, kam aber nicht zum Einsatz. Bei den Trainern wurde lediglich der Italiener Vittorio Pozzo (1934 und 1938) mehrmals Weltmeister (siehe Liste der Fußball-Weltmeistertrainer). Die meisten WM-Endrunden-Teilnahmen. In fett markierten Jahren wurden die Spieler mit ihren Teams Weltmeister. Bei gleicher Anzahl Teilnahmen richtet sich die Reihenfolge nach dem Jahr, in dem die letzte Teilnahme stattfand.Die Jahreszahlen von Turnieren ohne Spieleinsatz sind "kursiv" dargestellt. Die meisten WM-Endrunden-Einsätze. Diese Tabelle listet alle Spieler mit mindestens 20 WM-Endrunden-Einsätzen auf. Dabei ist es unerheblich, wie lange ein Spieler jeweils im Spiel mitgewirkt hat. In fett markierten Jahren wurden die Spieler mit ihren Teams Weltmeister. Bei gleicher Anzahl Spiele ist die Reihenfolge alphabetisch. Die meisten WM-Endrunden-Tore. Diese Tabelle listet alle Spieler mit mindestens zehn WM-Endrunden-Tore auf. Im jeweils fett markierten Jahr wurden die Spieler mit ihren jeweiligen Teams Weltmeister, in unterstrichenen Jahren waren die Spieler Torschützenkönig. Cristiano Ronaldo erzielte lediglich acht Tore, traf aber als einziger Spieler bei fünf Weltmeisterschaften. Auszeichnungen. Am Ende einer jeden Fußball-Weltmeisterschaft werden mehrere Auszeichnungen an die besten Spieler und das fairste Team verliehen. Bis zur WM 1966 wurden keine offiziellen Auszeichnungen vergeben. Derzeit gibt es fünf verschiedene Auszeichnungen: Außerdem erhält der Sieger das FIFA Champions Badge. Das Abzeichen darf vier Jahre lang nach dem Sieg der Weltmeisterschaft getragen werden. Das Badge wurde für die Herren im September 2008 und für die Damen im April 2009 eingeführt. Das Badge zeigt die Trophäe und wird im Rahmen durch den Schriftzug „FIFA World Champions“ ergänzt. Auf einem zweiten Abzeichen werden der Name des gewinnenden Landes und das Jahr des Sieges abgebildet. Darüber hinaus werden per Internet-Abstimmung gewählt: 1 Für 2010 wurde von der FIFA ebenfalls eine Internetabstimmung gestartet, in der Deutschland vor Uruguay führte, die aber nicht offiziell beendet und ausgewertet wurde. Bester Junger Spieler 1958 bis 2002 Nachträglich ermittelte die FIFA, per Internet-Abstimmung, auch den Besten Jungen Spieler für die Weltmeisterschaften 1958 bis 2002. Dopingfälle. Folgende Fußballer wurden bisher im Rahmen von Fußballweltmeisterschaften des Dopings überführt: Kritik. Es gab immer wieder Kritik an den Turnieren der Weltmeisterschaft, insbesondere was deren Vergabe und Vorbereitung betrifft. Im Oktober 2022 erschien z. B. dazu das Buch "Um jeden Preis – Die wahre Geschichte des modernen Fußballs von 1992 bis heute" des deutschen Sportjournalisten Christoph Biermann. Laut ORF schreibt er darin vom „moralischen Verfall im modernen Fußball und vom Spannungsfeld zwischen dessen Kommerzialisierung und sportlichem Fortschritt.“ So seien in den 1980ern durch Hooliganismus Menschen in den Fußballstadien gestorben. Geldflüsse, insbesondere Korruption, ermöglichten die WM-Vergabe an Länder wie Russland und Katar, d. h. Nationen mit zweifelhafter Menschenrechtssituation. In Katar (WM 2022) mangele es zudem in den Bereichen Arbeitsschutz und Arbeitsrecht für Beschäftigte, etwa die Arbeiter auf den Baustellen der Fußballarenen.
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Flektierende Sprache
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Französische Euromünzen
Die französischen Euromünzen sind die in Frankreich in Umlauf gebrachten Euromünzen der gemeinsamen europäischen Währung Euro. Am 1. Januar 1999 trat Frankreich der Eurozone bei, womit die Einführung des Euros als zukünftiges Zahlungsmittel gültig wurde. Umlaufmünzen. Die Münzzeichen. Geprägt werden die Münzen in der französischen Münzprägestätte Établissement Monétaire in Pessac (siehe Monnaie de Paris) mit dem "Füllhorn" als Zeichen. Dies ist auf jeder Münze zu finden. Rechts daneben findet man das Zeichen des Münzmeisters: Erste Prägeserie (1999–2021). Jede der drei Münzreihen hat ein eigenes Motiv. Die kleinste Reihe wurde von Fabienne Courtiade entworfen, die mittlere von Laurent Jorio nach der Säerin ("La Semeuse") von Oscar Roty sowie die 1- und 2-Euro-Münzen von Joaquin Jimenez. Alle Entwürfe zeigen die zwölf Sterne der EU und das Prägejahr sowie die Buchstaben "RF" für "République Française" (Französische Republik). Die französischen Euromünzen zeigen als Jahreszahl nicht das Ausgabe-, sondern das Prägedatum, sodass die früheste Jahreszahl 1999 ist. Die drei Motive der französischen Euromünzen sind: Wie die meisten Euroländer prägt Frankreich bereits seit 2007 seine Euromünzen mit der neu gestalteten Vorderseite (neue Europakarte). Zweite Prägeserie (ab 2022). Die 1-Euro- und 2-Euro-Münzen wurden anlässlich des 20. Jahrestags der Einführung des Euro von Joaquin Jimenez neu gestaltet. Vor einem Hexagon und mit dem Motto "Liberté Egalité Fraternité" (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) wird erneut der Baum des Lebens thematisiert. Dargestellt ist eine Mischung aus Zweigen der beiden Baumarten im Staatssymbol der Französischen Republik: Eiche (als Bild für Stärke und Dauerhaftigkeit) und Olivenbaum (als Symbol für Frieden). Sammlermünzen. Es gibt weit mehr als 1500 französische Euro-Sammlermünzen mit zum Teil äußerst geringen Auflagezahlen von (weit) unter 100 Stück. Vor allem 10- und 50-Euro-Münzen gibt es hunderte. Bei den Auflagezahlen widersprechen sich die Quellen allerdings zum Teil, sind also eher als ungefähre Richtwerte zu verstehen. ¼ Euro. Es folgt der Versuch einer Auflistung zumindest der meisten ¼-Euro-Sammlermünzen Frankreichs bis 2022. 1½ Euro. Es folgt der Versuch einer Auflistung zumindest der meisten 1½-Euro-Sammlermünzen Frankreichs bis 2022. Es scheinen ab 2012 keine solche Münzen mehr ausgegeben worden zu sein. 5 Euro. Es folgt der Versuch einer Auflistung zumindest der meisten 5-Euro-Sammlermünzen Frankreichs bis 2022. 10 Euro. Es wurden bis zum Jahr 2021 über 500 silberne und über 60 goldene französische 10-Euro-Münzen ausgegeben. Es folgt der Versuch einer Auflistung zumindest der meisten 10-Euro-Sammlermünzen Frankreichs bis 2022: 15 Euro. Es folgt der Versuch einer Auflistung zumindest der meisten 15-Euro-Sammlermünzen Frankreichs bis 2022. 20 Euro. Es folgt der Versuch einer Auflistung zumindest der meisten 20-Euro-Sammlermünzen Frankreichs bis 2022. 25 Euro. Es folgt der Versuch einer Auflistung zumindest der meisten 25-Euro-Sammlermünzen Frankreichs bis 2022. 50 Euro. Es wurden bis zum Jahr 2021 über 100 silberne und über 240 goldene französische 50-Euro-Münzen ausgegeben. Es folgt der Versuch einer Auflistung zumindest der meisten 50-Euro-Silbermünzen Frankreichs bis 2022: 100 Euro. Es folgt der Versuch einer Auflistung zumindest der meisten 100-Euro-Sammlermünzen Frankreichs bis 2022. Die ersten 100-Euro-Goldmünzen haben eine Masse von 155,5 g, was der Masse von 5 Unzen entspricht. 200 Euro. Es folgt der Versuch einer Auflistung zumindest der meisten 200-Euro-Sammlermünzen Frankreichs bis 2022. Viele 200-Euro-Silbermünzen haben eine Masse von 31,104 g, was der Masse von einer Unze entspricht. 250 Euro. Es folgt der Versuch einer Auflistung zumindest der meisten 250-Euro-Sammlermünzen Frankreichs bis 2022. Einige 250-Euro-Goldmünzen haben eine Masse von 62,208 g, was der Masse von 2 Unzen entspricht. 500 Euro. Es folgt der Versuch einer Auflistung zumindest der meisten 500-Euro-Sammlermünzen Frankreichs bis 2022. Viele 500-Euro-Goldmünzen haben eine Masse von 155,5 g, was der Masse von 5 Unzen entspricht. 1000 Euro. Es folgt der Versuch einer Auflistung zumindest der meisten 1000-Euro-Sammlermünzen Frankreichs bis 2022. Die ersten 1000-Euro-Goldmünzen haben eine Masse von 311 g, was der Masse von 10 Unzen entspricht. 5000 Euro. Es folgt der Versuch einer Auflistung zumindest der meisten 5000-Euro-Sammlermünzen Frankreichs bis 2022.
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Finnische Euromünzen
Die finnischen Euromünzen sind die in Finnland in Umlauf gebrachten Euromünzen der gemeinsamen europäischen Währung Euro. Am 1. Januar 1999 trat Finnland der Eurozone bei, womit die Einführung des Euros als zukünftiges Zahlungsmittel gültig wurde. Umlaufmünzen. Die 1- und 2-Cent-Münzen werden nur in sehr geringer Auflage geprägt und nur aufgrund der von der EZB aufgelegten Pflicht, diese prägen zu müssen. Sie sind im normalen Zahlungsverkehr nicht im Umlauf. Hauptgrund dafür ist die Tradition, keine kleinen Münzen zu verwenden, sowie die Rundung kleiner Beträge in den nordeuropäischen Ländern bei Barzahlung. Der Staatssekretär im finnischen Finanzministerium erklärte sogar, dass diese kleinen Münzen oftmals weggeworfen würden, da sie praktisch keinen Wert hätten und auch von Banken nur gegen hohe Gebühren eingetauscht würden. Nachdem 2002 die Ausgabe der 1- und 2-Cent-Münzen noch bei der Zentralbank in Helsinki praktiziert wurde, entwickelte sich eine hohe Nachfrage am öffentlichen Schalter der Zentralbank und eine Schlange von mehreren Kilometern. Die Polizei verbot daraufhin den Verkauf der Münzen. Seitdem werden die Münzen nur noch an Händler zum Nominalwert verkauft, die die Münzen zu einem beliebigen Preis weiterverkaufen dürfen. Für eine Rolle 1-Cent-Münzen muss in Finnland mit einem Preis von mindestens 20 Euro gerechnet werden, 2-Cent-Münzen sind teurer und die gemischten Rollen in Bezug auf das Prägungsjahr billiger als die, die nur Münzen aus einem Jahr beinhalten. Ein- und Zwei-Cent-Münzen zählen als gesetzliches Zahlungsmittel und müssen daher auch in Finnland von Geschäften angenommen werden, etwa wenn Touristen sie aus anderen Staaten der Euro-Zone mitbringen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass bei Barzahlung der Endbetrag laut Gesetz immer auf 5 Cent gerundet wird. In der Praxis werden Ein- und Zwei-Cent-Münzen trotz der gesetzlichen Verpflichtung nicht immer angenommen. Alle Münzen werden in der finnischen Münzprägestätte ("Suomen Rahapaja") in Vantaa hergestellt. Erste Prägeserie (1999–2006). Die Münzen der ersten Prägeserie haben drei Motive, zwei davon auf nur je einer Münze. Das Design für die sechs kleinsten Münzen stammt von Heikki Häiväoja, der Entwurf für die 1-Euro-Münze von Pertti Mäkinen und die nationale Seite der 2-Euro-Münze von Raimo Heino. Alle Designs enthalten die zwölf Sterne der EU und das Prägejahr sowie das Münzzeichen "M", das Initial des finnischen Münzmeisters Raimo Makkonen. Die drei Motive der finnischen Euromünzen sind: Umgestaltungen (ab 2007). 2007 begann Finnland mit der von der EU geforderten Neugestaltung der Münzen. Gleichzeitig wurden diese Münzen, wie in den meisten Euroländern, mit der neu gestalteten Vorderseite mit erweiterter Europakarte geprägt. Die Motive der Münzen wurden dabei nicht geändert, nur wenige Details waren von der Umgestaltung betroffen. Das Münzmeisterzeichen "M" entfiel, dafür wurden die Länderkennung "FI" und zwischen dem 8- und dem 9-Uhr-Stern das Logo der finnischen Münzprägestätte ergänzt. 2008 wurde das Münzzeichen nach innen verschoben, sodass es sich nun nicht mehr auf dem äußeren Ring befindet. Mitte 2010 erhielt die Prägestätte ein neues Logo. Auf den Kursmünzen wird dieses seit 2011 verwendet. Sammlermünzen. Es folgt eine Auflistung aller Sammlermünzen Finnlands bis 2021. 10 Euro. Material: 925er Silber – Münzdurchmesser: 38,6 mm – Masse: 27,4 g (bis 2004); 25,5 g (ab 2005)
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Fennek
Der Fennek oder Wüstenfuchs ("Vulpes zerda") ist eine Fuchsart aus der Gattung "Vulpes". Er ist der kleinste aller Wildhunde und bewohnt die Sandwüsten Nordafrikas. Die Art zeigt zahlreiche Anpassungen an das Wüstenklima, etwa die geringe Körpergröße, behaarte Sohlen und große Ohren, die der Wärmeregulation dienen. Der Fennek ist nacht- und dämmerungsaktiv und frisst als Allesfresser sowohl Wirbellose und kleine Wirbeltiere als auch Früchte und Knollen. Fenneks leben für gewöhnlich in Paaren; die meist zwei bis fünf Jungen pro Wurf kommen in März und April zur Welt. Während der Trage- und Säugezeit versorgt und beschützt das Männchen das Weibchen und den Wurf. Der Erdbau des Fenneks ist im Regelfall einfach und wird meist in lockeren Sand gegraben, nur in festerem Untergrund nimmt er komplexere Formen an. Der nächste Verwandte des Fenneks ist der Afghanfuchs ("Vulpes cana"), der auf der Arabischen Halbinsel, im Iran und in Afghanistan lebt. Obwohl Fenneks regelmäßig wegen ihres Fells oder für touristische Schauvorführungen gefangen werden, gilt der Bestand nicht als bedroht. Die IUCN klassifiziert die Art als "Least Concern" (nicht gefährdet). Der Fennek wird seit der Jungsteinzeit von den Menschen Nordafrikas als Nahrungs- und Felllieferant genutzt und seit dem 20. Jahrhundert vor allem in Nordamerika auch als Haustier gehalten. Merkmale. Körperbau und Physiologie. Der Fennek ist die kleinste aller Hundearten und verfügt über sehr große Ohren. Seine Kopf-Rumpf-Länge beträgt 333–395 mm, der Schwanz wird 125–250 mm lang. Sein Geburtsgewicht beträgt zwischen 80 und 187 g, das Gewicht adulter Tiere 1,0 bis 1,5 kg. Die Ohren machen 20 % der Körperoberfläche aus und werden 86–104 mm lang. Damit sind sie proportional größer als bei allen anderen Hunden und lassen entsprechend der Allenschen Regel eine Anpassung an die geographische Breite erkennen. Schnauze und Beine sind schlank und zierlich. Der Schädel entspricht in den Proportionen dem anderer "Vulpes"-Arten, besitzt aber sehr große Paukenhöhlen, ein typisches Merkmal von Wüstenbewohnern. Die Zahnformel lautet I 3/3 – C 1/1 – P 4/4 – M 2/3, der Fennek hat also insgesamt 42 Zähne. Sie sind kleiner und schmaler als bei anderen Arten der Gattung. Der Penisknochen (Baculum) ist 3 mm breit und mit 31–36 mm vergleichsweise lang.  Das Fell ist sandbraun mit einer beigen, rötlichen oder grauen Tönung. Die Körperunterseite ist heller gefärbt als die Oberseite. Die Ohren besitzen eine dunkle Rückseite, ihre Innenseite und ihre Ränder sind weiß befellt. Die Augen sind verhältnismäßig groß und dunkel, vom Innenwinkel zieht sich eine dunkle Linie hinunter zur Schnauze und umrahmt sie. Ein kürzerer Strich verläuft vom Außenwinkel der Augen in Richtung der Wangen. Die Schenkel sind bei Individuen aus dem nördlichen Teil des Verbreitungsgebietes rötlich gefärbt. Bei Tieren aus dem Süden besitzen sie eine weiße Färbung. Das Fell ist sehr dicht und lang. Die Behaarung der Zehen reicht bis über die Sohlen hinaus und bildet so ein isolierendes Polster für die Füße. Der Schwanz ist dicht behaart, seine Spitze und der Bereich um die Violdrüse sind dunkel gefärbt. Die Weibchen verfügen über drei Zitzenpaare. Der Fennek wechselt sein Fell vom Sommer zum Winter, wobei das Sommerfell etwas kürzer und heller als das Winterfell ist. Jungtiere zeigen eine ähnliche Fellzeichnung wie adulte, sind aber heller und besitzen wenig bis keine Rotanteile im Pelz. Die dunkle Gesichtszeichnung ist bei ihnen nur schwach ausgeprägt.  Die Nieren des Fenneks sind darauf ausgelegt, hochkonzentrierten Urin zu filtern und dabei so wenig Wasser wie möglich zu verbrauchen. Die Metabolismusrate des Fenneks ist sehr niedrig und liegt 33 % unter dem Wert, den Tiere seiner Größe gewöhnlicherweise aufweisen. Sein Herz ist 40 % kleiner, als es für seine Körpergröße zu erwarten wäre. Unterhalb von 35 °C Außentemperatur atmet der Fennek mit 23 Zügen pro Minute. Wird dieser Wert jedoch überschritten, kann sich die Atemfrequenz auf bis zu 690 Atemzüge pro Minute erhöhen. Die Blutgefäße in den Ohren und Fußsohlen werden bei Hitze erweitert, um möglichst viel Wärme nach außen abzugeben.  Der Fennek hat 2n = 46 Chromosomen. Lautäußerungen und Kommunikation. Die Stimme des Fenneks ist hoch und ähnelt der kleiner Haushunde. Sein Rufrepertoire ist umfangreich und mitunter melodiös. Schwaches Gebell dient als Warnruf vor Fressfeinden, an Hauskatzen erinnerndes Schnurren als Ausdruck des Wohlbefindens. Als Drohgebärde stößt der Fennek ein hohes Kläffen aus. Partner, Eltern oder andere Individuen, zu denen die Tiere einen positiven Bezug haben – dies können bei in Gefangenschaft gehaltenen Fenneks auch Menschen sein –, werden mit Quieken begrüßt.  Verbreitung. Das Verbreitungsgebiet des Fenneks umfasst die gesamte Sahara und wird durch Gebiete mit gemäßigtem beziehungsweise humiderem Klima begrenzt. Die nordwestliche Verbreitungsgrenze bilden die südlichen Ausläufer des Atlas, während das Artareal in Tripolitanien fast bis an die Küste reicht. In Ägypten wird es in etwa vom Nil begrenzt, reicht aber im Norden bis auf die nordwestliche Sinai-Halbinsel. Im Sudan umfasst das Verbreitungsgebiet auch weiter östlich gelegene Gebiete als in Ägypten, wie etwa die Nubische Wüste. Insgesamt fehlt der Fennek aber entlang der Küstenregion zum Roten Meer. In Mauretanien und Marokko kommt der Fennek bis knapp an die Atlantikküste vor. Die Südgrenze des Verbreitungsgebiets markiert die nördliche Sahelzone, wo der Fennek etwa bis 14° N vorkommt. Fraglich ist, ob es auf der Arabischen Halbinsel Vorkommen des Fenneks gibt oder gab. Zwar wurden von dort mehrere Sichtungen gemeldet, teils handelte es sich aber nur um Fußspuren im Sand oder um Rüppellfüchse ("V. rueppelli"), die für Fenneks gehalten wurden. Die IUCN geht nicht davon aus, dass die Art östlich des Sinais vorkommt, andere Autoren halten es zumindest für möglich. Lebensraum. Das Habitat des Fenneks besteht vorwiegend aus hyperariden Sandwüsten (Erg), wo er im flachen Boden oder in statischen Dünen seine Baue anlegt. Nahe der marokkanischen Atlantikküste nutzt der Fennek aber auch gemäßigt bewachsene Dünen für seinen Bau. Da der Fennek auf weichen Untergrund angewiesen ist, um seinen Bau zu graben, fehlt er in Gebieten ohne Sand. Der jährliche Niederschlag an der Nordgrenze des Verbreitungsgebiets beträgt rund 100 mm, in der Sahelregion sind es 300 mm. Süßgräser der Gattung "Aristida" und der Meerträubel "Ephedra alata" auf Großdünen sowie die Rispenhirse "Panicum turgidum" und Jochblätter ("Zygophyllum" spp.) auf kleineren Dünen bilden oft die einzige Vegetation im Lebensraum des Fenneks. Selten finden sich auch Akazien ("Acacia" spp.) darunter. Der Fennek ist offenbar nicht auf einen direkten Zugang zu Wasseransammlungen angewiesen. Lebensweise. Ernährung und Jagdverhalten. Die Nahrung des Fenneks ist vielfältig. Sie umfasst vor allem Insekten, kleine Nagetiere wie Wüstenspringmäuse ("Jaculus" spp.), Echte Rennmäuse ("Gerbillus" spp.) oder Rennratten ("Meriones" spp.), Eidechsen, Skinke, Geckos sowie Eier und kleine Vögel wie Steinlerchen ("Ammomanes deserti") oder Flughühner. Daneben verzehrt der Fennek auch Früchte und einige Pflanzenknollen. Fenneks gehen während der Dämmerung und nachts auf Nahrungssuche und meiden die Hitze des Tages. Im Winter reicht die Aktivitätsphase auch bis in den Morgen hinein. Der für andere "Vulpes"-Arten typische Mäusesprung wurde bei Fenneks nicht beobachtet. Fenneks graben regelmäßig im Sand nach Insekten und kleinen Wirbeltieren. Die vergrößerten Paukenhöhlen ermöglichen es ihnen, auch sehr tiefe Geräusche wahrzunehmen und damit Bewegungen im Sand zu hören. Überzähliges Futter vergraben sie. Menschliche Siedlungen und Lager werden nachts häufig zur Nahrungssuche aufgesucht. Fenneks müssen in freier Wildbahn nicht trinken, in Gefangenschaft nehmen sie jedoch bereitwillig Wasser und andere Flüssigkeiten zu sich. Das für ihren Organismus nötige Wasser gewinnen sie wahrscheinlich aus den flüssigen Komponenten ihrer Nahrung oder durch Oxidation von in ihr enthaltenem Wasserstoff. Sozial- und Territorialverhalten. Fenneks leben in kleineren Familienverbänden, die das Elternpaar und die Jungtiere des letzten Wurfes umfassen. Größere soziale Verbände bilden sie nur auf engem Raum in Gefangenschaft, in freier Wildbahn wurde ein solches Verhalten bisher nicht beobachtet. Sowohl Jungtiere als auch ausgewachsene Fenneks spielen häufig. In Gefangenschaft zeigen sie ein hohes Maß an sozialer Bindung und schlafen für gewöhnlich dicht nebeneinander. Kot wird in Gefangenschaft in der Regel vergraben. Der Bau wird etwa 1 m tief im Sand angelegt, nach Möglichkeit im Schutz von Vegetation. Je fester der Untergrund, desto komplexer ist in der Regel das Gangsystem: Während der Bau in losem Sand oft nur aus einem einzelnen Eingang, einem 1–2,5 m langen Gang und einer Hauptkammer besteht, wurden in kompakterem Boden Baue mit einer Fläche von 120 m² und 15 Eingängen gefunden, teils mit 10 m langen Gängen. Einzelbaue können nahe beieinander liegen und sogar untereinander verbunden sein. Fortpflanzung und Aufzucht der Jungen. Der Sexualzyklus der Art umfasst einen Proöstrus von etwa sechs Tagen und einen lediglich ein- bis zweitägigen Östrus. Die Paarung findet im Januar und Februar statt und dauert für ein Säugetier ungewöhnlich lange, bis zu 2 Stunden und 45 Minuten. Sie wird vom Weibchen eingeleitet, indem es den Schwanz zur Seite streckt und sich dem Männchen zur Besteigung anbietet. Die Tragezeit beträgt 50–52 Tage, der Wurf erfolgt also im März oder April. In Gefangenschaft wurden aber auch 62- und 63-tägige Trächtigkeiten beobachtet, Fenneks werfen hier das ganze Jahr über. Der Wurf besteht aus ein bis sechs, meist zwei bis fünf Welpen. Stirbt der erste Wurf, kann es auch zu einem zweiten oder sogar dritten Wurf kommen. Während der Brunft-, Trag- und Säugezeit sind Männchen sehr aggressiv und verteidigen das Weibchen und den Wurf gegen Eindringlinge und Fressfeinde. Das Männchen übernimmt zudem die Nahrungsversorgung während der Zeit, in der das Weibchen dazu nicht in der Lage ist. Die Jungen werden blind und vollständig behaart geboren. Sie öffnen die Augen nach 8–11 Tagen und bewegen sich mit zwei Wochen erstmals selbstständig fort. Die Zähne brechen etwa zur gleichen Zeit durch. Ab der dritten Lebenswoche fressen die Welpen erstmals Fleisch, sie werden aber 61–70 Tage lang von der Mutter gesäugt. Spielerisches Jagdverhalten zeigen sie ab der siebten Woche nach der Geburt. Die Geschlechtsreife wird mit 9–11 Monaten erreicht. Die Jungen verbleiben rund ein Jahr bei den Eltern, bis die nächste Wurfzeit einsetzt. Lebenserwartung und biotische Faktoren. Dem kleinen Mitglied der Familie der Füchse werden Lebenserwartungen von 6 bis über 10 Jahren nachgesagt. So beträgt das bisher höchste aufgezeichnete Alter gefangen lebender Tiere 14 Jahre bei einem Rüden und 13 Jahre bei einer Fähe. Ein Wüstenfuchs in der Wildnis steht verschiedenen Umweltfaktoren gegenüber. Entsprechend kann sicher eine durchschnittlich deutlich geringere Lebenserwartung der Art in Freiheit gefolgert werden. In seinem Lebensraum gibt es etliche andere Wüstenbewohner, die dem Fennek wegen seiner geringen Körpergröße als potentieller Fressfeind konkurrieren. Von Streifenhyänen ("Hyaena hyaena") und Goldschakalen ("Canis aureus"), aber auch von Haushunden geht dabei die Hauptbedrohung aus. Ob dies auch auf den Wüstenuhu ("Bubo ascalaphus") zutrifft, ist aufgrund lückenhafter Informationen nicht eindeutig. Die enorme Beweglichkeit des Wüstenfuchses stellt wahrscheinlich seinen effektivsten Mechanismus zur Verteidigung gegen potentielle Fressfeinde dar. Deutlich wird dies besonders in den geringen Jagderfolgen, sogar wenn flinke Windhunde gezielt zum Einsatz gebracht werden. Innerhalb der Art besteht nur während der Ranz zwischen den Rüden ein verstärkter Konkurrenzkampf. Deshalb enden in diesem Zeitraum Auseinandersetzungen zwischen ihnen immer wieder tödlich. In Gefangenschaft des Menschen sind die Tiere erhöhtem Stress ausgesetzt. Vermehrte Sterblichkeit gerade bei Neugeborenen ist dafür ein deutliches Symptom. Neben diesen offensichtlichen Faktoren in seiner Umwelt gibt es eine Mehrzahl diverser Parasiten, die den Fennek als Wirt nutzen. Der Befall durch verschiedene Arten von Band- und Fadenwürmer, aber auch Saug- und "Hakenwürmer" wurde nachgewiesen. Dies gilt ebenfalls für die Infektion mit den parasitären Einzellern der Kokzidie. Die gegenwärtige Hauptursache des Populationsrückgangs macht vermutlich der zusätzliche Druck auf die Art des Wüstenfuchses durch Mensch und Bejagen aus, dem diese nicht gewachsen ist. Taxonomie und Systematik. Erstbeschreiber des Taxons "Vulpes zerda" ist Eberhard August Wilhelm von Zimmermann. Er beschrieb die Art 1780 in seinem Werk "Geographische Geschichte des Menschen und der vierfüßigen Tiere", allerdings noch als "Canis zerda". Das Artepitheton leitete er von einem berberischen Namen des Fenneks ab.  Aufgrund seiner geringen Größe und anderer morphologischer Besonderheiten stellten ihn viele Autoren in eine eigene Gattung "Fennecus". Ab den 1990er Jahren wurde er aber zunehmend der Gattung "Vulpes" zugerechnet, was auch durch DNA-Studien bestätigt wurde. Eine frühere Beschreibung von Anders Fredrik Skjöldebrand aus dem Jahr 1777 hat keine Gültigkeit, da dieser mit „"Vulpes minimus Saarensis"“ kein Binomen als Bezeichnung wählte. Zwar versuchten einige spätere Autoren, diesen Namen als „"Vulpes minimus"“ in das Linnésche System zu integrieren. Er wurde jedoch auf Basis eines 1976 eingereichten Antrags von der International Commission on Zoological Nomenclature 1980 endgültig unterdrückt und für ungültig erklärt, um die Gültigkeit der Gattung "Vulpes" mit dem Rotfuchs ("V. vulpes") als Nominotypisches Taxon sicherzustellen. Der Fennek repräsentiert einen eher basalen Vertreter der Gattung "Vulpes". Seine Schwesterart ist der Afghanfuchs ("V. cana"), der vor allem aride Gebirgslandschaften und Geröllwüsten entlang des Roten Meeres, im Süden der arabischen Halbinsel und im Mittleren Osten bewohnt. Beide Arten trennten sich DNA-Analysen zufolge vor 3–4,5 Millionen Jahren im Pliozän, als sich in Afrika und im Mittleren Osten die bis heute bestehenden Wüstengebiete herausbildeten. Die ältesten Fossilfunde des Fenneks stammen aus dem Spätpleistozän. Der Fennek ist monotypisch, das heißt, er hat keine Unterarten. Bestand und Gefährdung. Für den Fennek fehlen verlässliche Bestandsschätzungen. Da die Art in Nordafrika immer noch regelmäßig gefangen und verkauft wird, ist davon auszugehen, dass der Bestand zumindest nicht zurückgeht. Die Hauptgefahr für den Bestand stellt nach wie vor die kommerzielle Jagd dar. Um die Jagd und den Verkauf des Fenneks als Haustier zu beschränken, wurde er 2000 im Anhang II des Washingtoner Artenschutzübereinkommens gelistet; dort ist er aber mittlerweile nicht mehr aufgeführt. In Marokko, Tunesien, Algerien und Ägypten steht der Fennek unter Schutz. Die IUCN stuft den Fennek trotz unzureichender Informationen über den Bestand als ungefährdet ein. Die Canid Specialist Group der IUCN erklärte den Fennek 2007 zu einer Art mit hoher Forschungspriorität, um damit die Forschung in freier Wildbahn voranzutreiben. Neben der Jagd besteht für den Fennek eine Gefahr darin, dass er in den sozialen Medien häufig in Videos als Haustier dargestellt wird. Die Nachfrage nach Fenneks als Haustier steigt stetig und fördert den illegalen Tierhandel. Fenneks, die beispielsweise nach Europa weiterverkauft werden, stammen meist aus der freien Wildbahn. Vereine, wie der Europäische Tier- und Naturschutz e.V. oder Pro Wildlife machen auf derartige Darstellungen von Wildtieren aufmerksam. Kulturgeschichte. Die wirtschaftliche Nutzung und kulturelle Rezeption des Fenneks reichen weit in die Menschheitsgeschichte zurück. In der neolithischen Fundstätte Regenfeld nahe Dachla wurden rund 7000 Jahre alte Fennekknochen gefunden, die eine Nutzung als Nahrungsmittel belegen. Bereits in vordynastischer Zeit findet sich der Fennek auf einer Elfenbeintafel aus dem Grab Skorpions I., der in der Naqada-III-Periode (ca. 3200 v. Chr.) das Alte Ägypten regierte. Eine bisweilen als Fennek interpretierte Abbildung eines Caniden auf der Grabkapelle des Nefermaat ist dagegen wohl ein Streifenschakal ("Canis adustus"). Schon in altägyptischer Zeit wurde wahrscheinlich versucht, den Fennek zu domestizieren, um ihn als Fleisch- und Felllieferanten zu nutzen; die Hieroglyphe "ms" (F31) zeigt drei zusammengebundene Fennekfelle. Später wurde er von arabischen Jägern an die Bevölkerung von Oasen verkauft, die ihn in ähnlicher Weise nutzten. Das ursprünglich wohl persische Wort "fanak" oder "fanaǧ" wurde von den Arabern als auf zahlreiche Pelztiere und deren Fell angewandt und als „Fennek“ zur modernen Bezeichnung für den Wüstenfuchs. Das Epitheton "zerda" kann vom persischen "zarde" abgeleitet werden, das mit der Bedeutung „gelb-blonde Farbe“ oder „Safran“ der Fellfärbung des Tieres entspricht. Die wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung war unter der arabischen Bevölkerung Nordafrikas allerdings weit geringer als unter den Nomadenstämmen der Sahara. Während der Fennek in arabischen Gedichten und naturgeschichtlichen Werken kaum auftaucht, existieren allein im Tuareg-Dialekt Tamahaq sechs verschiedene Bezeichnungen für die Art. Diese sehr unterschiedliche Wahrnehmung lässt sich auf die Abwesenheit des Fenneks in den kulturellen Zentren des Arabischen, auf sein unauffälliges Äußeres sowie seine nachtaktive Lebensweise zurückführen. In Nordafrika wird der Fennek auch heute noch verzehrt und seines Fells wegen gejagt. In der Westsahara werden meist Welpen gefangen, gemästet und gegessen, wohingegen der Fennek in Marokko als ungenießbar angesehen wird. Anders als das Fleisch aller anderen Hundearten gilt das des Fenneks als halāl, er wurde von den islamischen Rechtsgelehrten also traditionell nicht als Hundeverwandter betrachtet. Mit dem aufkommenden Interesse der europäischen Gesellschaften für den Orient rückte der Fennek auch in das Bewusstsein europäischer Künstler. Maler wie Paul Leroy und Étienne Dinet porträtierten ihn vor allem als charakteristisches Haustier der nordafrikanischen Landbevölkerung. Der im 20. Jahrhundert einsetzende Massentourismus in Nordafrika führte dazu, dass Fenneks verstärkt gefangen wurden, um sie zu fotografieren, sie für Geld zur Schau zu stellen oder an Reisende auf Märkten zu verkaufen. Auf diese Weise gelangten Fenneks wahrscheinlich auch in die USA, wo sie heute als Haustiere verbreitet sind. Als solche sind sie vor allem wegen ihrer exotischen Herkunft, ihrer Anhänglichkeit und ihres ausgeprägten Spieltriebs beliebt. Junge Zuchtpaare erzielen hier Preise von bis zu 1500 USD.
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Familie (Begriffsklärung)
Familie (von lateinisch "familia" „Gesamtheit der Dienerschaft“) steht für: FAMILIE steht für: Die Familie steht für: Siehe auch:
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Fermion
Fermionen (benannt nach Enrico Fermi) sind im physikalischen Sinne alle Teilchen, die der Fermi-Dirac-Statistik genügen. Nach dem Spin-Statistik-Theorem besitzen sie einen halbzahligen Spin, also formula_1, formula_2 etc. Anschaulich gesprochen sind Fermionen diejenigen Teilchen, aus denen die Materie besteht. Einteilung. Fermionen unterscheiden sich von den Bosonen, die der Bose-Einstein-Statistik genügen und nach dem Spin-Statistik-Theorem einen ganzzahligen Spin besitzen. Ein Elementarteilchen in drei Raumdimensionen ist immer entweder ein Fermion oder ein Boson. In sehr dünnen Schichten, also zweidimensionalen Systemen, gibt es außer Bosonen und Fermionen die sogenannten Anyonen, die einer eigenen Quantenstatistik mit beliebigem (englisch ‘any’) Spin genügen. Von der mathematischen Theorie her sind drei Typen von Fermionen möglich: Zu den Fermionen gehören: Eigenschaften. Fermionen gehorchen dem Pauli’schen Ausschlussprinzip, welches besagt, dass zwei Fermionen nicht gleichzeitig an demselben Ort einen identischen Quantenzustand annehmen können. Allgemein gilt, dass die quantenmechanische Wellenfunktion zweier oder mehrerer gleichartiger Fermionen bei Vertauschung zweier Fermionen vollkommen antisymmetrisch sein muss, das heißt, das Vorzeichen ändert sich (Phasenfaktor −1). Auf die Elektronen in einem Atom angewendet erklärt das Pauli-Prinzip, dass nicht alle Elektronen in denselben Grundzustand fallen können, sondern paarweise die verschiedenen Atomorbitale eines Atoms auffüllen. Erst durch diese Eigenschaft erklärt sich der systematische Aufbau des Periodensystems der chemischen Elemente. Im Standardmodell der Teilchenphysik gibt es keine elementaren Fermionen mit einem Spin größer als 1/2. Eine Eigenschaft von Fermionen mit dem Spin 1/2 ist, dass ihre quantenmechanische Wellenfunktion nach einer Rotation um 360° das Vorzeichen ändert; erst nach einer Rotation um 720° (also zweimal komplett gedreht) ist der Ausgangszustand wiederhergestellt. Das lässt sich anschaulich mit einer Uhr vergleichen: erst nach einer Drehung des Stundenzeigers um 720° hat man wieder die gleiche Tageszeit. Supersymmetrische Fermionen. Im um die Supersymmetrie erweiterten Modell der Elementarteilchen existieren weitere elementare Fermionen. Auf jedes Boson kommt rechnerisch ein Fermion als supersymmetrisches Partnerteilchen, ein so genanntes "Bosino", so dass sich der Spin jeweils um ±1/2 unterscheidet. Die Superpartner der Bosonen werden durch die Endung "-ino" im Namen gekennzeichnet, so heißt z. B. das entsprechende Fermion zum (hypothetischen) Graviton dann "Gravitino". Genau genommen wird zunächst im Wechselwirkungsbild jedem bosonischen Feld ein fermionisches Feld als Superpartner zugeordnet. Im Massebild ergeben sich die beobachtbaren oder vorhergesagten Teilchen jeweils als Linearkombinationen dieser Felder. Dabei muss die Zahl und der relative Anteil der zu den Mischungen beitragenden Komponenten auf der Seite der fermionischen Superpartner nicht mit den Verhältnissen auf der ursprünglichen bosonischen Seite übereinstimmen. Im einfachsten Fall (ohne oder mit nur geringer Mischung) kann jedoch einem Boson (wie dem oben erwähnten Graviton) ein bestimmtes Fermion oder Bosino (wie das Gravitino) zugeordnet werden. Bisher wurde keines der postulierten supersymmetrischen Partnerteilchen experimentell nachgewiesen. Sie müssen demnach eine so hohe Masse haben, dass sie unter normalen Bedingungen nicht entstehen. Man hofft, dass die neue Generation der Teilchenbeschleuniger zumindest einige dieser Fermionen direkt oder indirekt nachweisen kann. Mit dem leichtesten supersymmetrischen Teilchen (LSP) hofft man, einen Kandidaten für die Dunkle Materie des Universums zu finden.
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Färöische Sprache
Färöisch [] (färöisch "føroyskt" [], ; daraus abgeleitet die deutsche Bezeichnung "Färöisch" neben [seltenerem] "Färingisch") bildet zusammen mit dem Isländischen die inselnordischen Sprachen im Gegensatz zu den skandinavischen Sprachen Norwegisch, Schwedisch und Dänisch. Eine mehr auf die Diachronie bezogene Einordnung spricht von Westnordgermanisch und platziert dort Färöisch, Isländisch, westnorwegische Dialekte sowie das ausgestorbene Norn. Färöisch wird von mindestens 44.000 Menschen auf den politisch zum Königreich Dänemark gehörenden und weitreichende Autonomierechte besitzenden Färöern sowie weiteren Färingern im Ausland gesprochen. Die Gesamtzahl der Muttersprachler auf der Welt ist unklar. Ältere Schätzungen reichen von 60.000 bis zu 100.000, je nachdem, wie gut die Nachkommen von Muttersprachlern außerhalb der Färöer die Sprache noch beherrschen. Die weitaus größte Anzahl von Färöisch sprechenden Menschen außerhalb der Färöer lebt in Dänemark und hier insbesondere in Kopenhagen. Im Jahr 2007 ermittelte die Nordatlantische Gruppe im Folketing erstmals die Gesamtzahl von Färingern der ersten Generation, d. h. mit färöischen Geburtsort und Wohnsitz in Dänemark. Es wurden 7737 Personen gefunden. Seit 2008 ist jedoch eine stetige Zunahme in der Anzahl dieser Gruppe verzeichnet worden. Ende 2013 lebten laut "Danmarks Statistik" insgesamt 11.696 Menschen in Dänemark, deren Geburtsort auf den Färöern liegt, 4877 Männer und 6819 Frauen. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Personengruppe (die erste Generation) die färöische Sprache als Muttersprache beherrscht. Hinzu kommen noch Menschen, die in Dänemark geboren wurden und bei Färöisch sprechenden Eltern bzw. Elternteilen aufgewachsen sind, die zweite Generation, sowie in Teilen auch noch die dritte Generation. Neuere Schätzungen gehen sogar von einer Gesamtzahl von 30.000 Färingern in Dänemark aus, wovon die Hälfte, also 15.000 Personen, im Großraum Kopenhagen leben soll. Unklar ist hier jedoch, wie viele davon die Sprache noch aktiv sprechen können. Färöisch gehört damit zu den kleineren germanischen Sprachen (indogermanische Sprachfamilie). In färöischer Sprache werden viele Bücher herausgegeben. Von 1822 bis 2002 erschienen 4306 Titel, wobei das Jahr 2000 mit 170 Titeln (darunter 66 Übersetzungen aus anderen Sprachen) der bisherige Rekord ist, ein Buchtitel auf etwa 325 Einwohner. Nicht zuletzt durch ihren Status als Amtssprache auf den Färöern und durch die reichhaltige färöische Literatur gilt sie heute als nicht mehr gefährdet gegenüber der Dominanz des Dänischen bis in das 20. Jahrhundert hinein. Der älteste Text auf Faröisch, der Seyðabrævið aus dem 14. Jahrhundert, befindet sich in der Bibliothek der Universität Lund. Gegenseitige Verständlichkeit Färöisch-Isländisch-Norwegisch. Färöisch und Isländisch sind "schriftsprachlich" gegenseitig verständlich. Beide modernen Sprachformen stehen in grammatischer Hinsicht noch dem Altwestnordischen nahe. Die gegenseitige Verständlichkeit der "gesprochenen" Sprachen Färöisch und Isländisch ist hingegen eingeschränkt. Hammershaimb (1891) spricht von gegenseitiger Verständlichkeit zwischen Färöisch und westnorwegischen Dialekten, mit denen es größere Übereinstimmungen im Vokabular aufweise. Wie weit das heute noch gegeben ist, ist schwer prüfbar, denn es spielt auch die Zweisprachigkeit bei den Färingern eine wichtige Rolle: Sie lernen Dänisch bis auf annähernd muttersprachliches Niveau und können auch deshalb Norwegisch gut verstehen. Das nordische Dialektkontinuum wird heute nur noch für die festlandskandinavischen Dialekte in Norwegen, Schweden und Dänemark angenommen, trotzdem soll die färöische Schriftsprache vielen Norwegern relativ leicht verständlich erscheinen. Die alte Kolonialsprache Dänisch hingegen ist mit Färöisch weder in Schrift noch Aussprache gegenseitig verständlich, obwohl sie von der gemeinsamen urnordischen Vorläufersprache abstammt. Dänen können ohne weitere Färöischkenntnisse in der Regel nur einen Teil geschriebener Texte entziffern und von der gesprochenen Sprache nur einzelne Wörter erahnen. Färinger hingegen lernen Dänisch ab der 3. Klasse in der Schule und beherrschen es (in der Schriftsprache) oft auf muttersprachlichem Niveau. Den färöischen Akzent – "gøtudanskt" genannt – hört man aber meist heraus. Obwohl Isländisch und Färöisch von allen skandinavischen Sprachen dem Altwestnordischen phonologisch und grammatisch am nächsten sind, müssen Isländer und Färinger gleichermaßen üben, um es zu verstehen. Generell lässt sich sagen, dass sich Färöisch mehr vom Ursprung entfernt hat als Isländisch. Dies zeigt sich besonders bei der Flexion der Substantive und Verben, die einfacher ausfallen als im Altnordischen, aber weitaus komplexer als im Dänischen. Dialekte. Trotz der relativ geringen Bevölkerung und Fläche der Färöer gibt es aufgrund der geographischen Situation große Dialektunterschiede (im Gegensatz zum viel weitläufigeren Island). Die wichtigste Isoglosse läuft entlang dem Skopunarfjørður als Wasserstraße zwischen Sandoy und Streymoy (auf der Abbildung rot markiert: „short ó“). Sie teilt das Färöische in die Hauptgruppen: Die Trennung der beiden Hauptdialekte fand im 15. Jahrhundert statt. Typische Merkmale sind: Die Dialektgruppe "nordfjords" zerfällt in: Diese können auch in zwei Gruppen zusammengefasst werden: Tórshavn-Vágar und Eysturoy-Nordinseln (durch die grüne Isoglosse auf der Abbildung getrennt). Die Dialektgruppe "südfjords" zerfällt in: Als „standardsprachlich“ gelten die Dialekte von Vágar oder Tórshavn. Sprecher sowohl des Nordinseln- als auch des Suðuroy-Dialekts kann man am deutlichsten davon unterscheiden. Daher erscheint es sinnvoll, von drei Hauptgruppen zu sprechen: Hierbei bilden 1. und 2. wiederum eine Gruppe, die deutlich von 3. unterschieden werden kann. Der Skopunarfjørður hat daher also eine ähnliche Bedeutung für das Färöische wie die Benrather Linie für das Deutsche. Bereits Jens Christian Svabo berichtete Ende des 18. Jahrhunderts in seinem Vorwort zum "Dictionarium Færoense" von diesen drei Hauptdialekten. Den Nordinseln-Dialekt und den Südinseln-Dialekt sah er als das „reinste“ Färöisch an, während er das Tórshavnerisch als „verdorben“ bezeichnete. Die „Korrumpiertheit“ des Tórshavner Dialekts führt Svabo vermutlich auf den dortigen Einfluss der Kolonialsprache Dänisch zurück. Auch wenn es bis heute keine Standardaussprache des Färöischen gibt, orientieren sich Ausspracheangaben in etwa am Dialekt von Tórshavn/Südstreymoy, der auch die höchste Sprecherzahl hat. Geschichte. Das heutige Färöisch ähnelt im Schriftbild äußerlich zwar dem Altnordischen, aber es fanden durchgreifende Lautentwicklungen statt, die das Sprachgebiet in zwei Hauptvarietäten (Nord und Süd) teilten. Altwestnordisch. Das Altwestnordische "(Altnorwegisch)" kam im 9. Jahrhundert in der Wikingerzeit auf die Färöer. Die meisten Siedler stammten aus dem südwestlichen Norwegen. Gälische Sprachreste belegen, dass ein Teil der nordischen Einwanderer über die britischen Inseln kam. Durch die Christianisierung der Färöer um 1000 fielen die Inseln an Norwegen, was den sprachlichen Einfluss weiter verfestigte. Lautstand, Formenbau, Wortschatz und Satzbildung des Norwegischen finden sich auch im Färöischen wieder. Der älteste bekannte Runenstein, der auf den Färöern gefunden wurde, ist der Kirkjubøstein von ca. 1000. Der Sandavágsstein stammt aus dem 12. Jahrhundert, und der Fámjinsstein aus dem 16. Jahrhundert. Letzterer belegt die (teilweise) Verwendung der Runenschrift bis in die Zeit nach der Reformation. Bis ins 13. Jahrhundert unterschied sich die westnordische Sprache auf den Färöern kaum von den Sprachformen in Island und Norwegen. Erstes färöisches Dokument in lateinischer Schrift ist der "Schafsbrief" („Seyðabrævið“) von 1289. Hier zeigen sich bereits vereinzelte Abweichungen vom Norwegischen (Altnordischen), z. B. "girða" statt "gærda" („einzäunen“). Der Schwarze Tod um 1350 halbierte die färöische Bevölkerung, sodass neue Einwanderer aus Norwegen kamen und der Þ-Laut allmählich verschwand, wie er in den Húsavíkbriefen noch vorkam. 1380 gerieten die Färöer zusammen mit Island in die dänisch-norwegische Personalunion und damit faktisch unter dänische Herrschaft, gleichwohl die nordatlantischen Inseln als norwegische Kolonien betrachtet wurden. Altfäröisch. Erst ab dem 15. Jahrhundert bildete sich eine eigenständige färöische Varietät der nordischen Sprache, das Altfäröische im Gegensatz zum Altnordischen, Isländischen oder Norwegischen. Im färöischen Standardlehrbuch "Mállæra" 1997 wird diese Sprachstufe auch „Mittelalterfäröisch“ "(miðaldarføroyskt)" genannt. Linguistisch entscheidend sind hierfür die Húsavík-Briefe („Húsavíkarbrøvini“), die von 1403 bis 1405 datieren. Anhand von Schreibfehlern des Altnordischen kann nachgewiesen werden, inwieweit sich die färöische Aussprache von diesem unterschied. So steht dort an einer Stelle "hrentadi" statt des korrekten "rentaði" („rentierte“), was nach Jakobsen und Matras ein Hinweis darauf ist, dass im Färöischen kein /h/ mehr vor dem /r/ vorkam, wodurch der verunsicherte Schreiber es vor ein Wort setzte, wo es auch im Altnordischen nicht hingehört hätte. Ein anderes Beispiel ist "huast" statt "kvask" („selbst gesagt“). Hier wäre /kv/ die etymologisch korrekte Aussprache, aber da im Färöischen /hv/ zu /kv/ wurde, konnte der Schreiber auch hier nicht mehr unterscheiden. Beispiel mit dem Schreibfehler „hrentadi“. Auffallend ist die große Ähnlichkeit des altnordischen/altfäröischen Textes mit der heutigen Grammatik: Älteres Neufäröisch. Die Reformation auf den Färöern 1538 bewirkte, dass Dänisch alleinige Schriftsprache wurde und sich endgültig durchsetzte. Ab ca. 1600 spricht man von der neufäröischen Sprache, die sich in drei Hauptdialekte auffächert. Die Periode bis 1750 wird auch als älteres Neufäröisch bezeichnet. Das Färöische teilte nach der Reformation ein ähnliches Schicksal wie das Norwegische: Dänisch als Kirchensprache, Rechtssprache und Unterrichtssprache, dänische Lehrbücher und dänische Unterhaltungsliteratur. Die Isländer hingegen wachten über ihre alte Sprache und entwickelten sie in dieser Zeit weiter auf Grundlage des Altnordischen (bis heute). Das Isländische bestand als Literatursprache weiter fort und konnte das ganze Volk unter einer Standardsprache einen, während sich Färöisch und Norwegisch in viele Dialekte aufspalteten. Eine färöische Schriftsprache gab es ab der Reformation nicht mehr. Es konnte aber – anders als in Norwegen – in den alten Balladen und der überall gesprochenen Alltagssprache überleben. Bis Ende des 18. Jahrhunderts liegen nur sporadische Schriftzeugnisse vor. Zum Beispiel existiert ein Dokument von 1532, das eine Sammlung norwegischer Gesetzestexte beinhaltet und Jógvan Heinason (1541–1602) gehörte. Die meisten Dokumente bezüglich der Färöer wurden nach der Reformation auf Dänisch geschrieben, aber dort finden sich auch einzelne färöische Wörter, insbesondere Orts- und Personennamen. Die wichtigsten Quellen hierfür sind die "jarðabøkur" (Grundbücher seit 1584 erhalten) und "tingbøkur" (Gerichtsprotokolle seit 1615 erhalten). Hier lässt sich z. B. nachweisen, dass der Ð-Laut nicht mehr ausgesprochen wurde. Im ersten Buch über die Färöer, "Færoæ & Færoa Reserata", schreibt Lucas Debes 1673: Mit anderen Worten empfand man zu Debes' Zeiten die färöische Landessprache oft noch als eine Art Norwegisch. Hammershaimb weist in seiner "Færøsk Anthologi" 1891 nach, dass Debes eine Festrede zitiert, in der, trotz dänischem Duktus, altnordische Wendungen erkennbar sind. Debes verwendet auch andernorts in seiner Reisebeschreibung typisch färöische Begriffe. In den alten Tanzballaden haben zum Teil veraltete Wörter und Flexionen überlebt, aber es ist meist unmöglich, sie zeitlich zu bestimmen. Diese Wörter und Formen sind im heutigen "Føroysk orðabók" erfasst und entsprechend gekennzeichnet, was die Verständlichkeit des alten Balladenstoffs erleichtert. Die ersten schriftlichen Fragmente färöischer Balladen finden sich 1639 beim dänischen Altertumsforscher Ole Worm. Phonetische Verschriftlichung des Neufäröischen. Svabo. Der erste Pionier des geschriebenen Färöisch war der Gelehrte Jens Christian Svabo (1746–1824). Im Rahmen seiner "Indberetninger fra en Reise i Færø 1781–82" sammelte er alte färöische Balladen und schrieb sie als erster nieder. Allerdings gelangten sie erst lange nach seinem Tode zum Druck. Svabos Orthographie orientierte sich am Dialekt von Vágar, versuchte aber bereits eine Standardisierung. Sein "Dictionarium Færoense" (um 1773) ist das erste färöische Wörterbuch. Es existiert in sieben bekannten Manuskripten und wurde 1966 herausgebracht. Es ist ein Wörterbuch Färöisch-Dänisch-Latein. Svabo schrieb das Wörterbuch in der Annahme, dass Färöisch aussterben würde, aber noch für die Nachwelt dokumentiert werden sollte. Ein Beispiel für Svabos lautnahe und bemerkenswert konsistente Orthographie: Svabos Schreibweise des Vágar-Dialekts Ende des 18. Jahrhunderts zeigt, dass das Färöische sich seitdem kaum in der Aussprache geändert hat. Dass er /ó/ als /eu/ schreibt, spiegelt die dialektale Aussprache nördlich der Linie Suðuroy-Tórshavn wider (violette Isoglosse auf der Karte oben) als [œu] anstelle von [ɔu]. Schrøters Sigurdlieder. Das erste gedruckte Buch auf Färöisch trägt den dänischen Titel "Færøiske Qvæder om Sigurd Fofnersbane og hans Æt" und wurde 1822 vom dänischen Pfarrer Hans Christian Lyngbye (1782–1837) verfasst, dokumentierte die Sigurdlieder, die von seinem färöischen Kollegen Johan Henrik Schrøter (1771–1851) gesammelt wurden. Ein Beispiel von Schrøters Orthographie in dem Buch von 1822, die sehr der von Svabo ähnelt. Auch hier ist die Schreibweise viel näher an der tatsächlichen (Standard-)Aussprache als die heutige Orthographie: Jóannes í Krókis Sandoyarbók. Ein anderer Pionier jener Jahre war Jóannes í Króki (Johannes Clemensen oder Klemensen, 1794–1869), der in der bekannten "Sandoyarbók" (1821–1831) ebenfalls färöische Balladen sammelte. Es ist mit 93 färöischen Balladen das umfangreichste Werk seiner Art, das je von einem Einzelnen zusammengetragen wurde. Seine Schreibweise widerspiegelte den Dialekt von Sandoy. Auch seine Orthographie zeigt bemerkenswerte Ähnlichkeiten mit der heutigen Aussprache. Allerdings ist es keine Lautschrift im Sinne der Svaboschen Orthographie. Schrøters Matthäusevangelium. Johan Henrik Schrøter besorgte auch die erste Übersetzung des Matthäusevangeliums ("Evangelium Sankta Matthæussa aa Førisk o Dansk" 1823) aus dem Dänischen. Obwohl das Buch in jeden der rund 1200 färöischen Haushalte gelangte, konnte es sich aber in der Kirche nicht durchsetzen, wo weiterhin Dänisch gepredigt wurde. Es herrschte damals die mehrheitliche Auffassung im Volk, dass das Wort Gottes und die dänische Sprache zusammengehören. Außerdem kamen Beschwerden über bestimmte Wortformen. Søren Sørensen, ein Pfarrer von den Nordinseln, fügte in einem Schreiben an die dänische Bibelgesellschaft sogar die Übersetzung einer kurzen Passage in den Nordinseln-Dialekt hinzu, um dies zu illustrieren. Schrøter schrieb das Matthäusevangelium im Dialekt von Suðuroy. Im Wesentlichen verwendete Schrøter hierbei die gleiche Orthographie wie bei den Sigurdliedern zuvor. Allerdings schwächte er die Konsonanten /p,t,k/ nach langen Vokalen zu /b,d,g/ ab, wie es für den Südinselndialekt typisch ist, zum Beispiel "leiba" statt "leypa" („laufen“), "foudur" statt "fótur" („Fuß“) und "ruigje" [] statt "ríki" [] („Reich“). Schrøters Färingersaga. Die Zusammenstellung der Färingersaga "(Færeyínga saga eller Færøboernes Historie)" aus altisländischen Quellen durch den dänischen Altertumsforscher Carl Christian Rafn (1795–1864) war ein weiterer Meilenstein. Bei der Herausgabe 1833 wurde eine färöische Übersetzung mitgeliefert, die auch von Schrøter stammte, diesmal aber im Dialekt von Südstreymoy verfasst war. Hierbei bekam Schrøter Hilfe von seinen Landsleuten Jákup Nolsøe (1775–1869) und Jens Davidson (1803–1878), die Schüler von Svabo waren. Nolsøe war übrigens der erste Färinger, der eine am Altnordischen ausgerichtete etymologische Schreibweise bevorzugte. Er schrieb 1829 auch die erste färöische Grammatik, die aber nie veröffentlicht wurde. In der Färingersaga machte sich der Einfluss des dänischen Philologen Rasmus Rask (1787–1832) bemerkbar, der Schrøter zu einer verbesserten Orthographie bewegen konnte. Offenbar war Rask von Rafn als Berater herangezogen worden, vermutlich, um die Kritik zu vermeiden, die Schrøters Matthäusevangelium zuvor erntete, und um eine gewisse Standardisierung des Färöischen zu erreichen. Bereinigt von einigen Inkonsistenzen, sehen die Vokalzeichen in den ersten neufäröischen Schriften wie folgt aus: Standardisierung der neufäröischen Orthographie. N. M. Petersens etymologisierender Ansatz. Der dänische Skandinavist Niels Matthias Petersen (1791–1862) polemisierte 1845 gegen die phonetische Orthographie in dem Artikel "Det færøske Sprog", der in "Færdrelandet" erschien. Er argumentierte, dass bisher nicht die Rede von einer färöischen Schriftsprache sein kann, da alles bisher veröffentlichte Material immer nur einen bestimmten Dialekt wiedergab. Eine Schriftsprache müsse aber „die dialektale Harmonie sein, basierend auf der simplen, edlen und ursprünglichen Form der Sprache“. Gleichzeitig betrachtete er die bisherigen Orthographieversuche als hässlich, besonders was die Schreibung der Vokale betrifft. Zudem fehlten ihm Konsonanten als „Stützpfeiler“ der Sprache. Als Beispiel nannte er aus Schröters Färingersaga: "E haldi tä råvuliast", was für ihn aus Sicht der Skandinavistik keinen Sinn habe, sondern "eg haldi täd råduligast" geschrieben werden müsse, damit der Leser überhaupt die Wörter erkennt. Die heutige Schreibweise ist ähnlich: "eg haldi tað ráðuligast" („ich halte das für am ratsamsten“) und wird [] ausgesprochen, also etwa so, wie Schrøter schrieb. Dabei war Petersens Ansatz ähnlich wie der von Svabo, nämlich „vor dem Untergang retten, was vom Altfäröischen noch gerettet werden kann, und es der Welt in einer Form geben, die entgegenkommend und verständlich ist“. Aber seine Methode unterschied sich, denn Petersen interessierte sich nicht für das gesprochene Färöisch, das nur für Linguisten von Interesse wäre. Petersens Kritik erwies sich als wegweisend für die weitere Entwicklung, die ihm am Herzen lag: „Mit anderen Worten: Es muss eine färöische Schriftsprache geschaffen werden!“ Petersen haben wir die Forderung zu verdanken, dass Färöisch sich an der isländischen Schriftsprache orientieren und für alle lesbar sein soll, die Isländisch oder Altnordisch verstehen. Auch wenn das bedeutete, dass die Färinger dann erst lernen müssten, ihre eigene Sprache zu lesen, so sei die Situation in Dänemark nicht anders, wo man auch von keinem gesprochenen Dialekt ohne weiteres auf die Schriftsprache schließen kann. Eigentlich wollten V. U. Hammershaimb (1819–1909) und Svend Grundtvig (1824–1883) eine Replik schreiben, und Schrøter tat es auch in der "Berlingske Tidende", aber da der norwegische Historiker Peter Andreas Munch (1810–1863, Onkel von Edvard Munch) Petersens Argumentation in einem Artikel über eine künftige norwegische Schriftsprache zustimmte, verzichteten Hammershaimb und Grundtvig darauf. Im Sommer 1845 schickte der dänische Gouverneur auf den Färöern, Christian Pløyen (1803–1867), die vom Lehrer Ole Jespersen gesammelten "Zaubersprüche" an C.C. Rafn. Sie waren nach Svabos Orthographie verfasst. Neben dem färöischen Originaltext lieferte er eine dänische Übersetzung mit, bei der ihm wohl Schrøter und Jens Davidsen halfen. Rafn hielt diese Schreibweise aber für nicht geeignet, um sie zu veröffentlichen, und beauftragte den isländischen Philologen und Nationalisten Jón Sigurðsson (1811–1879) mit einer Überarbeitung, einer „Isländifizierung“. Das Ergebnis schickte er an N. M. Petersen mit der Bitte um Kommentare. Als Rafn die Kommentare von Petersen vorliegen hatte, wurde das Ganze an Hammershaimb geschickt, denn Petersen meinte, die letzte Entscheidung müsse ein Färinger treffen. Hammershaimbs Standardschreibung. V. U. Hammershaimb (1819–1909) gilt als der eigentliche Vater der modernen färöischen Schriftsprache. Zunächst war er, wie schon Svabo und Schrøter, ein Anhänger einer lautnahen Schreibung. Erst durch Petersens und Sigurðssons Einfluss kam es hier zum Umdenken. 1844 schrieb er einen Artikel in der dänischen Zeitung "Københavnsposten", wo er einen Regierungsvorschlag über das Schulwesen auf den Färöern kritisierte, in dem Färöisch als „Dialekt“ bezeichnet wurde. Hammershaimb berief sich auf die alten Balladen und Schrøters Übersetzung der Färingersaga als Beleg dafür, dass Färöisch eine Einzelsprache ist, die „Merkmale des Altnordischen bewahrt hat“. 1845 sprang ihm Svend Grundtvig (1824–1883) mit der Streitschrift "Dansken paa Færøerne, et Sidestykke til Tysken i Slesvig" zur Seite. Er argumentierte, dass das Verhältnis zwischen Färöisch und Dänisch mit demjenigen zwischen Dänisch und Deutsch im Herzogtum Schleswig vergleichbar sei, wo die Dänen damals für das Recht auf ihre Sprache kämpften. Grundtvig forderte die Regierung auf, deshalb Färöisch als Nationalsprache anzuerkennen und entsprechend an den Schulen, in der Kirche usw. einzuführen. 1846 erschienen Hammershaimbs ersten Volksmärchen in Rafns wissenschaftlicher Zeitschrift "Annaler for nordisk Oldkyndighed" zusammen mit den o. g. Zaubersprüchen und einigen Kommentaren zur Aussprache. Das ursprüngliche Manuskript von 1845 hierzu war noch an der letzten Version der Schrøterschen Orthographie orientiert: Übereinstimmungen sind zum Beispiel: Neuerungen sind jedoch: Was 1846 in den Druck gelangte, sah nach dem Einfluss von Sigurðsson und Petersen dann so aus: Damit war die Grundlage für die heutige färöische Schriftsprache gelegt. Nur noch Kleinigkeiten wurden geändert: 1854 erschien Hammershaimbs "Færøsk sproglære" (Färöische Sprachlehre) ebenfalls in dieser Zeitschrift. Hierüber schreibt er: Als Beispiel nennt Hammershaimb den altnordischen Buchstaben ó, der in den verschiedenen Dialekten als "ou" oder "ow" (Suðuroy), "eu" oder "öv" (Nordinseln), oder kurz vor zwei Konsonanten "ö" (im Norden vor "e" oder "æ" (siehe färöische Verschärfung)) geschrieben wurde. Er machte daraus wieder einen Buchstaben und definierte stattdessen die besonderen Ausspracheregeln hierfür. Damit wurden die altnordischen Wörter im Schriftbild leichter erkennbar. 1891 wurde Hammershaimbs Sprachlehre in seiner "Færøsk Anthologi" vollständig überarbeitet und hat bis heute nur wenig an Gültigkeit verloren. Hammershaimbs jüngerer Kollege Jakob Jakobsen trug hierzu maßgeblich bei. Sein Verdienst bei diesem Standardwerk war nicht nur die phonetisch exakte Umschrift und Gegenüberstellung der Dialekte anhand ausführlicher Leseproben, sondern vor allem auch ein Wörterbuch Färöisch-Dänisch mit 10.000 Stichwörtern und durchgängigen Ausspracheangaben. Es bildet den zweiten Band der "Anthologi". Abgesehen von der Unterscheidung zwischen den Buchstaben ø und ö und der Verwendung des x entspricht es weitgehend der heutigen Rechtschreibung. Jakobsen war zugleich der erste färöische Gelehrte, der neue Begriffe schuf und so das Färöische zu einer modernen Bildungssprache ausbaute. Seine reformierte lautnahe Broyting-Rechtschreibung setzte sich allerdings nicht durch, weswegen Färöisch heute noch sehr dem isländischen und altnordischen Schriftbild ähnelt. Als Beispiel sei hier der Buchstabe ð genannt, der im Färöischen stumm oder ein Gleitvokal ist und daher immer wieder zu Schreibfehlern führt. Hammershaimbs Freund Svend Grundtvig reiste zusammen mit Jørgen Bloch auf die Färöer, um bei der Sammlung vieler alter Sprachdenkmäler zu helfen. Grundtvig und Bloch verwendeten konsequenterweise Hammershaimbs Orthographie in seiner Sammlung "Føroyja kvæði". Sie schrieben auch das Wörterbuch "Lexicon Færoense" (1887–1888), das zwar unveröffentlicht blieb, aber die Grundlage für alle weiteren färöischen Wörterbücher bildete. Es hat 15.000 Stichwörter und übertrug u. a. Svabos "Dictionarium Færoense" in die Normalrechtschreibung. Hammershaimbs Verdienst war es, die färöische Sprache in eine Schriftform gegossen zu haben, die keinen der färöischen Dialekte bevorzugt und gleichzeitig für Kenner des Altnordischen ein Höchstmaß an Lesbarkeit garantiert – allerdings auf Kosten der Nähe zur Aussprache. Entwicklung zur Nationalsprache. Das Neufäröische wurde auf dem Weihnachtstreffen der Färöer 1888 von der sich bildenden Nationalbewegung als künftige Hauptsprache proklamiert. Aber erst mit der Gründung der Unabhängigkeitspartei Sjálvstýrisflokkurin 1906 trat das geschriebene Färöisch als „ernstzunehmende Konkurrentin“ des Dänischen auf. Der färöische Sprachenstreit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war ein besonders deutlicher Ausdruck des Kulturkampfes für die eigene Nationalsprache. Protagonisten waren Pädagogen wie Símun av Skarði (1872–1942), Jákup Dahl (1878–1944) und A. C. Evensen (1874–1917). Von Dahl stammt die erste Grammatik, die "Føroysk Mállæra". Sein Freund A. C. Evensen konnte die Arbeit am "Føroysk orðabók" („Färöisches Wörterbuch“) nicht vollenden, so dass es nur von A–F reicht. 1927–1928 erschien das erste „richtige“ färöische Wörterbuch von Christian Matras (1900–1988) und Mads Andreas Jacobsen (1891–1944). Es war das "Føroysk-donsk orðabók" ein färöisch-dänisches Wörterbuch, das 1961 in überarbeiteter Ausgabe erschien und mit Ergänzungsband bis heute (2007) maßgeblich ist. Erst 1937 wurde Färöisch als Schulsprache anerkannt, 1938 als Kirchensprache, und seit der Autonomie der Färöer von 1948 ist es Hauptsprache "(høvuðsmál)" auf der Inselgruppe. 1961 schließlich kam die erste "offizielle" färöische Bibel von Jákup Dahl heraus (vorher gab es schon eine baptistische Ausgabe); das Färöische wurde aber bereits vorher von der Kanzel gepredigt. Die Gründung der Universität der Färöer 1965 unterstrich den Anspruch, Färöisch als Wissenschaftssprache zu etablieren. Erster Professor für Färöisch war Christian Matras. Er sorgte für die Veröffentlichung der färöischen Balladen ("Føroya kvæði: corpus carminum Færoensium" in 7 Bänden 1941–96) als wichtigstes nationales Sprachdenkmal. Mit dem "Føroyamálsdeildin" gibt es hier zudem das einzige Färöisch-Institut weltweit. Es sollte bis 1998 dauern, bis die Färinger ihr erstes muttersprachliches Wörterbuch bekamen, das "Føroysk orðabók" von Jóhan Hendrik Winther Poulsen (* 1934) und anderen. Poulsen prägte die heutige färöische Sprachpolitik, die sich in ihrem Purismus (Vermeidung von Fremdwörtern) am Isländischen orientiert. Dadurch ist gewährleistet, dass Färöisch auch heute noch einen relativ eigentümlich anmutenden nordischen Wortschatz aufweist. Beispielsweise wurde aus einem "helikoptari" eine "tyrla", und ein "komputari" heißt inzwischen nur noch "telda". Dänisch ist offizielle Zweitsprache auf den Färöern, verliert aber im 21. Jahrhundert zunehmend an praktischer Bedeutung gegenüber dem Englischen als Geschäftssprache. Beispielsweise sind die Website und der Briefkopf der Landesregierung der Färöer nur auf Färöisch und Englisch, nicht aber auf Dänisch, während färöische Gesetzestexte immer noch ins Dänische übersetzt werden müssen. Die meisten Hinweisschilder auf den Färöern sind heute einsprachig auf Färöisch. Dort, wo Zweisprachigkeit vonnöten scheint, wird grundsätzlich Englisch verwendet. Dänische Schilder sieht man nur noch an dänischen Einrichtungen. Fremde Einflüsse. Genetische Untersuchungen haben ergeben, dass 80 % der männlichen Gene der Färinger skandinavischen (norwegischen) Ursprungs sind und 20 % britischer Herkunft. Bei den Frauen ist dieses Verhältnis genau umgekehrt. Zu 90 % stammen ihre Gene von den Kelten und nur zu 10 % von den Wikingern. Das ist dadurch erklärbar, dass die Wikinger Keltinnen als Frauen und Sklavinnen hatten. Ob sie direkten sprachlichen Einfluss hatten, ist nicht abschließend geklärt. Aber es finden sich einige typische keltische Wörter im Färöischen, wie "dunna" („Ente“), "drunnur" („Rumpf“ bei Schafen und Rindern), "korki" (eine auf den Färöern dominierende Flechte, aus der ein Purpurfarbstoff und Lackmus hergestellt wird) und Ortsnamen wie "Dímun". Auch Redewendungen wie "tað er ótti á mær" („ich habe Angst“, wörtlich „da ist Furcht auf mir“) haben eine keltische, aber keine skandinavische Entsprechung. Durch die dänische Kolonialsprache, insbesondere seit der Reformation, gelangten viele dänische bzw. eigentlich niederdeutsche Lehnwörter ins Färöische. Diese findet man noch heute mehr in der gesprochenen als in der Schriftsprache. Daneben gibt es auch charakteristische alte englische Lehnwörter, wie zum Beispiel "trupulleiki" (< trouble) „Problem“ und "fittur" (< fit) „fit; nett, süß; ziemlich viel oder gut“. Wenngleich die heutige färöische Sprachpolitik sehr puristisch ist, dringen immer wieder Anglizismen ins Färöische, insbesondere in die gesprochene Sprache. Das färöische Alphabet und Phoneminventar. Alphabet. Das färöische Alphabet hat 29 Buchstaben, die wie folgt klingen können: Anmerkungen: Ð und G als Gleitvokale. Die Buchstaben <ð> und <g> verhalten sich zwischen Vokalen identisch. Sie werden zu einem Gleitvokal /j, v, w,/ je nach Umgebung oder sind stumm. Diese Regeln gelten auch, wenn zwei Vokale in der Schrift aufeinanderstoßen. In der färöischen Grammatik "Mállæra" 1997 wird nicht zwischen /v/ und /w/ unterschieden. Flexion der Wortarten. Nominal flektierte Wörter. Das Färöische ist im Gegensatz zu anderen germanischen Sprachen wie Dänisch oder Englisch reicher an Formen. Zum Beispiel ist das Genus-System dem Deutschen sehr ähnlich, es wird also bei Substantiven, Pronomina, Adjektiven etc. zwischen drei Geschlechtern unterschieden. Auffallend – und unter den germanischen Sprachen (das Isländische ausgenommen) alleinstehend – ist im Färöischen die Pluralform des Zahlworts und unbestimmten Artikels ein, der genauso geschrieben, gesprochen und (im Singular) verwendet wird wie im Deutschen, aber anders gebeugt wird. Hinzu kommen die distributiven Zahlwörter der färöischen Sprache für "zwei" und "drei" "(siehe dort)". Charakteristisch für die nominal flektierten Wörter im Färöischen ist deren häufige Endung "-ur". Dabei ist das (aus dem Kontext gerissen) keineswegs ein Indikator für eine bestimmte Wortart noch für ein Geschlecht oder einen Numerus oder Kasus. Ebenso verhält es sich mit den typischen Endungen "-ir" und "-ar". Wie oben bereits erwähnt, können unbetonte Silben (und das sind im Färöischen allgemein die Endsilben) keine anderen als diese drei Vokale a, i, u tragen. Damit ist es freilich komplizierter als im Deutschen (und anderen Sprachen), wo in diesem Fall meist das e verwendet wird, falls eine Flexionsendung einen Vokal trägt. Dieses System ist auch für Muttersprachler manchmal schwer durchschaubar, zumal erschwerend hinzukommt, dass die "gesprochene Sprache" bestimmte Endungsvokale anders realisiert und manchmal auch in der Rechtschreibung zwei Varianten einer Form zulässig sind. Andererseits kann gesagt werden, dass sich sowohl bestimmte Paradigmen in der gesprochenen Sprache kaum oder gar nicht von dem altnordischen Ursprung entfernt haben als auch selbst unregelmäßige Formen in bestimmten Fällen Parallelen zum Deutschen aufweisen. Substantive. Die färöischen Nomen (Hauptwörter) werden dem Geschlecht (Genus) nach, wie im Deutschen, in drei Gruppen eingeteilt: Stellvertretend für die drei Geschlechter seien hier zur Veranschaulichung drei häufige Klassen genannt, deren Stammvokale sich "nicht" ändern. Anmerkungen: Artikel. Allgemein unterscheiden sich die skandinavischen Sprachen von den anderen germanischen Sprachen dadurch, dass der bestimmte Artikel dem Substantiv "angehängt" wird, also ein Suffix ist. Dies ist im Färöischen nicht anders, und es bildet in dieser Hinsicht eine Gemeinsamkeit mit dem Norwegischen und Schwedischen, indem es in attributiven Stellungen eine "doppelte Determination" gibt – im Gegensatz zum Dänischen und Isländischen. Das heißt: Wenn ein determiniertes Substantiv durch ein Adjektiv näher beschrieben wird, taucht in dem Satz nicht nur der Artikel als einzelnes Lexem auf, sondern "zusätzlich" noch als Suffix an dem betreffenden Nomen. Beispiel: Anmerkung: Angehängter bestimmter Artikel. Grundsätzlich gilt, dass die Nominativform des angehängten bestimmten Artikels bei männlichen und weiblichen Nomen immer -(i)n und bei sächlichen -(i)ð ist, wobei sich das in den anderen Kasus anders darstellt. Als Faustregel kann gelten, dass sich die oben aufgeführten Nominalflexionen auch im Neutrum (wie in den anderen beiden Genera) so verhalten, dass ein "n" zwischen Stamm und Flexionsendung tritt, und dass die Dativendung -um in diesem Fall nicht nur im Plural, sondern auch im Singular auftritt (als -num). Unbestimmter Artikel. Der unbestimmte Artikel ein verhält sich wie folgt (identisch mit dem Zahlwort): Anmerkungen: Adjektive. Wie im Deutschen gibt es bei Adjektiven (Eigenschaftswörtern) eine starke und eine schwache Beugung. Erstere wird bei unbestimmten Artikeln (ein, kein, einige etc.) verwendet, oder wenn das Hauptwort allein steht. In diesem Fall trägt das Hauptwort auch keinen angehängten bestimmten Artikel. Adjektive werden nach Genus, Kasus und Numerus gebeugt. Im Wörterbuch steht stets die männliche Nominativform der starken Beugung (erkennbar an der Endung -ur, die in einigen Fällen aber auch zum Wortstamm gehören kann). Starke Beugung. In dieser Tabelle sind auch die dazugehörigen Fragewörter angegeben (hvør? = wer?, hvat? = was? usw.). Färöisch als Fremdsprache. Färöisch als Fremdsprache wird nur von Ausländern auf den Färöern und einigen Skandinavisten und Färöerfreunden im Ausland beherrscht. Außerhalb der Färöer wird es lediglich an der Universität Kopenhagen und seit Januar 2011 auch am Nordkolleg Rendsburg unterrichtet. Die Universität der Färöer ist die einzige Bildungseinrichtung mit Färöisch als Hauptstudiengang innerhalb der Skandinavistik. Das bedeutet auch, dass Kinder von Färingern im Ausland nirgends einen färöischen Schulunterricht bekommen können, außer bei ihren Eltern und der Volkshochschule der Färöer, die seit 2007 einen Sommerkurs für diese Kinder anbietet. Die Universität der Färöer bietet für erwachsene ausländische Interessenten ebenfalls einen intensiven Sommerkurs in Färöisch an. Dieser findet in der Regel jedes Jahr statt und dauert eine Woche. Gelehrte im deutschen Sprachraum für Färöisch waren Ernst Krenn (1897–1954) an der Universität Wien und Otmar Werner († 1997) an der Universität Freiburg. Textproben. Beispiel aus: W.B. Lockwood, "An Introduction to Modern Faroese". Lockwood verwendet hier eine neufäröische Version der Färingersaga und zitiert den Abschnitt, wo Sigmundur Brestisson vom norwegischen König beauftragt wird, die Färöer zu christianisieren. Die Forschung geht davon aus, dass sich das entsprechende Ting im Jahre 999 auf Tinganes versammelte. Quelle: Pressemitteilung der Färöischen Landesregierung vom 26. September 2005. Die neue Smyril ist eine hochmoderne Autofähre, die die Fahrtzeit von Suðuroy nach Tórshavn erheblich verkürzt und insbesondere für die Bewohner der Südinsel von immenser Bedeutung ist. Färöische Begriffe und Lehnwörter. In den folgenden Artikeln werden einzelne färöische Begriffe erklärt: Es gibt in der deutschen Sprache zwei echte Lehnwörter aus dem Färöischen: Grindwal und Skua (Raubmöwe). Literatur. Einführungen. Einen konzentrierten Überblick in deutscher oder englischer Sprache geben: Eine ältere Einführung der färöischen Sigurdlieder für das historisch-vergleichende Studium: Grammatiken und Lehrbücher. Nur auf Färöisch sind z. B.: Wörterbücher. Das Standardwörterbuch ist seit 1998 das einsprachige "Føroysk orðabók", das seit 2007 auch im Internet verfügbar ist (siehe Weblinks). Es wurde unter der Leitung von Prof. Jóhan Hendrik Winther Poulsen erstellt. Färöisch-Deutsch. Das erste Färöisch-Deutsche Wörterbuch erschien 2013: Färöisch-Dänisch-Färöisch. Die beiden hier aufgeführten Titel sind färöisch-dänische bzw. dänisch-färöische Wörterbücher. Das "Føroysk-Donsk Orðabók" erschließt einen großen Teil des färöischen Wortschatzes, während das "Donsk-Føroysk Orðabók" wichtige Rückschlüsse auf den färöischen Umgang mit Internationalismen, Anglizismen und niederdeutschen Lehnwörtern gestattet, die im Dänischen häufig sind und in der färöischen Schriftsprache meist vermieden werden. Englisch-Färöisch-Englisch. Das zweibändige Wörterbuch Färöisch-Englisch/Englisch-Färöisch von 2008 ist das größte färöische Wörterbuch bisher: Sprachgeschichte und Sprachpolitik. Auf Färöisch:
1690
657
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1690
Färöische Inseln
1692
990857
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1692
Freitag
Der Freitag ist gemäß der Europäischen Norm EN 28601 und dem internationalen Standard ISO 8601 der fünfte Tag der Woche, nach jüdischer, christlicher und islamischer sowie mittelalterlicher Wochentagszählung – in der die Woche mit dem Sonntag beginnt – der sechste. Etymologie. Der Name geht auf den römischen Tagesnamen "dies Veneris", also Tag der (Liebesgöttin) Venus, und dieser wiederum auf den babylonischen Wochentagsnamen zurück. Als die südlichen Germanen die Siebentagewoche von den Römern übernahmen, übersetzten sie ihn mit ihrer als ähnlich wahrgenommenen Göttin Frija, die im Norden Frigg hieß (vgl. althochdeutsch "frîatac", altenglisch "frīgedeag", altnordisch "frjádagr"). Sie war in der isländischen Edda eher Schutzherrin der Ehe und Mutterschaft. Danach würde man eher die nordgermanische Liebesgöttin Freya an dieser Stelle erwarten, die deshalb auch oft als Namensgeberin des Freitags genannt wird. Allerdings kann ihr Name, der urnordisch "*fraujōn" (Herrin) gelautet hätte, nicht zu "frîatag" geführt haben. Nur ganz vereinzelt wird der Freitag in altnordischen Quellen an Freyja angelehnt, so in den Breta sögur („Freyjudag“). In Skandinavien wurde der Name allerdings nicht nach der dortigen Namensform "Frigg" gebildet, sondern nur der südgermanische Name übernommen ("frjádagr") Vermutlich war Frijas Rolle ursprünglich der Venus ähnlicher als später in der isländischen Literatur des Mittelalters. (vgl. schwedisch/dänisch/norwegisch fredag). Die romanischen Namen für Freitag (franz. ', ital. ', span. "") gehen ebenfalls auf die lateinische Bezeichnung "dies Veneris" beziehungsweise "Veneris dies" zurück. Bedeutung in den abrahamitischen Religionen. Im Judentum ist der Freitag, hebräisch יום שישי (jom schischi, der sechste Tag), der Rüsttag und Vorabend des Schabbats, der am Freitagabend bei Einbruch der Dunkelheit beginnt. Im Christentum gedenken die Gläubigen freitags in besonderer Weise des Leidens und der Kreuzigung Christi. Nach alter Tradition verzichten Christen freitags auf Fleisch (siehe auch Freitagsopfer). Der Karfreitag im Triduum Sacrum gehört zu den höchsten Feiertagen des Kirchenjahres. Im Islam ist der Freitag der wöchentliche Feiertag, an dem das Mittagsgebet (Salat) in der Gemeinschaft verrichtet wird und der Prediger (Chatib) eine Predigt (Chutba) hält (vgl. Freitagsgebet). Redewendungen. Der Spruch „Freitag nach eins macht jeder seins.“ bezieht sich auf den besonders in Behörden verbreiteten frühen Feierabend am letzten Arbeitstag der Woche. Das im Englischen existierende "Thank God it’s Friday" drückt in ähnlicher Weise die Vorfreude auf das in der Regel arbeitsfreie Wochenende aus. Freitag als „neuer Samstag“. In den letzten 20 Jahren wurde der Freitag bei einem Teil der arbeitenden Bevölkerung immer öfter zum zusätzlichen arbeitsfreien Tag. Zu einem besonders hohen Prozentsatz nehmen dies die Teilzeitbeschäftigten in Anspruch, in manchen Branchen, etwa dem Bauwesen, auch bis zur Hälfte der Vollzeitbeschäftigten. Eine Untersuchung aus der Schweiz, wo der Anteil der Teilzeitarbeit relativ hoch ist, bezeichnet diesen Effekt als „neuen Samstag“. Trivia. Der Freitag ist mit der Symbolik des Unglückstags behaftet. Während ein Freitag, an dem sich Unglück ereignet, als Schwarzer Freitag bezeichnet wird, erwarten Abergläubische Menschen am 13. Tag eines Monats, falls er auf einen Freitag fällt, besonders häufig Unglück.
1693
233073486
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1693
Freya
Freya, auch Freia oder Freyja (altnordisch „Herrin“), ist der Name der nordischen Wanengöttin der Liebe und der Ehe. Sie gilt als zweite Göttin des nordischen Pantheons nach Frigg, mit der sie in neuzeitlichen Rezeptionen oft gleichgesetzt oder verwechselt wird. Sie ähnelt der Venus des römischen Götterhimmels und der Aphrodite des griechischen Olymp. Namensformen. Aus der Skalden-Dichtung sind einige Beschreibungen bekannt, die als Freya-Kenningar aufgefasst werden. Dies sind Mardöll, Menglada, Hörn, Gefn, Sýr und Vanadís. Aufgrund ihres Beinamens Gefn, wird sie (eher spekulativ) auch mit der Göttin Gefjon in Zusammenhang gebracht. Die südgermanische Frîja (althochdeutsch: Friia, langobardisch: Frea) bezieht sich auf die Asengöttin Frigg. Stellung, Attribute. Freya gehört zu den Wanen, einem der beiden Göttergeschlechter der nordischen Mythologie. Ihr Bruder ist Frey (aisl. Freyr), ihr Vater der Meergott Njörd, als Mutter wird Skadi, Tochter des Riesen Thiazi genannt. Ihr Gatte ist in der eddischen Mythologie der Gott Óðr. Mit ihm hatte sie die Töchter Hnoss und Gersimi (beide Namen sind Synonyme und bedeuten „Kostbarkeit“). Freya gilt als die „berühmteste von den Göttinnen“ (Gylfaginning, Kap. 23). Sie gilt als die Göttin der Fruchtbarkeit und des Frühlings, des Glücks und der Liebe, sowie als Lehrerin des Zaubers (seiðr). Freya besitzt ein von Zwergen geschmiedetes Halsband, Brisingamen, einen von Waldkatzen gezogenen Wagen und ein Falkengewand, mit dem man wie ein Falke durch die Lüfte gleiten kann. Nach dem Gedicht "Hyndluljóð" reitet sie auch auf dem Eber Hildisvini. Auch in der Gylfaginning tritt Freya auf. Danach weint sie goldene Tränen, als Oðr sie verlässt. Nach der Grímnismál heißt ihr Hof Fólkvangr. Ihr Saal heißt Sessrúmnir. Nach der "Ynglinga saga" Snorris lehrte sie die Asen den Zauber. Aber ihre Hauptaufgabe liegt darin, dass sie als Anführerin der Walküren auf den Schlachtfeldern daheim ist und die Hälfte der gefallenen Recken beanspruchen darf, während Odin (der oberste Gott, Gott des Krieges) die andere Hälfte zusteht. Der Wochentag Freitag (ahd. frîatac, ae. frīgedeag) ist sprachgeschichtlich nicht vom nordgermanischen „Freya“ abgeleitet, sondern von „Frija“, der südgermanischen Namensform der germanischen Göttin Frigg, die in der nordischen Mythologie von Freyja unterschieden wird. Nur ganz vereinzelt wurde der Freitag im Altnordischen auch einmal auf Freyja zurückgeführt ("Freyjudagr" in den Breta sögur). (Vgl. Freitag) Entwicklung. Freya spielt in den eddischen Texten "Hyndluljóð, Lokasenna" und "Þrymskviða" eine bedeutende Rolle. In "Grímnismál" erscheint sie als Todesgöttin und in der "Völuspá" schimmert sie durch den Gesang "Ods Braut" (Óðs mey). Auch die Zauberinnen Gullveig und Heid, die in den Strophen davor den Krieg zwischen Asen und Wanen entfachen, werden für Hypostasen der Göttin Freya gehalten. Nach Snorris "Gylfagynning" erhält sie immer, wenn sie einem Kampf beiwohnt, die Hälfte der Gefallenen, die andere Hälfte fällt Odin zu. Da es keine südgermanischen (z. B. deutschen oder englischen) Überlieferungen zu Freya gibt und die Südgermanen den Tag der Venus (Freitag) noch mit Frija/Frigg verbanden, wird angenommen, dass Freya eine wikingerzeitliche Loslösung der Aspekte Liebe und Liebesmagie der Frigg bildet. Dazu sind in der "Edda" und dem "Gylfaginning" folgende Episoden beschrieben: Den Halsschmuck der Freya, der Brisingenschmuck, hatten die Zwerge Alfrigg, Dvalin, Berling und Grervier (Gerr) gefertigt, der Preis des Erwerbs war, dass die Göttin vier aufeinanderfolgende Nächte mit jeweils einem der Zwerge verbrachte – zum Unwillen Odins, der Freya zur Strafe zwang, unter den Menschen einen Krieg anzuzetteln. Eine weitere Berichterstattung besagte, dass Loki beim von Ägir ausgerichteten Trinkgelage alle Anwesenden beschimpft und der Freya vorwirft, sie habe mit allen Asen und Alben im Saal Liebschaften gehabt. Hinzuzufügen bleibt, dass Loki in unerwiderter Liebe zu Freya schmachtete. Die literarischen Ausgestaltungen Freyas während der isländischen Renaissance des 13. und 14. Jahrhunderts sind allerdings keine authentischen Quellen zur heidnischen Gestalt der Göttin. In der Neuzeit hat sie die Göttin Frigg in der isländischen Verarbeitung der alten Sagen vollkommen verdrängt. In einer Illumination in einer Papierhandschrift des 17. Jahrhunderts erscheint sie allerdings nur noch als treusorgende Familienmutter. Quellen. Besonders bekannte Quellen über Freya sind zwei Gedichte der Lieder-Edda. In der "Lokasenna" („Schmähreden des Loki“) wirft ihr der Gott Loki vor, mit jedem Gott und jeder mythologischen Gestalt Verkehr gehabt zu haben. In der "Þrymskviða" („Das Lied von Thrym“) hat sie einen Wutausbruch, als die Forderung des Riesen Thrymr (aisl. Þrymr) lautet, ihn heiraten zu sollen, um den Hammer Thors von den Riesen auszulösen, der wichtig für den Fortbestand der Götterwelt ist. Auch in der Gylfaginning und im Grímnismál tritt Freya auf. Kultorte. Dänische wie schwedische Ortsnamen gehen auf die Göttin zurück. So ist z. B. Fröjel auf Gotland ein wikingerzeitlicher Hafen und Kultplatz der Freya (schwed. Fröja), an dem noch eine Fornborg (Wallburg, früh- bzw. vorgeschichtliche Ringwallanlage) und eine Trojaburg (nord. Trojeborg) auf die alte Funktion des Ortes verweisen, der auch Thingplatz war. In Dänemark sind in Jütland Frøslev, auf Seeland ebenfalls Frøslev und auf Lolland Frejlev solche Orte.
1695
684707
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1695
Fritz Walter
Friedrich „Fritz“ Walter (* 31. Oktober 1920 in Kaiserslautern; † 17. Juni 2002 in Enkenbach-Alsenborn) war ein deutscher Fußballspieler. Fritz Walter gehört zu den herausragenden Persönlichkeiten des deutschen Fußballsports. Mit ihm als Kapitän und „verlängertem Arm“ von Bundestrainer Sepp Herberger gewann die Nationalmannschaft die Weltmeisterschaft 1954. Auch bei der Weltmeisterschaft 1958 war der 37-jährige Routinier und Senior der deutschen Mannschaft Stammspieler des Titelverteidigers. Auf Vereinsebene hielt Walter dem 1. FC Kaiserslautern (FCK) über 30 Jahre lang die Treue und gewann mit ihm zwei deutsche Meisterschaften (1951 und 1953). Der filigrane Spielmacher und Torschütze absolvierte für die „Roten Teufel“ von 1945 bis 1959 in der Fußball-Oberliga Südwest 321 Ligaspiele, in denen er 273 Tore erzielte. In den Endrunden um die deutsche Fußballmeisterschaft bestritt er mit Kaiserslautern von 1942 bis 1958 insgesamt 47 Spiele und schoss dabei 24 Tore. Alt-Bundestrainer Sepp Herberger, unter dem der Lauterer Ausnahmefußballer alle seine 61 Länderspiele mit 33 Toren absolviert hatte, sagte über seinen Meisterschüler: „Der Fritz wurde nicht entdeckt – sein Talent drängte sich von selbst auf.“ Für seine fußballerischen und sozialen Verdienste wurde Walter vielfach geehrt und 1954 als erster Spieler zum Ehrenspielführer der Nationalelf ernannt. Zu seinem 80. Geburtstag wurde ihm der einzigartige Titel „Ehrenbürger von Rheinland-Pfalz“ verliehen. TV-Legende Rudi Michel sagte einst über ihn: „Der Mann schleppt seinen Vornamen mit wie ein Akademiker seinen Doktorgrad. Kein anderer deutscher Fußballer, kein ‚Kaiser‘, kein ‚Bomber‘, kein ‚Uns Uwe‘ genoss derartige Anerkennung wie dieser Pfälzer Jung. Für viele ist er neben Max Schmeling der populärste deutsche Sportler aller Zeiten.“ Jugend. Friedrich „Fritz“ Walter wurde 1920 als ältestes von fünf Kindern der Eheleute Dorothea und Ludwig Walter in Kaiserslautern geboren. Er hatte zwei Schwestern, Gisela und Sonja, und zwei Brüder, Ludwig und Ottmar, die beide ebenfalls beim 1. FC Kaiserslautern spielten. Mit Ottmar spielte er später gemeinsam in der Nationalmannschaft und gewann mit seinem Bruder 1954 den Weltmeistertitel in der Schweiz. Als Sohn des Vereinswirts des 1. FC Kaiserslautern kam der junge Fritz schon in frühester Jugend mit dem Fußball in Kontakt. Seine ersten Schritte auf dem Fußballplatz machte er als Siebenjähriger in der Schülermannschaft des FCK. Zunächst spielte er auf der Position des rechten Verteidigers, schon bald war das Ausnahmetalent aber im Angriff der FCK-Jugend ein stadtbekannter Fußballer. Rudi Michel, langjähriger journalistischer Wegbegleiter und Freund von Fritz Walter, erinnerte sich im November 1985 an die Anfänge, als der spätere große Fritz noch Klein Fritzchen war: „Ganz genau weiß ich das Jahr nicht mehr, aber es muß so um 1928/29 gewesen sein. Damals hat mein Vater alle 14 Tage sonntags beim Mittagessen gesagt, heut' gehen wir früher 'uff de Betze', vor der ersten Mannschaft spielt's klää Fritzje." "‘s klää Fritzje" war damals der kleinste unter den Kleinen in der Schülermannschaft des 1. FC Kaiserslautern. Er war zur damaligen Zeit schon ein kleiner Alleinunterhalter für durchschnittlich 2000 bis 2500 Zuschauer, die über seine Fertigkeiten am Ball lachten, über seine Fähigkeiten im Spiel staunten und ihn bejubelten und beklatschten als Mini-Star. Das Fazit aller Experten war: „Der wird mal einer, der wird ein ganz Großer; endlich werden wir auch in der Provinz einen Nationalspieler haben. Was hat der Knirps mit dem Ball alles gemacht, einfach alles - alles hat er gekonnt, alle hat er verladen mit seinen Dribblings, mit seinen 'Kunststückchen'; so nannten wir die Tricks mit dem Absatz - den Ball hat er nicht hergegeben, bis er ihn dem Torhüter ins Drahtnetz geschoben hat. Der braucht nichts mehr dazuzulernen“, haben sie gesagt. „Der kann schon alles. Nur wachsen muß er noch. Und sie konnten es nicht erwarten, bis er größer wurde. Und Kraft braucht er noch.““ Die Grundlagen des Fußballs hat sich der junge Fritz aber überwiegend als Straßenfußballer, in der damaligen Zeit für die Jugendlichen die Freizeitbeschäftigung Nummer eins, zugelegt. In den Spielen des „Kanälchers“, quer über die Straße von Kanal zu Kanal, dem Kick während der Pausen auf dem Schulhof und den Kämpfen zwischen den Stadtteilmannschaften bewies sich der technisch überragende Dribbler, Kombinierer und Torschütze ebenso als Meister wie auf dem Spielfeld mit der Vereinsjugend. Die sportliche und charakterliche Erziehung der Jugendspieler auf dem Betzenberg wurde geprägt von Jugendtrainer Peter Zängry und Trainer Karl Berndt. Darüber hinaus nahm der ehemalige Nationalspieler Georg Wellhöfer bei gelegentlichen Trainingseinheiten und Nachwuchslehrgängen des Nationalsozialistischer Reichsbund für Leibesübungen (NSRL) Einfluss auf die Entwicklung der „Betze-Buben“. In der regionalen Presse gab es bereits am 7. März 1934 in der "NSZ Rheinfront" die erste Nachricht über das Fußballtalent. Nach einem Vorspiel der FCK-Schüler gegen die Elf vom FK Pirmasens (11:1) vor einem Repräsentativkampf Südwest gegen Württemberg war zu lesen: „Insbesondere war es der prächtige Mittelstürmer Walter des 1. FCK, der die Massen begeisterte.“ Vom Frühjahr 1938 an häuften sich die Nachrichten in der Lokalpresse. Am 25. März debütierte der Jugendspieler bei einem Freundschaftsspiel gegen den 1. FC Pforzheim (5:5) in der 1. Mannschaft der Lauterer. Der Debütant führte sich im Seniorenbereich mit zwei Toren ein. Zuvor, ab Anfang 1938, war die körperlich noch schwächliche Nachwuchshoffnung bei der Metzgerei Speyerer in der Mittagspause zum Essen vorbeigekommen, um durch die dortige Verpflegung die mangelnde Kraft aufzuholen und damit die fehlende ärztliche Genehmigung für den Einsatz im Seniorenbereich zu erlangen. Aber nicht nur als Fußballer tat sich der junge Fritz hervor, auch in der Schule gehörte er zu den Besten. Während seiner Lehrzeit bei der Bankagentur Heinrich Hasemann in der Weberstraße besuchte er vom 24. April 1935 bis zum 12. April 1938 die Berufsschule Kaiserslautern, Handelsabteilung, und erhielt in seinem Entlasszeugnis vom 12. April 1938 in allen Leistungsfächern die Note „sehr gut“. Mit Unterstützung von Oberbürgermeister Richard Imbt bekam er ab 1. Juni 1939 eine Anstellung in der Buchhaltung der von FCK-Gründungsmitglied Karl Wünschel geleiteten Stadtsparkasse. Als er im Dezember 1940 zum Militärdienst eingezogen wurde, endete die Bankepisode. Karriere. Beginn im Seniorenbereich und erstes Länderspiel, 1938 bis 1940. Der 1. FCK war in der Saison 1937/38 als Vorletzter aus der Gauliga Südwest abgestiegen. Mit dem Ex-Berliner Karl Berndt übernahm ein neuer Trainer die sportliche Leitung und mit dem Aufrücken von Fritz Walter aus der Jugend startete eine neue Zeitrechnung für die Betzenberg-Elf. Sein Anteil an der sportlichen Renaissance des FCK ist so groß, dass die Spielprogramme bereits 1940 von der „Walter-Mannschaft“ schrieben. Der Gauligaabsteiger startete am 11. September 1938 mit einem 8:1-Erfolg und vier Walter-Treffern gegen den SV Niederauerbach in die Verbandsrunde im zweitklassigen Bezirk Mittelpfalz. Im Oktober erzielte Walter in den aufeinanderfolgenden Begegnungen gegen den FC Rodalben (7:0) und den WSV Kammgarn Kaiserslautern (5:0) alle zwölf Treffer. Seine sportlicher Mehrwert stand früh fest und mit dem viel beachteten „Neuzugang“ gewann der FCK 1939 mit sechs Punkten Vorsprung vor der SG Neustadt die Meisterschaft im Bezirk Mittelpfalz. In 24 Spielen erzielte die Mannschaft 113 Tore, Debütant Fritz Walter steuerte alleine 59 Treffer zur Meisterschaft bei. Im Mai/Juni setzte sich der FCK auch in der Aufstiegsrunde gegen den VfR Frankenthal und die TSG Burbach durch und kehrte damit zur Saison 1939/40 in die Gauliga Südwest zurück. Bereits in seinem ersten Seniorenjahr wurde er vom Gaufußball-Lehrer Südwest, Ex-Nationalspieler Karl Hohmann, zu Lehrgängen und Auswahlspielen berufen; darunter Spiele der Südwestauswahl im November 1938 gegen Baden, im Februar 1939 gegen Lothringen und am 26. März 1939 gegen Italien B. Durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs begann im Südwesten die zweistaffelige Gaumeisterschaft in der Staffel Saar-Pfalz erst am 26. November 1939. Neben Jungstar Fritz Walter und Altnationalspieler und Senior Heinrich Hergert verdienten sich auch weitere Nachwuchshoffnungen wie Werner Baßler, Heinz Folz, Edwin Bretz und Paul Baum die ersten Sporen. Dank 25 Toren – eine andere Quelle spricht von 30 – von Fritz Walter gelang dem Aufsteiger 1940 der Staffelsieg; in den beiden Spielen um die Bereichsmeisterschaft setzte sich aber der Meister der Staffel Mainhessen, Kickers Offenbach (1:1, 6:3), durch. Die Saison 1939/40 endete mit der Finalphase um die deutsche Fußballmeisterschaft 1940 und einem Länderspiel am 14. Juli 1940 in Frankfurt gegen Rumänien. Da die Halbfinalspiele zwischen FC Schalke 04 und SV Waldhof sowie Rapid Wien und dem Dresdner SC um die Deutsche Fußballmeisterschaft 1940 wie das Länderspiel am 14. Juli 1940 ausgetragen wurden, debütierten beim Länderspiel gegen Rumänien neben dem Lauterer Großtalent auch Torhüter Alexander Martinek (Wacker Wien), Mittelläufer Kurt Krüger (Fortuna Düsseldorf) und Rechtsaußen Ernst Plener von VR Gleiwitz im Team von Reichstrainer Sepp Herberger. Herberger setzte auf die Angriffsformation mit Plener, Wilhelm Hahnemann, Fritz Walter, Hans Fiederer und Willi Arlt und erlebte einen fulminant herausgespielten 9:3-Erfolg, mit dem dem Lauterer Debütanten nicht nur wegen seiner drei Tore ein ausgezeichneter Einstand gelang. Bei Leinemann sind im Zusammenhang mit dem Nationalmannschaftsdebüt von Fritz Walter zwei Herberger-Aussagen notiert: „Ich freue mich, Fritz, Sie haben mich nicht enttäuscht. Sie dürfen wiederkommen.“ Das war der angemessene Einstand eines Nationalspielers, von dem Herberger zwanzig Jahre später sagte: „Fritz wurde nicht entdeckt. Sein einmaliges Talent bot sich an, drängte sich auf, setzte sich durch. Von diesem Zeitpunkt an bis zum heutigen Tag war Fritz aus unserer Nationalmannschaft für mich nicht wegzudenken. Fritz ist für mich der größte Fußballer, den der deutsche Fußball je hervorgebracht hat.“ Walters Premiere in der Reichsauswahl war aber bereits am Samstag, dem 15. Juli 1939, als die Nationalmannschaft im Schweinfurter Willy-Sachs-Stadion bei einem Gausportfest über die Bayern-Elf 6:5 siegte. Dabei traf das Lauterer Talent erstmals auf August Klingler, ein weiteres außergewöhnliches Offensivtalent, mit dem er sich nicht nur auf dem Spielfeld prächtig verstand. Fritz und „Guscht“ wurden Freunde. Sein zweiter Reichself-Einsatz fiel auf den 3. September 1939; Gegner war in Chemnitz der Sportgau Sachsen. In diesem Zeitraum hatte er sich in der Gauauswahl Südwest unter Trainer Hohmann in den Spielen um den Reichsbundpokal 1939/40 gegen den Mittelrhein (2:1), Hessen (3:0, zweifacher Torschütze) und am 14. Januar 1940 bei der 1:2-Niederlage gegen den späteren Pokalsieger Bayern mit seinem Eifer und Können ausgezeichnet und in Hohmann einen fachlich kompetenten und begeisterten Förderer gefunden. Fußball im Zweiten Weltkrieg, 1940 bis 1945. Fritz Walter wurde am 5. Dezember 1940 in die 23er – bzw. Daenner- – Kaserne in Kaiserslautern zur Wehrmacht eingezogen. Die Standorte des Infanterie-Ersatzbataillons waren vom 5. Dezember 1940 an Kaiserslautern, vom 13. Juli 1941 an das ostfranzösische Conflans, vom 1. September 1942 an Commercy, vom 1. Oktober 1942 an wieder Conflans und vom 5. Dezember 1942 bis September 1944 Diedenhofen. Am 1. Dezember 1943 wurde er, zur 2. Kompanie Festungs-Bataillon 902 mit Einsatzraum Italien (Sardinien, Korsika, Elba) gehörend, zum Luftwaffenjagdgeschwader 11 nach Jever versetzt. Nach seiner Einberufung zur Wehrmacht führte Walter ein abenteuerliches Leben als Fußballer und spielte in elf verschiedenen Formationen: als „Urlauber“ im 1. FCK, als „Gastspieler“ in der TSG Diedenhofen und in der TSG Saargemünd, als „Repräsentativer“ in der Gauauswahl Westmark, als „Internationaler“ in der Reichself, als Soldat in der Kickerkompanie des Wachbataillons Großdeutschland, als „Schauspieler“ im „FC Nord“ im Kinofilm "Das große Spiel", in den Standortmannschaften von Kaiserslautern und Diedenhofen, in der Pariser Soldatenelf und in der Luftwaffenelf Rote Jäger. Der fußballbegeisterte Jagdflieger Hermann Graf befehligte ein Geschwader und besorgte sich nach und nach leistungsstarke Fußballer. Die „Roten Jäger“ wurden zu einer der besten deutschen Militärmannschaften im Zweiten Weltkrieg. Der 1. FCK belegte mit Walter 1940/41 hinter dem FV Saarbrücken im Gau Westmark den 2. Rang; in 13 Spielen erzielte er 16 Tore. Zum Meisterschaftsgewinn 1941/42 steuerte der Nationalspieler in 14 Ligaspielen 43 Tore bei. Jetzt gehörten neben Walter schon mit Werner Kohlmeyer, Ernst Liebrich, Baßler, Bruder Ottmar und Heinz Jergens die Hälfte der Spieler dem FCK-Team an, das nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Oberliga Südwest eine Erfolgsära begann. In den massiv durch die Kriegsumstände negativ beeinflussten Runden 1942/43 und 1943/44 kam Fritz Walter nur noch sporadisch für seinen FCK zum Einsatz; erfreulich war aber das Debüt des späteren „Weltstoppers“ Werner Liebrich in der letzten ausgetragenen Runde im Gau Westmark 1943/44. Walter feuerte nach eigener Aussage bis zu seiner Gefangennahme keinen einzigen Schuss ab. Er wurde am 8. Mai 1945 in Böhmen von US-Truppen aufgegriffen und zusammen mit vielen anderen an die Rote Armee ausgeliefert. Er war in einem Lager bei Máramarossziget (Rumänien) nahe der Grenze zur Ukraine in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Geschwächt von einem Malaria-Anfall spielte er mit ungarischen und slowakischen Wachsoldaten Fußball. Sie erkannten den deutschen Nationalspieler und stellten ihn dem sowjetischen Lagerkommandanten Schukow vor. Offenbar bewahrte Schukow Walter und dessen jüngeren Bruder Ludwig vor dem sibirischen Gulag; bereits am 28. Oktober 1945 kehrten die Brüder nach Kaiserslautern zurück. Walter bezeichnete später nicht das WM-Finale 1954 als das (Fußball-)„Spiel seines Lebens“, sondern das Fußballspiel mit den Wachsoldaten. Oberliga Südwest, 1945 bis 1959. Fußball in der französischen Zone, 1945 bis 1950. Die Vereine im Norden der französischen Besatzungszone nahmen am 6. Januar 1946 mit zehn Mannschaften den Spielbetrieb in der damals „1. Liga Südwestdeutschland Nord“ genannten Liga auf, welche die Grundlage der späteren Oberliga Südwest bildete. Die Hälfte der zehn neuen Oberligisten kam aus der ehemaligen Gauliga Westmark: 1. FC Kaiserslautern, 1. FC Saarbrücken, Phönix Ludwigshafen, Borussia Neunkirchen und VfR Frankenthal. Vervollständigt wurde die „Zonenliga Nord“ von Wormatia Worms, FK Pirmasens, FSV Mainz 05, 1. FC Idar und Hassia Bingen. Fritz Walter kehrte am 28. Oktober 1945, drei Tage vor seinem 25. Geburtstag, aus der Kriegsgefangenschaft mit Bruder Ludwig in die Heimatstadt zurück. Ihre Heimat war nicht mehr die Heimat, die sie verlassen hatten. Die Stadt war zerstört, die Seelen beschädigt. „Chaos, Elend, Trümmer, Hunger.“ So fasste Fritz seine Eindrücke zusammen. Immerhin, sein Elternhaus stand noch. Und Vater und Mutter lebten. Auch die Schwestern. Nur Bruder Ottmar war noch in englischer Gefangenschaft. Unmittelbar nach seiner Ankunft wurde er zum Katalysator des Wiederaufbaus des 1. FCK. Vom neuen Führungszirkel um den provisorischen Vorsitzenden Paul Karch in die Pflicht genommen, stimmte er zu: „Fußball und nichts anderes“, zitiert der Journalist Rudi Michel den Entschluss seines Freundes. Er übte fortan bei seinem Verein in Personalunion die Tätigkeiten des Geschäftsführers, Spielertrainers und Spielführers aus. Den Betzenberg besaß aber noch die französische Besatzungsmacht; erst als sich Walter bereit erklärte, die französische Soldatenmannschaft zu trainieren, überließ die Militärregierung den Platz wieder dem 1. FCK. Der Nationalspieler hatte bereits eine Gruppe von Spielern auf dem benachbarten Erbsenberg um sich versammelt und das Training wieder aufgenommen. Zu den Männern der ersten Stunde gehörten die Brüder Ernst und Werner Liebrich, Torjäger Werner Baßler und Verteidiger Werner Kohlmeyer. Da die Auftaktpartie des FCK in Bingen verschoben wurde, hieß der erste Gegner im Heimspiel am 13. Januar 1946 SV Phönix Ludwigshafen. Der 10:0-Auftaktsieg war ein erstes Indiz für die Spielfreude und Treffsicherheit, die den Stil der „Walter-Elf“ in den kommenden Jahren prägte. Am Ende reichte es mit einem Punkt Rückstand zum 1. FC Saarbrücken mit 95 erzielten Treffern lediglich zur Vizemeisterschaft. Größtes Problem bis zur Währungsreform im Jahr 1948 war die außerordentlich schlechte Ernährungs- und Versorgungslage der Bevölkerung und somit auch der Fußballspieler. Um Kartoffeln, („Grumbeere“), Brot, Kohlen und Tabak, den man, soweit man nicht selbst Raucher war, bestens „verfuggern“ – also eintauschen – konnte, drehten sich alle täglichen Gespräche. Da sich mit knurrendem Magen kaum sportliche Höchstleistungen erreichen ließen, setzten Verein und Mannschaft ihren sportlichen Bekanntheitsgrad für die Verbesserung der persönlichen Ernährungssituation ein: Man schloss mit Landvereinen sogenannte Grumbeer-, Fressalien- oder Kalorienspiele ab, wobei die Spielgage für den wesentlich höherklassigen FCK aus begehrten Naturalien wie Nahrungsmitteln oder Kohlen bestand. Vor Ort gehörten oftmals fußballbegeisterte Land- oder Gastwirte zu den Initiatoren dieser Spiele. Das Auftreten der damaligen FCK-Mannschaft sorgte dafür, dass sich in diesen Gemeinden eine überaus treue Anhängerschaft des FCK entwickelte. Bis die zweite Saison 1946/47 starten konnte, mussten die Vereine einige von der Sportadministration ausgelöste Irrungen und Wirrungen überstehen. Erfreulich und sportlich wertvoll war die Rückkehr von Ottmar Walter, der nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft erstmals am 20. Oktober 1946 bei einem Freundschaftsspiel gegen den Wiesenthalerhof wieder für den FCK auf dem Platz stand. Mit seinem großen Bruder und Werner Baßler bildete Ottmar den Innensturm, der in den folgenden Jahren zum Albtraum vieler Abwehrreihen wurde. Ein hart erkämpftes 2:0 am 30. März 1947 in Worms war der entscheidende Schritt zur ersten regionalen Meisterschaft nach dem Krieg, da Saarbrücken und Mainz jeweils patzten. Mit 23:5 Punkten und 75:15 Toren gewann Spielertrainer Fritz Walter mit seinem Verein die Meisterschaft in der 1. Liga Südwestdeutschland Nord. Der Lauterer Dirigent erzielte 22 Tore, wurde aber von Bruder Ottmar mit einem Treffer überboten. Die beiden Spiele um die französische Zonenmeisterschaft im Juni 1947 gegen den VfL 1900 Konstanz waren reine Formsache: Das Hinspiel auf dem Betzenberg gewann der FCK mit 8:1, am Bodensee setzte sich das Team von Spielertrainer Walter mit 8:4 durch. In der dritten Saison nach dem Neubeginn, 1947/48, verließ der 1. FCK die Nische der französischen Zone und machte den Schritt von der lokalen Größe zu einer überregional anerkannten Spitzenelf. Mit 48:4-Punkten und 151:18-Toren in 26 Ligaspielen gewann das Team um Fritz Walter mit fünf Punkten Vorsprung vor dem 1. FC Saarbrücken im Südwesten die Meisterschaft. Das Innentrio im WM-System, – Fritz, Bruder Ottmar und Baßler – erzielte dabei allein 108 Tore. Lediglich eine Niederlage hatte der Meister zu verzeichnen: Ausgerechnet beim Liganeuling VfL Neustadt verlor er am 14. März 1948 das Auswärtsspiel mit 0:2-Toren. Gravierend griff die Politik im Mai 1948 in den Sport ein: Der französische Fußballverband koppelte unter Jules Rimet die saarländischen Vereine vom deutschen Fußball ab, sie durften lediglich noch die Runde beenden. Der FCK schickte am 13. Juni, seinem letzten Saisonspiel, die Gäste vom FSV Mainz 05 mit einem Kantersieg von 13:2 nach Hause. Die zwei folgenden Begegnungen um die französische Zonenmeisterschaft gegen den SV 04 Rastatt waren nicht mehr als eine Pflichtaufgabe, die mit 3:0 und 6:1 leicht erledigt wurde. Am 18. Juli startete der 1. FCK in Worms gegen den Südvizemeister TSV 1860 München mit einem 5:1 in die erste Endrunde um die deutsche Fußballmeisterschaft nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Eine Woche später setzte sich Lautern mit dem gleichen Ergebnis vor 50.000-Zuschauern in Wuppertal gegen die SpVgg Neuendorf durch und zog damit in das Finale am 8. August 1948 in Köln gegen den 1. FC Nürnberg ein. Unter Spielertrainer Fritz Walter hatte Kaiserslautern den Schritt in die Spitze des deutschen Vereinsfußballs vollzogen. Vor 75.000-Zuschauern setzte sich im Müngersdorfer Stadion der „Club“ mit 2:1 durch und Lautern kehrte als deutscher Vizemeister in die Barbarossastadt im Pfälzer Wald zurück. In die Runde 1948/49 ging der deutsche Vizemeister aus Kaiserslautern mit 12 Konkurrenten aus dem Südwesten. Den vier Saarlandvertretern 1. FC und SV Saarbrücken, Neunkirchen und Völklingen war durch politische Umstände das Weiterspielen in der Südwestliga nicht mehr möglich. Dem FCK gelang mit 43:5-Punkten und 142:22 Toren der Meisterschafts-Hattrick. In die Runde startete er am 18. September 1948 mit einem 7:1-Erfolg bei der SpVgg Andernach. Bedeutsamer für Spielertrainer Fritz Walter war wohl seine Heirat am 2. September mit Frau Italia Bortoluzzi, der Dolmetscherin der französischen Militärregierung, mit der er dann 53 Jahre glücklich verheiratet war. Am Rundenende hatte der Titelverteidiger 43:5 Punkte und ein Torverhältnis von 142:22 vorzuweisen. Spielertrainer Walter erzielte in 22 Ligaspielen 30 Tore und Werner Baßler kam gar auf 54 Treffer. Die zwei obligatorischen Endspiele um die französische Zonenmeisterschaft gewann die Walter-Elf im Mai 1949 mit 4:0 und 6:3 gegen Fortuna Freiburg. In der Endrunde um die deutsche Fußballmeisterschaft musste der Finalist des Vorjahres bereits in der Vorrunde am 12. Juni in Bremen beim Spiel gegen den Nordvizemeister FC St. Pauli an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit gehen: Das Spiel endete nach Verlängerung 1:1. Die „Altmeister“ aus dem Norden mit Könnern wie Ludwig Alm, Karl Miller, Hans Appel, Walter Dzur, Harald Stender, Fritz Machate und Alfred Boller machte es dem Südwestmeister sehr schwer. Im Wiederholungsspiel setzte sich der FCK acht Tage später in Düsseldorf mit 4:1 durch und zog in die Zwischenrunde ein. Dort ging es am 26. Juni in München vor 60.000 Zuschauern im Stadion an der Grünwalder Straße gegen den westdeutschen Meister Borussia Dortmund. Die zwei Spitzenmannschaften trennten sich in einer kräftezehrenden Partie 0:0 nach Verlängerung. Acht Tage später, am 3. Juli verlor die entkräftete Walter-Elf in Köln das Wiederholungsspiel mit 1:4. Erich Schanko hing in beiden Spielen wie eine Klette am Spielmacher der Lauterer und seine Zerstörerqualität war mitentscheidend für den Erfolg der Dortmunder. Mit dem 3. Platz durch einen 2:1-Erfolg nach Verlängerung gegen Südmeister Kickers Offenbach wurde die Runde 1948/49 beendet und Spielertrainer Walter übergab zur nächsten Saison das Traineramt an Kuno Krügel. Im „Nebenjob“ hatte der FCK-Spielertrainer den Lokalrivalen VfR Kaiserslautern als Trainer während dieser Runde in die Oberliga Südwest geführt. Der vierte Meisterschaftsgewinn in Serie im Südwesten fiel 1949/50 deutlich knapper aus als gewohnt; mit drei Punkten Vorsprung gegenüber Wormatia Worms – die Wormatia holte 3:1-Punkte in den zwei Spielen gegen den FCK – erreichten die „Roten Teufel“ erstmals mit Nur-Spieler Fritz Walter und Trainer Krügel mit 54:6-Punkten und 157:24-Toren den erneuten Meisterschaftserfolg. Das Innentrio mit Fritz (32), Ottmar (42) und Baßler (47) erzielte den Großteil der Treffer. Der finanzielle Aspekt gewann zunehmend an Bedeutung. Die Rundeneinnahmen reichten in Kaiserslautern nicht aus, mit 2.000 bis 3.000 Zuschauer bei der Mehrzahl der Heimspiele und nur vollbesetzten Rängen, wenn Worms und Neuendorf auf den Betzenberg kamen, musste der FCK, welcher regelmäßig bei Auswärtsspielen die gegnerischen Stadien füllte, für zusätzliche Einnahmen durch Freundschaftsspiele sorgen. Der Südwestmeister versuchte seinen guten Namen – insbesondere in der Person von Fritz Walter – bestmöglich zu vermarkten und nutzte jedes freie Wochenende, um oft sogar zwei Partien zu bestreiten. Einerseits waren diese Spiele für die anhaltende Popularität und die Finanzen des Vereins ein wichtiger Faktor, andererseits war das Mammutprogramm für jeden einzelnen Spieler eine Belastungsprobe. Im Laufe der Saison kehrte der schon zur Gaumeisterelf 1942 gehörende Heinz Jergens aus der Gefangenschaft zurück und auch der junge Horst Eckel verzeichnete seine ersten zwei Spiele. Fritz Walter, auch ohne die Funktion des Spielertrainers, war weiterhin Herz und Hirn und der spielerische Fixpunkt der Mannschaft, absolvierte in der Liga 26 Rundenspiele und erzielte 32 Tore. Die Hürde des Finals um die französische Zonenmeisterschaft war im letzten Jahr kein Freundschaftsspiel mehr, gegen den SSV Reutlingen setzte sich der FCK am 7. Mai 1950 erst in der Verlängerung mit 6:1 durch. In der Endrunde um die deutsche Fußballmeisterschaft reichten zwei Treffer von Fritz Walter am 21. Mai 1950 in Karlsruhe gegen das Melches-Team von Rot-Weiss Essen zu einem 2:2 nach Verlängerung. Auch das Wiederholungsspiel am 29. Mai in Köln war strapaziös und kräftezehrend. Nach 90 Minuten endete das Spiel gegen die Mannen um Heinz Wewers, August Gottschalk und Bernhard Termath mit 2:2 und erst ein Treffer von Ottmar Walter brachte in der Verlängerung den Einzug in die Zwischenrunde. Dort setzte sich der spätere Deutsche Meister, das Team von Trainer Georg Wurzer und Vizemeister der Oberliga Süd, der VfB Stuttgart, in Nürnberg sicher mit 5:2 durch und beendete damit frühzeitig die Endrunde für die Walter-Elf. Mit einem klaren 5:0-Erfolg in Ludwigshafen vor 60.000 Zuschauern war die Vertretung aus der Pfalz am 22. Januar 1950 gegen die Auswahl von Hamburg im Länderpokal 1949/50 in das Finale eingezogen. Der Lauterer Spielmacher hatte zwei Tore erzielt. Im Endspiel am 19. März 1950 konnte Fritz Walter aber verletzungsbedingt nicht antreten. Durch Ausschnitte aus der Laudatio von Rudi Michel am 25. November 1985 aus Anlass zur Verleihung der Ehrenbürgerschaft von Kaiserslautern wird die Bedeutung des Wirkens von Fritz Walter auch neben dem Platz für die Stadt und Region ersichtlich: „[...] Fritz Walter hat in der entbehrungsreichen Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg mit seiner Mannschaft den Leuten wenigstens Spiele zelebriert. Nur wer diesen Abschnitt mitgemacht hat, wer diese Zeit erlebte, kann ermessen, was die Sonntage den Menschen in Kaiserslautern bedeuteten: Ablenkung von Not und Trauer, von Hunger und Elend. Einzige Abwechslung im tristen Alltag ohne Hoffnung und ohne Perspektive, Ablenkung durch eine Fußballmannschaft. Da war einer, der mit zehn oder zwölf anderen, 90 Minuten lang Zehntausenden sonntags Kino, Kaffeehaus und Konzertsaal ersetzte, ob sie vom Spiel etwas verstanden oder nicht. Sie rannten aus der zerstörten Stadt ins Stadion Betzenberg. [...] Der Fritz spielt auf, das mußt du gesehen haben - das einzige Thema abseits von allen Sorgen um die Existenz. Das war Kunst, denn ein Teilaspekt der Kunst besteht darin, den Menschen mehr zu geben als sie selbst vermögen - auf welchen Gebiet auch immer. Zu jener Zeit war Fußball die Kunst der Ablenkung. [...] Und der Star dieser Ära war einer von ihnen, Sohn dieser Stadt, einer wie du und ich, einer, der keine Allüren kannte.“ Einteilige Oberliga Südwest, 1950 bis 1959. Im Vorfeld der Saison 1950/51 gründete der Südwesten einen selbständigen Regionalverband mit eigener Oberliga, die der Nordgruppe der vorherigen Französischen Zone entsprach, während sich die Südgruppe dem Süddeutschen Verband anschloss. Die neue Oberliga Südwest, wie sie nun auch offiziell hieß, bestand aus 14 Mannschaften und der FCK startete am zweiten Spieltag, dem 3. September 1950, mit einem knappen 2:1-Auswärtserfolg gegen TuRa Ludwigshafen in die Saison. Es hatte einige personelle Veränderungen auf dem Betzenberg gegeben: Der 31-jährige Richard Schneider, er spielte bereits mit Fritz Walter in der Jugend zusammen, übernahm das Traineramt von Krügel und mit Grewenig, Gawliczek und Hölz mussten drei Abgänge aus dem Spielerkader ersetzt werden. Mit den Neuzugängen Karl Wanger, Karl-Heinz Wettig und Wilfried Pilkahn versuchte der Verein den sportlichen Verlust auszugleichen, was im Rundenverlauf glückte, da auch noch mit Helmut Rasch ein weiterer verwendbarer Spieler hinzukam und Spätheimkehrer Jergens in die Mannschaft drängte, wo auch das Jungtalent Horst Eckel seinen Platz fand. Mit 46:6 Punkten und 95:16 Toren gewann das Betzenberg-Team mit sieben Punkten Vorsprung gegenüber Worms die Meisterschaft. Wegen Verletzungen und Krankheiten war Fritz Walter nur in 19 der 26 Ligaspiele aufgelaufen und hatte lediglich fünf Tore erzielt. In der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft war er dagegen in allen sechs Gruppenspielen und im Finale für seinen Verein erfolgreich im Einsatz. In der zweiten Halbzeit entschieden die Gebrüder Walter in zwei Koproduktionen das Endspiel am 30. Juni 1951 in Berlin vor 85.000 Zuschauern im Olympiastadion gegen Preußen Münster. Zuerst verwandelte Ottmar eine Vorlage von Fritz in der 61. Minute zum 1:1-Ausgleich, ehe er in der 74. Minute eine Ecke von Fritz mit dem Kopf zum 2:1-Sieg vollstreckte. Endlich konnte der 1. FCK die Meisterschale in die Pfalz holen. Der Finalerfolg war der Lohn für die jahrelange sportliche Konstanz und Beharrlichkeit der Männer um Fritz Walter. Bei "Grüne" ist notiert: „Die von Fritz Walter angeführten Roten Teufel setzten sich in 90 Minuten glücklich, aber nicht unverdient mit 2:1 gegen Münsters 'Hunderttausendmarksturm' durch und holten die Meisterschaft erstmals in die Pfalz.“ Der Gewinn der Deutschen Meisterschaft musste Walter darüber hinweg trösten, dass er durch eine Verletzung aus dem Repräsentativspiel am 11. November 1950 in Ludwigshafen beim Spiel Südwesten gegen Süddeutschland (2:2) nicht am ersten Länderspiel nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs am 22. November 1950 in Stuttgart teilnehmen konnte. Seinen 25. Länderspieleinsatz hatte er erst im Rückspiel am 15. April 1951 in Zürich gegen die Schweiz (3:2). Ab der Saison 1951/52 konnten auch die zwei saarländischen Vertreter 1. FC Saarbrücken und Borussia Neunkirchen wieder am südwestdeutschen Ligabetrieb teilnehmen und die Mannschaft aus der Saarhauptstadt spielte sogleich eine großartige Runde: Der 1. FC Saarbrücken entthronte den vormaligen Seriensieger und amtierenden Deutschen Meister 1. FC Kaiserslautern, wurde Meister in der Oberliga Südwest und zog auch in das Finale um die deutsche Fußballmeisterschaft ein. Der FCK landete auf dem 3. Rang; mit 18 Toren führte Fritz Walter die interne Torschützenliste an, knapp vor den beiden Mitstreitern Karl Wanger und Bruder „Ottes“ mit jeweils 17 Treffern. Der Abgang des Torschützen Baßler zum VfR Mannheim und die Rückkehr von Torhüter Adam nach Neuendorf hatten sich bemerkbar gemacht, da zudem noch Ottmar Walter sich eine schwere Knieverletzung zuzog und in nur 19 Spielen antreten konnte. Auch Horst Eckel stand wegen eines Jochbeinbruchs nicht durchgehend zur Verfügung. Personell konnten die Lauterer Hoffnung auf die Zukunft schöpfen, da die Leistungen der Neuzugänge Otto Render und Erwin Scheffler und auch das erstmalige Anzeigen des Könnens des Nachwuchsmannes Willi Wenzel zu Optimus Anlass gaben. Tatsächlich holte sich der 1. FCK mit einem überragenden Fritz Walter – der Dirigent und spielerische Ausgangspunkt der Mannschaft hatte alle 30 Ligaspiele bestritten und 38 Tore erzielt – vor den punktgleichen Teams TuS Neuendorf und 1. FC Saarbrücken 1952/53 erneut die Meisterschaft im Südwesten. Sensationell war dabei der 9:0-Kantersieg am 25. Januar 1953 gegen den Vorjahresmeister 1. FC Saarbrücken. In der Gruppenphase der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft setzte sich der Südwestmeister überlegen gegen Eintracht Frankfurt, 1. FC Köln und Holstein Kiel durch und zog in das Endspiel am 21. Juni 1953 in Berlin gegen den Titelverteidiger VfB Stuttgart ein. Überschattet wurde das Finale durch den Volksaufstand in der DDR vier Tage zuvor, trotzdem verfolgten 80.000 Fans das Endspiel. "Grüne" notierte: „Weil Kaiserslautern seine überragende Saisonform bis ins Finale gerettet hatte, geriet der 4:1-Sieg der Roten Teufel niemals in Gefahr.“ „Stuttgart hat verloren, weil es keinen Fritz Walter hat“, brachte der auf der Tribüne sitzende Schalker Coach Fritz Szepan die Ereignisse exakt auf den Punkt. Die Mannschaft der Saison war zweifelsohne der 1. FC Kaiserslautern. Das Kollektiv um Übervater Fritz Walter, der Spielmacher, Torjäger, Trainer und „Seelsorger“ der Roten Teufel zugleich war, stand auf dem Zenit seines Könnens. Lauterns Geheimnis war der Teamgeist. In allerbester Sepp-Herberger-Manier spielten die Roten Teufel unter dem Motto „Elf Freunde sollt ihr sein“ und strahlten eine entsprechende Aura aus. Von 1954 bis 1957 sammelte Fritz Walter mit seinem FCK noch weitere vier Südwestmeisterschaften ein, kam 1954 und 1955 noch zweimal in das Endspiel um die Deutsche Fußballmeisterschaft, beide Finals wurden aber verloren. 1957 war nach der Gruppenphase Schluss für den 36-jährigen Spielmacher. In seinen letzten zwei Runden in der Oberliga Südwest, 1957/58 und 1958/59, konnte er sich mit dem FCK nicht mehr für die Endrunden qualifizieren. Im letzten Jahr betrug der Abstand zu Meister FK Pirmasens beachtliche acht Punkte. Auch ein Ausnahmespieler wie Fritz Walter, ein Mann, der für den Fußball lebte, der Disziplin im Essen und Trinken über Jahrzehnte einhielt und eine vorbildliche Trainingsmoral an den Tag legte, konnte den Kampf gegen das leistungsmindernde Altern nicht gewinnen. Am 21. Juni bestritt der größte Fußballer von Kaiserslautern und Südwestdeutschland, der prägendste Spieler der Oberligaära nach dem Zweiten Weltkrieg, sicherlich auch einer der besten Fußballer, den es je in Deutschland gab, sein Abschiedsspiel. Nochmals führte er seinen FCK vor 20.000-Zuschauern zu einem 4:2-Erfolg gegen die Gäste von Racing Paris. Laut "Bold" sagte er zum Abschied: „Meine aktive Tätigkeit im 1. FC Kaiserslautern muss ich jetzt beenden, weil man mit 38 Jahren einfach nicht mehr Sonntag für Sonntag Höchstleistungen vollbringen kann, die das Publikum in Erinnerung an frühere Zeiten vielleicht von mir erwarten könnte. Außerdem ist es Zeit, auch im Verein der Jugend Platz zu machen.“ Walter galt in den fünfziger Jahren als der beste Fußballer Deutschlands und erhielt Angebote von großen europäischen Spitzenvereinen. 1951 bot Atlético Madrid für einen Zweijahresvertrag 225.000 DM Handgeld, dazu Gehalt, Prämien, Auto, mietfreies Wohnen – damals enorme Summen und Privilegien. „Dehäm is dehäm“ sagte er lapidar zu seiner Entscheidung, in der Pfalz zu bleiben. Auch Angebote von Inter Mailand, dem FC Nancy und Racing Paris lehnte der bodenständige Walter ab. Hierzu schrieb er später einmal in einer Kolumne: „‚Schätzche, was mache mer?‘ hab ich meine Frau Italia gefragt. ‚Brauchst du mich doch gar nicht erst zu fragen‘ hat sie mir geantwortet, ‚da oben dein Betzenberg, der Chef, dein FCK, die Nationalmannschaft ……‘“. Herberger hatte zur Unterstützung den adidas-Gründer Adi Dassler davon überzeugt, Fritz eine repräsentative Funktion im Unternehmen anzubieten. Tatsächlich wäre aber ein Auslandsengagement in diesen Jahren auch gleichbedeutend mit dem Ende der Nationalmannschaftskarriere einher gegangen. In der Nationalmannschaft spielte in diesen Jahren noch kein „Legionär“, auch kein Bert Trautmann, und erst zur Weltmeisterschaft 1962 in Chile wurde mit Horst Szymaniak der erste Auslandsprofi berücksichtigt. Fritz Walter war der "Spiritus rector", der Herz und Seele im Team der Pfälzer verkörperte, als eleganter Ballvirtuose im Spielaufbau ebenso zu glänzen wusste wie als eiskalter Vollstrecker und sich letztlich auch nicht zu schade war, in der Defensive die Drecksarbeit zu erledigen – ein fußballerisches Universalgenie. In einem Freundschaftsspiel des FCK erzielte er 1956 sein legendäres Hackentor von Leipzig im Spiel gegen den SC Wismut Karl-Marx-Stadt. Es wurde als eines der besten Tore aller Zeiten bezeichnet: Walter hatte sich nach vorne fallen lassen und den Ball dann mit der rechten Hacke über den eigenen Kopf ins rechte Eck geschossen. Der DDR-Sportreporter Wolfgang Hempel bezeichnete es als „Tor des Jahrhunderts“. Nationalspieler, 1940 bis 1958. Während des Zweiten Weltkriegs, 1940 bis 1942. Im berühmten Notizbuch von Reichstrainer Sepp Herberger stand der Name Fritz Walter schon seit 1938. Der Ex-Nationalspieler und damalige Trainer im Gau Südwest, Karl Hohmann, hatte Herberger auf das Talent aufmerksam gemacht, nachdem er den Lauterer in einem Lehrgang in allen nur denkbaren Situationen überprüft und getestet hatte. Als der nächste Gautrainingskurs bevorstand, benachrichtigte Hohmann seinen Freund und Chef Herberger. Der wollte Walter vorher nicht anschauen, sondern das Talent sollte im Spiel auf sich aufmerksam machen – Herberger war hingerissen. Keine Frage, dass der Reichstrainer durch den Ernst und die Leidenschaft, mit der Fritz Walter trainierte, an seine eigene Jugend in Mannheim erinnert wurde. Am 14. Juli 1940 bestritt der 19-jährige Walter sein erstes Länderspiel und erzielte beim 9:3-Erfolg über Rumänien gleich drei Tore. Einige Wochen später folgte ein 13:0 gegen Finnland, wobei er sich mit zwei Toren beweisen konnte. Immer pflegte Herberger zu sagen, dass sich erst nach etwa zehn oder zwölf Spielen herausstellt, ob jemand für die Nationalmannschaft wirklich taugt oder nicht. Bei Fritz Walter hatte er schon nach dem zweiten Spiel keine Zweifel mehr. Helmut Schön, der spätere Herberger-Nachfolger, war Nebenspieler des Debütanten aus der Pfalz und schildert seine ersten Eindrücke: „Ich sehe ihn noch vor mir, wie wir uns das erstemal begegneten. Es war im Sommer 1940, vor Fritz Walters erstem Länderspiel gegen Rumänien. Er war außerordentlich schüchtern, sehr bescheiden; ein mittelgroßer, hagerer Junge mit spitzem Gesicht, ein 'Bürschel', wie Otto Nerz gesagt hätte. Er sprach ein liebenswürdiges Pfälzisch. Aber sowie er den Ball hatte, sah man: pures Talent. In der Reife wurde daraus Genie.“ Mehr als seine Torjägerqualitäten bewunderten die Fachleute jedoch sein spielerisches und taktisches Vermögen, mit dem er die Angriffe seiner Mannschaft lenkte. Durch ständige Positionswechsel – auch in die Abwehr – verkörperte er einen völlig neuen Typ Stürmer und wurde als kommender Superstar gefeiert. Herberger managte seinen Schützling wie ein Proficoach. Gegen den eigenen Verein und gegen die Reichssportbehörde, gegen militärische Vorgesetzte wie gegen die Presse konnte der sensible Ballzauberer auf den langen Arm und die starken Worte seines Mentors rechnen. Herberger trickste, warb und konspirierte, um im bedrohlicher werdenden Kriegsgetümmel eine Art Schutzraum zur Bewahrung und Pflege des Fußballgenies zu gewährleisten. Seine besondere Fürsorge und Zuneigung galt Fritz Walter, seinem „Liebling“, wie er ihn selbst nannte. Für niemanden tat er soviel wie für ihn. Niemanden gegenüber öffnete er sich so vertrauensvoll. Keinem zeigte er so unverhüllt seine Zuneigung. Umgekehrt war aber auch die Kontrolle total: Herberger überwachte seine Schützlinge so zuverlässig wie ein Radarsystem. Er empfing Signale, sah Störungen, ahnte Zusammenstöße, hielt Gefahren fern. Was gut war für den Fritz, bestimmte er allein. In den Kriegsjahren 1940 bis 1942 bestritt der Lauterer 24 Länderspiele und erzielte 20 Tore. Herausragend waren die zwei Länderspiele gegen Ungarn am 6. April 1941 in Köln beziehungsweise am 3. Mai 1942 in Budapest. In Köln glückte ein 7:0 Erfolg nach einem hervorragenden Spiel insbesondere des Innensturms mit Hahnemann, Walter und Schön. Dazu notierte Mitspieler und zweifacher Torschütze Helmut Schön in seinen Erinnerungen: „Nach allem, was ich als Spieler miterlebt und später als Trainer gesehen habe, läßt sich dieses Spiel wohl nur mit unserem 3:1 gegen England im Wembley-Stadion vergleichen, als Günter Netzer seinen größten Tag hatte.“ In Budapest drehte die DFB-Elf einen ungarischen 3:1-Halbzeitvorsprung noch zu einem 5:3-Erfolg um, der erste Sieg in der langen Geschichte des deutsch-ungarischen Fußballs auf Budapester Boden. Hierbei spielte Walter auf Halblinks an der Seite von Karl Decker und Edmund Conen und erzielte zwei Tore. Gabriel Hanot, einer der wohl bedeutendsten internationalen Experten, hatte nach dem mit 5:3 gewonnenen Länderspiel am 18. Oktober 1942 in Bern gegen die Schweiz die erste große internationale Lobeshymne auf Fritz Walter gesungen. Sie hängt eingerahmt im Weißen Haus zu Alsenborn. Trotz Krieg, dessen Ende nicht absehbar war, prophezeite ihm der Kosmopolit Hanot eine große Karriere. Mit dem 5:2-Erfolg am 22. November 1942 in Preßburg gegen die Slowakei endete die Geschichte der Nationalmannschaft während des Zweiten Weltkriegs. Der weitere Kriegsverlauf unterbrach die internationale Karriere Walters; acht Jahre lang (von 1942 bis 1951) konnte er kein weiteres Länderspiel für Deutschland bestreiten. Bundesrepublik Deutschland, 1951 bis 1954. Den bedeutendsten fußballerischen Erfolg errang Fritz Walter als Spielführer der deutschen Fußballnationalmannschaft, als er mit seinen Mannschaftskameraden am 4. Juli 1954 im Berner Wankdorfstadion das Finale um die Fußballweltmeisterschaft (WM) mit 3:2 gegen die klar favorisierte Elf aus Ungarn gewann. Die Krönung seiner Karriere war das In-Empfang-Nehmen der "Coupe Jules Rimet" nach dem denkwürdigen Finale. Im WM-Buch aus dem Agon-Verlag ist festgehalten: „Der Kapitän war das Herz, die Seele des Kollektivs - nicht nur im Endspiel. Seine fast 34 Jahre waren dem Lenker des deutschen Spiels nicht anzumerken. Überragte als Antreiber, Flanken- und Passgeber, Eckballspezialist. Überzeugte auch in kämpferischer Hinsicht.“ Der Weg zum Erfolg in der Schweiz verlief aber keinesfalls geradlinig, es gab Rückschläge und Störungen, welche nur in Zusammenarbeit mit seinem väterlichen Freund Herberger, Ehefrau Italia und seinen Mannschaftskollegen des 1. FC Kaiserslautern und der Nationalmannschaft zu überwinden waren: Am 5. Oktober 1952 erlebte die deutsche Fußballnationalmannschaft in Paris gegen Frankreich ein Debakel. Vor zehntausend deutschen Schlachtenbummlern, die erwartungsfroh nach Paris gekommen waren, verloren die Deutschen 1:3. Verheerend war aber nicht das Ergebnis, sondern die Art, wie die deutsche Mannschaft an diesem Tage vorgeführt wurde. Sie verteidigte nur, und in keiner Phase des Spiels hatte sie eine Siegchance. Im alten Pariser Stadion von Colombes schien eine Wunde aufgerissen worden zu sein, die nicht heilbar schien. Fritz Walter wurde ausgeknockt, auf fußballerische Weise, aber unerbittlich. Der Fritz spielte mit, aber er erduldete das Spiel wie ein namenloser Mitläufer, und bissige Kommentare vermischten sich mit sogenannten verständnisvollen, die einem verdienstvollen Veteranen den Abgang leichter machen wollten. Vom Ende einer Ära war die Rede. Aus Paris bekam der Stuttgarter Sportjournalist Hans Blickensdörfer aber von Gabriel Hanot von "L' Equipe" verständnisvollere Gedanken übermittelt: „Euer Fritz ist untergegangen, weil er nicht fertiggeworden ist mit eurem Erwartungshorizont. Im Stadion vom Colombes ist auch Revanchismus in der Luft gelegen, mit dem einer wie der gar nichts anfangen kann. Das ist über Fußball hinausgegangen und hat ihn überfordert. Für mich bleibt er ein Künstler des Spiels, und, ich bin ganz sicher, daß er das beweisen wird.“ Das glaubte auch Sepp Herberger, der unbeirrt an seinem Kapitän festhielt und Ehefrau Italia riet: „Lassen Sie die Jalousien runter, stecken Sie ihn ins Bett, und sorgen Sie dafür, daß er keine Zeitung liest.“ Nach Paris hatte der geniale, aber auch hochsensible Spielgestalter den Bundestrainer gebeten, ihn nicht mehr zu berücksichtigen. Doch Herberger lehnte ab und sagte: „Ich brauch' Sie noch jahrelang!“ Unmittelbar vor dem Turnierbeginn in der Schweiz stand Fritz Walter mit seinem 1. FCK am 23. Mai 1954 in Hamburg im Finale um die deutsche Fußballmeisterschaft. Endspielgegner war Hannover 96, das sich gegen den VfB Stuttgart und den Berliner SV 1892 durchgesetzt hatte; den Niedersachsen wurde keine echte Siegchance in Hamburg zugestanden, der Titelverteidiger, die Walter-Elf, war klarer Favorit. Mit einem 1:1-Halbzeitstand ging es in die Pause und die Betzenberg-Elf wurde in der zweiten Halbstand ausgekontert und verlor klar und deutlich 1:5. Fritz Walter ging deprimiert mit gesenktem Kopf vom Platz und Herberger stand wegen der fünf Lauterer Nationalspieler in seinem Kader in großer Kritik. Seine seit langem kritisierte „Affenliebe“ zu den Kaiserslauterern, das, was man den Kaiserslauternkomplex nannte, wurde ihm jetzt höhnisch vorgehalten. Nur noch drei Wochen waren es bis zum Start der Weltmeisterschaft und die Lauterer brauchten dringend Zuspruch und Trost, insbesondere der sensible Spielmacher und Kapitän Fritz Walter. Hier half Herbergers Fähigkeit zur positiven Umdeutung von Katastrophen; er war darauf vorbereitet, aus jedem Rückschlag das Beste zu machen. Für die Weltmeisterschaft kam ihm die Katastrophe der Lauterer in Hamburg gerade recht. Es war Herberger schon lieber, Männer um sich zu haben, die aus Enttäuschung, Ärger und Verdruss voller Wut darauf brannten, ihren gerade ramponierten Schild wieder neu aufzupolieren, anstatt voller zufriedener Genügsamkeit auf frischen Lorbeeren auszuruhen. In der Schweiz hagelte es nach der 3:8-Schlappe in der Gruppenphase gegen WM-Favorit Ungarn vernichtende Kritik über das Team, massiv auf den Bundestrainer, dessen taktische Personalrochade zu diesem Zeitpunkt von niemanden erahnt und verstanden wurde. Die deutschen Fans pfiffen ihr Team nach Leibeskräften aus und mussten verzweifelt mit ansehen, wie es im ungarischen Kombinationswirbel und Torrausch regelrecht unterging. Ausgerechnet Fritz Walter, der engste Vertraute von Bundestrainer Herberger, konnte wegen einer Verletzung aus dem Repräsentativspiel am 11. November 1950 in Ludwigshafen zwischen Südwest und Süddeutschland (2:2) am ersten Länderspiel nach Ende des 2. Weltkriegs, am 22. November 1950 in Stuttgart gegen die Schweiz (1:0) nicht teilnehmen. Für den Lauterer begannen die Nationalmannschaftseinsätze nach dem Krieg mit dem Rückspiel gegen die Eidgenossen am 15. April 1951 in Zürich. Acht Jahre und fünf Monate nach seinem 24. Länderspiel am 22. November 1942 – inmitten des Zweiten Weltkriegs –, feierte der Lauterer Ausnahmespieler bei einem 3:2-Erfolg in Zürich gegen die Schweiz mit einem Treffer seine Rückkehr in die Nationalmannschaft. Sepp Herberger bedachte Fritz Walter mit der Kapitänsbinde, die Walter erstmals in Zürich trug. Er wurde der verlängerte Arm des Bundestrainers auf dem Feld, zudem verband beide ein inniges Vater-Sohn-Verhältnis. Mit den Spielen gegen Norwegen und das Saarland gelang die Qualifikation zur Fußballweltmeisterschaft 1954 in der Schweiz. In seinem 39. Länderspiel gelang am 25. April 1954 in Bern mit einem 5:3 gegen die Schweiz die „Generalprobe“ für das Turnier; Fritz Walter erzielte zwei Tore. Beim Halbfinalspiel am 30. Juni in Basel gegen Österreich (6:1) zelebrierten die von einem überragenden „Dirigenten“ Fritz Walter angetriebenen Deutschen ein wahres Fußballfest. Ihrem schnellen Kombinationswirbel hatten die in vielen Szenen statisch wirkenden Donau-Kicker mit Fortdauer des Spiels immer weniger entgegenzusetzen. Österreich war von der nördlichen Brudernation nicht nur geschlagen, sondern nach allen Regeln der Fußballkunst gedemütigt worden. Und der Hauptverantwortliche für die Demontage war der von Zuschauern und Medien euphorisch gefeierte Kapitän der Deutschen. „So strahlend haben wir Fritz Walter noch nie gesehen“, schrieben einige Zeitungen. „Der größte Tag unserer Elf und des Dirigenten Fritz!“, jubelte die Fachpresse und goss eine Menge Farbe auf die in großen Lettern ins Auge stechenden Überschriften. Persönlich bezeichnete Fritz Walter das Halbfinalspiel als sein bestes Länderspiel überhaupt und das beste Länderspiel einer deutschen Mannschaft, in der er mitspielte. An allen sechs Toren war er direkt oder indirekt beteiligt. Über die Vorstellung des Kapitäns im Endspiel schrieb sein Freund und Augenzeuge Rudi Michel: „Für mich war es das größte Spiel das Fritz Walter je gespielt hat, nicht weil damit die Weltmeisterschaft gewonnen wurde, nicht weil die Ungarn geschlagen wurden. Der Fritz spielte ohne jede Hemmung. Er war der König auf dem Platz, von Puskas war kaum die Rede. Alles, was Fritz machte, war intuitiv richtig und richtungsweisend. Ich hatte immer große Probleme mit dem Wort 'genial', das gehört nicht zu meinem journalistischen Sprachgebrauch. Aber über Fritz hatten das an diesem Tag fast alle Kritiker gesagt und geschrieben. Er spielte so fantastisch, dass ich bis zur letzten Minute Angst hatte, die Ungarn würden ihn jetzt noch irgendwie ausschalten, was sie aber nicht taten. Aber vielleicht war er an diesem Tag einfach nicht auszuschalten.“ Das sensible Genie, der empfindsame Fußballkünstler aus der Pfalz, Fritz Walter, brauchte Hilfe. An einem großen Tag konnte er ein Feuer entfachen und es lodern lassen mit Mitteln, die anderen nicht gegeben waren. Andererseits hing er an schlechten Tagen schnell durch, neigte zur Resignation. Um seinen Liebling zu schützen, hatte Herberger ihm eine ganze Riege von Vertrauten in die Nationalmannschaft mitgeschickt, den halben 1. FC Kaiserslautern: Werner Kohlmeyer, Horst Eckel, Werner Liebrich und Bruder Ottmar. Das Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Herberger und seinem Kapitän erwies sich als Glücksfall für den deutschen Fußball: Walter, der ein Allroundspieler war, in Abwehr und Aufbau gleichermaßen perfekt, setzte als Kopf und Ideengeber der Elf die taktischen Anweisungen des Trainers perfekt auf dem Rasen um, ohne dass er nur ein Hilfswilliger für die taktischen Schablonen gewesen wäre oder ein Satellit auf vorberechneter Umlaufbahn des Herberger-Kurses. Fritz Walter hatte alles, akzeptierte jede taktische Vorgabe des Trainers, richtete sein Spiel danach aus – aber dann triumphierte die Intuition. Die konnte ihm keiner vermitteln. Sie machte ihn und sein Spiel aus. Das 3:2 durch Helmut Rahn sechs Minuten vor Spielende machte den Außenseiter zum Weltmeister und die Spieler zu Nationalhelden: „Wir sind wieder wer“, lautete neun Jahre nach Kriegsende der Tenor in der Bundesrepublik Deutschland. Noch heute wird die Mannschaft auch als "Walter-Elf" bezeichnet. Langsamer Abschied aus der Nationalmannschaft, 1956 bis 1958. Nach dem WM-Titel kämpfte Fritz Walter mit Krankheiten und Verletzungen. Für Herberger war die Vorstellung, „seine“ Nationalmannschaft könne ohne „seinen“ Fritz spielen, ein Alptraum. Zwei Tage nach der Weltmeisterschaft sagte er: „Fritz Walter in dieser phantastischen Kondition ist für die nächsten zwei bis drei Jahre geradezu unentbehrlich.“ Weitere zwei Wochen später antwortete er auf die Frage, ob der „alte Fritz“ weiter in der Nationalmannschaft spielen werde: „Natürlich wird er das. Wir haben noch keinen, der auch nur annähernd seine Rolle übernehmen könnte. Und wenn er – und das wird es immer wieder geben – auch vielleicht in den nächsten Spielen nicht die Schweizer Form erreicht, dann ist er immer noch unentbehrlich, als seelisches Zentrum sozusagen.“ In den vier Länderspielen nach dem WM-Sieg vom September bis Dezember 1954 gegen Belgien (0:2), Frankreich (1:3), England (1:3) und Portugal (3:0) fehlte der Kapitän aber. Während des Spiels gegen Belgien in Brüssel am 26. September, an dem er angeblich wegen Krankheit nicht teilnahm, saß Walter auf der Tribüne. Sein Bruder Ottmar verkündete, gegen Lüttich zwei Tage später werde sein Bruder mit dem 1. FC Kaiserslautern spielen. Die Öffentlichkeit bekam mit, dass es nicht mehr zwischen dem Spielführer der Weltmeistermannschaft und seinem Förderer, Entdecker und Freund Sepp Herberger stimmte. Knapp zwei Jahre ging das Hin und Her, mal spielten die Deutschen mit Fritz Walter, mal ohne. Nach der 1:3-Niederlage am 21. November 1956 in Frankfurt gegen die Schweiz – sportlich war die Herberger-Elf auf ihrem Tiefpunkt angekommen – zog sich Walter aber aus der Nationalelf zurück. Im Juli 1957 söhnten sich Fritz Walter und der Bundestrainer in der Sportschule von Duisburg-Wedau aus. Die Teilnehmer eines Sonderlehrganges zur Erlangung der Trainerlizenz, zu denen auch der noch in staunenswerter Form befindliche Walter gehörte, spielten jeden Abend Fußball. Der mitspielende Dettmar Cramer rief bei Herberger an, um über die abendlichen Spiele zu berichten. Sein Fazit: „So großartig, wie der Fritz spielt, spielt in Deutschland kein Mensch.“ Herberger reiste daraufhin nach Duisburg und wohnte ohne Walters Wissen einem abendlichen Spiel bei. Nach der Partie sprach er Walter an: „Fritz, ich habe gesehen, Sie sind wieder fit. Ich denke, ich werde Sie wieder brauchen können“. Die Wiederannäherung zwischen den beiden blieb zunächst deren Geheimnis. In Herbergers Plänen für die Weltmeisterschaft in Schweden spielte Walter (und auch Rahn) immer eine Rolle. Erstmals lief Fritz Walter wieder am 19. März 1958 beim 2:0 gegen Spanien auf. Walters Comeback war in der Öffentlichkeit umstritten, weil man dem 37-Jährigen nicht mehr zutraute, solch eine dominierende Rolle wie beim Titelgewinn 1954 spielen zu können. Doch Herberger gab seinen Plan, den neuen Mittelstürmer Uwe Seeler neben dem erfahrenen Spieldirigenten Walter auflaufen zu lassen, nicht auf. Für Herberger war der Name Seeler immer an Fritz Walter gebunden, er konnte den kraftvollen Hamburger nur als einen Sturmtank sehen, der vernünftig auf die Reise geschickt und in Szene gesetzt werden musste. Und dazu bedurfte es der Anleitung eines ganz Großen wie Fritz Walter. Walter zählte in Schweden wiederum zu den stärksten Spielern Deutschlands, auch wenn er nicht mehr als Kapitän auflief, da Hans Schäfer in seiner Abwesenheit diese Rolle übertragen worden war, und führte die Mannschaft zum Gruppensieg und schließlich ins Halbfinale gegen Schweden. Dort unterlag Deutschland mit 1:3, Fritz Walter musste nach einem harten Foulspiel von Sigvard Parling in der 75. Minute verletzt für fünf Minuten ausscheiden; nach seiner Rückkehr schleppte er sich nur noch als Statist über das Spielfeld, Deutschland bestritt durch den Platzverweis von Erich Juskowiak die letzten Minuten mit neun Spielern. Das Halbfinale am 24. Juni 1958 war Fritz Walters 61. und letztes Länderspiel, denn im Spiel um den dritten Platz gegen Frankreich konnte er verletzungsbedingt nicht mehr auflaufen. Nach der WM erklärte er seinen endgültigen Rücktritt aus der Nationalmannschaft, in der er im Juli 1940 debütiert hatte. Fritz Walter hatte, so fand sein Entdecker und Freund Herberger, in Schweden seine bisher größte Leistung zustande gebracht. „Mit der zeitlichen Annäherung an die WM steigerte er sich zu einer großartigen Kondition“, notierte sich der Bundestrainer, „er bewies damit, in welch einmaliger Weise er die Kunst beherrscht, zu einem bestimmten Zeitpunkt in bester Kondition und Form zu sein. Mit dieser Tatsache hat Fritz ein Beispiel ohnegleichen gegeben für alle, die nach Höchstleistung im Sport und deren Erhaltung über außergewöhnliche Zeitstrecken streben.“ Damit gehört Fritz Walter zu den vier Spielern, die mehr als 15 Jahre in der Nationalmannschaft gespielt haben; übertroffen wurde er dabei nur von Lothar Matthäus. Mit 33 Toren in 61 Länderspielen (davon 30 als Kapitän) war Walter bis zum 23. Juni 1966 Rekordtorschütze der Nationalmannschaft, bis er von Uwe Seeler abgelöst wurde. Vor der WM 1962 in Chile – Walter war schon 41 Jahre alt, hatte seine Karriere ja 1959 beendet, versuchte Herberger im Sommer 1961 bei einem Besuch von Walter in Hohensachsen noch einmal, seinen Kapitän zur WM-Teilnahme zu bewegen. „Ich will Ihnen mal was zeigen!“, lockte er Fritz Walter. Er holte einen Leitzordner aus dem Aktenregal und legte ihn auf den Tisch. Fritz Walter erzählte: „Seitenweise Mannschaftsaufstellungen für Chile! Er tippte mit dem Finger auf eine Stelle. Ich las: ‚Mittelstürmer Uwe Seeler‘, und in Klammern darunter 'FW'. Sprachlos schaute ich den Chef an. 'Das ist doch nicht Ihr Ernst?' 'Warum nicht, Fritz? Sie wären mir für die Nationalmannschaft immer noch wertvoll. Sie könnten zurückgezogener Mittelstürmer spielen, die Halbstürmer vorgeschoben!“ Aber dieses Mal spielte der Lauterer nicht mehr mit. Es musste ohne ihn gehen. Spielweise und Bedeutung. Fritz Walter war ein genialer Spielmacher, hochgradig sensibel, mit Charisma und Autorität ausgestattet sowie mit der Fähigkeit, ein Spiel „lesen“ zu können. Sein Aktionsradius reichte vom eigenen Strafraum bis vor des Gegners Tor. Er half in der eigenen Abwehr aus und war zudem torgefährlich, ein begnadeter Techniker und ein großer Stratege. Er wusste immer eine Antwort auf die taktischen Finessen des Gegners. Fritz Walter, der Bescheidene, der – auch in seiner Meinungsäußerung – vorsichtig Zurückhaltende, wandelte sich auf dem Platz zu einer starken, spielbestimmenden Persönlichkeit. Er dachte meistens einige Spielzüge weiter als seine Mitspieler. Seine Begabung, den Ball präzise wie eine Billardkugel zu adressieren, seine Fähigkeit, Kontrollfunktion auszuüben, ohne – Blick abwärts – den Ball an seinen Füßen kontrollieren zu müssen, das alles machte ihn frei für den Überblick, selbst in verworrenen Spielsituationen. Fritz Walter besaß alle Merkmale einer Spielerpersönlichkeit, deren Kriterium Sepp Herberger klar umriss: der Umgebung den Stempel des eigenen Spiels aufzudrücken. Von Fritz Walter ging die Initialzündung aus, auf dem Platz war er der Freigelassene, der selbst zu entscheiden hatte, was richtig oder falsch war. Fritz Walter war auch in der Abwehr der sichere Anspielpunkt für die bedrängten Kollegen, er war auch in bedrohlichen Situationen dem Spiel meistens gedanklich voraus. Man durfte somit – vom Standpunkt des Gegners aus – einen Fritz Walter auch nicht hinter der Mittellinie aus den Augen verlieren, wollte man keine unliebsame Überraschung erleben. Denn der Angriff begann bei Fritz Walter häufig genug in der eigenen Abwehr. Er ging Zweikämpfen nach Möglichkeit aus dem Weg; er verbiss sich nicht in hoffnungslose Unternehmungen und sah in einer torreifen Situation immer den besser stehenden Nebenmann. Fritz Walter konnte mit dem Ball am Fuß jedes Tempo gehen, ohne die Übersicht zu verlieren. Der Passball kam wie an der Schnur gezogen haargenau; bei Freistößen verstand er es, den Ball mit Effet gleichsam um die Ecke zu zirkeln. Eckbälle, Freistöße, Vierzig-Meter-Pässe, Fritz Walter konkretisierte die Ingredienzen des Spiels mit außerordentlicher Präzision. Wer von Fritz Walter „auf die Reise geschickt“ wurde, lief kaum umsonst; der Ball wurde ihm meistens maßgerecht vor die Füße gespielt. In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg galt in deutschen Vereinen noch immer das landläufige Vorbild „Schalker Kreisel“ als erstrebenswert. Das war jene Kombinationstechnik um das Schwagerpaar Fritz Szepan/Ernst Kuzorra, womit die „Königsblauen“ in den dreißiger Jahren Meisterschaften und Pokalsiege am Fließband einsammelten. Die berühmte Schalker Formel hieß „Stoppen – Schauen – Passen“. Fritz und Ottmar Walter verwandelten diese gemächliche Spielweise in einen roten Wirbelsturm mit rasantem Tempo. Sie kürzten die Schalker-Formel und schafften das zeitraubende Stoppen ab. Die neue Lauterer These lautete schlicht: „Schauen – Weiterleiten!“. Fritz Walter beherrschte diese Spieltechnik meisterhaft. Keiner konnte damals den Ball, ohne dass dieser den Boden berührte, in der Luft direkt und so präzise zu einem anderen Mitspieler weiterleiten wie er. Mit dem Innenrist oder mit der Hacke, über 5 Meter oder 50. Er sah nicht nur den nächsten, sondern den am besten postierten Mitspieler. Und dorthin kam der Ball mit zauberhafter Präzision. Aus dieser unnachahmlichen Kunst entwickelte sich das damals so typische und unverwechselbare Spiel der Walter-Elf mit vielen Varianten und Überraschungen. Herberger hätte seinen Zögling gerne zu seinem Nachfolger gemacht. Walter sollte Bundestrainer werden. Doch den Schritt ins große Trainergeschäft wagte er nie; er beließ es bei seiner anfänglichen Spielertrainertätigkeit beim FCK von 1945 bis 1949, der einjährigen Aushilfe 1948/49 beim VfR Kaiserslautern, der Rettungstat 1959/60 beim VfL Neustadt/Coburg in der 2. Liga Süd und seiner Beratertätigkeit beim SV Alsenborn, wo er in seiner neuen Wohnheimat mit dem kleinen Dorfverein das Vordringen bis in die Bundesligaaufstiegsrunde mitgestaltete. Während seiner Zeit beim SVA stieg der vormals unbekannte Dorfclub in einem Zug von der A-Klasse über die 2. Amateurliga in die 1. Amateurliga und von dort in die zweitklassige Fußball-Regionalliga Südwest auf und gewann dort 1967/68 erstmals die Meisterschaft. Bei vielen talentierten Neuzugängen war die Person des Ehrenspielführers ein entscheidender Grund für den Wechsel nach Alsenborn. Bezogen auf die Nationalmannschaft erzählte Fritz Walter: „Der Chef wollte, dass ich sein Nachfolger werde, er redete immer wieder mit Engelszungen auf mich und meine Frau Italia ein. Ich bin nie gerne geflogen, wollte einfach weniger unterwegs sein und andere schöne Dinge des Lebens genießen, deshalb habe ich einmal nicht auf den Chef gehört. Deshalb konnte es auch nie den Bundesligatrainer Fritz Walter geben. Das war undenkbar. Wer abgelehnt hatte, Nachfolger von Sepp Herberger zu werden, der konnte nicht für viel, viel Geld als Trainer in die Bundesliga gehen. Bundesligatrainer zu werden wäre durchaus reizvoll gewesen. Doch der Druck wäre sehr groß gewesen. Denn von einem Fritz Walter hätte jeder Klub erwartet, Meister zu werden.“ Fritz Walter galt als sehr ehrlich und gestand: „Jahrelang war ich vor jedem Spiel so aufgeregt, dass mir schlecht wurde. Ich saß dann oft bis kurz vor Anpfiff auf dem Klo.“ „Bei ihm“, so hat Herberger einmal gesagt, „war ich mehr Psychologe als Trainer.“ Nach schlechten Spielen war Walter tagelang für niemanden zu sprechen. Vielleicht würde ihm heute seine zögerliche Natur vorgeworfen werden. Denn Fritz Walter war als Fußballer oft selbstzweifelnd, schüchtern und introvertiert. Nicht selten mussten seine Mannschaftskameraden ihren Kapitän auch auf dem Platz antreiben, wenn seine Angst vor der Niederlage größer war als die Lust auf den Sieg – vor allem sein Bruder Ottmar war es, der den Friedrich ein ums andere Mal in ein Spiel zurückholte, das ohne einen starken, nicht zweifelnden Fritz Walter nicht hätte gewonnen werden können. Denn wenn er seine Demut auf dem Feld abstreifte, dann gab es kein Halten mehr für das Spiel seiner Mannschaft. Dann war Fritz Walter genau das, was man bis heute über ihn lesen kann: einer der besten Spieler, der je im deutschen Trikot auflief. Eindrucksvoll bewies er das beispielsweise im Halbfinale der WM 1954, als das hoch eingeschätzte österreichische Team mit einem 6:1-Kantersieg zurück in die Kaffeehäuser geschickt wurde. Fritz Walters Auftritt im St.-Jakob-Park in Basel war eine Demonstration seiner Stärke, ohne die es all das, was dann im Finale passierte, nicht gegeben hätte. Selten hat ein deutscher Kapitän seine Mannschaft so überzeugend in ein Finale geführt wie Fritz Walter 1954. Durch Rudi Michel ist seine Haltung in der für ihn typischen Frageform überliefert: „Was wäre ich denn ohne euch – nichts?“ Die Antwort des Werner Liebrich: „Und wir wären ohne dich gar nichts.“ Der Sensible mit dem mangelnden Selbstvertrauen in die eigene Leistung brauchte den Anschub durch andere, im Klub und anderswo – und außerhalb des Feldes sowieso. Für den Schriftsteller Ror Wolf war er über Jahrzehnte „der zarte Riese“. Nach ihm ist das "Fritz-Walter-Wetter" benannt. Damit ist regnerisches Wetter gemeint, das er zum Spielen vorzog. Er hatte sich im Zweiten Weltkrieg mit Malaria angesteckt, deshalb fiel es ihm schwer, bei Hitze zu spielen. Niedrige Temperaturen und Regen verbesserten oft seine Physis und seine Psyche. Außerdem spielte er bei schwerem, nassem Boden seine Technik aus, so auch während des Endspiels der WM 1954, bei dem es ausdauernd regnete. Pünktlich zum Finale zogen dunkle Wolken über Bern auf, seit den Mittagsstunden regnete es Bindfäden. Um 12:30 Uhr schrie Max Morlock beim Mittagessen im rund 40 Kilometer von Bern entfernten Quartier am Thuner See hellauf begeistert: „Friedrich, es regnet!“ Fritz Walter eilte auf die Veranda und freute sich über den „kühlen und zuverlässigen“ Regen: „Jetzt ist alles klar, nichts kann mehr schief gehen.“ Wie vielen anderen Fußballern raubte der Zweite Weltkrieg Fritz Walter seine besten Jahre als Sportler. Dies trifft insbesondere auf die nicht stattgefundenen Weltmeisterschaften 1942 und 1946 und die FIFA-Sperre des DFB für die Weltmeisterschaft 1950 in Brasilien zu. Zwischen dem 22. und 30. Lebensjahr war es Walter verwehrt, auf der großen Bühne der Weltmeisterschaften sein außergewöhnliches Können zu demonstrieren. Erst als Senior, knapp vor dem 34. Geburtstag konnte er erstmals 1954 an dem fußballerischen Höhepunkt einer Weltmeisterschaft teilnehmen. Seine Mannschaftskameraden in den Turnierwochen in der Schweiz zum WM-Sieg geführt zu haben, ist mit seiner zeitlichen Vorgeschichte eine wirkliche Besonderheit in der Geschichte des Fußballs und trägt wesentlich zu seiner Ausnahmestellung im deutschen Fußball bei. Als Fans und Fachleute zur Jahrtausendwende über die „Sportler des Jahrhunderts“ abgestimmt haben, fand sich sein Name bei jeder Wahl unter den ersten zehn. Journalisten aller Ressorts schrieben, dass er zusammen mit Max Schmeling einen nicht messbaren Rekord an Volkstümlichkeit unter deutschen Sportgrößen gehalten habe, zeitlos populär wie Max Schmeling, sein großes Vorbild. Darauf war er stolz, wenn er es auch nicht laut gesagt hat. Karriere außerhalb des Fußballs. Mit einer Wäscherei fing Fritz Walter mit Ehefrau Italia sein „Leben nach dem Fußball“, sein selbständiges Dasein an. Hauptkunde war die Kammgarn, die damals noch existierende große Tuchfabrik, die ihre gesamte Werkswäsche „bei's Walters“ in Auftrag gab. Nachdem die Kammgarn die Wäscherei komplett aufgekauft hatte, stürzten sich die Walters ins Kinogeschäft, kauften und eröffneten das „Universum“ und installierten im Vorraum zudem eine Toto-Annahmestelle. Der deutsche Ehrenspielführer wurde jedoch noch auf einem völlig anderen Feld entdeckt, das er dann mehr und mehr „beackerte“: Aufstrebende Firmen verpflichteten ihn als ihren Repräsentanten. Es begann mit Adidas. Dem Beispiel folgten Saba, Hipp, Neckermann und viele andere. Auf der Internationalen Fachmesse für Sportartikel und Sportmode (ISPO) in München, erwies sich ein Autogrammstand mit Fritz Walter als überwältigender Erfolg. Von da an zeigten sich jahrzehntelang weitere Unternehmen an seinen Unterschriftsstunden interessiert. Die Zahl der Stunden pro Tag stieg auf fünf bis sechs, eine prallgefüllte und arbeitsreiche Fünf-Tage-Woche war die Norm. Viele Jahre war sein Terminkalender mit 30 bis 40 Arbeitswochen voll ausgefüllt. Der gelernte Bankkaufmann kommentierte Fußball für Rundfunksender, schrieb Sportbücher, vertrat die Sepp-Herberger-Stiftung, die sich unter anderem um Strafgefangene kümmert, und wurde so zum einzigen der 1954er Weltmeister, der seinen Ruhm vermarkten konnte, und das, obwohl der DFB nur 2350 Mark WM-Prämie zahlte. Äußeres Zeichen seines Wohlstandes war der Bungalow mit Schwimmbad auf einer 5000-m²-Fläche in Alsenborn. Für den Historiker Joachim Fest gab es drei Gründungsväter der Bundesrepublik Deutschland: politisch war es Konrad Adenauer, wirtschaftlich Ludwig Erhard und mental Fritz Walter. Eigentlich sei der 4. Juli 1954, der Tag des Endspiels in Bern, das wirkliche Gründungsdatum der Bundesrepublik gewesen. Der Weltmeister engagierte sich für die Augsburger Benefiz-Fußballelf Datschiburger Kickers, die Spenden für wohltätige Zwecke sammelte. Fritz Walter war bis zu seinem Tod über viele Jahre Schirmherr der Schlappekicker-Aktion der Frankfurter Rundschau, die unter anderem in Not geratene Sportler unterstützte. Walter war Patenonkel und Vornamensgeber von Fritz Keller, der am 27. September 2019 der 13. Präsident des Deutschen Fußball-Bundes wurde. In seinen letzten Lebensjahren ging Fritz Walter kaum noch in das nach ihm benannte Stadion auf dem Betzenberg: Ein Fußballspiel anzusehen war für den nervösen und hochsensiblen Walter einfach zu aufregend. Bei Länderspielen der deutschen Nationalmannschaft saß angeblich seine Ehefrau Italia vor dem Fernseher und meldete Tore, Fouls und andere Ereignisse ins Schlafzimmer, in das sich Fritz Walter zurückgezogen hatte. Tod. Fritz Walter starb 2002 in Alsenborn, weniger als ein Jahr nach dem Tod seiner langjährigen Ehefrau Italia. Beim Viertelfinalspiel der Fußball-Weltmeisterschaft 2002 gegen die Nationalmannschaft der USA spielten die deutschen Spieler ihm zu Ehren mit Trauerflor. „Seine“ Fußball-WM in Kaiserslautern konnte er nicht mehr miterleben. Walter äußerte sich einmal, dass er mit dem Verlauf seines Lebens zufrieden wäre, wenn er die WM 2006 in Kaiserslautern noch erlebte. Walter wurde auf dem Kaiserslauterer Hauptfriedhof in einem Ehrengrab beigesetzt. Tausende Fußballfans erwiesen ihm die letzte Ehre. Wirkung. Obwohl er die WM selbst nicht mehr erleben durfte, hatte er wohl maßgeblichen Anteil daran, dass Kaiserslautern – noch vor Bremen – zur WM-Stadt 2006 gekürt wurde. Er beteiligte sich aktiv (als offizieller WM-Botschafter) an der Kampagne "5 Weltmeister für Kaiserslautern" (mit Horst Eckel, Ottmar Walter, dem damaligen FCK-Trainer Andreas Brehme und dem damaligen Spieler Youri Djorkaeff). Andererseits wurde auch vielfach der „Fritz-Walter-Bonus“ beschworen. Die Fritz-Walter-Stiftung trägt seinen Namen. Walter war der einzige Fußballweltmeister, dem schon zu Lebzeiten ein Denkmal gesetzt wurde: 1985 wurde das Stadion Betzenberg in Fritz-Walter-Stadion umbenannt. Der Deutsche Fußball-Bund verleiht seit 2005 den Nachwuchsspielern des Jahres die Fritz-Walter-Medaille in Gold, Silber und Bronze. Mit dieser Auszeichnung sollen besondere Leistungen jeweils in den drei Altersklassen U 17, U 18, und U 19 geehrt werden. Mit der Namensgebung erinnert der DFB an den im Jahr 2002 verstorbenen Ehrenspielführer der deutschen Nationalmannschaft, der, wie Gerhard Mayer-Vorfelder anlässlich der Verleihung 2005 sagte, seit dem Gewinn der Weltmeisterschaft 1954 sowohl sportlich als auch menschlich ein Vorbild war. Die Band Sportfreunde Stiller ehrte Fritz Walter auf ihrer Fußball-CD "You have to win Zweikampf" anlässlich der WM 2006 mit ihrem Lied "Dem Fritz sein Wetter." Eine Punkband nannte sich in Erinnerung an die legendäre Weltmeisterelf von 1954 "Walter Elf". Weblinks. Datenbanken Über Fritz Walter
1696
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FIFA
Die Fédération Internationale de Football Association (deutsch Internationaler Verband des Association Football), kurz FIFA oder "Fifa", ist ein privater Verband, der „die Kontrolle des Association Football in all seinen Formen“ zum Zweck hat. Der Weltfußballverband ist ein Verein im Sinne der Artikel des Schweizerischen Zivilgesetzbuches mit Sitz in Zürich und im Handelsregister eingetragen. Die FIFA muss als nicht steuerbefreiter Verein im Kanton Zürich eine reduzierte Gewinnsteuer von 4 % entrichten. Die FIFA erwirtschaftet in ihrer aktuellen Vierjahresertragsperiode 5,66 Milliarden Dollar, die zu 89 % aus der Vermarktung der von ihr organisierten Männer-Fußball-WM stammen. Darüber hinaus organisiert sie auch die Frauen-Fußball-WM und zahlreiche weitere Turniere. Ihr Präsident ist Gianni Infantino. In den letzten Jahren stand die FIFA wiederholt in der Kritik. Berichte von Investigativjournalisten brachten die FIFA-Führung mit Korruption, Bestechung und Wahlmanipulation in Verbindung. Strafverfolgungsbehörden in der Schweiz und den Vereinigten Staaten ermitteln strafrechtlich gegen ehemalige und aktuelle hohe Funktionäre. Die Vergabe der Weltmeisterschaften 2018 und 2022 an Russland bzw. Katar wird in diesem Zusammenhang von Fußballfans kritisiert. Name. Die beiden letzten Wörter im ausgeschriebenen Namen der FIFA, „Football Association“, stehen als Eigenname für die englische Bezeichnung des Fußballsports, "Association Football". Diese Bezeichnung dient zur Unterscheidung von Sportarten, die ebenfalls die Bezeichnung "football" führen, so zum Beispiel "Rugby Football" oder "American Football". Der französische Name der FIFA übersetzt sich daher als „Internationaler Verband des Association Footballs“ oder schlicht als „Internationaler Zusammenschluss des Verbandsfußballs“. Geschichte. Die FIFA wurde am 21. Mai 1904 in Paris von dem Niederländer Carl Anton Wilhelm Hirschmann und dem Franzosen Robert Guérin gegründet. Dem vorausgegangen war ein Treffen anlässlich des ersten Länderspiels Belgien gegen Frankreich am 1. Mai 1904 im Stadion "Ganzenvijver/Vivier d'Oie" in Uccle, bei dem der Vereinssekretär des damals in Belgien führenden Vereins "Racing Club de Bruxelles" Louis Muhlinghaus die Gründung mit den französischen Kollegen vereinbarte, und dann auch erster FIFA-Generalsekretär wurde. Gründungsmitglieder waren die nationalen Fußballverbände der Schweiz, Dänemarks, Frankreichs, der Niederlande, Belgiens und Schwedens, wobei die Gründungsorganisationen in einigen Fällen nicht den heute existierenden Verbänden entsprachen, sowie Spanien, allerdings nicht durch einen Verband, sondern vom "Madrid Football Club" vertreten. Der Deutsche Fußball-Bund trat der FIFA noch am Gründungstag telegrafisch bei. In den nächsten Jahren kamen weitere nationale Verbände hinzu. Der erste große internationale Fußballwettbewerb fand an den Olympischen Sommerspielen 1908 in London statt. Auch im Rahmen der Olympischen Sommerspiele 1912 wurde ein Fußballwettbewerb ausgetragen. Während des Ersten Weltkriegs geriet die Entwicklung ins Stocken; es konnten keine Spiele mehr ausgetragen werden und mehrere Verbände (z. B. England) traten aus der FIFA aus. Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Tod von Präsident Daniel Burley Woolfall war es der Niederländer Hirschmann, der durch seine ehrenamtliche Arbeit als Sekretär und als Interimspräsident der FIFA den Bestand sichern konnte. Der große Aufschwung begann mit der Wahl des neuen Präsidenten Jules Rimet, der ab 1924 – gemeinsam mit dem wohlhabenden Uruguayer und Sportmäzen Enrique Buero – ein Fußball-Weltturnier plante. 1930 wurde die erste WM veranstaltet. Als Rimet 1954 zurücktrat, fand bereits die fünfte Weltmeisterschaft statt und die FIFA zählte 85 Mitglieder. Die Mitgliederzahl wuchs in den Folgejahren von Jahr zu Jahr. Vor allem in Kriegszeiten stellten der Fußball und somit auch die FIFA eine wichtige Verbindung zwischen den Nationen dar. Nach einer Statistik der FIFA von 1972 nahmen weltweit 16 Millionen Menschen, darunter 42.220 Berufsspieler am aktiven Fußballsport teil und organisierten sich in ca. 300.000 Vereinen. Die Zahl der Schiedsrichter wurde mit 243.596 angegeben. Der nächste große Schritt war die Erweiterung des Teilnehmerfeldes bei Weltmeisterschaften von 16 auf 24 (zur WM 1982) und später auf 32 Teams (zur WM 1998). Verbände. Der FIFA gehören aktuell 211 Nationalverbände an. Diese müssen gleichzeitig Mitglied eines von sechs Kontinentalverbänden sein, jedoch sind einige Mitglieder der Kontinentalverbände derzeit nur assoziiert [AFC (1), CAF (1), OFC (3)] bzw. zwar Vollmitglied des Kontinentalverbandes aber noch kein FIFA-Mitglied [CAF (1), CONCACAF (6)]. Kontinentalverbände. Neben dem Weltverband FIFA existieren die folgenden sechs Kontinentalverbände ("Konföderationen"): Ausnahmen bilden beispielsweise Aruba, Curaçao, Guyana, Suriname und Trinidad und Tobago, die trotz ihrer geografischen Lage in Südamerika Mitglied der CONCACAF sind. Die asiatischen Staaten Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Republik Zypern und Israel sind in der UEFA organisiert, ebenso die Türkei, Russland und Kasachstan, die Landesteile in Europa und Asien haben. Weitere UEFA-Mitglieder mit außereuropäischen Landesteilen sind Frankreich, Spanien, die Niederlande, Portugal und Dänemark. Indonesien als Mitglied der AFC hat Landesteile auf dem australischen Kontinent (Neuguinea), die USA als Mitglied der CONCACAF mit Hawaii in Ozeanien und Ägypten als Mitglied der CAF in Asien (Sinai-Halbinsel). Australien wechselte 2006 vom Ozeanien-Verband OFC in den asiatischen (AFC), um in Qualifikationsspielen gleichwertige Gegner für seine Nationalmannschaft zu bekommen. Nationalverbände. Bis heute (Stand: 5. Februar 2020) haben sich der FIFA 211 Nationalverbände angeschlossen, zuletzt die Verbände von Gibraltar, des Kosovo und des Südsudan, Montenegro, Osttimor und den Komoren. Allein zwischen 1975 und 2002 wurden 60 Verbände als Mitglieder aufgenommen. Die Nationalverbände werden finanziell und logistisch über verschiedene Programme der FIFA unterstützt. Sie räumt ihnen eine Anzahl attraktiver Rechte und Privilegien ein. Allerdings ergeben sich aus der Mitgliedschaft auch Verpflichtungen: Als FIFA-Repräsentanten in ihrem Land müssen die Nationalverbände die Statuten, Ziele und Ideale der FIFA respektieren und den Sport dementsprechend bewerben und führen. Als Alternative für National- und Regionalverbände, die nicht von der FIFA aufgenommen werden, wurde die CONIFA ins Leben gerufen. Wettbewerbe. Die FIFA organisiert u. a. folgende Wettbewerbe: Im August 1993 wurde für Männerfußballnationalmannschaften und 2003 für Frauenfußballnationalmannschaften eine Weltrangliste eingeführt. Diese dienen teilweise dazu, die Mannschaften bei den Wettbewerbsauslosungen einzelnen Lostöpfen zuzuordnen. Benefizspiele. Die FIFA veranstaltet im Rahmen der World XI in unregelmäßigen Abständen Benefizspiele mit der "Fußballweltauswahl", gegen die bereits öfter die "Europäische Fußballauswahl" angetreten ist, zuletzt 2005 und 2007. Organisation. Die beiden wichtigsten Gremien der FIFA sind der Kongress und der FIFA-Rat, dem der Präsident der FIFA vorsitzt. Der Präsident hatte bis 2016 weitreichende Machtbefugnisse und Management-Kompetenzen, wurde nach dem Rücktritt von Sepp Blatter und durch vom FIFA-Kongress beschlossene Reformen aber auf die Rolle eines Aufsichtsratsvorsitzenden beschränkt. Stattdessen wird das operative Geschäft seitdem maßgeblich durch den Generalsekretär bestimmt. Weitere Gremien der FIFA sind: Kongress. Der Kongress ist das höchste Entscheidungsorgan des internationalen Fußballverbands. Bis 1998 kam er alle zwei Jahre zusammen, seit 1998 findet dieses Treffen jährlich statt. Dieser neue Zyklus erlaubt es dem Kongress, Entscheidungen über eine ständig wachsende Anzahl an Themen zu treffen. Der Kongress trifft Entscheidungen bezüglich der Statuten und der Methoden, mit denen sie eingesetzt und angewendet werden. Der Kongress segnet auch den jährlichen Bericht ab, entscheidet über die Aufnahme neuer Nationalverbände und hält Wahlen ab, vor allem die der FIFA-Präsidentschaft. Jeder Nationalverband wird durch einen Delegierten vertreten und hat eine Stimme. Mitglieder des FIFA-Rats (vor 2016 FIFA-Exekutivkomitee) dürfen nicht als Delegierte am Kongress teilnehmen. FIFA-Rat. Der FIFA-Rat (bis 2016 „FIFA-Exekutivkomitee“) umfasst 37 Mitglieder und setzt sich aus zusammen. Ausschüsse. Es gibt 25 ständige Ausschüsse (Kommissionen) und mit den Disziplinar- und Berufungsausschüssen zwei operative Organe. Die Ausschüsse spielen eine wichtige Rolle, indem sie Entscheidungen bezüglich der Organisation von Turnieren und der Entwicklung des Fußballs im Allgemeinen treffen. Die von den Ausschüssen getroffenen Entscheidungen werden vom Exekutiv-Ausschuss ratifiziert. Ausschüsse und juristische Institutionen (Stand: 3. Juni 2015): Weitere Institutionen unterstützen die FIFA bei der Erfüllung ihrer Aufgaben (Stand Juni 2015): Verwaltung. Das Generalsekretariat, welches in Zürich rund 310 Mitarbeiter beschäftigt, ist für die Verwaltung der FIFA zuständig. An der Spitze steht der Generalsekretär, der dafür verantwortlich ist, dass die Entscheidungen des Exekutiv-Ausschusses umgesetzt werden. Weitere Aufgabenbereiche des Generalsekretariats sind die Belange der Finanzen, die Pflege internationaler Beziehungen, die Organisation des FIFA Weltpokals und die Organisation weiterer FIFA Fußball-Wettbewerbe. Das Generalsekretariat setzt sich aus verschiedenen Bereichen zusammen, die sich mit den Themen Business, Entwicklung, Finanzen, Fußball-Verwaltung, Kommunikation, Personal, Services und Wettbewerbe befassen. Sprachen. Offizielle Sprachen der FIFA sind Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch. In diesen Sprachen werden sämtliche Satzungen, Vorschriften, Entscheidungen und Ähnliches erstellt. Englisch dient darüber hinaus als offizielle Sprache für Protokolle und Korrespondenz. Für den Kongress gelten zusätzlich die drei Sprachen Arabisch, Portugiesisch und Russisch als offiziell. Finanzen und Sponsoren. Die FIFA plant ihr Geschäft in Anlehnung an den Zyklus der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer in Vierjahresperioden, die mit dem Kalenderjahr der Austragung der Endrunde enden. Die FIFA selbst verbucht in ihrem Finanzbericht 2016 vertragliche Sicherung von derzeit 76 % des Vierjahresertragsbudgets von geplanten 5,66 Milliarden Dollar als einen Höhepunkt. Dieses Ertragsbudget basiert weitgehend auf der Vermarktung der Weltmeisterschaft der Männer und besteht zu Von den Einnahmen aus Werbeverträgen und Fernsehausstrahlungslizenzen werden jährlich hohe Teilbeträge an die Mitgliedsverbände weitergereicht. Allein durch die weltweiten Fernsehrechte an den Herren-Weltmeisterschaften 2002 und 2006 nahm man 1,81 Milliarden Euro ein. Die FIFA forderte für die Ausrichtung der WM in Deutschland eine vollständige Steuerbefreiung, die ihr auch gewährt wurde. Von 2003 bis 2006 erzielte die FIFA bei Erträgen von 3,328 Milliarden Franken einen Gewinn von 816 Millionen Franken. Allein 2006 wies sie einen Gewinn von 303 Millionen Franken aus und bezahlte dafür nur 1,06 Millionen Franken an Steuern, da sie als nicht gewinnorientierte Organisation gilt und wie ein Verein besteuert wird. Von 2011 bis 2014 nahm die FIFA 5,718 Milliarden Dollar ein, wovon 338 Millionen Dollar Gewinn verblieben. Sie verfügt im Jahr 2014 über ein Kapital von 1,523 Milliarden Dollar. Etwa 70 Prozent der Einnahmen fließen in verschiedener Form wieder an den Fußball zurück. Nach der WM 2014 schieden die Fluggesellschaft Emirates und der Elektronikkonzern Sony aus dem Sponsorenkreis der FIFA aus. Zum Jahresende 2014 schieden Continental, Castrol sowie Johnson & Johnson aus. Die FIFA bezahlt in Zürich als gemeinnütziger Verein einen reduzierten Gewinnsteuersatz. Hymne und Motto. Vor jedem von der FIFA organisierten Spiel bis zur WM 2018 ertönt beim Einlaufen der Schiedsrichter und Mannschaften auf das Spielfeld die von Franz Lambert komponierte "FIFA-Hymne". Sie wird seit der Fußball-Weltmeisterschaft 1994 gespielt. Das Motto des Verbandes lautet seit 2007 „For the Game. For the World.“ (dt. „Für das Spiel. Für die Welt.“). Sitz der Organisation. Im Jahr 1932 zog der Internationale Weltfußballverband FIFA von Paris nach Zürich und hat seitdem dort seinen Hauptsitz. Im Mai 2004, zum 100-jährigen Bestehen der FIFA, wurde die Grundsteinlegung zum Um- und Neubau gefeiert. Der Grundstein birgt in seinem Inneren einen stählernen Fußball mit 1,3 Metern Durchmesser, der mit 204 Säckchen Erde aus jedem FIFA-Mitgliedsland gefüllt ist, weshalb die FIFA Wert auf die Feststellung legt, dass ihr Haus „auf dem Boden aller Mitgliedsländer“ steht. Ende Oktober 2005 wurde dann Richtfest gefeiert. Vor dem eigentlichen Baubeginn wurde das alte Gebäude zuerst abgerissen. Am 29. Mai 2007 wurde in Zürich-Hottingen der neue Hauptsitz der FIFA eingeweiht. Der neue FIFA-Hauptsitz – „Home of FIFA“ (Haus oder auch „Heimat“ der FIFA) genannt – umfasst 270 Büroarbeitsplätze, einen Hörsaal für 200 Personen, 240 Tiefgaragenstellplätze, Lager- und Archivräume. Im Außenbereich ist ein komplettes Fußballfeld nach internationalem Standard mit unterirdischen Umkleide- und Besprechungsräumen angelegt. Das Gebäude besteht aus neun Etagen (Erdgeschoss eingeschlossen), wovon sechs Etagen sich aus städtebaulichen Gründen unterhalb der Erdoberfläche befinden und fast 20 m tief reichen. Durch den Einsatz energieeffizienter Gebäudetechnik konnte auf Energie aus fossilen Brennstoffen verzichtet werden, wodurch auch keine CO2- Emissionen von dem Gebäude ausgehen. Der Bau kostete 240 Millionen Franken (ca. 180 Millionen Euro) und wurde von der Architektin Tilla Theus entworfen und von der Schweizer Totalunternehmerin HRS Real Estate AG realisiert. Kritik. Allgemeines. An der FIFA wird kritisiert, dass sie ihre Monopolstellung ausnutze; wie in den meisten anderen Sportarten gibt es im Fußball nur einen Weltverband. Die Kommerzialisierung des Fußballs durch die FIFA und ihre Sponsoren sorgt für Kritik, da der Verband die von ihm eingeforderten Vermarktungsprivilegien u. a. auch mit hartem gerichtlichen Vorgehen durchzusetzen versucht. Das rigorose Vorgehen der FIFA wird insbesondere dann deutlich, wenn Grundregeln des Verbandes durch Vereine oder Landesverbände in Frage gestellt werden. So drohte die FIFA bei einer Auseinandersetzung mit dem Grazer AK mit dem Ausschluss Österreichs von der EM 2008 im eigenen Land. Im Juli 2006 wurde der griechische Verband kurzzeitig aus der FIFA ausgeschlossen. Die Nationalmannschaft von Kamerun erschien zum African Cup of Nations 2004 in einem neu entworfenen, körperbetonenden Einteiler (UniQT), den der ausrichtende afrikanische Verband auch genehmigte. Die FIFA sah dies jedoch als Verstoß gegen die eigenen Regeln an, wonach die Sportkleidung aus einem Trikot und einer Hose bestehen muss. Gegen das Team von Kamerun wurde eine Strafe von 200.000 Franken verhängt, und für die Qualifikation zur WM 2006 zog man ihm sechs Punkte ab. Der Punktabzug wurde jedoch nach erfolgreicher Klage seitens Ausrüster Puma von der FIFA wieder zurückgenommen. Wegen dieses Vorgehens haben Zeitungen und Experten folgende Kritiken geäußert: Im Juni 2007 kam es zu einer außergerichtlichen Einigung zwischen der FIFA und ihrem ehemaligen Sponsor Mastercard, wonach die FIFA 90 Millionen US-Dollar an das Kreditkartenunternehmen zahlte. Hintergrund war neben einem Streit um die Verwendung des FIFA-Logos auch die Feststellung durch ein US-Gericht, dass die FIFA entgegen ihren vertraglichen Verpflichtungen Mastercard bei den Neuverhandlungen über die Sponsorenvergabe im Kreditkartenbereich im Jahr zuvor zugunsten von VISA übergangen habe. Damit hatte die FIFA die Hälfte der Einnahmen aus dem Neuvertrag mit VISA für die Auseinandersetzung mit Mastercard verwendet. Der damalige Verhandlungsführer der FIFA, Jérôme Valcke wurde daraufhin zunächst entlassen, bevor er am 27. Juni 2007 Generalsekretär der FIFA wurde. Gegen Ende der WM 2010 in Südafrika wurde von Medienseite bemängelt, dass die FIFA weiterhin zu ihrer Rolle während des Apartheidregimes schweige. Kritik erntete die FIFA außerdem wegen der Vergabe der Weltmeisterschaften 2018 an Russland sowie 2022 an das Wüstenemirat Katar. Der Zürcher Tages-Anzeiger meinte dazu, dass Russland die Wahl der Macht und Katar die Wahl des Geldes gewesen sei. Weiter wird die FIFA kritisiert, ihre in den letzten Jahren stark angestiegenen Einnahmen für prestigeträchtige Neubauten und überhöhte Betriebskosten (insbesondere in Form von Personalkosten) verwendet zu haben. Der Umsatz der FIFA stieg zwischen 1990 und 2009 von 10 auf 778 Millionen Euro. Von ihrem Reingewinn zahlte die FIFA nach Schweizer und Zürcher Recht 4,25 Prozent Steuern. Weitere Kritik erntete die FIFA im November 2019 von Human Rights Watch für die Vergabe der FIFA-Klub-Weltmeisterschaft 2021 an China, indem sie ihre eigenen „… Menschenrechtsverpflichtungen im Rahmen des Vergabeverfahrens missachtet …“ hatten. Negativpreis „Verschlossene Auster“. Mit dem Negativpreis "Verschlossene Auster" hat die "Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche" den Weltfußballverband 2012 ausgezeichnet. Die FIFA hatte bisher „alle Versuche kritischer Journalisten, über Korruption und Ungereimtheiten bei der Postenvergabe zu recherchieren, abgeblockt“, erklärte der Vorsitzende des Netzwerks Recherche, Oliver Schröm. Die Laudatio hielt der Sportmanager Roland Büchel, ehemaliger FIFA-Mitarbeiter und Mitglied des Schweizer Nationalrates. Das System von Löhnen, Aufwandsentschädigungen und Boni bei der FIFA sei „völlig intransparent“, sagte Büchel und wies darauf hin, dass die FIFA im vergangenen Jahr 96,8 Millionen Dollar an Löhnen, Zahlungen an Ehrenamtliche und Boni ausgeschüttet habe. Jedoch seien kritische Medienanfragen zu dem Thema nicht beantwortet worden. Der Europarat sei Ende April in 124 Punkten zu einem „vernichtenden Urteil“ über die Fußballweltorganisation gekommen und habe daran erinnert, dass Autonomie für die Interessen des Sports da sei und „nicht für die Interessen von skrupellosen Individuen“. Die FIFA schickte keinen Vertreter zur Preisverleihung. Korruption in der FIFA. Enthüllungen und Ermittlungen seit 2006. Im Mai 2006 beschrieb der britische Enthüllungsjournalist Andrew Jennings in seinem Buch "Foul!" ein angeblich umfangreiches System der Korruption unter der Ägide von João Havelange und Sepp Blatter, das im Zuge des Zusammenbruchs des FIFA-Marketing-Partners ISL ans Licht kam. Kurz nach Veröffentlichung des Buches sendete die BBC am 11. Juni 2006 einen vierstündigen kritischen Beitrag, in dem der angebliche Schmiergeldskandal im Detail beleuchtet wurde. In Summe soll ISL rund 100 Millionen US-Dollar Schmiergeld gezahlt haben um Entscheidungen der FIFA zu beeinflussen. Der BBC liegt eine Liste von 175 geheimen Zahlungen vor. Der zufolge sollen auch drei Mitglieder des FIFA-Exekutivkomitees, das über die Auswahl des Ausrichters von Weltmeisterschaften entscheidet, Zahlungen erhalten haben. So sollen demnach Nicolás Leoz, Präsident der südamerikanischen Fußball-Konföderation CONMEBOL, 1998 und 1999 600.000 US-Dollar, Issa Hayatou, Präsident der Confédération Africaine de Football, 1995 20.000 US-Dollar und Ricardo Teixeira, Präsident des brasilianischen Fußball-Nationalverbands Confederação Brasileira de Futebol, 9,5 Millionen US-Dollar erhalten haben. Im Juni 2010 verfügte die Staatsanwaltschaft in Zug die Einstellung des auf Zeugenaussagen der ISMM/ISL-Gruppe beruhenden Verfahrens gegen eine bis auf zwei Funktionäre nicht namentlich genannte Führungsgruppe der FIFA gegen einen Betrag von 5,5 Millionen Schweizer Franken. Davon musste die FIFA 2,5 Millionen Schweizer Franken selbst bezahlen. Die FIFA wehrte sich gegen die Veröffentlichung eines 41-seitigen Papiers der Staatsanwaltschaft, welches das Korruptionssystem rund um die FIFA, den ehemaligen FIFA-Präsidenten João Havelange und seinen früheren Schwiegersohn Ricardo Teixeira beschreibt, die laut Dokument Schmiergelder in Millionenhöhe kassiert haben sollen. In dem Dokument ersichtlich sind die internationalen Geldflüsse und der Umgang der FIFA-Spitze mit dem Schmiergeldsystem. In der Einstellungsverfügung wird Bezug auf den damaligen FIFA-Präsident Sepp Blatter genommen (ohne ihn namentlich zu nennen), der zumindest von den Schmiergeldzahlungen gewusst haben müsste. In einem Urteil vom 3. Juli 2012 vom Schweizer Bundesgericht wird festgestellt, dass großes „öffentliches und weltweites Interesse“ an den Inhalten des Dokuments besteht. Den Medien wird hier eine Kontrollfunktion zugestanden. Im Frühjahr 2014 erstellte der Schweizer Antikorruptionsexperte Mark Pieth seinen Abschlussbericht zur Rolle der FIFA im Schmiergeldskandal rund um die ehemalige Rechteagentur ISL. Vor dessen Veröffentlichung entfernte der damalige FIFA-Chefjurist Marco Villiger mehrere brisante Passagen. Skandal 2015 und Folgen. Vor dem in Zürich tagenden 66. FIFA-Kongress fanden am 27. Mai 2015 unabhängig voneinander Festnahmen einiger FIFA-Funktionäre und eine Durchsuchung aufgrund einer Strafanzeige im FIFA-Hauptquartier statt. Am Morgen des 27. Mai 2015 wurden sechs Fußballfunktionäre durch die Kantonspolizei Zürich im Auftrag des Bundesamts für Justiz aufgrund eines US-Verhaftungsersuchens im Hotel Baur au Lac festgenommen. Das Gesuch ist gemäß der Sprecherin des Bundesamts auf den 21. Mai 2015 datiert. Ausgestellt wurde es durch das Office for International Affairs des Justizministeriums der Vereinigten Staaten. Den Funktionären wird Korruption vorgeworfen. In Auslieferungshaft gesetzt wurden gemäß dem US-Justizministerium dabei die Funktionäre Jeffrey Webb, Eduardo Li Sánchez, Julio Rocha, Costas Takkas, Eugenio Figueredo, Rafael Esquivel sowie José Maria Marin. Am Abend des 27. Mai 2015 haben die Behörden von Trinidad und Tobago einen Haftbefehl für den früheren FIFA-Vizepräsidenten Jack Austin Warner erhalten. Unabhängig davon hatte die FIFA am 18. November 2014 eine Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt, worauf in Folge ein Strafverfahren eingeleitet worden war. Daraufhin wurde im Auftrag der Bundesanwaltschaft ebenfalls am Morgen des 27. Mai 2015 das FIFA-Hauptquartier durchsucht. Hierbei ging es um die Vergaben der WM an Russland und Katar. Vier Tage nach seiner Wiederwahl durch den FIFA-Kongress kündigte Sepp Blatter am 2. Juni 2015 auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz seinen Rücktritt an. Am 8. Oktober 2015 gab die Ethikkommission der FIFA bekannt, sowohl FIFA-Präsident Sepp Blatter als auch seinen Vertreter Michel Platini für 90 Tage zu sperren. Dies, nachdem die Schweizer Bundesanwaltschaft gegen Sepp Blatter ein Strafverfahren wegen Verdachts auf ungetreue Geschäftsbesorgung eröffnet hatte. Präsidentschaftskandidat Chung Mong-joon wurde für sechs Jahre gesperrt und erhielt eine Geldstrafe von 100.000 Schweizer Franken. Am 21. Dezember 2015 wurde Sepp Blatter vom FIFA-Ethik-Komitee für acht Jahre von allen Ämtern ausgeschlossen; eine Strafe, die in der Berufung auf sechs Jahre reduziert wurde. Am 26. Februar 2016 wurde UEFA-Generalsekretär Gianni Infantino auf einem außerordentlichen Verbandskongress in Zürich zum Nachfolger Blatters gewählt. Er setzte sich im zweiten Wahlgang gegen den zuvor als Favorit geltenden ACF-Präsidenten Salman bin Ibrahim Al Chalifa durch. Bei der FIFA-Vollversammlung im Mai 2016 in Mexiko-Stadt wurde auf Infantinos Vorschlag beschlossen, dass der Council bis zum kommenden Jahr alle Mitglieder der Audit- und Compliance-Kommission, der Ethikkommission, der Disziplinarkommission und der neuen Governance-Kommission selbst bestimmen und entlassen kann. Daraufhin trat Domenico Scala als Leiter des "Audit & Compliance Committees" der FIFA noch am gleichen Tag von seinem Amt zurück und begründete diesen Schritt wie folgt: „Ich bin über diesen Entscheid konsterniert, da damit eine zentrale Säule der Good Governance der Fifa untergraben und eine wesentliche Errungenschaft der Reformen zunichte gemacht wird.“ Am 2. Juni 2016 wurde die Zentrale der FIFA in Zürich erneut von Vertretern der Ermittlungsbehörden durchsucht. Am 3. Juni teilten zwei Vertreter der von der FIFA seit Juni 2015 zur Vertretung ihrer Interessen beauftragten Anwaltskanzlei Quinn Emanuel mit, dass Blatter, Valcke sowie der ehemalige Finanzchef und Interims-Generalsekretär Kattner in den vergangenen fünf Jahren mindestens 79 Millionen Schweizer Franken auf fragwürdiger Grundlage erhalten hatten. Blatters New Yorker Anwalt Richard Cullen betonte dagegen in einem Statement, dass die Zahlungen an Blatter «sauber, fair und in Einklang mit jenen von Präsidenten grosser Sportligen weltweit waren.» Auffallend war, dass die Anwälte den Fifa-Rechtsdirektor Marco Villiger, der als viertmächtigster Mann der Fifa-Administration galt, ausdrücklich aus der Schusslinie nahmen. Ab 2015 leitete der Chefjurist der FIFA, Marco Villiger die internen juristischen Untersuchungen bei der FIFA und lieferte die Resultate an die Schweizer Bundesanwaltschaft. Im Herbst 2018 startete die Bundesanwaltschaft eine Strafuntersuchung gegen einen ihrer eigenen Mitarbeiter, den damaligen Leiter Wirtschaftsdelikte in der Bundesanwaltschaft Olivier Thormann, der für die Ermittlungen im FIFA Themenkomplex zuständig war. Grund dafür war dessen enges und privates Verhältnis zu Marco Villiger als Chefjurist und Rechtsvertreter der FIFA. Die Untersuchung kam zum Schluss, Thormann habe die erforderliche Distanz, Objektivität, Neutralität und Unparteilichkeit vermissen lassen. In der Häufigkeit der Meldungen und deren Diktion habe der Kontakt mit Villiger den beruflichen Rahmen überschritten. Aufgrund dieser Vorfälle erklärte das Schweizer Bundesstrafgericht im Entscheid vom 17. Juni 2019 Olivier Thormann im FIFA-Verfahren als für befangen. FIFA-Intrigen gegen Ermittler 2017. Medien berichteten im Februar 2017 über Bestrebungen von Präsident Infantino, beim FIFA-Kongress im Mai in Bahrain die beiden Chefs der Ethikkommission auszuwechseln und sich von der US-Anwaltskanzlei Quinn Emmanuel zu trennen. Quinn Emmanuel untersucht im Auftrag der amerikanischen Justiz interne Vorgänge bei der FIFA. Strafrechtsexperten haben gewarnt, dass die FIFA durch dieses Vorgehen in den USA aufgrund des Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act unter Mafia-Verdacht gestellt und zu hohen Strafzahlungen verurteilt werden könnte. Parallel hat der Europarat eine eigene Untersuchung der FIFA angekündigt. DFB-Präsident Reinhard Grindel warnte Infantino vor einer Absetzung der FIFA-Ethikkommissare. Sonstiges. In Zürich betreibt die Organisation das FIFA Museum.
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https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1697
Föhn
Der Föhn oder Föhnwind ist ein warmer, trockener Fallwind, der häufig auf der der Windrichtung abgewandten Seite, der Leeseite, von größeren Gebirgen auftritt. Er entsteht meist großräumig bei Wetterlagen mit Druckgradienten quer zum Gebirge. Er kann stetig wehen, aber auch böig sein. Die Bezeichnung "Föhn" stammt aus dem deutschsprachigen Alpenraum und hat sich als meteorologischer Begriff für entsprechende Windereignisse durchgesetzt. Sowohl für den "Alpenföhn" als auch entsprechende Wetterphänomene an anderen Orten der Welt gibt es zahlreiche regional unterschiedliche Namen. Zu unterscheiden ist der echte Föhn von der ähnlich warm-trockenen „föhnigen“ Höhenströmung und anderen, etwa durch Druckgradienten bei Sturmtiefs induzierten föhnähnlichen Fallwinden. Einführung. Der Föhn entsteht aus einer Windströmung (oder einem horizontalen Druckgradienten) über dem Gebirge, die zu relativ warmer Höhenluft führt. Sie ist auf der dem Wind zugewandten Luvseite des Gebirges mit Steigungsregen verbunden. Charakteristisch ist die deutliche Erwärmung und Trocknung der herabströmenden Luft, die zu gesundheitlichen Beschwerden (Föhnkrankheit) führen kann, sowie die ausgeprägte Fernsicht aufgrund der aerosolarmen (schwebeteilarmen) Luftmassen. Neben diesem warmen Föhn durch feuchtadiabatisch aufsteigende Luft vor dem Gebirge und trockenadiabatisch absteigende Luft nach dem Gebirge gibt es aber noch andere Ursachen. Weniger warme Föhnwinde treten als physikalisches Wetterphänomen zumindest in den Ostalpen je nach Schichtung der Luftmassen auch ohne das Ausregnen auf, welches die zusätzliche Wärme generiert. Definitionen. Föhn und Bora sind die typbestimmenden warmen bzw. kalten Fallwinde, die so oder ähnlich auch weltweit beobachtet werden können. Durch divergente bioklimatische Wirkung und gegensätzliche landschaftsprägende Folgen ist eine Separierung von föhn- und boragenen Typen zwangsläufig sinnvoll. Phänomenologisch lassen sie sich einfach unterscheiden: Die Definition der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) lautet: Etymologie und Regionalnamen. Die Bezeichnung Föhn ging vom lateinischen "favonius" „lauer Westwind“, wohl über das Rätoromanische ("favuogn," dialektal auch "fuogn"), in das Althochdeutsche "(phōnno)" ein. Die Wurzel ist verwandt mit dem lateinischen Verb "fovere", wärmen. Daneben sind Bezeichnungen für regionale Föhnlagen entstanden: Weitere Beispiele sind: Dagegen keine warmen Föhnwinde, sondern katabatische Fallwinde sind z. B. Geschichte der Föhntheorie. Die in Lehrbüchern – auch heute noch – am weitesten verbreitete Erklärung des Föhns ist mit der Darstellung von Ficker & De Rudder aus dem Jahr 1943 verbunden, wird gern "thermodynamisch" genannt und irrtümlich Julius Hann zugeschrieben. Diese Theorie ist nach heutigem Verständnis nur noch von historischer Bedeutung, obwohl sie wichtige Erscheinungen richtig erklärt. Ihre Charakteristika sind ein Niederschlag im Luv, der als alleinige Erklärung der relativ hohen Temperaturen auf der Lee- im Vergleich zur Luvseite herangezogen wird, sowie eine dem Hangprofil folgende Störung auf beiden Seiten. Dies trifft jedoch in vielen Fällen nicht zu. Thermodynamische Föhntheorie. Ein Föhn entsteht nach der thermodynamischen Föhntheorie wie alle Winde durch die Wirkung einer Druckgradientkraft mit tieferem Druck auf der Lee-Seite eines Gebirges. Beim Aufsteigen der relativ feuchten Luft an der Luv-Seite des Gebirges kühlt sich diese zunächst so lange trockenadiabatisch mit 1,0 °C pro 100 m Höhenanstieg ab, bis die relative Luftfeuchte 100 % beträgt. Dies liegt daran, dass die Wasserdampfkapazität der Luft mit der sinkenden Temperatur sinkt, sodass sie beim Erreichen des Taupunktes mit Dampf gesättigt ist und Wassertröpfchen bildet. Steigt die Luft weiter, so kühlt sie sich nur noch feuchtadiabatisch mit etwa 0,6 °C/100 m ab. Dabei bleibt die relative Luftfeuchte mit 100 % konstant: Die Luft kann ihren (unsichtbar) enthaltenen Wasserdampf nicht mehr behalten, und es kommt zu laufender Kondensation und Wolkenbildung dabei wird die spezifische Kondensationsenthalpie von 2257 kJ/kg des Wasserdampfes der Luft zugeführt. Die Kondensation dauert an, bis die Luft am Bergkamm angekommen ist, und führt fast immer zum sogenannten Steigungsregen, der in großen Höhen auch in Schneefall übergehen kann, dabei wird noch zusätzlich die Kristallisationsenthalpie (333,5 kJ/kg) abgegeben. Beide Energieformen sind im Allgemeinen „gespeicherte Sonnenenergie“. Vom Kamm aus beginnt die abgekühlte Luft auf der anderen Seite des Berges hangabwärts zu sinken. Der Föhn entsteht also – trotz einer stabilen Atmosphärenschichtung – nach der thermodynamischen Föhntheorie zuerst als katabatischer Wind. Die Ursachen für das Absinken liegen sowohl in der niedrigen Temperatur als auch in der Hangneigung des Geländes und werden verstärkt, wenn der Wind auf der Leeseite des Gebirges durch ein Tiefdruckgebiet „angesaugt“ wird. Die absinkende Luft erwärmt sich wieder trockenadiabatisch mit durchgehend 1 °C/100 m – also viel schneller, als sie während des „Aufstiegs“ (in der feuchtadiabatischen Phase) abkühlte: Es fehlt ihr die beim Aufsteigen abgeregnete Wassermenge, die gleichzeitig ihre Kondensationsenthalpie an diese Luft abgab. Die abgeregnete Wassermenge in Verbindung mit dem raschen Wärmerwerden der Luft auf der Leeseite ist die Ursache für die relative Trockenheit und hohe Temperatur des Föhnwindes. Im Tiefland angekommen ist der Föhn deshalb kein katabatischer Wind mehr, sondern ein warmer Fallwind. Probleme der thermodynamischen Theorie des Föhns. Die thermodynamische Theorie als Erklärung des Föhns basiert auf dem unterschiedlichen Temperaturverhalten der Luft bei vertikalen Bewegungen und ist wegen der didaktischen Klarheit insbesondere in Lehrbüchern weit verbreitet: In vielen Lehrbüchern wurde der Kondensationseffekt als „der thermodynamische Föhneffekt“ hervorgekehrt, als ob sonst keine Gründe für die Temperaturerhöhung bei Föhn vorlägen. Dieser Effekt ist lange Zeit zu sehr betont worden, wohl auch wegen seiner didaktischen Vorzüge. Zwei Beobachtungen zeigen, dass er nicht essentiell zum Föhn gehört: Dass eine absteigende Warmluft dem archimedischen Prinzip zuwiderläuft, ist aber problematisch, dynamische Kriterien fehlen dieser Theorie und weder die Beobachtungen des "hydraulic jump" noch die "mountain waves" oder die Rotoren – auf welche im Folgenden eingegangen wird – können mit der Theorie erklärt werden. Dynamische Föhntheorie. Obwohl die Atmosphäre aus Gasen aufgebaut ist, verhält sie sich in vielen Fällen wie eine Flüssigkeit. Daher treten viele atmosphärische Turbulenzen als Wellen auf. Atmosphärische Wellenstörungen resultieren aus der Interaktion verschiedener Kräfte, darunter Druckgradientkraft, Corioliskraft, Gravitation und Reibung. Lange war die obige "thermodynamische Annahme" bestimmende Theorie eines Föhnprinzips. Heute stehen allgemeine "strömungsdynamische Gesetze" bei Prinzipien der Entstehung von Fallwinden im Vordergrund, die zum "mountain-wave"-Konzept führen. Hydrologisch-hydraulische Analogie der Föhnströmung. Am geeignetsten, um Fallwinde in einem dreidimensionalen System zu erklären, sind hydrologische Modelle, da sie auch für Bewegungsmuster in einem stark reliefierten Gelände mit Tälern und Pässen geeignet sind. Heute wird den topografischen Gegebenheiten noch mit der auf Englisch "gap flow dynamic" genannten Hypothese Rechnung getragen. Hiernach ist die vertikale Einengung (am Pass) und eine laterale Kontraktion (in einer Lücke – "gap") der Luftströmung für Fallwinde wie Föhn und Bora unabdingbar. Hydraulische Begriffe wie "fließendes Wasser", "schießendes Wasser", mit "kritischer Geschwindigkeit" strömendes Wasser und die Froude-Zahl formula_1 (ähnlich der Mach-Zahl) werden heute in der Föhntheorie benutzt. Analog der Einteilung der Gasdynamik in Strömungen mit "Unter-" und "Überschallgeschwindigkeit" ist die Hydraulik der Strömungen mit freier Oberfläche in Wasserströmung mit Unter- und solche mit Übergrundwellengeschwindigkeit eingeteilt. Wasser, das mit einer Geschwindigkeit strömt, die kleiner ist als die Grundwellengeschwindigkeit, heißt in der Hydraulik fließendes Wasser, Wasser mit einer Strömungsgeschwindigkeit größer als die Grundwellengeschwindigkeit heißt schießendes Wasser. Strömt Wasser genau mit Grundwellengeschwindigkeit, so nennt man es „mit kritischer Geschwindigkeit strömendes Wasser“. Die Froudsche Zahl formula_1 drückt letztlich das Verhältnis zwischen kinetischer Energie (abhängig von der Windgeschwindigkeit) und potenzieller Energie (Stabilität, Gebirgshöhe) aus. Das Problem bei der Erklärung ist, das verschiedenartige Verhalten bei Modellversuchen von fließendem und schießendem Wasser beim Überströmen eines Bodenhindernisses analog beim Föhn anzuwenden. Wenn Wasser über ein Hindernis strömt, so wirken im Wesentlichen zwei Kräfte: die Schwerkraft und die Trägheitskraft. Man kann nun zwischen zwei Regimen unterscheiden: Wenn über dem Hindernis eine genügend starke Beschleunigung erreicht wird und eine genügend große Abnahme der Dicke der Wasserschicht erfolgt (bei großen Hindernissen möglich), kann ein Übergang von subkritischem zu superkritischem Fließen geschehen. Da nun das Wasser am Lee-Hang superkritisch ist, beschleunigt es sich und stürzt den Hang hinunter. Weil auf der ganzen Strecke über dem Hindernis potenzielle Energie in kinetische verwandelt wird, werden starke Fallwinde im Lee produziert. Die Flüssigkeit passt sich auf der Leeseite durch einen hydraulischen Sprung (engl. "hydraulic jump") wieder der Umgebung an und wechselt dadurch wieder zu subkritischem Fließen. Hier besteht eine Analogie zur Gasdynamik: Wie dort der Übergang einer Strömung mit Unterschallgeschwindigkeit zu einer mit Überschallgeschwindigkeit stetig erfolgt, der umgekehrte dagegen meist unstetig auf dem Wege über eine riemannsche Stoßwelle, geht eine fließende Wasserströmung stetig in eine schießende über, eine schießende in eine fließende dagegen meist unstetig auf dem Wege über einen Wassersprung. Damit ist die durch Turbulenzen beim Wassersprung erzeugte Wärme für den hydraulischen Prozess verloren, beim gasdynamischen Prozess bleibt diese aber als innere Energie erhalten, der Luftsprung entspricht damit nicht gänzlich dem Wassersprung. Dass beim Föhn eine Luftströmung mit überkritischer Geschwindigkeit existiert (schießend strömende Luft), wird durch die außergewöhnliche Turbulenz der Rotoren beim Emporschießen bodennaher Luft im Lee unterstrichen. Gap dynamic. Zu einem wesentlichen Element der Föhn-Hypothese gehört die "gap dynamic". Der Grundgedanke besteht darin, dass eine orthogonale Strömung, die gegen eine Gebirgsbarriere fließt, zuerst ein zweidimensionales Problem darstellt, dass aber, wenn so genannte "gaps" (Täler, Pässe) vorhanden sind, die Dimensionalität des Problems verändert wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Froude-Zahl der Luft an einer Gebirgsbarriere niedriger ist und diese einen Weg durch Schluchten, Täler und Pässe anstelle einer Passage über das Hindernis nimmt. Dadurch, dass viele Gebirge bestimmte Windgassen aufweisen, wird diese Idee bestärkt. Beispiele sind die „Stampede Gap“ in der Kaskadenkette in Washington ("Cascade Windstorm"), die Trockentäler des Himalaya, das Wipptal am Brenner zwischen Inn und Etsch (Föhn), der Vratnik-Pass über Senj im Velebit (Bora) oder der Einschnitt der Bucht von Kotor in Montenegro als Korridor der Risaner Bora. Folgendes Bild für den Mechanismus des Föhns ergibt sich heute: Im Ausgangszustand lagert über einem Gebirgsrelief und seiner weiteren Umgebung eine ausgedehnte, nahezu horizontale Temperaturinversion, in den Gebirgstälern und vielleicht auch im Vorland eine stagnierende kalte Luftschicht. Ein heranziehendes Tief beginnt die Kaltluft durch den Kanal zwischen Erdoberfläche und der über dem Gebirge gelegenen Inversionsgrenzschicht abzusaugen. Die Strömungsgeschwindigkeit in diesem Kanal nimmt ständig zu. Bei genügend starker Absaugwirkung des Tiefs wird irgendwann längs einer zunächst schmalen Teilstrecke des Gebirgszuges die Strömung kritisch, und zwar vorzugsweise auf einem Pass, weil dort wegen der Düsenwirkung die Strömungsgeschwindigkeit besonders gesteigert wird. Längs dieser Strecke ist damit die maximale Förderleistung des Kanals erreicht. Die Inversion wird im Lee dieser Teilstrecke herabgezogen und schreitet in Richtung der Grundströmung weiter fort, während darunter die Strömung überkritisch wird. Der Föhn hat am Pass begonnen und setzt sich in das Tal hinein fort, wobei er auch die Kaltluft am Boden des Kanals mit einbezieht. Während dieses Vorgangs kann die Luft zu beiden Seiten der Gebirgsteilstrecke noch ungehindert nachströmen, da dort die kritische Geschwindigkeit noch nicht erreicht ist. Das ansaugende Tief fordert aber weiteren Luftnachschub, so dass auch seitlich der Strecke die Strömungsgeschwindigkeiten weiterhin zunehmen müssen, bis nach und nach längs des ganzen Gebirgsrückens überall die kritischen Werte überschritten sind. Am gesamten Gebirgszug hat damit der Föhn eingesetzt. Verschiedene Missdeutungen bei der Temperaturerhöhung gerade des Südföhns verlangen eine genaue Analyse. Grundsätzlich hängt die adiabatische Erwärmung der Luft davon ab, dass die Atmosphäre zwischen der Talstation und dem Gebirgsgrat stabil stratifiziert ist. Vor allem an Sommertagen mit einer tiefen und gut durchmischten Grenzschicht und superadiabatischen Gradienten in der Nähe des Bodens ist der Föhn kühler als die Luft, die er verdrängt. Daher wird die grundsätzliche Erwärmung und Trocknung der Föhnluft aufgrund des Abstiegs auf der Lee-Seite eines Gebirges mit der Tatsache verwechselt, dass Föhnluft wärmer und trockener als die Luftmasse ist, die dieser auswechselt. Dies belegen Statistiken, die bei Südföhn in Innsbruck einen deutlichen erhöhten Trend der Temperaturmaxima in den Sommermonaten belegen. Für die Alpensüdseite ist der Effekt von Nordföhn aber durch die Kaltluftadvektion überschattet. Dagegen ist die Südströmung bei Südföhnlagen für den Bereich der Ostalpen im Raum von Tirol mit der Wirkung des Föhns als Südwind immer durch eine entsprechende Erhöhung der Temperaturmaxima charakterisiert. Folgeerscheinungen. Föhnmauer, Föhnfenster und Föhnsturm. Typisch für die Föhnlage ist eine markante Wolkenwand – die "Föhnmauer" – vor fast blauem Himmel, dem "Föhnfenster". Die Föhnmauer steht als Wolkenwand über dem Kamm, an dem der Fallwind dann herunterströmt. Das Föhnfenster ist die durch Trocknung ausgeblasene Schönwetterzone. Bei hohen Windgeschwindigkeiten des Föhnwindes spricht man vom "Föhnsturm". Dabei kann die Föhnmauer auf die Leeseite hereinbrechen und dort zu Niederschlägen führen. Am Ende der Föhnwirkung steht eine zweite Föhnmauer an der Kaltfront des auslösenden Tiefdruckgebietes. Ihr Vorrücken wird durch den Gegenwind des Föhns aufgehalten. Bricht der Föhn zusammen, rückt diese zweite Föhnmauer rasch vor und bringt das Föhnfenster zum Verschwinden. Stauniederschläge. Dass implizierte Stauniederschläge kein Muss bei Föhn sind, geht aus der Statistik von Fliri (1984) eindeutig hervor. Bei Südföhn ist nur ca. 70 % Niederschlagswahrscheinlichkeit am östlichen Alpensüdrand, 80 % im westlichen Teil mit Maxima von 90 % im Tessin, wo die Niederschlagsintensitäten auch größer sind. Dass der Fall aber nicht ganz einfach ist und ein thermodynamischer Effekt mit Aufsteigen von Bodenluft aus dem Po-Becken unter Umständen eine Rolle spielt, wenn auch lokal beschränkt, konnte in einem partiellen Widerspruch zu bisherigen Ergebnissen gezeigt werden. Für Teile der Westalpen kann daher die feuchtadiabatische Komponente eine Rolle spielen. Während des ALPEX-Programms wurde die Existenz eines Kaltluft-Pools an der Alpensüdseite bestätigt. Damit setzte sich die nicht ganz neue Theorie von Hann (1866) gegenüber der von Ficker und De Rudder (1943) durch. Hier ist die Luft der unteren Schichten im Pool gefangen und tritt nicht über den Alpenhauptkamm. Diese Luft wird daher auch Totluft genannt. Leewellen und Föhnlinsen. Auf der Leeseite des Gebirges gerät die strömende Luft in Schwingungen. Diese Leewellen werden bei ausreichender Luftfeuchtigkeit durch die Bildung von charakteristischen Wolken, den "Föhnlinsen" ("Altocumulus lenticularis", kurz "Ac lent"), sichtbar. In den Leewellen können Segelflugzeuge auf über 10.000 m steigen. So gleichen die atmosphärischen Wellenstörungen, die durch orografische Hindernisse gebildet werden, den Schwerewellen der Wasseroberfläche. Während sich nun eine Meereswelle weiterbewegt und das Wasser still steht, ist es mit "mountain waves" genau umgekehrt: Während die Welle im Wesentlichen stationär bleibt, bewegt sich die Luft durch sie hindurch. "Mountain waves" können überall dort auftreten, wo eine starke Strömung in einer stabilen Atmosphäre auf eine Barriere trifft. Praktisch genutzt werden die Wellen im Segelflug. Im Aufwindbereich können große Höhen ohne Motorkraft erreicht werden. Die damit einhergehende Turbulenz stellt jedoch für Luftfahrzeuge wie z. B. Gleitschirme und Drachen, eine ernstzunehmende Gefahr dar. Föhneffekte an Geländestufen, Mittelgebirgen. Weniger bekannt, in der Praxis aber recht verbreitet, sind schwächere Föhneffekte im Lee von niedrigeren Geländestufen und Mittelgebirgszügen. Typischerweise treten solche Effekte bei starker Warmluftadvektion in den Wintermonaten auf. Die warme Luftmasse kann sich mangels Sonneneinstrahlung und aufgrund von Nebel/Hochnebelbildung nicht bis in die tiefen Lagen durchsetzen, es kommt zur Ausbildung einer starken, aber nur wenige hundert Meter flachen Temperaturinversion. Ist die großräumige Luftströmung von einer Hochfläche oder einem Mittelgebirgszug in Richtung Tiefebene gerichtet, so wandert die bodennahe Kaltluftschicht in Richtung Tiefland ab und wird durch die wärmere und trockenere Luft aus höheren Luftschichten ersetzt. Hier kommt es zur Auflösung tiefer Wolkenschichten bei deutlich verbesserter Sicht und höheren Temperaturen. Diese Effekte treten großräumiger auf, sind nicht auf einzelne Täler begrenzt und können sich noch relativ weit von der Geländeschwelle entfernt bemerkbar machen. Die Windgeschwindigkeit nimmt dabei nur unwesentlich zu. Typische Regionen mit Föhneffekten sind: in Deutschland Optischer Vergrößerungseffekt. Ein Föhn bewirkt, dass wenige Partikel in der Luft sind und diese "reinere" Luft dann eine verbesserte Fernsicht auf die Berge bietet. Die Atmosphäre wirkt zudem wie ein Vergrößerungsglas, da die Dichte der Luft mit zunehmender Höhe abnimmt und somit auch der Brechungsindex verringert wird. Das führt zu einer Ablenkung des Lichtes, sodass Objekte größer oder näher erscheinen. Dieser Effekt wird beim Föhn durch die nach oben zunehmende Temperatur, die zu einer weiteren Abnahme der Dichte führt, noch einmal verstärkt.
1700
885585
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1700
F.D.P.
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92908
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1701
Fichtelgebirge
Das Fichtelgebirge () ist ein bis zu 1051 Meter hohes Mittelgebirge im Nordosten Bayerns in Deutschland und im Nordwesten Tschechiens. Im Jahre 1971 wurde auf einer Fläche von 1020 km² der Naturpark Fichtelgebirge geschaffen. Kleinere Teile davon befinden sich im "Přirodní park Smrčiny" (deutsch: Naturpark Fichtelgebirge) im Nordwesten Tschechiens. Der südliche Bereich des Naturraumes Fichtelgebirge, der Steinwald, liegt im Naturpark Steinwald. Etymologie. Der Ursprung des Namens Fichtelgebirge ist wahrscheinlich im Bergbaugeschehen zu suchen und kommt nicht – wie lange vermutet – von der dichten Fichtenbewaldung. Zum Zeitpunkt der Namensentstehung war, wie Pollenanalysen zeigen, im nordbayerischen Raum ein Buchen-Tannen-Fichten-Mischwald vorhanden. Erst infolge des Erzbergbaus und der Verhüttung der Metalle wurden die Laubholzarten stark dezimiert, und die schneller wachsende Fichte wurde als Rohstofflieferant angepflanzt. Zunächst war der in einer Urkunde von 1317 genannte „Vythenberg“ nur der heutige Ochsenkopf, an dem sich das Bergwerk Sankt Veit befand – „Vyt“ entspricht dem heutigen „Veit“. Aus dessen Namen entwickelte sich das Wort „Vichtel“ oder „Fichtel“, das sich später auf das gesamte Gebiet des heutigen Fichtelgebirges übertrug. Geographie. Lage. Das Fichtelgebirge bedeckt eine Fläche von rund 1600 Quadratkilometern. Der weit überwiegende Teil erstreckt sich auf den Osten des bayerischen Regierungsbezirks Oberfranken (Landkreise Wunsiedel, Hof und Bayreuth) und im Südosten hat es Anteil am bayerischen Regierungsbezirk Oberpfalz (Landkreis Tirschenreuth). Seine nord- sowie südöstlichen Teile sind tschechisches Territorium (zur Lage im Bezug auf umliegende Gebirge siehe Naturräumliche Gliederung). Berge. Im nordwestlichen Schenkel des Fichtelgebirgshufeisens liegt dessen höchster Berg, der Schneeberg (1051 m), westlich vorgelagert ist der langgezogene Bergrücken der Hohen Heide mit dem gleichnamigen Gipfel Hohe Heide (848 m). Dort liegen auch der Waldstein mit dem Großen Waldstein (877 m) und dem markanten Epprechtstein (798 m) sowie das Massiv des Kornbergs mit dem Großen Kornberg (827 m). Der Selber Forst mit dem Wartberg (688 m) und der Liebensteiner Forst mit dem Kühbühl (661 m) bildeten bis 1945 noch einen abschließenden Nordostschenkel. Heute besteht dieser Schenkel aus dem Selber Forst und der "Polenská vrchovina" (deutsch etwa: Hirschfelder Hochland) mit dem "Goethův vrch" (deutsch: Goethestein; 670 m). Im südöstlichen Schenkel liegen der Steinwald mit der Platte (946 m), der Reichsforst mit dem Steinberg (705 m) und der Kohlwald mit dem Sieben-Linden-Berg (643 m) auf deutscher und dem "Výhledy" (deutsch: Oberkunreuthberg; 656 m) auf tschechischer Seite. Im südwestlichen Teil zwischen den beiden Schenkeln befinden sich der Ochsenkopf (1024 m), die Kösseine (939 m), die plateauartige Königsheide mit dem Hohberg (863 m) und die Nasse Heide (Kreuzsteingruppe) mit dem Kreuzstein (838 m) (für weitere Berge siehe Berge im Hohen Fichtelgebirge und Berge auf der Selb-Wunsiedler Hochfläche). Naturräumliche Gliederung. Zusammen mit Thüringer Wald, Thüringer Schiefergebirge und Frankenwald bildet das Fichtelgebirge die naturräumliche Haupteinheitengruppe Thüringisch-Fränkisches Mittelgebirge (Haupteinheitengruppe Nr. 39). Das im Grundriss hufeisenförmige Fichtelgebirge im engeren Sinne ist die Haupteinheit Hohes Fichtelgebirge (Haupteinheit Nr. 394), das die Selb-Wunsiedler Hochfläche (Haupteinheit Nr. 395) mit dem Selber Forst von Nordwesten, Südwesten und Südosten umgibt. Als naturräumliche Untereinheiten werden der Abschnitt von Kornberg mit Waldstein als Nordkamm (394-A), der Abschnitt von Schneeberg, Ochsenkopf, Königsheide und Kösseine als Westkamm (394-A), der Abschnitt von der Kösseine zum Steinwald als Pilgramsreuther Sattel (394-B), der Steinwald mit Reichsforst (Nördlicher Steinwald) als Steinwald (394-C), der Kohlwald als Lausnitzer Randberge (394-D) bezeichnet und die Selb-Wunsiedler Hochfläche in das Selb-Wunsiedler Hügelland (395-A) und den Selber Forst (395-B) unterteilt. Seit September 2010 existiert ein Neuentwurf der Naturräume Nordostbayerns, in dem unter anderem das Hohe Fichtelgebirge in mehrere eigenständige Naturräume aufgeteilt wird. Am Nordostrand des Fichtelgebirges schließen sich der Rehauer Forst und das Elstergebirge mit Übergang zum Erzgebirge an, am Südostrand folgt der Oberpfälzer Wald. Nach Nordwesten und Norden lassen sich der Frankenwald und das Vogtland geologisch klar abgrenzen. Gleiches gilt für das im Südwesten angrenzende Fränkische Bruchschollenland. Traditionell wird zumindest der südöstliche Teil der Münchberger Hochfläche dem Fichtelgebirge zugeschlagen, jedoch ist diese geologisch anders aufgebaut als das Fichtelgebirge und wird daher als eigenständige naturräumliche Einheit angesehen. Somit grenzt der Frankenwald nicht unmittelbar an das Fichtelgebirge. In der geomorphologischen Gliederung des Nachbarlandes Tschechien, in der kein Elstergebirge definiert ist, werden stattdessen "Ašská vrchovina" (deutsch: Ascher Bergland), "Hazlovská pahorkatina" (deutsch: Haslauer Hügelland) sowie "Chebská pahorkatina" (deutsch: Egerer Hügelland) dem Fichtelgebirge als Haupteinheit "Smrčiny" (I3A-1) zugeordnet. Es wird zusammen mit dem Erzgebirge dem Gebiet "Krušnohorská hornatina" (Erzgebirge im weiteren Sinne) und zusammen mit dem Egergraben der Subprovinz "Krušnohorská subprovincie" (Erzgebirgs-Subprovinz) zugeordnet. Weitere übergeordnete Einheiten (in aufsteigender Rangfolge) sind die Provinz Böhmische Masse ("Česká vysočina"), das Untersystem Herzynisches Gebirge (in etwa vergleichbar mit der Mittelgebirgsschwelle zuzüglich der Südwestdeutschen Tafel) und das System Herzynisches System (umfasst zudem Regionen über begrabenem Varistikum nördlich der Mittelgebirgsschwelle). Wichtige Orte und Verkehr. Zu den bedeutendsten Orten im Fichtelgebirge gehört Wunsiedel, die Kreisstadt des gleichnamigen Landkreises, das vollständig im Fichtelgebirge liegt und auch den größten Flächenanteil daran hat. Die mit deutlich über 10.000 Einwohnern größten Städte sind Marktredwitz und Selb (für weitere Orte siehe Städte und Gemeinden). Größere Städte in unmittelbarer Umgebung sind Hof im Norden, Bayreuth im Westen, "Cheb" (dt. Eger) im Osten und Weiden im Süden. Mit den Autobahnen A 72 im Norden, A 9 (Abschnitt Hof–Bayreuth) im Westen und A 93 (Abschnitt Hof–Weiden) im Osten tangieren bzw. kreuzen drei bedeutende Verkehrsadern das Fichtelgebirge. Die wichtigste Ost-West-Achse ist die B 303 (E 48). Sie führt über Marktredwitz und verbindet die A 9 mit der A 93. Dieser Abschnitt der B 303 wird auch Fichtelgebirgsstraße genannt. Ab Schirnding verläuft sie als Staatsstraße 6 über Cheb weiter nach Nordosten. Ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt im Fichtelgebirge ist der Bahnhof Marktredwitz mit Anbindung an Hof, Bayreuth und Cheb sowie Direktverbindungen nach Regensburg, Nürnberg und München. Über Selb-Plößberg im Nordosten des Fichtelgebirges führt die Bahnstrecke Cheb–Oberkotzau. Daneben ist mit der Bahnstrecke Bayreuth–Warmensteinach noch eine von ehemals sieben Stichstrecken ins Fichtelgebirge noch bis Weidenberg in Betrieb, ehemals führten auch Bahnstrecken nach Bischofsgrün, Gefrees, Zell, Weißenstadt, Leupoldsdorf und Fichtelberg. Mit dem Verkehrslandeplatz Hof-Plauen befindet sich nahe dem Fichtelgebirge ein kleiner Regionalflughafen. Städte und Gemeinden. Bayern. Die Stadtgebiete der als Oberzentren eingestuften kreisfreien Städte Hof und Bayreuth liegen einige Kilometer außerhalb des Fichtelgebirges. Folgende Gemeinden begrenzen das physische Fichtelgebirge von außen im Gegenuhrzeigersinn, beginnend im Norden: Im Inneren des Fichtelgebirges liegen die folgenden Gemeinden , darunter der gesamte Landkreis Wunsiedel im Fichtelgebirge: Tschechien. Ortschaften in Tschechien im und am Fichtelgebirge (alle im "Okres Cheb"): Hydrographie. „Nabel Deutschlands“ oder „Herzbrunnen Europas“ nannte man in früherer Zeit das Fichtelgebirge, denn dort entspringen vier bedeutende Flüsse, die in vier Himmelsrichtungen abfließen: Über das Mittelgebirge verläuft die Europäische Hauptwasserscheide zwischen Nordsee (Saale, Eger und Main) und Schwarzem Meer (Naab). Viele Teiche und Weiher, die für die Fischzucht oder für die Wasserversorgung der ehemaligen Hammerwerke und Mühlen angelegt wurden, sind noch vorhanden. Künstliche Stauseen, teilweise für Erholungszwecke geschaffen, sind Größere Teich- bzw. Weiheranlagen sind der Zahlreiche Moore und Sümpfe, die unter Naturschutz stehen, sind wertvolle Wassersammler. Ausreichende Quellen versorgen die Einwohner mit gutem Trinkwasser. Weiter entfernte Städte wie Hof/Saale, Bayreuth oder Eger (Cheb) beziehen Trinkwasser aus dem Fichtelgebirge. An größeren Hochmooren sind noch vorhanden: Die Moorgebiete wurden früher wirtschaftlich für die Gewinnung von Torf für Brennzwecke genutzt, sie sind heute Naturschutzgebiete. Geologie. Granit. Geologisch besteht der Gebirgsstock im Wesentlichen aus Granit. Die Geschichte seiner Orogenese beginnt im Präkambrium etwa vor 750–800 Millionen Jahren – fast 20 % der Erdgeschichte, was nur auf wenige der noch bestehenden Rumpfgebirge zutrifft. Damals war das Gebiet von Meer bedeckt und Flüsse transportierten die Sedimente vom heute nicht mehr vorhandenen Gebirge vor die Küsten, wo es sich in Ton- und Sandschichten, teilweise auch als Kalkstein ablagerte. Am Beginn des Kambriums (vor rund 570 Millionen Jahren) wurden die Schichten gefaltet und als neues Gebirge aus dem Meer herausgehoben. Hohe Temperaturen und Druckkräfte während dieser bis ins Oberkarbon andauernden Gebirgsbildung machten aus den Gesteinen Metamorphite, das heißt, sie wurden in Zusammensetzung und Struktur verändert: aus Ton entstand Phyllit und Glimmerschiefer, aus Sanden Quarzite und aus den Kalken der Wunsiedler Marmor. Durch heftige Erosion (das „junge“ Gebirge mag einige Kilometer hoch gewesen sein) sank es bald wieder unter den Meeresspiegel ab. Variszikum. Im Silur, Devon und Unterkarbon erfuhren lagerten sich in jenen Bereichen der Erdkruste, zu denen unter anderem das heutige Fichtelgebirge und der Frankenwald gehören, mächtige Tiefsee-Sedimente sowie Tiefseevulkanismus (mit Erzbildung) ab. Diese Ablagerungen und Vulkanite sind in ihrer annähernd ursprünglichen Ausprägung, einschließlich gut zur Datierung heranziehbarer Fossilien, besonders gut im Frankenwald erhalten, da sie dort keiner oder einer nur sehr niedriggradigen Metamorphose (Anchimetamorphose) unterlagen. Im Oberkarbon vor 285 Millionen Jahren setzte die Endphase der Variszischen Gebirgsbildung ein und die Sedimente und Vulkanite wurden gefaltet. Diese Orogenese ist nach Hofs lateinischem Namen (und dem Volk der Varisker?) "Curia variscorum" benannt. Nachfolgend drangen in mehreren Schüben glutflüssige Schmelzen in die gefalteten Gesteine ein, wo sie tief unter der damaligen Erdoberfläche zu den heutigen Graniten erstarrten. Durch die Platznahme der Granite wurde das Nebengestein meist nur gering kontaktmetamorph überprägt. Aus den Restschmelzen mit deren erzhaltigen Fluiden entstanden die Pegmatite, die Sammlern und Wissenschaftlern reiche Mineralvorkommen bescherten, sowie Erz- und Mineralgänge, die Basis für den Bergbau im Mittelalter und in der Frühphase der Industrialisierung. Nach Ende der Orogenese, noch während des Oberkarbons sowie im Unteren Perm (Rotliegend) lagerten sich große Mengen Gesteinsschutt in intramontanen Becken und im Vorland des Gebirges ab. Die Becken waren durch eine Dehnungstektonik entstanden, die von einem intermediären bis sauren Vulkanismus begleitet wurde. Die Sedimente des Rotliegenden sind nur an wenigen Stellen aufgeschlossen, können jedoch durch Bohrungen unter dem mesozoischen Deckgebirge südwestlich der Fränkischen Linie weiträumig nachgewiesen werden. Die postvariszischen Vulkanite bilden im Fichtelgebirge Quarzporphyrgänge. Zusammenhänge zur Alpenbildung. Im Neogen (Jungtertiär, Beginn vor 26 Millionen Jahren) nahm die Tektonik wieder zu, gerade als die alpidische Gebirgsbildung (Alpen, Karpaten usw.) langsam zu Ende ging. In dieser Zeit gerieten Teile dieses und anderer alter Gebirge (siehe Böhmisch-Mährische Höhe oder die Böhmische Masse im Alpenvorland) teilweise unter jüngere Gesteine. Im oberen Miozän, vor zehn Millionen Jahren, brachen im Zuge der Bildung des Egergrabens Basaltschmelzen in der nördlichen Oberpfalz durch. Durch Erosion freipräparierte Überreste ehemaliger Förderschlote sind z. B. am Rauhen Kulm oder am Parkstein bei Weiden vorhanden. Basaltische Decken, also flächenhafte Lavaergüsse dünnflüssiger Lava, sind beispielsweise am Teichelberg bei Pechbrunn zu beobachten. Diese basaltischen Decken sind jedoch nicht mit tektonischen Deckenbildungen zu verwechseln. Das Bild der heutigen Landschaft entstand im jüngeren Pliozän vor etwa 5 Millionen Jahren: Eine schon früh entstandene fränkische Verwerfungslinie kam wieder unter Druck und an ihr entlang hoben sich Fichtelgebirge, Frankenwald, die Münchberger Gneismasse und der nördliche Oberpfälzer Wald. Diese letzte Hebung unterlag erneut der Erosion und die Flüsse schnitten sich tief in das schon früher fast eingeebnete Gebirge ein. So wurde aus einer Hochfläche die heutige Struktur: ein von allen Seiten angenagtes Mittelgebirge mit langer, wechselhafter Geschichte. Es stellt ein, allerdings oft schwierig deutbares, Eldorado für Geowissenschaftler der verschiedenen Disziplinen dar. Wichtigste Gesteine im Fichtelgebirge. Der Granit (lat. granum "Korn" für Körnung) und seine Abkömmlinge machen etwa 40 % der Gebirgsfläche aus. Dieses so feste, aber dennoch wasserhaltige Gestein baute die höchsten Erhebungen auf. Sein ernster Charakter und die früh entwickelte Industrie prägen Landschaft und Leute. Es gibt nachstehende Granitarten: Bergbau. Bereits seit dem frühen Mittelalter betrieb man im Fichtelgebirge Erzbergbau. Abgebaut wurden vor allem Gold, Zinn, Eisen, Minerale, Erden und Steine (Basalt, Braunkohle, Diabas, Granit, Lehm, Marmor, Speckstein, Ton, Torf). In jüngerer Zeit entdeckte man Uranerzlagerstätten. In Hammerwerken (siehe Ortsnamensendungen mit -hammer) an den Fichtelgebirgsflüssen, in Schmelzöfen und Schmiedebetrieben erfolgte die Weiterverarbeitung der Metalle. Die Wälder des Fichtelgebirges lieferten das erforderliche Holz für die Herstellung von Holzkohle. Im Dreißigjährigen Krieg lag der Bergbau darnieder, die Erzlagerstätten waren weitgehend ausgebeutet. Alexander von Humboldt versuchte im 18. Jahrhundert, den Bergbau nochmals zu beleben. Viele Städte und Orte (z. B. Wunsiedel, Weißenstadt, Arzberg, Fichtelberg-Neubau, Goldkronach) verdanken ihre Entstehung dem Bergbau. Einen Einblick in die Bergbaugeschichte des Fichtelgebirges vermitteln In Großschloppen im Landkreis Wunsiedel wurde von 1978 bis 1989 – zunächst von der Esso Erz GmbH und später von der Saarberg-Interplan Uran GmbH – nach Uranerz gesucht. 1987 wurden Pläne bekannt, dort ab Ende 1990 Uranerz abzubauen und eine Uran-Anreicherungsanlage mit 500 Tonnen Jahreskapazität zu errichten. Zwischen 1984 und 1987 waren bereits 18.000 Tonnen uranhaltiges Erz abgebaut worden. Traditionen. Von den Hugenotten wurde die Osterdekoration der Brunnen ("Osterbrunnen") in Form einer Lilie (Emblem der Bourbonen-Könige) eingeführt (so ein Artikel im April 2007 in der "Fränkischen Post"). Das Wunsiedler Brunnenfest, das größte Heimatfest in der Kreisstadt, hat mit den Osterbrunnen nichts gemeinsam, es hat eine andere Entstehungsgeschichte. Die traditionell auf der Freilichtbühne der Luisenburg bei Wunsiedel stattfindenden Luisenburg-Festspiele gehen bis in das 17. Jahrhundert zurück. In vielen Städten des Fichtelgebirges finden jährlich so genannte Wiesenfeste statt, die von den Schulen durchgeführt werden mit themenorientierten Umzügen, Volkstänzen und Spielen. Mundarten. Quer durch das Fichtelgebirge verläuft von Nordosten nach Südwesten die Dialektgrenze zwischen dem (Ost-)Fränkischen Dialekt im Norden und Westen sowie dem (nord-)bairischen beziehungsweise Oberpfälzer Dialekt im Osten und Süden. Die Dialektgrenze stimmt nicht mit der Grenze der Regierungsbezirke Oberfranken und Oberpfalz überein, sondern es wird auch z. B. im oberfränkischen Kreis Wunsiedel zum Teil bairisch gesprochen. Nachkommen Vertriebener, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus Böhmen, Mähren, Schlesien und Ostpreußen ins Fichtelgebirge kamen, haben einen bedeutenden Anteil an der Bevölkerung. Wirtschaft, Tourismus und Gesundheit. Während der Bergbau nur noch von historischem Interesse ist, werden an zahlreichen Orten im Fichtelgebirge noch Glaswaren erzeugt, die man dort auch günstig kaufen kann. International bekannt und deutschlandweit führend ist die Porzellanindustrie, deren Zentrum die Stadt Selb ist. Firmen wie Rosenthal oder Hutschenreuther genießen Weltgeltung. Weitere Unternehmen widmen sich der Kunststoffherstellung, dem Maschinenbau und der Metallerzeugung, der Textilverarbeitung und gehören zum Ernährungsgewerbe. Steinbearbeitungsbetriebe verarbeiten einheimischen und ausländischen Granit. Hochinnovative Unternehmen sind in den Bereichen Green-Tech und Neue Materialien vorhanden. Der Tourismus stellt heute für viele Gemeinden im Fichtelgebirge die Haupteinnahmequelle dar. In einigen Orten wie beispielsweise Bischofsgrün hat der Tourismus eine lange Tradition seit den 1920er-Jahren; nach dem Zweiten Weltkrieg nahm der Zustrom der Urlaubsreisenden sowohl im Sommer zum Wandern als auch im Winter für den Wintersport stark zu. Das Fichtelgebirge entwickelte sich zu einem der „Hausgebirge“ der West-Berliner, die über die seinerzeit als Transitstrecke fungierende A 9 anreisen konnten. Dies hat sich mit der Wiedervereinigung und einem veränderten Angebot an Mittelgebirgs-Ferienlandschaften verändert. Im Winter hat das Fichtelgebirge eine auch überregionale Bedeutung als Wintersportgebiet. Mehrere Lifte, zwei Sessellifte am Ochsenkopf und gespurte Loipen bilden die Grundlage hierfür. Kur- und Rehabilitationseinrichtungen befinden sich in Bad Berneck (Kneippheilbad), Bischofsgrün (Heilklimatischer Kurort), Bad Alexandersbad (Mineral- und Moorbad) und Weißenstadt (Kurhotel mit Radonbad). Mineralquellen gibt es in Bad Alexandersbad, Kothigenbibersbach (Gemeinde Thiersheim), Blumenthal bei Selb, Hohenberg an der Eger, König-Otto-Bad (Markt Wiesau) und Kondrau (Stadt Waldsassen). Objekte von geotouristischem Interesse und Wanderziele sind unter anderem das Luisenburg-Felsenlabyrinth oder der Teufelstisch am Roten Schloss auf dem Großen Waldstein. Flora und Fauna. Der Siebenstern ist die Symbolpflanze des Fichtelgebirges. Am 30. Dezember 2011 erbrachte eine Kamerafalle am Schneeberg den Beweis für die Anwesenheit eines Wolfs im Fichtelgebirge. 1882 war im Fichtelgebirge letztmals in Bayern ein Wolf getötet worden. Geschichte. Bis in das 19. Jahrhundert wurden Schneeberg, Ochsenkopf mit Königsheide und Kösseine als „Centralgruppe“ bezeichnet, während die Nordwest- und Nordostflanke aus Waldstein, Kornberg, Selber Forst und Liebensteiner Forst als „Waldsteiner Kette“ und die Südostflanke aus Steinwald, Reichsforst und Kohlwald als „Weißensteiner Kette“ bezeichnet wurden. Besucher. Johann Wolfgang von Goethe. Johann Wolfgang von Goethe schrieb in einem Brief an Charlotte von Stein „Der Granit lässt mich nicht los!“ Der Dichter und Naturwissenschaftler unternahm drei Reisen in das Fichtelgebirge, bei denen er sich ernsthaft mit naturwissenschaftlichen Problemen auseinandersetzte. Zwei seiner Reisen verband er mit Fahrten von Weimar nach Karlsbad, die letzte unternahm er eigens von Eger aus ins Fichtelgebirge. Erste Reise 1785. Begleitet wurde er von Karl Ludwig von Knebel und Friedrich Gottlieb Dietrich. Am 30. Juni 1785 führte die Reise von Hof über Marktleuthen nach Wunsiedel, noch am gleichen Tag wurden der Katharinenberg und Alexandersbad besucht. Bei einer Fußtour ging es am 1. Juli von Wunsiedel über Leupoldsdorf zum Seehaus (damals Zechenhaus genannt), nach Karches und zur Weißmainquelle (damals Fürstenbrunnen genannt), dann zum Gipfel des Ochsenkopfes, wo unterwegs die seltene Pflanze Sonnentau bewundert wurde. Der Rückweg ging über den Seehügel hinüber zum Nußhardt und zum Weißen Fels, dann über Vordorfermühle und Vordorf (jetzt zur Gemeinde Tröstau gehörend) nach Wunsiedel zurück. Goethe fertigte dabei einige Zeichnungen von Felsformationen an und trieb geologische Studien. Der 2. Juli war ein Regentag, weshalb nur einige Besichtigungen in Wunsiedel stattfanden. Der 3. Juli war der Luisenburg (damals noch Luxburg genannt) und dem Burgsteinfelsen gewidmet, wobei wieder einige Zeichnungen von der Granitverwitterung entstanden. Die Weiterreise am 4. Juli führte über Holenbrunn, Göpfersgrün, Thiersheim, Schirnding und Mühlbach nach Eger. Goethe zeigte lebhaftes Interesse an den „geologischen Merkwürdigkeiten“ Marmor, Speckstein und Basalt, die am Reiseweg vorkamen. Zweite Reise 1820. Als 71-Jähriger befand er sich wieder auf einer Fahrt in die westböhmischen Bäder, ein Abstecher brachte ihn am 25. April nach Alexandersbad, wo er im Alten Schloss logierte. Nach dem Mittagessen begab er sich auf die Luisenburg, die nun durch Wege weitgehend erschlossen war. Er erklärte die Entstehung des Felsenlabyrinths als einen ganz langsam ablaufenden Verwitterungsprozess. Am 26. April folgte die Weiterreise nach Karlsbad. Dritte Reise 1822. Am 13. August kam Goethe über Eger, Waldsassen und Mitterteich nach Marktredwitz, um die berühmte Chemische Fabrik von Wolfgang Kaspar Fikentscher zu besichtigen; begleitet wurde er von Joseph Sebastian Grüner, Magistrat- und Polizeirat in Eger. Bis zum 18. August wurde die Quecksilberherstellung begutachtet und die Glashütte bei Brand aufgesucht, wo 17 Arbeiter große Fenstertafeln herstellten; es folgten chemische und pyrotechnische Versuche. Es hat den Anschein, dass es dem 73-jährigen Goethe wegen der Fikentscher-Töchter in Marktredwitz besonders gut gefallen hat. Alexander von Humboldt. Der Universalgelehrte Alexander von Humboldt wurde als 22-Jähriger im Jahr 1792 in die damals preußisch gewordenen Fürstentümer Ansbach und Bayreuth entsandt, um den Bergbau zu modernisieren. Bis 1795 wirkte er in Arzberg, Goldkronach und Bad Steben, wo es ihm gelang, in kurzer Zeit den Bergbau wieder aufzunehmen, den Grubenbau zu erneuern und moderne Abbaumethoden einzuführen. Bergbauschulen gründete er in Arzberg, Goldkronach und Bad Steben und er richtete eine Bergbau-Hilfskasse für verunglückte Bergleute ein. Friedrich Wilhelm III. und seine Gemahlin Luise. Seit 1791 gehörte das Fürstentum Bayreuth zu Preußen, ehe es 1806 französischer Herrschaft unterstellt und 1810 an das Königreich Bayern verkauft wurde. Das preußische Königspaar Friedrich Wilhelm III. und Luise von Mecklenburg-Strelitz besuchte das Fichtelgebirge, wo es in Alexandersbad wohnte, im Sommer 1805. Königin Luise schwärmte von der Schönheit der Landschaft, der Natur und den Menschen. „All die schönen Berge, die hier in der Nähe sind, haben wir alle bereist, außer Schneeberg und Ochsenkopf, weil der Schnee sie erst vor 14 Tagen verlassen hat und sie daher sehr sumpfig waren“ schrieb sie ihrem ältesten Sohn Friedrich Wilhelm. Allein die Luxburg (ihr zu Ehren in Luisenburg umbenannt) mit dem „unglaublichen“ Felsenlabyrinth habe sie dreimal bestiegen.
1702
2154445
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1702
Flörsheim am Main
Flörsheim am Main ist eine Stadt mit  Einwohnern () im südhessischen Main-Taunus-Kreis. Sie liegt zentral im Rhein-Main-Gebiet zwischen Frankfurt am Main und Mainz bzw. Wiesbaden. Die Stadt besteht aus den Ortsbezirken Flörsheim-Stadtmitte, Weilbach, Wicker und Keramag/Falkenberg. Geographie. Lage. Flörsheim liegt rechts des Untermains. Die Altstadt erstreckt sich entlang des Flusses. Flörsheims Stadtmitte liegt in der Mainebene auf . Deutlich höher liegen Weilbach mit und Wicker mit . So begründen natürliche Hanglagen die Wickerer Weinanbautradition als "Tor zum Rheingau" und den heute gern bemühten Begriff der "Flörsheimer Schweiz". Nachbargemeinden. Im Süden liegen gegenüber von Flörsheim-Stadtmitte die Städte Raunheim und Rüsselsheim am Main auf der linken Mainseite. Der Flörsheimer Ortsbezirk Weilbach grenzt im Nordosten an Hattersheim am Main und im Norden an Hofheim am Taunus. Der Ortsbezirk Wicker grenzt im Westen an Hochheim am Main und dessen Ortsbezirk Massenheim. Geologie. Im Stadtgebiet gab es mehrere Kalksteinbrüche und Gruben, die später teils als Mülldeponien genutzt wurden. Heute befindet sich im Bereich zwischen Wicker und Hochheim der Rhein-Main-Deponiepark. In jüngster Vergangenheit wurden Anstrengungen zur Renaturierung und Schaffung von Naherholung gemacht. Hydrologie. Aus nordöstlicher Richtung von Frankfurt her fließt der Main am Hattersheimer Ortsteil Eddersheim vorbei, wo der – im Ardelgraben in den Main mündende – Weilbach den Beginn der Flörsheimer Gemarkung markiert. Diesseits von Rüsselsheim beenden Überflutungswiesen, die – nach ihrer Vorgängerin "Opelbrücke" genannte – Mainbrücke und ein kleiner Industriehafen die ufernahe Wohnbebauung. Um den Hafen nimmt der Main eine Rechtsbiegung, bis sich im Mündungsbereich des Wickerbachs der Flörsheimer Ortsteil Keramag/Falkenberg anschließt, der weiter westlich an die Nachbargemeinde Hochheim grenzt. In Bad Weilbach entspringt eine Natron-Lithion- und in einem kleinen Parkgelände eine Schwefelquelle. Fluglärm. An- oder Abflugschneisen von drei der vier Startbahnen des östlich jenseits des Mains gelegenen Frankfurter Flughafens, führen über das bewohnte Stadtgebiet. Die Einwohner Flörsheims sind daher der Belastung von Fluglärm und Wirbelschleppen ausgesetzt. Teile des Flughafengeländes befanden sich bis 1980 als Wald im Eigentum der Stadt Flörsheim am Main. Neben der Belastung profitiert Flörsheim von seiner zentralen Lage nahe dem Flughafen, zwischen den großen Städten des Rhein-Main-Gebietes: Frankfurt am Main, Wiesbaden, Mainz und Darmstadt. Einwohner. Neben dem Neuzubau hat Flörsheim durch die Zusammenlegung zum Jahreswechsel 1971/1972 mit den vormaligen Nachbargemeinden Weilbach im Norden und Wicker nordwestlich seine heutigen Ausmaße und Einwohnerzahlen gewonnen. Geschichte. Frühgeschichte und Altertum. Ein am heutigen Flörsheim vorbeiführender frühgeschichtlicher Wanderungsweg wurde von den Römern zur Straße ausgebaut. Diese führte von Kastel über Hochheim, Flörsheim, Okriftel und Höchst in die Wetterau und weiter ins heutige Mitteldeutschland. Eine weitere Römerstraße zweigte zwischen Flörsheim und Weilbach nach Limburg an der Lahn ab. Das Straßenpflaster aus Kalkstein stammte aus Flörsheimer Steinbrüchen. Mittelalter. Die heutigen Stadtteile Flörsheim, Wicker und Weilbach entstanden aus Siedlungen der westgermanischen Volksgruppe der Franken. Flörsheim wurde im Jahr 828 erstmals urkundlich als "Flaritesheim" erwähnt. Der Ortsname könnte auf einen Franken namens „Flarido“ zurückgehen. Eine Schenkungsurkunde befindet sich im Hessischen Staatsarchiv Marburg. Erzbischof Hermann I. von Köln bestätigte im Jahr 922 seine Besitzungen im fränkischen Maingau. Er bezeichnete Flörsheim als "Flaradesheim" und Wicker als "Weleron". Wicker wurde urkundlich erstmals im Jahr 910 und Weilbach im Jahr 1112 erwähnt. Im Jahr 1270 wurde Flörsheim für 1050 Mark an das Mainzer Domkapitel verkauft. Um den Wasserverkehr auf dem Main zu kontrollieren, wurde Flörsheim im Verlauf des Mittelalters stark befestigt. Neuzeit. Die Hexenprozesse in Flörsheim dauerten von 1595 bis 1630. In Flörsheim, Weilbach und Wicker fielen über 71 Frauen, Männer und Kinder dem Hexenwahn zum Opfer. Zur „Bestreitung der Unkosten der wegen Ausrottung und Bestrafung des eingerissenen Lasters der Zauberei und Hexerei befohlenen Inquisition“ nahm die Gemeinde 1618 beim St.-Clara-Kloster in Mainz ein Darlehen auf, konnte aber keine Rückzahlungen leisten. Noch hundert Jahre später hatte die Stadt an der Schuldenlast zu tragen. Während des Dreißigjährigen Krieges wurde Flörsheim verwüstet, nachdem der schwedische König Gustav Adolf seinen Vormarsch auf Mainz 1631 vor Flörsheims Befestigungen unterbrechen musste. Nach achttägiger Einschließung durch die Schweden ergab sich Flörsheim und blieb bis 1636 besetzt. Auch die Kriege Friedrichs des Großen brachten Unheil über den Ort – aber auch die Industrialisierung. Im Jahr 1765 eröffnete der Mainzer Georg Ludwig Müller in Flörsheim eine Fayence-Fabrik mit etwa 80 Arbeitern. Das darin hergestellte Porzellan trägt als Marke drei große „F“ für „Flörsheimer Fayence-Fabrik“, die noch heute im Stadtwappen zu sehen sind. Die Fabrik bestand bis ins Jahr 1914. Lange Zeit bestanden enge Bindungen zu Mainz. Das änderte sich erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts während der Herrschaft Napoleons, als Flörsheim im Jahr 1803 dem Fürstentum Nassau-Weilburg – kurz danach – dem Herzogtum Nassau zugeschlagen wurde. Im Jahr 1839 wurde zwischen Wiesbaden und Frankfurt die Taunus-Eisenbahn als erste hessische Eisenbahn erbaut. Nach der Planung sollten auch Anschlussgleise nach Darmstadt führen. Der mit der Taunusbahn 1839 errichtete Bahnhof stammt vom Architekten Ignaz Opfermann. Er lag damals noch außerhalb der Altstadt und zählt zu den ältesten erhaltenen Bahnhöfen Deutschlands. 1875 wurde das Obergeschoss als Wohnung für den Bahnhofsvorsteher angebaut. Im Jahr 1865 wurde die Freiwillige Feuerwehr Flörsheim gegründet. Nach dem Deutschen Krieg von 1866 kam Flörsheim zum Königreich Preußen, welches das Herzogtum Nassau annektiert hatte. Im Jahr 1900 wurden in Flörsheim die ersten Telefonanschlüsse installiert, am 25. August 1914 erhielt der Ort elektrisches Licht. Im Ersten Weltkrieg hatte Flörsheim 104 Gefallene und 7 Vermisste zu beklagen. Nach dem Krieg besetzten französische Truppen am 1. Dezember 1918 den Ort. Die Franzosen hielten Flörsheim im Zuge der Alliierten Rheinlandbesetzung bis in die späten 1920er Jahre besetzt. Seit Gründung des Opel-Werkes in Rüsselsheim 1862 arbeiteten dort viele Menschen aus Flörsheim, Weilbach und Wicker. An die Fährverbindung, die sie nutzten, erinnern heute zwei Denkmäler aus rotem Mainsandstein direkt am Ufer, beiderseits des Mains. Die Statue des Brückenheiligen Nepomuk am Konrad-Adenauer-Ufer sollte bei der Überfahrt Schutz gewähren. Erst die am 26. August 1928 eingeweihte „Opelbrücke“ schuf eine Straßenverbindung nach Rüsselsheim. Diese Brücke wurde 1979 abgerissen und etwas weiter mainaufwärts durch eine größere Brücke mit vierspuriger Fahrbahn ersetzt. In der Nacht vom 18. auf den 19. Juli 1938 wurde der 1666 angelegte jüdische Friedhof von Flörsheim von Nationalsozialisten zerstört. Am 10. November 1938 wurde in der Reichskristallnacht auch die 1718 errichtete Flörsheimer Synagoge zerstört. Durch die Vertreibung und Ermordung der 52 Juden der Stadt war Flörsheim bis 1945 „judenfrei“. Im Zweiten Weltkrieg gingen in der Nacht vom 8. zum 9. September 1942 auf den Ort und die Gemarkung Flörsheim 29 Sprengbomben nieder. Durch den schweren Bombenangriff entstanden 26 Brände und 11 Gebäude – davon 9 Wohnhäuser – wurden völlig zerstört sowie 81 Gebäude, fast nur Wohnhäuser, schwer beschädigt. Fünf Menschen starben. Am 23. März 1945 sprengten deutsche Truppen die von Rüsselsheim über den Main führende Opelbrücke, um den Vormarsch amerikanischer Truppen aufzuhalten. Die Amerikaner marschierten dennoch am nächsten Tag in Flörsheim ein. Zeitgeschichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Auflösung des Freistaats Preußen durch die Alliierten im Jahr 1945 kam Flörsheim zum neu gebildeten Groß-Hessen, dem späteren Bundesland Hessen. Im Jahr 1953 erhielt Flörsheim das Stadtrecht. Am 31. Dezember 1971 wurden die bis dahin selbständigen Gemeinden Weilbach und Wicker im Zuge der Gebietsreform in Hessen auf freiwilliger Basis in die Stadt Flörsheim eingemeindet. Für die ehemals eigenständigen Gemeinden sowie für die Kernstadt wurden Ortsbezirke mit Ortsbeirat und Ortsvorsteher nach der Hessischen Gemeindeordnung gebildet. Am 1. Januar 1978 wurde der Name der Stadt amtlich in "Flörsheim am Main" geändert. Namensentwicklung. Die Namensendung auf „-heim“ deutet auf einen fränkischen Ursprung hin, während sich der erste Namensteil möglicherweise auf einen germanischen Personennamen wie „Flarid“ oder „Flarad“ zurückführen lässt. Die Zuordnung einer urkundlichen Erwähnung in einem Kartular des Klosters Fulda aus dem Jahr 828: „Tradidit Reginpraht ad Flaritesheim mancipia II“, deutsch: "Es übertrug Reginpraht zu Flörsheim zwei Hörige". zu Flörsheim am Main ist spekulativ. Urkundlich zweifelsfrei auf die Ortschaft am Main bezieht sich eine Benennung vom 11. August 922 durch Hermann I. von Köln. In der Urkunde werden als Besitzungen im „pago Moinacense“ – Gau am Main – „Flaradesheim“ – Flörsheim – und „Wikeron“ – Wicker – genannt. 1171 erschien im Lehnsbuch der Herren von Eppstein der Eintrag "dorff in Vlersheim". 1270 in der Beurkundung des Dorfverkaufs an das Domkapitel des Erzbistums Mainz zum 1. April wird das Dorf als "villam nostram Flersheim" bezeichnet. Seit 1. Januar 1978 heißt die Stadt amtlich Flörsheim am Main, nachdem zuvor schon abkürzende Schreibweisen wie Flörsheim/M, Flörsheim/Main oder Flörsheim a. M. gebräuchlich waren. Im örtlichen Dialekt heißt die Stadt „Flerschem“. Staats- und Verwaltungsgeschichte im Überblick. Die folgende Liste zeigt die Staaten und Verwaltungseinheiten, denen Flörsheim angehörte: Bevölkerung. Einwohnerstruktur 2011. Nach den Erhebungen des Zensus 2011 lebten am Stichtag dem 9. Mai 2011 in Flörsheim am Main 19.924 Einwohner. Darunter waren 1949 (9,8 %) Ausländer, von denen 843 aus dem EU-Ausland, 675 aus anderen Europäischen Ländern und 433 aus anderen Staaten kamen. Von den deutschen Einwohnern hatten 24,2 % einen Migrationshintergrund. Nach dem Lebensalter waren 3606 Einwohner unter 18 Jahren, 8811 waren zwischen 18 und 49, 44310 zwischen 50 und 64 und 45705 Einwohner waren älter. Die Einwohner lebten in 8847 Haushalten. Davon waren 2859 Singlehaushalte, 2583 Paare ohne Kinder und 2505 Paare mit Kindern, sowie 705 Alleinerziehende und 195W Wohngemeinschaften. In 1746 Haushalten lebten ausschließlich Senioren/-innen und in 6279 Haushaltungen leben keine Senioren/-innen. Einwohnerentwicklung.  Quelle: Historisches Ortslexikon Politik. Der konstitutionelle Aufbau der Stadt Flörsheim am Main richtet sich nach der Hessischen Gemeindeordnung und der Hauptsatzung der Stadt in der Fassung vom 8. November 2012. Sie bestimmt über die Mitgliederzahl der Stadtverordnetenversammlung und des Magistrats und über Einzelheiten der Aufgabenverteilung zwischen beiden Gremien. Grundsätzlich fungiert die Stadtverordnetenversammlung, aus von den Bürgern der Stadt gewählten Stadtverordneten, als oberstes Organ der kommunalen Selbstverwaltung. Der Magistrat besorgt als ausführendes Organ unter Vorsitz des Bürgermeisters die laufende Verwaltung der Stadt. Die Hauptsatzung regelt die Einteilung der Stadt in vier Ortsbezirke und legt die Größe der Ortsbeiräte auf jeweils neun Mitglieder sowie für den Ortsbeirat Keramag/Falkenberg auf fünf Mitglieder fest. Zudem wird ein Ausländerbeirat mit elf Mitgliedern eingerichtet. Die Stadt Flörsheim unterliegt nach der Hessischen Gemeindeordnung der Kommunalaufsicht durch den Landrat des Main-Taunus-Kreises. Stadtverordnetenversammlung. Die Stadtverordnetenversammlung ist das oberste Organ der Stadt. Ihre politische Zusammensetzung wird alle fünf Jahre in der Kommunalwahl durch die Wahlbevölkerung der Stadt bestimmt. Wählen darf, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat und Deutscher Staatsbürger im Sinne des Grundgesetzes oder Staatsangehöriger eines der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist. Für alle Wahlberechtigten gilt, dass sie seit mindestens drei Monaten in der Stadt gemeldet sein müssen. Die Kommunalwahl am 14. März 2021 lieferte folgendes Ergebnis: in Vergleich gesetzt zu früheren Kommunalwahlen: Es waren 37 Stadtverordnete sowie die Ortsbeiräte der Stadt für die Legislaturperiode vom 1. April 2021 bis 31. März 2026 zu wählen. Von 16.417 Wahlberechtigten gingen 8.405 zur Wahl. Somit stieg die Wahlbeteiligung von 51,0 Prozent im Jahr 2016 auf 51,2 Prozent im Jahr 2021. Bürgermeister und Magistrat. Nach der hessischen Kommunalverfassung wird der Bürgermeister für eine sechsjährige Amtszeit gewählt, seit 1993 in einer Direktwahl, und ist Vorsitzender des Magistrats, dem in der Stadt Flörsheim neben dem Bürgermeister der hauptamtliche Erste Stadtrat sowie zwölf ehrenamtliche Stadträte angehören. Bürgermeister ist seit 1. November 2018 Bernd Blisch (CDU). Er hatte sich am 27. Mai 2018 im ersten Wahlgang gegen seinen seit zwölf Jahren amtierenden Amtsvorgänger Michael Antenbrink (SPD) bei 49,3 Prozent Wahlbeteiligung mit 61,2 Prozent der Stimmen durchgesetzt. Die frühen Jahreszahlen beruhen auf urkundlichen Erwähnungen, die keinen Schluss auf die Spanne der jeweiligen Amtszeiten erlauben. Bürgerentscheide. Seit Einführung der Möglichkeit zu Bürgerentscheiden in Hessen am 1. April 1993 hat Flörsheim zweimal – am 6. Mai 2007 und am 13. Februar 2011 – über das Betreiben der Planfeststellung zum Bau einer Ortsumgehungsstraße entschieden. Beide Male hat sich die Bevölkerung mit knappen Mehrheiten für die Abstimmungsfrage ausgesprochen, die sich jeweils gegen die Planung einer Ortsumfahrung der Bundesstraßen B 40/519 wandten. Die Beteiligungsquote an den Bürgerentscheiden lag jeweils über 60 Prozent. Symbole. Wappen. Am 18. Juni 1951 wurde der Gemeinde Flörsheim durch das Hessische Innenministerium das Recht zur Führung eines neu gestalteten Wappens verliehen. Flagge. Am 17. Oktober 1952 wurde der Gemeinde Flörsheim am Main durch den Hessischen Innenminister die Führung einer Flagge genehmigt, die auf blauem Hintergrund das im Wappen dargestellte Schiff in stilisierter Form zeigt. Generalkonsulat. Das Königreich Lesotho unterhält in Flörsheim ein Honorargeneralkonsulat. Verkehr und Infrastruktur. Radwanderwege. Am Mainufer verlaufen mehrere Radwanderwege: Autobahnanbindung. Flörsheim ist über Weilbach im Norden direkt an die Wiesbaden und Frankfurt verbindende Autobahn A 66 angeschlossen. Über Rüsselsheim am Main und Hofheim-Wallau besteht Anschluss an die A 3, die das Flörsheimer Stadtgebiet ohne eigene Zufahrt in Ost-West-Richtung schneidet und Weilbach von dessen kleineren Teil Bad Weilbach trennt. Über die Anschlussstelle Hochheim-Nord erreicht man die Autobahn A 671. Nahverkehr. Sammeltaxis. Anrufsammeltaxis und Anschlusssammeltaxi Bahnverkehr. Parallel zum Main verlaufend trennt die Wiesbaden und Frankfurt anbindende Strecke der Taunus-Eisenbahn die dem Main zugewandte Altstadt von später bebauten Gebieten. Die S-Bahn-Linie S1 verbindet den Flörsheimer Bahnhof im Halbstundentakt auf der Route Wiesbaden – Mainz-Kastel – Frankfurt – Offenbach – Rödermark-Ober-Roden. Schiffsverkehr. Für den Personenverkehr gibt es am Konrad-Adenauer-Ufer eine Bedarfsanlegestelle für Schiffe, für den Güterumschlag eine weitere Anlegestelle an der Hafenstraße. Sehenswürdigkeiten. Mainturm. Der Mainturm wurde Mitte des 16. Jahrhunderts errichtet und gilt als das älteste erhaltene Bauwerk der Stadt. Als Teil einer Befestigungsanlage soll er dem Schutz des Mainufers und der Kontrolle des Schiffsverkehrs gedient haben. Seit 2001 dient der Mainturm als Kunstforum. Berliner Brunnen. Der Berliner Brunnen am Konrad-Adenauer-Ufer, Höhe Pfarrer-Münch-Straße, wurde im Rahmen der Flörsheimer Kerb am 19. Oktober 1975 eingeweiht. Seinen Namen übernahm er von einem Vorgängerbrunnen (1964–1965), dem ein Kilometerstein mit einem Berliner Bären und der Entfernung nach Berlin beigestellt war. Den Neubau hatte die Verlegung einer Öl-Pipeline aus Rotterdam für den Frankfurter Flughafen erforderlich gemacht. Der „neue“ Berliner Brunnen entstand in einer Kooperation zwischen Stadtbauamt, verschiedenen Architekten und Walter Habdank. Seinen Reiz bezieht er aus einfachen kreisförmigen Grundelementen, die intuitiv, aber mit einem feinen Gespür für Harmonie und Balance angeordnet sind. Tatsächlich handelt es sich hierbei um Kanalisationsrohre – Halbfertigteile, die die Firma Dyckerhoff stiftete. Mainstein. Der Mainstein wurde 1984 am Mainufer in Höhe des „Bootshauses“ aufgestellt und stellt Flörsheim und seine Stadtteile in der Region Rhein-Main vor und zeigt bildlich die Besonderheiten der Stadt. So sind auf ihm beispielsweise der Fischfang, der Weinbau, der Verlobte Tag oder der Mainturm reliefartig abgebildet. Die Stele aus Sandstein schuf der Frankfurter Bildhauer und Steinmetz Reiner Uhl, der zuvor den Faulborn in Bad Weilbach neu gestaltet hatte. Flörsheimer Warte. Die Flörsheimer Warte liegt nahe dem Ortsteil Wicker und ist ein 1996 nachgebauter 30 Meter hoher Rundturm. Er steht an der Stelle eines erstmals durch Berthold von Henneberg am Ende des 15. Jh. als einer von vier Warttürmen der Mainzer Landwehr errichteten Turmes von annähernd gleicher Kubatur, die auch der Erbenheimer Warte oder auch der Radheimer Warte an der Bachgauer Landwehr entspricht. Der Nachbau steht beim Ortsteil Wicker an der Regionalparkroute Rhein-Main und ist mit dem angrenzenden Restaurant ein beliebtes Ausflugsziel. Die oberste Ebene bietet durch zwanzig schmale Fenster, zwischen denen jeweils Orientierungstafeln angebracht sind, eine gute Aussicht in die Umgebung. Eisenbaum. Der Eisenbaum liegt westlich von Flörsheim und ist ebenfalls Teil des Regionalparks Rhein-Main. Er ist mit seiner ausgefallenen Form sowohl eine Skulptur als auch ein Aussichtsturm. Der stählerne 18 Meter hohe Baum besitzt zehn künstliche Äste und bietet eine 9 Meter hohe Aussichtsplattform. Eine solarbetriebene Tonanlage an der Plattform spricht und macht Geräusche. Kultur. Einrichtungen. Kunstforum Mainturm. Das Kunstforum Mainturm wurde im November 2001 eröffnet. In knapp einjähriger Bauzeit entstand ein Gebäudekomplex, der das historische Gebäude "Mainturm" mit dem Nachbarhaus, dem ehemaligen "Wärmestübchen", baulich verbindet. Der Architekt und Planer Franz Josef Hamm, Limburg/Lahn, verlängerte das Wärmestübchen in östlicher und nördlicher Richtung und schuf einen verglasten Steg als Verbindung zwischen dem Mainturm und dem Nachbarhaus. Das Kunstforum Mainturm ist eine Stätte des ideellen Austausches und Dialogs. Auf insgesamt vier Etagen bietet das Haus Platz für kulturelle Veranstaltungen und die Begegnung von Kunstschaffenden mit Kunstinteressierten. Veranstaltungen. Fastnacht. Jedes Jahr am Fastnachtssonntag beginnt um 13.31 Uhr mit dem Flörsheimer Fastnachtsumzug oder „Fassenachtszuuch“ der Höhepunkt der „Flerschemer Fassenacht“, zum Teil mit über 3500 Teilnehmern und um die 160 Zugnummern. Regelmäßig übersteigt die Zahl der Gäste die der Einwohner. Im Jahr 2007 berichtete der Hessische Rundfunk sogar von 80.000 Besuchern. Der Fastnachts- oder Narrenruf „Hall die Gail“ entstammt der Zeit, als im Fastnachtszug noch viele Wagen mit Pferdegespannen fuhren. Er war die Aufforderung an einen Zugwagenlenker innezuhalten bzw. die vor der ausgelassenen Menschenmenge scheuenden Pferde im Zaum zu halten. So übersetzt sich „Hall die Gail“ mit „Halte die Pferde/Gäule!“ Open-Air-Festival. Seit den 1970er Jahren gibt es an einem Juli-Wochenende das „Flörsheimer Open Air“, ein kleines Rock-Musikfestival mit freiem Eintritt auf den Wiesen unter der Mainbrücke nach Rüsselsheim. Das Festival wird vom örtlichen Verein "Old Company" nur durch ehrenamtliche Helfer ausgerichtet und fand 2015 bereits zum 40. Mal statt. Verlobter Tag. Jedes Jahr am letzten Montag im August feiert die Stadt den „Verlobten Tag“. Dieser hat seinen Ursprung im Jahr 1666, als in Flörsheim die Pest wütete. Nachdem innerhalb kürzester Zeit mehr als 200 Einwohner gestorben waren und der kleinen Gemeinde von etwa 700 Einwohnern die völlige Ausrottung drohte, beteten der Überlieferung nach die Überlebenden in höchster Not um Rettung. Als die Pest dann tatsächlich endete, gelobten die Flörsheimer zusammen mit dem Initiator Pfarrer Johannes Laurentius Münch „solange in Flörsheim Stein auf Stein steht, eine Dankprozession zum Lobpreis des Allerhöchsten alljährlich durchzuführen“. Dieses Gelöbnis wurde bisher strikt eingehalten; auch in Kriegszeiten und trotz zeitweisem Verbot der Veranstaltung. Am 29. August 2016 wurde der „Verlobte Tag“ zum 350. Mal gefeiert. Kirchweih. Verwurzelt in dem Fest zur Weihe der St.-Gallus-Kirche wird am 16. Oktober, dem Tag des Namenspatrons St. Gallus, beziehungsweise am darauffolgenden Wochenende die „Flerschemer Kerb“ abgehalten. Seit über hundert Jahren wird alljährlich am Mainufer ein Jahrmarkt errichtet. Während dort ein Rummel mit Buden und Fahrgeschäften betrieben wird, organisieren die Kerweborsch (Kerbeburschen) Tanzveranstaltungen – pflegen Brauchtum und Geselligkeit: Traditionell wird am Samstag ein Baum errichtet, der mit Kerwebobb (Kerbe-Puppe) und Bluns (Blutwurst ohne Grieben) ausgestattet ist. Ein Umzug findet statt. Die Flörsheimer Besonderheit der „Nachkerb“ am nachfolgenden Wochenende stand im Jahr 2014 zur Disposition. Künftig findet der traditionelle Abschluss der Kerb mit Beerdigung der Kerbe-Puppe und Feuerwerk schon am Nachkerbesonntag statt wie bislang montags statt. Gallus-Konzerte. Seit 1980 finden im vierten Quartal eines Kalenderjahres die Gallus-Konzerte statt, eine musikkulturelle Reihe, deren konzertante Aufführungen teilweise als Veranstaltungen des Hessischen Rundfunks geführt werden. Religion. Katholische Gemeinde. Die katholischen Gemeinden St. Gallus und St. Josef in Flörsheim, St. Katharina in Wicker und Maria Himmelfahrt in Weilbach befinden sich im Prozess der Bildung eines gemeinsamen Pastoralen Raumes Flörsheim. Dieser soll ab Januar 2015 unter dem Namen Pfarrgemeinde St. Gallus firmieren. Die Gemeinden St. Josef, Maria Himmelfahrt und St. Katharina sollen als Ortskirchen weiterbestehen. Ahmadiyya-Gemeinde. Die Ahmadiyya-Gemeinde eröffnete 2013 die Ata-Moschee in der Altkönigstraße. Hierbei wurde ein ehemaliger Lebensmittel-Discounter in eine als architektonisch erkennbare Moschee umgewandelt, mit zwei ins Dach eingefügte Kuppeln, sowie ein etwa 10 Meter hohes symbolisches Minarett am Eingang. Die Gemeinde umfasste zur Eröffnung 140 Mitglieder.
1703
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FreeDOS
FreeDOS ist ein Betriebssystem für PCs mit dem Ziel, ein binärkompatibles IBM-PC-kompatibles DOS zu sein. Die Entwicklung von FreeDOS findet innerhalb des FreeDOS-Projekts statt, in dem sich mehrere Einzelprojekte zusammengefunden haben, um eine freie und kompatible Alternative zum Betriebssystem MS-DOS zu schaffen, dessen Weiterentwicklung von seinem Hersteller Microsoft eingestellt wurde. Viele der Einzelprojekte verfolgen oder verfolgten ursprünglich das Ziel, Bestandteile wie beispielsweise den DOS-Kernel, Treiber- und Dienstprogramme von MS-DOS oder anderen DOS-Betriebssystemen durch Eigenentwicklungen mit vergleichbarer oder auch erweiterter Funktionalität zu ersetzen oder zu ergänzen. Das Gesamtprojekt hat dabei den Anspruch, zeitgemäße Erweiterungen und Anpassungen vorzunehmen und dabei trotzdem den Charakter von FreeDOS als einem MS-DOS-kompatiblen Betriebssystem zu erhalten. Am 3. September 2006 wurde die Version 1.0 fertiggestellt. Die für April 2008 geplante Version 1.1 erschien schließlich am 2. Januar 2012. Version 1.2 enthält vor allem Detailverbesserungen wie neuere Versionen und zusätzliche Programme. Im Februar 2022 wurde Version 1.3 veröffentlicht. Unterschiede zu MS-DOS. FreeDOS ist ein quelloffenes und freies Betriebssystem, das der GPL-Lizenz unterliegt und aktiv weiterentwickelt wird. Darüber hinaus bietet es aber auch technische Vorteile gegenüber anderen DOS-Betriebssystemen. So unterstützt es unter anderem: Geschichte. FreeDOS wurde als Alternative zu MS-DOS geschaffen. Das Projekt wurde am 29. Juni 1994 von Jim Hall initiiert, als Microsoft bekannt gab, dass der Vertrieb und die Produktunterstützung für MS-DOS eingestellt werden würden. Die Entwicklung startete fast von null, nur auf zwei schon vorhandene Projekte konnten die Entwickler aufbauen: DOS-C, dessen Kernel schließlich von FreeDOS übernommen wurde und einen sehr primitiven Speichermanager, der nach aufwendiger Überarbeitung zu EMM386.EXE wurde. Jim Hall steuerte Kommandozeilenprogramme bei. Die Entwicklung von FreeDOS verlief unabhängig von DR DOS, das 1996 als „OpenDOS“ ebenfalls unter einer quelloffenen Lizenz, jedoch eingeschränkt auf nicht-kommerziellen, privaten Gebrauch, veröffentlicht wurde. Diese ist jedoch nicht mit der für FreeDOS verwendeten GNU General Public License vereinbar, weswegen die Übertragung von Quelltext ausgeschlossen ist. Ab der Version Beta 5 und 6 wurde FreeDOS zunehmend als hinreichend ausgereift bewertet und wurde diversen Computerzeitschriften, meist auf CD-ROM, beigelegt. Mit den der Beta 9 Ende 2003 wurden die ersten PCs mit FreeDOS ausgeliefert, etwa von Dell und HP. Es gilt als moderneres DOS, da es bereits größere Festplatten und FAT32 unterstützt, was den letzten Versionen von MS-DOS fehlte (ohne Windows, also vor Windows 95b/MS-DOS 7.10). Speicherverwaltung. FreeDOS umfasst eigene Treiber für XMS (HIMEM.EXE) und EMS (EMM386.EXE). EMM386 unterstützt mittlerweile auch DOS-Extender nach den Spezifikationen VCPI und DPMI zur Erweiterung des unter MS-DOS-Kompatiblen auf 1 MiB beschränkten, konventionellen Speicherraums. Statt HIMEM und EMM386 kann man auch die Alternativen HIMEMX (Ersatz für und Verbesserungen gegenüber dem originalen HIMEM), JEMM386 (leistungsfähiger Ersatz für EMM386) oder JEMMEX (kombiniert die Funktionalität von HIMEM und EMM386 in einem einzigen Programm) benutzen, die auf den beiden offiziellen FreeDOS-Treibern aufbauen. In der FreeDOS-Distribution sind auch Ultra-DMA-Treiber und das Programm „LBAcache“ enthalten, das ähnlich wie SmartDrive von Microsoft Festplattendaten im XMS-Speicher puffert (siehe auch Festplattencache). Der FreeCOM-Befehlszeileninterpreter sowie Teile des Kernels, Puffer, Treiber und TSRs lassen sich ähnlich wie in späten MS-DOS-Versionen in den UMB- beziehungsweise HMA-Speicher laden, wodurch bis zu 620 KiB des konventionellen DOS-Speichers (der 640 KiB umfasst) verfügbar gemacht werden können. Das ist zum Beispiel für alte Spiele und Anwendungen wichtig, da diese oft viel des knappen konventionellen Speichers benötigen. Einschränkungen. Eine native Unterstützung für NTFS ist nicht geplant, allerdings gibt es Shareware-Treiber, die diese Aufgabe erfüllen. Microsoft Windows ist überhaupt nicht (ab Windows 95), nur eingeschränkt (Windows 3.x) oder nur in sehr alten Versionen (Windows 1.x oder 2.x) nutzbar. Ähnliche Probleme wie mit neueren Windows-Versionen treten auch mit anderen Programmen auf, die viele undokumentierte Schnittstellen in MS-DOS benutzen. Außerdem befinden sich einige Programme in FreeDOS noch in der Beta-Phase, sind also nicht immer ausreichend auf Fehler geprüft und versagen möglicherweise den Dienst. Verbreitung. Das System wird vornehmlich genutzt, damit Komplettsysteme nominell nicht ohne Betriebssystem ausgeliefert werden, so etwa von Dell für seine "n-Serie". Außerdem wird FreeDOS gerne für bootbare Disketten verwendet, z. B. um Testprogramme mit vollem Hardwarezugriff zu starten. Software-Kompatibilität. Neben neuen für FreeDOS entwickelten Programmen laufen fast alle Programme, die für MS-DOS geschrieben wurden, problemlos auch unter FreeDOS. Ausnahmen sind einzelne Programme, die eine MS-DOS-Versionsüberprüfung durchführen oder die von nicht standardisierten Verhaltensweisen oder undokumentierten Merkmalen von MS-DOS abhängen. Grundsätzlich unterstützt werden: Mit Hilfe des HX DOS Extender besteht zudem die Möglichkeit, einige für Windows (32-Bit) geschriebene PE-EXE-Dateien unter FreeDOS auszuführen. Kompatibilität zu grafischen Benutzeroberflächen. Für MS-DOS geschriebene grafische Benutzeroberflächen (kurz „GUI“) sollten grundsätzlich auch auf FreeDOS lauffähig sein. Auch hier gilt, falls das betreffende GUI von standardisierten Verhaltensweisen abweicht oder undokumentierte Merkmale von MS-DOS verwendet, treten Probleme auf. Das betrifft beispielsweise Windows-3.x-Versionen (siehe unten). Sehr gute Kompatibilität weist OpenGEM auf, eine grafische Benutzeroberfläche für MS-DOS-kompatible Betriebssysteme, die unter einer freien Lizenz steht. OpenGEM ist eine Weiterentwicklung der Mitte der 1980er Jahre populären Benutzeroberfläche GEM von Digital Research, die unter anderem durch den Atari ST weite Verbreitung fand und bereits damals in einer Version für den IBM PC verfügbar war. Weitere mit FreeDOS kompatible grafische Benutzeroberflächen sind unter anderem ct-FRAME, PC/GEOS, oZone und SEAL. Kompatibilität zu Microsoft Windows. Windows 1.0 bis 3.x. Die Windows-Versionen 1.0 bis 2.x stellen noch keine eigene Speicherverwaltung und keine eigenen Treiber für den Datenträgerzugriff bereit und lassen sich somit problemlos unter FreeDOS benutzen. Windows 3.x und Windows for Workgroups 3.x laufen bisher nur im "Standard Mode". Zur Verwendung des "Enhanced Mode" ist ein neuerer FreeDOS-Kernel notwendig, der sich noch in der Test-Phase befindet. Windows 95 bis Me. Abgesehen von der theoretischen Möglichkeit, Windows 4.0 (die grafische Bedienoberfläche von Windows 95) direkt unter FreeDOS zu starten, beinhalten alle DOS-basierten Windows-Versionen als vollwertige Betriebssysteme einen angepassten DOS-Unterbau in Form von MS-DOS 7.0/7.1 (Windows 95/98) bzw. MS-DOS 8.0 (Windows Me). Da diese Windows-Versionen auf viele undokumentierte Funktionen des mitgelieferten MS-DOS zugreifen, sind sie nicht von FreeDOS aus startbar. Multiboot. Ab Windows 95 ist ein eigenes, angepasstes MS-DOS im Lieferumfang. Um FreeDOS neben Windows 95 und allen Nachfolgeversionen betreiben zu können, ist daher ein Mechanismus erforderlich, der sich „Dualboot“ oder „Multiboot“ nennt. Windows 95 bringt generell bereits alle Voraussetzungen dazu mit – wenn es zum Beispiel auf einer Partition mit bereits vorhandenem DOS installiert werden soll, konfiguriert es automatisch ein geeignetes Bootmenü zur Auswahl des zu startenden Betriebssystems. Dieser Mechanismus funktioniert jedoch nur zusammen mit MS-DOS und PC-DOS. Daher bietet die FreeDOS-Distribution das Programm "MetaKern", das für DOS-basierte Windows-Versionen (Windows 95 bis Windows Me) ebenfalls ein Bootmenü zur Verfügung stellt. Mit Windows-Versionen, die von Windows NT abstammen und daher NTLDR verwenden, wird FreeDOS als „unbekanntes Betriebssystem“ erkannt und kann auch gestartet werden, im Fall von Windows NT bis einschließlich Version 4.0 jedoch nur, wenn FreeDOS auf einer FAT16-Partition installiert ist. Alternativ kann man die Datei BOOT.INI, bei ReactOS FREELDR.INI, manuell anpassen. Mit Windows Vista wurde ein neues Gebilde mit dem Namen „“ eingeführt (siehe auch "Boot Configuration Data"), das nur über die Befehlszeilenanwendung BCDEDIT.EXE geändert werden kann. FreeDOS-Distribution. Ab Version 1.0 gibt es eine offizielle FreeDOS-Distribution auf CD, die als ISO-Abbild aus dem Internet heruntergeladen werden kann. Mit der bootfähigen Live-CD, mit der man ohne Installation FreeDOS einfach ausprobieren kann, ist auch eine Installation auf die Festplatte möglich. Enthalten sind neben den Systemdateien von FreeDOS und der grafischen Benutzeroberfläche OpenGEM auch eine Reihe von nützlichen Programmen, von denen einige hier aufgeführt sind: Da die Distributions-CD nicht ständig auf dem aktuellen Stand gehalten wird, kann man sich aktualisierte Versionen der einzelnen Programme auch separat herunterladen. Links dazu finden sich jeweils auf der FreeDOS-Website.
1704
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https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1704
Familie (Biologie)
Die Familie () ist eine hierarchische Ebene der biologischen Systematik. Sie steht zwischen den Hauptrangstufen Ordnung und Gattung (beziehungsweise Tribus – falls vorhanden). Direkt über der Familie kann als Ableitung die Überfamilie (lat. "superfamilia") stehen, unter ihr die Unterfamilie (lat. "subfamilia"). In der Zoologie kommt zur speziellen Familien-Rangstufe noch die aus weiteren Rangstufen bestehende Familien-Gruppe. In der Zoologie endet die Familienbezeichnung stets auf "-idae" (zum Beispiel Hunde: Canidae, Katzen: Felidae), die Überfamilienbezeichnung teilweise auf "-oidea" (Beispiel Hundeartige: Canoidea, alternativ aber auch Caniformia) und die Unterfamilienbezeichnung stets auf "-inae" (Beispiel Kleinkatzen: Felinae). Wenn die Mitglieder einer Familie gemeint sind, wird im deutschen dazu oft die Endung "-iden" benutzt (zum Beispiel Hunde: Caniden, Katzen: Feliden), bei Mitgliedern einer Unterfamilie wird die Endung "-inen" verwendet (Beispiel Kleinkatzen: Felinen). In der Botanik endet die Familienbezeichnung im Grundsatz auf "-aceae" (zum Beispiel Korbblütler: Asteraceae, Liliengewächse: Liliaceae), Unterfamilien auf "-oideae" (zum Beispiel Lilioideae) und leitet sich stets vom Gattungsnamen einer festgelegten Typusart ab (z. B. "Aster", "Lilium"). Historisch waren in der Botanik jedoch auch Benennungen nach morphologischen Besonderheiten üblich. Artikel 18.5 des ICBN legt fest, dass acht solche abweichende Familiennamen als gültig publiziert anzusehen sind, nämlich Palmae/Arecaceae, Gramineae/Poaceae, Cruciferae/Brassicaceae, Leguminosae/Fabaceae, Guttiferae/Clusiaceae, Umbelliferae/Apiaceae, Labiatae/Lamiaceae und Compositae/Asteraceae. In allen anderen Fällen gilt ausschließlich der vom Typus abgeleitete und auf "-aceae" endende Name als gültig. In der Virologie endet die Familienbezeichnung grundsätzlich auf "-viridae" (ausnahmsweise auch "-satellitidae" oder "-viroidae"), Unterfamilien auf "-virinae" (bzw. "-satellitinae"), Überfamilien als Rang gibt es aktuell (Stand April 2020) nicht. Ein Beispiel sind die "Coronaviridae". Der Begriff geht auf Pierre Magnol zurück, der ihn 1689 in die Botanik einführte. Linné verwandte den Begriff noch nicht. Michel Adanson gebrauchte ihn dann 1764 in seinem Werk "Familles des Plants" und definierte dort die ersten 58 Pflanzenfamilien. Auch bei Antoine-Laurent de Jussieu kommt er nicht vor, vergleichbaren Rang nehmen dort die "ordines naturales" („natürliche Ordnungen“) ein, die konzeptionell den Familien entsprachen. Erst zur Mitte des 19. Jahrhunderts begann sich die Rangstufe dann – auch außerhalb der Botanik – durchzusetzen.
1705
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https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1705
Feldschlange
Die Feldschlange, auch Kolubrine (von – „schlangenartig“; , , türk. Kolomborna) oder Kalverine, war ein Kanonentyp des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Der Name "Feldschlange" kommt in Deutschland erstmals um 1440 vor und stammt vermutlich von der anfangs als Schlangen- oder Drachenkopf gestalteten Mündung. Möglich ist aber auch, dass der Begriff auf die Machart der Feldschlange anspielt, deren Rohr häufig mit einem korkenzieherförmigen Eisenband umschmiedet war (vgl. Drahtkanone oder Schrumpfringe bei Kanonen des 21. Jahrhunderts). Feldschlangen hatten im Vergleich zu den Kartaunen genannten Belagerungsgeschützen ein relativ kleines Geschosskaliber, zwischen 13 cm ("ganze Feldschlangen") und ca. 5 cm ("Falkonetts") bzw. 3,5 cm ("Serpentinell"). Der Lauf war dagegen mit normalerweise zwischen 30 und 40 Kaliberlängen länger als die Rohre der Kartaunen, die meist nur 17 Kaliber, bei der Viertel-Kartaune auch 24 und bei der Falkaune (sofern als Kartaune eingeteilt, siehe unten) auch 27 Kaliber zählten. Das längere Rohr erhöhte die Treffsicherheit, Reichweite und Durchschlagswirkung der Geschosse, da die Kugeln länger dem Explosionsdruck der Treibladung ausgesetzt waren. Geschütze mit noch größerer Kaliberlänge bezeichnete man auch als "Bastard-Feldschlangen" (von ). Die Entwicklung des Kanonengusses im 16. Jahrhundert beruhte auf der Kombination mehrerer Durchbrüche in den beteiligten Handwerken: Die verschossenen Eisenkugeln variierten im Gewicht zwischen etwa 20 Pfund bei den größten Geschützen und einem Pfund bei den kleinsten. Feldschlangen waren gewöhnlich auf einer zweirädrigen Lafette montiert, die von einem Pferd gezogen werden konnte. Die Einteilung der Feldschlangen-Typen unterlag je nach Region oder Autor gewissen Varianten hinsichtlich der Namensgebung und der zugehörigen Kaliber- und Geschossmaße. Die Feldschlangen wurden in der Regel eingeteilt in "Ganze Feldschlange" (Geschossgewicht: etwa 18 Pfund), "Notschlange" (16-Pfünder), "Halbe Feldschlange" (9-Pfünder) und "Quartierschlange" bzw. "Falkaune" (7-Pfünder, Michael Mieth teilt die Falkaune im Jahr 1684 jedoch als 6-Pfünder-Kartaune ein!) und "Falkon" (2-Pfünder). Dem gezielten Einzelschuss auf feindliche Offiziere oder Geschützbedienungen dienten "Falkonett" (auch "Achtel-Schlange", 1-Pfünder) und "Serpentinell" (auch "Schmirgel" oder "(Feld-)Schlängelein". Geschossgewicht: 16 Lot bzw. 1/2 Pfund). Giovanni dalle Bande Nere kostete ein Falkonetttreffer zunächst ein Bein, die infizierte Wunde dann sein Leben, ebenso Marschall Guébriant. Götz von Berlichingen verlor seine rechte Hand durch eine Feldschlange. Dieser Kanonentyp ging später in der Feldkanone auf. Kuriosum: Die Rohre ausgedienter Feldschlangen wurden gelegentlich an belebten Straßenecken zum Schutz der Hauskanten als Prellstein eingemauert (so beschrieben von Wilhelm Raabe in "Die Chronik der Sperlingsgasse").
1706
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https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1706
Frequenz
Die Frequenz (von ; auch "Schwingungszahl" genannt) ist in Physik und Technik ein Maß dafür, wie schnell bei einem periodischen Vorgang die Wiederholungen aufeinander folgen, z. B. bei einer fortdauernden Schwingung. Die Frequenz ist der Kehrwert der Periodendauer. Die Einheit der Frequenz ist die abgeleitete SI-Einheit mit dem besonderen Namen Hertz (Einheitenzeichen Hz); 1 Hz = 1 s−1 („eins pro Sekunde“). Gelegentlich werden aber auch andere Einheiten verwendet, wie z. B. min−1 oder h−1. Bei der Frequenzangabe aus Zahlenwert und Einheit sagt demnach der Zahlenwert aus, wie viele Perioden innerhalb der gewählten Zeiteinheit stattfinden. Bei manchen Vorgängen werden auch die Bezeichnungen Folgefrequenz, Impulsfolgefrequenz oder Hubfrequenz verwendet, bei Drehbewegungen Drehzahl. Definition und Natur der Frequenz. Die Frequenz formula_1 eines sich regelmäßig wiederholenden Vorgangs ist definiert als der Kehrwert der Periodendauer formula_2: Da eine Anzahl formula_4 der sich periodisch wiederholenden Vorgänge das Zeitintervall formula_5 benötigt, gilt ebenso: Dies wird gelegentlich auch als Definition der Frequenz angegeben. Die Frequenz ist ihrer Natur nach eine beliebig fein veränderbare, kontinuierliche Größe. Frequenz von Wellen. Bei Wellen ist die Frequenz über die Phasengeschwindigkeit formula_7 mit ihrer Wellenlänge formula_8 verknüpft: Bei elektromagnetischen Wellen ist formula_10 und formula_11. Dabei ist formula_12 die Naturkonstante Lichtgeschwindigkeit, formula_13 die Wellenlänge im Vakuum und formula_14 der Brechungsindex des Mediums. Bei einer Welle, die während ihrer Ausbreitung das Medium wechselt, ändern sich die Ausbreitungsgeschwindigkeit und die Wellenlänge. Ihre Frequenz bleibt dagegen gleich. Frequenz im Alltag. Für jeden periodischen Vorgang in der Natur und im Alltag kann eine Frequenz angegeben werden. Messung. Eine Reihe unterschiedlicher Messgeräte werden unter Frequenzmesser aufgeführt. Die Frequenz gilt in der digitalen Messtechnik als sehr einfach zu messende Größe, da lediglich deren Schwingungen oder Impulse während einer geeigneten Zeit gezählt werden müssen, so dass diese Messgeräte dann als "Frequenzzähler" bezeichnet werden. Die relative Fehlergrenze der Frequenzmessung ergibt sich unmittelbar aus der relativen Fehlergrenze der Zeitbegrenzung. Dazu werden Zeitdauern aus einer Anzahl von Periodendauern eines möglichst genauen Frequenzgenerators gebildet, etwa eines Schwingquarzes. Selbst als Konsumartikel haben Schwingquarze relative Fehlergrenzen in der Größenordnung 0,001 %. Derartig kleine Fehlergrenzen sind sonst in der Messtechnik nur mit extremem Aufwand oder gar nicht erreichbar. Frequenzspektrum. Reale, nicht diskrete Schwingungen bestehen immer aus mehreren überlagerten Schwingungen mit unterschiedlichen Frequenzen, da in der Natur keine perfekt sinusförmigen Schwingungen existieren. Das lässt sich unter anderem dadurch begründen, dass reale Schwingungen eine endliche Länge haben und somit durch einen Aus- und Einschwingvorgang begrenzt sind. Auch können schwingende Systeme von außen gestört werden, was mit dem Einbringen weiterer Frequenzen in die Schwingung verbunden ist. Eine mathematisch exakte Sinusschwingung ist hingegen zeitlich unbegrenzt und ungestört. Die Gesamtheit der in einer Schwingung vertretenen Frequenzen mit ihren jeweiligen Amplituden heißt "Frequenzspektrum". Die Bestimmung des Frequenzspektrums einer gegebenen Schwingung heißt "Fourieranalyse". Verwandte Größen. Auch bei weiteren Größen, die zwar die Dimension einer Rate, d. h. die SI-Einheit s−1, haben, aber keine Frequenz darstellen, etwa die radioaktive Zerfallsrate, ist die Einheit Hertz "nicht" zu verwenden.
1707
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Franz Werfel
Franz Viktor Werfel (* 10. September 1890 in Prag, Österreich-Ungarn; † 26. August 1945 in Beverly Hills) war ein österreichischer Schriftsteller jüdisch-deutschböhmischer Herkunft. Er ging aufgrund der nationalsozialistischen Herrschaft ins Exil und wurde 1941 US-amerikanischer Staatsbürger. Er war ein Wortführer des lyrischen Expressionismus. In den 1920er und 1930er Jahren waren seine Bücher Bestseller. Seine Popularität beruht vor allem auf seinen erzählenden Werken und Theaterstücken, über die aber Werfel selbst seine Lyrik setzte. Mit seinem Roman "Verdi. Roman der Oper" (1924) wurde Werfel zu einem Protagonisten der Verdi-Renaissance in Deutschland. Besonders bekannt wurden sein zweibändiger historischer Roman "Die vierzig Tage des Musa Dagh" 1933/47 und "Das Lied von Bernadette" aus dem Jahr 1941. Sein letzter Roman Stern der Ungeborenen von 1945 offenbart Werfels Dante-Rezeption. Leben. Franz Werfel wurde am 10. September 1890 in Prag als Sohn des wohlhabenden Handschuhfabrikanten Rudolf Werfel und dessen Frau Albine, geb. Kussi, geboren. Die Familie gehörte dem deutsch-böhmischen Judentum an und besuchte regelmäßig die Maisel-Synagoge. Die katholische Frömmigkeit seiner tschechischen Kinderfrau, der Besuch der Privatvolksschule der Piaristen und die barocke Katholizität seiner Heimatstadt prägten den jungen Werfel. Seine Reifeprüfung legte Werfel 1909 am Deutschen Gymnasium Stefansgasse in Prag ab. Schon während seiner Schulzeit veröffentlichte er Gedichte. Werfel stand in Verbindung mit den Literaten des Prager Kreises. Mit den Schriftstellern Willy Haas, Max Brod und Franz Kafka sowie dem Schauspieler Ernst Deutsch und dem Literaturagenten Ernst Polak, seinem ehemaligen Mitschüler, war Werfel ein Leben lang befreundet. Seine jüngere Schwester Hanna Fuchs-Robettin (1894–1964) ging als Geliebte Alban Bergs in die Musikgeschichte ein, seine jüngste Schwester Marianne Rieser (1899–1965) wurde als Schauspielerin bekannt. Volontär und Lektor. 1910 absolvierte Werfel ein Volontariat bei einer Hamburger Speditionsfirma. 1911 / 1912 leistete er als Einjährig-Freiwilliger Militärdienst auf dem Prager Hradschin. Von 1912 bis 1915 war er Lektor beim Kurt Wolff Verlag in Leipzig. Unter seiner Mitverantwortung erschien die expressionistische Schriftenreihe "Der jüngste Tag". Werfel begegnete Rainer Maria Rilke und schloss Freundschaft mit Walter Hasenclever und Karl Kraus, mit dem er sich später überwarf. Er publizierte u. a. auch in der ungarischen deutschsprachigen Zeitung "Pester Lloyd". Erster Weltkrieg. Von 1915 bis 1917 diente Werfel an der ostgalizischen Front. 1917 wurde er ins k.u.k. Kriegspressequartier in Wien versetzt. Werfel setzte sich für die Übersetzung der "Schlesischen Lieder" von Petr Bezruč ins Deutsche ein. Für die Übersetzung von Rudolf Fuchs verfasste er 1916 das Vorwort. Alma Mahler. Werfel lebte die folgenden zwei Jahrzehnte in Wien und schloss hier Freundschaft mit Alma Mahler, Witwe Gustav Mahlers und Ehefrau von Walter Gropius. Unter Alma Mahlers Einfluss zog er sich weitgehend aus dem öffentlichen Leben zurück, ging aber oft auf Reisen, so z. B. nach Breitenstein am Semmering, Santa Margherita Ligure und nach Venedig. Während seiner zweiten Nahostreise Anfang 1930 traf er in einem Waisenhaus in Syrien Überlebende des Völkermordes an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges. Diese Begegnung inspirierte ihn zu seinem Roman "Die vierzig Tage des Musa Dagh", in dem das Schicksal von etwa 5000 Armeniern geschildert wird, die sich vor der osmanischen Armee auf den Berg Musa Dağı (Mosesberg) geflüchtet hatten. 1918 brachte Alma, noch während ihrer Ehe mit Walter Gropius, Werfels mutmaßlichen Sohn Martin Carl Johannes zur Welt, der 1919 starb. Am 7. August 1929 heirateten Werfel und Alma Mahler, die 1920 von Gropius geschieden worden war. Friedrich Torberg beschrieb sie in "Die Erben der Tante Jolesch" als „Frau von gewaltigem Kunstverstand und Kunstinstinkt. Wenn sie von jemandes Talent überzeugt war, ließ sie für dessen Inhaber – mit einer oft an Brutalität grenzenden Energie – gar keinen anderen Weg mehr offen als den der Erfüllung.“ Franz und Alma Werfel lebten in einer Villa an der Hohen Warte in Wien. Die Preußische Akademie der Künste führte Werfel als Mitglied in der Sektion Dichtkunst. Auf Betreiben von Gottfried Benn wurde Werfel im Frühjahr 1933 (kurz nach der Machtübernahme des NS-Regimes) ausgeschlossen. Auf dem Höhepunkt seiner amerikanischen Bestsellererfolge sagte Franz Werfel zu seinem Freund Friedrich Torberg: „Wenn ich die Alma nicht getroffen hätte – ich hätte noch hundert Gedichte geschrieben und wäre selig verkommen …“ Laut Torberg hatte Werfel „oft und oft davon gesprochen, wie unvorstellbar ein Leben ohne Alma für ihn gewesen wäre“. Im April 1935 starb seine an Kinderlähmung erkrankte Stieftochter Manon Gropius; Alban Berg komponierte für sie sein Konzert für Violine und Orchester "Dem Andenken eines Engels". Emigration. Nach dem „Anschluss“ Österreichs, 1938, ließ sich Werfel, der sich schon im Winter 1937/1938 mit seiner Frau im Ausland aufgehalten hatte und nach dem Anschluss nicht mehr zurückkehrte, mit Alma in Sanary-sur-Mer in Südfrankreich nieder, wo auch andere Emigranten lebten. 1940, als die Wehrmacht große Teile Frankreichs besetzte, fand er Zuflucht in Lourdes; Werfel gelobte, falls er gerettet würde, ein Buch über die heilige Bernadette zu schreiben. Zu Fuß überquerte er mit seiner Frau Alma sowie Heinrich, Nelly und Golo Mann die Pyrenäen nach Spanien. Das Ehepaar erreichte von dort Portugal und emigrierte im Oktober 1940 an Bord des griechischen Dampfers "Nea Hellas" in die USA, nach Beverly Hills und Santa Barbara in Kalifornien. Werfel erhielt 1941 die amerikanische Staatsbürgerschaft. 1943 wurde sein Roman "Das Lied von Bernadette" mit Jennifer Jones in der Titelrolle mit großem Erfolg verfilmt. Tod. 1943 verschlimmerte sich Werfels Angina Pectoris, und er erlitt zwei Herzanfälle. Am 26. August 1945 starb Werfel im Alter von 54 Jahren an einem Herzinfarkt. Er wurde in Beverly Hills auf dem Rosedale Cemetery begraben. 1947 wurde ihm von Theodor Körner, damals Bürgermeister der Stadt Wien, später Bundespräsident, ein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof "reserviert", die Grabstelle in Beverly Hills zu einem Ehrengrab aufgewertet. Auf Basis einer vom Kulturamt der Stadt Wien und der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 1974 gefassten Initiative wurden Werfels sterbliche Überreste 1975 nach Wien überführt und am 21. Juli 1975 auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt (Ehrengrab Gruppe 32 C, Nummer 39). Posthum wurde Werfel im Jahr 2006 die armenische Ehrenbürgerschaft verliehen. Werfel als Namensgeber. Zu Ehren Werfels wurde sein Name nach seinem Tod verwendet: Das Zentrum gegen Vertreibungen vergibt den Franz-Werfel-Menschenrechtspreis. Die Österreichische Austauschdienst-Gesellschaft vergibt das Franz-Werfel-Stipendium für junge Universitätslehrende, die sich schwerpunktmäßig mit österreichischer Literatur beschäftigen. Die etwa 1500 Bücher umfassende Österreich-Bibliothek in der armenischen Hauptstadt Jerewan trägt ebenfalls seit 2012 den Namen Franz Werfels. Werke. Verzeichnis aller Werke siehe
1709
1029574
https://de.wikipedia.org/wiki?curid=1709
Farkas Bolyai
Farkas Bolyai, deutsch auch "Wolfgang Bolyai", (* 9. Februar 1775 in Bólya, Siebenbürgen; † 20. November 1856 in Neumarkt am Mieresch) war ein ungarischer Mathematiker. Leben. Bolyai entstammte dem Adelsgeschlecht Bell, einer Linie des Adelsgeschlechts Kerpen. Er studierte an der Universität Klausenburg, der Universität Jena und der Georg-August-Universität Göttingen. In Göttingen wurde er ein enger Freund von Carl Friedrich Gauß. Im Jahr 1802 wurde er Professor für Mathematik, Physik und Chemie am reformierten Kolleg in Marosvásárhely (Neumarkt am Mieresch), wo er bis 1849 tätig war. Er untersuchte, ob sich das Parallelenaxiom aus den anderen vier Axiomen der euklidischen Geometrie herleiten lässt. Hierbei fand er acht äquivalente Aussagen, die in seinem Hauptwerk "Tentamen" (1832) enthalten sind. Unter anderem bewies er die logische Äquivalenz der Aussage „Durch drei nicht auf einer Geraden liegende Punkte gibt es einen Kreis“ zum Parallelenaxiom. Ein Sohn ist der Mathematiker János Bolyai.