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31.01.2018
31.01.2018 6/18 - Ausbildungskostenausgleichskasse im Schornsteinfegerhandwerk - Zweifel an der Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit des Zentralverbands Deutscher Schornsteinfeger e. V. (ZDS) - Beitragspflicht für Betriebe ohne Arbeitnehmer Der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat ernsthafte Zweifel an der Tariffähigkeit und der Tarifzuständigkeit des am Abschluss der Tarifverträge über die Förderung der beruflichen Ausbildung im Schornsteinfegerhandwerk vom 24. September 2012 (TV AKS 2012) und vom 1. Juli 2014 (TV AKS 2014) beteiligten ZDS. § 7 Abs. 2 Satz 2 TV AKS 2012 ist unwirksam, soweit Betriebe ohne Arbeitnehmer (sog. Soloselbständige) Beiträge an die Ausbildungskostenausgleichskasse im Schornsteinfegerhandwerk zahlen müssen. Bei der Klägerin handelt es sich um die vom Bundesverband des Schornsteinfegerhandwerks – Zentralinnungsverband (ZIV) – und dem ZDS als Gemeinsame Einrichtung gegründete Ausbildungskostenausgleichskasse im Schornsteinfegerhandwerk (AKS). Nach der Satzung des ZDS kann „jede/r nicht selbständige Schornsteinfeger/in …, der/die Gesellenprüfung im Schornsteinfegerhandwerk bestanden hat“, Mitglied werden. Selbständige Schornsteinfeger können beitragspflichtige „Fördermitglieder“ des ZDS sein. Der ZDS und der ZIV haben den TV AKS 2012 und den TV AKS 2014 abgeschlossen. Die Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung beider Tarifverträge hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg rechtskräftig festgestellt. Zweck der AKS ist die Förderung der Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl von Ausbildungsplätzen und die Sicherstellung einer qualifizierten Berufsausbildung im Schornsteinfegerhandwerk. Die Tarifverträge regeln die Höhe der Ausbildungsvergütung. Betriebe, die Schornsteinfeger ausbilden, haben Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich gegen die AKS. Die Tarifverträge regeln ferner die Beitrags- und Auskunftspflichten der Betriebe gegenüber der AKS. Nach § 7 Abs. 2 Satz 2 TV AKS 2012 beträgt der an die AKS abzuführende Mindestbeitrag 800,00 Euro pro Kalenderjahr. Die Beklagten sind selbständige Schornsteinfeger und wehren sich dagegen, Beiträge an die AKS zu leisten. Sie halten die Tarifverträge für unwirksam. Das Landesarbeitsgericht hat den Klagen der AKS stattgegeben. Die Revisionen der Beklagten in den Verfahren – 10 AZR 60/16, 10 AZR 695/16 und 10 AZR 722/16 -, die im Streitzeitraum jeweils mindestens einen Arbeitnehmer beschäftigten, haben zur Aussetzung der Rechtsstreitigkeiten nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG* geführt. Die Tarifverträge begegnen keinen materiellrechtlichen Bedenken, soweit Arbeitgebern Beitrags- und Auskunftspflichten gegenüber der AKS auferlegt werden. Der Senat hat jedoch ernsthafte Zweifel daran, ob der ZDS tariffähig und tarifzuständig für den Abschluss der Tarifverträge war. Aufgrund der in der Satzung vorgesehenen „Fördermitgliedschaft“ von selbständigen Schornsteinfegern bestehen Bedenken daran, dass der ZDS bei Tarifabschluss gegnerfrei war. Die Tarifzuständigkeit ist zweifelhaft, weil die Satzung keine Mitgliedschaft für Auszubildende vorsieht. Diese entscheidungserheblichen Fragen sind in einem gesonderten Beschlussverfahren zu klären. Die Revision des Beklagten in der Sache – 10 AZR 279/16 -, der keine Arbeitnehmer beschäftigt, hatte vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. § 7 Abs. 2 Satz 2 TV AKS 2012 ist unwirksam, soweit Betriebe ohne Arbeitnehmer Beiträge an die AKS zahlen müssen. Durch diese Regelung haben die Tarifvertragsparteien ihre tarifliche Regelungsmacht überschritten.   Bundesarbeitsgericht Beschlüsse vom 31. Januar 2018 – 10 AZR 60/16 (A), 10 AZR 695/16 (A), 10 AZR 722/16 (A) – Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Köln Urteile vom 23. Oktober 2015 – 9 Sa 395/15 -, vom 22. Juli 2016 – 9 Sa 132/16 und 9 Sa 118/16 – Bundesarbeitsgericht Urteil vom 31. Januar 2018 – 10 AZR 279/16 – Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Köln Urteil vom 18. März 2016 – 9 Sa 392/15 –   *§ 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits davon ab, ob eine Vereinigung tariffähig oder ob die Tarifzuständigkeit der Vereinigung gegeben ist, so hat das Gericht das Verfahren bis zur Erledigung des Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 auszusetzen.
Tenor Der Rechtsstreit wird nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Tariffähigkeit des Zentralverbands Deutscher Schornsteinfeger e. V. – Gewerkschaftlicher Fachverband – bei Abschluss des Tarifvertrags über die Förderung der beruflichen Ausbildung im Schornsteinfegerhandwerk vom 24. September 2012 und des Tarifvertrags über die Förderung der beruflichen Ausbildung im Schornsteinfegerhandwerk vom 1. Juli 2014 sowie über seine Tarifzuständigkeit in Bezug auf diese Tarifverträge ausgesetzt. Entscheidungsgründe 1 A. Die Parteien streiten über die Zahlung von Mindestbeiträgen nach dem Tarifvertrag über die Förderung der beruflichen Ausbildung im Schornsteinfegerhandwerk vom 24. September 2012 (TV AKS 2012) und die Erteilung einer Auskunft nach dem Tarifvertrag über die Förderung der beruflichen Ausbildung im Schornsteinfegerhandwerk vom 1. Juli 2014 (TV AKS 2014). 2 Der Beklagte unterhält einen Schornsteinfegermeisterbetrieb und ist Mitglied der Schornsteinfegerinnung. Er bildete im Streitzeitraum Schornsteinfeger aus und beschäftigte mindestens einen mit Schornsteinfegerarbeiten betrauten Arbeitnehmer. Bei der Klägerin handelt es sich um die von dem Bundesverband des Schornsteinfegerhandwerks – Zentralinnungsverband (ZIV) – und dem Zentralverband Deutscher Schornsteinfeger e. V. – Gewerkschaftlicher Fachverband – (ZDS) am 3. Dezember 2012 gegründete Ausbildungskostenausgleichskasse. Der ZDS ist dem Rechtsstreit als Nebenintervenient zur Unterstützung der Klägerin beigetreten. 3 Der zwischen dem ZIV und dem ZDS am 24. September 2012 geschlossene TV AKS 2012 lautet auszugsweise:          „§ 1 Geltungsbereich          Der Tarifvertrag gilt          Räumlich: für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland          Fachlich: für alle Betriebe des Schornsteinfegerhandwerks. Das sind alle Betriebe, die zulassungspflichtige Tätigkeiten nach § 1 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage A Nr. 12 HwO ausüben.          Persönlich: für alle Auszubildenden, die in dem anerkannten Ausbildungsberuf Schornsteinfeger nach der Verordnung über die Berufsausbildung zum Schornsteinfeger und zur Schornsteinfegerin ausgebildet werden und eine nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) versicherungspflichtige Tätigkeit ausüben.                            § 2 Förderung der beruflichen Ausbildung          Zur Förderung der Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl von Ausbildungsplätzen und um die Durchführung einer qualifizierten, den besonderen Anforderungen des Wirtschaftszweiges gerecht werdenden Berufsbildung der Auszubildenden im Schornsteinfegerhandwerk zu sichern, gründen die Tarifvertragsparteien eine Ausbildungskostenausgleichskasse. Die Ausbildungskostenausgleichskasse wird als nicht gewinnorientierte Gesellschaft in der Rechtsform einer GmbH gegründet. Diese Gesellschaft wird ermächtigt, von den Betrieben Beiträge im eigenen Namen einzuziehen und entsprechend dem Gesellschaftszweck einen Zuschuss zu den Ausbildungskosten an die ausbildenden Betriebe auszuzahlen.                            § 3 Ausbildungskostenausgleich          (1) Jeder Betrieb, der einen Auszubildenden zum Schornsteinfeger ausbildet, hat ab dem 01.01.2013 gegenüber der Ausbildungskostenausgleichskasse unter den Voraussetzungen der Einhaltung der §§ 5 bis 7 einen Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich:          a)     im ersten Ausbildungsjahr: 6.400,00 € brutto          b)     im zweiten Ausbildungsjahr: 5.100,00 € brutto          c)     im dritten Ausbildungsjahr: 3.400,00 € brutto          Der Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich erfolgt maximal für eine Ausbildungsdauer von 36 Monaten.          …                 (4) Der kalenderjährliche Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich wird in 4 Raten fällig. Der Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich für das 1. Quartal des Kalenderjahres wird am 15.07. des Kalenderjahres fällig, der Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich für das 2. Quartal des Kalenderjahres wird am 15.10. des Kalenderjahres fällig, der Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich für das 3. Quartal wird am 15.01. des darauf folgenden Kalenderjahres fällig und der Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich für das 4. Quartal wird am 15.04. des darauf folgenden Kalenderjahres fällig.                            § 4 Ausbildungsvergütung          Auszubildende zum Schornsteinfeger erhalten eine monatliche Ausbildungsvergütung für das erste Lehrjahr in Höhe von mindestens 419,- € brutto, für das zweite Lehrjahr in Höhe von mindestens 476,- € brutto und für das dritte Lehrjahr in Höhe von mindestens 557,- € brutto.                            § 5 Stammdaten          (1) Vor Aufnahme einer Tätigkeit im Schornsteinfegerhandwerk ist jeder Betrieb verpflichtet, sich bei der Ausbildungskostenausgleichskasse zu melden und dieser folgende Stammdaten mitzuteilen:          1.     Name, Rechtsform und gesetzliche Vertreter des Unternehmens          2.     Anschrift am Hauptbetriebssitz, ggf. davon abweichende inländische Zustellungsadresse, Telefonnummer, Telefaxnummer, E-Mail-Adresse          3.     inländische oder, soweit nicht vorhanden, ausländische Bankverbindung          (2) Das Meldeformular, das von der Ausbildungskostenausgleichskasse zur Verfügung gestellt wird, ist zu unterschreiben. Durch die Unterschrift bestätigt der Betriebsinhaber oder Betriebsleiter die Vollständigkeit und Richtigkeit der Meldungen. Änderungen sind der Ausbildungskostenausgleichskasse innerhalb von zwei Wochen in schriftlicher Form mitzuteilen. Erst mit der vollständigen und richtigen Erteilung der in Absatz 1 geforderten Auskünfte hat der Betrieb seine Verpflichtung zur Meldung erfüllt.          (3) Die bereits bestehenden Betriebe haben der Ausbildungskostenausgleichskasse die in Abs. 1 geforderten Auskünfte bis zum 30.11.2012 mitzuteilen.          …                 § 7 Beiträge          (1) Die Mittel für die Ausgleichszahlungen und die Kosten für die Verwaltung der Ausbildungskostenausgleichskasse werden von den Betrieben durch Beiträge aufgebracht. Beitragspflichtig sind die in § 1 des Tarifvertrages genannten Betriebe.          (2) Ab dem 01.01.2013 hat jeder Betrieb kalenderjährlich einen Beitrag von 4,4 % der Summe der Bruttolöhne aller in seinem Betrieb beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer, die nach Schornsteinfegerhandwerksgesetz mit der Ausübung von Schornsteinfegertätigkeiten betraut sind, als Beitrag an die Ausbildungskostenausgleichskasse abzuführen. Unabhängig hiervon beträgt der Mindestbeitrag je Betrieb 800,00 € brutto pro Kalenderjahr.          …                 (5) Der Betrieb hat den Beitrag in vier gleichen Raten zu zahlen. Der Beitrag wird jeweils fällig zum 20. Kalendertag des 1. Monats im Kalendervierteljahr.          …                 (7) Der Betrieb hat der Ausbildungskostenausgleichskasse über ein von ihr zur Verfügung gestelltes Formular die gezahlten Bruttolohnsummen des abgelaufenen Geschäftsjahres bis zum 30. April des Folgejahres nachzuweisen. …          (8) Stellt sich nach Ablauf eines Kalenderjahres heraus, dass der Beitrag zu hoch oder zu niedrig war, um die tarifvertraglich festgelegten Leistungen zu decken, so hat auf Antrag einer der Tarifvertragsparteien für das folgende Kalenderjahr eine entsprechende Anpassung zu erfolgen.“ 4 Die Regelungen in § 1 (Geltungsbereich), § 2 (Förderung der beruflichen Ausbildung), § 5 Abs. 1 und Abs. 2 (Stammdaten), § 6 (Verfahren bei der Gewährung des Ausbildungskostenausgleichs) und § 7 Abs. 1, Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 und Abs. 8 TV AKS 2014 stimmen weitestgehend mit den jeweiligen Regelungen im TV AKS 2012 überein. Die jährlichen Ausgleichsbeträge (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a bis Buchst. c TV AKS 2014) wurden um jeweils 150,00 Euro und die monatliche Ausbildungsvergütung (§ 4 TV AKS 2014) um jeweils 10,00 Euro angehoben. Der Beitragssatz blieb unverändert (§ 7 Abs. 2 Satz 1 TV AKS 2014). Der Mindestbeitrag wurde auf 400,00 Euro reduziert (§ 7 Abs. 2 Satz 3 TV AKS 2014). 5 Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erklärte den TV AKS 2012 durch Bekanntmachung vom 26. März 2013 mit Wirkung zum 1. November 2012 für allgemeinverbindlich (BAnz AT 4. April 2013 B1). Der TV AKS 2014 wurde durch Bekanntmachung vom 27. November 2014 mit Wirkung vom 1. Januar 2015 für allgemeinverbindlich erklärt (BAnz AT 3. Dezember 2014 B4). Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg wies den Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit dieser Allgemeinverbindlicherklärungen mit Beschluss vom 20. September 2017 (- 17 BVL 5001/17, 17 BVL 5002/17 -) zurück. Der Beschluss ist rechtskräftig. 6 Die Klägerin hat gemeint, der Beklagte sei zur Zahlung der Mindestbeiträge nach § 7 Abs. 2 Satz 2 TV AKS 2012 verpflichtet. Er habe ihr nach § 7 Abs. 7 Satz 1 TV AKS 2014 die Bruttolohnsumme des Kalenderjahrs 2014 mitzuteilen. 7 Die Klägerin hat beantragt,          den Beklagten zu verurteilen, ihr          1.     200,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Januar 2013 zu zahlen;          2.     200,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. April 2013 zu zahlen;          3.     200,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Juli 2013 zu zahlen;          4.     200,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Oktober 2013 zu zahlen;          5.     200,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Januar 2014 zu zahlen;          6.     200,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. April 2014 zu zahlen;          7.     200,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Juli 2014 zu zahlen;          8.     200,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Oktober 2014 zu zahlen;          9.     die Bruttolohnsumme der mit Schornsteinfegerarbeiten betrauten gewerblichen Mitarbeiter für das Jahr 2014 anzugeben. 8 Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat gemeint, die Tarifvertragsparteien hätten in Bezug auf die Festlegung der Beitragshöhe die Grenzen ihrer Regelungsmacht überschritten. Die an die Ausbildungskostenausgleichskasse gezahlten Beiträge dienten nicht der Erfüllung von Arbeitnehmeransprüchen. Vielmehr profitierten andere Arbeitgeber davon, die Auszubildende einstellten. Die Beitragspflicht beschränke die Berufsausübungsfreiheit und bewirke zudem eine unzulässige Ungleichbehandlung von Kleinstbetrieben ohne oder mit nur geringem Bedarf an Auszubildenden. 9 Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte weiterhin das Ziel der Klageabweisung. Aufgrund der ihr zwischenzeitlich erteilten Auskunft über die Bruttolohnsumme des Kalenderjahrs 2014 hat die Klägerin die Hauptsache im Revisionsrechtszug hinsichtlich des Auskunftsantrags (Klageantrag zu 9.) für erledigt erklärt. 10 B. Das Verfahren ist bis zur Rechtskraft einer Entscheidung über die Tariffähigkeit und die Tarifzuständigkeit des ZDS bei Abschluss des TV AKS 2012 und des TV AKS 2014 für diese Tarifverträge auszusetzen (§ 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG). Der Ausgang des Rechtsstreits hängt von dieser Entscheidung ab. 11 I. Nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG hat das Gericht das Verfahren bis zur Erledigung eines Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG auszusetzen, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits davon abhängt, ob eine Vereinigung tariffähig oder ob die Tarifzuständigkeit einer Vereinigung gegeben ist. Über die Eigenschaft der Tariffähigkeit und -zuständigkeit einer Vereinigung soll in einem objektivierten Verfahren, in dem die jeweils beteiligten Personen und Stellen anzuhören sind (§ 97 Abs. 2a iVm. § 83 Abs. 3 ArbGG), einheitlich mit Wirkung gegenüber jedermann entschieden werden. Zu den formellen Voraussetzungen eines Aussetzungsbeschlusses nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG gehört neben der Darlegung vernünftiger Zweifel am Fehlen mindestens einer der in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG genannten Eigenschaften auch die Begründung ihrer Entscheidungserheblichkeit (vgl. BAG 22. März 2017 – 1 AZB 55/16 – Rn. 16 mwN, BAGE 158, 315). 12 II. Die formellen Voraussetzungen eines Aussetzungsbeschlusses, der die Grundlage für das nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG einzuleitende Beschlussverfahren bildet (vgl. dazu BAG 22. März 2017 – 1 AZB 55/16 – Rn. 16, BAGE 158, 315), sind im Streitfall erfüllt. Es bestehen vernünftige Zweifel daran, dass der ZDS bei Abschluss des TV AKS 2012 und des TV AKS 2014 tariffähig war. Darüber hinaus bestehen vernünftige Zweifel daran, dass er für diese Tarifverträge bei deren Abschluss tarifzuständig war. Diese Zweifel sind entscheidungserheblich. 13 1. Der Beklagte stellt allein die materielle Wirksamkeit des TV AKS 2012 und des TV AKS 2014 infrage, auf die die Klägerin ihre Ansprüche stützt. Der Senat muss nach § 557 Abs. 3 Satz 1 ZPO dennoch prüfen, ob vernünftige Zweifel an der Tariffähigkeit und der Tarifzuständigkeit des ZDS bei Abschluss des TV AKS 2012 und des TV AKS 2014 bestehen. 14 a) Die Tariffähigkeit und die Tarifzuständigkeit der Tarifvertragsparteien sind Wirksamkeitsvoraussetzungen für den jeweils abgeschlossenen Tarifvertrag als statutarisches Recht (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 118, BAGE 156, 213; ErfK/Franzen 18. Aufl. § 5 TVG Rn. 7; Löwisch/Rieble TVG 4. Aufl. § 5 Rn. 88). Hierbei handelt es sich nicht um einen Verfahrensmangel iSv. § 557 Abs. 3 Satz 2 ZPO. 15 b) Die Tariffähigkeit und die Tarifzuständigkeit der Tarifvertragsparteien müssen bei Abschluss des jeweiligen Tarifvertrags vorgelegen haben (für die Tarifzuständigkeit BAG 14. Januar 2014 – 1 ABR 66/12 – Rn. 50, BAGE 147, 113). Zur Prüfung der Tariffähigkeit und der Tarifzuständigkeit des ZDS bei Abschluss des TV AKS 2012 und des TV AKS 2014 hatte der Senat die im Handelsregister veröffentlichte Satzung des ZDS vom 29. Juni 2012 (Satzung) heranzuziehen, die bei Abschluss der beiden Tarifverträge in Kraft war. 16 aa) Ergibt sich aus dem Vortrag der Parteien im Rechtsstreit, dass die normative Wirkung eines Tarifvertrags nach § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 4 TVG in Betracht kommt, muss das Gericht diese Normen nach § 293 ZPO von Amts wegen ermitteln (BAG 25. Januar 2017 – 4 AZR 520/15 – Rn. 29 mwN). Die Ermittlungspflicht trifft in erster Linie den Tatrichter (BAG 15. April 2008 – 9 AZR 159/07 – Rn. 42). Zu ihr gehört auch die Prüfung der Wirksamkeit der Norm (BAG 7. Juli 2010 – 4 AZR 1023/08 – Rn. 16). Wie sich der Tatrichter die erforderliche Kenntnis verschafft, steht in seinem Ermessen (für ausländisches Recht BGH 6. Oktober 2016 – I ZB 13/15 – Rn. 66). Das ermittelnde Gericht ist nicht an Beweisangebote gebunden, sondern darf auch andere Erkenntnisquellen einschließlich des Freibeweises nutzen (BAG 15. April 2008 – 9 AZR 159/07 – Rn. 41). 17 bb) Auch für das Revisionsgericht gilt § 293 ZPO. Es darf die Wirksamkeit der entscheidungserheblichen Tarifverträge überprüfen, wenn es sich die erforderliche Kenntnis – etwa durch Einblick in die im Handelsregister veröffentlichte Satzung eines wirtschaftlichen Vereins – selbst verschaffen kann und keine weiteren tatsächlichen Feststellungen zu treffen sind (vgl. BAG 15. April 2008 – 9 AZR 159/07 – Rn. 41 f.). 18 2. An der Tariffähigkeit des ZDS bei Abschluss des TV AKS 2012 und des TV AKS 2014 bestehen vernünftige Zweifel. 19 a) Unter der Tariffähigkeit ist die Fähigkeit zu verstehen, durch Vereinbarung mit dem sozialen Gegenspieler ua. die Arbeitsbedingungen des Einzelarbeitsvertrags mit der Wirkung zu regeln, dass sie für die tarifgebundenen Personen unmittelbar und unabdingbar wie Rechtsnormen gelten (BVerfG 19. Oktober 1966 – 1 BvL 24/65 – zu A I der Gründe, BVerfGE 20, 312). Die Tariffähigkeit ist Voraussetzung, um einen wirksamen Tarifvertrag iSd. § 1 Abs. 1 TVG abschließen zu können (BAG 14. Dezember 2010 – 1 ABR 19/10 – Rn. 64, BAGE 136, 302). 20 b) Eine Arbeitnehmervereinigung ist tariffähig, wenn sie sich als satzungsgemäße Aufgabe die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder in deren Eigenschaft als Arbeitnehmer gesetzt hat und willens ist, Tarifverträge abzuschließen. Sie muss frei gebildet, gegnerfrei, unabhängig und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert sein und das geltende Tarifrecht als verbindlich anerkennen. Zudem ist erforderlich, dass die Arbeitnehmervereinigung ihre Aufgabe als Tarifpartnerin sinnvoll erfüllen kann. Dazu gehören die durch ihre Mitglieder vermittelte Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler und eine leistungsfähige Organisation (vgl. BAG 14. Dezember 2010 – 1 ABR 19/10 – Rn. 67 mwN, BAGE 136, 302). 21 c) Nach der bei Abschluss des TV AKS 2012 und des TV AKS 2014 geltenden Satzung des ZDS bestehen vernünftige Zweifel an dessen Tariffähigkeit im Hinblick auf die Gegnerunabhängigkeit. 22 aa) Das Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit soll sicherstellen, dass die Vereinigung durch ihre koalitionsmäßige Betätigung zu einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens beitragen kann (BVerfG 10. Dezember 1985 – 1 BvR 1724/83 – zu 2 b bb der Gründe). Die Gegnerunabhängigkeit fehlt (erst), wenn die Abhängigkeit vom sozialen Gegenspieler in der Struktur der Arbeitnehmervereinigung angelegt und verstetigt und die eigenständige Interessenwahrnehmung der Tarifvertragspartei durch personelle Verflechtungen, auf organisatorischem Weg oder durch wesentliche finanzielle Zuwendungen ernsthaft gefährdet ist. Daran ist insbesondere zu denken, wenn sie sich im Wesentlichen nicht aus den Beiträgen ihrer Mitglieder finanziert und deshalb zu befürchten ist, dass die Arbeitgeberseite durch Androhung der Zahlungseinstellung die Willensbildung auf Arbeitnehmerseite beeinflussen kann (BAG 5. Oktober 2010 – 1 ABR 88/09 – Rn. 31 mwN, BAGE 136, 1). 23 bb) Aufgrund der in der Satzung des ZDS enthaltenen Regelungen über die „Fördermitgliedschaft“ selbständiger Schornsteinfeger im ZDS bestehen gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass es sich dabei um mehr als eine „formale“ Mitgliedschaft handelt, die nach einer in der Literatur geäußerten Auffassung hinsichtlich der Gegnerfreiheit unbedenklich ist (vgl. Löwisch/Rieble TVG 4. Aufl. § 2 Rn. 68). Vielmehr könnte der soziale Gegenspieler als Fördermitglied die eigenständige Interessenwahrnehmung und die tarifliche Willensbildung des ZDS aufgrund personeller Verflechtungen, auf organisatorischem Weg oder durch wesentliche finanzielle Zuwendungen ernsthaft beeinflussen. 24 (1) Nach § 3 Nr. 2 der Satzung vertritt der ZDS die Arbeitnehmer/innen im Schornsteinfegerhandwerk in der Bundesrepublik Deutschland. Mitglied kann nach § 4 Nr. 1 Satz 1 der Satzung „jede/r nicht selbständige Schornsteinfeger/in werden, der/die die Gesellenprüfung … bestanden hat“. Aus den Regelungen in § 4 Nr. 1 Satz 3 und Satz 4 der Satzung geht hervor, dass selbständige bevollmächtigte Bezirksschornsteinfeger „Fördermitglied“ des ZDS werden können. Nach § 5 Nr. 10 der Satzung „wandelt sich“ die Mitgliedschaft im ZDS „am Tag der Bestellung bzw. am Tag des Wechsels in die Selbständigkeit in eine Fördermitgliedschaft“. Damit erlaubt die Satzung nicht nur Schornsteinfegern, die selbst Arbeitgeber sind, Mitglied im ZDS zu werden. Sie sieht anstelle der Beendigung einer nach § 4 der Satzung bestehenden Mitgliedschaft infolge des Wechsels in die Selbständigkeit sogar den „automatischen“ Erwerb einer Fördermitgliedschaft im ZDS vor. Anders als bei einer Mitgliedschaft nach § 4 Nr. 1 Satz 1 der Satzung wird weder ein Antrag noch eine Entscheidung des ZDS über die Aufnahme eines Fördermitglieds vorausgesetzt. 25 (2) Fördermitglieder schulden dem ZDS nach § 12 Nr. 1 Satz 2 der Satzung Beiträge. Deren Höhe können sie „frei wählen“, sie müssen jedoch mindestens „50 % des Beitrags gemäß Satz 1“, dh. des monatlichen Beitrags eines Mitglieds im ZDS, leisten. Damit erlaubt die Satzung den Fördermitgliedern finanzielle Zuwendungen an den ZDS, die nicht nach oben „gedeckelt“ sind. Die Leistungen, die nach § 7 Nr. 2 Buchst. a bis Buchst. l der Satzung ausschließlich für Fördermitglieder vorgesehen sind, stellen einen Anreiz zur Begründung bzw. Beibehaltung einer nach § 5 Nr. 10 der Satzung erworbenen Fördermitgliedschaft für selbständige Schornsteinfeger dar. Dabei sind die „Unterstützung bei der Mitarbeitersuche“ (Buchst. g) und die „Beratung bei Gehaltsabrechnungen“ (Buchst. h) besonders interessant für Schornsteinfeger, die ihrerseits Arbeitnehmer beschäftigen. Nach Angaben des ZDS steigt die Anzahl der Arbeitgeber, die die Vorteile der Mitgliedschaft nutzt, stetig. Viele von ihnen blieben dem ZDS als Fördermitglied treu und nutzten das auf dem Weg in die Selbständigkeit. Vor diesem Hintergrund bestehen gewichtige Anhaltspunkte für die Befürchtung, dass der ZDS sich nicht unwesentlich aus den Beiträgen von Fördermitgliedern finanziert. Dadurch könnte eine Einflussnahme des sozialen Gegenspielers auf die Willensbildung auf Arbeitnehmerseite möglich und die eigenständige Interessenwahrnehmung des ZDS ernstlich gefährdet sein. 26 (3) Da die Satzung des ZDS in Bezug auf die Rechte und Pflichten von Fördermitgliedern und Mitgliedern nicht hinreichend differenziert, bestehen überdies vernünftige Zweifel daran, dass der ZDS seine Interessen eigenständig verfolgen und seinen tariflichen Willen bilden kann, ohne dabei einem wesentlichen Einfluss der Fördermitglieder ausgesetzt zu sein. 27 (a) § 7 Nr. 2 der Satzung zählt zwar die Fördermitgliedern zustehenden Leistungen auf. Es liegt jedoch nahe, dass die Bestimmung in § 7 Nr. 3 der Satzung, wonach die Leistungen nur gewährt werden, wenn „das Mitglied“ die satzungsgemäßen Pflichten erfüllt hat, in gleicher Weise für Fördermitglieder gilt. Dies ist auch für andere Regelungen wie etwa die in § 4 Nr. 4, § 5 Nr. 3 und § 11 Nr. 1 bis Nr. 3 der Satzung anzunehmen, wonach „das Mitglied“ die Satzung des ZDS anerkennt, „ein Mitglied“ unter bestimmten Voraussetzungen aus dem ZDS ausgeschlossen werden kann und „jedes Mitglied“ ua. zur regelmäßigen Entrichtung seiner Beiträge verpflichtet ist. 28 (b) Die Satzung kennt auch Regelungen, die sich auf die Rechte und Pflichten von Fördermitgliedern beschränken. So gilt nach § 10 Nr. 11 der Satzung der „Rechtsbeistand gemäß § 10 Nr. 2 … nicht für Fördermitglieder“. § 15 Nr. 3 der Satzung bestimmt, dass „Fördermitglieder … keine Wahlberechtigung (haben) und … in kein Vorstandsamt des ZDS gewählt werden (dürfen)“. Diese Bestimmungen reichen jedoch nicht aus, um mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen, dass Fördermitglieder in den Organen des ZDS wesentlichen Einfluss auf die eigenständige Interessenwahrnehmung des ZDS nehmen können. 29 (aa) Die Satzung untersagt den Fördermitgliedern nicht, das Stimmrecht bei der Mitgliederversammlung auszuüben. Diese beschließt mit einfacher Stimmenmehrheit (§ 24 Nr. 5 der Satzung) ua. die Entlastung des Vorstands (§ 24 Nr. 3 Buchst. b der Satzung) und die Verabschiedung des Haushaltsplans (§ 24 Nr. 3 Buchst. c der Satzung). 30 (bb) Nach der Satzung ist es ferner nicht ausgeschlossen, dass Fördermitglieder den Gremien des ZDS angehören können, die ua. über die personelle Besetzung seiner Organe entscheiden. So verbietet die Satzung weder die Wahl von Fördermitgliedern zu Delegierten und Ersatzdelegierten für Zentralverbands- und Regionalverbandstage (§ 24 Nr. 3 Buchst. e der Satzung), zu Mitgliedern der Schlichtungsausschüsse (§ 25 der Satzung) noch zu Obleuten oder Beisitzern der Revisionskommission (§ 26 der Satzung). Die Delegierten des Zentralverbandstags wählen nach § 17 Nr. 1 der Satzung einen Vorstand, der den ZDS „nach innen und außen“ vertritt (§ 17 Nr. 5 Satz 1 der Satzung) und ua. für die Aufstellung von Haushaltsplänen sorgt (§ 17 Nr. 5 Satz 2 Buchst. b der Satzung). Zu den Aufgaben des Zentralverbandstags gehören nach § 22 Nr. 2 der Satzung ua. die endgültige Regelung von Verbandsangelegenheiten (Buchst. g), die Änderung der Satzung (Buchst. i) und die Beschlussfassung über die Richtlinie zur Durchführung von Arbeitskämpfen (Streikrichtlinie) (Buchst. j). Nach § 34 der Satzung kann der Zentralverbandstag auch die Auflösung des ZDS beschließen (Nr. 1 und Nr. 2) und über die Verwendung des Vermögens entscheiden (Nr. 3). Die Delegierten des Regionalverbandstags wählen nach § 19 Nr. 3 der Satzung ebenfalls einen Vorstand, der ua. den Regionalverband „gegenüber Behörden und Arbeitgeberverbänden“ vertritt und für die Aufstellung von Haushaltsplänen zu sorgen hat (§ 19 Nr. 8 Satz 2 Buchst. a und Buchst. b der Satzung). Der Regionalverbandstag hat nach § 23 Nr. 8 der Satzung zB die Aufgabe, den Haushaltsplan zu verabschieden (Buchst. b), den Vorstand zu entlasten (Buchst. c) und „Anträge und Entschließungen“ zu behandeln (Buchst. e). Er ist bereits beschlussfähig, wenn die Hälfte der gewählten Delegierten anwesend ist (§ 23 Nr. 9 Satz 1 der Satzung). Die Schlichtungsausschüsse stellen auf Antrag ua. die Satzungsmäßigkeit von Vorstandsentscheidungen fest (§ 25 Nr. 6 Buchst. a der Satzung). 31 3. Dass der ZDS für den Abschluss des TV AKS 2012 und des TV AKS 2014 tarifzuständig war, begegnet ebenfalls vernünftigen Zweifeln. 32 a) Die Tarifzuständigkeit einer Arbeitnehmervereinigung richtet sich nach dem in ihrer Satzung autonom festgelegten Organisationsbereich. Dies ist Ausdruck der in Art. 9 Abs. 1 und Abs. 3 GG verfassungsrechtlich garantierten Vereins- und Koalitionsfreiheit. Dementsprechend kann eine Gewerkschaft ihren Organisationsbereich betriebs- oder unternehmensbezogen, branchen- oder berufsbezogen, regional- oder personenbezogen festlegen. Ebenso gut kann sie eine Kombination mehrerer Kriterien wählen oder die Tarifzuständigkeit für die Arbeitnehmer bestimmter, konkret bezeichneter Unternehmen beanspruchen (BAG 22. Februar 2017 – 5 AZR 252/16 – Rn. 33 mwN, BAGE 158, 205). Die äußerste Grenze der Tarifzuständigkeit in subjektiver Hinsicht ist gesetzlich durch § 3 Abs. 1 und Abs. 2 TVG beschrieben. Ein Verband kann einen Tarifvertrag daher nicht mit einem solchen betrieblichen Geltungsbereich abschließen, der über den Bereich hinausgeht, aus dem der Verband nach seiner Satzung Mitglieder aufnehmen kann (so bereits BAG 19. Dezember 1958 – 1 AZR 109/58 – zu 1 der Gründe, BAGE 7, 153; Wiedemann/Oetker 7. Aufl. § 2 TVG Rn. 56, 58). Die Tarifzuständigkeit besteht nur für Personengruppen, die wirklich Mitglieder stellen (Wiedemann/Oetker aaO Rn. 77). Sie fehlt für Personen, die mangels Mitgliedschaft nicht tarifgebunden sein können (Wiedemann/Oetker aaO Rn. 56). 33 b) Für die Bestimmung des Organisationsbereichs einer Tarifvertragspartei ist deren Satzung gegebenenfalls auszulegen. Maßgeblich ist der objektivierte Wille des Satzungsgebers. Wegen der normähnlichen Wirkung der Satzung körperschaftlich strukturierter Vereinigungen gelten die Grundsätze der Gesetzesauslegung. Danach sind maßgeblich zunächst der Wortlaut und der durch ihn vermittelte Wortsinn, ferner der Gesamtzusammenhang, der Sinn und Zweck und die Entstehungsgeschichte der Satzung. Umstände außerhalb der Satzung, die sich in ihr nicht niederschlagen, sind nicht berücksichtigungsfähig. Das gebietet die Rechtssicherheit (BAG 17. April 2012 – 1 ABR 5/11 – Rn. 55 mwN, BAGE 141, 110). 34 c) Aufgrund seiner bei Abschluss des TV AKS 2012 und des TV AKS 2014 geltenden Satzung bestehen an der Tarifzuständigkeit des ZDS für diese Tarifverträge vernünftige Zweifel. 35 aa) Der persönliche Geltungsbereich des TV AKS 2012 und des TV AKS 2014 erstreckt sich nach § 1 Unterabs. 3 der beiden Tarifverträge auf „alle Auszubildenden“. § 4 TV AKS 2012 und TV AKS 2014 regeln die Höhe der Ausbildungsvergütung. 36 bb) Der satzungsgemäße Organisationsbereich des ZDS erstreckt sich nicht auf Auszubildende. 37 (1) Nach § 3 Nr. 2 der Satzung vertritt der ZDS die Arbeitnehmer/innen im Schornsteinfegerhandwerk in der Bundesrepublik Deutschland. § 3 Nr. 3 der Satzung bestimmt, dass der ZDS „für den Zusammenschluss der nicht selbständigen Schornsteinfeger/innen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland (eintritt)“. Als Aufgaben sind in § 3 Nr. 5 Buchst. b der Satzung die „Verbesserung von Einkommen und Arbeitsbedingungen durch Abschluss von Tarifverträgen und Einwirkung auf die Gesetzgebung und Behörden“ genannt. Nach § 3 Nr. 5 Buchst. f der Satzung ist auch die „Bildungs- und Schulungsarbeit für Mitglieder für die Bereiche Aus-, Weiter- und Fortbildung“ Aufgabe des ZDS. 38 (2) § 4 Nr. 1 Satz 1 der Satzung sieht vor, dass Mitglied im ZDS „jede/r nicht selbständige Schornsteinfeger/in werden (kann), der/die Gesellenprüfung im Schornsteinfegerhandwerk bestanden hat“. Diese Voraussetzung erfüllen Auszubildende nicht. 39 (3) Nach § 4 Nr. 1 Satz 2 der Satzung sind „weitere Arten der Mitgliedschaft und deren Ausgestaltung … auf Beschluss des Zentralverbandstags möglich“. 40 (a) Dass und gegebenenfalls wann der Zentralverbandstag einen Beschluss gefasst hat, aufgrund dessen Auszubildende Mitglieder des ZDS werden können, ist der Satzung nicht zu entnehmen. 41 (b) Soweit der ZDS auf den Beschluss des 33. Zentralverbandstags 2006 zum Sachantrag A9 verweist, wonach „alle Auszubildenden im Schornsteinfegerhandwerk Servicemitglied (sind)“, „der Umfang des Service … den zuständigen Bezirks- oder Landesgruppen bzw. dem Regionalverband (obliegt)“ und „die Mindestinhalte der Servicemitgliedschaft … vom erweiterten Zentralverbandsvorstand festgelegt (werden)“, wurde dieser nicht im Handelsregister veröffentlicht. Da sich diese „Servicemitgliedschaft“ auch nicht in der Satzung niedergeschlagen hat, kann sie aus Gründen der Rechtssicherheit nicht bei der Feststellung des Organisationsbereichs des ZDS berücksichtigt werden (vgl. BAG 17. April 2012 – 1 ABR 5/11 – Rn. 55, BAGE 141, 110). 42 (c) Der Umstand, dass Auszubildenden nach Angaben des ZDS eine kostenfreie „Servicemitgliedschaft“ angeboten wird, die automatisch mit der bestandenen Gesellenprüfung endet, kann die Zweifel an der Tarifzuständigkeit des ZDS für Auszubildende ebenfalls nicht beseitigen. Selbst unter Berücksichtigung dessen ist nicht ansatzweise erkennbar, dass es sich bei der Servicemitgliedschaft um eine Vollmitgliedschaft im ZDS oder zumindest um eine Mitgliedschaftsform handeln könnte, die der ordentlichen Mitgliedschaft hinsichtlich des Einflusses auf die Willensbildung des ZDS gleichgestellt ist. Dagegen spricht wesentlich, dass die Servicemitgliedschaft nach dem Beschluss des 33. Zentralverbandstags „vom jeweiligen Vorstand ausgesprochen (wird) und … ohne Aufnahmeantrag des Mitglieds möglich (ist)“. Überdies decken sich die auf dem Zentralverbandstag vom 29. Juni 2012 zum Initiativantrag I 1 beschlossenen „Mindeststandards“ für die Servicemitgliedschaft nicht mit den satzungsgemäßen Rechten der Mitglieder des ZDS. 43 d) Die vernünftigen Zweifel an der Tarifzuständigkeit des ZDS für Auszubildende erstrecken sich aufgrund des untrennbaren Zusammenhangs der Regelungen über den persönlichen Geltungsbereich in § 1 Unterabs. 3 und die Ausbildungsvergütung in § 4 TV AKS 2012 und TV AKS 2014 auch auf die übrigen Regelungen des TV AKS 2012 und des TV AKS 2014. 44 aa) Die Unwirksamkeit einzelner Tarifnormen führt grundsätzlich entgegen der Auslegungsregel des § 139 BGB nicht zur Gesamtnichtigkeit des Tarifvertrags, sondern nur zur Unwirksamkeit dieser Bestimmungen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Tarifvertrag ohne die unwirksame Regelung noch eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung bildet (vgl. BAG 16. November 2011 – 4 AZR 856/09 – Rn. 27; 9. Mai 2007 – 4 AZR 275/06 – Rn. 37 mwN). 45 bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze könnten der TV AKS 2012 und der TV AKS 2014 nicht bestehen bleiben, wenn sich die Unzuständigkeit des ZDS für Auszubildende herausstellte. Ohne die Regelungen des persönlichen Geltungsbereichs (§ 1 Unterabs. 3) und der Höhe der Ausbildungsvergütung (§ 4) stellen die Tarifverträge keine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung mehr dar. 46 (1) Die Gründung der Klägerin dient nach § 2 Satz 1 TV AKS 2012 und TV AKS 2014 zur „Förderung der Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl von Ausbildungsplätzen“ und dazu, „die Durchführung einer … Berufsbildung der Auszubildenden im Schornsteinfegerhandwerk zu sichern“. § 3 TV AKS 2012/TV AKS 2014 regelt den Ausbildungskostenausgleichsanspruch für die ausbildenden Betriebe. Im unmittelbar nachfolgenden § 4 TV AKS 2012/TV AKS 2014 ist die Höhe der Ausbildungsvergütung geregelt. 47 (2) Die Gesamtschau der tariflichen Regelungen zeigt deutlich, dass die Verteilung der durch die Beschäftigung eines Auszubildenden im Schornsteinfegerhandwerk entstehenden Kosten umfassend geregelt werden sollte. Dieses ersichtlich in sich geschlossene System erlaubt es nicht, bei Unwirksamkeit der Regelungen über den persönlichen Geltungsbereich (§ 1 Unterabs. 3) und die Ausbildungsvergütung (§ 4) die übrigen Bestimmungen des TV AKS 2012 und des TV AKS 2014 bestehen zu lassen. Insbesondere die Regelungen über die gegenüber der Klägerin bestehenden Erstattungs- und Beitragsleistungen haben keinen Sinn, wenn es keine Regelung über die Höhe der Ausbildungsvergütung gibt, die der rechnerische Anknüpfungspunkt für diese Leistungen ist. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien, hätten sie die Unwirksamkeit der Regelungen über die Höhe der Ausbildungsvergütung erkannt, die übrigen Bestimmungen, insbesondere zur Erstattungs- und Beitragspflicht, gleichwohl getroffen hätten. 48 4. Der Erfolg der Zahlungsklage hängt allein davon ab, ob der ZDS bei Abschluss des TV AKS 2012 und des TV AKS 2014 tariffähig und für diese Tarifverträge tarifzuständig war. Anderenfalls wäre die Klage abzuweisen, weil es sich bei dem TV AKS 2012 und dem TV AKS 2014 nicht um Tarifverträge iSd. § 1 Abs. 1 TVG, sondern lediglich um Kollektivvereinbarungen ohne normative Wirkung handelte (vgl. BAG 22. Februar 2017 – 5 AZR 252/16 – Rn. 31, BAGE 158, 205). Von der Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit des ZDS hängt auch die Entscheidung über den Klageantrag zu 9. ab, der sich auf der Grundlage von § 7 Abs. 7 Satz 1 TV AKS 2014 auf Auskunft richtet. Die Klägerin hat diesen Antrag einseitig für erledigt erklärt. Diese Erklärung enthält den Antrag festzustellen, dass die zulässige und begründete Klage erst durch das erledigende Ereignis unzulässig oder unbegründet geworden ist. War die Klage dagegen vor Eintritt des erledigenden Ereignisses unzulässig oder unbegründet, ist sie abzuweisen. Die Frage des erledigenden Ereignisses stellt sich nicht mehr (vgl. BAG 16. April 2013 – 9 AZR 535/11 – Rn. 10; 27. Juli 2005 – 7 AZR 508/04 – zu I der Gründe mwN, BAGE 115, 296; zu dem hierfür gegebenen Feststellungsinteresse BGH 21. September 2017 – I ZR 58/16 – Rn. 48). 49 a) Als Anspruchsgrundlage für die gegen den Beklagten geltend gemachten Beitragsforderungen kommt allein § 7 Abs. 2 Satz 2 TV AKS 2012 in Betracht. Der Auskunftsanspruch kann sich nur aus § 7 Abs. 7 Satz 1 TV AKS 2014 ergeben. 50 aa) Der Beklagte fällt in den von § 1 Unterabs. 2 Satz 1 TV AKS 2012 und TV AKS 2014 beschriebenen fachlichen Geltungsbereich der Tarifverträge. Er unterhält einen Betrieb des Schornsteinfegerhandwerks iSv. § 1 Unterabs. 2 Satz 2 TV AKS 2012 und TV AKS 2014. 51 bb) Beitragspflichtig sind nach § 7 Abs. 1 Satz 2 TV AKS 2012 „die in § 1 des Tarifvertrags genannten Betriebe“. Die Auskunftspflicht gegenüber der Klägerin trifft nach § 7 Abs. 7 Satz 1 TV AKS 2014 den „Betrieb“. Obwohl die Regelung im Unterschied zu § 7 Abs. 1 Satz 2 TV AKS 2012 und TV AKS 2014 nicht ausdrücklich auf „die in § 1 des Tarifvertrags genannten Betriebe“ verweist, kann damit ebenfalls nur ein Betrieb des Schornsteinfegerhandwerks gemeint sein, der dem in § 1 TV AKS 2012 und TV AKS 2014 gleichlautend definierten fachlichen Geltungsbereich unterfällt. 52 b) Die Regelungen in § 7 Abs. 2 Satz 2 TV AKS 2012 und § 7 Abs. 7 Satz 1 TV AKS 2014 stehen, soweit sie Beitrags- und Auskunftspflichten für Betriebe begründen, die – wie der Beklagte – Arbeitnehmer beschäftigen, mit dem höherrangigen materiellen Recht im Einklang. Sie verstoßen auch nicht gegen Art. 20 Abs. 3 GG. 53 aa) Der Senat ist durch den rechtskräftigen Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. September 2017 (- 17 BVL 5001/17, 17 BVL 5002/17 -) nicht daran gehindert, die Vereinbarkeit der tariflichen Regelungen mit höherrangigem Recht im vorliegenden Rechtsstreit zu prüfen, obwohl es sich dabei um auch für das Verfahren nach § 98 ArbGG bedeutsame Vorfragen handelt. Dies gilt ebenso für die Frage der Tariffähigkeit und der Tarifzuständigkeit der tarifvertragschließenden Parteien. Präjudizielle Rechtsverhältnisse und Vorfragen werden nur dann iSv. § 322 Abs. 1 ZPO rechtskräftig festgestellt, wenn sie selbst Streitgegenstand waren. Es genügt nicht, dass über sie lediglich als Vorfragen zu entscheiden war (BAG 25. September 2013 – 10 AZR 454/12 – Rn. 18, BAGE 146, 123). 54 bb) Bei der nach § 2 TV AKS 2012 und TV AKS 2014 von den Tarifvertragsparteien gegründeten Klägerin handelt es sich um eine gemeinsame Einrichtung iSv. § 4 Abs. 2 TVG. Gemeinsame Einrichtungen sind nach allgemeiner Ansicht von den Tarifvertragsparteien geschaffene und von ihnen abhängige Organisationen, deren Zweck und Organisationsstruktur durch Tarifvertrag festgelegt wird (BVerfG 15. Juli 1980 – 1 BvR 24/74, 1 BvR 439/79 – zu A I 2 der Gründe, BVerfGE 55, 7; BAG 25. Januar 1989 – 5 AZR 43/88 – zu II der Gründe, BAGE 61, 29). Für gemeinsame Einrichtungen bestehen bestimmte Mindestanforderungen, um die in § 4 Abs. 2 TVG genannten Rechtsfolgen herbeizuführen (JKOS/Krause 2. Aufl. § 4 Rn. 80 ff.; Löwisch/Rieble TVG 4. Aufl. § 4 Rn. 349 ff.). Diesen Erfordernissen genügt die Klägerin. 55 (1) Die Klägerin wurde als „nicht gewinnorientierte Gesellschaft in der Rechtsform einer GmbH“ gegründet und ist damit rechtsfähig (§ 13 Abs. 1 GmbHG). An ihrer organisatorischen Verselbständigung gegenüber den Tarifvertragsparteien bestehen ebenso wenig Zweifel wie daran, dass sie eine gemeinsame Angelegenheit der Tarifvertragsparteien ist und nur diese Aufsichts- und Weisungsrechte der Klägerin gegenüber haben. Die paritätische Trägerschaft beider Tarifvertragsparteien wird ebenfalls nicht infrage gestellt. 56 (2) Der in § 2 TV AKS 2012 und TV AKS 2014 festgelegte Zweck der Klägerin, die Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl von Ausbildungsplätzen zu fördern und die Durchführung einer qualifizierten, den besonderen Anforderungen des Wirtschaftszweigs gerecht werdenden Berufsbildung der Auszubildenden im Schornsteinfegerhandwerk zu sichern, fällt in den Rahmen der tariflichen Regelungsmacht von Tarifvertragsparteien. Diese wird auch mit Blick auf die Gründung und tarifvertragliche Ausgestaltung der Befugnisse von gemeinsamen Einrichtungen durch den in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen begrenzt (vgl. BVerfG 15. Juli 1980 – 1 BvR 24/74, 1 BvR 439/79 – zu B II 2 b der Gründe, BVerfGE 55, 7; BAG 22. Oktober 2003 – 10 AZR 13/03 – zu II 1 der Gründe, BAGE 108, 155). 57 (3) Die in § 3 TV AKS 2012 und TV AKS 2014 vorgesehene Erstattung von Ausbildungskosten an ausbildende Betriebe, die in § 7 Abs. 2 TV AKS 2012 und TV AKS 2014 geregelte Beitragspflicht und die damit korrespondierende Auskunftspflicht nach § 7 Abs. 7 Satz 1 TV AKS 2014 sind von der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien gedeckt. Die rechtlichen Beziehungen zwischen Arbeitgebern, gemeinsamer Einrichtung und Arbeitnehmern können so ausgestaltet sein, dass der Arbeitgeber alleiniger Schuldner der Arbeitnehmeransprüche bleibt und die gemeinsame Einrichtung aus den Beiträgen Rückstellungen bildet, die die Grundlage für Erstattungsleistungen an den Arbeitgeber bilden (vgl. zum Urlaubskassenverfahren im Baugewerbe BAG 25. Oktober 1984 – 6 AZR 35/82 – zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 47, 114; vgl. auch § 9 Abs. 2 AltersteilzeitG, wonach gemeinsame Einrichtungen als Ausgleichskassen zur Erstattung der vom Arbeitgeber geleisteten Aufstockungsbeträge errichtet werden können). 58 (4) Die Tarifvertragsparteien können in einem solchen Zusammenhang auch die Höhe der Ausbildungsvergütung regeln (vgl. § 4 TV AKS 2012 und TV AKS 2014). Da nach § 10 Abs. 2 BBiG auf den Berufsausbildungsvertrag, soweit sich aus seinem Wesen und Zweck nichts anderes ergibt, „die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze anzuwenden (sind)“, bezieht sich die Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien grundsätzlich auch auf Auszubildende (Löwisch/Rieble TVG 4. Aufl. § 1 Rn. 181). Wegen § 25 BBiG sind die Tarifvertragsparteien an die zwingenden Mindestbedingungen des Berufsbildungsrechts gebunden (Wiedemann/Thüsing 7. Aufl. § 1 TVG Rn. 395). Anhaltspunkte dafür, dass die in § 4 TV AKS 2012 und TV AKS 2014 vorgesehenen Ausbildungsvergütungen nicht angemessen iSv. § 17 Abs. 1 BBiG sein könnten, sind nicht ersichtlich (zur Vermutung der Angemessenheit von tarifvertraglichen Ausbildungsvergütungen BAG 16. Mai 2017 – 9 AZR 377/16 – Rn. 18 mwN). 59 cc) Die Beitragspflicht nach § 7 Abs. 2 Satz 2 TV AKS 2012 verletzt den Beklagten insbesondere nicht in seinen Grundrechten aus Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG. Dies gilt auch für die Auskunftspflicht nach § 7 Abs. 7 Satz 1 TV AKS 2014. 60 (1) Die Tarifvertragsparteien unterliegen beim Abschluss von Tarifverträgen keiner unmittelbaren Grundrechtsbindung. Als selbständigen Grundrechtsträgern kommt ihnen aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Wie weit dieser Spielraum reicht, hängt von den Differenzierungsmerkmalen im Einzelfall ab. Die Tarifvertragsparteien haben eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen. Bei der Lösung tarifpolitischer Konflikte sind sie nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Vereinbarung zu treffen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund vorliegt (BAG 26. April 2017 – 10 AZR 856/15 – Rn. 28 mwN). Die Schutzfunktion der Grundrechte verpflichtet die Arbeitsgerichte jedoch, Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheits- und sachwidrigen Differenzierungen führen und deshalb Art. 3 Abs. 1 GG verletzen. Sie haben auch die Freiheitsgrundrechte wie zum Beispiel Art. 12 GG zu beachten (BAG 12. Dezember 2012 – 10 AZR 718/11 – Rn. 31 mwN). Bei der Regelung von Massenerscheinungen liegt es in der Natur der Sache, dass es zu Randunschärfen kommt und die von den Tarifvertragsparteien gefundene Lösung nicht jedem Einzelfall gerecht werden kann (BAG 20. September 2017 – 6 AZR 143/16 – Rn. 43 mwN). 61 (2) Gemessen an diesen Maßstäben sind die Verpflichtung zur Zahlung des Mindestbeitrags nach § 7 Abs. 2 Satz 2 TV AKS 2012 sowie die Auskunftspflicht nach § 7 Abs. 7 Satz 1 TV AKS 2014 mit Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar. 62 (a) Die Festsetzung des jährlichen Mindestbeitrags auf 800,00 Euro für die Jahre 2013 und 2014 begegnet im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG keinen Bedenken. 63 (aa) Bezüglich der Beitragsbemessung steht den Tarifvertragsparteien ein erheblicher Freiraum zu. Die abzuführenden Beiträge müssen nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit den ausgeschütteten Leistungen stehen. Mit der Anknüpfung an die Bruttolohnsumme und der damit korrespondierenden Auskunftspflicht haben die Tarifvertragsparteien eine praktikable, weil rechnerisch leicht nachvollziehbare und im Streitfall einfach beweisbare Grundlage für die Berechnung der Beitragsschuld der tarifunterworfenen Betriebe gewählt (vgl. schon BAG 20. Oktober 1982 – 4 AZR 1211/79 – BAGE 40, 262 zum VTV im Baugewerbe vom 12. November 1960). 64 (bb) Die in § 7 Abs. 2 Satz 1 TV AKS 2012 geregelte Abhängigkeit der Beitragslast von der für die gewerblichen Schornsteinfeger gezahlten Bruttolohnsumme berücksichtigt, dass größere Betriebe regelmäßig nicht nur wirtschaftlich leistungsfähiger sind, sondern auch mehr Bedarf an ausgebildeten Schornsteinfegern haben als kleinere. Die Beitragsschuld relativiert sich durch die Erstattungsleistungen, die proportional zur Anzahl der im Betrieb zum Schornsteinfeger ausgebildeten Personen steigen und von denen größere Betriebe eher profitieren als kleinere, weil sie in der Regel über höhere Ausbildungskapazitäten verfügen. 65 (cc) Der jährliche Mindestbeitrag trifft auch Schornsteinfegerbetriebe, die keine oder nur in geringem Umfang – wie der Beklagte – Arbeitnehmer beschäftigen, die Schornsteinfegerarbeiten ausführen. Die „Beteiligung“ solcher Betriebe an der Finanzierung der Klägerin ist gleichwohl mit den Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Die Teilnahme aller Betriebe an der Finanzierung der Klägerin sorgt für die finanzielle Basis, die es ihr ermöglicht, ihrem in § 2 TV AKS 2012 und TV AKS 2014 definierten Gesellschaftszweck entsprechend Zuschüsse an die ausbildenden Betriebe zu zahlen. Auf diesem Weg fördert sie die Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl von Ausbildungsplätzen und die Qualität der beruflichen Ausbildung im Schornsteinfegerhandwerk. Die Höhe des ratierlich fälligen Mindestbeitrags von 800,00 Euro für die Jahre 2013 und 2014 trägt der Wirtschaftskraft kleinerer Betriebe und dem Umstand hinreichend Rechnung, dass sie in der Regel einen geringeren Bedarf an ausgebildeten Schornsteinfegern haben als mittlere und größere Betriebe. 66 (dd) Dass nach § 7 TV AKS 2012 und TV AKS 2014 auch Betriebe beitrags- und auskunftspflichtig sind, die nicht ausbilden oder nicht zur Ausbildung berechtigt sind und deswegen nicht in den Genuss des Ausbildungskostenausgleichs kommen können, stellt keine mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbare Schlechterstellung dieser Betriebe dar. Zum einen ist der Ausbildungskostenausgleich nach der Systematik des TV AKS 2012 und des TV AKS 2014 keine Gegenleistung für die gezahlten Beiträge. Er setzt vielmehr nach § 3 Abs. 1 TV AKS 2012 und TV AKS 2014 voraus, dass der Betrieb einen Schornsteinfeger ausbildet. Dadurch entstehen ihm ua. aufgrund der Regelung der Ausbildungsvergütung in § 4 TV AKS 2012 und TV AKS 2014 auch Kosten. Zum anderen profitiert ein Betrieb, der nicht selbst ausbildet, bei der Einstellung eines Schornsteinfegergesellen zumindest mittelbar von dem Ausbildungskostenausgleich (ebenso LAG Köln 7. Oktober 2011 – 4 Sa 778/11 – zu B II der Gründe zum Tarifvertrag über die Berufsbildung im Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau vom 11. März 1991 in den neuen Bundesländern und Ostberlin idF des Änderungstarifvertrags vom 7. Juni 1991). 67 (b) Die Beitragspflicht nach § 7 Abs. 2 Satz 2 TV AKS 2012 sowie die Auskunftspflicht nach § 7 Abs. 7 Satz 1 TV AKS 2014 verstoßen nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG. 68 (aa) Die Normen enthalten keine Berufszugangsregeln. Voraussetzung dafür wäre, dass die Berufsaufnahme an persönliche Eigenschaften, Fähigkeiten oder Leistungsnachweise gebunden würde (vgl. BVerfG 20. Dezember 2017 – 1 BvR 2233/17 – Rn. 10). Dies trifft für die streitgegenständlichen Beitrags- und Auskunftspflichten nicht zu. 69 (bb) Art. 12 Abs. 1 GG schützt die Erwerbszwecken dienende Tätigkeit vor staatlichen Beeinträchtigungen, die gerade auf die berufliche Betätigung bezogen sind (BVerfG 20. März 2007 – 1 BvR 1047/05 – Rn. 33, BVerfGK 10, 450). Indem der TV AKS 2012 und der TV AKS 2014 den Betrieben des Schornsteinfegerhandwerks Zahlungspflichten auferlegen, greifen sie als Berufsausübungsregelungen in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte unternehmerische Betätigungsfreiheit der Schornsteinfeger ein. Regelungen, die lediglich die Berufsausübung betreffen, sind mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls sie als zweckmäßig erscheinen lassen und das Grundrecht nicht unverhältnismäßig eingeschränkt wird (BVerfG 20. Dezember 2017 – 1 BvR 2233/17 – Rn. 11). Bei der durch die Beitragspflicht zur Klägerin bezweckten Förderung der Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl von Ausbildungsplätzen und der Sicherstellung einer qualifizierten Berufsausbildung im Schornsteinfegerhandwerk handelt es sich um spezifische berufsbezogene Gemeinwohlgründe. Das in beiden Tarifverträgen vorgesehene System der Finanzierung der Berufsausbildung im Schornsteinfegerhandwerk ist vor dem Hintergrund des den Tarifvertragsparteien zukommenden erheblichen Gestaltungsspielraums geeignet, erforderlich und auch verhältnismäßig im engeren Sinn (vgl. zu diesem Prüfungsmaßstab BVerfG 20. März 2007 – 1 BvR 1047/05 – Rn. 39 ff., aaO). 70 (cc) Der beitragsfinanzierte Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich erhöht die Ausbildungsbereitschaft der einzelnen Betriebe. Mildere Maßnahmen sind weder vom Beklagten aufgezeigt worden noch ersichtlich. Die Festsetzung eines Mindestbeitrags und die Anknüpfung der Beitragshöhe an die Bruttolohnsumme der im Betrieb beschäftigten Schornsteinfeger halten sich innerhalb des Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien. 71 (dd) Die Beteiligung aller Schornsteinfegerbetriebe an der Finanzierung der Klägerin ohne Rücksicht auf deren Ausbildungsbereitschaft und -fähigkeit ist erforderlich, um die ausreichende Finanzierung der Klägerin sicherzustellen. Durch die Beitragsstruktur wird die überproportionale Belastung kleinerer Schornsteinfegerbetriebe verhindert. 72 (ee) Die Beitragszahlung ist den betroffenen Betrieben zuzumuten. Dass die Festsetzung der Beitragshöhe mit 4,4 % der Bruttolohnsumme eine übermäßige Belastung mit sich bringt, ist nicht ersichtlich. Der jährliche Mindestbeitrag unterschritt in den Jahren 2013 und 2014 mit 800,00 Euro zwei Bruttomonatsvergütungen für einen Auszubildenden im ersten Ausbildungsjahr. Er ist daher aus der notwendig verallgemeinernden Perspektive der Tarifvertragsparteien auch von einem kleineren Schornsteinfegerbetrieb zu verkraften, zumal der Beitrag in vier Raten zu zahlen ist. 73 (c) Eine eigentumsfähige Position, die dem Schutz des Art. 14 GG unterfallen könnte, ist nicht erkennbar. In der Auferlegung von Geldleistungsverpflichtungen durch einen Tarifvertrag sieht das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich keinen Verstoß gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG 29. Februar 2012 – 1 BvR 2378/10 – Rn. 40 f.; ebenso BAG 19. Februar 2014 – 10 AZR 428/13 – Rn. 27). Sie erfasst nur anerkannte einzelne Vermögensrechte, nicht das Vermögen als solches (BVerfG 1. Oktober 2012 – 1 BvR 3046/11 – Rn. 5). 74 (d) Die Beitragspflicht nach § 7 Abs. 2 Satz 2 TV AKS 2012 und die Auskunftspflicht aus § 7 Abs. 7 Satz 1 TV AKS 2014 sind nicht wegen eines Verstoßes gegen Art. 20 Abs. 3 GG unwirksam. 75 (aa) Der aus dieser Norm hergeleitete Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes verpflichtet den parlamentarischen Gesetzgeber, wesentliche, für die Grundrechtsverwirklichung maßgebliche Regelungen selbst zu treffen und sie nicht anderen Normgebern oder der Exekutive zu überlassen (vgl. BVerfG 19. Dezember 2017 – 1 BvL 3/14, 1 BvL 4/14 – Rn. 116 mwN; BAG 23. Juli 2015 – 6 AZR 490/14 – Rn. 33, BAGE 152, 147). 76 (bb) Dass Regelungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen jedenfalls nicht ohne Weiteres zu den iSv. Art. 20 Abs. 3 GG „wesentlichen Entscheidungen“ gehören, folgt aus der durch Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten Tarifautonomie, deren Kerninstrumente das Aushandeln und der Abschluss von Tarifverträgen sind (BVerfG 27. April 1999 – 1 BvR 2203/93, 1 BvR 897/95 – zu B II 1 a der Gründe, BVerfGE 100, 271). In diesem Bereich enthält sich der Staat grundsätzlich einer Einflussnahme und überlässt die autonome Vereinbarung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in erster Linie den Koalitionen. Mit der grundrechtlichen Garantie der Tarifautonomie wird ein Freiraum gewährleistet, in dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihre Interessengegensätze in eigener Verantwortung austragen können (BVerfG 11. Juli 2017 – 1 BvR 1571/15, 1 BvR 1588/15, 1 BvR 2883/15, 1 BvR 1043/16, 1 BvR 1477/16 – Rn. 146). Der Gesetzgeber darf auch die Ordnungsfunktion der Tarifverträge unterstützen, indem er Regelungen schafft, die bewirken, dass die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Löhne und Gehälter auch für Nichtverbandsmitglieder zur Anwendung kommen (BVerfG 20. März 2007 – 1 BvR 1047/05 – Rn. 38, BVerfGK 10, 450). Er ist allerdings nicht gehindert, Rahmenbedingungen für das Handeln der Koalitionen zu ändern; er ist sogar verpflichtet einzugreifen, wenn nachhaltige Störungen der Funktionsfähigkeit des Systems vorliegen (BVerfG 11. Juli 2017 – 1 BvR 1571/15, 1 BvR 1588/15, 1 BvR 2883/15, 1 BvR 1043/16, 1 BvR 1477/16 – Rn. 147). 77 (cc) Danach scheidet ein Verstoß der tarifvertraglichen Beitrags- und Auskunftspflichten gegen Art. 20 Abs. 3 GG aus. 78 (aaa) Die Tarifvertragsparteien dürfen Arbeitgebern im Rahmen der ihnen nach Art. 9 Abs. 3 GG zukommenden Tarifautonomie Pflichten auferlegen, soweit dies – wie es beim TV AKS 2012 und beim TV AKS 2014 der Fall ist – der Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dient. 79 (bbb) Anhaltspunkte für eine nachhaltige Störung der Funktionsfähigkeit des Systems, die den Gesetzgeber zum Eingreifen gezwungen hätten, sind nicht ersichtlich. Sie können insbesondere nicht aus dem Umstand hergeleitet werden, dass die nach § 16 Abs. 2 des Gesetzes über das Schornsteinfegerwesen (Schornsteinfegergesetz – SchfG) vom 15. September 1969, gültig ab dem 1. Januar 1970 (zuletzt idF der Bekanntmachung vom 10. August 1998), gebildete Schornsteinfegerausgleichskasse nicht in das Gesetz zur Neuregelung des Schornsteinfegerwesens vom 26. November 2008 (BGBl. I S. 2242) aufgenommen wurde. Die Ausgleichskasse war geschaffen worden, weil die durch die Ausbildung eines Lehrlings entstehenden Kosten bei der alle fünf Jahre erfolgenden Neueinteilung der Kehrbezirke nicht berücksichtigt werden konnten (vgl. den Bericht des Abgeordneten Burgemeister zum Entwurf des § 16 SchfG im Ausschuss für Wirtschaft und Mittelstandsfragen [zu Drucksache V/4282 S. 5]). Dieser Grund war mit der Neuordnung des Schornsteinfegerhandwerks durch das SchfHwG entfallen. Das hinderte die Tarifvertragsparteien jedoch nicht, ihrerseits eine Ausbildungskostenausgleichskasse zu schaffen, wenn sie darin eine sinnvolle Möglichkeit zur Schaffung einer ausreichenden Anzahl von Ausbildungsplätzen und zur Durchführung einer qualifizierten Schornsteinfegerausbildung sahen. Eine nachhaltige, die Funktionsfähigkeit des Systems beeinträchtigende Störung, die den Gesetzgeber zum Handeln verpflichtet hätte, ist nicht erkennbar.              Gallner                  Schlünder                  Brune                                    Fieback                   Merkel
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07.02.2019
07.02.2019 6/19 - Kein Widerruf von Aufhebungsverträgen/Gebot fairen Verhandelns Eine Arbeitnehmerin kann einen Vertrag, durch den das Arbeitsverhältnis beendet wird (Aufhebungsvertrag), auch dann nicht widerrufen, wenn er in ihrer Privatwohnung abgeschlossen wurde. Ein Aufhebungsvertrag kann jedoch unwirksam sein, falls er unter Missachtung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen ist. Die Klägerin war bei der Beklagten als Reinigungskraft beschäftigt. Sie schloss in ihrer Wohnung mit dem Lebensgefährten der Beklagten einen Aufhebungsvertrag, der die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Zahlung einer Abfindung vorsieht. Anlass und Ablauf der Vertragsverhandlungen sind umstritten. Nach Darstellung der Klägerin war sie am Tag des Vertragsschlusses erkrankt. Sie hat den Aufhebungsvertrag wegen Irrtums, arglistiger Täuschung und widerrechtlicher Drohung angefochten und hilfsweise widerrufen. Mit ihrer Klage wendet sie sich ua. gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch den Aufhebungsvertrag. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat dieses Urteil auf die Revision der Klägerin aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dieses hat rechtsfehlerfrei erkannt, dass dem Vortrag der Klägerin kein Anfechtungsgrund entnommen werden kann und der Widerruf eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags auf gesetzlicher Grundlage nicht möglich ist. Der Gesetzgeber hat zwar in § 312 Abs. 1 iVm. § 312g BGB Verbrauchern bei Verträgen, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen worden sind, ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB eingeräumt. Auch Arbeitnehmer sind Verbraucher. Im Gesetzgebungsverfahren ist jedoch der Wille des Gesetzgebers deutlich geworden, arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge nicht in den Anwendungsbereich der §§ 312 ff. BGB einzubeziehen. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch nicht geprüft, ob das Gebot fairen Verhandelns vor Abschluss des Aufhebungsvertrags beachtet wurde. Dieses Gebot ist eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht. Sie wird verletzt, wenn eine Seite eine psychische Drucksituation schafft, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags erheblich erschwert. Dies könnte hier insbesondere dann der Fall sein, wenn eine krankheitsbedingte Schwäche der Klägerin bewusst ausgenutzt worden wäre. Die Beklagte hätte dann Schadensersatz zu leisten. Sie müsste den Zustand herstellen, der ohne die Pflichtverletzung bestünde (sog. Naturalrestitution, § 249 Abs. 1 BGB). Die Klägerin wäre dann so zu stellen, als hätte sie den Aufhebungsvertrag nicht geschlossen. Dies führte zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Das Landesarbeitsgericht wird die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrags daher erneut zu beurteilen haben. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 7. Februar 2019 – 6 AZR 75/18 – Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 7. November 2017 – 10 Sa 1159/16 –
Tenor 1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 7. November 2017 – 10 Sa 1159/16 – aufgehoben. 2. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Leitsatz 1. Die Einwilligung zum Abschluss eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags kann nicht gemäß § 355 BGB widerrufen werden. 2. Ein Aufhebungsvertrag ist jedoch unwirksam, wenn er unter Missachtung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen ist. Tatbestand 1 Die Parteien streiten über den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses. 2 Die Klägerin war seit dem 1. Juli 2014 bei der Beklagten als Reinigungshilfe beschäftigt. Mit Schreiben vom 18. Mai 2015 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 22. Juni 2015, hilfsweise zum nächstzulässigen Termin. In einem an die Klägerin gerichteten Schreiben vom 20. Juni 2015, dessen Zugang zwischen den Parteien streitig ist, teilte sie mit, dass der Arbeitsvertrag bis zum 29. Februar 2016 „verlängert“ werde. Die Klägerin setzte ihre Arbeit über den 22. Juni 2015 hinaus fort. 3 Am 15. Februar 2016 suchte der Lebenspartner der Beklagten, welcher tatsächlich deren Geschäfte führt, die Klägerin gegen 17:00 Uhr in ihrer Wohnung auf und legte ihr einen Aufhebungsvertrag vor. Die Klägerin unterschrieb diesen Vertrag. Danach wird das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 15. Februar 2016 ohne Zahlung einer Abfindung beendet. Die Klägerin erhält ihre Arbeitspapiere und bis spätestens 15. März 2016 ein wohlwollendes qualifiziertes Zeugnis. Im Übrigen sollen mit Erfüllung dieses Vertrags keine Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gegen die andere Partei mehr bestehen. Davon unberührt bleiben „zu viel bezahlte Arbeitsstunden“. 4 Mit Schreiben vom 17. Februar 2016 erklärte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Anfechtung des Aufhebungsvertrags wegen Irrtums, arglistiger Täuschung und Drohung. Hilfsweise werde die Zustimmung zum Vertragsschluss widerrufen. Die Beklagte hält dennoch an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Aufhebungsvertrag fest. 5 Hiergegen hat sich die Klägerin mit ihrer Klage gewendet. Das Arbeitsverhältnis sei weder durch den Aufhebungsvertrag noch durch eine Befristungsabrede beendet worden, sondern bestehe fort. Der Aufhebungsvertrag sei wirksam angefochten worden. Sie habe am 15. Februar 2016 erkrankt im Bett gelegen, als der Lebenspartner der Beklagten geklingelt habe. Ihr Sohn habe ihn hereingelassen und sie geweckt. Der Lebenspartner der Beklagten habe gesagt, dass er ihre Faulheit nicht unterstützen werde und ihr den Vertrag hingehalten. Sie habe diesen dann unter dem Einfluss von Schmerzmitteln „im Tran“ unterschrieben und erst hinterher gemerkt, was sie da gemacht habe. Zudem habe sie die Annahme des angebotenen Aufhebungsvertrags fristgerecht gemäß § 355 Abs. 1 und Abs. 2 iVm. § 312 Abs. 1, § 312b Abs. 1 BGB widerrufen. Der Aufhebungsvertrag sei ein Verbrauchervertrag, der außerhalb der Geschäftsräume der Beklagten geschlossen worden sei. 6 Soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, hat die Klägerin vor dem Landesarbeitsgericht zuletzt beantragt          1.     festzustellen, dass ihr Arbeitsverhältnis durch den Aufhebungsvertrag vom 15. Februar 2016 nicht aufgelöst worden ist;          2.     festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch durch Befristung auf den 29. Februar 2016 gemäß Schreiben der Beklagten vom 20. Juni 2015 nicht aufgelöst worden ist. 7 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Aufhebungsvertrag habe das Arbeitsverhältnis zum 15. Februar 2016 beendet. Die Klägerin habe am Vormittag dieses Tages telefonisch um den Abschluss eines Aufhebungsvertrags gebeten. Dementsprechend sei ihr der Vertrag am Nachmittag vorgelegt worden. Eine krankheits- oder medikamentenbedingte Beeinträchtigung der Klägerin sei bei Vertragsschluss nicht zu bemerken gewesen. Eine Äußerung bzgl. angeblicher Faulheit der Klägerin sei nicht gefallen. Ein Widerrufsrecht bestehe nicht. Jedenfalls habe das Arbeitsverhältnis aufgrund Befristung mit Ablauf des 29. Februar 2016 geendet. 8 Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageziele weiter. In der Verhandlung vor dem Senat hat sie erklärt, der Antrag zu 2. werde als Hilfsantrag für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. gestellt. Entscheidungsgründe 9 Die Revision ist begründet. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält zwar einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand, soweit es eine Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit des Aufhebungsvertrags verneint hat. Das Landesarbeitsgericht hat auch zutreffend erkannt, dass die Klägerin ihre auf den Abschluss des Aufhebungsvertrags gerichtete Willenserklärung nicht widerrufen konnte. Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass ein Aufhebungsvertrag unwirksam sein kann, falls er unter Missachtung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen ist. Dies könnte hier insbesondere dann der Fall sein, wenn eine erkennbare krankheitsbedingte Schwäche der Klägerin ausgenutzt worden wäre. Mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen kann der Senat hierüber nicht selbst entscheiden. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung über den zu 1. gestellten Hauptantrag. Der Hilfsantrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. 10 1. Der Aufhebungsvertrag vom 15. Februar 2016 ist nicht deswegen unwirksam, weil die Klägerin die Annahme des entsprechenden Vertragsangebots in einem Zustand vorübergehender Störung ihrer Geistestätigkeit iSd. § 105 Abs. 2 Alt. 2 BGB erklärt hat und ihre Willenserklärung deshalb nichtig ist. Das Landesarbeitsgericht hat unter Berücksichtigung des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums (vgl. hierzu BAG 21. September 2017 – 2 AZR 57/17 – Rn. 38, BAGE 160, 221) rechtsfehlerfrei angenommen, der Vortrag der Klägerin sei für eine solche Annahme nicht ausreichend. Die Revision greift dies nicht an. 11 2. Gleiches gilt für die Ansicht des Landesarbeitsgerichts, es bestehe kein Anfechtungsgrund iSd. §§ 119 ff. BGB. Das Landesarbeitsgericht hat ohne revisiblen Rechtsfehler die Schilderung des Gesprächsverlaufs am 15. Februar 2016 durch die Klägerin in der mündlichen Verhandlung gewürdigt. Die Revision erhebt diesbezüglich auch keine Rügen. 12 3. Die hier streitbefangene Beendigungsvereinbarung ist nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB wegen unangemessener Benachteiligung der Klägerin unwirksam. Formularmäßige Abreden, die Art und Umfang der vertraglichen Hauptleistung und der hierfür zu zahlenden Vergütung unmittelbar bestimmen, sind aus Gründen der Vertragsfreiheit gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB regelmäßig von der gesetzlichen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgenommen. Darum unterliegt in einem Aufhebungsvertrag die Beendigungsvereinbarung als solche ebenso wenig einer Angemessenheitskontrolle (BAG 8. Mai 2008 – 6 AZR 517/07 – Rn. 22) wie eine als Gegenleistung für die Zustimmung des Arbeitnehmers zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses etwaig gezahlte Abfindung (BAG 12. März 2015 – 6 AZR 82/14 – Rn. 23 mwN, BAGE 151, 108). 13 4. Der Klägerin steht kein Widerrufsrecht gemäß § 355 iVm. § 312g Abs. 1, § 312b BGB zu. Der Anwendungsbereich für diese Vorschriften ist gemäß § 312 Abs. 1 BGB nicht eröffnet. Ein Aufhebungsvertrag kann darum vom Arbeitnehmer auch dann nicht widerrufen werden, wenn er, wie vorliegend, in der Wohnung des Arbeitnehmers geschlossen worden ist. 14 a) Mit § 312 beginnt Kapitel 1 des Untertitels 2 im 2. Buch Abschnitt 3 Titel 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. In Abschnitt 3 werden Schuldverhältnisse aus Verträgen geregelt. Sein Untertitel 2 trägt die Überschrift „Grundsätze bei Verbraucherverträgen und besondere Vertriebsformen“. Das erste Kapitel ist mit „Anwendungsbereich und Grundsätze bei Verbraucherverträgen“ überschrieben. Nach § 312 Abs. 1 BGB in der ab dem 13. Juni 2014 geltenden Fassung sind die Vorschriften der Kapitel 1 und 2 des Untertitels 2 nur auf Verbraucherverträge iSd. § 310 Abs. 3 BGB anzuwenden, die eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben. Kapitel 2 beinhaltet Regelungen für „außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge und Fernabsatzverträge“. Nach § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB sind außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge solche Verträge, die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers iSd. § 312b Abs. 2 BGB ist. Dem Unternehmer stehen Personen gleich, die in seinem Namen oder Auftrag handeln (§ 312b Abs. 1 Satz 2 BGB). Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen steht dem Verbraucher gemäß § 312g Abs. 1 BGB ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zu. 15 b) Für die Annahme eines Widerrufsrechts des Arbeitnehmers bei Abschluss eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags in seiner Wohnung spricht zwar, dass es sich bei einem arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag um einen Verbrauchervertrag iSd. § 310 Abs. 3 BGB handelt (BAG 24. Februar 2016 – 5 AZR 258/14 – Rn. 22 mwN, BAGE 154, 178) und der Vertrag außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers, dh. des Arbeitgebers, geschlossen wurde. Die Auslegung des § 312 Abs. 1 BGB unter Berücksichtigung seines systematischen Zusammenhangs und des gesetzgeberischen Willens ergibt jedoch, dass die Norm den Anwendungsbereich des zweiten Kapitels und damit der §§ 312b, 312g BGB nicht eröffnet. Folglich kann ein Arbeitnehmer sein Einverständnis mit einem nach dem 12. Juni 2014 geschlossenen Aufhebungsvertrag unabhängig vom Ort des Vertragsschlusses nicht gemäß § 312 Abs. 1, §§ 312b, 312g Abs. 1, § 355 BGB widerrufen (im Ergebnis ebenso: MAH ArbR/Bengelsdorf 4. Aufl. § 49 Rn. 397 ff.; Küttner/Eisemann Personalbuch 2018 Aufhebungsvertrag Rn. 18; KR/Fischermeier 12. Aufl. § 626 BGB Rn. 56; Lembke BB 2016, 3125, 3128; ErfK/Müller-Glöge 19. Aufl. BGB § 620 Rn. 14; SPV/Preis 11. Aufl. § 3 Rn. 35; HWK/Rennpferdt 8. Aufl. § 620 BGB Rn. 23; Schulte in Tschöpe Arbeitsrecht 10. Aufl. Teil 3 C Rn. 52a; KR/Spilger 12. Aufl. AufhebungsV Rn. 30; APS/Rolfs 5. Aufl. AufhebVtr. Rn. 85 ff.; MHdB ArbR/Wank 4. Aufl. § 135 Rn. 38; MüKoBGB/Wendehorst 7. Aufl. § 312 Rn. 16; aA: Palandt/Grüneberg BGB 78. Aufl. § 312 Rn. 2; Erman/Koch BGB 15. Aufl. § 312 Rn. 22; BeckOGK/Busch Stand 1. Dezember 2018 § 312 Rn. 20; Hk-BGB/Schulte-Nölke 10. Aufl. § 312 Rn. 3; Schulze/Kittel/Pfeffer ArbRAktuell 2017, 105, 106). Im Ergebnis besteht daher keine Veranlassung, die zu § 312 Abs. 1 BGB aF ergangene Rechtsprechung, welche arbeitsrechtliche Beendigungsvereinbarungen nicht als Haustürgeschäft ansah (BAG 18. August 2005 – 8 AZR 523/04 – zu II 4 der Gründe, BAGE 115, 340; 22. April 2004 – 2 AZR 281/03 – zu B I 2 der Gründe; 27. November 2003 – 2 AZR 135/03 – zu B II 3 b der Gründe, BAGE 109, 22), aufzugeben. 16 aa) Maßgebend für die Gesetzesauslegung ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den die Regelung hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte. Unter diesen Methoden hat keine unbedingten Vorrang. Welche Regelungskonzeption der Gesetzgeber mit dem von ihm gefundenen Wortlaut tatsächlich verfolgt, ergibt sich uU erst aus den anderen Auslegungsgesichtspunkten. Wird daraus der Wille des Gesetzgebers klar erkennbar, ist dieser zu achten (vgl. BVerfG 6. Juni 2018 – 1 BvL 7/14 – Rn. 74 f.; 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11 – Rn. 66, BVerfGE 133, 168; BAG 25. Mai 2016 – 5 AZR 135/16 – Rn. 28, BAGE 155, 202). 17 bb) Der Wortlaut des § 312 Abs. 1 BGB lässt nicht zweifelsfrei erkennen, ob arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge nach dem Willen des Gesetzgebers zu den Verbraucherverträgen zählen, die von dieser Vorschrift erfasst werden sollen. Dafür ist eine „Leistung“ des Unternehmers erforderlich, die zudem „entgeltlich“ sein muss. Ob das Angebot bzw. der Abschluss eines Aufhebungsvertrags eine Leistung des Arbeitgebers ist, bedarf dabei ebenso der Auslegung wie die Frage seiner Entgeltlichkeit. Letzteres folgt schon daraus, dass arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge in der Praxis des Arbeitslebens sowohl mit als auch ohne Abfindungsvereinbarung geschlossen werden. Dabei wäre zu beachten, dass bei Einordnung einer Abfindungszahlung als entgeltliche Leistung des Arbeitgebers der Schutz der §§ 312 ff. BGB auf arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge mit Abfindungsanspruch zur Anwendung käme. Dagegen könnte eine Aufhebungsvereinbarung, die keine Zahlung einer Abfindung vorsieht, nicht widerrufen werden, wenn sie als kompensationslos anzusehen wäre. Der sich aufdrängende Wertungswiderspruch zwänge zu einer weiten, dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG Rechnung tragenden Auslegung der „Entgeltlichkeit“ der Leistung, die den Aufhebungsvertrag als Leistung des Arbeitgebers versteht, die durch den Verzicht des Arbeitnehmers auf zukünftige Verdienstmöglichkeiten „entgolten“ wird (vgl. Bauer/Arnold/Zeh NZA 2016, 449, 451; Schulze/Kittel/Pfeffer ArbRAktuell 2017, 105, 106; Kamanabrou NZA 2016, 919, 920; zur Frage der Vereinbarkeit des Entgeltlichkeitskriteriums mit der Richtlinie 2011/83/EU: Schwab/Hromek JZ 2015, 271, 273 ff.; Meier ZIP 2015, 1156, 1158 ff.; MüKoBGB/Wendehorst 7. Aufl. § 312 Rn. 19). Der Wortsinn des Begriffes der „entgeltlichen Leistung“ ist damit nicht eindeutig. 18 cc) Der systematische Zusammenhang des § 312 Abs. 1 BGB mit den übrigen Vorschriften der Kapitel 1 und 2 des Untertitels 2 spricht jedoch entscheidend dafür, dass arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge nicht dem Anwendungsbereich dieser Regelungen unterfallen sollen. 19 (1) In der Literatur wird zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass die zum 13. Juni 2014 neu gefasste Überschrift des Untertitels 2 sich einschränkungslos auf Verbraucherverträge bezieht und nicht nur auf besondere Vertriebsformen (vgl. Fischinger/Werthmüller NZA 2016, 193, 195; Kamanabrou NZA 2016, 919, 920; Schulze/Kittel/Pfeffer ArbRAktuell 2017, 105, 106). 20 (2) Die Regelungen in Kapitel 2, deren Anwendbarkeit § 312 Abs. 1 BGB ebenfalls bestimmt, enthalten aber weit überwiegend Vorgaben, die keinen inhaltlichen Bezug zu arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträgen aufweisen. 21 (a) § 312c BGB betrifft nur Fernabsatzverträge. 22 (b) Die in § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB iVm. Art. 246a EGBGB vorgesehenen Informationspflichten beziehen sich ihrem Inhalt nach ausschließlich auf Verträge, welche den Kauf von Waren und die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben und sind auf arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge mehrheitlich praktisch nicht sinnvoll anwendbar (vgl. Bauer/Arnold/Zeh NZA 2016, 449, 451; Glahe Die Rückabwicklung arbeitsrechtlicher Aufhebungsverträge S. 134; Laskawy/Lomb DB 2018, 965; Lembke BB 2016, 3125, 3127). Dies gilt insbesondere für die nach Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 EGBGB bzgl. der wesentlichen Eigenschaften der Ware oder der Dienstleistung, des Gesamtpreises, der Zahlungs- und Lieferbedingungen, des Mängelhaftungsrechts oder der Funktionsweise zwingend zur Verfügung zu stellenden Informationen. Die Kenntnis von Namen und Anschrift des Arbeitgebers (vgl. Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 3 EGBGB) folgt bereits aus der gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 NachwG bestehenden Verpflichtung des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer diese Angaben spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses schriftlich mitzuteilen. Auch wenn es sich bei den Informationspflichten lediglich um die Rechtsfolge der Anwendbarkeit des § 312d BGB handelt, kann aus ihrer Ausgestaltung darauf geschlossen werden, dass dieser Pflichtenkatalog nach dem Willen des Gesetzgebers mangels Sinnhaftigkeit nicht auf arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge Anwendung finden soll (aA Fischinger/Werthmüller NZA 2016, 193, 195). 23 (c) Gleiches gilt für die Rechtsfolgen des Widerrufs gemäß § 312b iVm. §§ 312g, 355, 357 BGB. § 357 BGB bezieht sich nur auf die Rückabwicklung von Verbrauchsgüterkaufverträgen und Verträgen bzgl. Dienstleistungen oder der Lieferung von Wasser, Gas, Strom, Fernwärme oder digitalen Inhalten. Auf arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge ist die gesetzliche Regelung ersichtlich nicht zugeschnitten. 24 (d) § 312e BGB bezieht sich auf Informationspflichten aus § 312d Abs. 1 iVm. Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EGBGB und regelt Kostenerstattungsansprüche für Fracht-, Liefer- oder Versandkosten. 25 (e) § 312h BGB geht von der Begründung eines Dauerschuldverhältnisses in Ersetzung eines Dauerschuldverhältnisses mit einem anderen Vertragspartner im Sinne eines Anbieterwechsels aus. Die Norm betrifft damit nicht die Situation der ersatzlosen Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. 26 dd) Daraus, dass der Gesetzgeber in § 312 Abs. 2 bis Abs. 6 BGB oder in § 312g Abs. 2 BGB keine Ausnahme für das Arbeitsrecht vorgesehen hat, folgt nicht, dass er arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge in den von § 312 Abs. 1 BGB eröffneten Anwendungsbereich fallen lassen wollte (aA: Schulze/Kittel/Pfeffer ArbRAktuell 2017, 105, 107; Fischinger/Werthmüller NZA 2016, 193, 195). Vielmehr zeigen die Gesetzesmaterialien unmissverständlich, dass der Gesetzgeber diese Verträge nicht erfassen wollte. Nach seiner Konzeption bedurfte es darum insoweit keiner gesonderten Ausnahmeregelung. 27 (1) Die §§ 312 ff. BGB wurden mit Wirkung zum 13. Juni 2014 durch das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 20. September 2013 (BGBl. I S. 3642) geändert. Bei der Verbraucherrechterichtlinie handelt es sich um die Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (Abl. EU L 304 vom 22. November 2011 S. 64). Sie soll entsprechend Art. 26 Abs. 2 AEUV einen echten Binnenmarkt fördern, in dem ein möglichst ausgewogenes Verhältnis zwischen einem hohen Verbraucherschutzniveau und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen bei gleichzeitiger Wahrung des Subsidiaritätsprinzips gewährleistet ist (vgl. Erwägungsgrund Nr. 4 der Verbraucherrechterichtlinie). Nach dem Erwägungsgrund Nr. 8 der Verbraucherrechterichtlinie sollten die zu harmonisierenden Aspekte der Regelungen nur Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern betreffen und die Richtlinie die innerstaatlichen Rechtsvorschriften ua. über Arbeitsverträge unberührt lassen. 28 (2) Der Gesetzgeber ging ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 312 Abs. 1 BGB entsprechend der Schutzrichtung der umzusetzenden Verbraucherrechterichtlinie davon aus, ein Verbrauchervertrag liege nur vor, wenn sich ein Unternehmer zur Lieferung einer Ware oder Erbringung einer Dienstleistung und der Verbraucher zur Zahlung eines Entgelts verpflichtet. Dies ergebe sich bereits aus den Definitionen in Art. 2 Nr. 5 und Nr. 6 der Richtlinie (BT-Drs. 17/12637 S. 45; vgl. auch BT-Drs. 17/13951 S. 72). Die genannten Nummern des Art. 2 der Verbraucherrechterichtlinie definieren den Kaufvertrag und den Dienstleistungsvertrag. Damit macht die Gesetzesbegründung klar, dass arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge trotz ihrer möglichen Subsumtion unter § 310 Abs. 3 BGB nicht in den Anwendungsbereich nach § 312 Abs. 1 BGB fallen sollen (vgl. Glahe Die Rückabwicklung arbeitsrechtlicher Aufhebungsverträge S. 133; BeckOK ArbR/Hesse Stand 1. Dezember 2018 BGB § 620 Rn. 82; Schaub ArbR-HdB/Linck 17. Aufl. § 122 Rn. 7). Der deutsche Gesetzgeber hat insoweit bewusst keinen Gebrauch von seiner Befugnis gemacht, die Richtlinie auf Bereiche anwenden, die nicht in deren Anwendungsbereich fallen (vgl. Erwägungsgrund Nr. 13 der Verbraucherrechterichtlinie). Dies deckt sich mit der dargestellten Ausgestaltung der §§ 312 ff. BGB, denen kein Bezug zu arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträgen zu entnehmen ist. Im Gegensatz zu Mietern von Wohnräumen hat der Gesetzgeber im Rahmen der Richtlinienumsetzung Arbeitnehmern auch keinen besonderen Schutz zugebilligt (vgl. zu Wohnraummietverträgen § 312 Abs. 4 BGB BT-Drs. 17/12637 S. 48; generell kritisch bzgl. unterschiedlicher Schutzniveaus Kittner/Zwanziger/Deinert/Heuschmid/Bachner 9. Aufl. § 86 Rn. 97). 29 ee) Mangels Anwendbarkeit der §§ 312b, 312g BGB kommt es daher nicht darauf an, dass ein Arbeitnehmer außerhalb der Geschäftsräume des Arbeitgebers, insbesondere in seiner Wohnung, grundsätzlich nicht damit rechnen muss, plötzlich mit der Aufforderung zur Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrags konfrontiert zu werden und damit die Gefahr der Überraschung und einer psychischen Drucksituation besteht (vgl. hierzu Fischinger/Werthmüller NZA 2016, 193, 194; Thies Der Schutz des Arbeitnehmers bei Abschluss arbeitsrechtlicher Aufhebungsverträge S. 175). 30 5. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch nicht geprüft, ob der streitgegenständliche Aufhebungsvertrag unter Verstoß gegen das sog. Gebot fairen Verhandelns zustande gekommen und deshalb unwirksam ist. Hierfür sind Anhaltspunkte im festgestellten Sachverhalt erkennbar. Die Feststellungen reichen jedoch nicht aus, um eine Entscheidung durch den Senat selbst zu ermöglichen. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). 31 a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Gefahr einer möglichen Überrumpelung des Arbeitnehmers bei Vertragsverhandlungen, zB weil diese zu ungewöhnlichen Zeiten oder an ungewöhnlichen Orten stattfinden, mit dem Gebot fairen Verhandelns begegnet werden (BAG 15. März 2005 – 9 AZR 502/03 – zu II 3 c der Gründe, BAGE 114, 97; 3. Juni 2004 – 2 AZR 427/03 – zu B II 3 b cc (5) der Gründe; 22. April 2004 – 2 AZR 281/03 – zu B I 2 b aa (5) der Gründe; 27. November 2003 – 2 AZR 135/03 – zu B II 3 b cc (5) der Gründe, BAGE 109, 22; vgl. bereits Däubler NZA 2001, 1329, 1334; Henssler RdA 2002, 129, 135). Bei dem Gebot fairen Verhandelns handelt es sich im Zusammenhang mit der Verhandlung eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags um eine durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründete Nebenpflicht iSd. § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB, weil der Aufhebungsvertrag ein eigenständiges Rechtsgeschäft ist (vgl. Bauer/Krieger/Arnold Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge 9. Aufl. Teil A Rn. 231 f.; Thüsing RdA 2005, 257, 269; zur culpa in contrahendo Lorenz JZ 1997, 277, 280 f.). Bei der Bestimmung der Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich die Parteien eines Aufhebungsvertrags zum Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen bereits in einem Schuldverhältnis, nämlich ihrem Arbeitsverhältnis, befinden (vgl. Giesing Inhaltskontrolle und Abschlusskontrolle arbeitsrechtlicher Aufhebungsverträge S. 215). Die aus dem Arbeitsverhältnis stammenden Verpflichtungen zur wechselseitigen Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB strahlen auf die Verhandlungen bzgl. der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus (vgl. Krause Anm. EzA BGB 2002 § 312 Nr. 1 zu II 4; vgl. zu einer Anwendbarkeit von § 241 Abs. 2 BGB auch Lembke NJW 2004, 2941, 2944; Reinecke Sonderbeilage zu NZA Heft 18/2004, 27, 37). 32 b) Das Gebot fairen Verhandelns schützt unterhalb der Schwelle der von §§ 105, 119 ff. BGB erfassten Willensmängel die Entscheidungsfreiheit bei Vertragsverhandlungen. 33 aa) Nach § 241 Abs. 2 BGB kann das Schuldverhältnis nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten. Der Inhalt der Rücksichtnahmepflichten kann nicht in einem abschließenden Katalog benannt werden, sondern ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen (vgl. zB BAG 24. Oktober 2018 – 10 AZR 69/18 – Rn. 24 ff.; 27. Juni 2017 – 9 AZR 576/15 – Rn. 16; BGH 14. März 2013 – III ZR 296/11 – Rn. 25, BGHZ 196, 340). Dies gilt auch bei Vertragsverhandlungen, bei denen die Parteien durchaus gegenläufige Interessen haben können. § 241 Abs. 2 BGB zwingt nicht zu einer Verleugnung der eigenen Interessen, sondern zu einer angemessenen Berücksichtigung der Interessen der Gegenseite. So obliegt dem Arbeitgeber beispielsweise zwar keine allgemeine Pflicht, die Vermögensinteressen des Arbeitnehmers wahrzunehmen. Nach § 241 Abs. 2 BGB kann der Arbeitgeber aber verpflichtet sein, von sich aus geeignete Hinweise zu geben bzw. entsprechende Aufklärung zu leisten (BAG 21. Dezember 2017 – 8 AZR 853/16 – Rn. 32, BAGE 161, 245). Erteilt er Auskünfte, müssen diese richtig, eindeutig und vollständig sein (vgl. BAG 15. Dezember 2016 – 6 AZR 578/15 – Rn. 20). 34 bb) Bei Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags kann eine Seite gegen ihre Verpflichtungen aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen, wenn sie eine Verhandlungssituation herbeiführt oder ausnutzt, die eine unfaire Behandlung des Vertragspartners darstellt (vgl. Giesing Inhaltskontrolle und Abschlusskontrolle arbeitsrechtlicher Aufhebungsverträge S. 229; Kuby AiB 12/2018, 40, 41; Reinecke Sonderbeilage zu NZA Heft 18/2004 S. 27, 37). § 241 Abs. 2 BGB schützt mit den „Interessen“ nach dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich auch die Entscheidungsfreiheit des anderen Vertragspartners (BT-Drs. 14/6040 S. 126; Giesing Inhaltskontrolle und Abschlusskontrolle arbeitsrechtlicher Aufhebungsverträge S. 214). Die Bestimmung trägt so dem Gebot Rechnung, unzulässiger Fremdbestimmung bei der Willensbildung in der vorkonsensualen Phase wirksam zu begegnen (vgl. BVerfG 19. Oktober 1993 – 1 BvR 567/89, 1 BvR 1044/89 – Rn. 51 ff., BVerfGE 89, 214; Lorenz JZ 1997, 277, 281). Das Gebot fairen Verhandelns wird missachtet, wenn die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners in zu missbilligender Weise beeinflusst wird (vgl. Lorenz JZ 1997, 277, 281 f. und Thüsing RdA 2005, 257, 268 f., welche an die Rechtsfigur der „undue influence“ des anglo-amerikanischen Rechts anknüpfen; Krause Anm. EzA BGB 2002 § 312 Nr. 1 zu II 4). Es geht dabei nicht um ein Erfordernis der Schaffung einer für den Vertragspartner besonders angenehmen Verhandlungssituation, sondern um das Gebot eines Mindestmaßes an Fairness im Vorfeld des Vertragsschlusses (so Reinecke FS Düwell 2011 S. 410). Eine rechtlich zu missbilligende Einschränkung der Entscheidungsfreiheit ist noch nicht gegeben, nur weil der eine Auflösungsvereinbarung anstrebende Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht einräumt (vgl. BAG 14. Februar 1996 – 2 AZR 234/95 – zu II 2 der Gründe). Auch eine Ankündigung des Unterbreitens einer Aufhebungsvereinbarung ist nicht erforderlich (vgl. BAG 30. September 1993 – 2 AZR 268/93 – zu II 8 der Gründe, BAGE 74, 281). Eine Verhandlungssituation ist vielmehr erst dann als unfair zu bewerten, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht (vgl. Becker Die unzulässige Einflussnahme des Arbeitgebers auf die Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers am Beispiel des arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrages S. 392 ff.; Lorenz JZ 1997, 277, 282). Dies kann durch die Schaffung besonders unangenehmer Rahmenbedingungen, die erheblich ablenken oder sogar den Fluchtinstinkt wecken, geschehen (vgl. die Konstellation bei Thüringer LAG 10. September 1998 – 5 Sa 104/97 -). Denkbar ist auch die Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichender Sprachkenntnisse. Die Nutzung eines Überraschungsmoments kann ebenfalls die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners beeinträchtigen (Überrumpelung). Letztlich ist die konkrete Situation im jeweiligen Einzelfall am Maßstab des § 241 Abs. 2 BGB zu bewerten und von einer bloßen Vertragsreue abzugrenzen. 35 c) Liegt ein schuldhafter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns im Sinne einer Nebenpflichtverletzung gemäß § 241 Abs. 2 BGB vor, ist der Aufhebungsvertrag im Regelfall unwirksam. 36 aa) Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB geschuldeten Rücksichts- oder Aufklärungspflichten ergeben sich aus § 280 Abs. 1 iVm. §§ 249 bis 253 BGB. Der Bundesgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass ein Vertragspartner, der durch ein Verhandlungsverschulden geschädigt ist, regelmäßig den Ersatz des negativen Interesses verlangen kann. Er ist also so zu stellen, wie er ohne das Zustandekommen des Vertrags stünde, was grundsätzlich zu einem Anspruch auf Befreiung von dem abgeschlossenen Vertrag und damit im Ergebnis dazu führt, dass der Vertrag gemäß § 249 Abs. 1 BGB rückgängig gemacht wird (vgl. BGH 4. Dezember 2015 – V ZR 142/14 – Rn. 18; 11. Februar 1999 – IX ZR 352/97 – zu III der Gründe; 14. Januar 1993 – IX ZR 206/91 – zu II 2 b aa der Gründe; zu Leistungsverweigerungsrechten vgl. BGH 28. April 2015 – XI ZR 378/13 – Rn. 48, BGHZ 205, 117). Dies gilt wegen des Erfordernisses eines Vermögensschadens allerdings nur bei wirtschaftlich nachteiligen Verträgen (vgl. BGH 28. Juni 2017 – IV ZR 440/14 – Rn. 37, BGHZ 215, 126; zum Streitstand in der Literatur vgl.: MüKoBGB/Oetker 8. Aufl. § 249 Rn. 355; Hk-BGB/Schulze 10. Aufl. § 311 Rn. 26; BeckOGK/Rehberg Stand 1. Oktober 2018 BGB § 123 Rn. 108.1). Hierfür genügt jeder wirtschaftliche Nachteil, der für den Gläubiger mit dem aufgrund der Pflichtverletzung eingegangenen Vertrag verbunden ist (BGH 13. Dezember 2017 – IV ZR 353/15 – Rn. 14). 37 bb) Hat der Arbeitgeber bei den Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags das Gebot fairen Verhandelns schuldhaft verletzt, bewirkt dies keinen Anspruch des Arbeitnehmers auf Neuabschluss des Arbeitsvertrags zu den bisherigen Konditionen (aA: Burkardt Der arbeitsrechtliche Aufhebungsvertrag S. 118; Franz Der Abschluss eines Aufhebungsvertrags S. 520). Vielmehr führt der Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers wegen einer Missachtung des Gebots fairen Verhandelns unmittelbar zu einem Entfall der Rechtswirkungen des Aufhebungsvertrags und damit zu einer Fortsetzung des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen (vgl. Däubler/Bonin/Deinert/Däubler AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht 4. Aufl. Einleitung Rn. 155a). 38 (1) Der Aufhebungsvertrag lässt den Arbeitsplatz und die damit verbundenen Verdienstmöglichkeiten entfallen. Im Regelfall bewirkt ein unfair ausgehandelter Aufhebungsvertrag für den Arbeitnehmer einen wirtschaftlichen Schaden. Vergleichbar der Vermutung aufklärungsgemäßen Verhaltens bei Verletzung von Hinweis- und Aufklärungspflichten (vgl. hierzu BAG 21. Februar 2017 – 3 AZR 542/15 – Rn. 45; MüKoBGB/Emmerich 8. Aufl. § 311 Rn. 207 ff.) kann bezogen auf die Kausalität zwischen Verhandlungsverschulden und Schaden davon ausgegangen werden, dass ein Arbeitnehmer ohne die unfaire Behandlung seine Eigeninteressen in vernünftiger Weise gewahrt und den Aufhebungsvertrag nicht abgeschlossen hätte (vgl. BAG 17. Oktober 2000 – 3 AZR 605/99 – zu II 4 e der Gründe). 39 (2) Zur Beseitigung des Aufhebungsvertrags im Wege des Schadensersatzes bedarf es keines Neuabschlusses des Arbeitsvertrags (vgl. BAG 18. Januar 2000 – 9 AZR 932/98 – zu I 4 b cc (1) der Gründe, BAGE 93, 179). Damit wird dem Zweck der Naturalrestitution Rechnung getragen (vgl. BGH 28. Januar 2014 – XI ZR 495/12 – Rn. 13, BGHZ 200, 110). Diese ist hier auf den Entfall der Rechtswirkung des Vertragsschlusses gerichtet. Der entgegenstehende Wille des schadensersatzpflichten Vertragspartners wird gebrochen. Folglich leuchtet es nicht ein, weshalb die Naturalrestitution ggf. erst durch Abgabe einer nach § 894 ZPO fingierten Willenserklärung erreicht werden sollte. Eine Vertragsaufhebung als Schadensersatz ist jedenfalls bei arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträgen letztlich wirkungsgleich mit einer Anfechtung (in diesem Sinne bereits BGH 24. Oktober 1996 – IX ZR 4/96 – zu 2 der Gründe). Dem steht keine Spezialität des Anfechtungsrechts entgegen. Anfechtungs- und Schadensersatzrecht sind strikt zu unterscheiden (vgl. BAG 24. Februar 2011 – 6 AZR 626/09 – Rn. 53; BGH 18. September 2001 – X ZR 107/00 – zu II 2 c aa der Gründe). Gleiches gilt im Verhältnis zu gesetzlichen Widerrufsrechten. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass sich ein Schaden in einem formal gültigen Vertragsschluss realisieren und der Geschädigte unter Anwendung von §§ 280, 249 BGB die Lösung von dem Vertrag als Naturalrestitution verlangen kann (vgl. BT-Drs. 14/6040 S. 162). 40 (3) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Schadensersatz bei Aufklärungspflichtverletzungen ist bezogen auf eine Verletzung des Gebots fairen Verhandelns nicht einschlägig. 41 (a) Das Bundesarbeitsgericht hat bei der Verletzung von Aufklärungspflichten vor Abschluss eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags angenommen, dass ein Schadensersatzanspruch nur finanzielle Entschädigungsansprüche zur Folge habe, aber nicht die Nichtigkeit des Aufhebungsvertrags begründen könne (vgl. BAG 24. Februar 2011 – 6 AZR 626/09 – Rn. 63; 17. Oktober 2000 – 3 AZR 605/99 – zu I der Gründe; 14. Februar 1996 – 2 AZR 234/95 – zu II 1 der Gründe). Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses könne der Arbeitnehmer im Wege des Schadensersatzes nicht erreichen (BAG 24. Februar 2011 – 6 AZR 626/09 – Rn. 64 in Abgrenzung zu BAG 10. Februar 2004 – 9 AZR 401/02 – zu A IV 6 der Gründe, BAGE 109, 294). 42 (b) Dies gilt im hier vorliegenden Regelungszusammenhang nicht. Der Schutzbereich der Aufklärungspflicht unterscheidet sich von dem des Gebots fairen Verhandelns. Die Aufklärungspflicht bezieht sich nicht auf die mit dem Aufhebungsvertrag eintretende Beendigung des Vertragsverhältnisses. Schließt ein nicht hinreichend informierter Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag, ist er sich infolge der Aufklärungspflichtverletzung nicht über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses als solche im Unklaren, sondern über deren Konsequenzen, zB in steuer- oder sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht. Für den diesbezüglich wegen einer Aufklärungspflichtverletzung entstandenen Schaden hat der Arbeitgeber grundsätzlich Geldersatz zu leisten (vgl. Krause Anm. EzA BGB 2002 § 312 Nr. 1 zu II 4; Preis/Rolfs Der Arbeitsvertrag 5. Aufl. II A 100 Rn. 12; Staudinger/Oetker (2016) Vorbem. zu §§ 620 ff. Rn. 60; Winter Aufklärungspflichten beim Aufhebungsvertrag S. 193). Demgegenüber soll das Gebot fairen Verhandelns den Abschluss eines zum Arbeitsplatzverlust führenden Aufhebungsvertrags gänzlich verhindern, falls der Arbeitnehmer durch unfaire Verhandlungsbedingungen in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränkt wird. Das Gebot fairen Verhandelns bezieht sich nicht auf den Inhalt des Vertrags, sondern auf den Weg zum Vertragsschluss (vgl. HWK/Thüsing 8. Aufl. § 123 BGB Rn. 46). Dem Zweck des Gebots fairen Verhandelns wird daher nur Genüge getan, wenn dem Vertrag, der nicht hätte geschlossen werden dürfen, im Wege der Naturalrestitution die Rechtswirkungen genommen werden. 43 d) Die Beweislast für einen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns und die Kausalität dieses Verstoßes für den Abschluss des Aufhebungsvertrags – unter Beachtung der in Rn. 38 dargelegten Vermutungswirkung – trägt derjenige, der sich auf eine Verletzung des § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB beruft (vgl. Reinecke Sonderbeilage zu NZA Heft 18/2004, 27, 37). 44 e) Im vorliegenden Fall scheint es danach nicht ausgeschlossen, dass die Beklagte durch ein ihr zurechenbares Verhalten ihres Lebensgefährten am 15. Februar 2016 das Gebot fairen Verhandelns verletzt und damit die Entscheidungsfreiheit der Klägerin bzgl. des Vertragsschlusses schuldhaft beeinträchtigt hat. 45 aa) Träfe es zu, dass die Klägerin entgegen dem Vortrag der Beklagten nicht am Vormittag des 15. Februar 2016 um den Abschluss eines Aufhebungsvertrags gebeten hat, könnte das unangekündigte Aufsuchen der Klägerin in ihrer Wohnung zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags einer Überrumpelung gleichkommen. Hinzu käme nach dem Vortrag der Klägerin ihre an diesem Tag bestehende Erkrankung. Das Gebot fairen Verhandelns wäre schon für sich genommen – aber erst Recht in Verbindung mit einer Überrumpelung – verletzt, wenn sich die Klägerin bei den Vertragsverhandlungen erkennbar in einem körperlich geschwächten Zustand befunden und der Lebensgefährte der Beklagten diese Situation ausgenutzt hätte. 46 bb) Dies gilt umso mehr, wenn keine triftigen Gründe für Verhandlungen mit der Klägerin noch während ihrer Erkrankung vorgelegen hätten. Regelmäßig wird es einem Arbeitgeber bei einer Kurzerkrankung des Arbeitnehmers zumutbar sein, dessen Genesung vor der Aufnahme von Beendigungsverhandlungen abzuwarten und ihn nicht unaufgefordert in der Wohnung mit einem Aufhebungsvertragsentwurf zu konfrontieren. Diese Wertung deckt sich mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bzgl. der Ausübung des Direktionsrechts gegenüber erkrankten Arbeitnehmern. Ist ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt, hat der Arbeitgeber bei der Ausübung der ihm verbleibenden Weisungsrechte wegen der latenten Gefahr einer Beeinträchtigung des Genesungsprozesses die Erteilung von Weisungen auf dringende betriebliche Anlässe zu beschränken und sich bzgl. der Art und Weise, der Häufigkeit und der Dauer der Inanspruchnahme (zB für Personalgespräche) am wohlverstandenen Interesse des Arbeitnehmers zu orientieren (vgl. BAG 2. November 2016 – 10 AZR 596/15 – Rn. 32 ff., BAGE 157, 153). 47 cc) Ob das Gebot fairen Verhandelns hier missachtet wurde, kann der Senat nicht selbst entscheiden. Hierzu fehlt es an den erforderlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts. Der Vortrag der Klägerin lässt einen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns zwar als möglich erscheinen. Da die Beklagte den Verhandlungsverlauf jedoch anders dargestellt hat, bleibt es Aufgabe des Landesarbeitsgerichts, den Parteien Gelegenheit zu abschließendem Sachvortrag zu den Bedingungen des Vertragsschlusses zu geben und diesen anschließend unter Berücksichtigung des Gebots fairen Verhandelns gemäß § 286 Abs. 1 ZPO zu würdigen.              Spelge                  Heinkel                  Krumbiegel                                    J. Knauß                  Sieberts
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20.11.2018
20.11.2018 62/18 - Streikmobilisierung auf Firmenparkplatz Das Streikrecht umfasst die Befugnis einer streikführenden Gewerkschaft, die zur Arbeitsniederlegung aufgerufenen Arbeitnehmer unmittelbar vor dem Betreten des Betriebes anzusprechen, um sie für die Teilnahme am Streik zu gewinnen. Eine solche Aktion kann – abhängig von den konkreten örtlichen Gegebenheiten – mangels anderer Mobilisierungsmöglichkeiten auch auf einem vom bestreikten Arbeitgeber vorgehaltenen Firmenparkplatz vor dem Betriebsgebäude zulässig sein. Die Arbeitgeberin betreibt in einem außerörtlich gelegenen Gewerbegebiet ein Versand- und Logistikzentrum. Zu dem von ihr gepachteten Gelände gehören ein Betriebsgebäude, das über einen zentralen Eingang zugänglich ist, und ein ca. 28.000 qm großer Parkplatz, welcher zur Nutzung für die überwiegend mit dem Auto zur Arbeit kommenden Mitarbeiter bestimmt ist. Im September 2015 wurde die Arbeitgeberin an zwei Tagen bestreikt. Die streikführende Gewerkschaft baute an beiden Tagen auf dem Parkplatz vor dem Haupteingang Stehtische und Tonnen auf und postierte dort ihre Vertreter sowie streikende Arbeitnehmer. Diese verteilten Flyer und forderten die zur Arbeit erscheinenden Arbeitnehmer zur Teilnahme am Streik auf. Zu physischen Zugangsbehinderungen kam es nicht. Ähnliches wiederholte sich bei einem eintägigen Streik im März 2016. Mit ihrer Klage hat die Arbeitgeberin die künftige Unterlassung solcher Aktionen verlangt. Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen; das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision der Arbeitgeberin blieb vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts ohne Erfolg. Im konkreten Fall ergibt die Abwägung widerstreitender grundrechtlicher Gewährleistungen auf Arbeitgeber- und Gewerkschaftsseite, dass die Arbeitgeberin eine kurzzeitige, situative Beeinträchtigung ihres Besitzes hinzunehmen hat. Angesichts der örtlichen Verhältnisse kann die Gewerkschaft nur auf dem Firmenparkplatz vor dem Haupteingang mit den zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmern kommunizieren und im Gespräch versuchen, auf Arbeitswillige einzuwirken. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. November 2018 – 1 AZR 189/17 – Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. März 2017 – 24 Sa 979/16 – Hinweis: Der Senat hat in einem weiteren Verfahren mit ähnlich gelagertem Sachverhalt die dem Klageantrag stattgebende Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die das Unterlassungsbegehren abweisende Entscheidung des Arbeitsgerichts wiederhergestellt. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. November 2018 – 1 AZR 12/17 – Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 31. August 2016 – 4 Sa 512/15 –
Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 29. März 2017 – 24 Sa 979/16 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen. Leitsatz Eine nach den richterrechtlichen Grundsätzen erlaubte Arbeitskampfmaßnahme kann eine gesetzliche Gestattung iSv. § 858 Abs. 1 BGB sein. Tatbestand 1 Die Parteien streiten über die Berechtigung einer Gewerkschaft zur Durchführung streikbegleitender Maßnahmen. 2 Die nicht tarifgebundene Klägerin führt am Standort P in einem außerörtlich gelegenen Gewerbegebiet einen Betrieb der Lagerung und des Versands online bestellter Waren. Auf dem von ihr – auf der Grundlage eines mit einem anderen Unternehmen geschlossenen „Lease Agreement“ vom 13. Dezember 2011 – genutzten Gelände befindet sich das Betriebsgebäude. Dieses betreten die Arbeitnehmer über einen durch einen gelben Turm gekennzeichneten zentralen, zugangsgesicherten Eingang, der über einen unmittelbar angrenzenden ca. 28.000 qm großen Parkplatz zu erreichen ist. Der Parkplatz ist zur Nutzung für die überwiegend mit dem Pkw zur Arbeit kommenden Mitarbeiter bestimmt. Auf ihm sind Schilder aufgestellt mit dem Hinweis, dass es sich um ein Privatgrundstück handelt und Unbefugten das Betreten verboten ist. Die Zufahrt zum Mitarbeiterparkplatz erfolgt über eine unmittelbar in ihn mündende öffentliche Straße. 3 Der Betrieb der Klägerin wurde am 21. und 22. September 2015 bestreikt. Dazu aufgerufen hatte die beklagte Gewerkschaft ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft mit dem Ziel, mit der Klägerin einen Tarifvertrag zur Anerkennung einschlägiger Einzelhandelstarifverträge zu schließen. Am 21. September 2015 bauten Vertreter der Beklagten auf dem Parkplatzgelände unmittelbar vor dem Haupteingang Stehtische sowie Sonnenschirme mit dem ver.di-Logo auf und platzierten dort Trommeln und Tonnen. Zudem verteilten sie gemeinsam mit streikenden Arbeitnehmern Flyer und forderten Mitarbeiter zur Streikbeteiligung auf. Arbeitswillige Arbeitnehmer mussten an den in Gruppen stehenden Streikenden vorbei laufen, um in das Betriebsgebäude zu gelangen. Eine auf dem Gelände befindliche Außenkamera war kurzzeitig abgedeckt worden. 4 Vertreter der Klägerin forderten den anwesenden Streikposten der Beklagten und die streikenden Arbeitnehmer vergeblich auf, das Betriebsgelände zu verlassen. Ein Antrag der Klägerin, die Maßnahme im Wege einer einstweiligen Verfügung untersagen zu lassen, blieb erfolglos. Für den 24. März 2016 rief die Beklagte erneut zum Streik auf. Auch an diesem Tag kam es zu der beschriebenen Aktion auf dem Parkplatz vor dem gelben Eingangsturm. 5 Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, in Ausübung ihres Hausrechts sowie in Ansehung ihrer unternehmerischen Betätigungsfreiheit könne sie der beklagten Gewerkschaft die Nutzung des zum Betriebsgelände gehörenden Mitarbeiterparkplatzes untersagen. Sie müsse diesen Teil ihres Betriebsgeländes nicht zur Förderung eines Streiks zur Verfügung stellen. Die Beklagte könne arbeitswillige Mitarbeiter an der Zufahrt zum Parkplatz – im Bereich des öffentlichen Straßenraums – ansprechen. Sie verfüge zudem über andere Möglichkeiten, auf den Streik aufmerksam zu machen oder zum Streik aufgerufene Arbeitnehmer zu versammeln. 6 Die Klägerin hat zuletzt beantragt,                   der Beklagten zu untersagen, zu Versammlungen auf dem zum Betriebsgelände der Klägerin (Grenzen anhand des Mietvertrags vom 13. Dezember 2011 nebst Anlage 1.1.1 [Anlagen K 5, K 6 und K 17]) gehörenden Parkplatz vor dem gelben Eingangsturm in der A, infolge von Arbeitsniederlegungen aufgrund eines Aufrufs der Beklagten zur Arbeitsniederlegung zwecks Durchsetzung eines Tarifvertrags aufzurufen und diese dort durchzuführen;                   der Beklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehenden Unterlassungspflichten ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an dem Vorsitzenden ihres Bundesvorstandes, anzudrohen. 7 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Klägerin sei von den Aktionen unmittelbar vor dem Personaleingang nicht in grundrechtlichen Positionen betroffen. Eine Untersagung solcher Aktionen würde – mangels anderer Möglichkeiten, die zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmer für eine Beteiligung durch persönliche Ansprache zu gewinnen – ihr verfassungsrechtlich geschütztes Recht auf koalitionsmäßige Betätigung im Übermaß beschränken. 8 Das Arbeitsgericht hat dem – noch anders verfassten – Unterlassungsantrag ebenso wie der Ordnungsmittelandrohung stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klageanträge nach Maßgabe ihrer letzten – in der Berufungsinstanz formulierten – Fassung abgewiesen. Mit ihrer Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Entscheidungsgründe 9 Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten den Unterlassungsantrag zu Recht abgewiesen. 10 I. Entgegen der Ansicht der Revision ist das angefochtene Urteil nicht verfahrensfehlerhaft. Das Landesarbeitsgericht hat den Inhalt des zur Entscheidung gestellten Antrags nicht verkannt und deshalb nicht unter Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO der Klägerin etwas abgesprochen, was diese nicht beantragt hat. Es hat das zur Entscheidung gestellte Begehren nach Maßgabe der Anlassfälle dahin verstanden, dass die Beklagte es unterlassen soll, auf dem Betriebsparkplatz der Klägerin unmittelbar vor dem Haupteingang zum Betriebsgebäude Gewerkschaftsmitarbeiter und streikende Arbeitnehmer zu versammeln sowie Stehtische, Tonnen und Sonnenschirme aufzustellen, um auf den von ihr getragenen Streik aufmerksam zu machen und für eine Streikteilnahme zu werben. Das entspricht dem Unterlassungsantrag, wie ihn die Klägerin in der Berufungsverhandlung im Zusammenhang mit ihrem Antrag auf Zurückweisung der Berufung formuliert hat. Sie hat damit den Streitgegenstand festgelegt auf die künftige Untersagung solcher Aktionen, wie sie anlässlich der am 21. und 22. September 2015 sowie am 24. März 2016 von der Beklagten getragenen Streikmaßnahmen stattgefunden haben. 11 II. Der so verstandene Unterlassungsantrag ist zulässig. Er ist insbesondere hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. 12 1. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO sind Anträge, mit denen die Unterlassung von Handlungen verlangt wird, so genau zu bezeichnen, dass der Inanspruchgenommene im Fall einer dem Antrag entsprechenden gerichtlichen Entscheidung eindeutig erkennen kann, unter welchen Voraussetzungen was von ihm verlangt wird. Für ihn muss aufgrund des Unterlassungstitels erkennbar sein, welche Handlungen er künftig zu unterlassen hat, um sich rechtmäßig verhalten zu können. Die Prüfung, welche Verhaltensweisen der Schuldner unterlassen soll, darf nicht durch eine ungenaue Antragsformulierung und einen dementsprechenden gerichtlichen Titel aus dem Erkenntnis- in das Zwangsvollstreckungsverfahren verlagert werden. Allerdings dürfen die Anforderungen insoweit auch nicht überspannt werden, weil andernfalls effektiver Rechtsschutz vereitelt würde. Zukunftsgerichtete Verbote lassen sich häufig nur generalisierend formulieren. Die Notwendigkeit gewisser Subsumtionsprozesse im Rahmen einer etwa erforderlich werdenden Zwangsvollstreckung steht daher der Verwendung ausfüllungsbedürftiger Begriffe in einem Unterlassungstitel und dem darauf gerichteten Antrag nicht generell entgegen (BAG 18. November 2014 – 1 AZR 257/13 – Rn. 43 mwN, BAGE 150, 50). 13 2. Diesen Anforderungen wird der Untersagungsantrag gerecht. Die Beklagte kann mit ausreichender Gewissheit erkennen, welche Handlungen sie unterlassen soll. In der gebotenen Auslegung unter Hinzuziehung der in der Klagebegründung geschilderten streikmobilisierenden Maßnahmen der Beklagten an den Streiktagen im September 2015 und März 2016 ist situativ hinreichend deutlich, was mit „… zu Versammlungen … aufzurufen und diese … durchzuführen“ beschrieben ist. Die Bezeichnung der Örtlichkeit unter Angabe der Betriebsgeländegrenzen ist ebenso zureichend klar. Es geht um Aktionen der zum Streik aufrufenden Beklagten auf dem von der Klägerin genutzten Grundstück im unmittelbaren Bereich am gelben Turm vor dem Haupteingang. 14 III. Der Unterlassungsantrag ist unbegründet. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. Die Klägerin hat als Besitzerin des im Antrag näher bezeichneten Grundstücks weder einen possessorischen noch einen deliktischen Besitzschutzanspruch auf die erstrebte Unterlassung. 15 1. Ein solcher folgt nicht aus § 862 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die die Anlassfälle bildenden Maßnahmen der Beklagten, deren künftige Untersagung die Klägerin begehrt, fanden zwar auf einem Grundstück statt, das im unmittelbaren Besitz der Klägerin steht. Sie sind aber keine Besitzstörung durch verbotene Eigenmacht iSv. § 858 Abs. 1 BGB. 16 a) Nach § 862 Abs. 1 BGB kann der Besitzer im Fall einer Besitzstörung durch verbotene Eigenmacht iSv. § 858 Abs. 1 BGB die Beseitigung der Störung (Satz 1 der Vorschrift) oder, wenn weitere Störungen zu besorgen sind, deren Unterlassung verlangen (Satz 2 der Vorschrift). Bedeutsam ist diese Form des Besitzschutzes, sofern der Anspruchsteller lediglich über ein schuldrechtliches Besitzrecht – etwa als Mieter, Pächter oder Leasingnehmer – verfügt. Dem Besitzer wird – obwohl ihm an der Sache kein dingliches Recht zusteht – durch den Abwehranspruch ein dem § 1004 BGB entsprechender Schutz gegen von außen kommende Störungen seiner Sachherrschaft gewährt (BGH 16. Januar 2015 – V ZR 110/14 – Rn. 5 mwN). 17 b) Eine Besitzstörung liegt vor, wenn der Besitzer einer Sache an der Ausübung seiner Herrschaft über diese in einzelnen Beziehungen gehindert wird (vgl. BGH 23. November 2007 – LwZR 5/07 – Rn. 12). Die Störung kann auch den unmittelbaren Grundstücksbesitz betreffen (vgl. zB BGH 4. Juli 2014 – V ZR 229/13 – Rn. 13 mwN). Juristische Personen sind Schuldner eines Besitzschutzanspruchs nach § 862 Abs. 1 BGB, wenn ihre Organe oder Vertreter verbotene Eigenmacht verüben (Staudinger/Gutzeit [2018] § 858 Rn. 10). Entsprechendes gilt für rechtsfähige Personenvereinigungen (vgl. zur Verschuldenszurechnung bei einer Gewerkschaft BAG 26. Juli 2016 – 1 AZR 160/14 – Rn. 57 ff., BAGE 155, 347). 18 c) Verbotene Eigenmacht iSv. § 858 Abs. 1 BGB ist gegeben, wenn die Entziehung oder Störung des Besitzes ohne den Willen des Besitzers erfolgt und nicht durch das Gesetz gestattet ist. Damit erfüllt jede gesetzlich nicht gestattete Handlung, die den unmittelbaren Besitzer ohne seinen Willen in der Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Sache beeinträchtigt, die Voraussetzungen einer verbotenen Eigenmacht (vgl. Staudinger/Gutzeit [2018] § 858 Rn. 4). 19 d) Die vom Unterlassungsbegehren umfassten gewerkschaftlichen Maßnahmen stellen keine Besitzstörung durch verbotene Eigenmacht iSv. § 858 Abs. 1 BGB dar. Sie sind nach den richterrechtlichen Grundsätzen des Arbeitskampfrechts gestattet. 20 aa) Das Arbeitskampfrecht ist weitgehend richterrechtlich – auf der Grundlage von Art. 9 Abs. 3 GG – geprägt. Da seine richterrechtliche Ausgestaltung dem einfachen Gesetzesrecht entspricht (vgl. BVerfG 10. September 2004 – 1 BvR 1191/03 – zu B II 1 der Gründe), kann sich hieraus eine gesetzliche Gestattung iSv. § 858 Abs. 1 BGB ergeben. Entgegen der Ansicht der Revision, steht § 863 BGB dem bereits deshalb nicht entgegen, weil der Anwendungsbereich dieser Norm nicht betroffen ist. Bei einer Besitzbeeinträchtigung des Arbeitgebers durch gewerkschaftlich getragene Streikmaßnahmen kommt es nicht darauf an, ob die Gewerkschaft berechtigte Einwendungen zur Vornahme der störenden Handlungen geltend machen kann, sondern ob der Tatbestand der Besitzstörung durch verbotene Eigenmacht überhaupt erfüllt ist (ebenso Klein AuR 2018, 216; vgl. grds. auch Kemper in v. Mangoldt/Klein/Starck GG 7. Aufl. Art. 9 Abs. 3 Rn. 106). Beeinträchtigen gewerkschaftliche Streikmaßnahmen den Besitz des Arbeitgebers, kollidieren seine ua. durch §§ 858, 862 BGB ausgeformten grundrechtlichen Gewährleistungen mit den Grundrechtspositionen auf Gewerkschaftsseite. Die Gerichte für Arbeitssachen sind im Hinblick auf ihre in Art. 1 Abs. 3 GG angeordnete Grundrechtsbindung gehalten, bei der Auslegung und Anwendung zivilrechtlicher Normen – mithin auch bei §§ 858, 862 BGB – diese kollidierenden Grundrechtspositionen in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfG 11. April 2018 – 1 BvR 3080/09 – Rn. 32; BAG 20. November 2012 – 1 AZR 611/11 – Rn. 51 mwN, BAGE 144, 1). Der unter Rücksichtnahme auf kollidierende Verfassungswerte notwendig werdende Ausgleich kann in der Regel nicht generell, sondern nur im Einzelfall durch Güterabwägung vorgenommen werden. Er betrifft nicht den gesamten Bereich der jeweiligen verfassungsrechtlichen Gewährleistungen, sondern ist auf den Ausgleich der konkreten Kollisionslage beschränkt (BAG 20. November 2012 – 1 AZR 611/11 – Rn. 52 f. mwN, aaO). Entsprechend lässt er sich regelmäßig weder formal noch situationsungebunden vornehmen. 21 bb) Nach der hiernach gebotenen Güterabwägung begründen die streitbefangenen gewerkschaftlichen Maßnahmen keinen Besitzschutzanspruch der Klägerin nach §§ 858, 862 BGB. 22 (1) Die Klägerin ist allerdings von diesen Aktionen in Rechtspositionen betroffen, die sich in verfassungsrechtlichen Gewährleistungen gründen. 23 (a) Als unmittelbare Besitzerin des im Unterlassungsantrag bezeichneten Grundstücks steht ihr ein Hausrecht zu, welches auch ihre grundsätzliche Entscheidungsfreiheit über Zutrittsgewährungen zu dem von ihr vorgehaltenen Parkraum einschließt. Im Hausrecht drückt sich die Befugnis des Eigentümers oder Besitzers aus, mit der Sache prinzipiell nach Belieben zu verfahren und andere von der Einwirkung auszuschließen. Diese Befugnis resultiert ihrerseits – ungeachtet einer einfach-rechtlichen Stellung als Eigentümer oder Besitzer – aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG (vgl. BVerfG 30. Juli 2008 – 1 BvR 3262/07, 1 BvR 402/08, 1 BvR 906/08 – Rn. 91, BVerfGE 121, 317; BAG 22. Juni 2010 – 1 AZR 179/09 – Rn. 32, BAGE 135, 1; 22. September 2009 – 1 AZR 972/08 – Rn. 57 mwN, BAGE 132, 140; 28. Februar 2006 – 1 AZR 460/04 – Rn. 41, BAGE 117, 137; BGH 9. März 2012 – V ZR 115/11 – Rn. 8 mwN). Soweit die Klägerin daneben auf eine Betroffenheit ihrer von Art. 13 GG umfassten Belange abhebt, umfasst der Schutzbereich dieser verfassungsrechtlichen Gewährleistung für die im Streit stehenden Aktionen jedenfalls nichts Weitergehendes als das auf Art. 14 GG fußende Hausrecht (vgl. – auf Art. 13 GG beim Hausrecht des Arbeitgebers Bezug nehmend – BAG 22. Juni 2010 – 1 AZR 179/09 – Rn. 32, aaO; 28. Februar 2006 – 1 AZR 460/04 – Rn. 41, aaO; allg. Dudenbostel Hausrecht, Leitungsmacht und Teilnahmebefugnis in der Betriebsversammlung Diss. 1978 S. 65 f.). Gegenteiliges bringt auch die Klägerin nicht vor. 24 (b) Die vom Unterlassungsantrag erfassten Aktionen der Beklagten zielen darauf ab, arbeitswillige Arbeitnehmer zur Teilnahme an einem Streik, zu dem sie aufgerufen hat, zu motivieren und damit – mittels Druckausübung durch Arbeitsniederlegung – den Betriebsablauf zu stören. Hat die Beklagte damit Erfolg, kann dies die Klägerin in ihrer Berufsfreiheit in Gestalt der unternehmerischen Handlungsfreiheit behindern. Das betrifft einen von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Belang, welcher – iVm. Art. 2 Abs. 1 GG – die berufliche und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers umfasst (vgl. dazu BVerfG 6. Juni 2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 – Rn. 35). 25 (c) Anders als die Klägerin meint, beeinträchtigen die gewerkschaftlichen Maßnahmen aber nicht ihre durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete negative Koalitionsfreiheit. Der Streik, in dessen Zusammenhang die zu untersagenden gewerkschaftlichen Aktionen stattfanden, war weder von dem Ziel getragen, sie zu einem Verbandsbeitritt zu bewegen (zur Unzulässigkeit eines solchen Streikziels vgl. BAG 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02 – zu B I 3 b bb der Gründe, BAGE 104, 155), noch folgt ein dahingehender Zwang aus der Forderung der Beklagten, mit ihr einen Haustarifvertrag zu schließen. Wie die dem einzelnen Arbeitgeber in § 2 Abs. 1 TVG verliehene Tariffähigkeit verdeutlicht, geht der Gesetzgeber im Verhältnis zwischen Gewerkschaft und einzelnen Arbeitgebern zumindest grundsätzlich von einem Verhandlungs- und Kampfgleichgewicht aus. Könnte ein Tarifvertrag gegenüber einem einzelnen Arbeitgeber nicht erforderlichenfalls auch durch einen Streik erzwungen werden, würde § 2 Abs. 1 TVG seinen Zweck, auf jeden Fall auf Arbeitgeberseite die Existenz eines Tarifpartners sicherzustellen, nur unvollständig erfüllen (vgl. BAG 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02 – zu B I 1 a aa der Gründe, aaO). 26 (d) Auch die von der Klägerin angeführte negative Koalitionsfreiheit der arbeitswilligen Arbeitnehmer ist vorliegend nicht berührt. Ungeachtet dessen, dass die Klägerin nicht Trägerin dieses Grundrechts ist, geht es bei den streitbefangenen Aktionen nicht um die Erzwingung der Mitgliedschaft von Arbeitnehmern bei ver.di. 27 (2) Demgegenüber steht das aus Art. 9 Abs. 3 GG folgende Recht der Beklagten, ihre Mitglieder – aber auch Nichtorganisierte – zur Arbeitsniederlegung aufzurufen, um die Klägerin zu Verhandlungen und zum Abschluss eines deren Arbeitsbedingungen regelnden Tarifvertrags zu bewegen. Das schließt das Recht ein, die zum Streik aufgerufenen arbeitswilligen Arbeitnehmer anzusprechen und zu versuchen, sie auf diesem Wege für eine Streikteilnahme zu motivieren. 28 (a) Das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG ist in erster Linie ein Freiheitsrecht auf spezifisch koalitionsgemäße Betätigung. Es gewährleistet dem Einzelnen die Freiheit, Vereinigungen zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu bilden und diesen Zweck gemeinsam zu verfolgen. Soweit das Recht der Koalitionen selbst betroffen ist, die von Art. 9 Abs. 3 GG genannten Zwecke zu verfolgen, entscheiden sie im Rahmen ihrer Interessenwahrnehmung selbst über die einzusetzenden Mittel (BVerfG 12. Juni 2018 – 2 BvR 1738/12, 2 BvR 1395/13, 2 BvR 1068/14, 2 BvR 646/15 – Rn. 115 mwN). Zu den geschützten Mitteln zählen Arbeitskampfmaßnahmen, die auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet sind. Sie unterfallen jedenfalls insoweit der Koalitionsfreiheit, als sie allgemein erforderlich sind, um eine funktionierende Tarifautonomie sicherzustellen. Der Arbeitskampf ist funktional auf die Tarifautonomie bezogen und insoweit grundrechtlich geschützt (BAG 20. November 2012 – 1 AZR 611/11 – Rn. 49 mwN, BAGE 144, 1). 29 (b) Gewerkschaften ist eine wirkungsvolle Interessendurchsetzung nur möglich, wenn sie ihren Forderungen durch Streiks Nachdruck verleihen können. Hiervon umfasst ist der Versuch, Arbeitnehmer eines bestreikten Betriebs, die sich arbeitswillig zeigen, zur Teilnahme am Streik zu bewegen, sofern das mit Mitteln des gütlichen Zuredens und des Appells an die Solidarität erfolgt (BAG 21. Juni 1988 – 1 AZR 651/86 – zu A II 2 der Gründe, BAGE 58, 364; vgl. bereits BAG 29. März 1957 – 1 AZR 547/55 – zu 2 der Gründe, BAGE 4, 41 mit zust. Anm. Schnorr von Carolsfeld AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 5; ebenso Kissel Arbeitskampfrecht § 35 Rn. 33; Melot de Beauregard Tarif- und Arbeitskampfrecht für die Praxis Rn. 473; Seiter Streikrecht und Aussperrungsrecht S. 520 f.; Otto Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht § 12 Rn. 5; weitergehend Wolter/Schubert/Rödl in Däubler Arbeitskampfrecht 4. Aufl. § 16 Rn. 45; ebenso Klein AuR 2018, 216). Derartige Aktivitäten sind typische (Otto Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht § 12 Rn. 2), akzessorische (Treber Aktiv produktionsbehindernde Maßnahmen Diss. 1996 S. 108) und unmittelbar dem Streiksinn dienende (BAG 20. Dezember 1963 – 1 AZR 157/63 – zu I der Gründe, BAGE 15, 211) Handlungen. Sie sind Bestandteil des Streiks als Kampfmittel. 30 (3) Die auf die widerstreitenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen bezogene Abwägung ergibt, dass die Klägerin die Maßnahmen der Beklagten hinzunehmen hat. 31 (a) Die Beklagte hat die streikmobilisierenden Aktionen auf die Dauer der ihrerseits kurzzeitigen Streikmaßnahmen begrenzt. Auch hat sie nicht großräumig im Besitz der Klägerin befindliche Flächen genutzt, sondern lediglich den Eingangsbereich zum ohnehin gesondert zugangsgesicherten Betriebsgebäude. Es erfolgte damit eine zeitlich und örtlich beschränkte, situative Inanspruchnahme geringer Flächen des Firmenparkplatzes im Bereich des Haupteingangs für die Arbeitnehmer im Zusammenhang mit kurzzeitigen Arbeitsniederlegungen, um die Klägerin überhaupt zur Aufnahme von Verhandlungen zu bewegen. Der Firmenparkplatz wurde seiner gewidmeten Nutzung dadurch nicht entzogen oder in dieser beschränkt. Weder wurden Parkmöglichkeiten signifikant verengt, noch wurden Mitarbeiter – faktisch – davon abgehalten, ihre Kraftfahrzeuge zu parken. Ebenso behinderten die Aktionen nicht den Zugang zum Personaleingang oder die Ein- und Zufahrt zum und vom Parkplatz. Die bloße, solchen Aktionen innewohnende Exzessgefahr, die sich vorliegend nicht – auch nicht in der kurzzeitigen Verdeckung einer Außenkamera – verwirklicht hat, bedingt keine grundsätzlich andere Beurteilung. 32 (b) Zwar hat die Klägerin ein berechtigtes Interesse, der Beklagten als ihrer Arbeitskampfgegnerin in einem laufenden Arbeitskampf keine Teilfläche des Firmenparkplatzes zu überlassen, damit diese Arbeitnehmer dort für den Streik mobilisiert und dadurch die gegen sie – die Klägerin – gerichtete Kampfkraft stärkt. Allerdings liefe ohne eine solche zeitlich, örtlich und situativ begrenzte Mitwirkung das Recht der beklagten Gewerkschaft leer, ihren Forderungen, die der Interessenwahrnehmung der strukturell unterlegenen Arbeitnehmerseite dienen, durch Streik Nachdruck zu verleihen und ein Verhandlungsgleichgewicht mit der Klägerin herzustellen, um diese zur Aufnahme von Tarifvertragsverhandlungen zu bewegen. Das von Art. 9 Abs. 3 GG umfasste Recht, mit Arbeitswilligen zu kommunizieren und sie zu einer Streikteilnahme überreden zu dürfen, wäre bei der erstrebten Nutzungsuntersagung in Anbetracht der besonderen Lage des Betriebsgeländes faktisch aufgehoben. Die Beklagte hat keine sonstigen realistischen Möglichkeiten zur Beeinflussung Arbeitswilliger (vgl. zu diesem Aspekt ErfK/Linsenmaier 18. Aufl. GG Art. 9 Rn. 177). Das geben die Fallumstände vor. 33 (aa) Angesichts der konkreten örtlichen Verhältnisse ist ein gewerkschaftlich-kommunikatives Einwirken auf die zur Arbeit erscheinenden, arbeitswilligen Arbeitnehmer ausschließlich im Bereich des zentralen Personaleingangs unter Inanspruchnahme des Mitarbeiterparkplatzes möglich. Der Eingang ist nur vom Parkplatz aus zugänglich. Er grenzt nicht unmittelbar an einen öffentlichen, nicht im Besitz der Klägerin stehenden Weg. Die Mehrzahl der Arbeitnehmer fährt mit dem Pkw zu dem außerörtlich gelegenen Betriebsgelände der Klägerin. Die Beklagte ist darauf angewiesen, vor dem Personaleingang mit den Arbeitnehmern – vor allem auch den vom Streikaufruf umfassten Nichtorganisierten – persönlich zu kommunizieren und den Versuch zu unternehmen, auf deren Streikbeteiligung hinzuwirken. 34 (bb) Alternativen stehen ihr nicht zur Verfügung. 35 (aaa) Sie kann die Arbeitnehmer nicht außerhalb des Betriebsgeländes erreichen. Das hat das Landesarbeitsgericht – bei einer zu Gunsten der Klägerin unterstellten Möglichkeit der Beklagten, eine öffentlich-rechtliche Erlaubnis zur Nutzung der öffentlichen Straßenwege für die Streikmobilisierung zu erlangen – zutreffend erkannt. In der konkreten Situation der Anfahrt zum Firmenparkplatz wären selbst grundsätzlich gesprächsbereite Mitarbeiter nicht geneigt, sich auf einen Kommunikationsversuch einzulassen, zumal die Einfahrt in das Parkplatzgelände dann auch – und sei es durch anhaltende Fahrzeuge – behindert wäre. Ebenso wäre wegen der nachfolgenden Verkehrsteilnehmer eine Gesprächseröffnung an dieser Stelle nicht möglich. Anders als die Revision meint, geht es dabei nicht um die Frage, ob die beklagte Gewerkschaft ihre Rechte möglichst effektiv ausüben, sondern ob sie diese überhaupt wahrnehmen kann. Die grundrechtlich geschützte Befugnis, durch Überzeugungsversuche auf Streikunwillige einzuwirken, erschöpft sich nicht in der bloßen Bekanntgabe, dass gestreikt wird, oder in einer plakativen Aufforderung, sich dem Streik anzuschließen. Sie umfasst die persönliche Ansprache aller zum Streik Aufgerufenen und Versuche, diese im Dialog zur Streikteilnahme zu bewegen (zum Gesprächsaspekt vgl. Otto Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht § 12 Rn. 5). Aus diesem Grund ist nicht entscheidend, ob die von der Revision erhobene Verfahrensrüge gegen die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zur Breite des Gehwegs an der Zufahrtsstraße zum Parkplatzgelände zulässig und begründet ist. Die zur Arbeit kommenden Arbeitnehmer passieren diese Stelle mit dem Pkw und können – anders als vor dem Eingang zum Betriebsgebäude – dort nicht unmittelbar angesprochen werden. 36 (bbb) Entsprechendes gilt für die anderen von der Klägerin angeführten Möglichkeiten. 37 (aaaa) Soweit sie auf eine streikfördernde Kommunikation durch gewerkschaftliche Vertrauensleute innerhalb des Betriebs verweist, erschließt sich nicht, inwieweit davon nicht ebenso ihrem Hausrecht und ihrer unternehmerischen Betätigungsfreiheit unterliegende Rechtspositionen – und dann im Zweifel sogar noch stärker – betroffen wären. Auch die Inanspruchnahme über Mobilfunk verfügbarer Kurznachrichtendienste steht der Möglichkeit, in einem persönlichen Gespräch arbeitswillige Arbeitnehmer argumentativ von einer Streikteilnahme zu überzeugen, nicht gleich. Die grundrechtlich geschützte Rechtsposition der Beklagten beschränkt sich nicht auf die bloße Information über den Streik oder auf dessen Koordination. Sie umfasst das Recht der Beklagten zu versuchen, nicht streikbereite Arbeitnehmer – einschließlich der zum Streik aufgerufenen Nichtorganisierten – zu einer Streikbeteiligung zu bewegen. Insofern ist die Beklagte auf einen zeitlich-situativen Kontext zum Arbeitsantritt angewiesen. 38 (bbbb) Die Beklagte kann – anders als die Klägerin meint – nicht auf die Berichterstattung über den von ihr getragenen Streik in den Medien verwiesen werden. Diese betrifft die Information der Öffentlichkeit über den Streik und nicht die Überzeugung der zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmer. Ebenso wenig verfängt die von der Klägerin vorgebrachte – bei Streikmaßnahmen gegen andere Unternehmen seitens der Beklagten wahrgenommene – Möglichkeit der Anmietung einer betriebsexternen Räumlichkeit während des Streiks als Kommunikationsort. Abgesehen davon, dass dies unter Berücksichtigung der am Standort P gegebenen örtlichen Gegebenheiten keine Ausweichmöglichkeit belegt, umfasst der Schutzbereich der gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit im Fall eines Streikaufrufs die kommunikative Ansprache arbeitswilliger Arbeitnehmer und nicht lediglich die Kommunikation mit ohnehin Streikbereiten. 39 (cccc) Entgegen der Ansicht der Klägerin kann der Beklagten zudem nicht entgegengehalten werden, dass sie ihr Zugangsrecht zum Betrieb zum Zwecke der Mitgliederwerbung – als richterrechtlich aus Art. 9 Abs. 3 GG entwickelten Rechtsanspruch (dazu zB BAG 28. Februar 2006 – 1 AZR 460/04 – BAGE 117, 137) – bereits (aus Sicht der Revision „über Gebühr“) beansprucht hat. Dies betrifft einen anderen Aspekt der Gewährleistung koalitionsspezifischer Betätigung. Mitgliederwerbung dient nicht der Streikmobilisierung. 40 (4) Im Ergebnis ist damit nicht jegliche Streikmobilisierung seitens der Beklagten auf dem Firmenparkplatz der Klägerin gestattet. Deren grundrechtlich geschützte Positionen stünden zeitlich, räumlich oder situativ entgrenzten Inanspruchnahmen von Flächen entgegen. Um solche handelt es sich hier jedoch nicht. 41 (5) Das vorliegende Abwägungsergebnis steht auch mit der bisherigen Rechtsprechung des Senats im Einklang. 42 (a) In seiner Entscheidung zum Unterlassen eines Streikaufrufs unter Nutzung des betrieblichen Intranets (BAG 15. Oktober 2013 – 1 ABR 31/12 – BAGE 146, 189) hat der Senat als entscheidungserhebliches Moment in die Abwägung eingestellt, dass die betriebsangehörigen Mitglieder der streikführenden Gewerkschaft zur Wahrnehmung deren aus Art. 9 Abs. 3 GG folgenden Freiheitsrechts nicht auf die Nutzung der arbeitgeberseitig zur Verfügung gestellten betrieblichen Kommunikationsinfrastruktur angewiesen waren (BAG 15. Oktober 2013 – 1 ABR 31/12 – Rn. 37, aaO). Das verkennt die Klägerin, indem sie ihre Rechtsansicht eines uneingeschränkten Nutzungsverbots von jeglichen im Besitz des Arbeitgebers stehenden betrieblichen Flächen sowie bei jeglichen Streikmobilisierungsversuchen vornehmlich auf dieses Urteil stützt. 43 (b) Auch aus der Entscheidung zur grundsätzlichen Zulässigkeit von streikbegleitenden sog. Flashmob-Aktionen (BAG 22. September 2009 – 1 AZR 972/08 – BAGE 132, 140) folgt nichts Gegenteiliges. Der Senat hat in dieser Entscheidung ausgeführt, dass das auf Eigentum und Besitz beruhende Hausrecht der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit nicht grundsätzlich weichen muss. Er hat dahinstehen lassen, ob ein privater Hausrechtsinhaber gehalten ist, sein Hausrecht „grundrechtsfreundlich“ auszuüben. Jedenfalls muss der Inhaber eines Betriebs die Inanspruchnahme seines Besitztums zum Zwecke der Herbeiführung unmittelbarer Betriebsablaufstörungen auch im Arbeitskampf nicht dulden (BAG 22. September 2009 – 1 AZR 972/08 – Rn. 57, aaO). Die Ausführungen des Senats beziehen sich auf eine potentielle Verteidigungsmöglichkeit des Arbeitgebers gegen den Flashmob als gewerkschaftlich eingesetztes Kampfmittel als solches. Dies verkennt die Klägerin. In den vom hier streitbefangenen Unterlassungsantrag erfassten Maßnahmen liegt kein eigenständiges Kampfmittel; es handelt sich vielmehr um Mobilisierungsaktionen, die immanenter Bestandteil des Kampfmittels Streik sind, zu dem die Beklagte aufgerufen hat. Dass aber die Beklagte zum Streikaufruf berechtigt war, um Verhandlungsdruck auf die Klägerin auszuüben, stellt auch die Revision nicht in Abrede. 44 (6) Anderes folgt schließlich nicht aus dem Hinweis der Revision auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Februar 2011 (- 1 BvR 699/06 – BVerfGE 128, 226) und vom 18. Juli 2015 (- 1 BvQ 25/15 -) sowie auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 9. März 2012 (- V ZR 115/11 -). 45 (a) Zwar hat der Bundesgerichtshof in letztgenannter Entscheidung eine Einschränkung des dem Besitzer oder Eigentümer zustehenden Hausrechts im Hinblick auf die zivilrechtlichen Regelungen des AGG verneint. Er hat aber die Berechtigung des bei ihm streitbefangenen Hausverbots ebenso anhand einer Abwägung der über die zivilrechtlichen Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB mittelbar in das Zivilrecht wirkenden Grundrechtspositionen der Streitparteien überprüft. 46 (b) In den erstgenannten bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen ist ua. näher begründet, dass die in Art. 8 Abs. 1 GG verbürgte Versammlungsfreiheit kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten verschafft und insbesondere nicht zu solchen, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird. Dieses in die Prüfung der Reichweite der Versammlungsfreiheit einzustellende Moment gibt für die im vorliegenden Fall gebotene Abwägung nichts vor. Die Beklagte kann die zum Streik aufgerufenen, arbeitswilligen Arbeitnehmer nicht an einem beliebigen Ort ansprechen. Sie erreicht sie vielmehr nur in räumlicher Nähe ihres Arbeitsorts. 47 2. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein deliktischer Unterlassungsanspruch entsprechend § 1004 Abs. 1 Satz 2, § 823 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt eines Eingriffs in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu. 48 a) Nach § 1004 Abs. 1 BGB kann der Eigentümer vom Störer die Beseitigung und weitere Unterlassung der Beeinträchtigung verlangen, wenn das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt wird. Diese Ansprüche sind nicht auf Eigentumsverletzungen beschränkt, sondern bestehen darüber hinaus zur Abwehr von Eingriffen in alle nach § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechte, Lebensgüter und Interessen (BAG 17. Mai 2011 – 1 AZR 473/09 – Rn. 39, BAGE 138, 68). Entsprechend § 1004 BGB ist demnach auch das absolute Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb geschützt (vgl. Palandt/Herrler 77. Aufl. § 1004 Rn. 4). 49 b) Eine Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch die streitbefangenen Aktionen unterstellt, wäre ein solcher Eingriff nicht rechtswidrig. 50 aa) Anders als bei einer Verletzung der in § 823 Abs. 1 BGB ausdrücklich aufgezählten absoluten Rechte wird die Rechtswidrigkeit eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nicht bereits durch die Verletzungshandlung als solche indiziert, sondern ist im Wege einer Interessen- und Güterabwägung im Einzelfall zu beurteilen (st. Rspr., vgl. nur BGH 21. April 1998 – VI ZR 196/97 – zu II 3 b aa der Gründe, BGHZ 138, 311). Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb stellt einen offenen Tatbestand dar, dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus einer Abwägung mit den im Einzelfall konkret kollidierenden Interessen anderer ergeben. Bei der Abwägung sind die betroffenen Grundrechte interpretationsleitend zu berücksichtigen. Der Eingriff in den Schutzbereich des jeweiligen Rechts ist nur dann rechtswidrig, wenn das Interesse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (zuletzt BGH 10. April 2018 – VI ZR 396/16 – Rn. 19 mwN). 51 bb) Die Klägerin hat unter Umständen wie denen der Anlassfälle mögliche Rechtsbeeinträchtigungen hinzunehmen. Sie sind durch die verfassungsrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit der beklagten Gewerkschaft gerechtfertigt und deshalb nach Maßgabe von § 1004 Abs. 2, § 823 Abs. 1 BGB von der Klägerin zu dulden. Insoweit greift keine andere als die den Besitzschutzanspruch betreffende Abwägung der beiderseitigen Grundrechtspositionen im Wege der praktischen Konkordanz. 52 IV. Der ersichtlich nur für den Fall des Obsiegens mit dem Unterlassungsantrag erhobene Antrag auf Ordnungsmittelandrohung fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an.              Schmidt                  Ahrendt                  K. Schmidt                                    Wankel                  Fritz
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20.11.2018
20.11.2018 63/18 - Allgemeinverbindlicherklärung vom 4. Mai 2016 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe ist wirksam Die Allgemeinverbindlicherklärung vom 4. Mai 2016 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe ist rechtswirksam. Auf Antrag der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) am 4. Mai 2016 nach § 5 TVG* den Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 3. Mai 2013 in der Fassung vom 24. November 2015 mit bereits im Antrag enthaltenen Einschränkungen bezüglich des betrieblichen Geltungsbereichs („Große Einschränkungsklausel“) für allgemeinverbindlich erklärt. Der für allgemeinverbindlich erklärte VTV regelt das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe. Bei den Sozialkassen des Baugewerbes (SOKA-BAU) handelt es sich um gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes (Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt – IG BAU -, Hauptverband der Deut-schen Bauindustrie e. V. – HDB – und Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e. V. – ZDB -). Die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse erbringt Leistungen im Urlaubs- und Berufsbildungsverfahren. Zur Finanzierung dieser Leistungen werden nach Maßgabe des VTV Beiträge von den Arbeitgebern erhoben. Durch die Allge-meinverbindlicherklärung gelten die Tarifverträge nicht nur für die tarifgebundenen Mitglieder der Tarifvertragsparteien, sondern auch für alle anderen Arbeitgeber der Branche. Sie sind verpflichtet, die tariflichen Arbeitsbedingungen einzuhalten und Beiträge an die Sozialkassen zu leisten. Sowohl die Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer erhalten Leistungen von den Sozialkassen. Bei der Antragstellerin handelt es sich um eine Arbeitgeberin, die nicht Mitglied einer tarifvertragsschließenden Arbeitgebervereinigung ist und deshalb nur auf der Grundlage der Allgemeinverbindlicherklärung zu Beitragszahlungen herangezogen wurde. Sie hat die Auffassung vertreten, die Allgemeinverbindlicherklärung sei un-wirksam. Die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Rechtsbeschwerde hatte vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die angegriffene Allgemeinverbindlicherklärung des VTV vom 4. Mai 2016 ist wirksam. Die von § 5 TVG begründeten Voraussetzungen waren erfüllt. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 5 TVG neuer Fassung hat der Senat nicht. Vernünftige Zweifel an der Tariffähigkeit oder der Tarifzuständigkeit der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes bestanden nicht. Das BMAS durfte annehmen, dass der Erlass der angegriffenen Allgemeinverbindlicherklärung im öffentlichen Interesse geboten erschien. Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 20. November 2018 – 10 ABR 12/18 – Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. Dezember 2017 – 16 BVL 5012/16 – *§ 5 TVG in der seit dem 16. August 2014 geltenden Fassung lautet auszugsweise: (1) 1Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann einen Tarifvertrag im Einvernehmen mit einem aus je drei Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer bestehenden Ausschuss (Tarifausschuss) auf gemeinsamen Antrag der Tarifvertragsparteien für allgemeinverbindlich erklären, wenn die Allgemeinverbindlicherklärung im öffentlichen Interesse geboten erscheint. 2Die Allgemeinverbindlicherklärung erscheint in der Regel im öffentlichen Interesse geboten, wenn 1. der Tarifvertrag in seinem Geltungsbereich für die Gestaltung der Arbeits-bedingungen überwiegende Bedeutung erlangt hat oder 2. die Absicherung der Wirksamkeit der tarifvertraglichen Normsetzung gegen die Folgen wirtschaftlicher Fehlentwicklung eine Allgemeinverbindlicherklärung verlangt. (1a) 1Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann einen Tarifvertrag über eine gemeinsame Einrichtung zur Sicherung ihrer Funktionsfähigkeit im Einvernehmen mit dem Tarifausschuss auf gemeinsamen Antrag der Tarifvertrags-parteien für allgemeinverbindlich erklären, wenn der Tarifvertrag die Einziehung von Beiträgen und die Gewährung von Leistungen durch eine gemeinsame Einrichtung mit folgenden Gegenständen regelt: 1. den Erholungsurlaub, ein Urlaubsgeld oder ein zusätzliches Urlaubsgeld, 2. eine betriebliche Altersversorgung im Sinne des Betriebsrentengesetzes, 3. die Vergütung der Auszubildenden oder die Ausbildung in überbetrieblichen Bildungsstätten, 4. eine zusätzliche betriebliche oder überbetriebliche Vermögensbildung der Arbeit-nehmer, 5. Lohnausgleich bei Arbeitszeitausfall, Arbeitszeitverkürzung oder Arbeitszeit-verlängerung. 2Der Tarifvertrag kann alle mit dem Beitragseinzug und der Leistungsgewährung in Zusammenhang stehenden Rechte und Pflichten einschließlich der dem Verfahren zugrunde liegenden Ansprüche der Arbeitnehmer und Pflichten der Arbeitgeber regeln. 3§ 7 Absatz 2 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes findet entsprechende Anwendung.
Tenor Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. Dezember 2017 – 16 BVL 5012/16 – wird zurückgewiesen. Entscheidungsgründe 1 A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) vom 4. Mai 2016 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 3. Mai 2013 idF des letzten Änderungstarifvertrags vom 24. November 2015 (AVE VTV 2016; BAnz. AT 9. Mai 2016 B4). 2 Der VTV wurde auf Arbeitgeberseite von den Beteiligten zu 3. und 4., dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e. V. (ZDB) und dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V. (HDB), mit der Beteiligten zu 5., der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), abgeschlossen. Der VTV regelt die Durchführung des in den materiellen Tarifverträgen des Baugewerbes festgelegten Urlaubskassenverfahrens, der zusätzlichen Altersversorgung und der Berufsbildung im Baugewerbe. 3 Der Beteiligte zu 6. ist die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (ULAK), eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit Rechtsfähigkeit kraft staatlicher Verleihung. Er ist die gemeinsame Einzugsstelle für die tariflich festgelegten Beiträge im Urlaubskassen- und Berufsbildungsverfahren und die Beiträge zu der ZVK Bau sowie den regionalen Kassen in Bayern und Berlin. 4 Mit Schreiben vom 4. Dezember 2015 beantragte der ZDB, zugleich namens und in Vollmacht des HDB und der IG BAU, beim Beteiligten zu 2., dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), die Allgemeinverbindlicherklärung des VTV mit Wirkung zum 1. Januar 2016. Die AVE sollte nach dem Antrag mit den in der sog. Großen Einschränkungsklausel enthaltenen Beschränkungen erfolgen (BAnz. AT 14. Juli 2015 B1). Der Antrag war auf § 5 Abs. 1a TVG gestützt. 5 Der Antrag wurde den obersten Arbeitsbehörden der Länder zur Stellungnahme übermittelt und ebenso wie der Termin für die Verhandlung des Tarifausschusses im Bundesanzeiger bekannt gemacht. Am 7. April 2016 tagte der Tarifausschuss und befürwortete die beantragte AVE. 6 In einem Prüfvermerk vom 29. April 2016 gelangte das BMAS zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die beantragte AVE nach § 5 Abs. 1a TVG vorlägen. Der Vermerk wurde von der damaligen Bundesministerin für Arbeit und Soziales Andrea Nahles gegengezeichnet. Die AVE-Bekanntmachung vom 4. Mai 2016 wurde von ihr unterzeichnet. Die Bekanntmachung wurde im Folgenden im Bundesanzeiger veröffentlicht. 7 Die Beteiligte zu 1. wird von der ULAK auf der Grundlage der AVE VTV 2016 auf Beiträge nach dem VTV in Anspruch genommen. Sie war im maßgeblichen Zeitraum nicht Mitglied eines der tarifvertragsschließenden Arbeitgeberverbände. 8 Die Beteiligte zu 1. hat die Auffassung vertreten, die AVE VTV 2016 sei aus formellen und materiellen Gründen unwirksam. Der VTV sei unwirksam, weil die Beteiligten zu 3. bis 5. nicht tariffähig seien. Hinsichtlich der Betriebe, die keine gewerblichen Arbeitnehmer beschäftigten, fehle es schon an einer Tarifmacht der Tarifvertragsparteien, dies führe ebenfalls zur Gesamtunwirksamkeit des VTV. Die AVE des VTV sei nicht im öffentlichen Interesse geboten gewesen. Die gegebene Begründung spiegle schon seit Jahren nicht mehr die realen Zustände in der Bauwirtschaft wider. Entgegen dem Gesetz sei nicht geprüft worden, ob der VTV repräsentativ sei. Eine bei verfassungskonformer Auslegung erforderliche überwiegende Bedeutung habe nicht bestanden. 9 Die Beteiligte zu 1. hat beantragt          festzustellen, dass die Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 3. Mai 2013 idF der Änderungstarifverträge vom 3. Dezember 2013, vom 10. Dezember 2014 und vom 24. November 2015, Bekanntmachung vom 4. Mai 2016 (BAnz. AT 9. Mai 2016 B4), unwirksam ist. 10 Die Beteiligten zu 2. bis 6. haben beantragt,          den Antrag zurückzuweisen. 11 Der Beteiligte zu 6. hat darüber hinaus beantragt          festzustellen, dass die vom Beteiligten zu 2. im Bundesanzeiger AT vom 9. Mai 2016 bekannt gemachte Allgemeinverbindlicherklärung vom 4. Mai 2016 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 3. Mai 2013 idF der Änderungstarifverträge vom 3. Dezember 2013, vom 10. Dezember 2014 und vom 24. November 2015 wirksam ist. 12 Die Beteiligten zu 2. bis 6. haben gemeint, die Neufassung des § 5 TVG sei verfassungsgemäß, der VTV und dessen AVE seien rechtswirksam. Zweifel an der Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes bestünden nicht. Der VTV sei ein Anwendungsfall des § 5 Abs. 1a TVG. Die Regelungen des VTV seien auf Allgemeinverbindlichkeit angelegt und ohne diese nicht handhabbar. Auf die Frage, ob Solo-Selbständige nach § 17 VTV wirksam herangezogen werden könnten, komme es nicht an, weil die gerügten Mängel keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der AVE hätten. Hinsichtlich des für allgemeinverbindlich erklärten VTV habe ein öffentliches Interesse an der AVE bestanden. 13 Das Landesarbeitsgericht hat die Anträge der beiden damaligen Antragstellerinnen auf Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der AVE VTV 2016 zurückgewiesen und zugleich festgestellt, dass sie wirksam ist. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die noch verbliebene Antragstellerin, die Beteiligte zu 1., ihr Begehren weiter. Die zweite Antragstellerin, die frühere Beteiligte zu 7., hat keine Rechtsbeschwerde eingelegt. 14 B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die antragstellenden Beteiligten zu 1. und 6. sind antragsbefugt. Ihnen kommt ein Feststellungsinteresse zu (B I). Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, die AVE VTV 2016 sei formell und materiell wirksam, ist nicht zu beanstanden. Die Überprüfung der AVE erfolgt im Beschlussverfahren, in dem der Amtsermittlungsgrundsatz gilt (B II). Die AVE verstößt weder gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), noch ist ein Vorabentscheidungsersuchen zur Klärung der Vereinbarkeit der AVE mit Unionsrecht an den Gerichtshof der Europäischen Union zu richten (B III). Der für allgemeinverbindlich erklärte Tarifvertrag ist nicht insgesamt unwirksam, eine Aussetzung nach § 97 Abs. 5 ArbGG kommt nicht in Betracht (B IV). Die AVE ist von einer hinreichenden demokratischen Legitimation getragen (B V). Verwaltungsverfahrensrechtliche Vorschriften wurden bei ihrem Erlass nicht verletzt (B VI). Die nach § 5 Abs. 1a TVG ausgesprochene AVE VTV 2016 ist auch materiell rechtswirksam, die gesetzlichen Voraussetzungen für die AVE des VTV sind erfüllt (B VII). 15 I. Die Beteiligte zu 1. ist für ihren negativen Feststellungsantrag ebenso antragsbefugt wie die ULAK für den positiven Feststellungsantrag. Diese Beteiligten haben auch ein Interesse an der begehrten Feststellung. Alle am Verfahren zu beteiligenden Vereinigungen und Stellen sind beteiligt worden. 16 1. Das Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG ist hinsichtlich der angegriffenen AVE VTV 2016 statthaft (vgl. BAG 20. September 2017 – 10 ABR 42/16 – Rn. 17). 17 2. Die Beteiligte zu 1. ist hinsichtlich ihres negativen Feststellungsantrags antragsbefugt nach § 98 Abs. 1 ArbGG und hat ein rechtliches Interesse an der erstrebten Feststellung. Die Antragsbefugnis der ULAK für ihren positiven Feststellungsantrag ergibt sich aus § 98 Abs. 6 Satz 7 ArbGG. 18 a) Bei dem Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG handelt es sich um ein Normenkontrollverfahren, dessen Durchführung eine Antragsbefugnis nach § 98 Abs. 1 oder Abs. 6 ArbGG voraussetzt. Nach § 98 Abs. 1 ArbGG ist antragsbefugt, wer geltend macht, durch die AVE oder die Rechtsverordnung oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Im Fall der Aussetzung eines Rechtsstreits nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG besteht nach § 98 Abs. 6 Satz 7 ArbGG eine Antragsbefugnis für die Parteien dieses Rechtsstreits, die von der Antragsbefugnis nach § 98 Abs. 1 ArbGG unabhängig ist. Aus der Antragsbefugnis folgt grundsätzlich ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 35). 19 b) Nach diesen Grundsätzen bestehen eine Antragsbefugnis und ein Interesse der Beteiligten zu 1. an der Feststellung der Unwirksamkeit der angegriffenen AVE. Das Inkrafttreten des SokaSiG steht ihrem Rechtsschutzbedürfnis nicht entgegen. 20 aa) Die Antragsbefugnis der Beteiligten zu 1. ergibt sich aus § 98 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG. Sie wird von der ULAK auf Zahlung von Sozialkassenbeiträgen für den Geltungszeitraum der angegriffenen AVE in Anspruch genommen, ohne Mitglied der tarifvertragsschließenden Parteien gewesen zu sein. Dieses Verfahren ist noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. Die Antragsbefugnis besteht unabhängig davon, ob der jeweilige Antragsteller im Ausgangsverfahren leugnet, unter den Geltungsbereich der Tarifverträge des Baugewerbes zu fallen (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 37; 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 55, BAGE 156, 213). 21 bb) Der Senat hat bereits entschieden, dass durch das Inkrafttreten des SokaSiG das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 98 Abs. 1 ArbGG nicht entfallen ist (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 39 ff.). 22 c) Die ULAK ist nach § 98 Abs. 6 Satz 7 ArbGG für ihren positiven Feststellungsantrag antragsbefugt. Sie hat einen Aussetzungsbeschluss nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG vorgelegt, der die angegriffene AVE betrifft. Dieser Aussetzungsbeschluss ist aufgrund der Unterbrechung des dortigen Rechtsstreits nach § 240 ZPO bisher nicht wirksam aufgehoben worden. Es ist nicht zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Aussetzung erfüllt waren, solange die Entscheidungserheblichkeit der AVE nicht offensichtlich fehlt (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 42). Hierfür gibt es keine Anhaltspunkte. 23 3. Alle nach § 98 Abs. 3, § 83 Abs. 3 ArbGG zu beteiligenden Vereinigungen und Stellen sind vom Landesarbeitsgericht beteiligt worden. 24 a) Die Beteiligung an einem Beschlussverfahren ist noch im Rechtsbeschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen. Personen und Stellen, die zuvor zu Unrecht nicht gehört wurden, sind auch ohne Rüge zum Verfahren hinzuzuziehen. Dagegen ist im Rechtsbeschwerdeverfahren grundsätzlich nicht von Amts wegen zu prüfen, ob alle in den Vorinstanzen beteiligten Personen, Vereinigungen und Stellen zu Recht angehört wurden (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 48). 25 b) Nach § 98 Abs. 3 Satz 3 ArbGG ist die Behörde, die den Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt hat, das BMAS, an diesem Beschlussverfahren beteiligt. Beteiligt sind ferner diejenigen, die einen eigenen Antrag gestellt haben, sowie die Tarifvertragsparteien, die den für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag abgeschlossen haben (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 49). Sie sind vom Landesarbeitsgericht beteiligt worden. 26 II. Streitigkeiten über die Wirksamkeit einer AVE oder einer entsprechenden Rechtsverordnung nach § 2a Abs. 1 Nr. 5 iVm. § 98 ArbGG sind im Beschlussverfahren auszutragen (§ 2a Abs. 2 ArbGG). Nach § 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG erforscht das Gericht den Sachverhalt im Rahmen der gestellten Anträge von Amts wegen, wobei die am Verfahren Beteiligten nach § 83 Abs. 1 Satz 2 ArbGG an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken haben. Diese Grundsätze gelten nach § 98 Abs. 3 Satz 1 ArbGG entsprechend im Verfahren zur Überprüfung der Wirksamkeit einer AVE oder Rechtsverordnung (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 50). Hiervon ist das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgegangen. 27 III. Die AVE von Tarifverträgen nach § 5 Abs. 1a TVG in der ab 16. August 2014 geltenden Fassung (Art. 5 des Tarifautonomiestärkungsgesetzes vom 11. August 2014, BGBl. I S. 1348) verstößt nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Auch eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Unterabs. 3 AEUV ist nicht geboten (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 51 ff.). 28 1. Die EMRK ist nicht verletzt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat durch Urteil vom 2. Juni 2016 (- 23646/09 – Rn. 51 ff., 65 ff.) für den allgemeinverbindlich erklärten VTV in einer früheren Fassung rechtskräftig entschieden, dass die AVE von Tarifverträgen über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe weder gegen die durch Art. 11 EMRK geschützte Vereinigungsfreiheit verstößt noch zu einer Verletzung des durch Art. 1 Protokoll Nr. 1 zur EMRK geschützten Eigentumsrechts führt. Daran hat sich durch die Neufassung des § 5 TVG nichts geändert. 29 2. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union, die die Vereinbarkeit der AVE des VTV mit Unionsrecht zum Gegenstand hätte, kommt nicht in Betracht. Für die angegriffene AVE fehlt ein Anknüpfungspunkt an das Unionsrecht. Der Senat hat hinsichtlich der AVE mehrerer früherer Fassungen des VTV bereits entschieden, dass deren Erlass kein Akt der Durchführung des Unionsrechts iSd. Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC war und ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 Unterabs. 3 AEUV zur Klärung der Vereinbarkeit der AVE mit Art. 16 GRC deshalb ausschied. Ebenso wenig kam eine Vorlage unter dem Gesichtspunkt der Einschränkung unionsrechtlicher Grundfreiheiten in Betracht (grundlegend BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 97 ff., BAGE 156, 213). Die Neufassung des § 5 TVG ändert daran nichts (näher BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 53). 30 IV. Anhaltspunkte für eine Gesamtunwirksamkeit des für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags bestehen nicht. Das Verfahren ist auch nicht nach § 97 Abs. 5 ArbGG auszusetzen. 31 1. § 5 TVG nF setzt – ebenso wie § 5 TVG aF – voraus, dass es sich bei den für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen um wirksame Tarifverträge iSd. TVG handelt. Neben ihrer formellen Wirksamkeit verlangt dies, dass die jeweiligen Tarifvertragsparteien tariffähig und tarifzuständig sind (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 55 mwN). Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrags oder des jeweils letzten Änderungstarifvertrags (BAG 25. Januar 2017 – 10 ABR 34/15 – Rn. 93), hier also der 24. November 2015. 32 2. Formelle Bedenken gegen die Wirksamkeit des für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags sind weder vorgetragen noch erkennbar. Die von der Beteiligten zu 1. angenommene Unwirksamkeit einzelner Tarifnormen, insbesondere des § 17 VTV, führt – auch wenn die Annahme zutreffen sollte – nicht zur Unwirksamkeit des betroffenen Tarifvertrags und lässt deshalb die Wirksamkeit der angegriffenen AVE unberührt (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 56 ff.). 33 a) Die Unwirksamkeit einer Tarifbestimmung hat entgegen der Auslegungsregel des § 139 BGB grundsätzlich nicht die Unwirksamkeit der übrigen tariflichen Vorschriften zur Folge. Die Rechtsfolge der Unwirksamkeit einzelner Tarifnormen wegen Verstoßes gegen Gesetze oder die Verfassung ist nicht die Gesamtnichtigkeit und damit die gänzliche Unanwendbarkeit des Tarifvertrags, sondern nur die Unwirksamkeit der verbotswidrigen Bestimmung oder Bestimmungen. Es kommt lediglich darauf an, ob der Tarifvertrag ohne die unwirksame Regelung noch eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung darstellt (st. Rspr., zB BAG 16. November 2011 – 4 AZR 856/09 – Rn. 27; 9. Mai 2007 – 4 AZR 275/06 – Rn. 37 mwN). Die Teilunwirksamkeit einzelner Tarifnormen führt auch nicht zu einer vollständigen Unwirksamkeit der AVE. Diese Rechtsfolge kann nicht mit dem Hinweis hergeleitet werden, es bestünden dann zwangsläufig Abwägungsfehler (so aber Löwisch/Rieble TVG 4. Aufl. § 5 Rn. 91, 337). Für die Rechtmäßigkeit einer AVE kommt es nicht auf einzelne Abwägungselemente an, sondern darauf, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die AVE objektiv erfüllt waren. Dies ist bei einem Tarifvertrag, der weiterhin eine in sich geschlossene Regelung bildet, regelmäßig auch ohne eine als rechtswidrig angesehene Norm der Fall (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 57). 34 b) §§ 17 und 4 Abs. 4 VTV iVm. § 31 des Tarifvertrags über die Berufsbildung im Baugewerbe (BBTV) beschränken sich darauf, eine Beitragspflicht zum Berufsbildungsverfahren für Betriebe ohne gewerbliche Arbeitnehmer und entsprechende Meldepflichten zu begründen. Mit Blick auf die Grenzen der Tarifmacht bestehen zwar Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Normen (vgl. zu ähnlichen Tarifbestimmungen im Schornsteinfegerhandwerk BAG 31. Januar 2018 – 10 AZR 279/16 – Rn. 20 ff.). Das Sozialkassenverfahren kann für Betriebe mit Arbeitnehmern jedoch problemlos auf der Grundlage der Bestimmungen des VTV abgewickelt werden. Der Tarifvertrag behielte weiterhin seine Bedeutung. Dies zeigt sich auch daran, dass eine Beitragspflicht für Betriebe ohne Beschäftigte erstmals ab dem 1. April 2015 eingeführt wurde. Eine weitere Überprüfung von einzelnen Normen eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags ist nicht Gegenstand des Verfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 58). 35 3. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens nach § 97 Abs. 5 ArbGG sind nicht gegeben. Vernünftige Zweifel an der Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes zum Zeitpunkt des Abschlusses des erstreckten Tarifvertrags bestehen nicht. 36 a) Nach § 2a Abs. 1 Nr. 4, § 97 ArbGG ist die Entscheidung über die Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit einer Vereinigung ausschließlich in einem besonderen Beschlussverfahren nach diesen Vorschriften zu treffen. Dort ist eine solche Frage mit Wirkung für und gegen jedermann zu klären (§ 97 Abs. 3 Satz 1 ArbGG). Eine Inzidentprüfung der Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit in einem anderen Rechtsstreit oder Verfahren scheidet aus. Die Aussetzungspflicht besteht im Fall der Entscheidungserheblichkeit auch in einem Verfahren nach § 98 ArbGG (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 60; grundlegend BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 119 ff., BAGE 156, 213). Ein Verfahren darf nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG allerdings nur dann ausgesetzt werden, wenn zumindest eine der in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG genannten Eigenschaften einer Vereinigung aufgrund vernünftiger Zweifel an ihr streitig ist. Im Arbeitsleben geäußerte Vorbehalte sind zu berücksichtigen und von den Gerichten aufzugreifen. Danach ist das Ausgangsverfahren nicht schon dann auszusetzen, wenn die Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit einer Vereinigung nur von einer Partei ohne Angabe nachvollziehbarer Gründe infrage gestellt wird (vgl. BAG 24. Juli 2012 – 1 AZB 47/11 – Rn. 9, BAGE 142, 366). An solchen vernünftigen Zweifeln fehlt es. 37 b) Der Senat hat die Frage der Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit der Beteiligten zu 3. bis 5. im Hinblick auf die vorherige Fassung des VTV in seiner Entscheidung vom 21. März 2018 umfangreich geprüft. Er ist zu dem Ergebnis gekommen, dass vernünftige Zweifel, die zu einer Aussetzung des Verfahrens nach § 97 Abs. 5 ArbGG führen müssten, nicht bestehen (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 59 ff.). Neue Gesichtspunkte in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht, zB eine veränderte Satzungslage, sind von der Rechtsbeschwerde nicht vorgebracht worden. 38 V. Die streitgegenständliche AVE vom 4. Mai 2016 ist demokratisch legitimiert. 39 1. Damit eine AVE über eine hinreichende demokratische Legitimation verfügt, muss sich der jeweilige Minister oder Staatssekretär vor ihrem Erlass zustimmend mit der AVE befasst haben (umfassend BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 138 ff., BAGE 156, 213). Daran hat sich durch die Neufassung des § 5 TVG nichts geändert (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 85). 40 2. Diese Anforderung ist hinsichtlich der streitgegenständlichen AVE erfüllt. Die Ministeriumsvorlage vom 29. April 2016 ist sowohl von der damaligen Ministerin für Arbeit und Soziales Andrea Nahles („AN“) als auch von der damaligen Staatssekretärin Yasmin Fahimi abgezeichnet worden. Dies genügt für die Annahme einer zustimmenden Befassung. Im Übrigen ist die AVE-Bekanntmachung von der Ministerin unterzeichnet und entsprechend veröffentlicht worden. 41 VI. Die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für den Erlass der AVE nach § 5 TVG iVm. den Bestimmungen der TVG-DVO waren erfüllt. Die AVE ist auch ordnungsgemäß im Bundesanzeiger bekannt gemacht worden. Gegen ihren rückwirkenden Erlass bestehen keine Bedenken. 42 1. Die Tarifvertragsparteien haben einen gemeinsamen Antrag auf Erlass der AVE iSv. § 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 1a Satz 1 TVG gestellt. 43 a) Nach § 5 TVG nF ist ein gemeinsamer Antrag der Tarifvertragsparteien Voraussetzung für den Erlass einer AVE. Mit diesem Erfordernis soll gewährleistet werden, dass die Abstützung der tariflichen Ordnung aus Sicht sämtlicher Parteien des Tarifvertrags erforderlich erscheint (BT-Drs. 18/1558 S. 48). Der Begriff des gemeinsamen Antrags ist deshalb materiell-rechtlich zu verstehen, nicht formal (AR/Krebber 8. Aufl. § 5 TVG Rn. 22). Es reicht aus, wenn eine Tarifvertragspartei gleichzeitig in Vertretung für die andere(n) Tarifvertragspartei(en) den Antrag stellt (HWK/Henssler 8. Aufl. § 5 TVG Rn. 20). Hierdurch ist sichergestellt, dass der Antrag von allen tarifvertragsschließenden Parteien inhaltlich getragen wird (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 89). 44 b) Nach diesen Grundsätzen liegt ein gemeinsamer Antrag für die AVE vor. Der ZDB hat den Antrag auch namens und in Vollmacht der beiden anderen Tarifvertragsparteien, des HDB und der IG BAU, gestellt. Die bereits im Antrag erfolgte Einschränkung der Reichweite der AVE ist nicht zu beanstanden. Derartige Einschränkungsklauseln sind grundsätzlich zulässig (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 90 mwN). 45 2. Der Tarifausschuss hat der AVE zugestimmt. 46 a) Die AVE eines Tarifvertrags kann sowohl nach § 5 Abs. 1 Satz 1 TVG als auch nach § 5 Abs. 1a Satz 1 TVG nur im Einvernehmen mit dem Tarifausschuss erfolgen. Dessen Zustimmung ist erforderlich, anderenfalls kann keine AVE ergehen (zB ErfK/Franzen 19. Aufl. § 5 TVG Rn. 22). Das bedeutet wegen der Verdrängungswirkung des § 5 Abs. 4 Satz 2 TVG auch, dass der Tarifausschuss eine AVE auf der Grundlage des § 5 Abs. 1a TVG ausdrücklich billigen muss. Nur so ist sichergestellt, dass der Erlass der AVE vollständig vom Einvernehmen des Tarifausschusses gedeckt ist (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 92). 47 b) Hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen AVE hat der Tarifausschuss mit Beschluss vom 7. April 2016 seine Zustimmung zu einer AVE nach § 5 Abs. 1a TVG erteilt. 48 3. Verwaltungsverfahrensrechtliche Vorschriften sind nicht verletzt. AVE sind weder an Art. 80 Abs. 1 GG noch am Maßstab des § 24 VwVfG zu messen. Für eine Verfassungswidrigkeit von § 11 TVG und der darauf beruhenden TVG-DVO gibt es keine Anhaltspunkte (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 94 mwN). Bedenken hinsichtlich der Erfüllung der weiteren verfahrensrechtlichen Voraussetzungen nach dem TVG oder der TVG-DVO bestehen nicht. Verfahrensfehler sind weder erkennbar noch vorgetragen. 49 4. Die streitgegenständliche AVE ist nach § 5 Abs. 7 Satz 1 TVG bekannt gemacht worden. 50 Bei der Bekanntmachung handelt es sich ebenfalls um eine Wirksamkeitsvoraussetzung der AVE. Die Bekanntmachung muss nach § 5 Abs. 7 Satz 2 TVG nun auch die Rechtsnormen des für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags umfassen. Wegen der besonderen Rechtsfolge des § 5 Abs. 4 Satz 2 TVG muss im Fall einer AVE auf der Grundlage des § 5 Abs. 1a TVG diese Ermächtigungsnorm in der Bekanntmachung genannt werden, um die Verdrängungswirkung auszulösen. Nur so können die Normunterworfenen erkennen, dass eine eigene anderweitige Tarifbindung durch die AVE ohne weitere Voraussetzungen verdrängt wird (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 96 mwN). Die erfolgte Bekanntmachung erfüllt diese Anforderungen in vollem Umfang. 51 5. Der Umstand, dass die angegriffene AVE VTV 2016 am 4. Mai 2016 rückwirkend zum 1. Januar 2016 erfolgt ist, führt nicht zu ihrer Unwirksamkeit. 52 a) Bei der Rückwirkung von Allgemeinverbindlicherklärungen sind die Grundsätze über die Rückwirkung von Gesetzen, wie sie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelt worden sind, entsprechend anzuwenden. Die Rückwirkung einer AVE verletzt nicht die vom Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) umfassten Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, soweit die Betroffenen mit ihr rechnen müssen. Ein solcher Fall liegt vor, wenn ein Tarifvertrag rückwirkend für allgemeinverbindlich erklärt wird, der einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag erneuert oder ändert. Bei dieser Sachlage müssen die Tarifgebundenen nicht nur mit einer AVE des Folgetarifvertrags, sondern auch mit der Rückbeziehung der AVE auf den Zeitpunkt seines Inkrafttretens rechnen (st. Rspr., zB BAG 13. November 2013 – 10 AZR 1058/12 – Rn. 19 mwN). Durch § 5 TVG nF hat sich hieran nichts geändert (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 99). 53 b) Diese Voraussetzungen waren hinsichtlich der AVE VTV 2016 erfüllt. Bereits die Vorgängerregelungen waren für allgemeinverbindlich erklärt worden. Im Übrigen ist der Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung noch im Jahr 2015 im Bundesanzeiger veröffentlicht worden, so dass auch aus diesem Grund kein schutzwürdiges Vertrauen entstehen konnte. 54 VII. Die nach § 5 Abs. 1a TVG ergangene AVE VTV 2016 vom 4. Mai 2016 ist auch materiell rechtswirksam. 55 1. Ein Tarifvertrag über eine gemeinsame Einrichtung kann zur Sicherung ihrer Funktionsfähigkeit für allgemeinverbindlich erklärt werden, wenn er die Einziehung von Beiträgen und die Gewährung von Leistungen durch eine gemeinsame Einrichtung mit bestimmten Gegenständen regelt (§ 5 Abs. 1a Satz 1 TVG). Der Tarifvertrag kann dabei nach Abs. 1a Satz 2 alle mit dem Beitragseinzug und der Leistungsgewährung in Zusammenhang stehenden Rechte und Pflichten einschließlich der dem Verfahren zugrunde liegenden Ansprüche der Arbeitnehmer und Pflichten der Arbeitgeber regeln; er ist nicht auf die Errichtung der gemeinsamen Einrichtung und auf Verfahrensfragen beschränkt (grundlegend BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 133 ff.). 56 a) Erste Tatbestandsvoraussetzung für die Eröffnung des Anwendungsbereichs von § 5 Abs. 1a TVG ist bereits nach dem Wortlaut der Norm, dass es sich um einen Tarifvertrag über eine gemeinsame Einrichtung handelt, der die Einziehung von Beiträgen und die Gewährung von Leistungen hinsichtlich bestimmter Gegenstände zum Inhalt hat (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 134 mwN). Ein Tarifvertrag mit einem anderen Regelungsgegenstand genügt nicht. Der Begriff der gemeinsamen Einrichtung entspricht dem des § 4 Abs. 2 TVG. Nur Tarifverträge, die einen solchen Regelungsgehalt haben, können nach § 5 Abs. 1a TVG für allgemeinverbindlich erklärt werden und die damit verbundenen besonderen Rechtswirkungen entfalten (§ 5 Abs. 4 Satz 2 TVG). Um sich als Tarifvertrag über eine gemeinsame Einrichtung in diesem Sinn zu qualifizieren, muss der Tarifvertrag mindestens überwiegend Regelungen treffen, die die Errichtung der gemeinsamen Einrichtung, das Verfahren von Beitragseinzug und Leistungsgewährung oder die dem Verfahren zugrunde liegenden Ansprüche der Arbeitnehmer und Pflichten der Arbeitgeber regeln. Tarifnormen, die inhaltlich nicht unter den Katalog des § 5 Abs. 1a Satz 1 TVG fallen, aber Teil eines Tarifvertrags über eine gemeinsame Einrichtung sind, können nicht nach § 5 Abs. 1a TVG mit der Verdrängungswirkung des Abs. 4 Satz 2 für allgemeinverbindlich erklärt werden. Es genügt, wenn einer der Katalogtatbestände vorliegt. Der Tarifvertrag über die gemeinsame Einrichtung muss nicht alle vom Gesetz zugelassenen Gegenstände eines solchen Tarifvertrags erfassen (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 134 mwN). 57 b) Weitere Voraussetzung für den Erlass einer AVE nach § 5 Abs. 1a TVG ist die „Sicherung der Funktionsfähigkeit“ der gemeinsamen Einrichtung. Die Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrags muss deshalb das Ziel haben können, die (Fort-)Existenz der gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien sicherzustellen (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 136 mwN). 58 c) Auch der Erlass einer AVE nach § 5 Abs. 1a TVG erfordert eine abschließende Gesamtbeurteilung durch das BMAS, ob die AVE im öffentlichen Interesse geboten erscheint. Das kann nur verneint werden, wenn besonders gewichtige Umstände oder überragende entgegenstehende Interessen bestehen (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 137 ff.; zustimmend Ulber NZA-Beilage 1/2018, 3, 7). 59 Der Wortlaut des § 5 Abs. 1a Satz 1 TVG regelt das Erfordernis eines öffentlichen Interesses allerdings – anders als § 5 Abs. 1 Satz 1 TVG – nicht ausdrücklich. Die Verwendung des Worts „kann“ zeigt jedoch, dass dem BMAS auch im Fall der Entscheidung über die AVE eines Tarifvertrags über eine gemeinsame Einrichtung ein normatives Ermessen zusteht. Systematisch wird dies auch an § 5 Abs. 5 Satz 1 TVG deutlich. Danach kann das BMAS eine AVE im Einvernehmen mit dem Tarifausschuss aufheben, wenn die Aufhebung im öffentlichen Interesse geboten erscheint. Umgekehrt bedarf es im Fall des Erlasses einer AVE nach Abs. 1a einer abschließenden Gesamtbeurteilung, ob ein öffentliches Interesse besteht (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 138; im Ergebnis ebenso BeckOK ArbR/Giesen TVG § 5 Rn. 17; Däubler/Lakies TVG 4. Aufl. § 5 Rn. 124; Löwisch/Rieble TVG 4. Aufl. § 5 Rn. 214; Preis/Povedano Peramato Das neue Recht der Allgemeinverbindlicherklärung im Tarifautonomiestärkungsgesetz S. 75; Prokop Die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG Diss. 2017 S. 226 f., 249; Schaub ArbR-HdB/Treber 17. Aufl. § 205 Rn. 20; Sittard in Henssler/Moll/Bepler Der Tarifvertrag 2. Aufl. Teil 7 Rn. 78; Strippelmann Rechtsfragen der gemeinsamen Einrichtungen Diss. 2015 S. 181). 60 Durch die Schaffung eines eigenen Absatzes und mit Blick auf die verwendete abweichende Formulierung wird systematisch allerdings deutlich, dass das Gesetz – über die Vermutungswirkung des § 5 Abs. 1 Satz 2 TVG hinaus – davon ausgeht, dass ein öffentliches Interesse an einer solchen Sicherung der Funktionsfähigkeit einer gemeinsamen Einrichtung „grundsätzlich“ gegeben ist. Eine allgemeinverbindliche tarifliche Regelung hinsichtlich der in Nr. 1 bis Nr. 5 genannten Gegenstände ist „sozialpolitisch grundsätzlich erwünscht“ (BT-Drs. 18/1558 S. 49; Löwisch/Rieble TVG 4. Aufl. § 5 Rn. 211: „Sonderfall öffentlichen Interesses“; Schaub ArbR-HdB/Treber 17. Aufl. § 205 Rn. 20: „besonderes öffentliches Interesse“). Die Ablehnung eines öffentlichen Interesses an der AVE eines Tarifvertrags über eine gemeinsame Einrichtung, der der Sicherung ihrer Funktionsfähigkeit dient, kommt daher nur in Betracht, wenn ganz besonders gewichtige Umstände oder überragende Interessen entgegenstehen (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 139). 61 d) Bestehen in ihrem fachlichen Geltungsbereich mindestens teilweise überschneidende Tarifverträge über gemeinsame Einrichtungen, hat das BMAS bei seiner Entscheidung über die AVE zusätzlich die Repräsentativität der jeweiligen Tarifverträge zu berücksichtigen (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 141 f.). 62 Nach § 5 Abs. 1a Satz 3 TVG findet § 7 Abs. 2 AEntG entsprechende Anwendung. Diese Norm bestimmt, dass der Verordnungsgeber des AEntG im Rahmen einer Gesamtabwägung auch die Repräsentativität der jeweiligen Tarifverträge zu berücksichtigen hat, wenn in einer Branche mehrere Tarifverträge mit zumindest teilweise demselben fachlichen Geltungsbereich zur Anwendung kommen. Als Ziel der Regelung wird allgemein gesehen, die Verdrängung konkurrierender gemeinsamer Einrichtungen zu vermeiden oder jedenfalls nur dann geschehen zu lassen, wenn eine hinreichende Bedeutung des für allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifvertrags besteht (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 141; Henssler RdA 2015, 43, 53; NK-GA/Forst § 5 TVG Rn. 121; Löwisch/Rieble TVG 4. Aufl. § 5 Rn. 217; Preis/Povedano Peramato S. 69 f.). Eine gesonderte Repräsentativitätsprüfung ist dagegen nicht erforderlich, wenn die Verdrängung eines potenziell konkurrierenden Tarifvertrags schon deshalb ausscheidet, weil die AVE mit einer Einschränkungsklausel versehen wurde, die entsprechende Konkurrenzen vermeidet. In einem solchen Fall erfolgt wegen der Einschränkungsklausel in deren Reichweite schon keine Erstreckung auf die an einen anderen Tarifvertrag gebundenen Arbeitgeber. Eine kraft Gesetzes nach § 5 Abs. 4 Satz 2 TVG aufzulösende Konkurrenz tritt nicht auf. Da in einem solchen Fall keine konkurrierende Regelung verdrängt wird, kommt es auf die Repräsentativität des Tarifvertrags der beantragten AVE nicht an (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 142). 63 2. Das Rechtsinstitut der Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags über gemeinsame Einrichtungen nach § 5 Abs. 1a TVG nF begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Bundesverfassungsgericht hat die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien nach § 5 TVG aF als unbedenklich angesehen (BVerfG 15. Juli 1980 – 1 BvR 24/74, 1 BvR 439/79 – zu B III der Gründe, BVerfGE 55, 7; vgl. auch 10. September 1991 – 1 BvR 561/89 – zu II der Gründe). Dem hat sich das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung angeschlossen (zB BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 95, BAGE 156, 213). 64 Daran ist auch für § 5 Abs. 1a TVG festzuhalten (eingehend hierzu BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 143 ff.). Insbesondere werden die Grundrechte der Außenseiter aus Art. 9 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1 oder Art. 2 Abs. 1 GG gewahrt. Deren Interessen müssen in die erforderliche Gesamtbeurteilung durch das BMAS, ob ein öffentliches Interesse besteht, einfließen. Um eine ausreichende demokratische Legitimation herbeizuführen, bedarf es der zustimmenden Befassung durch den zuständigen Minister oder Staatssekretär (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 110, 146; 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 138 ff., BAGE 156, 213). Die Sonderregelung für Tarifverträge über gemeinsame Einrichtungen verstößt auch nicht gegen das Verbot des Einzelfallgesetzes aus Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG (im Einzelnen BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 147). 65 3. Nach diesen Grundsätzen ist die AVE VTV 2016 vom 4. Mai 2016 materiell rechtswirksam. 66 a) Beim VTV handelt es sich um einen Tarifvertrag über eine gemeinsame Einrichtung iSv. § 5 Abs. 1a Satz 1 TVG. Der VTV regelt das Verfahren für den Beitragseinzug und teilweise die Leistungsgewährung hinsichtlich des Urlaubs (§ 5 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 TVG), einer betrieblichen Altersversorgung iSd. Betriebsrentengesetzes (§ 5 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 TVG) und für das Berufsbildungsverfahren (§ 5 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 TVG). Die Durchführung erfolgt durch gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien (§ 3 VTV). 67 b) Die Annahme, die AVE VTV 2016 sei zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der gemeinsamen Einrichtungen erforderlich, ist nicht zu beanstanden. Erst die Erstreckung der entsprechenden Tarifverträge über gemeinsame Einrichtungen ermöglicht den Tarifvertragsparteien, solche wirksam zu errichten. Es ist naheliegend, dass das System der Umlagefinanzierung nur funktioniert, wenn alle Betriebe am Sozialkassenverfahren teilnehmen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf das Urlaubskassenverfahren und das Ausbildungsumlageverfahren einschließlich des Systems der überbetrieblichen Ausbildung und ihrer Finanzierung (für die AVE VTV 2015 BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 151). 68 c) Ebenso wenig bestehen Einwände gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das BMAS habe den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum mit der Bejahung eines öffentlichen Interesses an der AVE des VTV nicht überschritten. Besonders gewichtige Umstände oder überragende entgegenstehende Interessen, die gegen die Annahme eines öffentlichen Interesses sprechen könnten, sind weder vorgetragen noch erkennbar. Die getroffene Entscheidung erscheint nicht unvertretbar oder unverhältnismäßig. 69 aa) Der Senat hat im Zusammenhang mit der – aus anderen Gründen unwirksamen – AVE VTV 2014 die damalige Annahme des BMAS, ein öffentliches Interesse iSv. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TVG aF habe vorgelegen, nicht beanstandet (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 – Rn. 111 ff., BAGE 156, 289). Der Senat hat insbesondere angenommen, das im VTV geregelte Urlaubskassenverfahren verfolge das vom Gesetzgeber sozialpolitisch gewollte Ziel, Arbeitnehmern den Erwerb zusammenhängender Urlaubsansprüche zu ermöglichen. Auch die vom VTV mitumfasste zusätzliche Altersversorgung verfolge ein vom Gesetzgeber sozialpolitisch gewolltes Ziel. Ihr Zweck sei daran ausgerichtet, den Arbeitnehmern unverfallbare Anwartschaften auf eine zusätzliche Altersversorgung zu sichern, wie es der Gesetzgeber mit den Bestimmungen des BetrAVG erreichen wolle. Die Ausbildungsumlage stehe vor dem Hintergrund einer vom Gesetzgeber für sinnvoll gehaltenen geordneten und einheitlichen Berufsausbildung (vgl. § 4 Abs. 1 BBiG), deren Lasten verteilt werden sollten. Diese Erwägungen hat der Senat auch hinsichtlich der AVE VTV 2015 als tragfähig angesehen (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 153). Sie sind uneingeschränkt auf die AVE VTV 2016 übertragbar. 70 bb) Diesen für ein öffentliches Interesse an der AVE VTV 2016 sprechenden Umständen stehen vor allem die Interessen der nicht tarifgebundenen Arbeitgeber gegenüber, nicht mit Beitragszahlungen an die ULAK belastet zu werden. 71 (1) Überragende entgegenstehende Interessen nicht tarifgebundener Arbeitnehmer sind in diesem Zusammenhang nicht zu erkennen. Die (zusätzliche) Zahlungsverpflichtung der nicht tarifgebundenen Arbeitgeber ist im Ergebnis begrenzt, weil sie auch gesetzlich verpflichtet sind, Urlaub und Urlaubsentgelt zu gewähren, und das Urlaubskassenverfahren in seiner praktischen Ausprägung nur einen anderen Abwicklungsweg darstellt. Auch die Ausbildungsumlage verteilt im Wesentlichen nur Lasten gleichmäßig auf die Arbeitgeber, die unabhängig von der tarifvertraglichen Regelung entstehen. Die von der AVE VTV 2016 erfassten Arbeitgeber profitieren auch dann mittelbar von einer so geförderten Berufsausbildung, wenn sie nicht selbst zu den Ausbildungsbetrieben gehören. Eine effektive zusätzliche Zahlungsbelastung der nicht tarifgebundenen Arbeitgeber ergibt sich nur aus den eigenen Verwaltungskosten der ULAK sowie der gesetzlich nicht verpflichtend vorgeschriebenen zusätzlichen Altersversorgung für Arbeitnehmer (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 154). 72 (2) Soweit die Beteiligte zu 1. im Schriftsatz vom 28. September 2018 Ausführungen in tatsächlicher Hinsicht zu der Fluktuation der Arbeitnehmer im Baugewerbe im Vergleich zu anderen Branchen und zu den Verwaltungskosten der ULAK macht, handelt es sich um neuen Sachvortrag, der im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht berücksichtigt werden darf (§ 98 Abs. 3 Satz 1, § 92 Abs. 2, § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 559 Abs. 1 ZPO; BAG 25. Januar 2017 – 10 ABR 78/16 (F) – Rn. 3 mwN). 73 cc) Eine Abwägung dieser Interessen vorzunehmen, ist Aufgabe des BMAS. Wenn es sich dazu entschließt, das öffentliche Interesse an einer AVE trotz entgegenstehender Belange der nicht tarifgebundenen Arbeitgeber zu bejahen, kann das vor dem Hintergrund des bereits durch den Gesetzgeber erheblich gewichteten öffentlichen Interesses an der Sicherung der Funktionsfähigkeit der gemeinsamen Einrichtungen nicht als unvertretbar oder unverhältnismäßig angesehen werden. Die vorgebrachten Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des § 17 VTV führen zu keinem anderen Ergebnis. Wie bereits dargelegt, führte eine Unwirksamkeit dieser Tarifnorm nicht zur Unwirksamkeit der AVE VTV 2016. 74 d) Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die vom Landesarbeitsgericht gebilligte Annahme des BMAS, dass es keiner Repräsentativitätsprüfung iSv. § 5 Abs. 1a Satz 3 TVG iVm. § 7 Abs. 2 AEntG bedurfte. Konkurrierende Tarifverträge über gemeinsame Einrichtungen bestehen nicht. Konkrete Einwendungen gegen diese Annahme hat die Beteiligte zu 1. nicht erhoben. 75 VIII. Das Landesarbeitsgericht hat nach § 98 Abs. 4 Satz 1 ArbGG zutreffend die Wirksamkeit der streitgegenständlichen AVE festgestellt und dies in seiner Beschlussformel ausgesprochen. Das BMAS hat die Entscheidungsformel des Beschlusses des Landesarbeitsgerichts im Bundesanzeiger bekannt zu machen (§ 98 Abs. 4 Satz 3 ArbGG). 76 IX. In diesem Verfahren werden Kosten nicht erhoben, § 2 Abs. 2 GKG.              Gallner                  Brune                  Pulz                                    Petri                   Meyer
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20.11.2018
20.11.2018 64/18 - SokaSiG aus Sicht des Zehnten Senats verfassungsgemäß Das am 25. Mai 2017 in Kraft getretene Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz – SokaSiG) vom 16. Mai 2017 ist nach Auffassung des Zehnten Senats des Bundesarbeitsgerichts verfassungsgemäß. Klägerin ist die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse des Baugewerbes (ULAK), eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien. Sie verlangt von dem beklagten Trockenbaubetrieb auf der Grundlage des für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 3. Mai 2013 idF vom 24. November 2015 (VTV) Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte. Außerdem stützt sie die Beitragsansprüche auf § 7 Abs. 1 SokaSiG.* Die ULAK hat in beiden Vorinstanzen obsiegt. Das Landesarbeitsgericht hat der Beitragsklage aufgrund von § 7 Abs. 1 SokaSiG stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Das SokaSiG ist kein nach Art. 19 Abs. 1 GG verbotenes Einzel-fallgesetz. Es stellt lediglich sicher, dass alle verbliebenen Fälle gleichbehandelt werden. Der Gesetzgeber hat die Grenzen beachtet, die aus dem Rechtsstaatsprinzip für echte rückwirkende Rechtsetzung folgen. Ein schützenswertes Vertrauen auf die Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen der verschiedenen Fassungen des VTV konnte sich nicht bilden. Die Betroffenen mussten mit staatlichen Maßnahmen zur rückwirkenden Heilung der nur aus formellen Gründen unwirksamen Allgemeinverbindlicherklärungen rechnen. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. November 2018 – 10 AZR 121/18 – Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Januar 2018 – 9 Sa 999/17 – *§ 7 Abs. 1 SokaSiG lautet: Die Rechtsnormen des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 3. Mai 2013 gelten in der aus der Anlage 26 ersichtlichen Fassung in seinem Geltungsbereich für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer für den Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis zur Beendigung des Tarifvertrags.
Tenor 1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. Januar 2018 – 9 Sa 999/17 – wird zurückgewiesen. 2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen. Leitsatz 1. Der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts hält es für verfassungsrechtlich unbedenklich, dass § 7 SokaSiG die Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe rückwirkend auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber erstreckt. 2. Das SokaSiG verletzt aus Sicht des Senats nicht das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen der sog. Außenseiter darauf, von rückwirkenden Gesetzen nicht in unzulässiger Weise belastet zu werden. Die tariffreien Arbeitgeber mussten damit rechnen, dass die tariflichen Rechtsnormen durch Gesetz rückwirkend wieder auf sie erstreckt werden würden. Tatbestand 1 Die Parteien streiten über Beiträge zu dem Sozialkassensystem der Bauwirtschaft. 2 Der Kläger ist die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft, eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er hat nach den Vorschriften des Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe und des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe in den jeweils geltenden Fassungen die Aufgabe, die Auszahlung der tariflichen Urlaubsvergütung an Arbeitnehmer der Bauwirtschaft zu sichern. Er erhebt von Arbeitgebern Beiträge, um seine Leistungen zu finanzieren. 3 Die Beklagte unterhält im Freistaat Sachsen einen Trockenbaubetrieb. Sie ist nicht originär tarifgebunden. Der Kläger nimmt die Beklagte auf gemeldete Beiträge für gewerbliche Arbeiter und Angestellte für die Monate Mai bis Juli 2016 von 8.446,70 Euro in Anspruch. Er stützt seine Forderung auf §§ 15 ff. des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 3. Mai 2013 idF vom 24. November 2015 (VTV) iVm. der rückwirkend zum 1. Januar 2016 erfolgten Allgemeinverbindlicherklärung vom 4. Mai 2016 (AVE VTV 2016). Die Beitragspflicht der Beklagten ergibt sich nach seiner Auffassung auch aus § 7 Abs. 1 iVm. der Anlage 26 des erst nach Klageerhebung im ersten Rechtszug in Kraft getretenen Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 16. Mai 2017 (SokaSiG). 4 Der Kläger hat beantragt,          die Beklagte zu verurteilen, an ihn 8.446,70 Euro zu zahlen. 5 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, eine wirksame Anspruchsgrundlage für die geforderten Beiträge fehle. Die AVE VTV 2016 sei unwirksam, das SokaSiG sei verfassungswidrig. Es handle sich um ein nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG verbotenes Einzelfallgesetz. Der Gesetzgeber habe die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grenzen für echte rückwirkende Rechtsetzung überschritten. 6 Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat offengelassen, ob die AVE VTV 2016 wirksam ist. Es hat den Anspruch auf der Grundlage des SokaSiG bejaht und die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter. Entscheidungsgründe 7 Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist zulässig und begründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Beitragsansprüche sowohl aus §§ 15, 16 und 18 VTV iVm. der AVE VTV 2016 als auch aus § 7 Abs. 1 SokaSiG iVm. seiner Anlage 26 zu. 8 A. Die Klage ist zulässig. Sie genügt den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Kläger hat keinen neuen Streitgegenstand in den Prozess eingeführt, indem er den geltend gemachten Anspruch in erster Instanz zusätzlich auf das SokaSiG gestützt hat. Er musste daher nicht bestimmen, in welcher Reihenfolge er die Klage auf die verschiedenen Anspruchsgrundlagen stützt. 9 I. Es ist Sache des Klägers, den Streitgegenstand zu bestimmen. Will er einen weiteren Streitgegenstand in den Prozess einführen, muss er zweifelsfrei deutlich machen, dass er einen neuen prozessualen Anspruch verfolgt. Gleiches gilt, wenn der bisherige Klageantrag nicht verändert, aber zusätzlich auf einen weiteren Lebenssachverhalt gestützt wird (BAG 18. Mai 2016 – 7 ABR 81/13 – Rn. 14). Ein Klageantrag, der auf mehrere selbstständige prozessuale Ansprüche (Streitgegenstände) gestützt wird, genügt deshalb grundsätzlich nur dann den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn die einzelnen Ansprüche hinreichend voneinander abgegrenzt sind. Dazu ist erforderlich, dass ein Kläger entweder die Klagesumme auf die einzelnen Ansprüche betragsmäßig aufteilt oder die Ansprüche in eine bestimmte Reihenfolge als Haupt- und Hilfsantrag bringt (BAG 18. Februar 2016 – 8 AZR 426/14 – Rn. 28; BGH 19. Juli 2018 – VII ZR 19/18 – Rn. 15). Das erfordert unter anderem der Schutz des Beklagten, für den erkennbar sein muss, welche prozessualen Ansprüche gegen ihn erhoben werden, um seine Rechtsverteidigung darauf ausrichten zu können (BGH 29. Juni 2006 – I ZR 235/03 – Rn. 20, BGHZ 168, 179). Über das Verhältnis der Anträge als Haupt- oder Hilfsantrag entscheidet dabei allein der Kläger. Das Gericht darf sie nicht umtauschen (BAG 14. Juni 2017 – 10 AZR 308/15 – Rn. 36). 10 II. Der Kläger hat keinen weiteren Gegenstand in den Prozess eingeführt. Auch wenn er sich sowohl auf die AVE VTV 2016 als auch auf das SokaSiG beruft, leitet er den Klageanspruch aus ein und demselben Lebenssachverhalt her. Er stützt ihn lediglich auf zwei konkurrierende Anspruchsgrundlagen. Der Senat rückt von seiner geäußerten gegenteiligen Auffassung ab (vgl. zu ihr Hessisches LAG 3. November 2017 – 10 Sa 424/17 – zu Beginn der Gründe, das den Hinweisbeschluss des Senats vom 12. April 2017 in der Sache – 10 AZR 635/15 – zitiert). 11 1. Nach dem für den Zivil- und den Arbeitsgerichtsprozess geltenden sog. zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens durch den konkret gestellten Antrag (Klageantrag) und den ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt (BAG 27. Februar 2018 – 9 AZR 167/17 – Rn. 18). Zum Klagegrund gehören alle Tatsachen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden und den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtung zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören. Vom Streitgegenstand werden damit alle materiell-rechtlichen Ansprüche erfasst, die sich im Rahmen des gestellten Antrags aus dem zur Entscheidung unterbreiteten Lebenssachverhalt herleiten lassen. 12 2. Nach der ständigen Rechtsprechung kommt es für die Abgrenzung nicht auf den Rechtscharakter der Anspruchsgrundlage, sondern entscheidend darauf an, ob sich die dem jeweiligen Anspruch zugrunde liegenden Lebenssachverhalte in wesentlichen Punkten unterscheiden. 13 a) Nur ein Streitgegenstand ist gegeben, wenn der Tatsachenstoff nicht sinnvoll auf verschiedene eigenständige, den Sachverhalt in seinem Kerngehalt verändernde Geschehensabläufe aufgeteilt werden kann, auch wenn sie einer eigenständigen rechtlichen Bewertung zugänglich sind. Das gilt selbst dann, wenn sich die Anspruchsgrundlagen in einzelnen Merkmalen unterscheiden (BGH 21. November 2017 – II ZR 180/15 – Rn. 18, 21). Um einen einheitlichen Streitgegenstand kann es sich sogar handeln, wenn die Anspruchsgrundlagen den Kläger in einen jeweils anderen Rechtsweg verweisen (BGH 20. März 1997 – IX ZR 71/96 – zu III 3 der Gründe, BGHZ 135, 140). 14 Einen einheitlichen Streitgegenstand bejaht der Bundesgerichtshof dementsprechend bei Ansprüchen aus Prospekthaftung im weiteren Sinn, aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 264a StGB und aus § 826 BGB, wenn sie im Kern darauf gestützt werden, dass der Emissionsprospekt fehlerhaft gewesen sei und den Anlegern einen unzutreffenden Eindruck von den Risiken und Nachteilen der Fondsbeteiligung vermittelt habe (BGH 21. November 2017 – II ZR 180/15 – Rn. 20, 22). Ebenso können mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der Person des Insolvenzverwalters entstandene anfechtungs- und deliktsrechtliche Ansprüche sowie aus Vertrag hergeleitete Ansprüche von einem einheitlichen Streitgegenstand erfasst werden (vgl. BGH 29. November 2007 – IX ZR 121/06 – Rn. 9, 11 f., BGHZ 174, 314). Selbst ein im Weg der Legalzession nach § 426 Abs. 2 BGB erworbener materieller Schadensersatzanspruch nach dem Straßenverkehrsgesetz und ein Ausgleichsanspruch nach § 426 Abs. 1 BGB können einen einheitlichen prozessualen Anspruch bilden (BGH 10. Dezember 2002 – X ARZ 208/02 – zu III 2 der Gründe, BGHZ 153, 173). 15 b) Dagegen können unterschiedliche Streitgegenstände gegeben sein, wenn Ansprüche auf einen gemeinsamen Tatsachenkern zurückzuführen und wirtschaftlich auf das gleiche Ziel gerichtet sind, der Kläger die Leistung also nur einmal verlangen kann. Das kommt insbesondere dann in Betracht, wenn sich die Gemeinsamkeit im Tatsachenkern erschöpft, die Ansprüche jedoch sowohl in ihren materiell-rechtlichen Voraussetzungen als auch in ihren Folgen verschieden sind (BGH 5. Juli 2016 – XI ZR 254/15 – Rn. 26, BGHZ 211, 189; 3. März 2016 – IX ZB 33/14 – Rn. 28, BGHZ 209, 168). Um eine Mehrheit von Streitgegenständen handelt es sich auch, wenn die materiell-rechtliche Regelung die zusammentreffenden Ansprüche durch eine Verselbstständigung der einzelnen Lebensvorgänge erkennbar unterschiedlich ausgestaltet (BGH 21. November 2017 – II ZR 180/15 – Rn. 17 f. mwN; 27. November 2013 – III ZB 59/13 – Rn. 17, BGHZ 199, 159). Auch grundlegende strukturelle Unterschiede zwischen den in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen können der Annahme eines einheitlichen Streitgegenstands entgegenstehen (BGH 27. November 2013 – III ZB 59/13 – Rn. 18, aaO). 16 aa) Unterschiedliche Streitgegenstände erkennt der Bundesgerichtshof etwa bei einem Unterhaltsanspruch und einem deliktischen Anspruch aus der vorsätzlichen Verletzung einer Unterhaltspflicht an (BGH 3. März 2016 – IX ZB 33/14 – Rn. 29, BGHZ 209, 168). Das gilt auch für Schadensersatzansprüche aus § 823 BGB und nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB (BGH 16. Juli 2010 – V ZR 217/09 – Rn. 10). Eine auf Vertragserfüllung gestützte Klage soll ebenfalls einen anderen Streitgegenstand haben als der Schadensersatz wegen vorsätzlichen Verschuldens bei Vertragsschluss (sog. vorsätzliche culpa in contrahendo; BGH 15. Januar 2001 – II ZR 48/99 – zu B II der Gründe). Auch bei dem auf das Informationsfreiheitsgesetz gestützten Anspruch auf Informationszugang und dem auf der Grundlage der §§ 29, 13 Abs. 1 VwVfG geltend gemachten Akteneinsichtsrecht werden verschiedene Streitgegenstände angenommen (BGH 27. November 2013 – III ZB 59/13 – Rn. 15, BGHZ 199, 159). 17 bb) Das Bundesarbeitsgericht geht regelmäßig von verschiedenen Streitgegenständen aus, wenn ein Anspruch sowohl auf eine vertragliche als auch auf eine tarifvertragliche Grundlage gestützt wird (vgl. nur BAG 20. September 2017 – 6 AZR 474/16 – Rn. 40, BAGE 160, 205; 25. Januar 2017 – 4 AZR 517/15 – Rn. 21 ff., BAGE 158, 54). Dasselbe gilt, wenn sich der Kläger auf verschiedene Tarifverträge beruft (BAG 16. November 2016 – 4 AZR 697/14 – Rn. 72) oder hilfsweise die Vergütungspflicht nach einer niedrigeren Entgeltgruppe festgestellt wissen will, deren Voraussetzungen nicht denknotwendig zugleich gegeben sein müssen, um die höherwertige Entgeltgruppe zu erfüllen (BAG 23. Oktober 2013 – 4 AZR 321/12 – Rn. 34, 36). In diesen Fällen decken sich die materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen zwar teilweise, die sie stützenden Lebenssachverhalte sind jedoch durch wesentliche Unterschiede gekennzeichnet. 18 3. Nach diesen Maßgaben werden die hier in Rede stehenden, zusammentreffenden Ansprüche von demselben den Streitgegenstand umgrenzenden Lebenssachverhalt erfasst (ebenso Hessisches LAG 8. Februar 2018 – 9 Sa 740/16 – zu B I 1 b der Gründe; 12. September 2017 – 12 Sa 92/14 – zu III 1 a der Gründe; LAG Berlin-Brandenburg 16. November 2017 – 14 Sa 989/17 – zu B III 2 b der Gründe; 22. September 2017 – 22 Sa 1701/16 – zu 2.1.1.2.3 der Gründe; 21. September 2017 – 21 Sa 1694/16 – zu II 1 b der Gründe; vgl. auch Klocke AuR 2018, 230, 231; aA Hessisches LAG 3. November 2017 – 10 Sa 424/17 – zu A I 2 der Gründe; wohl auch Bader jurisPR-ArbR 9/2018 Anm. 8 zu E). Die Ansprüche stützen sich auf dasselbe Tatgeschehen. Sie sind weder in ihren materiell-rechtlichen Voraussetzungen noch in ihren Folgen oder strukturell grundlegend verschieden ausgestaltet. 19 a) Der vom Kläger vorgetragene Lebenssachverhalt besteht im Wesentlichen darin, dass die nicht tarifgebundene Beklagte im Jahr 2016 im Freistaat Sachsen einen unter den Geltungsbereich des VTV fallenden Trockenbaubetrieb unterhielt und für die Monate Mai bis Juli 2016 Beiträge für von ihr beschäftigte gewerbliche Arbeiter und Angestellte von 8.446,70 Euro meldete. 20 b) Dieser Lebenssachverhalt ist nach seinem tatsächlichen Ablauf einheitlich. Er kann nicht sinnvoll auf die den beiden infrage kommenden Anspruchsnormen zugeordneten Geschehensabläufe aufgeteilt werden. Im Rahmen des vom Kläger gestellten Antrags lassen sich aus ihm beide materiell-rechtlichen Ansprüche herleiten, die der Kläger geltend macht. Die Tatbestandsvoraussetzungen der beiden im Streitfall in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen erfordern dasselbe rechtliche Prüfungsprogramm. Für den aus §§ 15 ff. VTV iVm. der AVE VTV 2016 hergeleiteten Klageanspruch ist zu prüfen, ob der in § 1 Abs. 1 bis Abs. 3 VTV geregelte räumliche, betriebliche und persönliche Geltungsbereich des Tarifvertrags eröffnet ist. Das gilt auch, wenn der Anspruch auf § 7 Abs. 1 SokaSiG gestützt wird. Die Norm nimmt auf die in der Anlage 26 des SokaSiG abgedruckte, seit dem 1. Januar 2016 geltende Fassung des VTV Bezug, die Gegenstand der AVE VTV 2016 war. 21 c) Der Annahme nur eines Streitgegenstands steht nicht entgegen, dass die Beitragspflicht in dem einen Fall auf einer nach § 5 Abs. 4 TVG durch AVE bewirkten Normerstreckung des VTV beruht, während es sich bei § 7 SokaSiG um eine gesetzliche Anspruchsgrundlage handelt. 22 aa) Es bestehen keine materiell-rechtlichen Abweichungen im Hinblick auf die jeweilige Reichweite der Normerstreckung: Die in § 10 Abs. 1 SokaSiG geregelte Ausnahme solcher Betriebe vom Anwendungsbereich der in § 7 SokaSiG in Bezug genommenen Rechtsnormen, die die Maßgaben der in der Anlage 37 des SokaSiG abgedruckten „Großen Einschränkungsklausel“ erfüllen, ist tatbestandlich identisch mit der sog. Großen Einschränkungsklausel, die Gegenstand der AVE VTV 2016 war. Der Streitfall unterscheidet sich damit maßgeblich von dem Sachverhalt, über den der Fünfte Senat am 28. September 2016 zu befinden hatte (- 5 AZR 219/16 – Rn. 22). Die materiell-rechtlichen Regelungen, aus denen sich die dort in Betracht kommenden Ansprüche ergaben, sind so unterschiedlich ausgestaltet, dass sich der vorzutragende Tatsachenstoff auf die verschiedenen, den einzelnen Anspruchsnormen zuzuordnenden Geschehensabläufe aufteilen ließ. Bei den Regelungen handelte es sich einerseits um § 1 Abs. 1 iVm. § 3 MiLoG und andererseits um den für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag zur Regelung der Mindestlöhne für gewerbliche Arbeitnehmer in der Gebäudereinigung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 8. Juli 2014. 23 bb) Die zusammentreffenden Ansprüche sind auch nicht strukturell grundlegend verschieden ausgestaltet (aA Hessisches LAG 3. November 2017 – 10 Sa 424/17 – zu A I 2 b der Gründe). Für beide Anspruchsgrundlagen ist die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen im Urteilsverfahren gegeben (§ 2 Nr. 6 ArbGG). Das SokaSiG enthält insoweit keine Besonderheiten. 24 (1) Die Rechtmäßigkeit einer AVE als Rechtsetzungsakt eigener Art ist grundsätzlich von Amts wegen zu überprüfen (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 133, BAGE 156, 213; 10. September 2014 – 10 AZR 959/13 – Rn. 20, BAGE 149, 84). Über die Wirksamkeit aller Allgemeinverbindlicherklärungen der von § 7 Abs. 1 bis Abs. 10 SokaSiG in Bezug genommenen Verfahrenstarifverträge liegen jedoch bereits rechtskräftige Beschlüsse mit Wirkung für und gegen jedermann vor („erga omnes“; § 98 Abs. 4 Satz 1 ArbGG). Davon unberührt bleibt die – ebenfalls von Amts wegen zu prüfende – Aussetzung nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG bis zu der Erledigung des Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG bei vernünftigen Zweifeln an der Tariffähigkeit oder der Tarifzuständigkeit einer Vereinigung (BAG 31. Januar 2018 – 10 AZR 695/16 (A) – Rn. 11). 25 (2) Wegen der Regelung in § 11 SokaSiG kommt es für einen aus § 7 Abs. 1 bis Abs. 10 SokaSiG hergeleiteten Zahlungsanspruch nicht darauf an, ob der VTV in den dort bezeichneten Fassungen wirksam abgeschlossen wurde. 26 (3) Das Gericht wäre nach Art. 100 Abs. 1 GG verpflichtet, den Rechtsstreit auszusetzen, wenn es § 7 SokaSiG für verfassungswidrig hielte und es auf dessen Gültigkeit entscheidungserheblich ankäme. Eine in dem Verfahren nach Art. 100 GG vorgelegte Vorschrift, die sich als mit dem Grundgesetz nicht vereinbar erweist, ist grundsätzlich nach § 82 Abs. 1 iVm. § 78 Satz 1 BVerfGG für nichtig zu erklären. 27 (4) Dass für Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG das Landesarbeitsgericht zuständig ist (§ 97 Abs. 2 ArbGG), während die Entscheidung in dem Verfahren nach Art. 100 GG dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten ist, hat für die Sachbehandlung bei natürlicher Betrachtung ebenso wenig herausragende Bedeutung wie die Regelung in § 11 SokaSiG. Nach § 138 ZPO bezieht sich die Erklärungspflicht der Parteien nur auf Tatsachen. Die Frage, welche Anspruchsgrundlagen von einem in den Prozess eingeführten Streitgegenstand erfasst werden, unterliegt nicht ihrer Disposition (BGH 8. Februar 2018 – IX ZR 103/17 – Rn. 40). Sie betrifft die Normebene und damit allein die dem Gericht obliegende rechtliche Bewertung des zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplexes. Deshalb muss ein Kläger grundsätzlich weder vortragen, auf welche Rechtsnorm er sein Begehren stützt, noch muss er darlegen, dass die Rechtsnorm wirksam ist. Diese Prüfung ist ebenso wie die Subsumtion des vorgetragenen Sachverhalts Sache des Gerichts („da mihi facta dabo tibi ius“; vgl. BAG 13. März 1997 – 2 AZR 512/96 – zu II 4 b der Gründe, BAGE 85, 262). 28 d) Die Annahme mehrerer Streitgegenstände kann ferner nicht damit begründet werden, der Gesetzgeber habe es dem Kläger mit § 7 SokaSiG ermöglichen wollen, Beitragsschuldner auch in den Fällen in Anspruch zu nehmen, in denen auf eine unwirksame AVE gestützte Beitragsklagen bereits rechtskräftig abgewiesen wurden. Der Wortlaut der Vorschrift lässt ein solches Verständnis nicht zu. Sie kann auch nicht mithilfe der Gesetzesmaterialien in diesem Sinn ausgelegt werden. 29 aa) Am 21. September 2016 hatte der Senat die AVE der in § 7 Abs. 3, Abs. 7, Abs. 8 und Abs. 9 SokaSiG bezeichneten Verfahrenstarifverträge für unwirksam erklärt (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 138 ff., BAGE 156, 213; 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 – Rn. 169 ff., BAGE 156, 289). Angesichts der wirtschaftlichen Risiken, die den Sozialkassen des Baugewerbes infolgedessen drohten, wollte der Gesetzgeber mit dem SokaSiG vor allem eine eigenständige, rückwirkende Rechtsgrundlage für das „Behaltendürfen“ der bereits eingezogenen Beiträge im Sozialkassenverfahren schaffen. Darüber hinaus sollte das Gesetz den weiteren Einzug der Beiträge sicherstellen. Die Sozialkassen müssten damit rechnen, auf die Rückzahlung von Beiträgen in Anspruch genommen zu werden, was aus vielfältigen Gründen problematisch sei und den Fortbestand der Sozialkassenverfahren des Baugewerbes gefährden könne. Vor diesem Hintergrund müsse ein Gesetz die Unsicherheit im Hinblick auf im Raum stehende Rückforderungsansprüche beenden und den aktuellen Beitragseinzug sicherstellen. Das Gesetz müsse Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für die unterschiedlichen Leistungsbeziehungen zwischen den Sozialkassen des Baugewerbes, den Betrieben, den überbetrieblichen Ausbildungsstätten, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, den Auszubildenden sowie den Rentnerinnen und Rentnern schaffen (BT-Drs. 18/10631 S. 648 f.). 30 bb) Die Gesetzesmaterialien erlauben nicht den Schluss, der Gesetzgeber habe dem Kläger mit dem SokaSiG zugleich die Möglichkeit verschaffen wollen, auf eine unwirksame AVE gestützte und rechtskräftig abgewiesene Beitragsklagen auf der Grundlage des SokaSiG erneut zu erheben. Die genannten Beschlüsse des Senats stammen vom 21. September 2016 (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – BAGE 156, 213; 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 – BAGE 156, 289). Zwischen ihnen und dem Inkrafttreten des SokaSiG am 25. Mai 2017 lag ein Zeitraum von nur etwa acht Monaten. Deshalb bestand keine Gefahr, dass mit Bezug auf diese Beschlüsse ergangene Urteile in einem die Existenz der Sozialkassen des Baugewerbes gefährdenden Umfang in Rechtskraft erwachsen würden. 31 e) Ein einheitlicher Streitgegenstand wäre auch dann zu bejahen, wenn die Klage einen Zeitraum beträfe, in dem der VTV keine normative Wirkung nach § 5 Abs. 4 TVG entfalten konnte, weil die maßgebliche AVE unwirksam war. In diesem Fall wäre die Klage ursprünglich unschlüssig gewesen und im Verlauf des Verfahrens durch das Inkrafttreten des SokaSiG am 25. Mai 2017 schlüssig geworden. 32 aa) Auch wenn es sich bei dem SokaSiG um ein rückwirkendes „Rettungsgesetz“ handelte, auf das sich der Kläger im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht berufen konnte, rechtfertigt das keine „wertende Betrachtung“, die zu der Annahme zweier Streitgegenstände zwingt (aA Hessisches LAG 3. November 2017 – 10 Sa 424/17 – zu A I 2 b der Gründe). Jede Änderung der Rechtslage als Klageänderung zu werten, wäre unvereinbar mit dem Verständnis des Streitgegenstands als prozessualem und nicht materiell-rechtlichem Anspruch (ebenso LAG Berlin-Brandenburg 22. September 2017 – 22 Sa 1701/16 – zu 2.1.1.2.3 der Gründe). 33 bb) Die Rechtsverteidigung der Beklagten wurde nicht beschränkt. Insbesondere kann auch ein erst im Verlauf des Rechtsstreits schlüssig gewordener Anspruch noch „sofort“ im Sinn des § 93 ZPO anerkannt werden (OLG Düsseldorf 27. September 2017 – I-1 W 53/16 – zu II 3 der Gründe mwN; Zöller/Herget ZPO 32. Aufl. § 93 Rn. 6 Stichwort „unschlüssige Klage“). 34 B. Die Klage ist begründet. Der Kläger hat aus § 15 Abs. 1 Satz 1, § 16 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. b, § 18 Abs. 1 VTV iVm. der AVE VTV 2016 Anspruch auf die geltend gemachten Beiträge. Der Anspruch ergibt sich auch aus § 7 Abs. 1 iVm. der Anlage 26 SokaSiG. 35 I. Die Beklagte ist nach § 15 Abs. 1 Satz 1, § 16 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. b, § 18 Abs. 1 VTV iVm. der AVE VTV 2016 verpflichtet, die geltend gemachten Beiträge an den Kläger zu leisten. 36 1. Der im Freistaat Sachsen belegene Betrieb der Beklagten fällt in den räumlichen und den betrieblichen Geltungsbereich des VTV (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 VTV). Dort werden unstreitig arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 37 VTV ausgeführt. Der persönliche Geltungsbereich des VTV erstreckt sich auf die bei der Beklagten beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 VTV). 37 2. Die Beklagte war ungeachtet ihrer fehlenden Verbandszugehörigkeit nach § 5 Abs. 4 TVG an den VTV gebunden. Die AVE VTV 2016 ist wirksam. Das hat der Senat am 20. November 2018 in dem Verfahren nach § 98 ArbGG entschieden (BAG 20. November 2018 – 10 ABR 12/18 – Rn. 27 ff.). Der Beschluss wirkt für und gegen jedermann und auf den Zeitpunkt des Erlasses der AVE VTV 2016 zurück (§ 98 Abs. 4 Satz 1 ArbGG; GK-ArbGG/Ahrendt Stand Dezember 2017 § 98 Rn. 7). 38 3. Der Kläger hat nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VTV Anspruch auf die zur Finanzierung des Urlaubs- und des Berufsbildungsverfahrens festgesetzten Beiträge. Nach § 3 Abs. 3 Satz 1 VTV zieht er als Einzugsstelle sowohl seine eigenen Beiträge als auch die Beiträge der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes ein, die nach § 3 Abs. 2 Satz 1 VTV zusätzliche Leistungen zu den gesetzlichen Renten gewährt. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 VTV hat die Beklagte zur Finanzierung der tarifvertraglich festgelegten Leistungen als Sozialkassenbeitrag einen Gesamtbetrag von 17,2 vH der Bruttolohnsumme ihrer gewerblichen Arbeitnehmer abzuführen. Für die Zusatzversorgung ihrer Angestellten muss sie nach § 16 Abs. 1 iVm. Abs. 2 Buchst. b VTV für jeden Angestellten einen monatlichen Beitrag von 25,00 Euro zahlen. Die Beiträge sind nach § 18 Abs. 1 Satz 1 VTV für jeden Abrechnungszeitraum spätestens bis zum 20. des folgenden Monats bargeldlos an den Kläger zu zahlen. 39 II. Der Klageanspruch ergibt sich auch aus § 7 Abs. 1 iVm. der Anlage 26 SokaSiG. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. 40 1. Nach § 7 Abs. 1 SokaSiG gelten die Rechtsnormen des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 3. Mai 2013 in der aus der Anlage 26 des SokaSiG ersichtlichen Fassung in seinem Geltungsbereich für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer für den Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis zu der Beendigung des Tarifvertrags. Die Anlage 26 des SokaSiG enthält den vollständigen Text des im Streitzeitraum geltenden VTV (vgl. den Anlageband zum BGBl. I Nr. 29 vom 24. Mai 2017 S. 255 bis 268). 41 2. Der Betrieb der Beklagten unterfällt, wie bereits ausgeführt, dem Geltungsbereich des VTV. Die Pflicht der Beklagten, die geltend gemachten Beiträge an den Kläger zu leisten, folgt aus § 15 Abs. 1 Satz 1, § 16 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. b, § 18 Abs. 1 VTV. 42 3. Nach Auffassung des Senats begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Rechtsnormen der Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe durch § 7 SokaSiG auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber wie die Beklagte erstreckt werden. Eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG kommt daher nicht in Betracht. 43 a) § 7 SokaSiG ordnet in den Absätzen 1 bis 10 die Wirkung der Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 (VTV vom 20. Dezember 1999 idF vom 15. Dezember 2005) bis zu der Beendigung des VTV vom 3. Mai 2013 in der Fassung des Änderungstarifvertrags vom 24. November 2015 „für alle Arbeitgeber“ an. § 7 Abs. 11 SokaSiG regelt die Tarifnormerstreckung auf Arbeitsverhältnisse zwischen im Ausland ansässigen Arbeitgebern und ihren im Inland beschäftigten Arbeitnehmern. § 10 SokaSiG nimmt Betriebe, die die Maßgaben der Anlage 37 des SokaSiG erfüllen, vom Anwendungsbereich der tarifvertraglichen Rechtsnormen aus, auf die § 7 SokaSiG verweist. § 11 SokaSiG stellt klar, dass diese Rechtsnormen unabhängig davon gelten, ob die Tarifverträge wirksam abgeschlossen wurden. Die Allgemeinverbindlichkeit tarifvertraglicher Rechtsnormen nach dem Tarifvertragsgesetz bleibt unberührt (§ 13 SokaSiG). 44 b) Gegen die formelle Verfassungsmäßigkeit von § 7 SokaSiG bestehen keine Bedenken. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich aus Art. 70 Abs. 2, Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG (ebenso Hessisches LAG 17. August 2018 – 10 Sa 180/18 SK – zu II 4 b aa der Gründe; LAG Berlin-Brandenburg 16. Juni 2017 – 3 Sa 1831/16 – zu B II 1 der Gründe). Der Kompetenztitel „Arbeitsrecht“ begründet eine umfassende Zuständigkeit des Bundes für privatrechtliche und auch öffentlich-rechtliche Bestimmungen über die Rechtsbeziehungen im Arbeitsverhältnis (BVerfG 6. Juni 2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 – Rn. 36). Er umfasst neben dem Recht der Individualarbeitsverträge auch das Tarifvertragsrecht, ohne dem Vorbehalt der Erforderlichkeit des Art. 72 Abs. 2 GG zu unterliegen (BVerfG 11. Juli 2017 – 1 BvR 1571/15, 1 BvR 1588/15, 1 BvR 2883/15, 1 BvR 1043/16, 1 BvR 1477/16 – Rn. 126, BVerfGE 146, 71). Im Gesetzgebungsverfahren wurde vereinzelt gerügt, der Gesetzgeber habe die Fakten nicht hinreichend ermittelt, auf die er das Gesetzesvorhaben stütze (vgl. zB die Stellungnahme des Zentralverbands der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke AS-Drs. 18(11)902 S. 39 f.). Das begründet keinen Verfassungsverstoß. Eine selbstständige, von den Anforderungen an die materielle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes unabhängige Sachaufklärungspflicht folgt aus dem Grundgesetz nicht (BVerfG 11. Juli 2017 – 1 BvR 1571/15, 1 BvR 1588/15, 1 BvR 2883/15, 1 BvR 1043/16, 1 BvR 1477/16 – Rn. 127, aaO). 45 c) § 7 SokaSiG ist mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar. 46 aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG in erster Linie ein Freiheitsrecht auf spezifisch koalitionsgemäße Betätigung (BVerfG 12. Juni 2018 – 2 BvR 1738/12, 2 BvR 1395/13, 2 BvR 1068/14, 2 BvR 646/15 – Rn. 115). Es schützt die individuelle Freiheit, Vereinigungen zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu bilden und diesen Zweck gemeinsam zu verfolgen, ihnen fernzubleiben oder sie zu verlassen. Darüber sollen die Beteiligten grundsätzlich frei von staatlicher Einflussnahme, selbst und eigenverantwortlich bestimmen können. Das Grundrecht schützt darüber hinaus alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen. Es umfasst insbesondere die Tarifautonomie, die im Zentrum der den Koalitionen eingeräumten Möglichkeiten steht, ihre Zwecke zu verfolgen. Das Aushandeln von Tarifverträgen ist ein wesentlicher Zweck der Koalitionen. Geschützt ist daher vor allem der Abschluss von Tarifverträgen. Das schließt den Bestand und die Anwendung abgeschlossener Tarifverträge ein (BVerfG 11. Juli 2017 – 1 BvR 1571/15, 1 BvR 1588/15, 1 BvR 2883/15, 1 BvR 1043/16, 1 BvR 1477/16 – Rn. 130 f., BVerfGE 146, 71). 47 bb) Die vorbehaltlos gewährleistete Koalitionsfreiheit verwehrt dem Gesetzgeber jedoch nicht jede Regelung im Schutzbereich dieses Grundrechts. Art. 9 Abs. 3 GG verschafft den Tarifvertragsparteien in dem für tarifvertragliche Regelungen offenstehenden Bereich kein Normsetzungsmonopol (BVerfG 3. April 2001 – 1 BvL 32/97 – zu B 3 der Gründe, BVerfGE 103, 293). Gesetzliche Regelungen, die eine Beeinträchtigung von Art. 9 Abs. 3 GG bewirken, können zugunsten der Grundrechte Dritter sowie sonstiger mit Verfassungsrang ausgestatteter Rechte und Gemeinwohlbelange gerechtfertigt werden. Sollen sie die Funktionsfähigkeit des Systems der Tarifautonomie herstellen und sichern, verfolgen sie einen legitimen Zweck. Der Gesetzgeber hat eine entsprechende Ausgestaltungsbefugnis. Er hat die Rechtsinstitute und Normenkomplexe zu setzen, die dem Handeln der Koalitionen und insbesondere der Tarifautonomie Geltung verschaffen (BVerfG 11. Juli 2017 – 1 BvR 1571/15, 1 BvR 1588/15, 1 BvR 2883/15, 1 BvR 1043/16, 1 BvR 1477/16 – Rn. 143 ff., BVerfGE 146, 71). Er darf insbesondere die Ordnungsfunktion der Tarifverträge unterstützen, indem er Regelungen schafft, die bewirken, dass die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Löhne und Gehälter auch für Nichtverbandsmitglieder mittelbar zur Anwendung kommen (BVerfG 11. Juli 2006 – 1 BvL 4/00 – Rn. 90, BVerfGE 116, 202). 48 cc) § 7 SokaSiG verfolgt einen legitimen Zweck. Die Norm dient der Sicherung der Tarifautonomie (Asshoff SR 2017, 190, 192). Sie sichert den Fortbestand des von den Tarifvertragsparteien des Baugewerbes geschaffenen Sozialkassensystems, indem sie die Anwendung der seit dem 1. Januar 2006 geltenden Verfahrenstarifverträge auf Nichtverbandsmitglieder ausdehnt (BT-Drs. 18/10631 S. 3). Dabei werden weder die koalitionsspezifischen Verhaltensweisen der Tarifvertragsparteien noch der materielle Inhalt der tariflichen Regelungen berührt (vgl. Berndt DStR 2017, 1166, 1170; Biedermann BB 2017, 1333, 1337; Engels NZA 2017, 680, 683; Ulber NZA 2017, 1104 f.). 49 (1) Das gemeinnützige Sozialkassensystem im Baugewerbe besteht seit 1949. Die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes haben mit der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft sowie mit der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes gemeinsame Einrichtungen errichtet, von deren Leistungen eine Vielzahl von Arbeitnehmern, Auszubildenden und Rentnern profitiert. Das Baugewerbe ist der weitaus bedeutendste Bereich, in dem gemeinsame Einrichtungen der Tarifpartner vorkommen (BVerfG 15. Juli 1980 – 1 BvR 24/74, 1 BvR 439/79 – zu A I 2 der Gründe, BVerfGE 55, 7). Die Sozialkassenverfahren des Baugewerbes setzen voraus, dass die Lasten von den Arbeitgebern gemeinsam und solidarisch – unabhängig von der Tarifbindung des Arbeitgebers – getragen werden. Sie streben nach allgemeiner Geltung (BT-Drs. 18/10631 S. 1). Daher wurden die Verfahrenstarifverträge im Baugewerbe bisher regelmäßig nach § 5 TVG für allgemeinverbindlich erklärt. 50 (2) Die beteiligten Rechtskreise hatten nicht erwartet, dass der Senat die AVE der in § 7 Abs. 3, Abs. 7, Abs. 8 und Abs. 9 SokaSiG bezeichneten Verfahrenstarifverträge für unwirksam erklären würde (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 138 ff., BAGE 156, 213; 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 – Rn. 169 ff., BAGE 156, 289; Thüsing NZA-Beilage 1/2017, 3: „Paukenschlag“). Die Entscheidungen wurden überwiegend als Gefährdung des Fortbestands der Sozialkassen gewertet (vgl. nur Asshoff AS-Drs. 18(11)902 S. 21, 24; Bayreuther AS-Drs. 18(11)902 S. 57, 59). 51 (3) Die Tarifvertragsparteien erfüllen mit der Schaffung von Tarifnormen, die der Allgemeinverbindlicherklärung zugänglich sind, in besonderem Maß die ihnen durch Art. 9 Abs. 3 GG zugewiesene öffentliche Aufgabe, die Arbeitsbedingungen und Wirtschaftsbedingungen in eigener Verantwortung und im Wesentlichen ohne staatliche Einflussnahme zu gestalten (BVerfG 15. Juli 1980 – 1 BvR 24/74, 1 BvR 439/79 – zu B II 2 b der Gründe, BVerfGE 55, 7). § 7 SokaSiG ordnet die Geltungserstreckung der Tarifnormen an und korrigiert damit etwaige „Fehler“ des Normgebers der AVE der seit dem 1. Januar 2006 geltenden Verfahrenstarifverträge im Baugewerbe (Bayreuther AS-Drs. 18(11)902 S. 57, 60). Der Gesetzgeber durfte sich dabei für eine andere Rechtsform als die in § 5 TVG geregelte Allgemeinverbindlicherklärung entscheiden (kritisch Thüsing NZA-Beilage 1/2017, 3, 7: „schlichtweg nicht vorhersehbar“). Die Wahl einer anderen Rechtsform für die Erstreckung eines Tarifvertrags auf Außenseiter ändert an Inhalt und Ergebnis der Erwägungen zu der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen nichts (BVerfG 18. Juli 2000 – 1 BvR 948/00 – zu II 2 der Gründe). Indem § 9 Abs. 1 SokaSiG ausdrücklich die Beendigung eines Tarifvertrags durch die dort genannten Akte gestattet, können die Tarifvertragsparteien einzeln oder gemeinsam über das Ende der gesetzlichen Geltungsanordnung bestimmen (BT-Drs. 18/10631 S. 649; zust. Klein AS-Drs. 18(11)902 S. 43, 46; Biedermann BB 2017, 1333, 1337; Engels NZA 2017, 680, 683). 52 (4) § 7 SokaSiG geht nicht über diesen legitimen Zweck hinaus. Insbesondere werden den tariffreien Arbeitgebern keine neuen, bisher nicht vorhandenen finanziellen oder sonstigen Belastungen auferlegt. Durch die gesetzliche Geltungsanordnung in § 7 SokaSiG werden sie weder zwangsweise Mitglied eines der tarifvertragsschließenden Verbände, noch wird es ihnen verwehrt, sich anderweitig als Koalition iSv. Art. 9 Abs. 3 GG zusammenzuschließen. Soweit die gesetzliche Geltungserstreckung des VTV einen mittelbaren Druck erzeugen sollte, um der größeren Einflussmöglichkeit willen Mitglied einer der tarifvertragsschließenden Parteien zu werden, ist dieser Druck jedenfalls nicht so erheblich, dass die negative Koalitionsfreiheit verletzt würde. Das hat das Bundesverfassungsgericht für die Allgemeinverbindlicherklärung von Sozialkassentarifverträgen des Baugewerbes bereits mehrfach entschieden (BVerfG 10. September 1991 – 1 BvR 561/89 – zu II 2 der Gründe mwN). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat festgestellt, dass die Verpflichtung eines Bauunternehmens zur Abführung von Sozialkassenbeiträgen keinen Eingriff in dessen Recht darstellt, nicht gegen seinen Willen einer Vereinigung beitreten zu müssen (EGMR 2. Juni 2016 – 23646/09 – [Geotech Kancev GmbH/Deutschland] Rn. 53 ff.). 53 d) § 7 SokaSiG verstößt nicht gegen die durch Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit. 54 aa) Die Rechtsnormen, deren Geltung § 7 Abs. 1 bis Abs. 10 SokaSiG anordnet, enthalten keine Berufszugangsregeln. Voraussetzung dafür wäre, dass die Berufsaufnahme an persönliche Eigenschaften, Fähigkeiten oder Leistungsnachweise gebunden würde (vgl. BVerfG 20. Dezember 2017 – 1 BvR 2233/17 – Rn. 10). Das trifft weder für die Beitrags- noch für die Auskunftspflichten zu, die durch diese Rechtsnormen begründet werden. 55 bb) Art. 12 Abs. 1 GG schützt die Erwerbszwecken dienende Tätigkeit auch vor staatlichen Beeinträchtigungen, die gerade auf die berufliche Betätigung bezogen sind (BVerfG 20. März 2007 – 1 BvR 1047/05 – Rn. 33, BVerfGK 10, 450). Die Berufsfreiheit ist auch dann berührt, wenn sich die Maßnahmen zwar nicht auf die Berufstätigkeit selbst beziehen, aber die Rahmenbedingungen der Berufsausübung verändern und infolge ihrer Gestaltung in einem so engen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs stehen, dass sie objektiv eine berufsregelnde Tendenz haben (BVerfG 13. Juli 2004 – 1 BvR 1298/94, 1 BvR 1299/94, 1 BvR 1332/95, 1 BvR 613/97 – zu C I 1 der Gründe, BVerfGE 111, 191). Indem der VTV in den Fassungen, auf die § 7 Abs. 1 bis Abs. 10 SokaSiG verweist, den Betrieben des Baugewerbes Zahlungspflichten auferlegt, die dazu verwendet werden, die Urlaubsentgeltansprüche der Arbeitnehmer im Baugewerbe zu erfüllen, ihre Aus- und Fortbildung sicherzustellen und den in Bauberufen tätig gewesenen Arbeitnehmern eine zusätzliche Altersrente zu gewähren, greift er nicht als Berufsausübungsregelung in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte unternehmerische Betätigungsfreiheit der verpflichteten Arbeitgeber ein. Die durch die Beitragspflicht bezweckte Umlagefinanzierung des Urlaubskassenverfahrens, der Berufsbildung und der zusätzlichen Altersversorgung im Baugewerbe betrifft lediglich den Interessenausgleich zwischen den branchenzugehörigen Arbeitgebern untereinander und zu den Arbeitnehmern auf übertariflicher Ebene (vgl. BVerfG 15. Juli 1980 – 1 BvR 24/74, 1 BvR 439/79 – zu B II 4 b der Gründe, BVerfGE 55, 7). 56 e) Ob die nicht tarifgebundenen Arbeitgeber aufgrund der Entscheidungen des Senats vom 21. September 2016 schuldrechtliche Ansprüche erworben und welche Höhe diese Ansprüche ggf. gehabt haben könnten, kann dahinstehen. Selbst wenn ihre rückwirkende Beseitigung als Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG betrachtet würde, genügte dieser Eingriff in jedem Fall den verfassungsrechtlichen Anforderungen (vgl. BVerfG 25. Januar 2017 – 1 BvR 2297/10 – Rn. 35 ff. mwN). 57 aa) Der Eigentumsgarantie kommt im Gesamtgefüge der Grundrechte die Aufgabe zu, einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu sichern und Menschen dadurch eine eigenverantwortliche Gestaltung ihres Lebens zu ermöglichen (BVerfG 8. Mai 2012 – 1 BvR 1065/03, 1 BvR 1082/03 – Rn. 41, BVerfGE 131, 66). Grundsätzlich verstößt es nicht gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG, wenn durch einen Tarifvertrag Geldleistungspflichten auferlegt werden (BAG 19. Februar 2014 – 10 AZR 428/13 – Rn. 27 mwN). 58 bb) Unter den Schutz der Eigentumsgarantie nach Art. 14 Abs. 1 GG fallen jedoch auch schuldrechtliche Ansprüche, die im Geltungsbereich des Grundgesetzes erworben worden sind, soweit sie bereits bestehen (BVerfG 26. April 2015 – 1 BvR 1420/13 – Rn. 8). Ein gesetzgeberischer Eingriff in einen solchen Anspruch ist von Verfassungs wegen von vornherein ausgeschlossen, wenn damit ausschließlich im Interesse Privater liegende, rein fiskalische Interessen oder vom Grundgesetz missbilligte Ziele verfolgt werden. Darüber hinaus ist die gesetzgeberische Entscheidung nur dahin überprüfbar, ob sie offensichtlich und eindeutig unvereinbar mit verfassungsrechtlichen Wertungen ist, wie sie insbesondere in den Grundrechten oder den Staatszielbestimmungen zum Ausdruck kommen. Das Gemeinwohlziel muss grundsätzlich geeignet sein, die Enteignungen zu rechtfertigen, die typischerweise in Betracht kommen, um das Ziel zu erreichen. Je nach geregeltem Lebenssachverhalt können infolgedessen die Anforderungen an seine Bedeutung variieren. Weder wiegt jede Enteignung gleich schwer, noch vermag jedes legitime Gemeinwohlziel Enteignungen jeglicher Schwere zu rechtfertigen. Auch bei dieser Gewichtung steht dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum zu, der einer verfassungsrechtlichen Vertretbarkeitskontrolle unterliegt (BVerfG 25. Januar 2017 – 1 BvR 2297/10 – Rn. 35 mwN). 59 cc) Die mit § 7 SokaSiG bezweckte Sicherung des Sozialkassenverfahrens im Baugewerbe dient weder ausschließlich den Interessen Privater noch rein fiskalischen oder vom Grundgesetz missbilligten Interessen. Dem Gesetzgeber ging es vielmehr vorrangig im Interesse der Allgemeinheit um den Fortbestand der von ihm seit ihrer Gründung im Jahr 1949 als sozialpolitisch wünschenswert angesehenen gemeinsamen Einrichtungen (vgl. BT-Drs. 18/10631 S. 1 f.). Der Gesetzgeber durfte die Verwirklichung dieses Ziels aufgrund der Entscheidungen des Senats vom 21. September 2016 ohne erkennbare Überschreitung des ihm zustehenden, verfassungsrechtlich nur einer Vertretbarkeitskontrolle unterliegenden Einschätzungsspielraums als erheblich gefährdet ansehen. 60 (1) Von dem Sozialkassenverfahren profitiert eine gesamte Branche unter Einschluss der in ihr tätigen Arbeitgeber. Die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft gewährleistet die Urlaubsansprüche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie eine qualitativ hochwertige Berufsbildung. Die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes schafft mit der Rentenbeihilfe einen Ausgleich für strukturbedingte Nachteile bei der Altersversorgung. Zugleich sorgen die gemeinsamen Einrichtungen damit für einen fairen Wettbewerb in der Branche. Von den Leistungen der Sozialkassen des Baugewerbes profitieren bis zu 700.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, mehr als 35.000 Auszubildende sowie über 370.000 Rentnerinnen und Rentner (BT-Drs. 18/10631 S. 1). 61 (2) Die Annahme des Normgebers der AVE VTV 2008 bis 2014, es habe ein öffentliches Interesse an der AVE der jeweils betroffenen Verfahrenstarifverträge im Baugewerbe bestanden, hat der Senat in den Beschlüssen vom 21. September 2016 und 25. Januar 2017 nicht beanstandet (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 129 ff., BAGE 156, 213; 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 – Rn. 111 ff., BAGE 156, 289; 25. Januar 2017 – 10 ABR 34/15 – Rn. 58 ff., 99; 25. Januar 2017 – 10 ABR 43/15 – Rn. 42 ff.). Mit der zusätzlichen Altersversorgung und der Ausbildungsumlage werden sozialpolitische Ziele verfolgt. Auch die Außenseiterarbeitgeber profitieren von der überbetrieblichen Berufsbildung, indem sie für ihre Betriebe auf von anderen Arbeitgebern ausgebildete Fachkräfte im Baugewerbe zurückgreifen können. Die brancheneinheitliche Sicherung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs stellt ein valides und legitimes Gemeinwohlziel dar (Greiner NZA 2017, 98, 99). 62 dd) Das SokaSiG benennt das gesetzgeberische Vorhaben der Art nach hinreichend bestimmt. Insbesondere aus §§ 7 ff. SokaSiG ergibt sich eindeutig der vom Gesetzgeber angestrebte Gemeinwohlzweck, sodass es entbehrlich war, ihn ausdrücklich im Gesetz zu benennen (vgl. BVerfG 25. Januar 2017 – 1 BvR 2297/10 – Rn. 36). Es bestehen auch keine Bedenken daran, dass das Gemeinwohlziel und das Vorhaben ausreichend bestimmt sind. Der Ausschluss etwaiger Rückerstattungsansprüche ist geeignet und erforderlich, um das Gemeinwohlziel zu erreichen. Die im Rahmen der Angemessenheitsprüfung durchzuführende Gesamtabwägung fällt zulasten der tariffreien Arbeitgeber aus. 63 f) § 7 SokaSiG verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. 64 aa) Der allgemeine Gleichheitssatz ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten anders behandelt wird als eine andere, obwohl zwischen den Gruppen keine Unterschiede von solchem Gewicht bestehen, dass sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfG 7. Mai 2013 – 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06, 2 BvR 288/07 – Rn. 76, BVerfGE 133, 377; BAG 26. April 2017 – 10 AZR 856/15 – Rn. 31). 65 bb) § 7 SokaSiG führt nicht zu einer Ungleichbehandlung, sondern zu einer Gleichbehandlung aller Baubetriebe, die unter den räumlichen und fachlichen Geltungsbereich der dort genannten Verfahrenstarifverträge fallen, unabhängig von einer etwa bestehenden Verbandsmitgliedschaft (iE ebenso Berger AS-Drs. 18(11)902 S. 48, 51). Die tarifgebundenen Betriebe müssen dieselben Beiträge leisten wie die Nichtmitglieder. Sie genießen ihnen gegenüber auch keine sonstigen Privilegien. Die Gruppen der Mitglieder und der Nichtmitglieder sind vergleichbar. 66 cc) Dass der Gesetzgeber die normative Erstreckung auf die in § 7 SokaSiG genannten Verfahrenstarifverträge beschränkt und nicht auf andere Tarifverträge ausgedehnt hat, verstößt ebenfalls nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. In anderen Branchen hat sich bislang nicht das Problem gestellt, dass die Unwirksamkeit der AVE von Sozialkassentarifverträgen den Bestand des Sozialkassensystems gefährdet. 67 dd) Es kann offenbleiben, ob die von den Tarifvertragsparteien vorgenommene Differenzierung zwischen den Tarifgebieten West und Ost bei der Altersversorgung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist (kritisch Schaub ArbR-HdB/Linck 17. Aufl. § 185 Rn. 1). Eine sich als materiell unwirksam erweisende tarifliche Regelung wird durch § 7 SokaSiG nicht „geheilt“. Nach § 11 SokaSiG gelten die tarifvertraglichen Rechtsnormen, auf die in § 7 SokaSiG verwiesen wird, lediglich unabhängig davon, ob die Tarifverträge wirksam abgeschlossen wurden. Damit gelten die jeweils statisch in Bezug genommenen Verfahrenstarifverträge nur in verfassungskonformem Zustand. Ihre Normen unterliegen ebenso wie für allgemeinverbindlich erklärte Tarifnormen der Bindung an die Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG (vgl. BVerfG 15. Juli 1980 – 1 BvR 24/74, 1 BvR 439/79 – zu B II 1 der Gründe, BVerfGE 55, 7). 68 g) § 7 SokaSiG verletzt aus Sicht des Senats nicht das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen tariffreier Arbeitgeber, von rückwirkenden Gesetzen nicht in unzulässiger Weise belastet zu werden. 69 aa) Das grundsätzliche Verbot rückwirkender belastender Gesetze beruht auf den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Es schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte. Normen mit echter Rückwirkung („Rückbewirkung von Rechtsfolgen“) sind danach grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig, sofern eine Durchbrechung dieses Verbots nicht ausnahmsweise durch zwingende Belange des Gemeinwohls oder ein nicht – oder nicht mehr – vorhandenes schutzbedürftiges Vertrauen des Einzelnen gestattet wird (für die st. Rspr. BVerfG 16. Dezember 2015 – 2 BvR 1958/13 – Rn. 43, BVerfGE 141, 56). 70 bb) Eine Rechtsnorm entfaltet echte Rückwirkung, wenn sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift. Das ist insbesondere anzunehmen, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll (BVerfG 5. März 2018 – 1 BvR 2864/13 – Rn. 44 mwN). Ein rückwirkender belastender Eingriff ist ausnahmsweise zulässig, wenn ein Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand einer bestimmten Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig war (BVerfG 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 – Rn. 55 mwN). Das kann etwa der Fall sein, wenn die Rechtsunterworfenen schon in dem Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen wird, nicht auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung vertrauen durften, sondern mit ihrer Änderung rechnen mussten (BVerfG 17. Dezember 2013 – 1 BvL 5/08 – Rn. 63 ff., BVerfGE 135, 1). Zudem kann sich der Bürger nicht immer auf den durch eine ungültige Norm erzeugten Rechtsschein verlassen. Er kann mit anderen Worten wegen des auch von einer letztlich als ungültig erkannten Norm regelmäßig ausgehenden Rechtsscheins ihrer Wirksamkeit und mit Rücksicht auf den in ihr zum Ausdruck gekommenen Rechtsetzungswillen des Normgebers nicht stets darauf vertrauen, von einer entsprechenden Regelung jedenfalls für den Zeitraum dieses Rechtsscheins verschont zu bleiben. Der Gesetzgeber kann eine nichtige Bestimmung deshalb unter Umständen rückwirkend durch eine rechtlich nicht zu beanstandende Norm ersetzen (BVerfG 3. September 2009 – 1 BvR 2384/08 – Rn. 19, BVerfGK 16, 162). 71 cc) Das SokaSiG trat nicht formell rückwirkend, sondern nach seinem § 14 am Tag nach der Verkündung in Kraft. Gleichwohl entfaltet die Regelung in § 7 SokaSiG materiell „echten“ rückwirkenden Charakter. Die Norm ordnet für alle Arbeitgeber, die dem Geltungsbereich des VTV in den aus den Anlagen 26 bis 35 des SokaSiG ersichtlichen Fassungen unterfallen, für den bereits abgewickelten, der Vergangenheit angehörenden Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum Inkrafttreten des Gesetzes nachträglich die Geltung der Rechtsnormen des VTV in den aus den Anlagen 26 bis 35 des SokaSiG ersichtlichen Fassungen an. Nur solche Betriebe und selbstständige Betriebsabteilungen, die die Maßgaben der Anlage 37 des SokaSiG erfüllen, sind von der Geltungsanordnung ausgenommen (§ 10 Abs. 1 SokaSiG). Für alle anderen tariffreien Arbeitgeber enthält § 7 SokaSiG eine sie belastende Rechtsfolgenanordnung, weil der VTV ihnen unter anderem Beitragspflichten für die von ihnen beschäftigten Arbeiter und Angestellten auferlegt. 72 dd) Die in § 7 SokaSiG angeordnete echte Rückwirkung begegnet aus Sicht des Senats jedoch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. 73 (1) Bezüglich der aus den Anlagen 26, 27 und 35 des SokaSiG ersichtlichen Fassungen des VTV, auf die § 7 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 10 SokaSiG verweist, konnte kein zu schützendes Vertrauen der tariffreien Arbeitgeber darauf entstehen, nicht von der Rechtsnormerstreckung erfasst zu werden. 74 (a) Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat am 4. August 2015 die Rechtswirksamkeit der AVE vom 24. Februar 2006 des VTV in der aus der Anlage 35 des SokaSiG ersichtlichen Fassung (AVE VTV 2006) festgestellt (- 7 BVL 5007/14, 7 BVL 5008/14 – zu 2.3 der Gründe). Dieser Beschluss ist durch Rücknahme der Rechtsbeschwerden rechtskräftig geworden (vgl. die Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts Nr. 65/16 vom 22. Dezember 2016). Die AVE des VTV in der aus der Anlage 27 des SokaSiG ersichtlichen Fassung (AVE VTV 2015) hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg ebenfalls für wirksam befunden (21. Juli 2016 – 14 BVL 5007/15, 14 BVL 5003/16, 14 BVL 5004/16, 14 BVL 5005/16 – zu II B der Gründe). Die Rechtsbeschwerden gegen diesen Beschluss blieben erfolglos (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – Rn. 50 ff.). Die Wirksamkeit der AVE VTV 2016, auf die sich der Kläger im Streitfall stützt, war Gegenstand des ebenfalls positiven Beschlusses des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. Dezember 2017 (- 16 BVL 5012/16 – zu II B der Gründe). Diesen Beschluss hat der Senat am 20. November 2018 bestätigt (- 10 ABR 12/18 – Rn. 26 ff.). 75 (b) Durch davon abweichende Rechtsauffassungen konnte kein schutzwürdiges Vertrauen in ein geändertes Verständnis der alten Rechtslage entstehen (vgl. BVerfG 21. Juli 2010 – 1 BvL 11/06, 1 BvL 12/06, 1 BvL 13/06, 1 BvR 2530/05 – Rn. 75, BVerfGE 126, 369). Da die AVE VTV 2015 und die AVE VTV 2016 auf der Grundlage des § 5 TVG nF ergangen waren, war nicht einmal ansatzweise Raum für „belastbare“ Prognosen aufgrund der Beschlüsse des Senats vom 21. September 2016, die nach § 5 TVG aF ergangene Allgemeinverbindlicherklärungen betrafen (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – BAGE 156, 213; 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 – BAGE 156, 289; aA offenbar Thüsing NZA-Beilage 1/2017, 3, 4). 76 (2) Mit Blick auf die von § 7 Abs. 3 bis Abs. 9 SokaSiG erfassten Zeiträume konnte sich bei den nicht originär tarifgebundenen Arbeitgebern ebenfalls kein hinreichend gefestigtes und damit schutzwürdiges Vertrauen darauf bilden, von Beitragszahlungen verschont zu bleiben oder Beiträge erstattet zu bekommen. 77 (a) Bis zum 20. September 2016 bestand keine Grundlage für ein Vertrauen auf die Unwirksamkeit der AVE des VTV in den Fassungen der Anlagen 28 bis 34 des SokaSiG, auf die § 7 Abs. 3 bis Abs. 9 SokaSiG verweist. Die Arbeitgeber mussten vielmehr vom Gegenteil ausgehen und ihre wirtschaftlichen Dispositionen auf die vollständige Erfüllung der in den VTV geregelten Pflichten einrichten (LAG Berlin-Brandenburg 16. Juni 2017 – 3 Sa 1831/16 – zu B II 4 d aa der Gründe; Berndt DStR 2017, 1166, 1169; Biedermann BB 2017, 1333, 1338; Engels NZA 2017, 680, 685; Klein AuR 2017, 48, 52; Ulber NZA 2017, 1104, 1105). Sie konnten und durften im Gegenzug auch darauf vertrauen und sich darauf verlassen, dass die aus dem VTV folgenden Ansprüche ihrer Arbeitnehmer, Auszubildenden und Rentner erfüllt würden. 78 (aa) Den VTV in den aus den Anlagen 28 bis 34 zu § 7 Abs. 3 bis Abs. 9 SokaSiG ersichtlichen Fassungen hatte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) jeweils nach § 5 TVG aF für allgemeinverbindlich erklärt. Bis zum Zeitpunkt der Entscheidungen des Senats vom 21. September 2016 (- 10 ABR 33/15 – BAGE 156, 213; – 10 ABR 48/15 – BAGE 156, 289) entsprach es der weit überwiegenden Rechtsansicht, dass diese Fassungen des VTV wirksam für allgemeinverbindlich erklärt worden waren. Nach der damaligen Rechtslage war die Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags durch die Gerichte für Arbeitssachen grundsätzlich (inzidenter) von Amts wegen zu prüfen, soweit es entscheidungserheblich auf sie ankam. Dabei gingen die Gerichte stets davon aus, dass der erste Anschein für die Rechtmäßigkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung sprach. Es wurde grundsätzlich angenommen, das BMAS nehme die AVE eines Tarifvertrags nur unter Beachtung der gesetzlichen Anforderungen vor. Bestand zwischen den Parteien über die Wirksamkeit der AVE kein Streit und waren auch von Amts wegen keine ernsthaften Zweifel gerechtfertigt, war ihre gerichtliche Überprüfung entbehrlich (vgl. BAG 25. Juni 2002 – 9 AZR 405/00 – zu A II 2 b aa der Gründe mwN, BAGE 101, 357; 22. September 1993 – 10 AZR 371/92 – zu II 3 b der Gründe mwN, BAGE 74, 226; Treber FS Bepler 2012 S. 557, 563 f. mwN). Entgegenstehende Rechtsprechung der bis zum 15. August 2014 für die Entscheidung über die Wirksamkeit einer AVE nach § 5 TVG aF zuständigen Verwaltungsgerichte lag nicht vor. Noch am 22. Juni 2016 war der Senat dementsprechend von der Wirksamkeit der AVE VTV 2006 und der AVE VTV 2008 ausgegangen (BAG 22. Juni 2016 – 10 AZR 536/14 – Rn. 12). 79 (bb) Die von einzelnen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern geäußerten Bedenken an der Wirksamkeit der AVE der Fassungen des VTV, auf die § 7 Abs. 3 bis Abs. 9 SokaSiG verweist, waren bis zum 20. September 2016 keine geeignete Grundlage für die Bildung von Vertrauen dahin, dass auf der Annahme der fehlenden Normwirkung dieser Fassungen des VTV beruhenden Dispositionen nicht nachträglich die Grundlage entzogen werden würde. Auch nach ausdrücklicher Überprüfung gingen die Gerichte stets von der Wirksamkeit der AVE dieser Fassungen des VTV aus. 80 (aaa) Da es die Rechtmäßigkeitsvermutung durch den Vortrag der dortigen Beklagten (erstmals) für erschüttert hielt, hatte das Hessische Landesarbeitsgericht die Wirksamkeit der AVE VTV 2008 (betreffend den VTV in den aus den Anlagen 33 und 34 des SokaSiG ersichtlichen Fassungen) und der AVE VTV 2010 (hinsichtlich des VTV in der Fassung der Anlage 32 des SokaSiG) am 2. Juli 2014 inzidenter geprüft und bejaht (- 18 Sa 619/13 -). Das Bundesarbeitsgericht hat dieses Urteil bestätigt (BAG 17. Februar 2016 – 10 AZR 600/14 – Rn. 19). 81 (bbb) Am 17. April 2015 hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg im Beschlussverfahren nach § 98 ArbGG die Wirksamkeit der AVE VTV 2008 und der AVE VTV 2010 festgestellt (- 2 BVL 5001/14, 2 BVL 5002/14 – zu II der Gründe). Im Anschluss daran folgten weitere, ebenfalls nach § 98 ArbGG ergangene Beschlüsse des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 8. Juli 2015 (- 4 BVL 5004/14, 4 BVL 5005/14 – zu II der Gründe) zu der Wirksamkeit der AVE VTV 2013 I (betreffend den VTV idF der Anlage 30 des SokaSiG) und der AVE VTV 2013 II (bezüglich des VTV idF der Anlage 29 des SokaSiG), vom 9. Juli 2015 (- 3 BVL 5003/14 – zu B II der Gründe) zu der Wirksamkeit der AVE VTV 2012 (betreffend den VTV idF der Anlage 31 des SokaSiG) und vom 21. August 2015 (- 6 BVL 5006/14 – zu II B der Gründe) zu der Wirksamkeit der AVE VTV 2014 (hinsichtlich des VTV idF der Anlage 28 des SokaSiG). 82 (b) Auf den Fortbestand der auf den Entscheidungen des Senats vom 21. September 2016 und 25. Januar 2017 beruhenden, erst nach dem Ende der Laufzeit der von § 7 Abs. 3 bis Abs. 9 SokaSiG in Bezug genommenen VTV für sie entstandenen günstigen Rechtslage durften die tariffreien Arbeitgeber nicht vertrauen. Sie mussten nach der rechtlichen Situation in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge von § 7 Abs. 3 bis Abs. 9 SokaSiG zurückbezogen wird, damit rechnen, dass die tariflichen Rechtsnormen durch Gesetz rückwirkend wieder auf sie erstreckt werden würden. Der Gesetzgeber musste auf zwischenzeitlich dennoch getätigte gegenläufige Investitionen keine Rücksicht nehmen. 83 (aa) Wegen der Erga-omnes-Wirkung der Beschlüsse des Senats vom 21. September 2016 (- 10 ABR 33/15 – BAGE 156, 213; – 10 ABR 48/15 – BAGE 156, 289) und vom 25. Januar 2017 (- 10 ABR 34/15 -; – 10 ABR 43/15 -) erstreckten sich die Rechtsnormen des VTV in den aus § 7 Abs. 3 bis Abs. 9 iVm. den Anlagen 28 bis 34 SokaSiG ersichtlichen Fassungen zu keinem Zeitpunkt durch AVE auf tariffreie Arbeitgeber. Die nach § 98 Abs. 4 Satz 3 ArbGG vorgeschriebene Bekanntmachung der Beschlüsse vom 21. September 2016 im Bundesanzeiger erfolgte am 14. Dezember 2016 (BAnz. AT B2). Die Beschlüsse vom 25. Januar 2017 wurden am 16. Februar 2017 im Bundesanzeiger bekannt gemacht (BAnz. AT B2). 84 (bb) Auch höchstrichterliche Rechtsprechung erzeugt jedoch keine dem Gesetzesrecht gleichkommende Rechtsbindung. Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen kann in der Regel nur bei Hinzutreten weiterer Umstände entstehen (BVerfG 2. Mai 2012 – 2 BvL 5/10 – Rn. 81, BVerfGE 131, 20). Das Vertrauen auf die geltende Rechtslage ist ohnehin nur schutzwürdig, wenn sie generell geeignet ist, ein Vertrauen auf ihr Fortbestehen zu begründen und darauf gegründete Entscheidungen – insbesondere Vermögensdispositionen – herbeizuführen, die sich bei einer Änderung der Rechtslage als nachteilig erweisen (BVerfG 2. Mai 2012 – 2 BvL 5/10 – Rn. 77, aaO). 85 (aaa) Bestand eine langjährige, gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zu einer bestimmten Rechtsfrage, kann gegenüber einer rückwirkenden gesetzlichen Festschreibung dieser Rechtsanwendungspraxis grundsätzlich kein schutzwürdiges Vertrauen reklamieren, wer eine hiervon abweichende Rechtsauffassung vertritt und seine betrieblichen Dispositionen daran ausrichtet (vgl. BVerfG 15. Oktober 2008 – 1 BvR 1138/06 – Rn. 17, BVerfGK 14, 338). Auch angesichts des Rechtsscheins der Wirksamkeit, der von einer letztlich als ungültig erkannten AVE regelmäßig ausgeht, und mit Rücksicht auf den in der AVE zum Ausdruck gekommenen Rechtsetzungswillen des Normgebers konnten sich die tariffreien Arbeitgeber nicht darauf verlassen, von einer entsprechenden Regelung jedenfalls für den Zeitraum dieses Rechtsscheins verschont zu bleiben (vgl. BVerfG 3. September 2009 – 1 BvR 2384/08 – Rn. 19, BVerfGK 16, 162; in diese Richtung auch Ulber NZA 2017, 1104, 1105; aA Thüsing NZA-Beilage 1/2017, 3, 7 ff.). 86 (bbb) Dem Vertrauen darauf, dass ihnen bereits geleistete Beiträge ganz oder zumindest teilweise zurückerstattet würden, standen überdies die Pressemitteilungen Nr. 50/16 und Nr. 51/16 des Bundesarbeitsgerichts vom 21. September 2016 entgegen. Darin hatte der Senat ausgeführt, abgeschlossene Klageverfahren über die Beitragsansprüche würden von der Feststellung der Unwirksamkeit nicht berührt. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 580 ZPO komme nicht in Betracht. 87 (ccc) Davon abgesehen hatte der Senat über das Bestehen wechselseitiger Rückforderungsansprüche für Beitrags- und Erstattungsleistungen und die Frage, inwieweit die Unwirksamkeit der AVE einer Vollstreckung aus rechtskräftigen Entscheidungen entgegensteht, nicht entschieden. Die rechtliche Situation war überaus komplex (vgl. Greiner NZA 2017, 98, 101 f.; Klein AuR 2017, 48, 49 f.). Die Sozialkassenverfahren sind darauf ausgelegt, nur so viele Beiträge einzunehmen, wie auch korrespondierende Ansprüche Dritter gegen die Sozialkassen entstehen. Die Sozialkassen hatten diese Ansprüche für die zurückliegenden Zeiträume regelmäßig bereits erfüllt (vgl. Biedermann BB 2017, 1333, 1335). Ein bereicherungsrechtlicher Ausgleich zwischen einem tariffreien Arbeitgeber und den Sozialkassen hätte deshalb unter anderem die Frage aufgeworfen, ob die Sozialkassen ihrerseits die Leistungen zurückverlangen können, die sie im Vertrauen auf die Wirksamkeit der AVE an die Arbeitnehmer, Auszubildenden und Rentner des nicht originär tarifgebundenen Arbeitgebers erbracht hatten (vgl. Ulber NZA 2017, 1104 f.). 88 (ddd) Der Bildung von Vertrauen auf den Bestand der rückwirkend geänderten Rechtslage stand schließlich entgegen, dass die gesetzliche Wiederherstellung der Normerstreckung auf tariffreie Arbeitgeber bereits vor der Veröffentlichung der Entscheidungsformeln im Bundesanzeiger absehbar war (ebenso Berndt DStR 2017, 1166, 1169; Biedermann BB 2017, 1333, 1338; Engels NZA 2017, 680, 683 f.; aA Thüsing NZA-Beilage 1/2017, 3). 89 (aaaa) Ein verständig wirtschaftender tariffreier Arbeitgeber konnte bis zu diesem Zeitpunkt keine Dispositionen in der Annahme treffen, er sei nun rückwirkend von den aus den Rechtsnormen des VTV folgenden Verpflichtungen befreit. Er musste damit rechnen, dass gegen die Beschlüsse Tatbestandsberichtigungsanträge, Anhörungsrügen nach § 78a ArbGG und/oder Verfassungsbeschwerden eingelegt werden würden (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 16. Juni 2017 – 3 Sa 1831/16 – zu B II 4 d bb der Gründe). 90 (bbbb) Die Einbringung eines Gesetzentwurfs in den Deutschen Bundestag kann das Vertrauen der Betroffenen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage zerstören (BVerfG 10. April 2018 – 1 BvR 1236/11 – Rn. 151). Bereits am 13. Dezember 2016 waren mögliche zukünftige Gesetzesänderungen in konkreten Umrissen allgemein absehbar: An diesem Tag haben die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD den Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe in den Bundestag eingebracht (BT-Drs. 18/10631). Die erste Beratung des Entwurfs fand bereits zwei Tage später statt (BT-Plenarprot. 18/20979). Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfahl dem Bundestag am 25. Januar 2017 seine unveränderte Annahme (BT-Drs. 18/11001 S. 3). Das geschah nach der zweiten und dritten Beratung am 26. Januar 2017 (BT-Plenarprot. 18/21583 ff.). Durch die nach § 7 des Gesetzentwurfs vorgesehenen Anordnungen, die wörtlich mit § 7 SokaSiG übereinstimmen, sollte die Rechtslage wiederhergestellt werden, die bis zu den Entscheidungen des Senats vom 21. September 2016 der allgemeinen Rechtsauffassung entsprach. 91 (cccc) Der Gesetzentwurf sah die normative Wirkung des VTV auch für die Zeiträume vor, die von der AVE VTV 2012, der AVE VTV 2013 I und der AVE VTV 2013 II erfasst waren. Die Beschlüsse des Senats vom 25. Januar 2017 (- 10 ABR 34/15 -; – 10 ABR 43/15 -) konnten deshalb von vornherein nicht in der Weise „vertrauensbildend“ wirken, dass daraufhin getätigte Investitionen tariffreier Arbeitgeber hätten berücksichtigt werden müssen. 92 ee) Der Gesetzgeber hat mit § 7 SokaSiG auch keine – verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässige – rückwirkende „Klarstellung“ der Rechtslage in dem Sinn vorgenommen, dass er nachträglich einer höchstrichterlich geklärten Auslegung des Gesetzes den Boden entzogen oder die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens belastend geändert hätte (vgl. dazu BVerfG 17. Dezember 2013 – 1 BvL 5/08 – Rn. 52 ff., BVerfGE 135, 1). Er hat sich nicht die „verbindliche“ Interpretation des § 5 Abs. 1 Satz 1 TVG angemaßt (ebenso Engels NZA 2017, 680, 683). Vielmehr hat er eine gesetzgeberische Entscheidung in einer besonderen Situation getroffen, in der er sich einer mit nicht absehbaren und weitreichenden Folgen verbundenen Neuausrichtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung gegenüber der zuvor gefestigten Rechtspraxis konfrontiert sah (vgl. BVerfG 17. Dezember 2013 – 1 BvL 5/08 – Rn. 81, aaO). 93 (1) Mit der gesetzlichen Erstreckungsanordnung wollte der Gesetzgeber – letztlich mit Rücksicht auf die Forderungen der Rechtsstaatlichkeit und der Rechtssicherheit – statt anfechtbaren Rechts unanfechtbares Recht setzen (vgl. BVerfG 16. November 1965 – 2 BvL 8/64 – zu C 2 b der Gründe, BVerfGE 19, 187). Er hat dabei weder die Rechtsprechung des Senats „kassiert“ noch „neues“ Recht geschaffen. Vielmehr hat er lediglich eine aus formellen Gründen unwirksame Erstreckung der Normwirkung des VTV durch eine wirksame – gesetzliche – Erstreckungsanordnung ersetzt, um auf diese Weise den weitreichenden Folgen der Beschlüsse des Senats entgegenzuwirken (vgl. Hessisches LAG 17. August 2018 – 10 Sa 180/18 SK – zu II 4 b cc der Gründe; Engels NZA 2017, 680, 684; Ulber NZA 2017, 1104, 1107; Walser NZA 2016, 1510). Sein Ziel war es vor allem, das infolge des nahezu 70-jährigen Bestehens der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe entstandene Vertrauen aller daran beteiligten Kreise in die Funktionsfähigkeit des Systems wiederherzustellen. 94 (2) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss ein Betroffener insbesondere dann mit der nachträglichen – gesetzlichen – Bestätigung einer Belastung rechnen, wenn sie zunächst nur in einer rechtlich fragwürdigen Rechtsverordnung angeordnet ist. Selbst wenn die Unwirksamkeit der Rechtsverordnung nach Erlass des „heilenden“ Gesetzes im Nachhinein festgestellt würde, wäre das für die Wirkung der Rechtsverordnung unerheblich. Der in der Rechtsverordnung liegende Rechtsetzungsakt beseitigt das Vertrauen darauf, nicht herangezogen zu werden (BVerfG 27. Februar 2007 – 1 BvR 3140/06 – Rn. 33, BVerfGK 10, 346). Um einen entsprechenden Fall handelt es sich hier. 95 (a) Die durch eine AVE bewirkte Normerstreckung ist vergleichbar mit den rechtlichen Wirkungen einer Rechtsverordnung (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 135, BAGE 156, 213). Mit der Regelung in § 7 SokaSiG hat der Gesetzgeber die vom Senat festgestellten formellen Mängel geheilt, die dazu geführt hatten, dass die betreffende AVE unwirksam war und sich die Normen des VTV in den jeweils betroffenen Zeiträumen nicht auf tarifungebundene Arbeitgeber erstreckten (ebenso Ulber NZA 2017, 1104, 1106 f.). 96 (b) Der Senat hat die AVE VTV 2008 und die AVE VTV 2010 für unwirksam befunden, weil sich der zuständige Minister oder die zuständige Ministerin nicht mit ihnen befasst hatte. Er konnte außerdem nicht feststellen, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber bei Erlass der AVE nicht weniger als 50 vH der unter den Geltungsbereich des VTV fallenden Arbeitnehmer beschäftigten, weil das BMAS von einer ungeeigneten Schätzgrundlage für die Bestimmung der Großen Zahl ausgegangen war (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 138 ff., 185 ff., 201 ff., BAGE 156, 213). Auch die Unwirksamkeit der AVE VTV 2014 beruhte darauf, dass nicht festgestellt werden konnte, die sog. 50 %-Quote sei erreicht gewesen, weil das BMAS eine ungeeignete Schätzgrundlage für die Bestimmung der Großen Zahl herangezogen hatte (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 – Rn. 169 ff., 185 ff., BAGE 156, 289). Der Senat hat in diesem Zusammenhang betont, für die Bestimmung der Großen Zahl und eine etwaige Korrektur der sich aus der Großen Einschränkungsklausel ergebenden Fehler könnten nur die im Zeitpunkt der ministeriellen Entscheidung objektiv zur Verfügung stehenden und bereits verwertbaren Informationen berücksichtigt werden (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 206, aaO; 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 – Rn. 190, aaO). Der Senat hat deshalb nicht darüber befunden, ob die AVE selbst dann nicht hätte ergehen dürfen, wenn dem BMAS im Rahmen der ihm obliegenden Prüfung genau zu diesem Zweck aufbereitetes und als Schätzgrundlage verwertbares Datenmaterial vorgelegen hätte. Dass die Allgemeinverbindlicherklärungen weder gegen Verfassungsrecht noch gegen die EMRK verstießen und auch eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Klärung der Vereinbarkeit der AVE mit Unionsrecht nicht geboten sei, hat der Senat ausdrücklich klargestellt (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 94 ff., aaO; 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 – Rn. 77 ff., aaO). Das BMAS hatte das öffentliche Interesse beim Erlass der AVE VTV 2008, der AVE VTV 2010 und der AVE VTV 2014 zu Recht bejaht und § 24 VwVfG zutreffend nicht angewandt (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 123 ff., 132 ff., aaO; 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 – Rn. 106 ff., 115 ff., aaO). Mit dem Erlass der AVE VTV 2014 hatte sich die zuständige Ministerin in der erforderlichen Weise zustimmend befasst (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 – Rn. 121 ff., aaO). 97 ff) Im Streitfall kann dahinstehen, ob § 7 SokaSiG unzulässig „echte“ Rückwirkung entfaltet, weil die Rechtsnormen des VTV in den von § 7 Abs. 5 bis Abs. 10 SokaSiG in Bezug genommenen Fassungen nun für einige Betriebe gelten, auf die sich die AVE dieser Fassungen des VTV nicht erstreckte. § 7 SokaSiG kann nach Auffassung des Senats insoweit verfassungskonform ausgelegt werden. 98 (1) Die Große Einschränkungsklausel mit dem in der Anlage 37 zu § 10 Abs. 1 SokaSiG abgedruckten Inhalt war erstmals Gegenstand der mit Rückwirkung zum 1. Juli 2013 erfolgten AVE vom 25. Oktober 2013, der den VTV vom 3. Mai 2013 betraf (BAnz. AT 4. November 2013 B2 in der berichtigten Fassung vom 13. März 2014 BAnz. AT 14. März 2014 B2 – AVE VTV 2013 II). Auf dessen Rechtsnormen verweist § 7 Abs. 4 SokaSiG. Die zeitlich danach ergangenen Allgemeinverbindlicherklärungen – die AVE VTV 2014, die AVE VTV 2015 und die AVE VTV 2016 -, die die von § 7 Abs. 1 bis Abs. 3 SokaSiG in Bezug genommenen Fassungen des VTV betreffen, nehmen jeweils auf diese Einschränkungsklausel Bezug. 99 (2) Die Große Einschränkungsklausel in der Fassung der Anlage 37 des SokaSiG gilt nach dem Wortlaut von § 10 Abs. 1 SokaSiG auch für die von § 7 Abs. 5 bis Abs. 10 SokaSiG in Bezug genommenen Fassungen des VTV. Durch die Große Einschränkungsklausel der AVE des VTV in den Fassungen, auf die § 7 Abs. 5 bis Abs. 10 SokaSiG verweist, waren weniger Betriebe von der normativen Wirkung des VTV ausgeschlossen, als dies nach der Großen Einschränkungsklausel in der Fassung der Anlage 37 des SokaSiG der Fall ist. Allerdings enthält Abs. 4 Nr. 5 der Großen Einschränkungsklausel in der Fassung der Anlage 37 des SokaSiG für die Ausnahme von Mitgliedsbetrieben des Bundesverbands Holz und Kunststoff andere materiell-rechtliche Voraussetzungen als die Große Einschränkungsklausel in der AVE VTV 2008, die inhaltlich unverändert in die AVE VTV 2010, die AVE VTV 2012 und die AVE VTV 2013 I übernommen wurde. Das könnte dazu führen, dass ein Mitgliedsbetrieb dieses Bundesverbands, der von der Normwirkung des VTV in der Fassung der Anlage 30 des SokaSiG zu § 7 Abs. 5 SokaSiG aufgrund der AVE VTV 2013 I ausgenommen war, nun durch § 7 Abs. 5 iVm. § 10 Abs. 1 SokaSiG rückwirkend von der Normwirkung dieses VTV erfasst wird. 100 (3) Nach Auffassung des Senats verstieße die rückwirkende Anwendung des VTV auf Betriebe, die vor Erlass der AVE VTV 2013 II nicht von der normativen Wirkung des VTV erfasst wurden, gegen das aus Art. 20 Abs. 3 GG folgende Gebot des Vertrauensschutzes. Sie knüpfte an das Verhalten des Normunterworfenen oder an ihn betreffende Umstände im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen, als sie zum Zeitpunkt seines rechtserheblichen Verhaltens galten. Das ist nicht erforderlich, um den Gesetzeszweck zu fördern. 101 (4) § 10 SokaSiG ist jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich, die die echte Rückwirkung der gesetzlichen Geltungsanordnung auf diese Betriebe verhindert. 102 (a) Zweck des SokaSiG ist allein die Sicherung des Fortbestands der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (BT-Drs. 18/10631 S. 1; BT-Drs. 18/11001 S. 8 ff.). Für Arbeitgeber sollte durch das SokaSiG kein neuer Erfüllungsaufwand entstehen. Es war die ausdrückliche Absicht des Gesetzgebers, die tarifvertraglich etablierten Sozialkassenverfahren im Baugewerbe durch dieses Gesetz nicht zu verändern (BT-Drs. 18/10631 S. 3). 103 (b) Die Großen Einschränkungsklauseln lösten im Rahmen der AVE der jeweiligen Fassungen des VTV, auf die § 7 Abs. 1 bis Abs. 10 SokaSiG verweist, Tarifkonkurrenzen zwischen dem Bauhauptgewerbe und angrenzenden Branchen auf, indem die Mitgliedsbetriebe baunaher Verbände davon ausgeschlossen wurden, durch die Sozialkassen des Baugewerbes in Anspruch genommen zu werden. Um derartige Überschneidungen bei der gesetzlichen Geltungsanordnung des VTV zu verhindern, sollten unter die sog. Große Einschränkungsklausel fallende Betriebe auch vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen werden (BT-Drs. 18/10631 S. 649). Ausweislich der Gesetzesmaterialien sollte auf diese Weise sichergestellt werden, dass von der gesetzlichen Geltung der tarifvertraglichen Rechtsnormen nur die Arbeitgeber erfasst wurden, die auch nach den für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen an den Sozialkassenverfahren des Baugewerbes teilnehmen mussten. Die unter die Große Einschränkungsklausel fallenden Betriebe durften bisher darauf vertrauen, von den Sozialkassenverfahren des Baugewerbes nicht erfasst zu werden (BT-Drs. 18/10631 S. 649, 652). 104 (c) Vor diesem Hintergrund besteht kein Zweifel daran, dass Arbeitgeber, deren Betriebe bis zum Inkrafttreten des VTV in der von § 7 Abs. 4 SokaSiG in Bezug genommenen Fassung unter die sog. Große Einschränkungsklausel der jeweiligen AVE fielen, auch von der gesetzlichen Geltungsanordnung des § 7 Abs. 5 bis Abs. 10 SokaSiG ausgenommen sind. 105 h) § 7 SokaSiG ist kein nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG unzulässiges Einzelfallgesetz. 106 aa) Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG enthält letztlich eine Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes. Danach ist es dem Gesetzgeber verboten, aus einer Reihe gleichgelagerter Sachverhalte einen Fall herauszugreifen und zum Gegenstand einer Sonderregel zu machen (BVerfG 6. Dezember 2016 – 1 BvR 2821/11, 1 BvR 321/12, 1 BvR 1456/12 – Rn. 394 mwN, BVerfGE 143, 246). 107 bb) Die Vorgaben des § 7 SokaSiG gelten zwar nicht für die Verfahrenstarifverträge aller existierenden Sozialkassen. Die Bestimmung greift jedoch nicht aus einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle einen einzelnen Fall oder eine bestimmte Gruppe heraus. Sie trifft vielmehr eine abschließende Regelung für diejenigen Sozialkassen, deren Verfahrenstarifverträge sich nicht mehr auf Außenseiter erstreckten bzw. bei denen die Normerstreckung auf Außenseiter nach Auffassung des Gesetzgebers gefährdet war. Die Willkür einer gesetzlichen Einzelfallregelung, vor der Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG schützen will, ist hier nicht gegeben. 108 C. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.             Gallner                  Pulz                 Brune                                   Petri                 Meyer
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11.12.2018
11.12.2018 66/18 - Hinterbliebenenversorgung - Altersabstandsklausel - Altersdiskriminierung Sieht eine Versorgungsregelung vor, dass die Hinterbliebenenversorgung eines jüngeren hinterbliebenen Ehepartners für jedes volle über zehn Jahre hinausgehende Jahr des Altersunterschieds der Ehegatten um 5 vH gekürzt wird, liegt darin keine gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstoßende Diskriminierung wegen des Alters. Die Klägerin ist im Oktober 1945 geboren. Sie hat ihren im November 1930 geborenen und 2014 verstorbenen Ehemann im Jahr 1966 geheiratet. Dem verstorbenen Ehemann der Klägerin war von seinem Arbeitgeber ua. eine Hinterbliebenenversorgung zugesagt worden. Nach der Versorgungsordnung wird die Witwenrente, wenn die hinterbliebene Ehefrau mehr als zehn Jahre jünger ist als der verstorbene Ehemann, für jedes volle über zehn Jahre hinausgehende Jahr des Altersunterschieds um 5 vH gekürzt. Der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat entschieden, dass die durch diese Altersabstandsklausel bewirkte unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters gerechtfertigt ist. Der Arbeitgeber, der eine Hinterbliebenenversorgung zusagt, hat ein legitimes Interesse, das hiermit verbundene finanzielle Risiko zu begrenzen. Die Altersabstandsklausel ist auch angemessen und erforderlich. Sie führt nicht zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen der versorgungsbe-rechtigten Arbeitnehmer, die von der Klausel betroffen sind. Bei einem Altersabstand von elf Jahren, ab dem die Klausel greift, ist der gemeinsame Lebenszuschnitt der Ehepartner darauf angelegt, dass der Hinterbliebene einen Teil seines Lebens ohne den Versorgungsberechtigten verbringt. Zudem werden wegen des Altersabstands von mehr als zehn Jahren nur solche Ehegatten von dem Ausschluss erfasst, deren Altersabstand zum Ehepartner den üblichen Abstand erheblich übersteigt. Die Versorgungsregelung sieht keinen vollständigen Ausschluss bereits ab dem elften Jahr des Altersunterschieds vor, sondern vielmehr eine maßvolle schrittweise Reduzierung und bewirkt damit einen vollständigen Ausschluss erst bei einem Altersabstand von mehr als 30 Jahren. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11. Dezember 2018 – 3 AZR 400/17 – Vorinstanz: Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 24. Februar 2017 – 7 Sa 444/16 –
Tenor Auf die Revision der Beklagten wird – unter Zurückweisung der Revision im Übrigen – das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 24. Februar 2017 – 7 Sa 444/16 – teilweise aufgehoben und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst: Auf die Berufung der Klägerin wird – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen – das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 20. April 2016 – 34 Ca 7847/15 – teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst: Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.051,29 Euro brutto nebst Zinsen hieraus iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2015 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 9/10 und die Beklagten als Gesamtschuldner 1/10 zu tragen. Tatbestand 1 Die Parteien streiten über die Höhe einer Witwenrente. 2 Die im Oktober 1945 geborene Klägerin ist die Witwe des im November 1930 geborenen und im Juli 2014 verstorbenen M, eines ehemaligen Mitarbeiters des Beklagten zu 1. Die Ehe wurde im Jahr 1966 geschlossen. 3 Die Beklagten hatten dem verstorbenen Ehemann der Klägerin unter dem 6. August 1974 eine Versorgungszusage erteilt. Diese bestimmt ua.:          „II.             § 1               Art der Versorgungsleistungen          Mit der Zusage gemäß Ziffer I erwirbt der Mitarbeiter eine Anwartschaft auf Versorgungsleistungen. Diese Versorgungsleistungen umfassen die Gewährung von                   Altersrente                                     Invalidenrente                                     Witwenrente )                                   Waisenrente ) Hinterbliebenenrenten.                                     )                          …                                   § 4                                 Anspruch auf Altersrente                            1.     Der Mitarbeiter hat Anspruch auf eine Altersrente, wenn er nach Erreichen der Altersgrenze aus den Diensten der Verbände ausscheidet.                            …                                            § 6                                 Anspruch auf Hinterbliebenenrente                            Verstirbt der Mitarbeiter, nachdem er die Anwartschaft gemäß § 1 erworben hat oder nachdem er eine betriebliche Alters- oder Invalidenrente aufgrund dieser Vereinbarung bezieht, so haben seine Hinterbliebenen unter den nachfolgend beschriebenen Voraussetzungen Anspruch auf eine Witwenrente und auf Waisenrente.                            …                                            § 8                                 Höhe der Altersrente                            1.     Die Altersrente beträgt für jedes rentenfähige Dienstjahr (§ 3) ein Prozent, insgesamt höchstens 25% des rentenfähigen Arbeitsverdienstes i.S. des § 11 dieser Vereinbarung.                            …                                            § 10                               Höhe der Hinterbliebenenrenten                            1.     Bemessungsgrundlage für die Hinterbliebenenrenten ist die Altersrente, auf die der Mitarbeiter im Zeitpunkt des Todes Anwartschaft hat, bzw. die Alters- oder Invalidenrente, die er im Zeitpunkt des Todes bereits bezogen hat.                            2.     Die Witwenrente beträgt 60%, die Waisenrente an Halbwaisen 10% und an Vollwaisen 20% der Bemessungsgrundlage gemäß Ziffer 1.                                     …                                   3.     Wenn die Ehefrau mehr als zehn Jahre jünger ist als der verstorbene Ehemann, wird die Witwenrente für jedes volle, über zehn Jahre hinausgehende Jahr des Altersunterschiedes um 5% des nach Ziffer 2 errechneten Betrages gekürzt.                            …                                            § 16                               Rentenanpassung                            Die nach dieser Versorgungszusage gezahlten Renten erhöhen oder vermindern sich in demselben prozentualen Verhältnis, in dem sich die ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge eines Beamten des Freistaates Bayern der Besoldungsgruppe A 16, Eingangsstufe, nach dem Bayerischen Besoldungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 30.6.1972 (GVBl. S. 229) erhöhen oder vermindern, und zwar vom Beginn des Monats an, in dem die Änderung der Dienstbezüge wirksam wird.“                   4 Die Klägerin bezieht seit August 2014 eine monatliche Witwenrente iHv. zunächst 1.318,45 Euro. Ab Dezember 2014 verringerten die Beklagten die Witwenrente unter Berufung auf die Altersabstandsklausel in Nr. II § 10 Abs. 3 der Versorgungszusage um 20 vH auf monatlich 1.054,76 Euro. Für den Monat Dezember wurde keine Zahlung geleistet, sondern mit den Überzahlungen aus den Monaten August bis November 2014 iHv. monatlich 263,69 Euro, insgesamt mithin 1.054,76 Euro, aufgerechnet. Ab dem 1. Januar 2015 wurde eine Witwenrente iHv. 1.054,76 Euro gewährt und diese zum 1. März 2015 um 2,1 vH auf dann 1.076,91 Euro erhöht. 5 Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Beklagten müssten ihr eine monatliche Witwenrente iHv. 60 vH der zuletzt von ihrem verstorbenen Ehemann bezogenen Altersbezüge zahlen. Die Altersabstandsklausel in Nr. II § 10 Abs. 3 der Versorgungszusage sei unwirksam. Diese Klausel bewirke eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters. Die im Dezember 2014 vorgenommene Aufrechnung verstoße auch gegen das Aufrechnungsverbot nach § 394 BGB iVm. § 850c ZPO. 6 Die Klägerin hat – zusammengefasst und soweit für die Revision von Interesse – zuletzt sinngemäß beantragt,          die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie aus rückständiger Betriebsrente (Hinterbliebenenrente) für den Zeitraum August 2014 bis März 2016 den Betrag iHv. 5.345,82 Euro zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz in näher bestimmter gestaffelter Höhe zu zahlen. 7 Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt. Die Aufrechnungsmöglichkeit haben sie damit begründet, dass die Klägerin eine Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und wohl auch eine eigene gesetzliche Altersrente beziehe. 8 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht der Klage im noch rechtshängigen Umfang stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin begehrt die Zurückweisung der Revision. Entscheidungsgründe 9 Die Revision ist überwiegend begründet. Die Klage bleibt weitgehend ohne Erfolg. 10 I. Die Klägerin hat – entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts – keinen Anspruch auf eine Witwenrente iHv. 60 vH der Betriebsrente ihres verstorbenen Ehemannes. Sie erfüllt wegen des Kürzungstatbestands in Nr. II § 10 Abs. 3 der Versorgungszusage nicht die Voraussetzungen für eine ungekürzte Witwenrente. Die im Oktober 1945 geborene Klägerin ist 14 volle Jahre jünger als ihr im November 1930 geborener (verstorbener) Ehemann. Die Beklagten sind nach Nr. II § 10 Abs. 3 der Versorgungszusage deshalb berechtigt, die Witwenrente um 20 vH zu kürzen. Die Kürzungsregelung ist wirksam. 11 1. Die Kürzung der Witwenrente um 5 vH für jedes volle Jahr, das die hinterbliebene Ehefrau mehr als zehn Jahre jünger als der versorgungsberechtigte Ehegatte ist, bewirkt keine unzulässige Benachteiligung wegen des Alters nach §§ 1, 3 AGG und ist damit nicht nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam (zur Zulässigkeit einer Altersabstandsklausel, die einen vollständigen Ausschluss von Ehegatten vorsieht, die mehr als 15 Jahre jünger als der versorgungsberechtigte Arbeitnehmer sind, vgl. BAG 20. Februar 2018 – 3 AZR 43/17 -). 12 a) Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist anwendbar. 13 aa) Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gilt trotz der in § 2 Abs. 2 Satz 2 AGG enthaltenen Verweisung auf das Betriebsrentengesetz auch für die betriebliche Altersversorgung, soweit das Betriebsrentengesetz nicht vorrangige Sonderregelungen enthält (st. Rspr. seit BAG 11. Dezember 2007 – 3 AZR 249/06 – Rn. 22, BAGE 125, 133; 20. Februar 2018 – 3 AZR 43/17 – Rn. 13 mwN). Letzteres ist nicht der Fall. 14 bb) Der persönliche Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 AGG ebenfalls eröffnet. Zwar unterfällt die Klägerin – im Verhältnis zu den Beklagten – als Hinterbliebene ihres versorgungsberechtigten Ehemannes selbst nicht unmittelbar dem Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, da sie insoweit nicht zu den in § 6 Abs. 1 AGG genannten Personengruppen zählt. Für die Beurteilung der Frage, ob eine Benachteiligung vorliegt, ist jedoch auf den versorgungsberechtigten Arbeitnehmer und nicht auf den Hinterbliebenen abzustellen (st. Rspr. vgl. etwa BAG 20. Februar 2018 – 3 AZR 43/17 – Rn. 14 mwN). Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG L 303 vom 2. Dezember 2000 S. 16, im Folgenden Richtlinie 2000/78/EG; EuGH 24. November 2016 – C-443/15 – [Parris] Rn. 67). Der verstorbene Ehemann der Klägerin fiel in den persönlichen Geltungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Dieses gilt nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG auch für Personen, deren Beschäftigungsverhältnis – wie vorliegend – bereits beendet ist. Nach dem Tod ihres Ehemannes und damit ab Eintritt des Nachversorgungsfalls ist die Klägerin als Hinterbliebene berechtigt, dessen Recht als eigenes – abgeleitetes – Recht geltend zu machen. 15 cc) Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist auch in zeitlicher Hinsicht anwendbar. Seine Anwendung setzt voraus, dass unter seinem zeitlichen Geltungsbereich ein Rechtsverhältnis zwischen dem Versorgungsberechtigten und dem Versorgungsschuldner bestand. Dabei ist zwar auf den Beschäftigten (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGG) und nicht auf den Hinterbliebenen abzustellen. Allerdings ist nicht erforderlich, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt noch ein Arbeitsverhältnis bestand. Ausreichend ist vielmehr, wenn der Arbeitnehmer mit unverfallbarer Anwartschaft aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden oder Versorgungsempfänger ist und das damit begründete Rechtsverhältnis bei oder nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes noch besteht bzw. bestand. Das Ausscheiden mit unverfallbarer Anwartschaft und ein Anspruch auf Betriebsrente begründen ein versorgungsrechtliches Dauerschuldverhältnis zwischen dem ausgeschiedenen Arbeitnehmer und dem ehemaligen Arbeitgeber. Die Anwartschaft verpflichtet den Arbeitgeber, nach den Regeln der Versorgungsordnung das Versorgungsrisiko abzudecken. Dieses aktualisiert sich mit Eintritt des Versorgungs- oder Nachversorgungsfalls (vgl. BAG 15. Oktober 2013 – 3 AZR 294/11 – Rn. 25, BAGE 146, 200). Da der (verstorbene) Ehemann der Klägerin auch nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes am 18. August 2006 (Art. 4 Satz 1 des Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung vom 14. August 2006 – BGBl. I S. 1897) Leistungen der betrieblichen Altersversorgung von der Beklagten bezogen hat, mithin Betriebsrentner war, besteht das für die Anwendbarkeit des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes erforderliche Rechtsverhältnis. 16 b) Nr. II § 10 Abs. 3 der Versorgungszusage verstößt nicht gegen §§ 1, 3 AGG. Die durch die Regelung bewirkte unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters ist gerechtfertigt. 17 aa) Das Landesarbeitsgericht hat insoweit zutreffend angenommen, dass Nr. II § 10 Abs. 3 der Versorgungszusage zu einer unmittelbaren Benachteiligung wegen des Alters iSd. § 3 Abs. 1 AGG führt. 18 (1) Nach § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen der in § 1 AGG genannten Gründe, ua. wegen des Alters, benachteiligt werden. Unzulässig sind unmittelbare und mittelbare Benachteiligungen. Eine unmittelbare Benachteiligung ist nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG gegeben, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation. Nach § 3 Abs. 2 AGG liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. 19 (2) Die Altersabstandsklausel in Nr. II § 10 Abs. 3 der Versorgungszusage benachteiligt die von der Regelung erfassten Arbeitnehmer unmittelbar wegen ihres Alters (vgl. BAG 20. Februar 2018 – 3 AZR 43/17 – Rn. 19 mwN zum Streitstand). Die Regelung, die an den Altersabstand zwischen dem Versorgungsberechtigten und seinem Ehepartner und damit an ein Kriterium anknüpft, das in untrennbarem Zusammenhang mit dem in § 1 AGG genannten Merkmal „Alter“ steht, hat zwangsläufig zur Folge, dass nur Arbeitnehmer ab einem bestimmten Alter von Nr. II § 10 Abs. 3 der Versorgungszusage nachteilig betroffen sein können. Nach dieser Regelung, nach der Witwenrenten um 5 vH für jedes weitere volle Jahr Altersabstand gekürzt werden, wenn die Ehefrauen mehr als zehn Jahre jünger sind als der versorgungsberechtigte Arbeitnehmer, tritt eine solche Kürzung erstmals bei einem Altersunterschied von elf Jahren ein. Die durch diese Klausel bewirkte Kürzung kann – ausgehend von einem Ehemündigkeitsalter von 18 Jahren nach § 1303 Satz 1 iVm. § 2 BGB – regelmäßig nur solche Arbeitnehmer erfassen, die bei Eheschließung das 29. Lebensjahr vollendet haben. Unerheblich ist, dass nicht alle (verheirateten) Arbeitnehmer dieser Altersgruppe von der Regelung nachteilig betroffen sind, sondern nur solche, deren Ehepartner um mehr als zehn Jahre jünger ist. Eine unmittelbare Benachteiligung dieser Altersgruppe entfällt nicht deshalb, weil nur ein Teil der Merkmalsträger hiervon betroffen wird. Die unmittelbare Anknüpfung einer Regelung an ein Merkmal iSd. § 1 AGG wird durch die Einschränkung des Kreises der nachteilig Betroffenen nicht beseitigt (vgl. BAG 20. Februar 2018 – 3 AZR 43/17 – Rn. 19). 20 bb) Ob Nr. II § 10 Abs. 3 der Versorgungszusage darüber hinaus auch zu einer mittelbaren Benachteiligung von Männern und damit wegen des Geschlechts nach §§ 1, 3 Abs. 2 AGG führt, hat der Senat nicht zu prüfen. Die Klägerin hat keinen Sachvortrag dazu gehalten, dass bei der Beklagten typischerweise erheblich mehr Männer jüngere Frauen geheiratet haben und damit von der Klausel nachteilig betroffen waren. 21 cc) Die durch die Altersabstandsklausel in Nr. II § 10 Abs. 3 der Versorgungszusage bewirkte Benachteiligung wegen des Alters ist nach § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG sachlich gerechtfertigt. 22 (1) Nach § 10 Satz 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen nach § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sein. § 10 Satz 3 AGG enthält eine Aufzählung von Tatbeständen, wonach derartige unterschiedliche Behandlungen insbesondere gerechtfertigt sein können. Nach § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG ist dies der Fall bei der Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität einschließlich der Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen im Rahmen dieser Systeme für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen von Beschäftigten und die Verwendung von Alterskriterien im Rahmen dieser Systeme für versicherungsmathematische Berechnungen. Indem der Gesetzgeber den in Nr. 4 geregelten Tatbestand in die Rechtfertigungsgründe des § 10 Satz 3 AGG eingeordnet hat, hat er zum Ausdruck gebracht, dass die Festsetzung von Altersgrenzen für den Anspruch auf Leistungen aus den dort aufgeführten betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit grundsätzlich objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel iSv. § 10 Satz 1 AGG gerechtfertigt ist. Da eine solche Altersgrenze in der jeweiligen Versorgungsregelung festzusetzen ist, muss die konkret gewählte Altersgrenze allerdings iSv. § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sein (st. Rspr. vgl. etwa BAG 20. Februar 2018 – 3 AZR 43/17 – Rn. 22 mwN). Soweit die Voraussetzungen von § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG erfüllt sind, ist eine unterschiedliche Behandlung danach zwar grundsätzlich, aber nicht immer zulässig (BAG 26. September 2017 – 3 AZR 72/16 – Rn. 38, BAGE 160, 255). 23 (2) § 10 AGG dient der Umsetzung von Art. 6 Richtlinie 2000/78/EG in das nationale Recht. Die Bestimmung ist mit Unionsrecht vereinbar (vgl. bereits BAG 18. März 2014 – 3 AZR 69/12 – Rn. 22 ff. mwN, BAGE 147, 279). Dies gilt nach Art. 8 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG auch, soweit die Anforderungen an die Zulässigkeit von Altersgrenzen iSd. § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG über das nach Unionsrecht Erforderliche hinausgehen (vgl. dazu ausführlich BAG 26. September 2017 – 3 AZR 72/16 – Rn. 40 ff., BAGE 160, 255). 24 (3) Es kann dahinstehen, ob es sich bei der Altersabstandsklausel in Nr. II § 10 Abs. 3 der Versorgungszusage um eine Altersgrenze iSd. § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG handelt. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin annähme, dass der Tatbestand des § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG im Streitfall nicht erfüllt wäre, wäre die durch die Regelung bewirkte unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters nach § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG gerechtfertigt. 25 (a) Mit der Kürzungsregelung in Nr. II § 10 Abs. 3 der Versorgungszusage werden legitime Ziele iSd. § 10 Satz 1 AGG verfolgt. 26 (aa) Legitime Ziele iSv. § 10 Satz 1 AGG sind wegen der in Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG genannten Beispielsfälle sozialpolitische Ziele wie solche aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung (vgl. EuGH 13. September 2011 – C-447/09 – [Prigge] Rn. 81 mwN; vgl. auch BVerfG 24. Oktober 2011 – 1 BvR 1103/11 – Rn. 15). Auch Ziele im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik, die ein Arbeitgeber mit einer im Arbeitsvertrag vorgesehenen betrieblichen Altersversorgung anstrebt, können legitime Ziele im Sinne der unionsrechtlichen Vorgaben sein (vgl. EuGH 26. September 2013 – C-476/11 – [HK Danmark] Rn. 60 ff.). Dementsprechend sind Ziele, die im Rahmen von Anliegen der Beschäftigungspolitik und des Sozialschutzes einen Ausgleich zwischen verschiedenen beteiligten Interessen schaffen sollen, um damit der Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung zu dienen, als legitim iSv. § 10 Satz 1 AGG anzusehen. Dazu gehört auch, den unternehmerischen Belangen einer begrenz- und kalkulierbaren Belastung Rechnung zu tragen (vgl. EuGH 13. Juli 2017 – C-354/16 – [Kleinsteuber] Rn. 62 ff.). Indem § 10 AGG erlaubt, in Versorgungsordnungen die Leistungspflichten des Versorgungsschuldners zu begrenzen und damit für diesen eine verlässliche und überschaubare Kalkulationsgrundlage zu schaffen, verfolgt die gesetzliche Bestimmung das Ziel, die betriebliche Altersversorgung zu verbreiten. Es hält sich demnach im Rahmen dieses legitimen Ziels, wenn in einer Versorgungsordnung von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird (BAG 20. Februar 2018 – 3 AZR 43/17 – Rn. 26 mwN; 26. September 2017 – 3 AZR 72/16 – Rn. 49, BAGE 160, 255). 27 (bb) Das mit einer Regelung verfolgte Ziel muss dabei nicht ausdrücklich benannt werden. Auch aus dem allgemeinen Kontext der Regelung können sich Anhaltspunkte ergeben, die es ermöglichen, den Zweck der Regelung festzustellen und dadurch Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Bestimmung zu überprüfen (vgl. BAG 20. Februar 2018 – 3 AZR 43/17 – Rn. 27; 26. September 2017 – 3 AZR 72/16 – Rn. 50 mwN, BAGE 160, 255). 28 (cc) Danach ist die in Nr. II § 10 Abs. 3 der Versorgungszusage geregelte Kürzung der Witwenrenten von Ehefrauen für jedes weitere volle Jahr, das sie mehr als zehn Jahre jünger als der versorgungsberechtigte Arbeitnehmer sind, durch ein legitimes Ziel gedeckt. Die Kürzung begrenzt die mit der Gewährung einer Hinterbliebenenversorgung verbundenen finanziellen Risiken. Damit dient die Regelung dem Interesse des Arbeitgebers an einer überschaubaren und kalkulierbaren Versorgungslast. Gerade bei der Hinterbliebenenversorgung hat der Arbeitgeber ein anerkennenswertes Interesse an einer solchen Begrenzung, da ein derartiges Leistungsversprechen zusätzliche Unwägbarkeiten und Risiken nicht nur in Bezug auf den Zeitpunkt des Leistungsfalls, sondern auch hinsichtlich der Dauer der Leistungserbringung mit sich bringt. 29 (b) Die Kürzungsvorschrift in Nr. II § 10 Abs. 3 der Versorgungszusage ist auch angemessen und erforderlich iSv. § 10 Satz 2 AGG. 30 (aa) Eine Regelung, die eine Benachteiligung wegen des Alters bewirkt, ist nach § 10 Satz 2 AGG grundsätzlich angemessen, wenn sie erlaubt, das mit ihr verfolgte Ziel iSv. § 10 Satz 1 AGG zu erreichen, ohne zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen derjenigen Arbeitnehmer zu führen, die aufgrund der Klausel benachteiligt werden (vgl. EuGH 26. Februar 2015 – C-515/13 – [Ingeniørforeningen i Danmark] Rn. 25). Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch die Hinterbliebenenversorgung nicht nur Versorgungs-, sondern auch Entgeltcharakter hat. Die Regelung ist erforderlich iSd. § 10 Satz 2 AGG, wenn sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des angestrebten Ziels notwendig ist (vgl. EuGH 26. September 2013 – C-546/11 – [Dansk Jurist – og Økonomforbund] Rn. 59). 31 (bb) Gemessen daran ist die vorliegend streitbefangene Regelung angemessen. 32 (aaa) Nr. II § 10 Abs. 3 der Versorgungszusage ist durch die Kürzung der Witwenrente von Hinterbliebenen, die mehr als zehn Jahre jünger als der Versorgungsberechtigte sind, geeignet, das mit der Bestimmung verfolgte Ziel einer Risikobegrenzung zu erreichen. Die Regelung führt auch nicht zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der berechtigten Interessen derjenigen Arbeitnehmer, die aufgrund der Klausel benachteiligt werden. Zwar haben verheiratete Arbeitnehmer – unabhängig vom Alter ihres Ehegatten – regelmäßig ein Interesse an einer umfänglichen Versorgung ihrer Hinterbliebenen. Auch handelt es sich bei der Hinterbliebenenversorgung um Entgelt, das die versorgungsberechtigten Arbeitnehmer als Gegenleistung für ihre im Arbeitsverhältnis erbrachte Betriebszugehörigkeit erhalten. Jedenfalls bei einem Altersabstand von mehr als zehn Jahren ist der – die Ehe prägende – gemeinsame Lebenszuschnitt der Ehepartner von vornherein darauf angelegt, dass der Hinterbliebene einen Teil seines Lebens ohne den Versorgungsberechtigten verbringt. Einem hohen Altersabstand innerhalb einer Ehe ist es typischerweise immanent, dass der jüngere Ehepartner einen größeren Zeitabschnitt seines Lebens ohne die an die Einkommenssituation des versorgungsberechtigten Arbeitnehmers gekoppelten Versorgungsmöglichkeiten erleben wird. 33 Die Regelung in Nr. II § 10 Abs. 3 der Versorgungszusage knüpft zudem hinreichend an die für eine solche Situation maßgeblichen demographischen Kriterien an. Bei mehr als 80 vH aller Ehepaare beträgt der Altersabstand weniger als sieben Jahre und nur 5,9 vH aller Ehepaare weisen einen Altersabstand von elf und mehr Jahren auf (vgl. Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, Haushalte und Familien, Ergebnisse des Mikrozensus 2017 S. 82). Bei einem Altersabstand von mehr als zehn Jahren zwischen dem versorgungsberechtigten Arbeitnehmer und seiner Ehefrau liegt daher ein die Kürzung der Hinterbliebenenversorgung um 5 vH für jedes weitere volle Jahr Altersabstand tragender Unterschied zum typischen „Normalfall“ vor. Die Bestimmung in Nr. II § 10 Abs. 3 der Versorgungszusage führt folglich nur für solche Ehefrauen zu einer Kürzung der Witwenrente, deren Altersunterschied zum Ehepartner den üblichen Abstand deutlich übersteigt. 34 Es ist daher angemessen, wenn ein Arbeitgeber dieses bereits strukturell im Lebenszuschnitt des Arbeitnehmers angelegte Risiko durch die Zusage einer Hinterbliebenenversorgung nicht vollständig übernimmt. Dies gilt erst recht, wenn – wie in Nr. II § 10 Abs. 3 der Versorgungszusage bestimmt – ein Altersabstand von mehr als zehn Jahren lediglich eine maßvolle schrittweise Kürzung von 5 vH der Ausgangsrente für jedes weitere volle Jahr Altersabstand bewirkt. Auch bei sehr großen Altersunterschieden wird noch eine Witwenrente gewährt und erst bei einem Altersabstand von mehr als 30 Jahren erfolgt der vollständige Ausschluss. 35 (bbb) Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts enthält § 20 Abs. 2 BeamtVG keine allgemeine gesetzgeberische Wertung zur Zulässigkeit von Altersabstandsklauseln. Es handelt sich um eine Vorschrift, die auf die Beamtenversorgung zugeschnitten ist und die dem Alimentationsprinzip Rechnung tragen muss. 36 Die in § 16 der Versorgungszusage enthaltene Regelung zur Anpassung der gezahlten Betriebsrenten entsprechend der Entwicklung der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge eines Beamten des Freistaates Bayern der Besoldungsgruppe A 16 nach dem Bayerischen Besoldungsgesetz rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Versorgungszusage gewährt keine dem Beamtenversorgungsrecht entsprechende Versorgung. Vielmehr regelt sie eine eigenständige, von den Bestimmungen des Beamtenversorgungsgesetzes gänzlich unterschiedliche Versorgung, die sich nur bezüglich der Anpassung der laufenden Renten an der Erhöhung der Besoldung bayerischer Beamter einer bestimmten Besoldungsgruppe orientiert (vgl. BAG 17. September 2013 – 3 AZR 300/11 – Rn. 29 mwN). 37 (cc) Die durch Nr. II § 10 Abs. 3 der Versorgungszusage bewirkte Kürzung der Witwenrente ist auch erforderlich iSv. § 10 Satz 2 AGG. Die durch die Vorschrift bedingte Begrenzung lässt sich mit gleicher Wirksamkeit nicht durch ein anderes, milderes Mittel erreichen. Auch die Bildung bilanzieller Rückstellungen stellt – entgegen der vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Auffassung – kein milderes Mittel dar. Die Bildung von Rückstellungen verringert nicht die künftige Versorgungslast des Arbeitgebers, sondern bildet diese lediglich in der Bilanz als künftige Belastungen ab. 38 2. Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen steht der Anwendung der Altersabstandsklausel ebenfalls nicht entgegen. 39 a) Die Altersabstandsklausel in Nr. II § 10 Abs. 3 der Versorgungszusage ist nicht deshalb unwirksam, weil sie die Arbeitnehmer der Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligt. Zwar dürfte es sich bei den Bestimmungen der Versorgungszusage um Allgemeine Geschäftsbedingungen iSd. § 305 Abs. 1 BGB, jedenfalls aber um Einmalbedingungen iSv. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB handeln. Soweit die Klausel in Nr. II § 10 Abs. 3 der Versorgungszusage jedoch zu einer Benachteiligung der rechtlich anerkannten Interessen der Versorgungsberechtigten führt, ist dies durch das begründete und billigenswerte Interesse der Versorgungsschuldner an einer Begrenzung der Hinterbliebenenversorgung gerechtfertigt (vgl. allgemein zur unangemessenen Benachteiligung BAG 21. Februar 2017 – 3 AZR 297/15 – Rn. 35 mwN, BAGE 158, 154). Insoweit gilt im Streitfall für die Prüfung nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nichts Weitergehendes als für die Prüfung nach § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG. 40 b) Die Klausel in Nr. II § 10 Abs. 3 der Versorgungszusage ist – soweit man zugunsten der Klägerin davon ausgeht, dass es sich bei der Versorgungszusage um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt – auch nicht überraschend iSv. § 305c Abs. 1 BGB und deshalb Bestandteil der Versorgungszusage geworden. Altersabstandsklauseln sind im Zusammenhang mit Versorgungszusagen für Hinterbliebene ein verbreitetes Gestaltungsinstrument. Mit der Aufnahme einer solchen Regelung in einen Formularvertrag muss der Versorgungsberechtigte rechnen. Die Klausel ist auch nicht an einer unvorhersehbaren Stelle im Text eingefügt. Sie ist vielmehr in der mit „Höhe der Hinterbliebenenrenten“ überschriebenen Passage der Versorgungszusage geregelt und nicht in einen ungegliederten Fließtext integriert, sondern durch einen Absatz vom übrigen Text getrennt. Daher ist sie drucktechnisch auch ausreichend hervorgehoben. 41 3. Ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht geboten. Der vorliegende Fall wirft keine entscheidungserheblichen Fragen des Unionsrechts auf. Ob eine Diskriminierung wegen des Alters iSd. Art. 6 RL 2000/78/EG sachlich gerechtfertigt ist, haben die nationalen Gerichte zu prüfen (vgl. EuGH 5. März 2009 – C-388/07 – [Age Concern England] Rn. 47). 42 II. Die Klage ist gleichwohl in Höhe eines Betrags von 1.051,29 Euro für den Monat Dezember 2014 begründet. Die von den Beklagten mit Überzahlungen aus den Monaten August bis November 2014 iHv. insgesamt 1.054,76 Euro erklärte Aufrechnung gegen die Witwenrente für den Monat Dezember 2014 verstößt iHv. 1.051,29 Euro gegen das Aufrechnungsverbot des § 394 Satz 1 BGB iVm. § 850c ZPO. 43 1. Die Klägerin hat aus der Versorgungszusage einen Anspruch auf Zahlung einer Witwenrente für den Monat Dezember 2014 iHv. 1.054,76 Euro. Die nach der Versorgungszusage eigentlich zustehende Witwenrente iHv. 1.318,45 Euro monatlich ist aufgrund der wirksamen Klausel in Nr. II § 10 Abs. 3 der Versorgungszusage um insgesamt 20 vH (5 vH für jedes volle, zehn Jahre übersteigende Jahr Altersabstand zwischen der Klägerin und ihrem verstorbenen Ehemann) und damit um 263,69 Euro (1.318,45 Euro x 20 vH) auf 1.054,76 Euro (1.318,45 Euro – 263,69 Euro) zu kürzen. 44 2. Die mit Schreiben vom 22. Dezember 2014 erklärte Aufrechnung der Beklagten hat den Anspruch der Klägerin auf Witwenrente für den Monat Dezember 2014 jedoch nur iHv. 3,47 Euro erfüllt und damit zum Erlöschen gebracht (§ 389 BGB). Die Aufrechnung verstößt im Übrigen in Höhe eines Betrags von 1.051,29 Euro gegen das Aufrechnungsverbot in § 394 Satz 1 BGB. 45 a) § 394 Satz 1 BGB schließt eine Aufrechnung gegen eine Forderung aus, soweit diese nicht der Pfändung unterworfen ist. Bei Arbeitseinkommen, zu dem nach § 850 Abs. 2 ZPO auch Betriebsrenten einschließlich Hinterbliebenenrenten zählen (vgl. BAG 18. März 1997 – 3 AZR 756/95 – zu III 2 a der Gründe, BAGE 85, 274; BGH 18. September 2014 – IX ZB 68/13 – Rn. 9 f.), bestimmt sich der pfändbare Teil gemäß § 850 Abs. 1 ZPO nach Maßgabe der §§ 850a bis 850i ZPO. Zur Sicherung des Existenzminimums des Arbeitnehmers und seiner unterhaltsberechtigten Familienangehörigen regelt § 850c Abs. 1 ZPO einen unpfändbaren Grundbetrag. Dieser ist entsprechend den Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers gestaffelt und nach oben begrenzt. Für den Teil des Arbeitseinkommens, der diesen Grundbetrag übersteigt, gelten die weiteren Pfändungsbeschränkungen des § 850c Abs. 2 ZPO (BAG 22. September 2015 – 9 AZR 143/14 – Rn. 10 mwN). Bezieht ein Pfändungsschuldner mehrere Einkommen, ist bei der Berechnung pfändbarer Anteile grundsätzlich jedes Einkommen zunächst getrennt zu betrachten. Das setzt § 850e ZPO voraus, der Bestimmungen über die Zusammenrechnung von Einkommen in besonderen Fällen enthält. 46 b) Eine Ausnahme ist in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts anerkannt, wenn verschiedene grundsätzlich nach § 850e Nr. 2 und Nr. 2a ZPO aufgrund eines Beschlusses des Vollstreckungsgerichts zusammenrechenbare Leistungen, zu denen Arbeitseinkommen und gesetzliche Renten gehören, eine Zweckgemeinschaft bilden (vgl. zur Abtretung BAG 24. April 2002 – 10 AZR 42/01 – zu II B 3 d der Gründe, BAGE 101, 130). Dann kann der Arbeitgeber bei der Berechnung des nicht der Aufrechnung unterliegenden Pfändungsfreibetrages die verschiedenen Einkommen auch ohne Beschluss des Vollstreckungsgerichts zusammenrechnen. Das erfordert eine so enge Verknüpfung, dass ihr rechtlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang es gebietet, sie als Einheit anzusehen. Das setzt mindestens voraus, dass sich aus der Gestaltung der Leistungspflicht ergibt, dass der Arbeitgeber Kenntnis von der Höhe des anderweitigen Bezugs hat (vgl. BAG 30. Juli 1992 – 6 AZR 169/91 – zu I 4 b der Gründe). In der betrieblichen Altersversorgung liegt eine derartige Zweckgemeinschaft vor, wenn sich mehrere Versorgungsbezüge zu einer Gesamtversorgung ergänzen (BAG 14. August 1990 – 3 AZR 285/89 – zu IV 2 a bb der Gründe) und kommt in Betracht, wenn sonstige Möglichkeiten der Verrechnung vorgesehen sind. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. 47 c) Weitergehende Möglichkeiten der Zusammenrechnung verschiedener Einkommen ohne einen – im Streitfall nicht vorliegenden – Zusammenrechnungsbeschluss des Vollstreckungsgerichts bestehen nicht. 48 aa) Nach § 850e Nr. 2a Satz 1 ZPO sind mit Arbeitseinkommen auf Antrag auch Ansprüche auf laufende Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch zusammenzurechnen, soweit diese der Pfändung unterworfen sind. Dazu gehören auch gesetzliche Rentenansprüche (vgl. BGH 18. September 2014 – IX ZB 68/13 – Rn. 12). Der unpfändbare Grundbetrag ist, soweit die Pfändung nicht wegen gesetzlicher Unterhaltsansprüche erfolgt, in erster Linie den laufenden Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch zu entnehmen, § 850e Nr. 2a Satz 2 ZPO (BAG 23. Februar 2016 – 9 AZR 226/15 – Rn. 22). Für einen solchen Beschluss nach § 850e ZPO sind nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nur die Vollstreckungsgerichte zuständig (BAG 24. April 2002 – 10 AZR 42/01 – zu II B 3 der Gründe, BAGE 101, 130). 49 bb) Dagegen lässt sich eine Zusammenrechnung nicht durch bloße Aufrechnung herbeiführen. Auch im Rahmen einer Klage vor dem Arbeitsgericht als Prozessgericht kann die Wirkung eines Zusammenrechnungsbeschlusses nicht in analoger Anwendung des § 850e ZPO herbeigeführt werden (vgl. ausführlich BAG 24. April 2002 – 10 AZR 42/01 – zu II B 3 b und c der Gründe, BAGE 101, 130). 50 (1) Der Gesetzgeber hat in den §§ 850 ff. ZPO den Pfändungsschutz von Arbeitseinkommen im Einzelnen geregelt, insbesondere welche Einkünfte der Pfändung unterliegen und welche Beträge einem Pfändungsschuldner als Eigenbehalt bzw. zur Erfüllung seiner Unterhaltspflichten belassen werden müssen. In Einzelfällen lässt das Gesetz zu, dass grundsätzlich unpfändbare Einkünfte pfändbar werden, Unterhaltsverpflichtungen unberücksichtigt bleiben oder Freibeträge aufgrund besonderer Umstände erhöht werden (§ 850b Abs. 2, § 850c Abs. 4, §§ 850e, 850f ZPO). Diese Ausnahmeregelungen bedürfen aber ausdrücklich einer rechtsgestaltenden gerichtlichen Anordnung durch die Vollstreckungsgerichte. Dies gilt auch für die Berücksichtigung mehrerer Einkünfte des Schuldners. Dies dient dem Schutz des Arbeitgebers, der als Drittschuldner in der Regel ebenso wenig wie der Pfändungsgläubiger die verschiedenen Einkünfte des Arbeitnehmers, deren genauen Umfang und Zusammensetzung sowie deren unpfändbare Anteile sicher kennt (vgl. etwa Stein/Jonas/Würdinger 23. Aufl. § 850e Rn. 20). Ohne diese Kenntnisse läuft der Drittschuldner Gefahr, bei der Berechnung des pfändbaren Anteils zusammengerechneter Einkünfte die zum Schutz des Pfändungsschuldners erlassenen Pfändungsvorschriften zu verletzen und möglicherweise nicht mit befreiender Wirkung zu leisten (§ 362 BGB). 51 (2) Dieselbe Interessenlage besteht, wenn bei einer Aufrechnung durch den Arbeitgeber bzw. Versorgungsschuldner, dieser den pfändbaren Anteil des Arbeitsentgelts oder der Versorgungsbezüge seines Arbeitnehmers oder Versorgungsgläubigers zu bestimmen hat. Nach § 394 Satz 1 BGB kann gegen Forderungen nicht aufgerechnet werden, soweit sie der Pfändung nicht unterworfen sind. Mit dem Aufrechnungsverbot soll der Arbeitnehmer und der Versorgungsempfänger davor geschützt werden, dass er durch eine Aufrechnung die für seinen Lebensunterhalt erforderlichen Mittel verliert. Ihm sollen unter allen Umständen die für unpfändbar erklärten Forderungen verbleiben, damit ihm die Lebensgrundlage nicht gänzlich entzogen wird (vgl. zum Abtretungsverbot nach § 400 BGB BGH 10. Februar 1994 – IX ZR 55/93 – zu II 2 c der Gründe, BGHZ 125, 116). Die Vorschrift dient auch dem Schutz Dritter, denen der Schuldner gegenüber unterhaltspflichtig ist oder die ihm gegenüber unterhaltspflichtig werden können, sowie der Entlastung der staatlichen Sozialhilfe (Staudinger/Busche [2017] § 400 Rn. 1). Ebenso wie bei der Pfändungsvollstreckung ist auch der Arbeitgeber im Falle einer Arbeitsentgeltaufrechnung schutzbedürftig. Er muss Gewissheit haben, in welcher Höhe die Forderung durch Aufrechnung erloschen ist und welcher Teil des Arbeitseinkommens der Pfändung unterworfen ist. Denn nur so kann er unnötige gegen sich gerichtete arbeitsgerichtliche Prozesse verhindern (vgl. zur Abtretung BAG 24. April 2002 – 10 AZR 42/01 – zu II B 3 a der Gründe, BAGE 101, 130). 52 d) Danach verstößt die Aufrechnung der Beklagten iHv. 1.051,29 Euro gegen das Aufrechnungsverbot des § 394 Satz 1 BGB. Bei einem Anspruch auf Witwenrente im Monat Dezember 2014 iHv. 1.054,76 Euro waren nach § 850c Abs. 2a Satz 2 ZPO idF der Bekanntmachung zu § 850c der Zivilprozessordnung (Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung 2013) vom 26. März 2013 (BGBl. I S. 710) lediglich 3,47 Euro pfändbar. Folglich hat die Aufrechnung die Forderung der Klägerin nur in dieser Höhe erfüllt. 53 e) Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 2 Nr. 1 BGB. 54 III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1, § 100 Abs. 4 ZPO. Die Beklagten haften nach § 100 Abs. 4 Satz 1 ZPO als Gesamtschuldner, da sie als solche verurteilt werden (vgl. BAG 10. Mai 2016 – 9 AZR 434/15 – Rn. 48).              Zwanziger                  Spinner                 Günther-Gräff                                  Becker                  C. Reiter
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13.12.2018
13.12.2018 68/18 - Kündigung - Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen, die ein Arbeitgeber ohne Anhörung der Schwerbehindertenvertretung ausspricht, ist gem. § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX in der vom 30. Dezember 2016 bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (seit dem 1. Januar 2018: § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX) unwirksam. Der erforderliche Inhalt der Anhörung und die Dauer der Frist für eine Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung richten sich nach den für die Anhörung des Betriebsrats geltenden Grundsätzen (§ 102 BetrVG). Die Kündigung ist nicht allein deshalb unwirksam, weil der Arbeitgeber die Schwerbe-hindertenvertretung entgegen § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX aF (seit dem 1. Januar 2018: § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX) nicht unverzüglich über seine Kündigungsabsicht unterrichtet oder ihr das Festhalten an seinem Kündigungsentschluss nicht unverzüglich mitgeteilt hat. Die Beklagte beantragte im Dezember 2016 die behördliche Zustimmung zu einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellten Klägerin. Das Integrationsamt erteilte die Zustimmung mit Bescheid vom 20. Februar 2017. Mit Schreiben vom 7. bzw. 15. März 2017 hörte die Beklagte den Betriebsrat sowie die Schwerbehindertenvertretung zu ihrer Beendigungsabsicht an und kündigte am 24. März 2017 das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 30. September 2017. Die Vorinstanzen haben der dagegen gerichteten Kündigungsschutzklage stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Kündigung sei nach § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX aF unwirksam, weil die Beklagte die Schwerbehindertenvertretung erst nach Abschluss des Verfahrens vor dem Integrationsamt und nach Anhörung des Betriebsrats beteiligt habe. Der Senat konnte anhand der bisher getroffenen Feststellungen die Wirksamkeit der Kündigung nicht abschließend beurteilen. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13. Dezember 2018 – 2 AZR 378/18 – Vorinstanz: Sächsisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 8. Juni 2018 – 5 Sa 458/17 –
Tenor 1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 8. Juni 2018 – 5 Sa 458/17 – aufgehoben, soweit es die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 17. August 2017 – 8 Ca 1122/17 – zurückgewiesen hat. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Leitsatz Die Unwirksamkeitsfolge des § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX in der vom 30. Dezember 2016 bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (seit dem 1. Januar 2018: § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX) tritt nicht ein, wenn der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Kündigung entsprechend den für die Beteiligung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG geltenden Grundsätzen anhört. Tatbestand 1 Die Parteien streiten vorrangig über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. 2 Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Sie beantragte im Dezember 2016 die behördliche Zustimmung zu einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der seit 1981 bei ihr tätigen, einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellten Klägerin. Nachdem das Integrationsamt mit Bescheid vom 20. Februar 2017 seine Zustimmung erteilt hatte, hörte die Beklagte mit Schreiben vom 7. bzw. 15. März 2017 den Betriebsrat sowie die Schwerbehindertenvertretung zu ihrer Beendigungsabsicht an. Mit Schreiben vom 24. März 2017 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. September 2017. 3 Dagegen hat die Klägerin rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Überdies habe die Beklagte den Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung nicht ordnungsgemäß beteiligt. 4 Die Klägerin hat – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – zuletzt beantragt          festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 24. März 2017 zum 30. September 2017 beendet worden ist. 5 Die Beklagte hat zuletzt beantragt,          1.     die Klage abzuweisen;          2.     hilfsweise für den Fall des Unterliegens das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Abfindung gemäß §§ 9, 10 KSchG aufzulösen. 6 Die Klägerin hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen. 7 Die Beklagte hat gemeint, die Kündigung sei aus Gründen im Verhalten der Klägerin gerechtfertigt. Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung seien korrekt angehört worden. 8 Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben und den Auflösungsantrag abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte den Klageabweisungs-, hilfsweise ihren Auflösungsantrag weiter. Entscheidungsgründe 9 Die Revision hat Erfolg. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht dem Kündigungsschutzantrag der Klägerin nicht stattgeben und den Auflösungsantrag der Beklagten nicht abweisen. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet worden ist, kann der Senat nicht selbst entscheiden. Das führt im Hinblick auf den Kündigungsschutz- und den Auflösungsantrag zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). 10 A. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht dem Kündigungsschutzantrag nicht stattgeben. Seine Annahme, die Kündigung vom 24. März 2017 sei nach § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX in der vom 30. Dezember 2016 bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (aF; seit dem 1. Januar 2018: § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX) unwirksam, hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. 11 I. Gemäß § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX aF ist die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung nach Satz 1 ausspricht, unwirksam. Über § 68 Abs. 1 SGB IX aF (§ 151 Abs. 1 SGB IX nF) findet § 95 Abs. 2 SGB IX aF in gleicher Weise auf schwerbehinderten Menschen gleichgestellte behinderte Menschen – wie die Klägerin – Anwendung. 12 1. Mit Kündigung „eines schwerbehinderten Menschen“ ist diejenige seines Arbeitsvertrags gemeint. Von der Unwirksamkeitsanordnung werden ggf. alle Kündigungen erfasst, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen können (vgl. BT-Drs. 18/10523 S. 67), also sämtliche Beendigungs- und Änderungskündigungen (nicht hingegen Teilkündigungen, dazu BAG 18. Mai 2017 – 2 AZR 721/16 – BAGE 159, 148). Das gilt zum einen auch für Kündigungen in der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG. § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX aF (§ 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IX nF) findet weder direkte noch analoge Anwendung (ganz hM; unentschieden Gundel ZAT 2017, 50, 53 f.). Zum anderen ist nicht erforderlich, dass die Kündigung im Zusammenhang mit der Behinderung steht. Die Auflösung seines Arbeitsverhältnisses „berührt“ den einzelnen schwerbehinderten oder einem solchen gleichgestellten behinderten Menschen stets iSv. § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX aF (§ 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nF), weil damit seine Teilhabe am Arbeitsleben in dem betreffenden Unternehmen beendet wird und die Vermittlungschancen für schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte behinderte Menschen erheblich schlechter stehen (vgl. Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 178 Rn. 36). Deshalb unterfallen zB auch Kündigungen im Zuge einer Massenentlassung aufgrund einer vollständigen Betriebsstilllegung der Unwirksamkeitsdrohung. 13 2. Eine Beendigungs- oder Änderungskündigung ist unwirksam, wenn der Arbeitgeber sie „ohne eine Beteiligung“ der Schwerbehindertenvertretung „nach Satz 1“ ausspricht. 14 a) Mit „Beteiligung nach Satz 1“ sind allein die Unterrichtung und die Anhörung gemäß § 95 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX aF in Bezug genommen. Dagegen greift die Unwirksamkeitsfolge nicht ein, wenn der Arbeitgeber „nur“ die Mitteilungspflicht nach § 95 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 SGB IX aF verletzt (im Ergebnis ebenso Boecken VSSR 2017, 69, 79 f.; Gundel ZAT 2017, 50, 57 f.; ErfK/Rolfs 19. Aufl. SGB IX § 178 Rn. 10; aA Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 178 Rn. 58; Mühlmann NZA 2017, 884, 887; Mushoff in Hauck/Noftz SGB IX Stand Dezember 2018 K § 95 Rn. 40; HaKo/Osnabrügge 6. Aufl. SGB IX § 178 Rn. 31; Schmitt BB 2017, 2293, 2297 f.; wohl auch MHdB ArbR/Zimmermann 4. Aufl. § 198 Rn. 148). Gemäß § 95 Abs. 2 Satz 2 SGB IX aF (§ 178 Abs. 2 Satz 2 SGB IX nF) ist die Durchführung oder Vollziehung einer „ohne Beteiligung nach Satz 1“ getroffenen Entscheidung auszusetzen. Danach umfasst die „Beteiligung nach Satz 1“ – auch iSd. § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX aF – ausschließlich die Schritte, die vor dem Treffen einer Entscheidung liegen. Hierzu rechnet die Mitteilung nicht. Denn mitzuteilen ist gemäß § 95 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 SGB IX aF „die getroffene Entscheidung“. Der Mitteilungsanspruch verbürgt der Schwerbehindertenvertretung für sich genommen keine Mitwirkung an der Willensbildung des Arbeitgebers, sondern soll bloß die Kontrolle ermöglichen, ob die Schwerbehindertenvertretung korrekt beteiligt worden ist. Seiner Verletzung kommt keine Bedeutung zu, wenn die Schwerbehindertenvertretung vor dem Vollzug der betreffenden Entscheidung ordnungsgemäß angehört worden ist. Dementsprechend ist ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht nicht einmal bußgeldbewehrt (vgl. § 156 Abs. 1 Nr. 9 SGB IX aF; § 238 Abs. 1 Nr. 8 SGB IX nF). 15 b) Eine Kündigung ist (nur) unwirksam, wenn der Arbeitgeber sie „ohne“ Beteiligung (Unterrichtung und Anhörung) der Schwerbehindertenvertretung „ausspricht“. Insofern gelten die gleichen Grundsätze wie zur – ebenfalls eine Unterrichtung voraussetzenden – Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG. 16 aa) Die Unwirksamkeitsfolge tritt nicht ein, wenn der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß anhört. 17 (1) Zwar ist die Schwerbehindertenvertretung gemäß § 95 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX aF grds. unverzüglich zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören. Jedoch kann (und muss ggf.) eine verspätete Beteiligung nach § 95 Abs. 2 Satz 2 SGB IX aF nachgeholt werden. Die Nachholungsmöglichkeit besteht kraft Gesetzes. Eines Antrags der Schwerbehindertenvertretung bedarf es – anders als im Fall des § 95 Abs. 4 Satz 2 SGB IX aF (§ 178 Abs. 4 Satz 2 SGB IX nF) – nicht (Hohmann in Wiegand Schwerbehindertenrecht Stand Juni 2017 § 95 Rn. 228; im Ergebnis auch Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 178 Rn. 77; aA Boecken VSSR 2017, 69, 92 f.; Kleinebrink DB 2017, 126, 130; Mushoff in Hauck/Noftz SGB IX Stand Dezember 2018 K § 95 Rn. 40; MHdB ArbR/Zimmermann 4. Aufl. § 198 Rn. 150; wohl auch Pahlen in Neumann/Pahlen/Winkler/Jabben SGB IX 13. Aufl. § 178 Rn. 11a; widersprüchlich Knittel SGB IX 11. Aufl. § 95 Rn. 83 „auf ihr Verlangen“, Rn. 85 „ohne … eines Antrags“). Die im Gesetz vorgesehene Sieben-Tages-Frist ist keine Ausschlussfrist (Düwell aaO; Pahlen aaO; Christians GK-SGB IX Stand Dezember 2018 § 178 Rn. 66). Die Nachholungsmöglichkeit besteht vielmehr, bis die Entscheidung durchgeführt oder vollzogen ist (vgl. BAG 30. April 2014 – 7 ABR 30/12 – Rn. 37, BAGE 148, 97). Erfolgen Unterrichtung und Anhörung vor Durchführung bzw. Vollzug der Entscheidung, liegt – doch noch – eine „Beteiligung nach Satz 1“ vor (vgl. BAG 22. August 2013 – 8 AZR 563/12 – Rn. 58; Schleswig-Holsteinisches OVG 26. September 2018 – 14 MB 1/18 – zu 2 e der Gründe: „Heilung“). Die Nachholungsmöglichkeit geht auf § 22 Abs. 2 Satz 2 SchwbG (in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Schwerbehindertengesetzes vom 24. Juli 1986, BGBl. I S. 1110) zurück. Sie wurde gerade im Hinblick auf personelle Einzelmaßnahmen – wie eine Kündigung – eingeführt (BT-Drs. 10/5701 S. 7 f.). 18 (2) Die Nachholungsmöglichkeit wird im Fall einer beabsichtigten Kündigung nicht durch die „neue“ Unwirksamkeitsanordnung in § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX aF verdrängt (Boecken VSSR 2017, 69, 92 f.; Grimm/Freh ArbRB 2017, 16, 17; Klein NJW 2017, 852, 855; Kleinebrink DB 2017, 126, 130 f.; HaKo/Osnabrügge 6. Aufl. SGB IX § 178 Rn. 32; Schmitt BB 2017, 2293, 2297; Schnelle NZA 2017, 880, 881; MHdB ArbR/Zimmermann 4. Aufl. § 198 Rn. 150; aA Bayreuther NZA 2017, 87, 90 f.; Gundel ZAT 2017, 50, 58; Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 178 Rn. 79; Pahlen in Neumann/Pahlen/Winkler/Jabben SGB IX 13. Aufl. § 178 Rn. 11i; ErfK/Rolfs 19. Aufl. SGB IX § 178 Rn. 9 f.). Gesetzeswortlaut und Gesetzessystematik liefern dafür keinen Anhaltspunkt. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers schließen sich Nachholungsmöglichkeit und Unwirksamkeitsfolge nicht gegenseitig aus. Sie dienen im Gegenteil dem gleichen Zweck. Beide sollen den Beteiligungsanspruch der Schwerbehindertenvertretung sichern. § 95 Abs. 2 Satz 2 SGB IX aF verlangt, dass die Schwerbehindertenvertretung jedenfalls vor Durchführung oder Vollziehung einer Entscheidung unterrichtet und angehört wird. Der Nachholungsanspruch gehört zum Beteiligungsanspruch der Schwerbehindertenvertretung (BT-Drs. 18/10523 S. 67). Er stellt sicher, dass diese auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss nehmen kann und wird seinerseits durch die Unwirksamkeitsandrohung gestärkt: Wenn sogar eine Nachholung unterbleibt, ist die Kündigung unwirksam. Würde der Nachholungsanspruch durch die Unwirksamkeitsfolge verdrängt oder doch faktisch entwertet, weil die Kündigung trotz Nachholung unwirksam „bliebe“, würden die Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung gerade im Zusammenhang mit der drohenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne sachliche Rechtfertigung verkürzt (zutreffend Benkert NJW-Spezial 2017, 370). Dagegen kann nicht eingewandt werden, aufgrund der Unwirksamkeit der – ersten – Kündigung müsse der Arbeitgeber „das Beteiligungsverfahren“ noch einmal „ganz von vorne“ durchlaufen, wenn er erneut kündigen wolle. Zum einen handelte es sich nicht um dasselbe Beteiligungsverfahren, weil es eine „neue“ Kündigungsentscheidung beträfe. Zum anderen wäre eine weitere Kündigung samt einem darauf bezogenen Beteiligungsverfahren entbehrlich, wenn der Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der – ersten und dann einzigen – Kündigung nach § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX aF nicht rechtzeitig iSv. §§ 4, 6 KSchG gerichtlich geltend machte. Die Kündigung, auf deren Ausspruch die Schwerbehindertenvertretung keinen Einfluss nehmen konnte, gölte dann nach § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Schließlich werden die besonderen Vorgaben in § 95 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX aF aufgrund der Nachholungsmöglichkeit gemäß § 95 Abs. 2 Satz 2 SGB IX aF nicht etwa bedeutungslos. Der Arbeitgeber verwirklicht den Bußgeldtatbestand des § 156 Abs. 1 Nr. 9 SGB IX aF, wenn er die Schwerbehindertenvertretung entgegen § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX aF nicht „rechtzeitig“ unterrichtet oder anhört. 19 (3) Die Anhörung muss zur Abwendung der Unwirksamkeit der Kündigung nicht schon erfolgen, bevor der Arbeitgeber den Betriebs- oder Personalrat beteiligt oder das Integrationsamt um Zustimmung zu einer beabsichtigten Kündigung ersucht (vgl. Mühlmann NZA 2017, 884, 886; MHdB ArbR/Zimmermann 4. Aufl. § 198 Rn. 144; Zorn Behindertenrecht 2017, 83, 84 f.; aA zum Antrag auf Erteilung der Zustimmung an das Integrationsamt: Bayreuther NZA 2017, 87, 90; Boecken VSSR 2017, 69, 94 f.; Conze öAT 2018, 27; Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 178 Rn. 60; Esser/Isenhardt in Schlegel/Voelzke jurisPK-SGB IX Stand 22. August 2018 § 178 Rn. 26; Grimm/Freh ArbRB 2017, 16, 17; Hohmann in Wiegand Schwerbehindertenrecht Stand Juni 2017 § 95 Rn. 198; Klein NJW 2017, 852, 854; FKS-SGB IX/Krämer 4. Aufl. § 178 Rn. 31; Lingemann/Steinhauser NJW 2017, 1369, 1371; ErfK/Rolfs 19. Aufl. SGB IX § 178 Rn. 9; Schmitt BB 2017, 2293, 2298). Die Kündigungsentscheidung wird erst durch den Kündigungsausspruch „vollzogen“. Mit der Beteiligung des Betriebs- bzw. Personalrats oder dem Antrag auf Erteilung der Zustimmung an das Integrationsamt nimmt der Arbeitgeber die beabsichtigte Beendigung des Arbeitsverhältnisses weder vorweg noch legt er sie fest (zu bloß der Vorbereitung einer personalvertretungsrechtlichen „Maßnahme“ dienenden Handlungen vgl. BVerwG 17. Mai 2017 – 5 P 2.16 – Rn. 10). 20 bb) Der Arbeitgeber hört die Schwerbehindertenvertretung ordnungsgemäß an, wenn er sie ausreichend unterrichtet und ihr genügend Gelegenheit zur Stellungnahme gibt. 21 (1) Die Unterrichtung muss die Schwerbehindertenvertretung in die Lage versetzen, auf die Willensbildung des Arbeitgebers einzuwirken. Dabei besteht „keine Reduzierung des Unterrichtungsinhalts auf schwerbehindertenspezifische Kündigungsbezüge“ (Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 178 Rn. 62; vgl. auch Boecken VSSR 2017, 69, 75; Conze öAT 2018, 27, 28; Esser/Isenhardt in Schlegel/Voelzke jurisPK-SGB IX Stand 22. August 2018 § 178 Rn. 28 f.; Klein NJW 2017, 852, 854; Kleinebrink DB 2017, 126, 129; FKS-SGB IX/Krämer 4. Aufl. § 178 Rn. 32; Mühlmann NZA 2017, 884, 885; HaKo/Osnabrügge 6. Aufl. SGB IX § 178 Rn. 30; ErfK/Rolfs 19. Aufl. SGB IX § 178 Rn. 9; MHdB ArbR/Zimmermann 4. Aufl. § 198 Rn. 146; aA Bayreuther NZA 2017, 87, 89; Gundel ZAT 2017, 50, 55; Lingemann/Steinhauser NJW 2017, 1369, 1370; Richter ArbR 2017, 84, 86; Schmitt BB 2017, 2293, 2296). Zum einen ist die Schwerbehindertenvertretung mandatiert, die Interessen von schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten behinderten Menschen umfassend zu vertreten (vgl. § 95 Abs. 1 SGB IX aF; § 178 Abs. 1 SGB IX nF). Das schließt es ein, „nicht behinderungsspezifische“ Einwände gegen eine beabsichtigte Kündigung zu erheben. Zum anderen muss die Schwerbehindertenvertretung selbst beurteilen können, ob sie einen Bezug der beabsichtigten Kündigung zur Behinderung des betreffenden Arbeitnehmers für gegeben erachtet. Deshalb bleibt der notwendige Inhalt der Unterrichtung nicht hinter demjenigen für die Anhörung des Betriebsrats zurück. Der Arbeitgeber hat der Schwerbehindertenvertretung „die Gründe für die Kündigung“ iSv. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG mitzuteilen. Er muss den Sachverhalt, den er zum Anlass für die Kündigung nehmen will, so umfassend beschreiben, dass sich diese ohne zusätzliche eigene Nachforschungen ein Bild über die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe machen und beurteilen kann, ob es sinnvoll ist, Bedenken zu erheben. Der Arbeitgeber muss die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dabei darf er Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, der Schwerbehindertenvertretung nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren (zum Grundsatz der subjektiven Determinierung und dessen objektiven Schranken BAG 16. Juli 2015 – 2 AZR 15/15 – Rn. 14 ff., BAGE 152, 118). Neben dem Kündigungssachverhalt sind der Grad der Behinderung des Arbeitnehmers und ggf. die Gleichstellung sowie grds. die weiteren Sozialdaten (Beschäftigungsdauer, Lebensalter, Unterhaltspflichten) mitzuteilen (vgl. Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 178 Rn. 62). Von der Unwirksamkeit einer Kündigung wegen fehlerhafter Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung zu einem Kündigungsgrund ist – entsprechend den Grundsätzen zur Anhörung des Betriebsrats – der Fall zu unterscheiden, dass bestimmte Kündigungsgründe mangels diesbezüglicher Beteiligung der Vertretung im Rechtsstreit nicht berücksichtigt werden können (vgl. BAG 18. Oktober 2006 – 2 AZR 676/05 – Rn. 35). 22 (2) Der Arbeitgeber muss die Schwerbehindertenvertretung nicht nur ausreichend unterrichten, sondern ihr auch genügend Gelegenheit zur Stellungnahme geben (BAG 20. Juni 2018 – 7 ABR 39/16 – Rn. 15; 14. März 2012 – 7 ABR 67/10 – Rn. 21). 23 (a) Hinsichtlich der Stellungnahmefristen enthält das Gesetz seit Einführung der Unwirksamkeitsfolge eine planwidrige Regelungslücke. Sie ist durch eine analoge Anwendung von § 102 Abs. 2 BetrVG zu schließen (Bayreuther NZA 2017, 87, 90; Benkert NJW-Spezial 2017, 370; Boecken VSSR 2017, 69, 76 f.; Grimm/Freh ArbRB 2017, 16, 18; Gundel ZAT 2017, 50, 56; Schmitt BB 2017, 2293, 2297; Schnelle NZA 2017, 880, 882; Zorn Behindertenrecht 2017, 83, 85 f.). Das hat zur Folge, dass die Schwerbehindertenvertretung etwaige Bedenken gegen eine beabsichtigte ordentliche Kündigung spätestens innerhalb einer Woche und solche gegen eine beabsichtigte außerordentliche Kündigung unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen mitzuteilen hat. Einer ausdrücklichen Fristsetzung durch den Arbeitgeber bedarf es nicht (aA Lingemann/Steinhauser NJW 2017, 1369, 1370; Schmitt BB 2017, 2293, 2297; HWK/Thies 8. Aufl. § 178 SGB IX Rn. 5; MHdB ArbR/Zimmermann 4. Aufl. § 198 Rn. 147). Eine entsprechende Anwendung der Fristenregelungen in dem ggf. einschlägigen Personalvertretungsgesetz scheidet aus (aA Conze öAT 2018, 27, 28; Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 178 Rn. 66; ErfK/Rolfs 19. Aufl. SGB IX § 178 Rn. 10; Esser/Isenhardt in Schlegel/Voelzke jurisPK-SGB IX Stand 22. August 2018 § 178 Rn. 31; HaKo/Osnabrügge 6. Aufl. SGB IX § 178 Rn. 31; MHdB ArbR/Zimmermann 4. Aufl. § 198 Rn. 147). Es ist nicht ersichtlich, dass der Bundesgesetzgeber das für private und öffentliche Arbeitgeber unterschiedslos vorgesehene Verfahren zur Anhörung der Schwerbehindertenvertretung insofern verschieden ausgestalten und sogar innerhalb des öffentlichen Dienstes – teils erheblich – unterschiedliche Fristenregime eingreifen lassen wollte. Vor allem ist die Schwerbehindertenvertretung – wie der Betriebsrat – in jedem Fall „lediglich“ anzuhören, während die Personalvertretungsgesetze Kündigungen teils einem Mitwirkungs- oder sogar Mitbestimmungserfordernis unterwerfen. 24 (b) Das Anhörungsverfahren ist beendet, wenn die Frist zur Stellungnahme durch die Schwerbehindertenvertretung abgelaufen ist oder eine das Verfahren abschließende Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung vorliegt (zu den – hohen – Anforderungen an eine solche vgl. für die Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 BetrVG BAG 25. Mai 2016 – 2 AZR 345/15 – Rn. 24 ff., BAGE 155, 181). 25 II. Die danach maßgeblichen Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht nicht genügend beachtet. Es hat verkannt, dass die Beklagte die Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung mit Schreiben vom 15. März 2017 jedenfalls „nachgeholt“ und sie auf dieser Basis noch vor Ausspruch der Kündigung am 24. März 2017 ordnungsgemäß angehört haben könnte. 26 B. Der Senat kann aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen nicht abschließend über den Kündigungsschutzantrag entscheiden. 27 I. Es ist offen, ob die Beklagte die Schwerbehindertenvertretung ordnungsgemäß beteiligt hat. 28 1. Der Senat kann zum einen nicht selbst beurteilen, ob die Beklagte die Vertretung korrekt unterrichtet hat. Die Beklagte hat dazu zwar schlüssig vorgetragen. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch keine Feststellungen zu den diesbezüglichen Einwänden der Klägerin getroffen. 29 2. Der Senat kann zum anderen nicht selbst entscheiden, ob die Beklagte die Kündigung erst nach Abschluss des Anhörungsverfahrens ausgesprochen hat. Das Landesarbeitsgericht hat nicht festgestellt, wann der Schwerbehindertenvertretung das Schreiben vom 15. März 2017 zugegangen ist. Auch hat es nicht geprüft, ob die Schwerbehindertenvertretung mit ihrem Schreiben vom 21. März 2017 abschließend zu der Angelegenheit Stellung genommen hat. 30 3. Ergänzende Feststellungen zu diesen Punkten sind nicht deshalb entbehrlich, weil die Unwirksamkeit der Kündigung vom 24. März 2017 mangels ordnungsgemäßer Anhörung der Schwerbehindertenvertretung eine unzulässige Rückwirkung darstellte. Die Beklagte war schon nach der Anfang Dezember 2016 geltenden Gesetzeslage verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung vor einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin zu unterrichten und anzuhören. Überdies hatte es die Beklagte auch nach Inkrafttreten von § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX aF am 30. Dezember 2016 weiter in der Hand, die Schwerbehindertenvertretung ausreichend zu beteiligen. 31 II. Der Betriebsrat könnte ordnungsgemäß angehört worden sein. Insofern kommt es ebenfalls nicht darauf an, wann die Beklagte die Schwerbehindertenvertretung iSv. § 95 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX aF über ihre Kündigungsabsicht zu unterrichten hatte. Die Beklagte musste die Schwerbehindertenvertretung auch nicht zu ihrer Absicht anhören, das Verfahren nach § 102 BetrVG einzuleiten. Die – rechtzeitige – Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ist nicht Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats. Vielmehr bestehen beide Verfahren gleichrangig nebeneinander (vgl. BT-Drs. 18/10523 S. 67). 32 III. Die Beklagte hat die Kündigung mit Zustimmung des Integrationsamts erklärt, § 85 SGB IX aF (§ 168 SGB IX nF). Widerspruch und Anfechtungsklage vor den Verwaltungsgerichten haben nach § 88 Abs. 4 SGB IX aF (§ 171 Abs. 4 SGB IX nF) keine aufschiebende Wirkung. Die Gerichte für Arbeitssachen sind nicht befugt, selbst zu entscheiden, ob die Zustimmung zu Recht erteilt worden ist (BAG 23. Mai 2013 – 2 AZR 991/11 – Rn. 20, BAGE 145, 199). 33 IV. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, ob die Beklagte die Kündigung in der Monatsfrist des § 88 Abs. 3 SGB IX aF (§ 171 Abs. 3 SGB IX nF) ausgesprochen hat. 34 V. Die Kündigung könnte aus Gründen im Verhalten der Klägerin sozial gerechtfertigt sein, § 1 Abs. 2 KSchG. Insofern hätte die Beklagte ggf. darzulegen, dass durch ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX aF (§ 167 Abs. 1 SGB IX nF) die Kündigung nicht hätte vermieden werden können. In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob die Entscheidung des Senats vom 7. Dezember 2006 (- 2 AZR 182/06 – Rn. 28, BAGE 120, 293) so zu verstehen ist, dass dem Arbeitgeber eine Vortragserleichterung allein aufgrund der Tatsache zukommt, dass das Integrationsamt der Kündigung zugestimmt hat (zur Zustimmung des Integrationsamts gemäß § 91 Abs. 4 SGB IX aF zu einer außerordentlichen Kündigung vgl. BAG 25. Januar 2018 – 2 AZR 382/17 – Rn. 54). Denn jedenfalls spräche alles für die Annahme, ein Präventionsverfahren hätte die Kündigung nicht verhindern helfen können, wenn das Landesarbeitsgericht weder eine Abmahnung noch eine Um- oder Versetzung als mildere Mittel ansehen sollte (vgl. insoweit auch BAG 7. Dezember 2006 – 2 AZR 182/06 – Rn. 31, aaO). Andernfalls stellte sich die Kündigung ungeachtet der Durchführung eines Präventionsverfahrens als unverhältnismäßig dar. 35 C. Das angefochtene Urteil unterliegt auch hinsichtlich des Auflösungsantrags der Aufhebung. Die Beklagte hat ihn als echten Hilfsantrag für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag, die Kündigungsschutzklage abzuweisen, gestellt. Sollte der Auflösungsantrag im fortgesetzten Berufungsverfahren zur Entscheidung anfallen, wird ihn das Landesarbeitsgericht erneut als „unstatthaft“ abweisen, wenn sich die Kündigung – auch – als nach § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX aF unwirksam erweisen sollte. Die Vorschrift rechnet zu den sonstigen, zumindest auch den Arbeitnehmer schützenden Unwirksamkeitsgründen, die einen arbeitgeberseitigen Auflösungsantrag „sperren“ (dazu BAG 24. November 2011 – 2 AZR 429/10 – Rn. 19, BAGE 140, 47; 27. September 2001 – 2 AZR 389/00 – zu II 1 der Gründe). Sollte die Kündigung sich lediglich als sozialwidrig darstellen, wird das Berufungsgericht prüfen müssen, ob Gründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht erwarten lassen.              Rachor                  Schlünder                  Niemann                                    Krüger                  Jan Koltze
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19.12.2018
19.12.2018 69/18 - Altersgrenze - Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts Die Regelung in § 41 Satz 3 SGB VI, die es den Arbeitsvertragsparteien ermöglicht, im Falle der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen der Regelaltersgrenze den Beendigungszeitpunkt durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses hinauszuschieben, ist wirksam. Sie ist mit höherrangigem Recht vereinbar. Es konnte unentschieden bleiben, ob eine Hinausschiebens-vereinbarung voraussetzt, dass nur der Beendigungszeitpunkt des Arbeits-verhältnisses unter Beibehaltung der übrigen Vertragsbedingungen geändert wird. Der im Juli 1949 geborene Kläger war bei dem beklagten Land als Lehrer an einer berufsbildenden Schule mit einem Unterrichtsdeputat von 23 Wochenstunden beschäftigt. Nach der arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Regelung in § 44 Nr. 4 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) endete das Arbeitsverhältnis wegen Erreichens der Regelaltersgrenze am 31. Januar 2015. Am 20. Januar 2015 vereinbarten die Parteien, dass das Arbeitsverhältnis erst mit Ablauf des 31. Juli 2015 endet. Mit Schreiben vom 3. Februar 2015 ordnete die Schulleiterin zunächst an, dass der Kläger in der Zeit vom 1. Februar bis zum 31. Juli 2015 jederzeit widerruflich über seine vertraglich festgelegte Regel-stundenzahl hinaus weitere 4 Wochenstunden Unterricht zu erteilen hatte. Mit Schreiben vom 4. März 2015 wurde sodann die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit des Klägers mit Wirkung vom 1. Februar 2015 auf 25,5 Wochenstunden erhöht. Der Kläger hat mit der vorliegenden Klage die Feststellung begehrt, dass sein Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der vereinbarten Befristung am 31. Juli 2015 geendet hat. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte vor dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Befristung des Arbeitsvertrags ist wirksam. Die Regelung in § 41 Satz 3 SGB VI genügt den verfassungsrechtlichen Vorgaben und ist nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 28. Februar 2018 (- C-46/17 – [John]) mit Unionsrecht vereinbar. Die Befristung zum 31. Juli 2015 ist nach § 41 Satz 3 SGB VI gerecht-fertigt. Es kam nicht darauf an, ob eine Hinausschiebensvereinbarung voraussetzt, dass nur der Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses unter Beibehaltung der übrigen Vertragsbedingungen geändert wird. In der Vereinbarung vom 20. Januar 2015 wurde nur der Beendigungszeitpunkt hinausgeschoben. Die vertragliche Abrede über die Arbeitszeiterhöhung wurde erst sechs Wochen später und damit nicht im Zusammenhang mit der Vereinbarung über das Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts getroffen. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Dezember 2018 – 7 AZR 70/17 – Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 29. November 2016 – 10 Sa 218/16 –
Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 29. November 2016 – 10 Sa 218/16 – wird zurückgewiesen. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen. Leitsatz 1. Eine Vereinbarung über das Hinausschieben des auf das Erreichen der Regelaltersgrenze bezogenen Beendigungszeitpunkts des Arbeitsverhältnisses iSv. § 41 Satz 3 SGB VI erfordert keinen Sachgrund iSv. § 14 Abs. 1 TzBfG. 2. § 41 Satz 3 SGB VI ist jedenfalls insoweit unionsrechtskonform, als die Vorschrift das Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts ohne Änderung der sonstigen Arbeitsbedingungen ermöglicht. Die Vorschrift verstößt weder gegen Art. 12 Abs. 1 GG noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Tatbestand 1 Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund Befristung am 31. Juli 2015 geendet hat. 2 Der am 15. Juli 1949 geborene Kläger war bei dem beklagten Land als Lehrer an einer berufsbildenden Schule mit einem Unterrichtsdeputat von 23 Wochenstunden beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) aufgrund einzelvertraglicher Inbezugnahme Anwendung. § 44 Nr. 4 TV-L regelt das Ausscheiden von Lehrkräften an allgemein- und berufsbildenden Schulen wegen Erreichens der Regelaltersgrenze wie folgt:          „Das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, mit Ablauf des Schulhalbjahres (31. Januar beziehungsweise 31. Juli), in dem die Lehrkraft das gesetzlich festgelegte Alter zum Erreichen der Regelaltersgrenze vollendet hat.“ 3 Die Parteien vereinbarten mit Änderungsvertrag vom 20. Januar 2015, dass ihr Arbeitsverhältnis abweichend von § 44 Nr. 4 TV-L erst mit Ablauf des 31. Juli 2015 endet. 4 Mit Schreiben vom 3. Februar 2015 teilte die Schulleiterin dem Kläger unter dem Betreff „Anordnung von Mehrarbeit“ Folgendes mit:          „…,               gem. § 60 Abs. 3 des Niedersächsischen Beamtengesetzes (NBG) … ordne ich mit Ihrem Einverständnis hiermit an, dass Sie in der Zeit vom 01.02.2015 bis einschließlich 31.07.2015 jederzeit widerruflich über Ihre vertraglich festgelegte regelmäßige Regelstundenzahl i.H.v. 23,0 Wochenstunden hinaus insgesamt 4,0 weitere Unterrichtsstunden in der Klasse G14c zu erteilen haben.          …“     5 Unter dem Betreff „Stundenerhöhung im 2. Halbjahr 2014/2015“ erklärte die Schulleiterin mit Schreiben vom 4. März 2015, sie erhöhe die Teilzeitbeschäftigung von 23 Wochenstunden auf eine volle Stelle mit 25,5 Wochenstunden für den Zeitraum vom 1. Februar 2015 bis zum 31. Juli 2015. Damit sei das Schreiben vom 3. Februar 2015 gegenstandslos. 6 Mit seiner am 21. August 2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen und dem beklagten Land am 1. September 2015 zugestellten Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Befristung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Juli 2015 geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die in dem Änderungsvertrag vom 20. Januar 2015 vereinbarte Befristung könne nicht auf § 41 Satz 3 SGB VI gestützt werden, weil die Parteien nicht nur den Beendigungszeitpunkt hinausgeschoben, sondern auch die Arbeitszeit mit Wirkung ab 1. Februar 2015 erhöht hätten. Zudem fehle es an einem Sachgrund, der für eine Befristung nach § 41 Satz 3 SGB VI erforderlich sei. Die Regelung in § 41 Satz 3 SGB VI sei im Übrigen unionsrechtswidrig. 7 Der Kläger hat beantragt          festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristungsvereinbarung vom 20. Januar 2015 mit Ablauf des 31. Juli 2015 geendet hat. 8 Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. 9 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Befristungskontrollantrag weiter. Das beklagte Land beantragt, die Revision zurückzuweisen. Entscheidungsgründe 10 Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Befristungskontrollklage zu Recht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat aufgrund der im Änderungsvertrag vom 20. Januar 2015 vereinbarten Befristung am 31. Juli 2015 geendet. Die Befristung ist wirksam. Sie ist nach § 41 Satz 3 SGB VI gerechtfertigt. Die Regelung findet auf die Befristung Anwendung. Die in § 41 Satz 3 SGB VI genannten Voraussetzungen für die Befristung des Arbeitsverhältnisses sind erfüllt. Die Vorschrift ist mit höherrangigem Recht vereinbar. 11 I. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass § 41 Satz 3 SGB VI auf die Befristung anzuwenden ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist für die Wirksamkeit einer Befristung grundsätzlich die im Zeitpunkt ihrer Vereinbarung geltende Rechtslage maßgeblich (vgl. etwa BAG 17. Juni 2009 – 7 AZR 112/08 (A) – Rn. 37, BAGE 131, 113). § 41 Satz 3 SGB VI war bei Abschluss des Änderungsvertrags vom 20. Januar 2015, mit dem die Parteien die Befristung zum 31. Juli 2015 vereinbart haben, bereits in Kraft. Die Vorschrift ist durch das Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (BGBl. I 2014 S. 787) mit Wirkung zum 1. Juli 2014 in das Gesetz eingefügt worden. 12 II. Das Landesarbeitsgericht hat auch zutreffend erkannt, dass die im Änderungsvertrag vom 20. Januar 2015 vereinbarte Befristung zum 31. Juli 2015 die Voraussetzungen des § 41 Satz 3 SGB VI erfüllt. 13 1. Nach § 41 Satz 3 SGB VI können die Arbeitsvertragsparteien, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze vereinbart haben, den Beendigungszeitpunkt durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses, ggf. auch mehrfach, hinausschieben. 14 2. Diese Voraussetzungen liegen vor. 15 a) Die Parteien hatten die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze zum 31. Januar 2015 vereinbart. 16 aa) Die Parteien haben durch die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) die Anwendung von § 44 Nr. 4 TV-L auf das Arbeitsverhältnis vereinbart. Diese Regelung sieht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses „mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze“ iSv. § 41 Satz 3 SGB VI vor. Dem steht nicht entgegen, dass das Arbeitsverhältnis nach § 44 Nr. 4 TV-L nicht unmittelbar bei Erreichen der Regelaltersgrenze, sondern erst mit Ablauf des Schulhalbjahres (31. Januar bzw. 31. Juli) endet, in dem die Lehrkraft das „gesetzlich festgelegte Alter zum Erreichen der Regelaltersgrenze vollendet hat“. Dieser Beendigungszeitpunkt knüpft an das Erreichen der Regelaltersgrenze an und trägt dem Bedürfnis des Schulbetriebs Rechnung, für das gesamte Schulhalbjahr eine volle und möglichst fachbezogene Unterrichtsversorgung zu gewährleisten (vgl. BAG 26. Oktober 2016 – 7 AZR 135/15 – Rn. 40, BAGE 157, 125). 17 bb) Nach § 44 Nr. 4 TV-L endete das Arbeitsverhältnis der Parteien am 31. Januar 2015. Der am 15. Juli 1949 geborene Kläger erreichte das für ihn nach §§ 35, 235 SGB VI geltende Regelrentenalter von 65 Jahren und drei Monaten am 15. Oktober 2014. Das Schulhalbjahr, in dem der Kläger das Regelrentenalter erreichte, lief am 31. Januar 2015 ab. 18 b) Die Parteien haben den Beendigungszeitpunkt mit dem Änderungsvertrag vom 20. Januar 2015 während des Arbeitsverhältnisses iSv. § 41 Satz 3 SGB VI hinausgeschoben. 19 aa) Die Parteien haben noch während der Laufzeit des bisherigen Arbeitsverhältnisses am 20. Januar 2015 einen schriftlichen Änderungsvertrag geschlossen, mit dem sie vereinbart haben, dass ihr Arbeitsverhältnis abweichend von § 44 Nr. 4 TV-L erst mit Ablauf des 31. Juli 2015 endet. Der Änderungsvertrag führte zur nahtlosen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. 20 bb) Es bedarf keiner Entscheidung, ob das Tatbestandsmerkmal des Hinausschiebens des Beendigungszeitpunkts iSv. § 41 Satz 3 SGB VI voraussetzt, dass nur der Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses geändert wird und der Vertragsinhalt ansonsten unverändert bleibt (bejahend: KR/Bader 11. Aufl. § 23 TzBfG Rn. 31; HK-TzBfG/Boecken 5. Aufl. SGB VI § 41 Rn. 2; Meinel/Heyn/Herms TzBfG 5. Aufl. § 14 Rn. 234; ErfK/Rolfs 18. Aufl. § 41 SGB VI Rn. 23; Sievers TzBfG 6. Aufl. § 14 Rn. 451; ablehnend: Bauer NZA 2014, 889; Brock öAT 2018, 67, 69; Giesen ZfA 2014, 217, 225; APS/Greiner 5. Aufl. SGB VI § 41 Rn. 73; Groeger ZTR 2015, 115, 120; Poguntke NZA 2014, 1372, 1375). Zwar wurde der Umfang der Arbeitszeit des Klägers zum 1. Februar 2015 erhöht. Dies geschah jedoch nicht im Zusammenhang mit der Vereinbarung über das Hinausschieben des Beendigungstermins. 21 (1) Der Änderungsvertrag vom 20. Januar 2015 enthält lediglich die Vereinbarung, dass das Arbeitsverhältnis abweichend von § 44 Nr. 4 TV-L erst mit Ablauf des 31. Juli 2015 endet. Änderungen der sonstigen Arbeitsvertragsbedingungen sind in diesem Änderungsvertrag nicht vorgesehen. 22 (2) Der Arbeitsvertrag wurde nicht infolge des Schreibens der Schulleiterin vom 3. Februar 2015 geändert. Dieses Schreiben enthält kein Angebot auf Änderung des Arbeitsvertrags, das der Kläger hätte annehmen können, sondern eine einseitige Anordnung von Mehrarbeit. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. 23 (a) Verträge kommen durch auf den Vertragsschluss gerichtete, einander entsprechende Willenserklärungen zustande, indem das Angebot („Antrag“) der einen Vertragspartei gemäß den §§ 145 ff. BGB von der anderen Vertragspartei angenommen wird. Eine Willenserklärung ist eine Äußerung, die auf die Herbeiführung eines rechtsgeschäftlichen Erfolgs gerichtet ist. Sie kann nicht nur durch eine ausdrückliche Erklärung, sondern auch durch schlüssiges Verhalten abgegeben werden. Ob eine Äußerung oder ein Verhalten als Willenserklärung zu verstehen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Nach §§ 133, 157 BGB sind Willenserklärungen und Verträge so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten, wobei vom Wortlaut auszugehen ist. Zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Vor allem sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Im Zweifel ist der Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einem vernünftigen und widerspruchsfreien Ergebnis führt, das den Interessen beider Vertragspartner gerecht wird. Diese Grundsätze sind auch anzuwenden bei der Frage, ob ein bestimmtes willentliches Verhalten eine Willenserklärung darstellt (vgl. BAG 17. Mai 2017 – 7 AZR 301/15 – Rn. 16; 14. Dezember 2016 – 7 AZR 797/14 – Rn. 31 mwN). 24 (b) Die Auslegung nichttypischer Erklärungen obliegt in erster Linie den Tatsachengerichten. Sie kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob das Berufungsgericht Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) verletzt, gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen oder wesentliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen hat. Die Auslegung typischer Erklärungen unterliegt dagegen einer uneingeschränkten revisionsgerichtlichen Kontrolle. Dies gilt auch, wenn es um die Frage geht, ob eine Erklärung überhaupt eine Willenserklärung darstellt (BAG 17. Mai 2017 – 7 AZR 301/15 – Rn. 17; 14. Dezember 2016 – 7 AZR 797/14 – Rn. 32 mwN). 25 (c) Es kann dahinstehen, ob es sich bei der in dem Schreiben der Schulleiterin vom 3. Februar 2015 enthaltenen Mitteilung um eine typische oder nichttypische Erklärung handelt. Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts, die Erklärung sei nicht auf eine Inhaltsänderung des Arbeitsvertrags, sondern auf die Anordnung von Mehrarbeit gerichtet, hält auch einer uneingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung stand. 26 (aa) Das Schreiben vom 3. Februar 2015 ist schon nach seinem Betreff „Anordnung von Mehrarbeit“ auf die einseitige Anordnung von Mehrarbeit aufgrund des arbeitsvertraglichen Direktionsrechts und nicht auf den Abschluss eines Änderungsvertrags zur Erhöhung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit gerichtet. Dieses Verständnis wird durch den weiteren Inhalt des Schreibens bestätigt. Mit dem Schreiben hat die Schulleiterin angeordnet, dass der Kläger in der Zeit vom 1. Februar 2015 bis einschließlich 31. Juli 2015 jederzeit widerruflich über seine vertraglich festgelegte regelmäßige Regelstundenzahl in Höhe von 23,0 Wochenstunden hinaus insgesamt 4,0 weitere Unterrichtsstunden in der Klasse G14c zu erteilen hat. Danach sollte die vertragliche Arbeitszeit unverändert 23 Stunden betragen und die Anordnung der darüber hinausgehenden Unterrichtsstunden jederzeit widerruflich sein. In dem Schreiben wird § 60 Abs. 3 des Niedersächsischen Beamtengesetzes (NBG) als Rechtsgrundlage für diese einseitige Anordnung genannt. Dort ist die Anordnung von Mehrarbeit geregelt. 27 (bb) Der Kläger macht ohne Erfolg geltend, das beklagte Land sei zu der Anordnung dieser Mehrarbeit nicht berechtigt gewesen. Das steht dem Verständnis des Schreibens als einseitige Anordnung von Mehrarbeit nicht entgegen. Der Kläger hätte sich gegen eine unzulässige Anordnung von Mehrarbeit wehren können. Gerade wegen dieser vertraglichen Rechtsposition lässt sich eine unzulässige Anordnung nicht ohne weiteres als Angebot auf Vertragsänderung verstehen oder in ein solches „umdeuten“ (vgl. BAG 17. Mai 2017 – 7 AZR 301/15 – Rn. 22). 28 (3) Das Landesarbeitsgericht hat auch zu Recht angenommen, dass eine etwaige einvernehmliche Änderung der Arbeitszeit auf der Grundlage des Schreibens der Schulleiterin vom 4. März 2015 nicht dazu führte, dass die Erstreckung der Vertragslaufzeit bis zum 31. Juli 2015 nicht als Hinausschieben iSv. § 41 Satz 3 SGB VI angesehen werden könnte. 29 (a) Sollte das Tatbestandsmerkmal des Hinausschiebens des Beendigungszeitpunkts – ebenso wie das Tatbestandsmerkmal der Verlängerung in § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 TzBfG (vgl. dazu BAG 21. März 2018 – 7 AZR 428/16 – Rn. 37; 16. Januar 2008 – 7 AZR 603/06 – Rn. 7, BAGE 125, 248; 23. August 2006 – 7 AZR 12/06 – Rn. 15, BAGE 119, 212) – voraussetzen, dass nur die Vertragsdauer geändert wird, könnte eine Befristung nicht auf § 41 Satz 3 SGB VI gestützt werden, wenn im Zusammenhang mit der Vereinbarung über das Hinausschieben des Beendigungstermins weitere Arbeitsbedingungen geändert wurden. Hingegen stünde eine einvernehmliche Änderung sonstiger Arbeitsbedingungen, die weder gleichzeitig noch im zeitlichen Zusammenhang mit der Vereinbarung über das Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts erfolgt ist, einer Befristung nach § 41 Satz 3 SGB VI nicht entgegen. Eine derartige Vereinbarung unterliegt nicht der Befristungskontrolle. Sie enthält keine neue, die bereits bestehende Befristungsabrede ablösende Befristung, die ihrerseits auf ihre Wirksamkeit überprüft werden könnte (vgl. zur Vertragsverlängerung iSv. § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 TzBfG: BAG 21. März 2018 – 7 AZR 428/16 – Rn. 37; 12. August 2009 – 7 AZR 270/08 – Rn. 20; 23. August 2006 – 7 AZR 12/06 – Rn. 11, aaO). 30 (b) Danach führte eine etwaige einvernehmliche Änderung der Arbeitszeit auf der Grundlage des Schreibens der Schulleiterin vom 4. März 2015 nicht dazu, dass die in dem Änderungsvertrag vom 20. Januar 2015 vereinbarte Erstreckung der Vertragslaufzeit bis zum 31. Juli 2015 nicht als Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts iSv. § 41 Satz 3 SGB VI verstanden werden könnte. Diese einvernehmliche Änderung der Arbeitszeit wäre erst sechs Wochen nach dem Änderungsvertrag vom 20. Januar 2015 und damit nicht im zeitlichen Zusammenhang mit diesem zustande gekommen. Der Kläger macht ohne Erfolg geltend, dass die Erhöhung der Arbeitszeit rückwirkend zum 1. Februar 2015 erfolgt ist. Darauf kommt es nicht an. Entscheidend ist, ob die Änderung der sonstigen Arbeitsbedingungen gleichzeitig oder im zeitlichen Zusammenhang mit der Änderung der Vertragslaufzeit vereinbart wird (vgl. zu § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 TzBfG: BAG 21. März 2018 – 7 AZR 428/16 – Rn. 39; 23. August 2006 – 7 AZR 12/06 – Rn. 21, BAGE 119, 212). 31 (4) Soweit der Kläger in der Revisionsbegründung rügt, das Landesarbeitsgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass ihm bereits ab dem 1. Februar 2015 ein Stundenkontingent von 25,5 Wochenstunden im Rahmen des Stundenplans, der üblicherweise vor Beginn des Schuljahres erstellt werde, zugewiesen worden sei und dass er dieses Angebot konkludent durch Aufnahme der Tätigkeit angenommen habe, handelt es sich um neuen Sachvortrag, der in der Revision gemäß § 559 ZPO keine Berücksichtigung mehr finden kann. Im Übrigen wäre auch die vom Kläger behauptete Vereinbarung über die Änderung der vertraglichen Arbeitszeit erst elf Tage nach der Vereinbarung über das Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts getroffen worden. 32 3. Entgegen der Ansicht des Klägers setzt eine Befristung nach § 41 Satz 3 SGB VI nicht das Bestehen eines Sachgrunds iSv. § 14 Abs. 1 TzBfG voraus (vgl. etwa HK-TzBfG/Boecken 5. Aufl. SGB VI § 41 Rn. 2; Giesen ZfA 2014, 217, 222; APS/Greiner 5. Aufl. SGB VI § 41 Rn. 63; Poguntke NZA 2014, 1372, 1373; ErfK/Rolfs 18. Aufl. § 41 SGB VI Rn. 23). Dies ergibt die Auslegung der Vorschrift (vgl. zu den Grundsätzen der Gesetzesauslegung zB BAG 11. Juni 2013 – 1 ABR 32/12 – Rn. 31, BAGE 145, 211). Im Gesetzeswortlaut finden sich keine Anhaltspunkte für ein Sachgrunderfordernis. Ein solches Erfordernis widerspräche dem Regelungszweck und machte die Vorschrift überflüssig. Mit dieser Regelung will es der Gesetzgeber den Arbeitsvertragsparteien ermöglichen, das Arbeitsverhältnis nach Erreichen der Regelaltersgrenze einvernehmlich für einen von vornherein bestimmten Zeitraum fortsetzen zu können, um beispielsweise eine Übergangsregelung bis zu einer Nachbesetzung zu schaffen oder den Abschluss laufender Projekte zu ermöglichen (BT-Drs. 18/1489 S. 25). Dazu hat der Gesetzgeber einen einfach zu handhabenden Ausnahmetatbestand geschaffen, der den Parteien eine Verschiebung des zuvor – wirksam – vereinbarten Beendigungszeitpunkts ermöglicht und bei dem ein Streit über die sachliche Rechtfertigung der neuerlichen Befristung nicht entstehen kann. 33 III. § 41 Satz 3 SGB VI ist mit höherrangigem Recht vereinbar. 34 1. § 41 Satz 3 SGB VI ist jedenfalls insoweit unionsrechtskonform, als die Vorschrift das Hinausschieben des Beendigungstermins ohne Änderung der sonstigen Arbeitsvertragsbedingungen ermöglicht. Das ist durch die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Gerichtshof) vom 28. Februar 2018 geklärt (EuGH 28. Februar 2018 – C-46/17 – [John]). 35 a) Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Regelung mit der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Richtlinie 2000/78/EG) vereinbar ist. § 41 Satz 3 SGB VI könne nicht als Benachteiligung von Personen, die das Rentenalter erreicht haben, gegenüber Personen, die dieses Alter noch nicht erreicht haben, iSv. Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG angesehen werden, da ein Arbeitnehmer, der die Regelaltersgrenze erreicht hat, anders als jüngere Arbeitnehmer zwischen der Verlängerung des Arbeitsverhältnisses und dem völligen Ausscheiden aus dem Berufsleben wählen könne. Dem stehe nicht entgegen, dass die Arbeitsvertragsparteien das Ende des Arbeitsverhältnisses mehrfach und zeitlich unbegrenzt hinausschieben können. Diese Aspekte seien geeignet, den günstigen oder vorteilhaften Charakter der Regelung in § 41 Satz 3 SGB VI zu bestätigen, da sie Modalitäten für die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses darstellten, zu der es jedenfalls nur mit Zustimmung beider Vertragsparteien kommen könne, die erfolgen müsse, solange das Arbeitsverhältnis noch bestehe (EuGH 28. Februar 2018 – C-46/17 – [John] Rn. 28 bis Rn. 32). 36 b) Nach der Entscheidung ist die Regelung auch mit der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 (Rahmenvereinbarung) vereinbar. Der Gerichtshof hat ausgeführt, es sei bereits zweifelhaft, ob eine Vereinbarung nach § 41 Satz 3 SGB VI in den Anwendungsbereich der Rahmenvereinbarung falle. Sei dies der Fall, bestehe für eine Befristung nach § 41 Satz 3 SGB VI jedenfalls ein sachlicher Grund iSv. § 5 Nr. 1 Buchst. a der Rahmenvereinbarung. Ein Arbeitnehmer, der das Regelalter für den Bezug der gesetzlichen Altersrente erreicht habe, unterscheide sich nicht nur hinsichtlich seiner sozialen Absicherung von anderen Arbeitnehmern, sondern auch dadurch, dass er sich regelmäßig am Ende seines Berufslebens befinde und deshalb im Hinblick auf die Befristung seines Vertrags nicht vor der Alternative stehe, in den Genuss eines unbefristeten Vertrags zu kommen. Zudem könne § 41 Satz 3 SGB VI als zulässige Ausnahme von dem Grundsatz der automatischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses beim Erreichen der Regelaltersgrenze angesehen werden. Durch die Anforderungen an eine Befristung nach § 41 Satz 3 SGB VI sei gewährleistet, dass der betreffende Arbeitnehmer zu den ursprünglichen Bedingungen weiterbeschäftigt werde und gleichzeitig seinen Anspruch auf eine Altersrente behalte. 37 2. § 41 Satz 3 SGB VI begegnet auch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. 38 a) Die durch § 41 Satz 3 SGB VI eröffnete Möglichkeit, den Beendigungszeitpunkt eines auf das Erreichen der Regelaltersgrenze befristeten Arbeitsverhältnisses ohne sachlichen Grund hinauszuschieben, ist mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. Art. 12 Abs. 1 GG schützt die Vertragsfreiheit der Beschäftigten im beruflichen Bereich. Das Grundrecht garantiert die freie Wahl des Arbeitsplatzes und schützt den Entschluss, eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit in dem gewählten Beruf zu ergreifen, ein Arbeitsverhältnis beizubehalten oder es aufzugeben. Zudem schützt Art. 12 Abs. 1 GG die Vertrags- und Dispositionsfreiheit der Arbeitgeber zum Abschluss von Arbeitsverträgen mit den Beschäftigten (vgl. BVerfG 6. Juni 2018 – 1 BvL 7/14 ua. – Rn. 38). Der Staat ist verpflichtet, das Individualarbeitsrecht so zu gestalten, dass die Grundrechte der Parteien zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden. Soweit die Privatautonomie ihre regulierende Kraft nicht zu entfalten vermag, weil ein Vertragspartner kraft seines Übergewichts Vertragsbestimmungen einseitig setzen kann, müssen staatliche Regelungen auch ausgleichend eingreifen, um den Grundrechtsschutz zu sichern (vgl. BVerfG 6. Juni 2018 – 1 BvL 7/14 ua. – Rn. 42). Für die Herstellung des geforderten Ausgleichs zwischen den widerstreitenden Interessen verfügt der Gesetzgeber über einen weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum. Eine Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten kann nur festgestellt werden, wenn eine Grundrechtsposition den Interessen des anderen Vertragspartners in einer Weise untergeordnet wird, dass in Anbetracht der Bedeutung und Tragweite des betroffenen Grundrechts von einem angemessenen Ausgleich nicht mehr gesprochen werden kann (BVerfG 27. Januar 1998 – 1 BvL 15/87 – zu B I 3 a der Gründe, BVerfGE 97, 169; BAG 21. September 2017 – 2 AZR 865/16 – Rn. 29). Dies ist bei § 41 Satz 3 SGB VI nicht der Fall. Der Gesetzgeber hat mit dieser Regelung den Interessen der Arbeitsvertragsparteien Rechnung getragen, nach Erreichen der Regelaltersgrenze und darauf bezogener Beendigungsvereinbarungen einvernehmlich das Arbeitsverhältnis für einen von vornherein bestimmten Zeitraum rechtssicher fortsetzen zu können. Er durfte davon ausgehen, dass es keiner weiter gehenden Anforderungen an die Befristung, insbesondere keines Sachgrunderfordernisses, bedarf, um Arbeitnehmer, die ohne die Möglichkeit der befristeten Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der vereinbarten Altersgrenze aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden müssten und durch den Bezug einer Altersrente abgesichert sind, vor einer unangemessenen Beeinträchtigung ihres Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG zu schützen. 39 b) § 41 Satz 3 SGB VI verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet es, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches seiner Eigenart entsprechend zu behandeln (BVerfG 31. Oktober 2016 – 1 BvR 871/13 ua. – Rn. 38). Eine ungleiche Behandlung mehrerer Gruppen von Normadressaten ist mit Art. 3 Abs. 1 GG nur vereinbar, wenn zwischen ihnen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können. Ungleichbehandlung und rechtfertigender Grund müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen (BVerfG 7. Juli 2009 – 1 BvR 1164/07 – Rn. 86 mwN, BVerfGE 124, 199; 30. Mai 1990 – 1 BvL 2/83 ua. – zu C I 1 der Gründe, BVerfGE 82, 126; BAG 21. September 2017 – 2 AZR 865/16 – Rn. 33). Die unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis auf das Erreichen der Regelaltersgrenze befristet ist, gegenüber anderen Arbeitnehmern bei der befristeten Verlängerung ihrer Arbeitsverhältnisse beruht auf ihrem unterschiedlichen Bestandsschutzinteresse. Arbeitnehmer, die bei einer vereinbarten Regelaltersgrenze einem Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts zustimmen, haben ein geringeres Bestandsschutzinteresse als andere Arbeitnehmer bei der befristeten Verlängerung ihres Vertrags, da sie durch den Bezug einer Altersrente abgesichert sind, bereits ein langes Berufsleben hinter sich haben und ihr Interesse an der Fortführung ihrer beruflichen Tätigkeit nur noch für eine begrenzte Zeit besteht. Dieser Unterschied rechtfertigt es, die Möglichkeit, den Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses ohne sachlichen Grund hinauszuschieben, nur solchen Arbeitsvertragsparteien zu eröffnen, deren Arbeitsverhältnis auf das Erreichen der Regelaltersgrenze befristet ist. 40 IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.              Gräfl                  Waskow               M. Rennpferdt                                 Holzhausen                Strippelmann
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12.02.2019
12.02.2019 7/19 - Verrechenbarkeit von Sozialplanabfindung und Nachteilsausgleich Abfindungen aufgrund eines Sozialplans und aufgrund eines gesetzlichen Nachteilsausgleichs sind verrechenbar. Die beklagte Arbeitgeberin beschloss im März 2014, den Beschäftigungsbetrieb des Klägers stillzulegen. Über die damit verbundene Massenentlassung unterrichtete sie den Betriebsrat. Noch bevor die Betriebsparteien in einer Einigungsstelle über einen Interessenausgleich verhandeln konnten, kündigte die Arbeitgeberin allen Arbeitnehmern, so auch dem Kläger. Wegen dieses betriebsverfassungswidrigen Verhaltens erstritt der Kläger vor den Gerichten für Arbeitssachen einen Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 1 und Abs. 3 BetrVG in Höhe von 16.307,20 Euro. Zuvor vereinbarte die Arbeitgeberin mit dem Betriebsrat einen Sozialplan. Danach steht dem Kläger eine Abfindung in Höhe von 9.000 Euro zu. Diesen Betrag zahlte die Arbeitgeberin unter Hinweis auf den von ihr beglichenen Nachteilsausgleich nicht aus. Die auf Zahlung der Sozialplanabfindung gerichtete Klage haben die Vorinstanzen abgewiesen. Mit seiner Revision hatte der Kläger vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Zahlung eines Nachteilsausgleichs erfüllt auch die Sozialplanforderung, da der Zweck beider betriebsverfassungsrechtlicher Leistungen weitgehend deckungsgleich ist. Dem steht die Massenentlassungsrichtlinie (Richtlinie 98/59/EG) nicht entgegen. Eine Verletzung der Konsultationspflicht des Arbeitgebers mit dem Betriebsrat vor einer Massenentlassung hat die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge. Eine Sanktionierung im Sinn einer Entschädigungszahlung ist unionsrechtlich nicht geboten. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12. Februar 2019 – 1 AZR 279/17 – Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. März 2017 – 4 Sa 1619/16 –
Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 29. März 2017 – 4 Sa 1619/16 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen. Leitsatz Abfindungen aufgrund eines Sozialplans und aufgrund eines gesetzlichen Nachteilsausgleichs sind – im Wege der Erfüllungswirkung gemäß § 362 Abs. 1 BGB – verrechenbar. Tatbestand 1 Die Parteien streiten über die Zahlung einer Sozialplanabfindung. 2 Der Kläger war bei der Beklagten unter Anrechnung einer Vorbeschäftigungszeit seit dem 2. September 1991 beschäftigt. Im März 2014 beschloss die Beklagte, den Beschäftigungsbetrieb in K stillzulegen. Hierüber unterrichtete sie den Betriebsrat und verhandelte mit ihm am 8. April 2014 über einen Interessenausgleich. Mit Schreiben vom 16. April 2014 übermittelte sie dem Betriebsrat eine „Anzeige von beabsichtigten anzeigepflichtigen Entlassungen gem. § 17 Abs. 2 KSchG“. Noch bevor das Arbeitsgericht Berlin auf Antrag der Beklagten mit Beschluss vom 2. Mai 2014 einen Vorsitzenden für eine Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Interessenausgleich und Sozialplan für die beabsichtigte Stilllegung der Betriebsstätte K“ bestellt hatte, kündigte die Beklagte die Arbeitsverhältnisse aller im Betrieb beschäftigten Mitarbeiter, so auch das des Klägers zum 30. November 2014. Nach Rücknahme der dagegen erhobenen Kündigungsschutzklage verlangte der Kläger die Zahlung eines Nachteilsausgleichs. Daraufhin verurteilte das Arbeitsgericht Berlin die Beklagte mit Urteil vom 2. April 2015 (- 11 Ca 7053/14 -) zur Zahlung einer Abfindung von 12.230,40 Euro brutto. Auf die Berufung des Klägers verurteilte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 8. September 2015 (- 7 Sa 870/15 -) die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung iHv. weiteren 4.076,80 Euro brutto. Die Beklagte kehrte an den Kläger – deklariert als „Abschlag“ – 4.000,00 Euro im Mai 2015 sowie – deklariert jeweils als „Abfindung“ – 4.000,00 Euro im Juni 2015, 4.076,80 Euro im September 2015 und 4.230,40 Euro im November 2015, mithin insgesamt den ausgeurteilten Nachteilsausgleich iHv. 16.307,20 Euro, aus. Zuvor – am 13. September 2014 – hatte sie mit dem Betriebsrat einen Sozialplan vereinbart, nach dessen §§ 1, 2 Nr. 1 dem Kläger 9.000,00 Euro brutto als Abfindung für den Verlust seines Arbeitsplatzes zustehen. Deren Zahlung lehnte die Beklagte unter Verweis auf den beglichenen Nachteilsausgleich ab. 3 Der Kläger hat mit seiner Klage die Sozialplanabfindung verlangt und die Auffassung vertreten, auf diese sei die aufgrund der gerichtlichen Festsetzung des Nachteilsausgleichs gezahlte Abfindung schon deshalb nicht anzurechnen, weil das Gericht deren Höhe zu gering bemessen habe. Darüber hinaus verbiete sich eine Anrechnung aus unionsrechtlichen Gründen. 4 Der Kläger beantragt,          die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.000,00 Euro brutto zu zahlen. 5 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. 6 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dieser verfolgt mit seiner Revision den Zahlungsantrag weiter. Entscheidungsgründe 7 Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Zahlung der Sozialplanabfindung erfüllt hat, § 362 Abs. 1 BGB. 8 I. Der Kläger hat – darüber besteht zwischen den Parteien kein Streit – einen Anspruch auf Abfindung nach dem Sozialplan vom 13. September 2014 iHv. 9.000,00 Euro brutto erworben. 9 II. Dieser Anspruch ist im Hinblick auf die Zahlung von 16.307,20 Euro brutto durch die Beklagte jedoch gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen. 10 1. Nach § 362 Abs. 1 BGB erlischt ein Schuldverhältnis, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird. Das Bewirken der geschuldeten Leistung besteht in der Herbeiführung des geschuldeten Leistungserfolgs. Bei einer Geldschuld – wie einer Abfindung – wird dieser Erfolg regelmäßig erzielt, wenn der Gläubiger den Geldbetrag, den er beanspruchen kann, endgültig zur freien Verfügung übereignet oder überwiesen erhält (vgl. BGH 27. Juni 2008 – V ZR 83/07 – Rn. 26). 11 2. Die Beklagte hat an den Kläger im Mai 2015, Juni 2015, September 2015 und November 2015 als „Abschlag“ und „Abfindung“ bezeichnete Geldbeträge iHv. insgesamt 16.307,20 Euro brutto geleistet. Diesbezüglich hat sie eine Tilgungsbestimmung für den Sozialplanabfindungsanspruch weder vorgenommen noch behauptet. Aus den Zeitpunkten der Zahlung folgt vielmehr, dass sie damit den vom Kläger erstrittenen Nachteilsausgleich tilgen wollte. Dennoch kommt den Zahlungen materiell-rechtliche Erfüllungswirkung iSv. § 362 Abs. 1 BGB (auch) hinsichtlich der – den Nachteilsausgleich nicht übersteigenden – Sozialplanforderung zu. 12 a) Gemäß § 362 Abs. 1 BGB tritt nach der Theorie der realen Leistungsbewirkung die Erfüllungswirkung als objektive Folge der Leistungsbewirkung ein. Die Erfüllungswirkung ist kraft Gesetzes objektive Tatbestandsfolge der Leistung. Ein zusätzliches subjektives Tatbestandsmerkmal ist grundsätzlich nicht erforderlich. Kann die Leistung des Schuldners einem bestimmten Schuldverhältnis im engeren Sinn, dh. einer bestimmten Leistungspflicht, zugeordnet werden oder reicht sie zur Tilgung aller Verbindlichkeiten aus mehreren Schuldverhältnissen (im engeren Sinn) aus, bedarf es zum Erlöschen der Forderungen keiner Tilgungsbestimmung (vgl. BAG 17. Januar 2018 – 5 AZR 69/17 – Rn. 14 mwN). Erfüllungswirkung – auch ohne ausdrückliche Tilgungsbestimmung – ist daher grundsätzlich anzunehmen bei jeglicher erfüllungsgeeigneter, inhaltlich dem Schuldverhältnis entsprechender Leistung (vgl. zur Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs durch mindestlohnwirksame Leistungen grdl. BAG 25. Mai 2016 – 5 AZR 135/16 – Rn. 20 ff., BAGE 155, 202). Wird im Fall einer Anspruchskonkurrenz – etwa bei einem Zusammentreffen von deliktischen und vertraglichen Schadensersatzansprüchen – der Berechtigte aus einem der beiden Ansprüche befriedigt, erlischt auch der andere Anspruch, soweit und weil er auf dasselbe Interesse gerichtet ist (vgl. bereits BGH 16. Dezember 1968 – III ZR 179/67 – zu 1 der Gründe, BGHZ 51, 226). Demnach erfüllt etwa bei gesetzlichem Mindest- und übergesetzlichem Mehrurlaub der Arbeitgeber mit der Freistellung des Arbeitnehmers auch ohne ausdrückliche oder konkludente Tilgungsbestimmung beide Ansprüche ganz oder teilweise, soweit sie sich decken (grdl. BAG 7. August 2012 – 9 AZR 760/10 – Rn. 10 ff., BAGE 143, 1). Ähnliches gilt bei einer aus Rechtsgründen erfolgenden Anrechen- oder Verrechenbarkeit von geschuldeten Leistungen (vgl. BGH 11. Oktober 1973 – IX ZR 130/70 – zu 3 c der Gründe). Allerdings kann der Schuldner mittels einer negativen Tilgungsbestimmung die durch die Leistungsbewirkung an sich eintretende Erfüllungswirkung ausschließen (vgl. BGH 3. Dezember 1990 – II ZR 215/89 – zu III der Gründe). 13 b) Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte mit der Zahlung von 16.307,20 Euro brutto Nachteilsausgleich an den Kläger auch dessen Anspruch auf Abfindung nach dem Sozialplan iHv. 9.000,00 Euro brutto erfüllt. Der Zahlung eines Nachteilsausgleichs an den Arbeitnehmer kommt von Rechts wegen Erfüllungswirkung auch für einen ihm zustehenden Anspruch auf Sozialplanabfindung zu, da beide betriebsverfassungsrechtlich begründeten Leistungen weitgehend auf dasselbe Interesse gerichtet sind. Eine – hiervon ausnahmsweise abweichende – ausdrückliche negative Tilgungsbestimmung hat die Beklagte bei Bewirkung der Zahlungsbeträge nicht vorgenommen. 14 aa) Der Anspruch auf Zahlung einer Abfindung aus einem Sozialplan nach § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG einerseits und der Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 iVm. Abs. 1 BetrVG andererseits stehen nicht beziehungslos nebeneinander und können nicht kumulativ verlangt werden (so bereits BAG 18. Dezember 1984 – 1 AZR 176/82 – BAGE 47, 329 und 13. Juni 1989 – 1 AZR 819/87 – BAGE 62, 88). Zwischen ihnen besteht insoweit Zweckidentität, als sie beide dem Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile dienen. 15 (1) Von den Betriebsparteien geschlossenen Sozialplänen kommt eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion zu. Festgelegte Geldleistungen in Form einer Abfindung sind kein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit erbrachten Dienste. Vielmehr sollen sie die voraussichtlich entstehenden wirtschaftlichen Nachteile eines Arbeitsplatzverlustes infolge einer Betriebsänderung ausgleichen oder zumindest abmildern (vgl. etwa BAG 8. Dezember 2015 – 1 AZR 595/14 – Rn. 17, BAGE 153, 333). 16 (2) Diesem Zweck dient auch der Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 iVm. Abs. 1 BetrVG. Durch die Verpflichtung zur Gewährung eines Nachteilsausgleichs soll zum einen das betriebsverfassungswidrige Verhalten eines Arbeitgebers, der seiner gesetzlichen Beratungspflicht bei Betriebsänderungen nicht genügt hat, sanktioniert werden. Der Anspruch will – präventiv – die vorgeschriebene Beteiligung des Betriebsrats an einer unternehmerischen Maßnahme sicherstellen. Ist diese Beteiligung unzureichend, erhalten die betroffenen Arbeitnehmer einen gesetzlichen Anspruch auf den Ausgleich bestimmter Nachteile. Die Anspruchsnorm schützt die Beachtung der gesetzlichen Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei Betriebsänderungen zum anderen aber nicht ausnahmslos. Sie sanktioniert ein betriebsverfassungswidriges Verhalten nur in den Fällen, in denen die von der unternehmerischen Maßnahme betroffenen Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlieren oder sonstige wirtschaftliche Nachteile erleiden. Auch wenn das Ausmaß der Verletzung von Beteiligungsrechten des Betriebsrats durch den Arbeitgeber bei der Festsetzung der Höhe des Nachteilsausgleichs Bedeutung zukommt (vgl. BAG 7. November 2017 – 1 AZR 186/16 – Rn. 35 mwN), setzt das Entstehen eines solchen Anspruchs voraus, dass der Arbeitnehmer „infolge“ der ohne Beachtung der Mitbestimmung des Betriebsrats durchgeführten Maßnahme wirtschaftliche Nachteile – entweder in Form einer Entlassung oder in sonstiger Art und Weise – erleidet. Deshalb ist der gesetzliche Nachteilsausgleich keine bußgeldähnliche Verpflichtung mit Strafcharakter. Vielmehr sollen die Arbeitnehmer eine gewisse Entschädigung dafür erhalten, dass eine im Gesetz vorgesehene Beteiligung unterblieben und damit eine Chance nicht genutzt worden ist, einen Interessenausgleich zu finden, der Entlassungen vermeidet oder andere wirtschaftliche Nachteile abmildert (grdl. BAG 20. November 2001 – 1 AZR 97/01 – zu II 1 b der Gründe, BAGE 99, 377; vgl. auch BAG 23. September 2003 – 1 AZR 576/02 – zu II 3 c aa der Gründe, BAGE 107, 347). 17 (3) Diese Zweckidentität hat zur Folge, dass eine gezahlte Sozialplanabfindung auch auf einen Anspruch auf gesetzlichen Nachteilsausgleich anzurechnen ist und ihr insoweit Erfüllungswirkung zukommt. Der insoweit auch von § 113 Abs. 3 BetrVG verfolgte Sanktionszweck wird dadurch nicht aufgehoben (vgl. grdl. BAG 20. November 2001 – 1 AZR 97/01 – zu II 1 b und c der Gründe, BAGE 99, 377; vgl. auch BAG 24. August 2006 – 8 AZR 317/05 – und 16. Mai 2007 – 8 AZR 693/06 -; zust. Annuß in Richardi BetrVG 16. Aufl. § 113 Rn. 65; H/W/G/N/R/H/Hess 10. Aufl. § 112 Rn. 368; krit. DKKW/Däubler 16. Aufl. §§ 112, 112a Rn. 123; ErfK/Kania 19. Aufl. BetrVG § 113 Rn. 2; zT auch Oetker GK-BetrVG 11. Aufl. § 113 Rn. 109 f. mwN; Fitting BetrVG 29. Aufl. § 113 Rn. 32 mwN; HaKo-BetrVG/Steffan 5. Aufl. § 113 Rn. 2). Das gilt ebenso für den – umgekehrten und hier vorliegenden – Fall der Erfüllungswirkung eines gezahlten Nachteilsausgleichs bezüglich des Anspruchs auf Sozialplanabfindung (im Ergebnis ebenso bereits BAG 13. Juni 1989 – 1 AZR 819/87 – zu B III 3 a der Gründe, BAGE 62, 88). 18 bb) Die Verrechnung von Nachteilsausgleich und Sozialplanabfindung – im Wege der Erfüllungswirkung – verbietet sich nicht im Hinblick auf die Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (MERL). Deren Art. 6 als Ausprägung des allgemeinen unionsrechtlichen Gebots des effet utile gibt es nicht vor, den Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG auf jeden Fall (in voller Höhe) neben einer Sozialplanabfindung fordern zu können. 19 (1) Art. 2 der ausweislich ihrer Erwägungsgründe 2, 4 und 6 die Verstärkung des Arbeitnehmerschutzes und die Verbesserung des Funktionierens des Binnenmarktes bezweckenden MERL verlangt im Fall einer Massenentlassung die Durchführung eines Konsultationsverfahrens mit der Arbeitnehmervertretung (vgl. im Einzelnen zB EuArbR/Spelge 2. Aufl. RL 98/59/EG Rn. 5 und Rn. 8 ff.). Nach Art. 2 Abs. 1 MERL hat ein Arbeitgeber, der beabsichtigt, eine Massenentlassung iSd. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie durchzuführen, die Arbeitnehmervertreter rechtzeitig zu konsultieren, um zu einer Einigung zu gelangen. Diese Verhandlungen haben sich nach Art. 2 Abs. 2 MERL mindestens darauf zu erstrecken, Massenentlassungen zu vermeiden oder zu beschränken sowie ihre Folgen durch soziale Begleitmaßnahmen zu mildern. Nach Art. 2 Abs. 3 MERL hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmervertretern – damit sie konstruktive Vorschläge unterbreiten können – rechtzeitig im Verlauf der Konsultationen zweckdienliche Auskünfte zu erteilen und sie schriftlich über die in Art. 2 Abs. 3 Buchst. b MERL aufgezählten Angaben zu unterrichten. Insgesamt bezweckt die MERL eine Teilharmonisierung und überlässt es dem nationalen Recht, die materiell-rechtlichen Voraussetzungen festzulegen, unter denen der Arbeitgeber ggf. Massenentlassungen vornehmen kann oder nicht (EuGH 21. Dezember 2016 – C-201/15 – [AGET Iraklis] Rn. 29 ff.; BAG 26. Oktober 2017 – 2 AZR 298/16 – Rn. 24). Gemäß Art. 6 MERL müssen die Mitgliedstaaten aber Verfahren einrichten, mit denen die Einhaltung der von der Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen gewährleistet werden kann. Sie haben dabei darauf zu achten, dass die Verstöße gegen das Unionsrecht nach sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden, die denjenigen entsprechen, die für nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht gelten. Die Sanktion muss wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein (vgl. EuGH 8. Juni 1994 – C-383/92 – [Kommission/Vereinigtes Königreich] Rn. 40). Die den Mitgliedstaaten überlassene Umsetzung dieser Maßgabe darf der Richtlinie nicht ihre praktische Wirksamkeit nehmen (vgl. EuGH 16. Juli 2009 – C-12/08 – [Mono Car Styling] Rn. 34, 36). 20 (2) Dem unionsrechtlich determinierten Massenentlassungsschutz und der Konsultationspflicht entspricht das in § 17 Abs. 2 KSchG geregelte Konsultationsverfahren (vgl. BAG 22. September 2016 – 2 AZR 276/16 – Rn. 47, BAGE 157, 1; zu § 17 KSchG insgesamt vgl. auch BAG 26. Januar 2017 – 6 AZR 442/16 – Rn. 23, BAGE 158, 104). Verstößt der Arbeitgeber gegen dessen gesetzliche Anforderungen, ist die im Zusammenhang mit einer Massenentlassung erfolgte Kündigung nach § 134 BGB rechtsunwirksam (BAG 20. Januar 2016 – 6 AZR 601/14 – Rn. 16 mwN, BAGE 154, 53; 21. März 2013 – 2 AZR 60/12 – Rn. 23 ff., BAGE 144, 366). Diese Rechtsfolge verhindert, dass der Arbeitgeber durch den Ausspruch von Kündigungen unumkehrbare Fakten schafft, bevor das Konsultationsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde (vgl. BAG 21. März 2013 – 2 AZR 60/12 – Rn. 26, aaO). 21 (3) Damit existiert eine Rechtsfolge, die eine wirksame Sanktion iSv. Art. 6 MERL darstellt (Preis/Sagan/Naber/Sittard EuArbR 2. Aufl. Rn. 14.123). Die Sanktionswirkung einer Geldentschädigung ist weder geboten noch adäquat. Sie ließe unabhängig von der Höhe eines Entschädigungsbetrags den Bestand der Kündigung unberührt und könnte den Ausspruch von Kündigungen vor Abschluss des Konsultationsverfahrens nicht effektiv verhindern (vgl. BAG 21. März 2013 – 2 AZR 60/12 – Rn. 26 f., BAGE 144, 366). Auch wären unterschiedliche Sanktionen für Konsultations- und Anzeigeverfahren – einerseits Unwirksamkeit der Kündigung bei fehlender oder fehlerhafter Anzeige der Massenentlassung gegenüber der Agentur für Arbeit (dazu vgl. BAG 22. November 2012 – 2 AZR 371/11 – BAGE 144, 47) und andererseits Geldentschädigung für Verstöße gegen die Konsultationspflicht – nach Ziel und Ausgestaltung der MERL nicht zu rechtfertigen (vgl. EuArbR/Spelge 2. Aufl. Art. 6 RL 98/59/EG Rn. 5; Schubert EWiR 2013, 693, 694). 22 (4) Gegenteiliges ergibt sich nicht aus der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Gerichtshof) vom 8. Juni 1994 (- C-383/92 – [Kommission/Vereinigtes Königreich]). Danach ist eine Entschädigung für entlassene Arbeitnehmer, die mit Beträgen verrechenbar ist, deren Zahlung ein Arbeitnehmer ohnehin aufgrund des Arbeitsvertrags oder wegen dessen Bruchs verlangen kann, keine hinreichend abschreckende Sanktion für einen Arbeitgeber, der im Fall einer Massenentlassung seiner Pflicht zur Information und Konsultation der Arbeitnehmervertreter nicht nachkommt. Darum geht es vorliegend aber nicht, weil die nach nationalem Recht vorgesehene Sanktionierung eines Verstoßes gegen die unionsrechtlich determinierte Konsultationspflicht in der Unwirksamkeit der Kündigung und nicht in der Zahlung einer Abfindung liegt. Zu dieser Frage ist keine Vorlage nach Art. 267 AEUV veranlasst. Art. 6 MERL verpflichtet nicht zu spezifischen Sanktionen, sondern unterstellt die Regelung der Rechtsfolgen eines unterbliebenen oder nicht hinreichend beachteten Konsultationsverfahrens vor einer Massenentlassung der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten. Für das darin ausgedrückte allgemeine Gebot des effet utile unterliegt die unionsrechtliche Rechtslage, wonach nationalrechtliche Sanktionen effektiv, abschreckend und verhältnismäßig sein müssen (vgl. EuGH 2. Mai 2018 – C-574/15 [Scialdone] – Rn. 29; 7. März 2018 – C-494/16 – [Santoro] Rn. 28 f.; 7. September 2006 – C-53/04 – [Marrosu und Sardino] Rn. 51), keinen Zweifeln. 23 cc) Sollte die Beklagte vorliegend das Konsultationsverfahren des § 17 Abs. 2 KSchG nicht ordnungsgemäß durchgeführt haben, steht dies der Erfüllungswirkung der Nachteilsausgleichszahlung (auch) für die streitbefangene Sozialplanforderung daher nicht entgegen. Zwar geht der Kläger – in Übereinstimmung mit der Beklagten – hiervon nicht aus, weil nach seiner Ansicht § 17 Abs. 2 KSchG lediglich Anzeige- und Unterrichtungspflichten regele. Diese Auffassung ist aber bereits vor dem Hintergrund des Wortlauts von § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG, wonach Arbeitgeber und Betriebsrat „insbesondere die Möglichkeiten zu beraten“ haben, „Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern“, nicht haltbar. Entsprechend ist das Vorbringen des Klägers widersprüchlich, die Beklagte habe mit dem Unterrichtungsschreiben an den Betriebsrat vom 16. April 2014 der Pflicht des § 17 Abs. 2 KSchG genügt, während eine rechtzeitige und umfassende Unterrichtung des Betriebsrats sowie eine Konsultation und Verhandlung mit ihm zum Zwecke der Abmilderung, Vermeidung und Beschränkung von Folgen der Betriebsstilllegung nicht erfolgt seien. Unterstellte man dennoch, die Beklagte habe das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG durchgeführt, sprächen erst recht keine unionsrechtlichen Gründe gegen die Verrechnung von Nachteilsausgleich und Sozialplanabfindung im Wege einer Erfüllungswirkung. Denn die Beklagte hätte in diesem Fall ihrer Konsultationspflicht in dem von der MERL vorgegebenen Umfang entsprochen. Die Verletzung von Beteiligungsrechten des Betriebsrats im Zusammenhang mit §§ 111 ff. BetrVG, welche über den von der MERL vorgegebenen Schutzstandard hinausgehen – wie die Einschaltung eines unparteiischen Dritten (Einigungsstellenverfahren) im Zusammenhang mit einem Interessenausgleichsversuch (vgl. auch BAG 20. November 2001 – 1 AZR 97/01 – zu II 2 c der Gründe, BAGE 99, 377) – erfordert keine den Vorgaben des Art. 6 MERL entsprechende Sanktion. 24 dd) Schließlich ist die Rüge der Revision unbegründet, im Streitfall bliebe bei der Annahme einer Verrechenbarkeit der Forderungen unberücksichtigt, dass die Beklagte besonders massiv gegen die Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach §§ 111, 112 BetrVG verstoßen habe. Das Ausmaß des betriebsverfassungswidrigen Verhaltens eines Arbeitgebers ist ein bei der Bemessung der Abfindungshöhe im Rahmen des § 113 Abs. 3 iVm. Abs. 1 BetrVG durch das Tatsachengericht einzustellendes Moment (vgl. BAG 7. November 2017 – 1 AZR 186/16 – Rn. 36 mwN). Die den Nachteilsausgleich titulierende(n) Entscheidung(en) der Gerichte für Arbeitssachen sind rechtskräftig und nicht – auch nicht mittelbar – Gegenstand der revisionsrechtlichen Überprüfung im hiesigen Rechtsstreit.              Schmidt                  Ahrendt                  K. Schmidt                                    Rose                  Wankel
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13.02.2020
13.02.2020 7/20 - Kündigungen des Cockpit-Personals von Air Berlin wegen fehlerhafter Massenentlassungsanzeige unwirksam Nach § 17 Abs. 1 KSchG muss der Arbeitgeber der Agentur für Arbeit eine sog. Massenentlassungsanzeige erstatten, bevor er in einem Betrieb eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt. Damit hat der deutsche Gesetzgeber die unionsrechtliche Verpflichtung aus Art. 3 der Richtlinie 98/59/EG (Massenentlassungsrichtlinie – MERL) umgesetzt. Bezüglich der Kündigungen des Cockpit-Personals der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin bestand eine Anzeigepflicht. Bei der Anzeige ist jedoch der für § 17 KSchG maßgebliche Betriebsbegriff der MERL verkannt und deswegen die Anzeige nicht für den richtigen Betrieb erstattet worden. Das hatte zur Folge, dass die Anzeige bei einer örtlich unzuständigen Agentur für Arbeit erfolgte und nicht die erforderlichen Angaben enthielt. Dies bewirkt die Unwirksamkeit der betroffenen Kündigungen. Air Berlin unterhielt an mehreren Flughäfen sog. Stationen. Diesen war Personal für die Bereiche Boden, Kabine und Cockpit zugeordnet. Der Kläger war bei Air Berlin als Pilot mit Einsatzort Düsseldorf beschäftigt. Sein Arbeitsverhältnis wurde nach der am 1. November 2017 erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung wie das aller anderen Piloten wegen Stilllegung des Flugbetriebs Ende November 2017 gekündigt. Air Berlin erstattete die Massenentlassungsanzeige für den angenommenen „Betrieb Cockpit“ und damit bezogen auf das bundesweit beschäftigte Cockpit-Personal. Dieses Betriebsverständnis beruhte auf den bei Air Berlin tarifvertraglich getrennt organisierten Vertretungen für das Boden-, Kabinen- und Cockpit-Personal (vgl. § 117 Abs. 2 BetrVG). Die Anzeige erfolgte wegen der zentralen Steuerung des Flugbetriebs bei der für den Sitz der Air Berlin zuständigen Agentur für Arbeit Berlin-Nord. Der Kläger hat die Stilllegungsentscheidung bestritten. Der Flugbetrieb werde durch andere Fluggesellschaften (teilweise) fortgeführt. Die Massenentlassungsanzeige sei fehlerhaft. Die Vorinstanzen haben seine Kündigungsschutzklage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Nach dem unionsrechtlich determinierten Betriebsbegriff des § 17 Abs. 1 KSchG handelte es sich bei den Stationen der Air Berlin um Betriebe im Sinne dieser Norm. Folglich hätte die Massenentlassungsanzeige für die der Station Düsseldorf zugeordneten Piloten bei der dafür zuständigen Agentur für Arbeit in Düsseldorf erfolgen müssen. Dort traten bei typisierender Betrachtung die Auswirkungen der Massenentlassung auf, denen durch eine frühzeitige Einschaltung der zuständigen Agentur für Arbeit entgegen getreten werden soll. Die Anzeige hätte sich zudem nicht auf Angaben zum Cockpit-Personal beschränken dürfen. Die nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG zwingend erforderlichen Angaben hätten vielmehr auch das der Station zugeordnete Boden- und Kabinen-Personal erfassen müssen. Für den Betriebsbegriff der MERL ist ohne Belang, dass diese Beschäftigtengruppen kollektivrechtlich in andere Vertretungsstrukturen eingebettet waren. Der Senat hatte aufgrund der Unwirksamkeit der Kündigung nach § 17 Abs. 1 KSchG, § 134 BGB nicht darüber zu entscheiden, ob ein Betriebs(teil-)übergang auf eine andere Fluggesellschaft stattgefunden hat. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13. Februar 2020 – 6 AZR 146/19 – Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 8. Januar 2019 – 3 Sa 338/18 – Der Senat hat am 13. Februar 2020 auch über sieben gleichgelagerte Verfahren entschieden.
Tenor I. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 8. Januar 2019 – 3 Sa 338/18 – im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es die Berufung des Klägers gegen die Abweisung der Kündigungsschutzklage zurückgewiesen hat. II. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 20. April 2018 – 4 Ca 6911/17 – im Kostenpunkt und insoweit abgeändert, als es die Kündigungsschutzklage abgewiesen hat. Es wird insgesamt klarstellend wie folgt neu gefasst: 1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG vom 28. November 2017 nicht aufgelöst worden ist. 2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. III. Der Kläger trägt die Kosten der ersten und zweiten Instanz zu 1/10, der Beklagte zu 9/10. Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Beklagte. Leitsatz 1. Der Betriebsbegriff des Massenentlassungsrechts ist ein unionsrechtlicher Begriff. Er ist in der Unionsrechtsordnung autonom, einheitlich und losgelöst vom nationalen Begriffsverständnis auszulegen. Die Betriebsbegriffe des KSchG oder des BetrVG sind in diesem Zusammenhang nicht maßgeblich. 2. Das Konsultationsverfahren ist vom Arbeitgeber mit der nach nationalem Recht zuständigen Arbeitnehmervertretung durchzuführen. Die auf der Grundlage des unionsrechtlichen Betriebsbegriffs zu beantwortende Frage, ob der Arbeitgeber eine Massenentlassung beabsichtigt, ist von der nach nationalem Recht zu beantwortenden Frage, welche Arbeitnehmervertretung er dabei zu konsultieren hat, strikt zu trennen. 3. Die Massenentlassungsanzeige ist bei der für den Betriebssitz örtlich zuständigen Agentur für Arbeit zu erstatten. Geht die Anzeige dort vor Zugang der Kündigung nicht ein, ist die Massenentlassungsanzeige fehlerhaft und die auf sie bezogene Kündigung unwirksam. Das Gleiche gilt, sofern die Anzeige infolge der Verkennung des Betriebsbegriffs objektiv unrichtige „Muss-Angaben“ enthält. Tatbestand 1 Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung. 2 Der Kläger war seit dem 1. Januar 1988 bei der LTU Lufttransport-Unternehmen GmbH & Co. KG als Verkehrsflugzeugführer beschäftigt. In dem maßgeblichen Arbeitsvertrag vom 12. Juli 1995 war in § 3 als Einsatzort Düsseldorf vereinbart sowie die Verpflichtung des Klägers enthalten, seinen Wohnsitz so zu wählen, dass er bei normaler Verkehrslage innerhalb von 60 Minuten nach Abruf den Dienst in Düsseldorf antreten kann. 3 Das Arbeitsverhältnis ging im Jahr 2011 auf die Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG (Schuldnerin) mit Sitz in Berlin über. Diese bediente im Linienflugverkehr Ziele in Europa, Nordafrika, Israel sowie in Nord- und Mittelamerika. Hierfür unterhielt sie Stationen an den Flughäfen Berlin-Tegel, Düsseldorf, München, Frankfurt am Main, Stuttgart, Hamburg, Köln, Paderborn, Nürnberg und Leipzig. Am sog. Stationierungsort (home base bzw. Heimatbasis) tritt das fliegende Personal seinen Dienst an und beendet ihn. Die Langstreckenflüge wurden in erster Linie von den Drehkreuzen in Berlin-Tegel und Düsseldorf aus durchgeführt. Soweit Cockpitpersonal auf Flügen von anderen Flughäfen als dem vereinbarten Dienstort eingesetzt wurde, erfolgte dies in Form des sog. proceeding. Das Personal fand sich dabei zunächst am Dienstort ein und wurde von dort zum Einsatzflughafen gebracht. 4 In Berlin war der Leiter des Flugbetriebs („Head of Flight Operations“) ansässig. Diesem oblag die Leitung und Führung des Cockpitpersonals im operativen Geschäft. Er war für die Durchsetzung, Kontrolle und Einhaltung der Betriebsregeln und Arbeitsanweisungen im Bereich Cockpit, die Rekrutierung und Neueinstellung sowie die Personalplanung des gesamten fliegenden Personals zuständig. Ihm jedenfalls teilweise unterstellt war die Position „Head of Crew Operations“. Deren Inhaberin oblag das gesamte Strategie- und Prozessmanagement, die Einsatz- und Bereitstellungsplanung der Crews, der Crew-Verkehr zwischen den einzelnen Stationen und die Crew-Kapazitäts-planung. Die Umlauf- und Dienstplanung erfolgte für den gesamten Flugbetrieb zentral von Berlin aus. 5 Das in englischer Sprache verfasste Betriebshandbuch („Operations Manual Part A“, im Folgenden OM/A), welches die Organisationsstruktur des Flugbetriebs abbildete, sah bezüglich des Cockpitpersonals die Funktion des „Area Manager Cockpit“ vor. Hierbei handelte es sich um Piloten, die im regulären Flugbetrieb eingesetzt waren und daneben administrative Aufgaben wahrnahmen. Insgesamt gab es vier Area Manager, die jeweils für mehrere Stationen zuständig und dem Flottenmanagement unterstellt waren. Das OM/A enthielt mit Stand 28. Dezember 2016 in der vom Senat in der mündlichen Verhandlung vom 13. Februar 2020 mit Einverständnis der Parteien beigezogenen deutschen Übersetzung unter Ziff. 1.3.2.2.1 folgende Aufgabenbeschreibung:          „Zuständigkeiten und Position          Der Area Manager Cockpit ist für alle organisatorischen und administrativen Angelegenheiten für die Außenstationen zuständig, für die er verantwortlich ist.          Er ist in diesen Angelegenheiten der Vorgesetzte für das zugewiesene Personal. Er wird vom NPFO (Flugbetriebsleiter, Anm. des Senats) ernannt und berichtet an das Airbus-Flottenmanagement. Während der Abwesenheit eines Area Managers handeln die weiteren Area Manager stellvertretend für ihn.          Aufgaben und Verantwortungsbereiche          •        Leitung des Flugpersonals an der Station          •        Motivation und persönliche Entwicklung des Cockpit-Personals          •        Interviews/Aufsicht/Verwarnungen, wie vom Flottenmanagement angewiesen          •        Erstellung von Stationsberichten für das Flottenmanagement          •        Erkennung und Lösung von Problemen zur Sicherstellung einheitlicher Prozesse          •        Erteilung notwendiger Anweisungen im Rahmen der Führungsaufgaben          •        Bekanntgabe von Regelungen          •        Deeskalation von Konfliktsituationen innerhalb des Cockpitpersonals und zwischen Cockpit- und Kabinenpersonal in enger Abstimmung mit der für das Kabinenpersonal zuständigen Abteilung          •        Beitrag zur Beurteilung des Flugpersonals          •        Personalgespräche gemäß Anweisung durch das Flottenmanagement          •        Teilnahme an Stationssitzungen          •        Organisation und Erstellung der Tagesordnung der Stationssitzungen          •        Verwaltung von Berichten über Verbesserungen          •        Sicherstellung der Corporate ldentity an den Stationen          •        Er/sie ist ein ansprechbares, sichtbares Rollenvorbild für das Cockpitpersonal und repräsentiert auf positive Art die Abteilung Flugbetrieb          …“     6 Der Leitung des Kabinenpersonals („PX-OK Cabin Crew“) waren ua. zwei Regional Manager unterstellt. Das OM/A beschreibt in der vom Senat beigezogenen beglaubigten deutschen Übersetzung unter Ziff. 1.1.4.4 die Aufgaben des für die Station Düsseldorf zuständigen Regional Manager West wie folgt:          „…              Er/sie nimmt an den Flugbetriebssitzungen teil und führt in Absprache mit der Leitung Kabinenpersonal Projekte durch. Er/sie ist täglich mit den Gewerkschaften und Betriebsräten in Kontakt.          Aufgaben und Verantwortungsbereiche          •        Aufsicht über alle Aktivitäten im Bereich der Passagierbetreuung zur Erzielung eines optimalen professionellen, sicheren und freundlichen Services für die Passagiere          •        Überwachung der Einhaltung aller internen Richtlinien durch das Kabinenpersonal (z.B. Compliance, Datenschutz, interne Vorgaben)          •        Austausch von Informationen in allen sicherheitsrelevanten und Dienstleistungsangelegenheiten sowie in persönlichen Angelegenheiten mit den Regional Managern und der Leitung für das Kabinenpersonal          •        Durchführung von Stationssitzungen an den entsprechenden Stationen          •        Umsetzung von Feedback, Lob, persönlichem Austausch usw. in besonderen Fällen für alle Mitglieder des Kabinenpersonals an den entsprechenden Stationen          •        Er/Sie ist Mitglied des Health Management Team (BEM).          •        Überwachung der Einhaltung aller Dienstpläne an den entsprechenden Stationen. Vorgabe von Richtlinien und Spezifikationen für die Kabinenpersonalplanung, den Einsatzplan und Crewkontakt.          •        Regelmäßige Besetzung der Hotline für das Kabinenpersonal (24/7) als diensthabender Manager          •        Personalbeschaffung für alle Positionen im Bereich Kabinenpersonal          •        Verhandlung mit Gewerkschaften und Betriebsräten“ 7 Die Schuldnerin beschäftigte mit Stand August 2017 mehr als 6.000 Arbeitnehmer, davon 1.318 Cockpitmitarbeiter, 3.362 Beschäftigte in der Kabine und 1.441 Mitarbeiter am Boden. Für das Cockpitpersonal war gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG durch Abschluss des „Tarifvertrags Personalvertretung (TVPV) für das Cockpitpersonal der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG“ (im Folgenden TVPV) eine Personalvertretung (PV Cockpit) gebildet. Für das Kabinenpersonal wurde durch den „Tarifvertrag Personalvertretung (TVPV) für das Kabinenpersonal der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG“ die Personalvertretung Kabine (PV Kabine) errichtet. Beide Gremien hatten ihren Sitz in Berlin. Das Bodenpersonal vertraten die regional zuständigen Betriebsräte (Boden Nord, West und Süd) und der Gesamtbetriebsrat. 8 Am 15. August 2017 beantragte die Schuldnerin beim zuständigen Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen bei Eigenverwaltung. Das Gericht ordnete zunächst die vorläufige Eigenverwaltung an und bestellte den Beklagten am 16. August 2017 zum vorläufigen Sachwalter. Danach leitete die Schuldnerin eine Investorensuche ein, die eine Fortführung des Geschäftsbetriebs im Rahmen einer übertragenden Sanierung ermöglichen sollte. Nach Ablauf der Angebotsfrist am 15. September 2017 lag kein annahmefähiges Angebot vor. Daraufhin wurde beschlossen, weitere Verhandlungen mit der Lufthansa-Gruppe und der britischen Fluggesellschaft easyJet Airline Company Limited (easyJet) zu führen. 9 Am 12. Oktober 2017 unterzeichneten der Executive Director der persönlich haftenden Gesellschafterin der Schuldnerin, der Generalbevollmächtigte der Schuldnerin und der Beklagte für die Schuldnerin eine Erklärung. Diese lautete auszugsweise wie folgt:          „Erklärung der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG          … Es ist beabsichtigt, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 26. Oktober 2017 beim Insolvenzgericht anzuregen.          I.     Die Liquiditäts- und Fortführungsplanung hat ergeben, dass eine Fortführung des Geschäftsbetriebs im Rahmen des eröffneten Insolvenzverfahrens nicht möglich ist. Vor diesem Hintergrund haben die Geschäftsführung, der Generalbevollmächtigte, das Management Board sowie die Board of Directors der Air Berlin PLC die Entscheidung getroffen, die erforderliche Betriebsänderung (Stilllegung) – vorbehaltlich der Zustimmung des Gläubigerausschusses und unter Wahrung der Beteiligungsrechte des Wirtschaftsausschusses sowie des Betriebsrates/Gesamtbetriebsrats bzw. der Personalvertretungen – durchzuführen.                   …                 II.      Die Unterzeichner dieses Beschlusses stimmen daher darin überein, dass beabsichtigt ist, den Geschäftsbetrieb der Air Berlin Flüge einzustellen. Die Einstellung und Stilllegung des Geschäftsbetriebs der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG soll wie folgt umgesetzt werden:          1.     Beendigung der Flugzeug-Leasingverträge der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG als Leasingnehmer durch Kündigung bzw. Abschluss von Aufhebungsverträgen und Rückgabe der Flugzeuge sukzessive bis zum 31.01.2018.          2.     Einstellung des operativen Geschäftsbetriebs der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG. Dabei wird mit Ablauf des 28. Oktober 2017 der operative Flugverkehr im Namen und auf Rechnung der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG eingestellt. …          3.     Erbringung der Dienstleistungen gegenüber Eurowings im Rahmen des sog. ‚Wet Lease‘ für den Zeitraum bis maximal zum 31. Januar 2018. Dies betrifft 13 Flugzeuge.          4. a)  Derzeit verfügen 6.054 Arbeitnehmer/-innen über ein Arbeitsverhältnis und 8 Auszubildende (nachfolgend Arbeitnehmer) über ein Ausbildungsverhältnis mit der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG. Die Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG beabsichtigt, sämtliche Arbeitsverhältnisse … nach Durchführung der Interessenausgleichs- sowie Massenentlassungsanzeigeverhandlungen (§ 17 KSchG) und nach Durchführung der Anhörungsverfahren mit den Mitbestimmungsgremien (Betriebsräte/Personalvertretungen) zu kündigen. Die Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG wird – soweit erforderlich – eine Zustimmung für Arbeitnehmer mit etwaigem Sonderkündigungsschutz (z. B. SGB IX, BEEG, MuSchG) beantragen und auch diese Arbeitsverhältnisse zeitnah kündigen. Es werden auch Sozialplanverhandlungen geführt werden.          …                          7.     Die Gesamtabwicklung des Geschäftsbetriebs der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG soll nach derzeitiger Planung zum 31. Januar 2018 abgeschlossen sein, so dass im Anschluss daran die Stilllegung erfolgt.“ 10 Mit weiterem Schreiben vom 12. Oktober 2017 wandte sich die Schuldnerin an die PV Cockpit. Das Schreiben entspricht inhaltlich der vorstehend wiedergegebenen Erklärung vom selben Tag. Es sei beabsichtigt, die durch die Betriebsstilllegung bedingten Kündigungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Laufe des Monats Oktober 2017, voraussichtlich ab 26. Oktober 2017, unter Wahrung der gegebenenfalls durch § 113 InsO begrenzten Kündigungsfrist zu erklären. Wegen der Beendigung aller Arbeitsverhältnisse sei eine Sozialauswahl nicht erforderlich. Da es sich um eine anzeigepflichtige Massenentlassung iSd. § 17 Abs. 1 KSchG handle, werde das Konsultationsverfahren hiermit „ergänzend zu unseren persönlichen Erörterungen“ gemäß § 17 Abs. 2 KSchG eingeleitet. 11 In einer an die Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Berlin Nord gerichteten E-Mail vom 13. Oktober 2017 stellte die Schuldnerin folgende Anfrage:          „Wir beabsichtigen nächste Woche eine Massenentlassungsanzeige für das gesamte Personal der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG zu stellen. Wie besprochen, bitte ich um Mitteilung, an welche Agentur für Arbeit wir die Massenentlassungsanzeige richten müssen. Folgendes daher zum Hintergrund:          Die Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG hat ihren Sitz in Berlin, …          Wir haben drei Mitarbeitergruppen: das Bodenpersonal, das Cockpitpersonal und das Kabinenpersonal. Allen Mitarbeitergruppen soll die betriebsbedingte Beendigungskündigung ausgesprochen werden.          Für das Bodenpersonal haben wir einen Tarifvertrag gem. § 3 BetrVG abgeschlossen, wonach es den Betrieb Nord (Berlin, Hamburg ca. 1100 MA), den Betrieb West (Düsseldorf und Köln = 42 MA) und den Betrieb Süd (München, Nürnberg = 15 MA) gibt.          …                 Für das Cockpit- und Kabinenpersonal erfolgt die Leitung sämtlichst von Berlin heraus. Es existieren nur Crewräume an den Flughäfen für das Check-in Verfahren. In den Arbeitsverträgen sind die Homebases benannt. Wie besprochen, ist dieser Ort z.B. für Ruhezeitberechnungen etc. maßgeblich.          Ich bitte Sie mir, uns vor dem Hintergrund der vorstehenden Informationen mitzuteilen, bei welcher(n) Agentur(en) für Arbeit die Massenentlassungsanzeige gestellt werden muss. …“ 12 Ein Sachbearbeiter des Büros des Geschäftsführers der Agentur für Arbeit Berlin Nord antwortete mit E-Mail vom 16. Oktober 2017 wie folgt:          „… Sie stellen dar, dass das Unternehmen in 3 Gruppen gegliedert ist und knüpfen dabei an Mitarbeitergruppen/Betriebsablaufstrukturen an: Bodenpersonal, Cockpitpersonal und Kabinenpersonal. Danach könnten diese in der ersten Grobgliederung als drei unabhängige Betriebe zu betrachten sein, wenn diese Strukturen so gelebt und in der Unternehmensrealität auch so abgebildet wurden, z.B. mit eigenen Betriebsnummern. Sollte dies der Fall sein und Sie diese Strukturen als abgegrenzte Betriebe bewerten, wäre für jeden Betrieb unter dem einheitlichen Unternehmen ein Antrag zu stellen.          …                 Für die Bereiche Cockpit und Kabinenpersonal wäre nach bisher mitgeteilter Sachverhaltslage von einem Betrieb mit Sitz in Berlin auszugehen und damit von einer einheitlichen Antragstellung gegenüber der Agentur für Arbeit Berlin Nord für alles Personal, wenn sich solch getrennte Betriebsstrukturen tatsächlich bestätigen. …“ 13 Der letzte im Namen der Schuldnerin durchgeführte Flug landete am 27. Oktober 2017 auf dem Flughafen Berlin-Tegel. 14 Am 30. Oktober 2017 vereinbarte die Schuldnerin mit dem für das Bodenpersonal gebildeten Gesamtbetriebsrat bezogen auf die Stationen Berlin, Düsseldorf und München einen Interessenausgleich. Der Gesamtbetrieb solle zum 31. Januar 2018 stillgelegt werden. Es werde allen Beschäftigten gekündigt. Eine Sozialauswahl sei deshalb nicht erforderlich. Die Mitarbeiter erhielten nach Maßgabe einer gesonderten Betriebsvereinbarung ein Angebot des Übergangs in eine Transfergesellschaft. 15 Mit Beschluss vom 1. November 2017 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Es ordnete Eigenverwaltung an und bestellte den Beklagten zum Sachwalter. Dieser zeigte noch am gleichen Tage gegenüber dem Insolvenzgericht gemäß § 208 Abs. 1 Satz 2 InsO eine drohende Masseunzulänglichkeit an. Zudem stellte er den Kläger und weitere nicht mehr einzusetzende Piloten und Kabinenpersonal von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. 16 Am 17. November 2017 schloss die Schuldnerin mit der PV Cockpit einen Interessenausgleich. 17 Mit Schreiben vom 20. November 2017 hörte die Schuldnerin die PV Cockpit zur beabsichtigten betriebsbedingten Kündigung sämtlicher in einer Anlage 2 benannten Beschäftigten des Cockpitpersonals an. 18 Mit Formular und Begleitschreiben vom 24. November 2017 erstattete die Schuldnerin bei der Agentur für Arbeit Berlin Nord eine Massenentlassungsanzeige. Das Begleitschreiben nimmt Bezug auf eine am 30. Oktober 2017 erfolgte Massenentlassungsanzeige für das Bodenpersonal und erläutert den Kündigungsgrund bezüglich des Cockpitpersonals. Das Cockpitpersonal umfasse in der Regel 1.301 Mitarbeiter. Die Personalleitung für diese Beschäftigten erfolge in sämtlichen Angelegenheiten von Berlin aus. Dort habe auch die auf tariflicher Grundlage gebildete PV Cockpit ihren Sitz. Das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG sei mit Schreiben vom 13. Oktober 2017 eingeleitet und ausweislich des der Massenentlassungsanzeige beigefügten Interessenausgleichs vom 17. November 2017 abgeschlossen worden. 19 Das Formular „Entlassungsanzeige gemäß § 17 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)“ der Bundesagentur für Arbeit (Stand 06/2017) verlangt die Angabe des Betriebs, auf den sich die Anzeige bezieht. Als Erläuterung wird angeführt, dass „Betrieb“ iSd. Anzeigeverfahrens „die organisatorische Einheit innerhalb des Unternehmens sei, der die zu entlassenden Arbeitnehmer angehören, z.B. eine Filiale oder Zweigstelle“. Die Schuldnerin hat in dem hierfür vorgesehenen Formularfeld angegeben, die Anzeige beziehe sich auf den „Hauptsitz der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG“. Dort seien in der Regel 1.301 Arbeitnehmer/innen beschäftigt, welche voraussichtlich alle im Zeitraum vom 27. November 2017 bis zum 26. Dezember 2017 entlassen werden sollen. Hinsichtlich der in der Regel Beschäftigten wird auf Anlagen verwiesen. In diesen wird bei den „Angaben zu Entlassungen Cockpit“ die Zahl von 1.301 Beschäftigten nach Stationen und Berufsgruppen aufgeschlüsselt. 20 Die Agentur für Arbeit Berlin Nord bestätigte mit Schreiben vom 28. November 2017 den Eingang der vollständigen Anzeige für den „Betrieb Cockpit“ am 24. November 2017. 21 Mit einem per E-Mail übersandten Schreiben vom 27. November 2017 teilte der Vorsitzende der PV Cockpit der Schuldnerin mit, die PV Cockpit habe beschlossen, den beabsichtigten Kündigungen nicht zuzustimmen. 22 Mit einem dem Kläger am 29. November 2017 zugegangenen Schreiben vom 28. November 2017 kündigte die Schuldnerin mit Zustimmung des Beklagten das Arbeitsverhältnis zum 28. Februar 2018. 23 Mit Beschluss vom 17. Januar 2018 hob das Insolvenzgericht die Eigenverwaltung auf und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter. 24 Nach längeren Verhandlungen mit der PV Kabine kündigte der Beklagte dem Kabinenpersonal überwiegend mit Schreiben vom 27. Januar 2018. 25 Mit seiner fristgerecht erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung vom 28. November 2017 gewandt. Sie sei unwirksam. Eine Betriebsstilllegung sei zum Zeitpunkt ihres Zugangs nicht beschlossen gewesen, die Schuldnerin habe vielmehr noch mit möglichen Betriebserwerbern verhandelt. Die PV Cockpit sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Dies gelte sowohl bezüglich des nach § 17 Abs. 2 KSchG durchzuführenden Konsultationsverfahrens als auch bezüglich der nach § 74 Abs. 1 TVPV erforderlichen Anhörung vor Erklärung der Kündigung. Zudem hat der Kläger bereits erstinstanzlich die Auffassung vertreten, die Massenentlassungsanzeige sei fehlerhaft. 26 Der Kläger hat – soweit für die Revision noch von Bedeutung – beantragt          festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Schuldnerin vom 28. November 2017 nicht aufgelöst wurde. 27 Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei wegen der beabsichtigten und tatsächlich erfolgten Stilllegung des Flugbetriebs sozial gerechtfertigt. Ein Betriebs(teil)übergang sei nicht geplant gewesen und habe auch nicht stattgefunden. Die Rechte der PV Cockpit seien gewahrt. Die Massenentlassung sei ordnungsgemäß gegenüber der zuständigen Agentur für Arbeit angezeigt worden. 28 Die Vorinstanzen haben sowohl den Kündigungsschutzantrag als auch einen im Berufungsverfahren noch anhängigen Antrag auf Auskunftserteilung abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt der Kläger beschränkt auf den Kündigungsschutzantrag sein Klageziel weiter. Entscheidungsgründe 29 Die Revision ist begründet. Die streitgegenständliche Kündigung ist nach § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG iVm. § 134 BGB unwirksam (Rn. 97 ff.). Betrieb iSd. § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG war die Station der Schuldnerin am Flughafen Düsseldorf (Rn. 31 ff.). Das Konsultationsverfahren musste mit der PV Cockpit durchgeführt werden (Rn. 60 ff.). Die Schwerbehindertenvertretung war dagegen insoweit nicht zu beteiligen (Rn. 64 ff.). Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts erstattete die Schuldnerin die nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG erforderliche Massenentlassungsanzeige nicht ordnungsgemäß iSd. § 17 Abs. 3 KSchG. Sie ist zudem bei der unzuständigen Behörde eingereicht worden (Rn. 70 ff.). Diese Fehler wurden nicht geheilt (Rn. 111). Auch steht dem Beklagten kein Vertrauensschutz zur Seite (Rn. 112 ff.). Eine Vorlage nach Art. 267 AEUV war nicht erforderlich (Rn. 115). Es konnte deshalb dahinstehen, ob die Kündigung auch noch aus den anderen vom Kläger gerügten Gründen, im Besonderen wegen des von diesem angenommenen Betriebs(teil)übergangs, unwirksam ist. 30 I. Der in § 17 KSchG geregelte besondere Kündigungsschutz bei Massenentlassungen unterfällt in zwei getrennt durchzuführende Verfahren mit jeweils eigenen Wirksamkeitsvoraussetzungen, nämlich die in § 17 Abs. 2 KSchG normierte Pflicht zur Konsultation des Betriebsrats einerseits und die in § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG geregelte Anzeigepflicht gegenüber der Agentur für Arbeit andererseits. Beide Verfahren stehen selbstständig nebeneinander und sind auch vor einer Betriebsstilllegung durchzuführen (vgl. EuGH 3. März 2011 – C-235/10 bis C-239/10 – [Claes ua.] Rn. 33, 43; BAG 22. September 2016 – 2 AZR 276/16 – Rn. 22, BAGE 157, 1). Sie dienen in unterschiedlicher Weise der Erreichung des mit dem Massenentlassungsschutz verfolgten Ziels (BAG 9. Juni 2016 – 6 AZR 405/15 – Rn. 20, BAGE 155, 245; 21. März 2013 – 2 AZR 60/12 – Rn. 28, BAGE 144, 366). Jedes dieser beiden Verfahren stellt ein eigenständiges Wirksamkeitserfordernis für die im Zusammenhang mit einer Massenentlassung erfolgte Kündigung dar (BAG 13. Juni 2019 – 6 AZR 459/18 – Rn. 40; 9. Juni 2016 – 6 AZR 405/15 – aaO). 31 II. Die Anzeige- und Konsultationspflichten des Arbeitgebers nach § 17 Abs. 1 bis Abs. 3 KSchG knüpfen an den Betrieb an. In gleicher Weise verfährt Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Unterabs. i der Richtlinie 98/59/EG (Massenentlassungsrichtlinie, im Folgenden MERL), den § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG umsetzt. Zentraler Bezugspunkt des Massenentlassungsschutzes ist damit der Betriebsbegriff. Diesen hat die Schuldnerin vorliegend verkannt. Einen rein berufsgruppenbezogenen Betriebsbegriff, wie sie ihn ihrem Verständnis des Betriebs im zu beurteilenden Massenentlassungsverfahren zugrunde gelegt hat, kennt die MERL nicht. Betrieb iSd. MERL und des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG war für den Kläger vielmehr die Station der Schuldnerin am Flughafen Düsseldorf. 32 1. Ziel der MERL ist der Schutz der Arbeitnehmer im Fall von Massenentlassungen (EuGH 21. Dezember 2016 – C-201/15 – [AGET Iraklis] Rn. 27; 17. Dezember 1998 – C-250/97 – [Lauge ua.] Rn. 19; vgl. auch Erwägungsgrund 2 der MERL; APS/Moll 5. Aufl. KSchG Vor §§ 17 – 26 Rn. 12). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden Gerichtshof) ist der in der MERL selbst nicht definierte Begriff „Betrieb“ ein unionsrechtlicher Begriff. Sein Inhalt kann nicht anhand der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestimmt werden (vgl. EuGH 13. Mai 2015 – C-182/13 – [Lyttle ua.] Rn. 26; 13. Mai 2015 – C-392/13 – [Rabal Cañas] Rn. 42; 30. April 2015 – C-80/14 – [USDAW und Wilson] Rn. 45; in diesem Sinne schon EuGH 7. Dezember 1995 – C-449/93 – [Rockfon] Rn. 25). Er ist daher in der Unionsrechtsordnung autonom und einheitlich (vgl. nur EuGH 13. Mai 2015 – C-392/13 – [Rabal Cañas] Rn. 42) allein vom Gerichtshof und damit losgelöst von den nationalen Begrifflichkeiten auszulegen. Für die Definition des Betriebs im Bereich des Massenentlassungsschutzes kann darum nicht auf den Gehalt des Betriebsbegriffs des KSchG oder des BetrVG abgestellt werden. Zwar sind Konstellationen denkbar, in denen diese Begriffe übereinstimmen. Das dürfte bspw. häufig der Fall sein, wenn der Arbeitgeber nur einen Betrieb hat. Soweit sich der Betriebsbegriff iSd. MERL und der Betriebsbegriff nach nationalem Verständnis aber nicht decken, ist allein das Verständnis des Gerichtshofs entscheidend. Deshalb ist es für den Betriebsbegriff der MERL unmaßgeblich, wenn nach der Vorstellung des Arbeitgebers Organisationseinheiten bestehen, die sich an betriebsverfassungsrechtlich geprägten Arbeitnehmervertretungsstrukturen orientieren, wie sie bspw. nach § 117 BetrVG möglich sind. Soweit der Senat in früheren Entscheidungen (auch) ein nationales Begriffsverständnis zugrunde gelegt hat (vgl. etwa BAG 25. April 2013 – 6 AZR 49/12 – Rn. 149; 13. Dezember 2012 – 6 AZR 608/11 – Rn. 85; 13. Dezember 2012 – 6 AZR 348/11 – Rn. 84, BAGE 144, 125; anders bereits BAG 26. Januar 2017 – 6 AZR 442/16 – Rn. 21, BAGE 158, 104), hält er hieran nicht fest. 33 2. Der Gerichtshof legt den Begriff „Betrieb“ iSd. MERL sehr weit aus (Brams Unionsrechtliche Impulse für das Recht der Massenentlassung S. 60) und stellt keine hohen organisatorischen Anforderungen an die erforderliche Leitungsstruktur (Junker ZfA 2018, 73, 76). Nach seinem Verständnis wird das Arbeitsverhältnis im Wesentlichen durch die Verbindung zwischen dem Arbeitnehmer und dem Unternehmensteil gekennzeichnet, dem er zur Erfüllung seiner Aufgabe angehört. Der Begriff „Betrieb“ ist dahin auszulegen, dass er nach Maßgabe der Umstände die Einheit bezeichnet, der die von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer Aufgabe angehören (EuGH 13. Mai 2015 – C-392/13 – [Rabal Cañas] Rn. 44; 30. April 2015 – C-80/14 – [USDAW und Wilson] Rn. 47; 7. Dezember 1995 – C-449/93 – [Rockfon] Rn. 31 f.). Es muss sich um eine unterscheidbare Einheit von einer gewissen Dauerhaftigkeit und Stabilität handeln, die zur Erledigung einer oder mehrerer bestimmter Aufgaben bestimmt ist und über eine Gesamtheit von Arbeitnehmern sowie über technische Mittel und eine organisatorische Struktur zur Erfüllung dieser Aufgaben verfügt (EuGH 13. Mai 2015 – C-392/13 – [Rabal Cañas] Rn. 45; 30. April 2015 – C-80/14 – [USDAW und Wilson] Rn. 49; 15. Februar 2007 – C-270/05 – [Athinaïki Chartopoiïa] Rn. 27). Da die MERL die sozioökonomischen Auswirkungen betrifft, die Massenentlassungen in einem bestimmten örtlichen Kontext und einer bestimmten sozialen Umgebung hervorrufen können, muss die fragliche Einheit weder rechtliche noch wirtschaftliche, finanzielle, verwaltungsmäßige oder technologische Autonomie besitzen, um als „Betrieb“ qualifiziert werden zu können (EuGH 13. Mai 2015 – C-392/13 – [Rabal Cañas] Rn. 47; 30. April 2015 – C-80/14 – [USDAW und Wilson] Rn. 51; 15. Februar 2007 – C-270/05 – [Athinaïki Chartopoiïa] Rn. 28). Der Betrieb iSd. MERL muss darum auch keine Leitung haben, die selbstständig Massenentlassungen vornehmen kann (EuGH 13. Mai 2015 – C-392/13 – [Rabal Cañas] Rn. 44 mwN). Vielmehr reicht es aus, wenn eine Leitung besteht, die die ordnungsgemäße Durchführung der Arbeit und die Kontrolle des Gesamtbetriebs der Einrichtungen der Einheit sowie die Lösung technischer Probleme im Sinne einer Aufgabenkoordinierung (EuGH 13. Mai 2015 – C-392/13 – [Rabal Cañas] Rn. 50) sicherstellt (EuGH 15. Februar 2007 – C-270/05 – [Athinaïki Chartopoiïa] Rn. 31). Eine bestimmte räumliche Entfernung ist – anders als bei § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG – nach diesem Betriebsverständnis nicht erforderlich (EuGH 15. Februar 2007 – C-270/05 – [Athinaïki Chartopoiïa] Rn. 29). 34 Ob eine Einheit nach Maßgabe der Umstände im konkreten Einzelfall die Voraussetzungen dieses Betriebsbegriffs erfüllt, der im Sinne einer Systembildung Geltung für alle denkbaren Betriebsformen und -arten beansprucht (vgl. Junker ZfA 2018, 73, 77 mwN), haben allein die nationalen Gerichte festzustellen (EuGH 13. Mai 2015 – C-182/13 – [Lyttle ua.] Rn. 52; 30. April 2015 – C-80/14 – [USDAW und Wilson] Rn. 70). 35 3. Nach diesen Grundsätzen stellte die Station der Schuldnerin am Flughafen Düsseldorf für den Kläger den Betrieb iSd. MERL und damit des § 17 KSchG dar. 36 a) Die Station in Düsseldorf war nicht nur vorübergehend eingerichtet. Sie wies die erforderliche zeitliche Kontinuität und organisatorische Stabilität auf, um in der Gesamtstruktur der Schuldnerin von anderen Einheiten unterscheidbar wahrgenommen zu werden (vgl. zu diesen Kriterien Brams Unionsrechtliche Impulse für das Recht der Massenentlassung S. 64 f.). 37 b) Die Düsseldorfer Station war zur Erledigung einer oder mehrerer Aufgaben, nämlich dazu bestimmt, den Flugbetrieb der Schuldnerin an diesem Flughafen zu ermöglichen. Sie diente als Start- und Landebasis. 38 c) Die Station in Düsseldorf verfügte über eine „Gesamtheit von Arbeitnehmern“ iSd. Begriffsbestimmung des Gerichtshofs, bestehend aus dem fliegenden Personal und dem Bodenpersonal. 39 aa) Diese Voraussetzung ist immer dann erfüllt, wenn der Einheit mehrere Arbeitnehmer dergestalt zugeordnet sind, dass sie in dieser Einheit oder von dieser aus tätig werden und die Einheit rein tatsächlich über sie verfügen kann (vgl. zu letzterem Gesichtspunkt EuGH 15. Februar 2007 – C-270/05 – [Athinaïki Chartopoiïa] Rn. 27, 31; Brams Unionsrechtliche Impulse für das Recht der Massenentlassung S. 61 unter Hinweis auf die englische Sprachfassung des vorgenannten Urteils). Es ist maßgebend, welcher Einheit die zu entlassenden Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer Aufgaben angehören. Zentrales Element ist die Verbindung zwischen dem Arbeitnehmer und der Einheit (vgl. EuGH 13. Mai 2015 – C-392/13 – [Rabal Cañas] Rn. 44; 7. Dezember 1995 – C-449/93 – [Rockfon] Rn. 32; Brams aaO). 40 bb) Diese Verbindung lag bei den Bodenmitarbeitern der Station Düsseldorf auf der Hand. Sie gehörten iSd. MERL dieser Einheit und damit der Station an. 41 cc) Auch beim fliegenden Personal bestand die im Rahmen des Massenentlassungsschutzes erforderliche Verbindung zum jeweiligen Stationierungsort (Heimatbasis) als dem Ort, von dem aus es tätig wurde. Von dieser Basis aus gingen die Besatzungsmitglieder ihrer Arbeit nach und an dieser begann sowie endete ihre Arbeitszeit. Damit bestand eine hinreichende Verbindung zu dieser Einheit, so dass sie über die Besatzungsmitglieder in einem rein tatsächlichen Sinn „verfügte“. Auch die Besatzungsmitglieder „zählten dazu“. 42 (1) Für andere Regelungsbereiche ist zwar entschieden, dass gewöhnlicher Arbeitsort eines Mitglieds des fliegenden Personals nicht der Flughafen, sondern das Flugzeug ist (vgl. zum Vorliegen einer Versetzung im arbeitsrechtlichen Sinn für das Kabinenpersonal BAG 30. November 2016 – 10 AZR 11/16 – Rn. 23; anders für den gewöhnlichen Arbeitsort iSd. Art. 19 Nr. 2 Buchst. a der Brüssel-I-Verordnung BAG 20. Dezember 2012 – 2 AZR 481/11 – Rn. 22 ff.). Cockpit- und Kabinenmitarbeiter arbeiten nicht „an einem“ Flughafen, sondern „von einem“ Flughafen aus (vgl. dazu Knöfel GPR 2019, 43, 45 f.). 43 (2) Das fliegende Personal ist aber ungeachtet dessen auf mehrfache Weise mit seiner Heimatbasis verbunden (vgl. Knöfel GPR 2019, 43, 47, der von einem übergreifenden „Prinzip der Heimatbasis“ spricht). Über eine rein formale Zuordnung zu einer Heimatbasis hinaus ist diese Basis und damit die Station zentraler Bezugspunkt und Anknüpfungspunkt von flug- und arbeits(zeit)rechtlichen Regelungen der Besatzungsmitglieder. 44 (a) Diese finden sich auf unionsrechtlicher Ebene insbesondere in der Verordnung (EU) Nr. 965/2012 sowie der diese ergänzenden Verordnung (EU) Nr. 83/2014. Letztere legt in dem ab 18. Februar 2016 unmittelbar in jedem Mitgliedstaat geltenden (vgl. Art. 2 der Verordnung (EU) Nr. 83/2014) Anhang II im Teilabschnitt FTL (im Folgenden ORO.FTL) die Anforderungen an einen Betreiber und seine Besatzungsmitglieder in Bezug auf Flug- und Dienstzeitbeschränkungen sowie Ruhevorschriften für Besatzungsmitglieder fest (vgl. ORO.FTL.100). Nach ORO.FTL.200 hat ein Betreiber jedem Besatzungsmitglied (Flug- oder Kabinenbesatzung, vgl. Art. 2, Anhang I Nr. 4 der Verordnung (EU) Nr. 965/2012 bzw. Anhang I Nr. 29 der konsolidierten Fassung dieser Verordnung vom 25. September 2019) eine Heimatbasis zuzuweisen. Diese wird damit weder beliebig noch vom Arbeitnehmer bestimmt, sondern vom Luftfahrtunternehmer für jedes Besatzungsmitglied (EuGH 14. September 2017 – C-168/16 und C-169/16 – [Nogueira ua.] Rn. 72). Mit dieser Angabe erfüllt der Arbeitgeber zugleich seine Verpflichtung nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 NachwG. Die Heimatbasis ist gemäß ORO.FTL.105 Nr. 14 der vom Betreiber gegenüber dem Besatzungsmitglied benannte Ort, wo das Besatzungsmitglied normalerweise eine Dienstzeit oder eine Abfolge von Dienstzeiten beginnt und beendet und wo der Betreiber normalerweise nicht für die Unterbringung des betreffenden Besatzungsmitglieds verantwortlich ist. Es ist der Ort, an dem das Flugpersonal systematisch seinen Arbeitstag beginnt und beendet sowie seine tägliche Arbeit organisiert und in dessen Nähe es für die Dauer des Vertragsverhältnisses seinen tatsächlichen Wohnsitz begründet hat und dem Luftfahrtunternehmer zur Verfügung steht (EuGH 14. September 2017 – C-168/16 und C-169/16 – [Nogueira ua.] Rn. 70; vgl. auch BAG 30. November 2016 – 10 AZR 11/16 – Rn. 23). Dementsprechend knüpfen die Regelungen über Dienst- und Ruhezeiten an die Zuordnung zu dieser Heimatbasis an (vgl. ORO.FTL.105 Nr. 11, ORO.FTL.235). Gleiches gilt für den sog. Umlauf. Das ist nach ORO.FTL.105 Nr. 22 ein Dienst oder eine Abfolge von Diensten, darunter mindestens ein Flugdienst, und Ruhezeiten außerhalb der Heimatbasis, beginnend an der Heimatbasis und endend mit der Rückkehr zur Heimatbasis für eine Ruhezeit, wo der Betreiber nicht mehr für die Unterbringung des Besatzungsmitglieds verantwortlich ist. Die Dienstzeit wiederum ist ein Zeitraum, der beginnt, wenn sich ein Besatzungsmitglied auf Verlangen des Betreibers für einen Dienst meldet oder den Dienst beginnt, und der endet, wenn das Besatzungsmitglied frei von allen dienstlichen Verpflichtungen ist, einschließlich der Tätigkeiten der Nachbereitung des Fluges (vgl. ORO.FTL.105 Nr. 11). Zum Dienst in diesem Sinne gehören auch Zeiten, in denen das nicht diensttuende Besatzungsmitglied auf Veranlassung des Betreibers unter bestimmten Voraussetzungen an einen anderen Ort befördert wird (Positionierung, ORO.FTL.105 Nr. 10, 18, ORO.FTL.215; von den Parteien als proceeding bezeichnet). 45 (b) Auch in anderen Regelungszusammenhängen ist das Anknüpfen an die Heimatbasis als Ausdruck eines übergeordneten Rechtsprinzips (vgl. Knöfel GPR 2019, 43, 47) anerkannt. 46 (aa) Die Heimatbasis ist zB ein international-sozialrechtlicher Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der für die Mitglieder von Flug- und Kabinenbesatzungen geltenden Rechtsvorschriften (vgl. Art. 11 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 idF der Verordnung (EU) Nr. 465/2012). Dies soll die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 auf Flug- oder Kabinenbesatzungsmitglieder erleichtern und dient damit deren Schutz (vgl. Erwägungsgrund 18b der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 idF der Verordnung (EU) Nr. 465/2012). 47 (bb) Schließlich ist die Heimatbasis auch bei der Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit für arbeitsrechtliche Klagen von Flugpersonal von Relevanz. Nach Art. 21 Abs. 1 Buchst. b Unterabs. i der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (sog. Brüssel-Ia-Verordnung) kann ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat. Dabei ist der Begriff des gewöhnlichen Arbeitsortes zwar nicht mit dem Begriff der „Heimatbasis“ iSv. Anhang III der Verordnung (EWG) Nr. 3922/91 – der Vorgängerverordnung zur Verordnung (EU) Nr. 965/2012 – gleichzusetzen. Er stellt jedoch ein Indiz dar, das bei der Ermittlung des Ortes, von dem aus das Flugpersonal gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, eine wichtige Rolle spielen und es ermöglichen kann, diesen Ort zu bestimmen (EuGH 14. September 2017 – C-168/16 und C-169/16 – [Nogueira ua.] Rn. 61 ff. zu Art. 19 Nr. 2 Buchst. a der Brüssel-I-Verordnung als Vorgängervorschrift des Art. 21 Abs. 1 Buchst. b Unterabs. i der Brüssel-Ia-Verordnung; siehe schon BAG 20. Dezember 2012 – 2 AZR 481/11 – Rn. 22 ff.; vgl. auch LAG Berlin-Brandenburg 27. Februar 2018 – 6 SHa 140/18 – zu II 2 b der Gründe zur Bestimmung des zuständigen Gerichts in einem Air-Berlin-Verfahren). 48 d) Die Station in Düsseldorf verfügte schließlich auch über technische Mittel und eine organisatorische Struktur zur Erfüllung ihrer Aufgaben. So waren ausweislich der E-Mail der Schuldnerin an die Agentur für Arbeit vom 13. Oktober 2017 an den jeweiligen Stationen zum Beispiel Crewräume für das Check-in-Verfahren vorhanden. Dabei kommt es nicht auf die Eigentumslage an (Brams Unionsrechtliche Impulse für das Recht der Massenentlassung S. 62). Eine Leitung, die die ordnungsgemäße Durchführung der Arbeit und die Kontrolle des Gesamtbetriebs der Einrichtungen der Einheit sowie die Lösung technischer Probleme im Sinne einer Aufgabenkoordinierung sicherstellte, war für die Besatzungsmitglieder mit den Kompetenzen des Area Managers Cockpit sowie des Regional Managers Kabine gegeben, für das Bodenpersonal mit den Kompetenzen der unter Ziff. 1.1.4.3 im OM/A für Düsseldorf ausgewiesenen Person. 49 aa) Nach der og. Rechtsprechung des Gerichtshofs (Rn. 33) ist eine Leitung ausreichend, die einen reibungslosen Betriebsablauf vor Ort gewährleisten kann. Es genügt eine stabile organisatorische Struktur, ohne dass darüber hinausgehende Anforderungen an den Grad der Verselbstständigung zu stellen sind (Brams Unionsrechtliche Impulse für das Recht der Massenentlassung S. 63). Dabei sind an die erforderliche Leitungsstruktur keine hohen Anforderungen zu stellen. Insbesondere müssen sich die Entscheidungsbefugnisse der Leitung nicht auf mitbestimmungsrechtliche Angelegenheiten erstrecken, so dass der unionsrechtliche Begriff der „Leitungsmacht“ deutlich offener und weiter als nach dem nationalen, betriebsverfassungsrechtlichen Verständnis ist (Brams aaO S. 64). Dieser Begriff korrespondiert auch nicht mit dem Begriff der für eine „wirtschaftliche Einheit“ iSd. Richtlinie 2001/23/EG (sog. Betriebsübergangsrichtlinie) erforderlichen funktionellen Autonomie (vgl. dazu EuGH 13. Juni 2019 – C-664/17 – [Ellinika Nafpigeia] Rn. 60 ff.). So hat der Gerichtshof einen Betrieb iSd. MERL nicht nur für einzelne Ladengeschäfte angenommen, die ausschließlich Warenverkäufe tätigten und von einem eigenen Filialleiter mit eigener Kostenstelle geführt wurden (EuGH 13. Mai 2015 – C-182/13 – [Lyttle ua.] Rn. 51). Weitergehend hat er eine unterscheidbare Einheit auch in einem Fall bejaht, in dem der Betriebsleiter von der Zentrale an den Standort entsandt worden war und über die Koordinierung der Aufgaben vor Ort hinaus nicht über eigene Entscheidungsbefugnisse verfügte. Der Gerichtshof sah die Kriterien des Betriebsbegriffs der MERL als erfüllt an, da der Standort eröffnet worden war, um die Kapazität insbesondere der Bearbeitung der Bestellungen örtlicher Kunden des Unternehmens zu erhöhen (EuGH 13. Mai 2015 – C-392/13 – [Rabal Cañas] Rn. 50 f.). Ob die örtliche Leitung disziplinarische Weisungsrechte oder sonstige eigenständige Befugnisse in Bezug auf personelle Maßnahmen ohne Beteiligung übergeordneten Leitungspersonals hat, ist für das Vorliegen eines Betriebs iSd. MERL dagegen unerheblich. Ausgehend davon, dass die MERL die sozioökonomischen Folgen von Massenentlassungen im örtlichen Kontext und der dort vorhandenen sozialen Umgebung regeln will, steht für den Betriebsbegriff der MERL nach der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht die Frage im Vordergrund, ob vor Ort bestimmte formale Entscheidungsbefugnisse bestehen, sondern ob eine objektiv und örtlich bestimmbare Einheit vorliegt. Dieses Betriebsverständnis ist nach der für den Senat maßgeblichen Interpretation des Gerichtshofs am besten geeignet, den nötigen Arbeitnehmerschutz im örtlichen Kontext zu gewährleisten (vgl. Kocher Anm. ZESAR 2016, 86, 88; Preis/Sagan/Naber/Sittard EuArbR 2. Aufl. Rn. 14.33). Eine bloße Zentralisierung von Entscheidungsbefugnissen kann danach die Annahme eines Betriebs iSd. MERL nicht verhindern (Maschmann EuZA 2015, 488, 494). Ausgehend von diesem Betriebsverständnis muss eine Einheit auch nicht eigenständig den ihr zugewiesenen Teilzweck erfüllen können, um einen Betrieb iSd. MERL darstellen zu können. Erst recht muss sie nicht autark agieren können. 50 bb) Diesen Anforderungen genügten die Befugnisse des Area Managers Cockpit. Dieser stellte vor Ort den ordnungsgemäßen Arbeitsablauf sicher und löste dort arbeitsorganisatorische Probleme, wie das OM/A zeigt. Es definierte, wie von ORO.GEN.200 des Anhangs III der Verordnung (EU) Nr. 965/2012 vorgegeben, ua. in Ziff. 1.3.2.2.1 OM/A die Zuständigkeiten und Position des Area Managers Cockpit. Dieser war danach für alle organisatorischen und administrativen Angelegenheiten für die Außenstationen zuständig, für die er verantwortlich war. Insoweit war er der Vorgesetzte für das zugewiesene Personal. Nach dem OM/A oblagen ihm die Leitung des Flugpersonals an der Station sowie Interviews, Aufsicht, Verwarnungen, wie vom Flottenmanagement angewiesen. Er hatte zur Sicherstellung einheitlicher Prozesse Probleme zu erkennen und zu lösen sowie notwendige Anweisungen im Rahmen der Führungsaufgaben zu erteilen. Schließlich hatte der Area Manager Cockpit Konfliktsituationen innerhalb des Cockpitpersonals und zwischen Cockpit- und Kabinenpersonal in enger Abstimmung mit der für das Kabinenpersonal zuständigen Abteilung zu deeskalieren und Personalgespräche gemäß Anweisung durch das Flottenmanagement zu führen. Der Area Manager Cockpit war damit erster Ansprechpartner vor Ort für Probleme im täglichen Geschäft, stellte insoweit als „Bindeglied“ zur zentralen Verwaltung in Berlin den ordnungsgemäßen Arbeitsablauf sicher und löste arbeitsorganisatorische Probleme. 51 cc) In gleicher Weise war der Regional Manager Kabine verantwortlich in disziplinarischen Fragen und Personalangelegenheiten, einschließlich persönlicher Angelegenheiten der Kabinenbesatzung (vgl. Ziff. 1.1.4.4 OM/A). Er hatte die Aufsicht über alle Aktivitäten im Bereich der Passagierbetreuung und überwachte die Einhaltung aller internen Richtlinien durch das Kabinenpersonal. Er war für die Umsetzung von Feedback, Lob und persönlichem Austausch verantwortlich und überwachte die Einhaltung aller Dienstpläne an den entsprechenden Stationen. Schließlich war er mit der Personalbeschaffung für alle Positionen im Bereich Kabine betraut. 52 dd) Aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben ist für die Befugnisse des Area Managers Cockpit sowie des Regional Managers Kabine das OM/A entgegen der Auffassung des Beklagten allein maßgeblich. Der Betreiber hat vor Aufnahme des gewerblichen Luftbetriebs ein Luftverkehrsbetreiberzeugnis (Air Operator Certificate, AOC) zu beantragen und einzuholen. Dabei hat er ua. ein Exemplar des gemäß ORO.MLR.100 des Anhangs III der Verordnung (EU) Nr. 965/2012 iVm. Nr. 8.b des Anhangs IV der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 erforderlichen Betriebshandbuchs vorzulegen (vgl. ORO.AOC.100 Buchst. a, b Nr. 6 des Anhangs III der Verordnung (EU) Nr. 965/2012). Dieses ist auf dem neuesten Stand zu halten (vgl. ORO.MLR.100 Buchst. e des Anhangs III der Verordnung (EU) Nr. 965/2012). Jeder Flug ist entsprechend den Bestimmungen des Betriebshandbuchs durchzuführen (vgl. ORO.GEN.110 Buchst. b des Anhangs III der Verordnung (EU) Nr. 965/2012). Nach Nr. 8.b des Anhangs IV der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 darf der gewerbliche Betrieb von Luftfahrzeugen nur gemäß einem Betriebshandbuch des Betreibers erfolgen. Dieses muss für sämtliche betriebene Luftfahrzeuge alle erforderlichen Anweisungen, Informationen und Verfahren enthalten, die für das Betriebspersonal zur Wahrnehmung seiner Aufgaben erforderlich sind. Beschränkungen hinsichtlich Flugzeit, Flugdienstzeiträumen und Ruhezeiten sind auszuweisen. Das Betriebshandbuch und seine überarbeiteten Fassungen müssen mit dem genehmigten Flughandbuch im Einklang stehen und gegebenenfalls geändert werden. 53 ee) Dass die Leitungsfunktion nicht von einer Person, sondern getrennt für das Cockpit- und das Kabinenpersonal wahrgenommen wurde, ist für die Einordnung der Station Düsseldorf als Betrieb iSd. MERL ebenso unerheblich wie der Umstand, dass die für die Station Düsseldorf zuständigen Area Manager Cockpit und Regional Manager Kabine West auch für die Station Paderborn verantwortlich waren. Diese Aufteilung der Kompetenzen entsprach der organisatorischen Trennung der Beschäftigtengruppen, die dem Betriebsverständnis der Schuldnerin zugrunde lag, aber dem der MERL widerspricht. Maßgeblich ist deshalb allein, dass die Station Düsseldorf in der Gesamtschau die erforderliche Leitungsstruktur aufwies. 54 ff) Soweit dieses unionsrechtliche Begriffsverständnis im Fall kleinteiliger Strukturen dazu führen kann, dass eine Vielzahl von Arbeitnehmern vom Massenentlassungsschutz nicht erfasst wird (vgl. die Fallgestaltung bei EuGH 30. April 2015 – C-80/14 – [USDAW und Wilson]), steht dies im Einklang mit den Zielen der MERL. Diese betrifft die sozioökonomischen Auswirkungen, die Massenentlassungen in einem bestimmten örtlichen Kontext und einer bestimmten sozialen Umgebung hervorrufen können (EuGH 13. Mai 2015 – C-392/13 – [Rabal Cañas] Rn. 47; 13. Mai 2015 – C-182/13 – [Lyttle ua.] Rn. 32; 30. April 2015 – C-80/14 – [USDAW und Wilson] Rn. 51; Brams Unionsrechtliche Impulse für das Recht der Massenentlassung S. 66 f.). Bei Entlassungen in kleinteiligen Strukturen wird aber der örtliche Arbeitsmarkt typischerweise nicht belastet, so dass es des Massenentlassungsschutzes nicht bedarf. Ein Rechtsmissbrauch kann in solchen Fällen erst dann angenommen werden, wenn der Arbeitgeber sein Unternehmen bewusst in kleinste Einheiten aufteilt, um dem Massenentlassungsschutz zu entgehen (MHdB ArbR/Spelge 4. Aufl. Bd. 2 § 121 Rn. 8). 55 e) Der Umstand, dass die Umlauf- und Dienstplanung für den gesamten Flugbetrieb zentral in Berlin erfolgte, bedingt nicht die Zuordnung des in Düsseldorf stationierten Cockpitpersonals zu einem in Berlin ansässigen und alle Stationen umfassenden einheitlichen Flugbetrieb und führt damit zu keinem anderen Ergebnis. Eine solche Betrachtungsweise verwischte die in einer Unternehmensstruktur von der MERL geforderte Unterscheidung zwischen Unternehmen und Betrieb. Für einen Betrieb iSd. MERL reicht es aus, wenn eine Einheit eine Struktur hat, die sie innerhalb eines Unternehmens zu einem unterscheidbaren Teil macht. Das war hier, wie ausgeführt, der Fall. Der Betriebsbegriff der MERL setzt gerade keine rechtliche, wirtschaftliche, finanzielle, verwaltungsmäßige oder technologische Autonomie der Einheit voraus (EuGH 13. Mai 2015 – C-392/13 – [Rabal Cañas] Rn. 45 ff.; 13. Mai 2015 – C-182/13 – [Lyttle ua.] Rn. 30 ff.; 30. April 2015 – C-80/14 – [USDAW und Wilson] Rn. 49 ff.). 56 4. Dem Verständnis der Station Düsseldorf als Betrieb iSd. MERL und des § 17 KSchG steht der besondere Betriebsbegriff für den Luftverkehr in § 24 Abs. 2 KSchG nicht entgegen. Dieser Begriff hat ungeachtet des missverständlichen Wortlauts der Bestimmung für den Massenentlassungsschutz keine Bedeutung. Das folgt aus der Gesetzessystematik. 57 a) Nach § 24 Abs. 2 KSchG gilt als Betrieb „im Sinne dieses Gesetzes“ ua. die Gesamtheit der Luftfahrzeuge eines Luftverkehrsbetriebs. In Abgrenzung von den Land- und Bodenbetrieben enthält § 24 Abs. 2 KSchG insoweit einen eigenständigen Betriebsbegriff. Dieser bezieht sich ausweislich § 23 Abs. 1 Satz 1, § 24 Abs. 1 KSchG aber nur auf die Vorschriften des Ersten und Zweiten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG). Für den im Dritten Abschnitt des KSchG geregelten Massenentlassungsschutz beansprucht er dagegen nach diesen Bestimmungen keine Geltung (LKB/Bayreuther KSchG 16. Aufl. § 24 Rn. 6, 17; aA APS/Moll 5. Aufl. KSchG § 24 Rn. 7; aA bezüglich der Betriebsgröße auch HaKo/Pfeiffer 6. Aufl. KSchG § 24 Rn. 8). Systematisch definiert § 23 Abs. 1 KSchG den Geltungsbereich der Vorschriften des Ersten und Zweiten Abschnitts des KSchG und enthält (nur insoweit) einen durch § 24 KSchG ausgestalteten Vorbehalt ua. für die Luftverkehrsbetriebe. Im Gegensatz dazu gilt für diese gemäß § 23 Abs. 2 KSchG der Massenentlassungsschutz ohne die in § 24 Abs. 2 KSchG normierte Modifikation des Betriebsbegriffs. Eine Sonderregelung für den im Dritten Abschnitt des KSchG enthaltenen Massenentlassungsschutz enthält § 24 Abs. 5 KSchG allein für die Besatzungen von Seeschiffen und auch insoweit nur in Bezug auf die Beteiligung des Seebetriebsrats anstelle des Betriebsrats sowie die zuständige Behörde bei Seeschiffen, die unter der Flagge eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union fahren. Die zunächst noch in § 23 Abs. 2 Satz 2 KSchG enthaltene Herausnahme der Seeschiffe aus dem Geltungsbereich des Dritten Abschnitts des KSchG hat der deutsche Gesetzgeber durch Art. 4 Nr. 1 EM-Leistungsverbesserungsgesetz vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2509) mit Wirkung ab 10. Oktober 2017 gestrichen. Gleichzeitig hat er § 24 Abs. 5 KSchG in der aktuell geltenden Fassung angefügt. Dies geschah in Umsetzung von Art. 4 der Richtlinie (EU) 2015/1794 zur Änderung verschiedener Richtlinien in Bezug auf Seeleute. 58 b) Dieses Normverständnis wird auch durch eine historische Betrachtung bestätigt. Der nationale Gesetzgeber hat die bis 29. April 1978 in § 23 Abs. 2 Satz 2 KSchG enthaltene Herausnahme der Luftfahrzeuge und ihrer Besatzungen aus dem Geltungsbereich des Dritten Abschnitts des KSchG durch Art. 1 Nr. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Kündigungsschutzgesetzes vom 27. April 1978 (BGBl. I S. 550), mit dem er die Vorgaben der Richtlinie 75/129/EWG in nationales Recht umgesetzt hat (vgl. BT-Drs. 8/1041 S. 4), gestrichen. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass die Richtlinie eine solche Ausnahme nicht enthielt (vgl. BT-Drs. 8/1041 S. 6). Für die Besatzungen von Luftfahrzeugen gelten die MERL und § 17 KSchG demzufolge nach dem Willen des nationalen Gesetzgebers uneingeschränkt. Das gilt auch für den diesen Bestimmungen zugrunde liegenden Betriebsbegriff. 59 Daran hat dieser auch später nichts geändert. Mit der Neufassung des § 24 KSchG durch Art. 3 des Gesetzes zur Umsetzung des Seearbeitsübereinkommens 2006 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 20. April 2013 (BGBl. I S. 868) sollten die Regelungen zu kündigungsschutzrechtlichen Besonderheiten an die heutigen Verhältnisse der Seeschifffahrt und des Luftverkehrs angepasst werden, ohne dass damit eine inhaltliche Änderung des Betriebsbegriffs verbunden sein sollte (BT-Drs. 17/10959 S. 119). Die Regelung des bisherigen § 24 Abs. 1 Satz 2 KSchG wurde lediglich als eigenständiger Absatz 2 gefasst. Den Betriebsbegriff des Dritten Abschnitts des KSchG und die uneingeschränkte Anwendung der Vorschriften zur Massenentlassung auf die Besatzung von Luftfahrzeugen ließ die Neufassung unverändert. 60 5. Das Betriebsverständnis des § 17 KSchG hat nicht zur Folge, dass der Arbeitgeber kein Konsultationsverfahren iSv. § 17 Abs. 2 KSchG durchführen muss, wenn aufgrund des abweichenden betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriffs des deutschen Rechts für den Betrieb iSd. MERL kein eigenes Arbeitnehmervertretungsgremium gewählt ist. Ungeachtet des unionsrechtlich determinierten Verständnisses des Betriebsbegriffs sind die von § 17 Abs. 2 KSchG geforderten Konsultationen bei unionsrechtskonformem Verständnis dieser Norm mit der nach nationalem Recht zuständigen Arbeitnehmervertretung durchzuführen. Besteht ein nach nationalem Recht gewähltes Gremium, das (auch) die Arbeitnehmer des Betriebs iSd. § 17 KSchG repräsentiert, muss der Arbeitgeber daher dieses Gremium beteiligen. Die Schuldnerin musste demnach das Konsultationsverfahren mit der PV Cockpit durchführen. Eine zusätzliche Beteiligung der PV Kabine war dagegen ebenso wenig erforderlich wie die Hinzuziehung der Schwerbehindertenvertretung. 61 a) Nach § 17 Abs. 2 KSchG besteht die Konsultationspflicht für den Arbeitgeber gegenüber „dem Betriebsrat“. Dies dient der Umsetzung von Art. 2 der MERL, der von „Arbeitnehmervertretern“ spricht. Das sind nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der MERL die Arbeitnehmervertreter nach den Rechtsvorschriften oder der Praxis der Mitgliedstaaten. Es muss sich somit um das Repräsentationsorgan handeln, das nach nationalem Recht die Arbeitnehmerinteressen gegenüber dem Arbeitgeber vertritt (zu Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2001/23/EG Schubert/Schmitt in Oetker/Preis EAS Stand November 2019 B 8300 Rn. 609). Weiter ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Konsultationsverfahren trotz seiner gesetzlichen Verankerung im KSchG materiell um eine betriebsverfassungsrechtlich geprägte Regelung handelt (BAG 22. September 2016 – 2 AZR 276/16 – Rn. 37, BAGE 157, 1). Die nach § 17 Abs. 2 KSchG zuständige Arbeitnehmervertretung ist daher grundsätzlich nach der Kompetenzzuweisung des BetrVG zu bestimmen (vgl. BAG 7. Juli 2011 – 6 AZR 248/10 – Rn. 30 f., BAGE 138, 301; Schubert/Schmitt in Oetker/Preis aaO Rn. 560; APS/Moll 5. Aufl. KSchG § 17 Rn. 11a, 74d; Brams Unionsrechtliche Impulse für das Recht der Massenentlassung S. 84, 86). Insoweit ist zwischen der Eröffnung des Anwendungsbereichs der MERL bzw. des § 17 KSchG, für die der unionsrechtlich geprägte Betriebsbegriff des Massenentlassungsschutzes maßgeblich ist, und der Bestimmung der zuständigen Arbeitnehmervertretung, die sich nach dem nationalen Recht richtet, strikt zu trennen. 62 Das führt zur grundsätzlichen Zuständigkeit des örtlichen Betriebsrats, unter den Voraussetzungen des § 50 BetrVG zu der des Gesamtbetriebsrats (BAG 13. Dezember 2012 – 6 AZR 752/11 – Rn. 44; vgl. auch BAG 20. September 2012 – 6 AZR 155/11 – Rn. 41, BAGE 143, 150; Schubert/Schmitt in Oetker/Preis EAS Stand November 2019 B 8300 Rn. 560). Soll die Massenentlassung in einem Betriebsteil durchgeführt werden, der betriebsverfassungsrechtlich einem Hauptbetrieb zugeordnet ist, ist wegen der Rückverweisung auf das nationale Recht der Betriebsrat des Hauptbetriebs, der auch die Arbeitnehmer des Betriebsteils repräsentiert, zu beteiligen. Nur dieses Verständnis wird dem Zweck der MERL gerecht. Eine Auslegung, die trotz Überschreitens der Schwellenwerte im Betriebsteil mangels eigenständiger Arbeitnehmervertretung ein Konsultationsverfahren und damit ein wesentliches Element des Massenentlassungsschutzes von vornherein ausschlösse, verbietet der effet utile (vgl. EuGH 8. Juni 1994 – C-383/92 – [Kommission/Vereinigtes Königreich] Rn. 19, 23). Die vorstehenden Überlegungen gelten für einen Gemeinschaftsbetrieb oder kollektivrechtlich errichtete Arbeitnehmervertretungen nach § 3 BetrVG entsprechend (Schubert/Schmitt in Oetker/Preis aaO Rn. 561). Unionsrechtlich nicht zu beanstanden ist es hingegen, wenn in einem betriebsratsfähigen Betrieb ein Konsultationsverfahren ausscheidet, weil kein Betriebsrat gewählt ist und die Arbeitnehmer dieses Betriebs auch nicht durch ein anderes, von ihnen mitgewähltes Gremium repräsentiert werden (vgl. Schubert/Schmitt in Oetker/Preis aaO Rn. 566). 63 b) Auch wenn § 17 Abs. 2 KSchG nur von „Betriebsräten“ spricht, ist er unionsrechtskonform dahin auszulegen (vgl. Schubert/Schmitt ZESAR 2020, 53, 55), dass er in Regelungsbereichen, in denen das BetrVG nicht gilt und daher kein Betriebsrat gewählt werden kann, aber ein dem Betriebsrat vergleichbares Gremium vorgesehen ist, das die Interessen der Belegschaft gegenüber dem Arbeitgeber vertritt, die Beteiligung dieses Gremiums anordnet. Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der MERL gewährt den Mitgliedstaaten keinen Spielraum hinsichtlich der Frage des „Ob“ der Beteiligung einer nach nationalem Recht (anstelle des Betriebsrats) bestehenden Arbeitnehmervertretung. Er betrifft lediglich das „Wie“ deren Bestellung (vgl. EuGH 8. Juni 1994 – C-383/92 – [Kommission/Vereinigtes Königreich] Rn. 19; Schubert/Schmitt aaO). Ein Begriffsverständnis, das eine bestehende Arbeitnehmervertretung vom Anwendungsbereich des § 17 Abs. 2 KSchG ausnähme, verstieße gegen den Grundsatz des effet utile (vgl. Schubert/Schmitt aaO). Da Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der MERL nicht zwischen gesetzlich und kollektivvertraglich vorgesehenen Arbeitnehmervertretungen differenziert, hat der Arbeitgeber, der einen Flugbetrieb unterhält, die auf der Grundlage eines Tarifvertrags nach § 117 Abs. 2 Satz 1 BetrVG errichtete und nach diesem zuständige Arbeitnehmervertretung zu konsultieren. Auch diese sind Arbeitnehmervertreter iSd. Richtlinie. Davon ist das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgegangen (vgl. für die PV Kabine als Vertretungsorgan von Flugbegleitern LAG Berlin-Brandenburg 11. Juli 2019 – 21 Sa 2100/18 – zu II 1 a cc (1) der Gründe; Schubert/Schmitt ZESAR 2020, 53, 54). 64 c) Dagegen war die Schwerbehindertenvertretung auch bei unionsrechtskonformem Verständnis des § 17 Abs. 2 KSchG kein Gremium, mit dem die Schuldnerin das Konsultationsverfahren durchführen musste. Zwar ist auch diese Vertretung ein gesetzliches Organ der Verfassung des Betriebs, dessen Rechte und Pflichten ihre Grundlage in den Vorschriften über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Schwerbehindertenvertretung haben (BAG 21. September 1989 – 1 AZR 465/88 – zu I 2 der Gründe, BAGE 62, 382). Ihre Konsultation neben der PV Cockpit gebot aber weder die MERL noch § 17 Abs. 2 KSchG (vgl. Ludwig/Kemna NZA 2019, 1547, 1551; aA LAG Berlin-Brandenburg 11. Juli 2019 – 21 Sa 2100/18 – zu II 1 a dd der Gründe – Revision zurückgenommen). 65 aa) Welche von mehreren in Betracht kommenden Arbeitnehmervertretungen iSd. MERL zu konsultieren ist, bestimmt diese nicht selbst, sondern gewährt den Mitgliedstaaten gemäß Art. 1 Abs. 1 Buchst. b einen weiten Spielraum (Preis/Sagan/Naber/Sittard EuArbR 2. Aufl. Rn. 14.71). Dieser ist erst dann überschritten, wenn die nationale Regelung dem Schutzniveau der MERL nicht mehr gerecht wird, weil bspw. – wie dargelegt – für bestimmte Arbeitnehmer trotz bestehender Arbeitnehmervertretung von vornherein kein Konsultationsverfahren in Betracht käme oder die Arbeitnehmervertretung der (freiwilligen) Anerkennung seitens des Arbeitgebers bedürfte (vgl. EuGH 8. Juni 1994 – C-383/92 – [Kommission/Vereinigtes Königreich] Rn. 21). 66 bb) Eine „doppelte Repräsentanz“ einzelner Arbeitnehmergruppen fordert die MERL aber nicht (Schubert/Schmitt ZESAR 2020, 53, 56). Sie will den Schwierigkeiten bei der Arbeitsplatzsuche begegnen, die für alle Arbeitnehmer ungeachtet persönlicher Merkmale aus dem Umstand resultieren, dass eine Vielzahl vergleichbar qualifizierter Arbeitnehmer dem lokalen Arbeitsmarkt gleichzeitig zur Verfügung steht (vgl. Hütter ZESAR 2015, 27). Eine Berücksichtigung von Partikularinteressen wie der der Gruppe der schwerbehinderten und der diesen gleichgestellten Arbeitnehmer durch ein gesondertes Gremium bereits im Konsultationsverfahren sieht die MERL nicht vor. Eine solche ist nach deren Sinn und Zweck auch nicht erforderlich. Das Konsultationsverfahren nimmt die von einer Kündigung bedrohten Arbeitnehmer als Gemeinschaft in den Blick und vermittelt für diese einen kollektiven präventiven Kündigungsschutz (vgl. EuGH 16. Juli 2009 – C-12/08 – [Mono Car Styling] Rn. 42; BAG 7. Juli 2011 – 6 AZR 248/10 – Rn. 27, BAGE 138, 301 – „kollektiv ausgestaltetes Recht auf Information und Konsultation“), bevor sich die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers auf bestimmte Arbeitnehmer konkretisiert hat. Die MERL regelt als bloß teilharmonisierende Richtlinie die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für wirksame Massenentlassungen nicht, sondern behält diese dem nationalen Recht vor (vgl. EuGH 21. Dezember 2016 – C-201/15 – [AGET Iraklis] Rn. 33), das dabei unter Umständen wiederum Vorgaben des Unionsrechts berücksichtigen muss. Zu diesen nationalen Voraussetzungen gehören nachgelagerte Beteiligungsverfahren, wie sie § 102 BetrVG oder § 178 Abs. 2 SGB IX vorsehen (Schubert/Schmitt in Oetker/Preis EAS Stand November 2019 B 8300 Rn. 594). 67 Im Konsultationsverfahren ist dagegen grundsätzlich der Betriebsrat das Gremium, das nach nationalem Recht die Belegschaft der betrieblichen Einheit, von der er gewählt worden ist, insgesamt repräsentiert (vgl. BAG 18. November 2014 – 1 ABR 21/13 – Rn. 20, BAGE 150, 74; 17. August 2010 – 9 ABR 83/09 – Rn. 18, BAGE 135, 207), deren Interessen er auch im Fall der Massenentlassung (Ludwig/Kemna NZA 2019, 1547, 1551) fremdnützig wahrnimmt (Fitting BetrVG 30. Aufl. § 1 Rn. 285) und deshalb nach § 17 Abs. 2 KSchG zu beteiligen ist. Das Gleiche gilt im vorliegenden Fall für die PV Cockpit in Bezug auf das Cockpitpersonal. Eine zusätzliche Konsultation der Schwerbehindertenvertretung verlangt die MERL nicht (vgl. Zöllner SAE 2019, 139, 144 – „SBV ist kein ‚Mini-Betriebsrat‘“). 68 cc) Soweit aus Art. 5 Satz 1 und Satz 2 der Richtlinie 2000/78/EG die Pflicht der Mitgliedstaaten zu positiven Maßnahmen für Menschen mit Behinderung folgt, ist dem mit der getrennt vom Konsultationsverfahren durchzuführenden Beteiligung nach § 178 Abs. 2 SGB IX (bis 31. Dezember 2017 § 95 Abs. 2 SGB IX in der ab dem 30. Dezember 2016 geltenden Fassung, vgl. Art. 1, Art. 2 Nr. 6 Buchst. b, Art. 26 Abs. 1, Abs. 2 Bundesteilhabegesetz vom 23. Dezember 2016, BGBl. I S. 3234) Genüge getan (vgl. Schubert/Schmitt ZESAR 2020, 53, 56). Danach hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung vor einer Entscheidung, die Partikularinteressen der Schwerbehinderten berührt, anzuhören, damit diese zu der geplanten Maßnahme Stellung nehmen und so die Entscheidung des Arbeitgebers beeinflussen kann (BAG 14. März 2012 – 7 ABR 67/10 – Rn. 21; zum Inhalt der Unterrichtung vgl. BAG 13. Dezember 2018 – 2 AZR 378/18 – Rn. 20 ff., BAGE 164, 360). Eine Pflicht, (auch) die Schwerbehindertenvertretung nach § 17 Abs. 2 KSchG zu konsultieren, folgt hieraus aber nicht (aA LAG Berlin-Brandenburg 11. Juli 2019 – 21 Sa 2100/18 – zu II 1 a dd (2) und (3) der Gründe). Das Konsultationsverfahren und das Beteiligungsverfahren nach dem SGB IX sind vielmehr voneinander zu trennen und unterliegen jeweils eigenen Voraussetzungen. Eine Konsultation, wie sie § 17 Abs. 2 KSchG vorsieht, setzt § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX nicht voraus. Soweit diese Norm in ihrem Abs. 2 Satz 1 die unverzügliche und umfassende Unterrichtung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, dh. betreffen (BAG 26. Januar 2017 – 8 AZR 736/15 – Rn. 35; 17. August 2010 – 9 ABR 83/09 – Rn. 14, BAGE 135, 207), und die Anhörung vor einer Entscheidung verlangt, führt dies nicht dazu, dass die Schwerbehindertenvertretung bereits im Rahmen des Konsultationsverfahrens zu beteiligen ist. Denn es besteht keine Unterrichtungspflicht, wenn die Angelegenheit die Belange schwerbehinderter oder ihnen gleichgestellter behinderter Menschen in keiner anderen Weise berührt als die nicht schwerbehinderter Beschäftigter (vgl. BAG 26. Januar 2017 – 8 AZR 736/15 – Rn. 35; 14. März 2012 – 7 ABR 67/10 – Rn. 20; 17. August 2010 – 9 ABR 83/09 – Rn. 13, aaO; Mushoff in Hauck/Noftz SGB IX 2018 Stand Dezember 2018 K § 178 Rn. 52; Ludwig/Kemna NZA 2019, 1547, 1548). Das ist jedenfalls bis zum Abschluss des Konsultationsverfahrens der Fall (vgl. für den Fall einer Betriebsänderung Ludwig/Kemna aaO). Entscheidungen iSd. Norm sind nur einseitige Willensakte des Arbeitgebers wie bspw. eine Kündigung (BAG 20. Juni 2018 – 7 ABR 39/16 – Rn. 33; 14. März 2012 – 7 ABR 67/10 – Rn. 21). Das Konsultationsverfahren fällt nicht darunter. 69 d) Falls für einen Betrieb iSd. MERL mehrere Arbeitnehmervertretungen für verschiedene Beschäftigtengruppen – wie bspw. vorliegend die PV Cockpit und die PV Kabine oder wie der Sprecherausschuss – gewählt sind, ist der Arbeitgeber nicht gehalten, ein einheitliches Konsultationsverfahren mit allen Vertretungen gemeinsam durchzuführen. Auch ist es nicht erforderlich, die Konsultationsverfahren mit den jeweiligen Arbeitnehmervertretungen zeitlich parallel einzuleiten, durchzuführen und abzuschließen. Insoweit kann jede Arbeitnehmervertretung nur für den Teil der Belegschaft, von dem sie gewählt ist und den sie daher repräsentiert, auftreten. Da es sich – was Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der MERL erlaubt und das nationale Recht im Rahmen des § 117 BetrVG ermöglicht – um jeweils selbstständige Gremien handelt, folgt aus deren Nebeneinander zugleich auch, dass die Konsultationen inhaltlich unterschiedlich verlaufen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit unterschiedlichen Ergebnissen beendet sein können. Allerdings hat der Arbeitgeber der Arbeitnehmervertretung während des Konsultationsverfahrens neu erlangte Informationen mitzuteilen bzw. erteilte Auskünfte zu vervollständigen, soweit diese relevant oder zur ordnungsgemäßen Unterrichtung der Arbeitnehmervertretung erforderlich sind (vgl. EuGH 10. September 2009 – C-44/08 – [Akavan Erityisalojen Keskusliitto ua.] Rn. 53; BAG 26. Februar 2015 – 2 AZR 955/13 – Rn. 29, BAGE 151, 83; LKB/Bayreuther KSchG 16. Aufl. § 17 Rn. 83). Daher ist der Arbeitgeber verpflichtet, in den Konsultationsverfahren über den Stand der Beratungen mit dem jeweils anderen Gremium rechtzeitig zu unterrichten, soweit hierzu Veranlassung besteht. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Arbeitgeber eines der mehreren Konsultationsverfahren abschließt oder aufgrund der Erörterung in einem der Verfahren seine Planungen überarbeitet. Insoweit handelt es sich um zweckdienliche Auskünfte iSd. § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG. 70 III. Die Kündigung ist gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG iVm. § 134 BGB unwirksam. Die Verkennung des Betriebsbegriffs durch die Schuldnerin hat zur Folge, dass diese eine inhaltlich nicht ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige bei der unzuständigen Arbeitsagentur Berlin Nord erstattet hat. Eine Anzeige bei der zuständigen Arbeitsagentur Düsseldorf erfolgte hingegen nicht. 71 1. Durch das Anzeigeverfahren soll die Agentur für Arbeit rechtzeitig über eine bevorstehende Massenentlassung unterrichtet werden, um sich auf die Entlassung einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern vorbereiten und ihre Vermittlungsbemühungen darauf einstellen zu können (vgl. EuGH 27. Januar 2005 – C-188/03 – [Junk] Rn. 47; ebenso BAG 20. Januar 2016 – 6 AZR 601/14 – Rn. 27, BAGE 154, 53). Das setzt voraus, dass bereits feststeht, wie viele und welche Arbeitnehmer konkret entlassen werden sollen. Auf den Willensentschluss des Arbeitgebers zur Kündigung kann, soll und will die Agentur für Arbeit – anders als das zuständige Gremium im Rahmen des Konsultationsverfahrens – keinen Einfluss mehr nehmen. Ihr Tätigwerden knüpft vielmehr an einen solchen Willensentschluss an. Erst dann kann nach § 17 Abs. 1 KSchG die Massenentlassungsanzeige wirksam erstattet werden (BAG 13. Juni 2019 – 6 AZR 459/18 – Rn. 28, 23). 72 Allerdings verpflichtet § 17 Abs. 1 KSchG den Arbeitgeber bei richtlinienkonformem Verständnis dazu, die Anzeige vor der „beabsichtigten“ Entlassung, dh. vor der Kündigungserklärung, zu erstatten. Die Kündigung kann daher erst wirksam erklärt werden, wenn die Massenentlassungsanzeige ordnungsgemäß erfolgt ist (BAG 9. Juni 2016 – 6 AZR 405/15 – Rn. 17, BAGE 155, 245; vgl. EuGH 27. Januar 2005 – C-188/03 – [Junk] Rn. 46 ff.; BAG 6. November 2008 – 2 AZR 935/07 – Rn. 25 ff., BAGE 128, 256). Maßgebend ist dabei der Zugang der Kündigungserklärung beim Arbeitnehmer. Wann die Kündigungserklärung zugeht, ist nach nationalem Recht zu bestimmen (BAG 13. Juni 2019 – 6 AZR 459/18 – Rn. 34; vgl. auch EuGH 21. Dezember 2016 – C-201/15 – [AGET Iraklis] Rn. 29 ff., Rn. 33). 73 2. Entgegen der Annahme der Revision ist die Massenentlassungsanzeige nicht unwirksam, wenn die Schuldnerin – sofern man dies zu Gunsten der Revision unterstellte – die Kündigungserklärung vor Erstattung der Massenentlassungsanzeige unterzeichnet hat und damit zu diesem Zeitpunkt bereits zur Kündigung der Klagepartei entschlossen war (vgl. BAG 13. Juni 2019 – 6 AZR 459/18 – Rn. 23). 74 3. Die Schuldnerin hat die Anzeige vom 24. November 2017 allerdings bei der unzuständigen Behörde eingereicht. 75 a) Der Arbeitgeber ist nach § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 KSchG verpflichtet, der Agentur für Arbeit die Massenentlassung anzuzeigen. Die Anzeigepflicht als selbstständiger Teil des Massenentlassungsverfahrens soll es der Agentur für Arbeit ermöglichen, durch geeignete Maßnahmen Belastungen des Arbeitsmarkts zu vermeiden oder zumindest zu verzögern, die Folgen der Entlassungen für die Betroffenen zu mildern und für deren anderweitige Beschäftigung zu sorgen (vgl. EuGH 27. Januar 2005 – C-188/03 – [Junk] Rn. 47; ebenso BAG 13. Juni 2019 – 6 AZR 459/18 – Rn. 28; 22. September 2016 – 2 AZR 276/16 – Rn. 24, BAGE 157, 1; 20. Januar 2016 – 6 AZR 601/14 – Rn. 27, BAGE 154, 53). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs betrifft die MERL die sozioökonomischen Auswirkungen, die Massenentlassungen in einem bestimmten örtlichen Kontext und einer bestimmten sozialen Umgebung hervorrufen können. Diese sollen aufgefangen werden, indem der Arbeitgeber nicht nur Arbeitnehmervertreter konsultiert, sondern auch die zuständige Behörde unterrichtet, bevor er die betroffenen Arbeitnehmer entlässt (vgl. EuGH 13. Mai 2015 – C-182/13 – [Lyttle ua.] Rn. 32; 15. Februar 2007 – C-270/05 – [Athinaïki Chartopoiïa] Rn. 28). 76 b) Nach Art. 3 Abs. 1 der MERL hat der Arbeitgeber der „zuständigen“ Behörde alle beabsichtigten Massenentlassungen schriftlich anzuzeigen. In Deutschland ist das die für den Betriebssitz örtlich zuständige Agentur für Arbeit. Das ergibt die unionsrechtskonforme Auslegung des § 17 Abs. 1 KSchG. 77 aa) Die MERL bestimmt die zuständige Behörde nicht selbst, sondern überlässt dies der Ausgestaltung durch die Mitgliedstaaten (Preis/Sagan/Naber/Sittard EuArbR 2. Aufl. Rn. 14.132; Brams Unionsrechtliche Impulse für das Recht der Massenentlassung S. 90). Diese haben lediglich dafür zu sorgen, dass Verfahren bestehen, mit denen die Einhaltung der von der Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen wirksam gewährleistet werden kann (Art. 6 der MERL; vgl. EuGH 16. Juli 2009 – C-12/08 – [Mono Car Styling] Rn. 34, 36). 78 bb) Der deutsche Gesetzgeber hat in § 17 Abs. 1 KSchG festgelegt, dass der Arbeitgeber „der Agentur für Arbeit“ die Anzeige zu erstatten hat. Hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit trifft § 17 KSchG selbst keine ausdrückliche Regelung. Aus dem Zweck des Anzeigeverfahrens folgt aber, dass die Anzeige bei der Agentur für Arbeit zu erstatten ist, bei der es zu den innerhalb der Sperrfrist zu bewältigenden sozioökonomischen Auswirkungen kommt (vgl. EuGH 27. Januar 2005 – C-188/03 – [Junk] Rn. 47 f.). Diese treten nach der Vorstellung der MERL typischerweise am Sitz des Betriebs auf, dessen örtliche Gemeinschaft von der Massenentlassung betroffen ist. Dort bzw. in dessen räumlicher Nähe wohnen die Arbeitnehmer, melden sich arbeitsuchend und würden den Arbeitsmarkt und damit auch die sozialen Verhältnisse belasten (vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts vom 5. Februar 2015 – C-80/14 – [USDAW und Wilson] Rn. 49; Brams Unionsrechtliche Impulse für das Recht der Massenentlassung S. 66 f.). Aufgrund des dezentralen Aufbaus der Bundesagentur für Arbeit mit 156 Agenturen für Arbeit, die wiederum rund 600 Niederlassungen haben, ist die Anzeige bei der Agentur zu erstatten, in deren Zuständigkeitsbereich nach Massenentlassungen typischerweise eine verstärkte Vermittlungstätigkeit zu erwarten ist. Das ist die Agentur, die für den Sitz des Betriebs zuständig ist, nicht diejenige am Unternehmenssitz (LAG Düsseldorf 5. Dezember 2018 – 12 Sa 401/18 – zu D II 1 der Gründe; MHdB ArbR/Spelge 4. Aufl. Bd. 2 § 121 Rn. 129; EuArbRK/Spelge 3. Aufl. RL 98/59/EG Art. 3 Rn. 3; ErfK/Kiel 20. Aufl. KSchG § 17 Rn. 29; Lembke/Oberwinter in Thüsing/Rachor/Lembke KSchG 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 123; Preis/Sagan/Naber/Sittard EuArbR 2. Aufl. Rn. 14.133; LKB/Bayreuther KSchG 16. Aufl. § 17 Rn. 110; APS/Moll 5. Aufl. KSchG § 17 Rn. 96; Schaub ArbR-HdB/Linck 18. Aufl. § 142 Rn. 21; Brams aaO S. 90 „streng betriebsbezogen“; Pierro Die Entwicklung des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes am Beispiel der Massenentlassung unter besonderer Berücksichtigung der §§ 17, 18 KSchG S. 59). Dementsprechend hat die Bundesagentur für Arbeit – in Übereinstimmung mit den unionsrechtlichen Vorgaben – in der Erläuterung im Formular „Entlassungsanzeige gemäß § 17 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)“ sowie in ihren „Fachlichen Weisungen Dritter und Vierter Abschnitt Kündigungsschutzgesetz – KSchG“ vom 10. Oktober 2017 (im Folgenden Fachliche Weisungen KSchG) zu § 17 KSchG unter Ziff. 2.2.3. „Örtliche Zuständigkeit“ und damit für den betroffenen Arbeitgeber ohne Weiteres erkennbar festgelegt, dass die Anzeige der Agentur für Arbeit zu erstatten ist, in deren Bezirk der betroffene Betrieb seinen Sitz hat. Darum reicht der Eingang bei irgendeiner Agentur für Arbeit in Deutschland ohne eine rechtzeitige Weiterleitung an die örtlich zuständige Agentur nicht für eine ordnungsgemäße Anzeige iSv. § 17 Abs. 1 KSchG aus. 79 Ob man die örtlich zuständige Agentur für Arbeit dabei anhand einer richtlinienkonformen Auslegung des § 3 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG (so NK-GA/Boemke § 17 KSchG Rn. 105) oder des § 327 Abs. 4 SGB III (so MHdB ArbR/Spelge 4. Aufl. Bd. 2 § 121 Rn. 129; ohne nähere Begründung BAG 21. Mai 2019 – 2 AZR 582/18 – Rn. 25; 21. März 2012 – 6 AZR 596/10 – Rn. 27; 14. August 1986 – 2 AZR 683/85 – zu B I 6 der Gründe) bestimmt, kann der Senat offenlassen. Beides führt vorliegend zu gleichen Ergebnissen. 80 c) Mit der vor Zugang der Kündigung bei der Agentur für Arbeit Berlin Nord erstatteten Massenentlassungsanzeige vom 24. November 2017 hat die Schuldnerin ihre Anzeigepflicht nicht erfüllt. 81 aa) Insoweit ist unerheblich, dass die Schuldnerin der Agentur für Arbeit Berlin Nord im Vorfeld der Anzeige und im dazu erstellten Begleitschreiben den aus ihrer Sicht für die Frage der örtlichen Zuständigkeit relevanten Sachverhalt subjektiv umfassend und korrekt dargestellt und damit vermeintlich alles ihrerseits Erforderliche getan hatte. Entsprechend dem og. Zweck der Anzeige, die sozioökonomischen Auswirkungen von Massenentlassungen dort zu mildern, wo sie typischerweise auftreten, nämlich am Betriebssitz, verlangt Art. 3 Abs. 1 der MERL, dass die beabsichtigten Entlassungen bei der nach nationalem Recht tatsächlich und nicht nur vermeintlich „zuständigen“ Behörde angezeigt werden. Dem trägt § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG bei unionsrechtskonformem Verständnis, wie ausgeführt, Rechnung. 82 bb) Diesem Normanwendungsbefehl hat die Schuldnerin nicht genügt. Die Entlassungen des – wie der Kläger – in Düsseldorf stationierten Cockpitpersonals hätten rechtzeitig bei der für Düsseldorf zuständigen Agentur für Arbeit angezeigt werden müssen. Wie ausgeführt, stellte die Station Düsseldorf für diese Beschäftigten den Betrieb iSd. § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 KSchG dar. Dort traten auch die sozioökonomischen Auswirkungen der Entlassungen ein. Typischerweise wohnt das Cockpitpersonal regelmäßig in der Nähe seiner Station und meldet sich dort – ungeachtet eines gegebenenfalls globalen Arbeitsmarkts – arbeitsuchend. Davon gehen nicht nur die unionsrechtlichen Regelungen des Luftfahrtrechts zur Bedeutung der Heimatbasis, namentlich ORO.FTL.105 Nr. 14 und Nr. 22, aus (vgl. dazu Rn. 44). Auch der Arbeitsvertrag der Parteien enthält in § 3 Nr. 2 die Verpflichtung des Klägers, seinen Wohnsitz so zu wählen, dass er bei normaler Verkehrslage innerhalb von 60 Minuten nach Abruf den Dienst an dem dienstlichen Einsatzort Düsseldorf antreten kann. 83 d) Die innerbetrieblichen Organisationsstrukturen sind auch nicht deswegen irrelevant, weil die betriebliche Einheit bei Erstattung der Massenentlassungsanzeige bereits durch Stilllegung untergegangen war und die in Frage stehenden Kündigungen nur vorsorglich ausgesprochen werden sollten. Für eine solche Konstellation hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts entschieden, dass zumindest unter diesen Umständen der Arbeitgeber die Anzeige zugleich und mit sofortiger Wirksamkeit bei sämtlichen für die frühere Betriebsstätte möglicherweise zuständigen Arbeitsagenturen einreichen könne, wenn er auf die schon umgesetzte Betriebsstilllegung – und damit den Wegfall eines Betriebssitzes – hinweise und zutreffend mitteile, im Zuständigkeitsbereich welcher Agentur zuletzt die meisten der zu entlassenden Arbeitnehmer beschäftigt gewesen seien. Dann sei es Sache der angegangenen Behörden, sich über die örtliche Zuständigkeit für die Entscheidung nach §§ 18, 20 KSchG abzustimmen (BAG 22. September 2016 – 2 AZR 276/16 – Rn. 70, BAGE 157, 1). Vorliegend war im Zeitpunkt der Anzeigeerstattung weder eine Stilllegung bereits erfolgt, noch handelte es sich um vorsorglich ausgesprochene (Zweit-)Kündigungen. Zudem war die Agentur für Arbeit Berlin Nord unter keinem denkbaren Gesichtspunkt für die Station Düsseldorf örtlich zuständig. 84 e) Es kann dahinstehen, ob die Agentur für Arbeit bei Zweifeln hinsichtlich ihrer Zuständigkeit aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes des § 20 SGB X verpflichtet ist, beim Arbeitgeber entsprechend nachzufragen (§ 20 Abs. 3 KSchG; vgl. BAG 21. März 2012 – 6 AZR 596/10 – Rn. 27). Die angegangene Agentur für Arbeit Berlin Nord hielt sich selbst – fehlerhaft – für zuständig. 85 f) Ob eine unzuständige Agentur für Arbeit verpflichtet ist, die Anzeige an die zuständige Agentur weiterzuleiten (vgl. § 16 Abs. 2 SGB I; siehe auch die Fachlichen Weisungen KSchG zu § 17 Ziff. 2.2.3. Abs. 3), kann hier offenbleiben (zu einer solchen Verpflichtung vgl. MHdB ArbR/Spelge 4. Aufl. Bd. 2 § 121 Rn. 176; ErfK/Kiel 20. Aufl. KSchG § 17 Rn. 29). Jedenfalls wird auch dann die Anzeige erst mit ihrem Eingang bei der zuständigen Agentur wirksam. Ist die Kündigung zu diesem Zeitpunkt dem Arbeitnehmer bereits zugegangen, ist sie unwirksam (vgl. BAG 13. Juni 2019 – 6 AZR 459/18 – Rn. 33). 86 Vorliegend haben weder das Landesarbeitsgericht festgestellt noch die Parteien vorgetragen, dass eine Weiterleitung der Anzeige vom 24. November 2017 durch die Agentur für Arbeit Berlin Nord an die für die Station Düsseldorf zuständige Agentur für Arbeit vor Zugang der Kündigung am 29. November 2017 erfolgt ist. 87 g) Die bei der Agentur für Arbeit Berlin Nord erstattete Massenentlassungsanzeige vom 24. November 2017 ist auch nicht als sog. Sammelanzeige wirksam erstattet worden. 88 aa) Nach den Fachlichen Weisungen KSchG zu § 17 Ziff. 2.2.3. Abs. 4 und Abs. 5 können Großunternehmen mit deutschlandweitem Filialnetz im Fall von Massenentlassungen, die in mehreren Betrieben (Filialen) erfolgen, an regional unterschiedlichen Standorten eine Sammelanzeige bei der Agentur für Arbeit erstatten, die für den Hauptsitz des Unternehmens örtlich zuständig ist. Dabei muss für jeden Betrieb ein Vordruck ausgefüllt sein, dh. eine Massenentlassungsanzeige erfolgen. Die für den Hauptsitz zuständige Agentur nimmt die Anzeigen entgegen, prüft für die betroffenen Betriebe die Anzeigepflicht nach § 17 KSchG und erledigt das Anzeigeverfahren abschließend. Bei Bedarf sind die für die betroffenen Betriebe zuständigen Arbeitsagenturen bei der Beurteilung der regionalen Arbeitsmarktlage zu beteiligen. In jedem Fall sind sie zu den geplanten Entlassungen zu informieren. 89 bb) Die Möglichkeit einer solchen Sammelanzeige unterliegt auch in einem dezentralen Verwaltungsaufbau wie dem in Deutschland keinen unionsrechtlichen Bedenken. Art. 3 Abs. 1 der MERL bestimmt die zuständige Behörde nicht selbst, sondern überlässt dies den Mitgliedstaaten, sofern die Erreichung der Richtlinienziele effektiv gewährleistet ist (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV). Einen bestimmten Verwaltungsaufbau oder eine bestimmte Kompetenzzuordnung schreibt das Unionsrecht den Mitgliedstaaten daher nicht ausdrücklich vor. Darum kann das nationale Recht auch eine Zentralstelle zur Erstattung der Massenentlassungsanzeige vorsehen, solange sichergestellt ist, dass die örtlich zuständige Arbeitsverwaltung im Interesse einer effektiven Vermittlungstätigkeit so früh wie möglich von den – wie ausgeführt – typischerweise im örtlichen Umfeld des Betriebssitzes auftretenden sozioökonomischen Auswirkungen erfährt, um vor Ort angemessene Maßnahmen einzuleiten (Schubert/Schmitt ZESAR 2020, 53, 58; vgl. auch Preis/Sagan/Naber/Sittard EuArbR 2. Aufl. Rn. 14.133). Mit einer solchen Möglichkeit, die für mehrere Betriebe eines Unternehmens beabsichtigten Entlassungen bei einer Zentralstelle anzuzeigen, ist zugleich sichergestellt, dass entgegen der Annahme des Beklagten ein wirksames Anzeigeverfahren nicht ausgeschlossen ist, also das nationale Verfahrensrecht, mit dem die Vorgaben der MERL ausgestaltet werden, die durch Art. 16 GRC geschützte unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers, einen Betrieb zu schließen oder zu verkleinern, nicht unverhältnismäßig beschränkt (vgl. EuGH 21. Dezember 2016 – C-201/15 – [AGET Iraklis] Rn. 41). Diesen Anforderungen genügt die von der Bundesagentur für Arbeit eröffnete Möglichkeit einer Sammelanzeige, da die Fachlichen Weisungen KSchG zu § 17 Ziff. 2.2.3. Abs. 5 vorsehen, dass die für die jeweiligen Betriebssitze zuständigen Arbeitsagenturen bei der Beurteilung der regionalen Arbeitsmarktlage zu beteiligen und über die geplanten Entlassungen zu informieren sind. 90 cc) Auch nationales Verfahrensrecht steht der Möglichkeit einer Sammelanzeige nicht entgegen. § 3 Abs. 2 Satz 2 VwVfG erlaubt der fachlich zuständigen Aufsichtsbehörde in den Fällen, in denen eine gleiche Angelegenheit sich auf mehrere Betriebsstätten eines Betriebs oder Unternehmens bezieht, eine der nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG zuständigen Behörden als gemeinsame zuständige Behörde zu bestimmen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten zur einheitlichen Entscheidung geboten ist. In gleicher Weise kann die Bundesagentur für Arbeit nach § 327 Abs. 6 SGB III die Zuständigkeit abweichend von § 327 Abs. 4 SGB III auf andere Dienststellen übertragen. 91 dd) Von der Möglichkeit einer Sammelanzeige hat die Schuldnerin jedoch keinen Gebrauch gemacht. Zum einen hat sie nicht für jeden Betrieb einen Vordruck „Entlassungsanzeige“ ausgefüllt. Dies allein stünde der Wirksamkeit einer Sammelanzeige zwar nicht entgegen (vgl. auch die Fachlichen Weisungen KSchG zu § 17 Ziff. 2.2.1. Abs. 4, wonach auf die Verwendung der Vordrucke nur „hinzuwirken“ ist). Die Schuldnerin hat aber – ausgehend von ihrem unzutreffenden Verständnis des maßgeblichen Betriebs – am 24. November 2017 eine Einzelanzeige für den nach dem Betriebsbegriff der MERL nicht existierenden Betrieb Cockpit, bestehend aus allen Cockpitmitarbeitern der Gesamtheit aller Stationen, erstatten wollen. Sie hat zudem ihre Betriebsstruktur objektiv falsch dargestellt. Das folgt nicht nur aus den Angaben der Schuldnerin im Formularblatt der Agentur für Arbeit, insbesondere unter Nr. 16 und Nr. 21 iVm. den beigefügten Anlagen. Es lässt sich eindeutig auch dem Begleitschreiben vom 24. November 2017 entnehmen. Die Aufschlüsselung der Angaben zu den Entlassungen nach Stationen in der Anlage zur Massenentlassungsanzeige ändert nichts daran, dass die Schuldnerin eine Anzeige für den gesamten Bereich Cockpit erstatten wollte und auch erstattet hat. In diesem Sinne hat die Agentur für Arbeit Berlin Nord die erstattete Massenentlassungsanzeige verstanden und behandelt, wie ihr Schreiben vom 28. November 2017 belegt. 92 4. Die Schuldnerin hat darüber hinaus eine inhaltlich nicht den Vorgaben des § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG entsprechende Anzeige erstattet. 93 a) Die vom Arbeitgeber zu erstattende Massenentlassungsanzeige muss, soll sie dem Zweck des Anzeigeverfahrens genügen, objektiv richtige Angaben über den Namen des Arbeitgebers, den Sitz und die Art des Betriebs, die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, und die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer enthalten (§ 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG, sog. „Muss-Angaben“). Darüber hinaus sollen Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer gemacht werden (§ 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG, sog. „Soll-Angaben“). Obgleich die MERL diese Unterscheidung nicht kennt und in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 der MERL die Mitteilung aller „zweckdienlichen“ Angaben verlangt sowie einzelne Punkte nennt, die „insbesondere“ anzugeben sind, entspricht § 17 Abs. 3 Satz 4, Satz 5 KSchG den unionsrechtlichen Vorgaben. Sämtliche insoweit aufgeführten Gesichtspunkte sind „zweckdienlich“ iSv. Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 der MERL. 94 b) Aufgrund der Verkennung des Betriebsbegriffs der MERL bezog sich die von der Schuldnerin am 24. November 2017 erstattete Massenentlassungsanzeige im Hinblick auf den Kläger auf den falschen Betrieb. 95 Der Betriebsbegriff der MERL beansprucht Geltung für den gesamten Massenentlassungsschutz und damit auch für das in § 17 Abs. 3 KSchG geregelte Anzeigeverfahren (vgl. dazu vorstehend Rn. 33 ff.). Im Hinblick auf den Kläger war, wie dargestellt, die Station Düsseldorf der maßgebliche Betrieb. Die Anzeige vom 24. November 2017 bezog sich demgegenüber deutschlandweit (insofern einerseits zu weit) allein (insofern andererseits zu eng) auf den Bereich Cockpit. Das folgt zum einen aus den Angaben der Schuldnerin im Formularblatt der Agentur für Arbeit unter Nr. 16 und Nr. 21 iVm. den beigefügten Anlagen. Es lässt sich zum anderen dem Begleitschreiben vom 24. November 2017 entnehmen. Dort führt die Schuldnerin unter Nr. 3 ua. aus, das Cockpitpersonal umfasse in der Regel 1.301 Mitarbeiter. Das waren sämtliche Arbeitnehmer dieser Beschäftigtengruppe. Die Aufschlüsselung der Angaben zu den Entlassungen nach Stationen in der Anlage zur Massenentlassungsanzeige ändert nichts daran, dass die Schuldnerin eine Anzeige für den gesamten Bereich Cockpit erstatten wollte und auch erstattet hat. Den bei der Agentur für Arbeit eingereichten Unterlagen lassen sich zudem keine hinreichenden Angaben in Bezug auf das Boden- und Kabinenpersonal entnehmen. 96 c) Da die Massenentlassungsanzeige richtigerweise für die Station Düsseldorf hätte erstattet werden müssen, enthält sie darüber hinaus mit der Angabe „1301“ eine unzutreffende Mitteilung der Anzahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer. Sowohl die MERL als auch § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG verlangen die Angabe der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer. Unabhängig von der Frage, wie die regelmäßige Beschäftigtenzahl zu bestimmen ist, waren in der Station Düsseldorf nicht die in der Anzeige vom 24. November 2017 angegebenen 1.301 Arbeitnehmer beschäftigt. Diese Zahl gab die in der Regel deutschlandweit in allen Stationen beschäftigten Cockpitmitarbeiter an. Es fehlten Angaben zu den in der Station Düsseldorf beschäftigten Kabinenmitarbeitern (und zum Bodenpersonal). 97 5. Die dargestellten Fehler im Anzeigeverfahren haben die Unwirksamkeit der Kündigung gemäß § 134 BGB zur Folge. 98 a) Eine Rechtsfolge für den Fall, dass dieses Verfahren vor der Erklärung einer Kündigung nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ist in der MERL selbst nicht vorgesehen. Enthält eine unionsrechtliche Richtlinie keine besondere Regelung für den Fall eines Verstoßes gegen ihre Vorschriften, obliegt den Mitgliedstaaten die Wahl einer Sanktion. Sie haben dabei darauf zu achten, dass die Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden, die denjenigen entsprechen, die für nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht gelten. Die Sanktion muss dabei wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein (EuGH 8. Juni 1994 – C-383/92 – [Kommission/Vereinigtes Königreich] Rn. 40; BAG 22. November 2012 – 2 AZR 371/11 – Rn. 32, BAGE 144, 47). Es sind also sowohl der Äquivalenzgrundsatz (Obwexer in von der Groeben/Schwarze/Hatje Europäisches Unionsrecht 7. Aufl. Art. 4 EUV Rn. 104) als auch der Effektivitätsgrundsatz – effet utile – (Obwexer aaO Rn. 105; Preis/Sagan/Sagan EuArbR 2. Aufl. Rn. 1.122) zu beachten. 99 b) Eine ausdrückliche Rechtsfolge für das Fehlen oder die Fehlerhaftigkeit einer Massenentlassungsanzeige enthalten die §§ 17, 18 KSchG nicht. 100 c) Unter Beachtung des unionsrechtlichen Grundsatzes des effet utile führt es zur Unwirksamkeit der Kündigung als Rechtsgeschäft, wenn bei ihrer Erklärung eine wirksame Anzeige nach § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG nicht vorliegt. In der Erklärung der Kündigung liegt dann ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot iSv. § 134 BGB (zu § 17 Abs. 1 iVm. Abs. 3 Satz 2, Satz 3 KSchG BAG 22. November 2012 – 2 AZR 371/11 – Rn. 31, 37 ff., BAGE 144, 47; vgl. auch BAG 13. Juni 2019 – 6 AZR 459/18 – Rn. 22; 21. März 2013 – 2 AZR 60/12 – Rn. 42, BAGE 144, 366; zu den Anforderungen an ein Verbotsgesetz BAG 24. August 2016 – 5 AZR 129/16 – Rn. 32 mwN aus der Rspr. des BAG, BAGE 156, 157). 101 aa) § 17 Abs. 1 iVm. Abs. 3 Satz 2, Satz 3 KSchG ist ein Verbotsgesetz, soweit diese Bestimmung die Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats zu den Entlassungen bzw. die Glaubhaftmachung des Arbeitgebers über die Unterrichtung des Betriebsrats und den Stand der Beratungen regelt (BAG 21. März 2013 – 2 AZR 60/12 – Rn. 31 ff., BAGE 144, 366; 22. November 2012 – 2 AZR 371/11 – Rn. 42 ff., BAGE 144, 47). Dementsprechend sind nicht nur Kündigungen, bei denen eine Anzeige gänzlich unterblieben ist (BAG 20. Januar 2016 – 6 AZR 601/14 – Rn. 23 ff., BAGE 154, 53), unwirksam. Auch Kündigungen, die der Arbeitgeber ohne eine nach § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG wirksame Massenentlassungsanzeige erklärt hat (vgl. BAG 22. September 2016 – 2 AZR 276/16 – Rn. 21, BAGE 157, 1), haben keinen Bestand. 102 bb) Die Verpflichtung, die Massenentlassungsanzeige bei der für den Sitz des Betriebs örtlich zuständigen Agentur für Arbeit zu erstatten, die bei unionsrechtskonformer Auslegung aus § 17 Abs. 1 iVm. Abs. 3 Satz 2 KSchG folgt, ist ebenfalls ein Verbotsgesetz iSd. § 134 BGB. Darum ist die Massenentlassungsanzeige und in der Folge auch die ihr folgende Kündigung unwirksam, wenn die Anzeige bei einer unzuständigen Agentur für Arbeit erstattet wird (ErfK/Kiel 20. Aufl. KSchG § 17 Rn. 29; APS/Moll 5. Aufl. KSchG § 17 Rn. 96; Brams Unionsrechtliche Impulse für das Recht der Massenentlassung S. 93; offengelassen von BAG 14. März 2013 – 8 AZR 153/12 – Rn. 47). 103 (1) Die Agentur für Arbeit soll aus beschäftigungspolitischen Gründen rechtzeitig über eine bevorstehende Massenentlassung unterrichtet werden, um ihre Vermittlungsbemühungen darauf einstellen zu können. Hierauf beschränkte der historische Gesetzgeber zunächst die Aufgabe des deutschen Massenentlassungsverfahrens. Allerdings nimmt die MERL ausdrücklich auch den Schutz der Arbeitnehmer in den Blick. Sie soll einen vergleichbaren Schutz der Rechte der Arbeitnehmer in den verschiedenen Mitgliedstaaten im Fall von Massenentlassungen gewährleisten und die für die Unternehmen in der Gemeinschaft mit diesen Schutzvorschriften verbundenen Belastungen einander angleichen. Hauptziel der MERL ist es, Massenentlassungen Konsultationen mit Arbeitnehmervertretern und die Unterrichtung der zuständigen Behörde vorangehen zu lassen (EuGH 21. Dezember 2016 – C-201/15 – [AGET Iraklis] Rn. 28; 10. Dezember 2009 – C-323/08 – [Rodríguez Mayor ua.] Rn. 44). Insoweit soll der Arbeitnehmerschutz verstärkt werden, was der Erwägungsgrund 2 der MERL deutlich macht (vgl. zur Vorgängerrichtlinie 75/129/EWG EuGH 7. Dezember 1995 – C-449/93 – [Rockfon] Rn. 29). Daher hat auch das Anzeigeverfahren mittelbar individualschützende Funktion. § 17 KSchG dient insgesamt auch dem Arbeitnehmerschutz (BAG 22. November 2012 – 2 AZR 371/11 – Rn. 41, BAGE 144, 47). 104 (2) Geht die Anzeige zwar vor der Kündigung und damit rechtzeitig, aber bei der unzuständigen Agentur für Arbeit ein, werden die zur Vermeidung bzw. Milderung der sozioökonomischen Auswirkungen zu ergreifenden Maßnahmen erschwert bzw. jedenfalls – sofern man von einer späteren Weiterleitung an die zuständige Agentur für Arbeit ausgeht – verzögert. Eine Anzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit liegt dann (noch) nicht vor. Der Arbeitgeber hat die ihn treffenden Pflichten nicht vollständig erfüllt. Er hat den Normbefehl des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG missachtet, der bei unionsrechtskonformem Verständnis verlangt, die Anzeigepflicht vor der „beabsichtigten“ Kündigung zu erfüllen, dh. bevor der Arbeitgeber durch die Mitteilung der Kündigung seiner Entscheidung, das Arbeitsverhältnis zu beenden, Ausdruck gegeben hat (BAG 13. Juni 2019 – 6 AZR 459/18 – Rn. 32; vgl. bereits BAG 23. März 2006 – 2 AZR 343/05 – Rn. 17 ff., BAGE 117, 281). Praktische Wirksamkeit (vgl. zu diesem Erfordernis EuGH 21. Dezember 2016 – C-201/15 – [AGET Iraklis] Rn. 36) erlangt eine Sanktion dieser Missachtung jedoch erst dadurch, dass die Regelung in § 17 Abs. 1 KSchG auch als gesetzliches Verbot iSd. § 134 BGB verstanden wird, eine Kündigung vor Eingang der erforderlichen Massenentlassungsanzeige bei der örtlich zuständigen Arbeitsagentur zu erklären. Die Regelungen der MERL und des § 17 KSchG sollen verhindern, dass der Arbeitgeber durch das Erklären von Kündigungen Fakten schafft, bevor die zuständige Behörde von der bevorstehenden Massenentlassung Kenntnis hat. Diese Sanktionsfolge hat im Übrigen bereits der Gerichtshof klargestellt, wenn er annimmt, dass Art. 3 der MERL der Kündigung nicht „entgegensteht“, wenn die Kündigung erst nach der Anzeige bei der zuständigen Behörde erfolgt (vgl. EuGH 27. Januar 2005 – C-188/03 – [Junk] Rn. 53). 105 (3) Vor diesem Hintergrund stellt es keine ausreichende Sanktion dar, einen späteren Eingang der Anzeige bei der örtlich zuständigen Agentur für Arbeit – der vorliegend nicht einmal festgestellt ist – dadurch zu berücksichtigen, dass die Entlassungssperre des § 18 KSchG erst ab diesem Zeitpunkt zu laufen beginnt, sich also nach hinten verschiebt (in diesem Sinne aber NK-GA/Boemke § 17 KSchG Rn. 128; APS/Moll 5. Aufl. KSchG § 17 Rn. 96). Dies berücksichtigt weder die Rechtsprechung des Gerichtshofs noch den durch das Verständnis des Entlassungsbegriffs als Kündigung erfolgten Bedeutungswandel der Sperrfrist hinreichend, die sich nunmehr lediglich auf den Eintritt der Rechtsfolgen der Kündigung bezieht und mittelbar eine Mindestkündigungsfrist bewirkt (vgl. BAG 6. November 2008 – 2 AZR 935/07 – Rn. 24 ff., BAGE 128, 256). Eine solche Sanktion hätte in den Fällen keine Wirkung, in denen die individuelle Kündigungsfrist länger als die Sperrfrist ist. Sie hätte keine abschreckende Wirkung und würde der Richtlinie ihre praktische Wirksamkeit nehmen. Sie stellt mithin keine ausreichende Sanktion dar. 106 (4) Antragsteller in anderen Verwaltungsverfahren stehen damit nicht besser als der Arbeitgeber, der eine (fehlerhafte) Massenentlassungsanzeige bei der örtlich unzuständigen Agentur für Arbeit einreicht. § 2 Abs. 1 SGB X (Bestimmung der zuständigen Behörde, wenn mehrere Behörden örtlich zuständig sind), § 40 Abs. 3 Nr. 1, § 42 Satz 1 SGB X (Wirksamkeit eines von einer unzuständigen Behörde erlassenen Verwaltungsakts) sowie § 327 Abs. 6 SGB III (Übertragung von Aufgaben auf andere Dienststellen durch die Bundesagentur für Arbeit) betreffen als Vorschriften des nationalen Verfahrensrechts gänzlich anders gelagerte Sachverhalte als die der Sicherung eines unionsrechtlich vorgegebenen formalen Verfahrens dienenden Bestimmungen zur Massenentlassungsanzeige. 107 cc) Die gleiche Rechtsfolge, nämlich die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung, ziehen die inhaltlich nicht den Vorgaben des § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG entsprechenden Angaben in der Anzeige zum Betrieb und zur Anzahl der in der Regel Beschäftigten nach sich. 108 (1) Fehler im Anzeigeverfahren im Hinblick auf die „Muss-Angaben“ des § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG führen zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige und damit zur Nichtigkeit der Kündigung (§ 134 BGB; vgl. BAG 28. Juni 2012 – 6 AZR 780/10 – Rn. 50, BAGE 142, 202; vgl. auch APS/Moll 5. Aufl. KSchG § 17 Rn. 100, 133b; Brams Unionsrechtliche Impulse für das Recht der Massenentlassung S. 94). Dies ist – wie dargestellt – Folge der Missachtung des in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 der MERL, § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG enthaltenen Normbefehls unter Berücksichtigung des Grundsatzes des effet utile. § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG ist zwingendes Recht (ErfK/Kiel 20. Aufl. KSchG § 17 Rn. 3). 109 (2) Auf diesen Fehler kann sich auch der Kläger als von der Massenentlassung Betroffener berufen. Die Massenentlassungsanzeige soll es der Agentur für Arbeit ermöglichen, sich auf die Entlassung einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern vorbereiten und ihre Vermittlungsbemühungen darauf einstellen zu können (vgl. EuGH 27. Januar 2005 – C-188/03 – [Junk] Rn. 47; ebenso BAG 20. Januar 2016 – 6 AZR 601/14 – Rn. 27, BAGE 154, 53). Sie soll Lösungen für die durch die Massenentlassung aufgeworfenen Probleme suchen (Art. 4 Abs. 2 der MERL). Durch die korrekte Erfüllung der Anzeigepflicht soll die Agentur für Arbeit in die Lage versetzt werden, die Folgen der Entlassungen für die Betroffenen möglichst zu mildern (BAG 21. März 2013 – 2 AZR 60/12 – Rn. 28, BAGE 144, 366). Nach diesem Zweck des Anzeigeverfahrens dient die Angabe der Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer der zuständigen Behörde nicht nur – wovon das Landesarbeitsgericht ausgeht – der Prüfung, ob die Schwellenwerte erreicht sind und damit eine anzeigepflichtige Massenentlassung vorliegt. Anderenfalls wären diese Angaben bei einer nicht in Etappen erfolgenden Stilllegung eines Betriebs mit mehr als 20 Arbeitnehmern stets entbehrlich, weil in diesem Fall immer eine Massenentlassung vorläge. Eine derartige Ausnahme sehen aber weder Art. 3 der MERL noch § 17 KSchG vor. Die der zuständigen Agentur für Arbeit obliegende Prüfung wird vielmehr durch jeden Fehler bei den „Muss-Angaben“ beeinflusst und – aus objektiver Sicht – durch Verzögerungen in der Bearbeitung erschwert. Das gilt auch bei unzutreffenden Angaben bei der Anzahl der in der Regel Beschäftigten. Diese sind geeignet, die zuständige Behörde bei der Auswahl der zu ergreifenden Vermittlungsbemühungen zu beeinflussen, die je nach Größe des betroffenen Betriebs unterschiedlich ausfallen können. Damit ist es im vorliegenden Fall nicht auszuschließen, dass die Agentur für Arbeit in ihrer Entscheidung beeinflusst worden ist (aA LAG Düsseldorf 5. Dezember 2018 – 12 Sa 401/18 – zu D I 3 b der Gründe; ähnlich wie hier für den Fall der unzureichenden Angabe der Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer LAG Düsseldorf 26. September 2013 – 5 Sa 530/13 – zu II 3.2.4.2 der Gründe). Ob dies bei unerheblichen Abweichungen gleichermaßen gilt, braucht der Senat nicht zu entscheiden, da sich die fehlerhafte Angabe im vorliegenden Fall nicht in einem solchen Rahmen bewegt (vgl. zu einer Unterscheidung in dieser Hinsicht Preis/Sagan/Naber/Sittard EuArbR 2. Aufl. Rn. 14.176; vgl. auch LAG Baden-Württemberg 16. September 2010 – 9 Sa 33/10 -). 110 (3) Soweit der Senat in seiner Entscheidung vom 28. Juni 2012 angenommen hat, dass sich im Fall der zu niedrigen Angabe der Anzahl der zu entlassenden Arbeitnehmer nur die nicht in der Anzeige Genannten auf die Unwirksamkeit der Kündigung berufen können (BAG 28. Juni 2012 – 6 AZR 780/10 – Rn. 50, BAGE 142, 202), ist das mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Hier geht es um inhaltlich falsche Angaben, die auf der Verkennung des Betriebsbegriffs im Massenentlassungsrecht beruhen. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22. März 2001 (- 8 AZR 565/00 – zu B II 10 b der Gründe), wonach die falsche Angabe der in der Regel Beschäftigten keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige habe, beruhte noch auf dem zwischenzeitlich überholten Verständnis des Entlassungsbegriffs und ist daher nicht mehr maßgeblich. 111 6. Die Fehler im Anzeigeverfahren sind nicht dadurch geheilt worden bzw. der gerichtlichen Kontrolle entzogen, dass die Agentur für Arbeit diese nicht – insbesondere nicht in dem Schreiben vom 28. November 2017 – beanstandet hat. Unabhängig davon, dass dieses Schreiben mangels eines Regelungscharakters schon kein Verwaltungsakt war (zu den Voraussetzungen eines Verwaltungsakts BAG 28. Juni 2012 – 6 AZR 780/10 – Rn. 65 ff., BAGE 142, 202), sondern nur eine Eingangsbestätigung, hinderte selbst ein bestandskräftiger Bescheid der Arbeitsverwaltung nach § 18 Abs. 1, § 20 KSchG die Arbeitsgerichtsbarkeit nicht daran, die Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige festzustellen (BAG 22. September 2016 – 2 AZR 276/16 – Rn. 33, BAGE 157, 1; 13. Dezember 2012 – 6 AZR 752/11 – Rn. 66). Ob die Massenentlassungsanzeige ordnungsgemäß erstattet ist, ist lediglich Vorfrage für einen Bescheid der Arbeitsverwaltung nach § 18 Abs. 1, § 20 KSchG, gehört nicht zum Regelungsinhalt eines solchen Verwaltungsakts und wird deshalb von dessen Bestandskraft nicht erfasst (BAG 13. Dezember 2012 – 6 AZR 752/11 – Rn. 67; ausführlich BAG 28. Juni 2012 – 6 AZR 780/10 – Rn. 70 ff., aaO; Brams Unionsrechtliche Impulse für das Recht der Massenentlassung S. 98). Darüber hinaus steht auch Art. 6 der MERL der Annahme einer Heilungswirkung von Verwaltungsakten der Arbeitsverwaltung entgegen. Eine solche Auslegung der §§ 17 ff. KSchG führte zur Unterschreitung des von Art. 6 der MERL geforderten Schutzniveaus und nähme den Anforderungen des § 17 KSchG ihre praktische Wirksamkeit (BAG 13. Dezember 2012 – 6 AZR 752/11 – Rn. 68; ausführlich BAG 28. Juni 2012 – 6 AZR 780/10 – Rn. 76 ff., aaO). 112 7. Aufgrund der E-Mail-Korrespondenz vom 13. und 16. Oktober 2017 mit der Agentur für Arbeit vor Erstattung der Massenentlassungsanzeige durfte die Schuldnerin auch nicht darauf vertrauen, dass sie die Anzeige wirksam bei der Agentur für Arbeit Berlin Nord erstatten kann. Zum einen lässt sich der Antwort der Agentur für Arbeit, unter Berücksichtigung der Sachverhaltsdarstellung der Schuldnerin in der Anfrage vom 13. Oktober 2017, entgegen der Annahme des Beklagten nicht entnehmen, dass sie eine Zusicherung über die Frage der zuständigen Arbeitsagentur erklären oder insoweit eine „Anweisung“ erteilen wollte. Zum anderen hinderte selbst in dem Fall, dass eine solche Zusicherung bzw. Weisung erfolgt sein sollte, dieser Umstand die Arbeitsgerichte nicht daran, die Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige und der Kündigung festzustellen, wenn dies sogar ein bestandskräftiger Verwaltungsakt nicht vermag. 113 8. Die Gewährung des vom Beklagten reklamierten Vertrauensschutzes in das Verständnis des Betriebsbegriffs obliegt nicht den nationalen Gerichten, sondern allein dem Gerichtshof (BVerfG 10. Dezember 2014 – 2 BvR 1549/07 – Rn. 27 f.). 114 9. Soweit der Beklagte annimmt, ihm müsse wegen des unklaren Gesetzeswortlauts des § 17 KSchG Vertrauensschutz bis zur Schaffung einer dem Bestimmtheitsgebot und dem Gebot der Normklarheit genügenden Rechtslage gewährt werden, kann er damit sein Ziel der Klageabweisung nicht erreichen, weil der Senat diese Bestimmungen anzuwenden hat. Im Übrigen ist es ungeachtet der vermeintlichen Unklarheiten im Wortlaut des § 17 KSchG zumindest offenkundig, dass ein auf der tarifvertraglichen Ausgestaltung von Arbeitnehmervertretungsstrukturen beruhendes Betriebsverständnis für die Massenentlassung schon deshalb nicht tragen kann, weil die MERL ein solches Betriebsverständnis nicht kennt und § 17 KSchG ein solches Betriebsverständnis darum nicht deckt. 115 IV. Der Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bedurfte es nicht. Der unionsrechtliche Betriebsbegriff der MERL ist durch die angeführte, gefestigte Rechtsprechung des Gerichtshofs hinreichend geklärt (vgl. BAG 13. August 2019 – 8 AZN 171/19 – Rn. 26). Vernünftige Zweifel daran bestehen nicht (EuGH 4. Oktober 2018 – C-416/17 – [Kommission/Frankreich (Précompte mobilier)] Rn. 110; 9. September 2015 – C-160/14 – [Ferreira da Silva e Brito ua.] Rn. 38 ff.; grundlegend EuGH 6. Oktober 1982 – 283/81 – [Cilfit] Rn. 21; siehe auch BVerfG 9. Mai 2018 – 2 BvR 37/18 – Rn. 24 mwN). Soweit der Beklagte auf (vermeintliche) Unklarheiten bei der Umsetzung des Betriebsbegriffs im nationalen Recht hinweist, betreffen diese Unklarheiten nicht die Auslegung des Unionsrechts und damit nicht die Zuständigkeit des Gerichtshofs. Sie fallen allein in die Zuständigkeit der nationalen Gerichte. 116 V. Die Kosten der Vorinstanzen sind zwischen den Parteien gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO zu verteilen, denn der Antrag auf Auskunftserteilung wurde mit dem Berufungsurteil rechtskräftig abgewiesen. Die Kosten des auf den Kündigungsschutzantrag beschränkten Revisionsverfahrens hat der Beklagte gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO allein zu tragen.              Spelge                  Heinkel                  Krumbiegel                                    Steinbrück                  Klapproth
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19.12.2018
19.12.2018 70/18 - Mehrarbeitszuschläge bei Teilzeitarbeit Eine Regelung in einem Tarifvertrag kann im Einklang mit § 4 Abs. 1 TzBfG* dahin auszulegen sein, dass Mehrarbeitszuschläge bei Teilzeitbeschäftigten für die Arbeitszeit geschuldet sind, die über die Teilzeitquote hinausgeht, die Arbeitszeit einer Vollzeittätigkeit jedoch nicht überschreitet. Die Klägerin ist bei der Beklagten als stellvertretende Filialleiterin in Teilzeit tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die Systemgastronomie Anwendung. Er regelt ua. Mehrarbeitszuschläge und erlaubt es, wie im Fall der Klägerin eine Jahresarbeitszeit festzulegen. Für den nach Ablauf des Zwölfmonats¬zeitraums bestehenden Zeitsaldo hat die Beklagte die Grundvergütung geleistet. Sie hat dagegen keine Mehrarbeitszuschläge gewährt, weil die Arbeitszeit der Klägerin nicht die einer Vollzeittätigkeit überschritt. Die Klägerin verlangt Mehrarbeits¬zuschläge für die Arbeitszeit, die über die vereinbarte Arbeitszeit hinausging. Die Vorinstanzen haben der Klage überwiegend stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zehnten Senat mit Blick auf die Mehrarbeitszuschläge keinen Erfolg. Die Auslegung des Tarifvertrags ergibt, dass Teilzeitbeschäftigte mit vereinbarter Jahresarbeitszeit einen Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge für die Arbeitszeit haben, die über ihre individuell festgelegte Arbeitszeit hinausgeht. Diese Auslegung entspricht höherrangigem Recht. Sie ist mit § 4 Abs. 1 TzBfG vereinbar. Zu vergleichen sind die einzelnen Entgeltbestandteile, nicht die Gesamtvergütung. Teilzeitbeschäftigte würden benachteiligt, wenn die Zahl der Arbeitsstunden, von der an ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung entsteht, nicht proportional zu ihrer ver¬einbarten Arbeitszeit vermindert würde. Der Zehnte Senat gibt seine gegenläufige Ansicht auf (BAG 26. April 2017 – 10 AZR 589/15 -). Er schließt sich der Auffassung des Sechsten Senats an (BAG 23. März 2017 – 6 AZR 161/16 – BAGE 158, 360). Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Dezember 2018 – 10 AZR 231/18 – Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. Januar 2018 – 2 Sa 1365/17 – *§ 4 Abs. 1 TzBfG lautet: 1Ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer darf wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. 2Einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeit¬nehmers entspricht. Hinweis: Der Senat hat am 19. Dezember 2018 über vier weitere parallel gelagerte Sachverhalte entschieden (- 10 AZR 617/17, 10 AZR 618/17, 10 AZR 140/18 und 10 AZR 232/18 -). Die auf Mehrarbeitszuschläge gerichteten Klagen hatten Erfolg.
Tenor 1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. Januar 2018 – 2 Sa 1365/17 – unter Zurückweisung der Revision im Übrigen teilweise aufgehoben. 2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 30. August 2017 – 39 Ca 4579/17 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert, soweit die Beklagte zur Zahlung von 40,00 Euro netto verurteilt wurde. Insoweit wird die Klage abgewiesen. 3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 32 % und die Beklagte 68 % zu tragen. Leitsatz Eine tarifvertragliche Bestimmung, nach der ein Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge erst besteht, wenn die für eine Vollzeittätigkeit maßgebliche Stundenzahl überschritten wird, verstößt gegen § 4 Abs. 1 TzBfG. Tatbestand 1 Die Parteien streiten über tarifliche Zuschläge für Mehrarbeit und eine Pauschale nach § 288 Abs. 5 BGB. 2 Die Beklagte beschäftigt die Klägerin in Teilzeit als stellvertretende Filialleiterin. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifbindung ua. der zwischen dem Bundesverband der Systemgastronomie e. V. und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten abgeschlossene Manteltarifvertrag für die Systemgastronomie vom 17. Dezember 2014 Anwendung (MTV). 3 Der MTV lautet auszugsweise:          „§ 4    Arbeitszeit          1        Regelmäßige Arbeitszeit                   Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt, ausschließlich der Pausen, 39 Stunden pro Woche bzw. 169 Stunden monatlich.                   Die Arbeitszeit wird in der Woche auf 5 Tage verteilt. Soweit durch die Anzahl der Arbeitstage in einem Kalendermonat bedingt eine Unterschreitung von 169 Stunden monatlich eintritt, ist dies im Jahresdurchschnitt wieder auszugleichen.                   …                 3        Jahresarbeitszeit                   Die Arbeitszeit kann einzelvertraglich als Jahresarbeitszeit vereinbart werden. Bezugsgröße ist ein vorher festzulegender Zwölfmonatszeitraum. In diesem Fall beträgt die Jahresarbeitszeit für eine Vollzeittätigkeit 2028 Stunden, für eine Teilzeittätigkeit entsprechend weniger.                   Bei Ein- beziehungsweise Austritten während des Zwölfmonatszeitraums erfolgt eine Berechnung der anteiligen Jahresarbeitszeit nach vollen Kalendermonaten sowie nach Arbeitstagen in angebrochenen Kalendermonaten. Dies gilt entsprechend für Zeiten, in denen das Arbeitsverhältnis ruht.                   Beschäftigte haben einen Anspruch auf ein gleichbleibendes monatliches Arbeitsentgelt von 100 % der monatlichen regelmäßigen Arbeitszeit für eine Vollzeittätigkeit. Für eine Teilzeittätigkeit gilt dies entsprechend nach der durchschnittlichen monatlichen Arbeitszeit, die sich aus der vertraglichen Jahresarbeitszeit ergibt.                   Monatlich sind mindestens 85 % der monatlichen regelmäßigen Arbeitszeit für eine Vollzeittätigkeit abzunehmen. Monatlich ist eine Überschreitung der monatlichen regelmäßigen Arbeitszeit für eine Vollzeittätigkeit um maximal 15 % zulässig. Für eine Teilzeittätigkeit gilt dies entsprechend.                   …                 4        Mehrarbeit und Mehrarbeitszuschlag                   Mehrarbeit im Sinne dieses Tarifvertrages ist diejenige Arbeitsleistung, die über die regelmäßige monatliche Arbeitszeit nach Ziff. 1 hinausgeht und ausdrücklich vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt oder geduldet wurde.                   Mehrarbeit ist mit einem Zuschlag von 25 % des Bruttostundenentgelts gemäß den Bestimmungen des Entgelttarifvertrages zu vergüten. Für alle Neueinstellungen mit Beschäftigungsbeginn ab dem 1. Januar 2015 ist ein Mehrarbeitszuschlag in Höhe von 20 % zu gewähren. Ab dem 1. Januar 2018 beträgt er auch für diese Beschäftigten 25 %. Mehrarbeit im Sinne der Jahresarbeitszeit ist mit einem Zuschlag von 33 % zu vergüten.                   Mehrarbeit einschließlich der Zuschläge ist auf Wunsch des/der Beschäftigten durch Freizeit abzugelten, wenn und soweit keine betrieblichen Belange entgegenstehen.                   Es kann einzelvertraglich eine pauschale Abgeltung der Mehrarbeit einschließlich der Zuschläge mit übertariflichen Entgeltbestandteilen vereinbart werden. Diese Regelungen müssen im Jahresdurchschnitt angemessen dotiert sein. Solche Regelungen können arbeitgeberseitig mit einzelnen Beschäftigten oder mit Gruppen von Beschäftigten vereinbart werden. Diese Vereinbarungen müssen die Höchstzahl der erfassten Überstunden und den Bemessungszeitraum beinhalten.                   Bei einer festgelegten Jahresarbeitszeit nach Ziff. 3 ist Mehrarbeit diejenige Arbeitsleistung, die vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt oder geduldet wurde und die am Ende des Zwölfmonatszeitraums über die vereinbarte Jahresarbeitszeit hinausgeht.          5        Sonntagsarbeit                   Arbeitsleistung, die an Sonntagen erbracht wird, ist nicht zuschlagspflichtig. Mindestens zehn Sonntage im Kalenderjahr müssen beschäftigungsfrei bleiben.          …                        8        Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit richten sich ausschließlich nach diesem Tarifvertrag.                   …                 § 5      Teilzeit          1        Bei Beschäftigten in Teilzeit bestimmen sich die Arbeitszeit und die Lage der Arbeitszeit nach der zwischen den Arbeitsvertragsparteien getroffenen Vereinbarung.          2        Bei Teilzeitkräften richtet sich die Höhe des Arbeitsentgelts nach den Bestimmungen des Entgelttarifvertrages und der jeweiligen Teilzeitquote, d. h. dem Verhältnis der vertraglichen Arbeitszeit zur regelmäßigen Arbeitszeit einer Vollzeitkraft.          3        Die sonstigen tariflichen Leistungen stehen Teilzeitkräften anteilig entsprechend dem Verhältnis der von ihnen regelmäßig (für den Zeitraum von zwölf Monaten) erbrachten tatsächlichen Arbeitszeit zur regelmäßigen Arbeitszeit einer Vollzeitkraft zu, sofern in diesem Tarifvertrag nichts anderes bzw. abweichendes geregelt ist.          4        Sofern regelmäßig (über einen Zeitraum von drei Monaten) Arbeit, die über die vereinbarte Wochenarbeitszeit hinausgeht, angeordnet, gebilligt oder geduldet sowie geleistet wird, kann der/die Beschäftigte eine entsprechende Neugestaltung des Arbeitsvertrages verlangen. Dies gilt nicht für Arbeitsverhältnisse mit Jahresarbeitszeitkonten gemäß § 4 Ziff. 3.          5        Bei Teilzeitkräften ist Mehrarbeit nur diejenige Arbeitszeit, die über die regelmäßige monatliche Arbeitszeit einer Vollzeittätigkeit nach § 4 Ziff. 1 hinausgeht.“ 4 Zwischen den Parteien ist eine Jahresarbeitszeit von 1.817,88 Stunden vereinbart. Im Zeitraum von Oktober 2015 bis September 2016 leistete die Klägerin darüber hinaus 19,69 Stunden. Die Beklagte vergütete diese Arbeitszeit mit 13,22 Euro brutto pro Stunde, gewährte der Klägerin jedoch keine Zuschläge für Mehrarbeit. 5 Die Klägerin macht mit ihrer Klage Mehrarbeitszuschläge für 19,69 Stunden von 33 % ihres tariflichen Stundenentgelts nebst Zinsen sowie eine Pauschale nach § 288 Abs. 5 BGB von 40,00 Euro netto geltend. Sie hat die Auffassung vertreten, sie habe nach § 4 Nr. 4 Abs. 5 MTV Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge. Bei vereinbarter Jahresarbeitszeit sei § 5 Nr. 5 MTV nicht anzuwenden. Diese Tarifnorm gelte nur für Teilzeitbeschäftigte mit Monatsarbeitszeit. Die darin zum Ausdruck kommende unterschiedliche Behandlung von Teilzeitbeschäftigten in verschiedenen Arbeitszeitmodellen sei im MTV angelegt. Es sei zwingend geboten, den MTV so auszulegen, weil nur auf diese Weise eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitbeschäftigten vermieden werden könne. 6 Die Klägerin hat – soweit für die Revision von Bedeutung – beantragt,          1.     die Beklagte zu verurteilen, an sie 85,85 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;          2.     die Beklagte zu verurteilen, an sie 40,00 Euro netto zu zahlen. 7 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, dass der Klägerin keine Mehrarbeitszuschläge zustünden. Sie habe die Arbeitszeit einer Vollzeitkraft nicht erreicht. Damit seien die Voraussetzungen von § 5 Nr. 5 MTV nicht erfüllt. Allein nach dieser Tarifnorm richte sich der Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge bei Teilzeitkräften. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut, aber auch aus Sinn und Zweck sowie der Systematik des MTV. Die Bestimmung des § 5 Nr. 5 MTV enthalte als speziellere Vorschrift eine Sonderregelung für Teilzeitkräfte, unabhängig vom jeweiligen Arbeitszeitmodell. Dieses Auslegungsergebnis sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Bei einem anderen Verständnis würden Teilzeitbeschäftigte mit vereinbarter Jahresarbeitszeit gegenüber Teilzeitbeschäftigten mit monatlicher Arbeitszeit bessergestellt. 8 Das Arbeitsgericht hat der Klage, soweit für die Revision von Interesse, stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte das Ziel der Klageabweisung weiter. Entscheidungsgründe 9 Die Revision der Beklagten hat nur hinsichtlich der Pauschale nach § 288 Abs. 5 BGB Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet. Bei den Stunden, die die Klägerin über die vereinbarte Jahresarbeitszeit hinaus geleistet hat, handelt es sich um zuschlagspflichtige Mehrarbeit. Sie ist nach § 4 Nr. 4 Abs. 5 iVm. § 4 Nr. 4 Abs. 2 Satz 4 MTV mit den klageweise geltend gemachten Zuschlägen zu vergüten. 10 A. Die Klägerin hat als Teilzeitarbeitnehmerin mit vereinbarter Jahresarbeitszeit Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge für die Arbeitsleistung, die sie über ihre einzelvertraglich vereinbarte Jahresarbeitszeit hinaus erbracht hat. Das ergibt die Auslegung des MTV. 11 I. Maßgeblich für die Definition von Mehrarbeit bei Teilzeitkräften mit vereinbarter Jahresarbeitszeit ist § 4 Nr. 4 Abs. 5 MTV. Danach ist Mehrarbeit bei festgelegter Jahresarbeitszeit iSv. § 4 Nr. 3 MTV diejenige Arbeitsleistung, die am Ende des Zwölfmonatszeitraums über die vereinbarte Jahresarbeitszeit hinausgeht. Demgegenüber sieht § 4 Nr. 4 Abs. 1 MTV vor, dass Mehrarbeit iSd. Tarifvertrags diejenige Arbeitsleistung ist, die über die regelmäßige monatliche Arbeitszeit nach Nr. 1 hinausgeht. 12 1. Der zunächst heranzuziehende Wortlaut des § 4 Nr. 4 Abs. 5 MTV stellt auf die nach § 4 Nr. 3 MTV vereinbarte Jahresarbeitszeit ab. Die Regelung in § 4 Nr. 4 Abs. 1 MTV bezieht sich hingegen auf die monatliche Arbeitszeit nach § 4 Nr. 1 MTV. Mit dem Begriff der vereinbarten Jahresarbeitszeit in § 4 Nr. 4 Abs. 5 MTV wird eine andere Anknüpfung für die Definition von Mehrarbeit gewählt als mit dem der regelmäßigen monatlichen Arbeitszeit in § 4 Nr. 4 Abs. 1 MTV. 13 2. Damit kommt zum Ausdruck, dass der MTV zwei Arbeitszeitmodelle unterscheidet: das der regelmäßigen Monatsarbeitszeit und das der Jahresarbeitszeit. Deutlich wird diese Differenzierung darüber hinaus an den unterschiedlichen Zuschlagssätzen in § 4 Nr. 4 Abs. 2 MTV und an der Regelung in § 5 Nr. 4 Satz 2 MTV, die Arbeitsverhältnisse mit Jahresarbeitszeit von dem Anspruch auf Neugestaltung des Arbeitsvertrags ausnimmt. 14 Dem steht nicht entgegen, dass auch im Regelungsbereich der Jahresarbeitszeit – wie § 4 Nr. 3 Abs. 3 und Abs. 4 MTV zeigen – auf die monatliche regelmäßige Arbeitszeit für eine Vollzeittätigkeit abgestellt wird. Dabei handelt es sich um Modalitäten der Durchführung innerhalb des Modells der Jahresarbeitszeit. 15 3. Bei der vereinbarten Arbeitszeit iSv. § 4 Nr. 4 Abs. 5 MTV handelt es sich um die individualvertraglich vereinbarte Arbeitszeit. 16 a) Dies gilt unbeschadet des Umstands, dass in § 4 Nr. 4 Abs. 5 MTV im Unterschied zu § 4 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 MTV das Wort „einzelvertraglich“ fehlt. Die Formulierung von § 4 Nr. 4 Abs. 5 MTV kann nicht dahin verstanden werden, dass es nur auf den Akt der einzelvertraglichen Festlegung als solchen ankommt, nicht jedoch auf den konkreten Inhalt der getroffenen Vereinbarung (so LAG Niedersachsen 6. November 2017 – 8 Sa 672/17 – zu II 2 b bb (1) der Gründe; LAG Düsseldorf 11. Juli 2017 – 14 Sa 340/17 – zu III 2 b bb (2) der Gründe). Wäre es nur darum gegangen klarzustellen, dass Mehrarbeit im Jahresarbeitszeitmodell nicht davon abhängt, ob die regelmäßige monatliche Arbeitszeit einer Vollzeittätigkeit, sondern die einer Vollzeitbeschäftigung im Modell der Jahresarbeitszeit überschritten wird, hätte eine andere Formulierung nahegelegen. Die Tarifvertragsparteien hätten wie in § 4 Nr. 3 Abs. 1 Satz 3 MTV statt der Passage „die vereinbarte Jahresarbeitszeit“ eine Formulierung wie „die Jahresarbeitszeit für eine Vollzeittätigkeit“ verwenden können. 17 b) Zudem nimmt § 4 Nr. 4 Abs. 5 MTV auf § 4 Nr. 3 MTV Bezug. Erfasst wird damit auch die Regelung des § 4 Nr. 3 Abs. 1 Satz 3 MTV, wonach sich die Jahresarbeitszeit bei Teilzeitkräften nicht auf 2.028 Stunden, sondern auf ein entsprechend geringeres Volumen beläuft. Mit der Bezugnahme ist auch der einzelvertraglich vereinbarte Umfang der Teilzeit erfasst. 18 II. Die Regelung des § 5 Nr. 5 MTV steht dem nicht entgegen. 19 1. Mit Blick auf die Überschrift und die Ausnahmeregelung in § 5 Nr. 4 Satz 2 MTV findet § 5 MTV grundsätzlich auf beide Arbeitszeitmodelle Anwendung. Auch kann dem Wortlaut des § 5 Nr. 5 MTV nicht entnommen werden, dass die Vorschrift nicht auf das Jahresarbeitszeitmodell anzuwenden sein soll. Die Regelung stellt zwar auf die monatliche Arbeitszeit einer Vollzeittätigkeit nach § 4 Nr. 1 MTV und nicht auf das Jahresarbeitszeitmodell ab. Der MTV bezieht sich aber auch im Modell der Jahresarbeitszeit verschiedentlich auf die monatliche regelmäßige Arbeitszeit für eine Vollzeittätigkeit. 20 2. Andererseits kann das Wort „nur“ in § 5 Nr. 5 MTV nicht im Sinn einer Ausschließlichkeit dahin verstanden werden, dass Mehrarbeit für Teilzeitkräfte ausschließlich in dieser Vorschrift geregelt werden soll (so aber LAG Niedersachsen 6. November 2017 – 8 Sa 672/17 – zu II 2 b bb (1) der Gründe; LAG Düsseldorf 11. Juli 2017 – 14 Sa 340/17 – zu III 2 b bb (1) der Gründe). Entgegen der Auffassung der Beklagten trägt die Abweichung von § 4 Nr. 4 Abs. 5 MTV, in dem sich das Wort „nur“ nicht findet, diese Annahme nicht. Wäre das beabsichtigt gewesen, hätten die Tarifvertragsparteien auf eine § 4 Nr. 8 MTV entsprechende Formulierung zurückgegriffen, mit der eine Ausschließlichkeit eindeutig zum Ausdruck kommt. 21 3. § 5 Nr. 5 MTV ist nicht als speziellere Vorschrift vorrangig gegenüber § 4 Nr. 4 Abs. 5 MTV. 22 a) Selbst wenn einzelne Regelungen des § 5 MTV – etwa § 5 Nr. 2 MTV – im Verhältnis zu Bestimmungen des § 4 MTV spezieller wären, ließe das nicht darauf schließen, dass § 5 MTV in seiner Gesamtheit gegenüber § 4 MTV vorrangig anzuwenden ist. 23 b) Ebenso wenig lässt die Reihung der Tarifnormen einen Schluss auf ihr Verhältnis zueinander zu. Aus dem Umstand, dass die Regelung über die Jahresarbeitszeit in § 4 Nr. 3 MTV vor den Bestimmungen über die Teilzeit in § 5 MTV steht, kann nicht gefolgert werden, dass es sich bei den Regelungen in § 5 MTV um die spezielleren Vorschriften handelt. Auch in § 4 Nr. 3 MTV haben Regelungen über die Teilzeit Eingang gefunden. 24 4. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Anwendung von § 5 Nr. 5 MTV auf Arbeitsverhältnisse mit vereinbarter Jahresarbeitszeit systematische Erwägungen entgegenstehen. 25 a) Käme die Regelung zur Anwendung, dass zuschlagspflichtige Mehrarbeit bei einem Jahresarbeitszeitkonto anfiele, wenn die regelmäßige Monatsarbeitszeit einer Vollzeitkraft überschritten würde, wären Arbeitgeber auch dann verpflichtet, Mehrarbeitszuschläge zu zahlen, wenn sich die geleistete monatliche Arbeitszeit im zulässigen Schwankungsbereich bis zu 115 % nach § 4 Nr. 3 Abs. 4 MTV bewegte. Dieses Ergebnis liefe der mit der Vereinbarung einer Jahresarbeitszeit verfolgten Flexibilisierung zuwider und kann von den Tarifvertragsparteien nicht beabsichtigt gewesen sein. 26 b) Für die Annahme, dass Mehrarbeitszuschläge nur zu gewähren sind, wenn die Voraussetzungen des § 4 Nr. 4 Abs. 5 MTV und des § 5 Nr. 5 MTV kumulativ vorliegen, gibt es keine Anknüpfungspunkte. Eine solche Doppelschranke ist weder im Wortlaut noch in der Systematik des MTV angelegt. 27 III. Eine daraus folgende unterschiedliche Behandlung von Teilzeitkräften mit regelmäßiger Monatsarbeitszeit und solchen mit Jahresarbeitszeit widerspricht nicht dem Willen der Tarifvertragsparteien, der im MTV zum Ausdruck kommt. 28 Ein Wille, Teilzeitkräfte beider Arbeitszeitmodelle gleichzubehandeln, ist dem MTV nicht zu entnehmen. Vielmehr ist darin eine unterschiedliche Behandlung angelegt, wie die verschiedenen Zuschlagssätze in § 4 Nr. 4 Abs. 2 MTV ebenso zeigen wie der Umstand, dass in Arbeitsverhältnissen mit vereinbarter Jahresarbeitszeit nach § 5 Nr. 4 MTV kein Anspruch auf Neugestaltung des Arbeitsvertrags besteht. 29 IV. Dass die Tarifvertragsparteien mit dem höheren Zuschlag für Mehrarbeit im Jahresarbeitszeitmodell nach § 4 Nr. 4 Abs. 2 MTV alle damit verbundenen Nachteile und Belastungen zum Ausgleich bringen wollten und deshalb kein Raum für eine Zuschlagspflicht ab Überschreiten der individuell vereinbarten Jahresarbeitszeit ist, kann nicht angenommen werden. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der höhere Zuschlagssatz allein dem Ausgleich der Nachteile und Belastungen dient, die mit dem längeren Berechnungszeitraum im Jahresarbeitszeitmodell verbunden sind. 30 1. Arbeitnehmer, die im Jahresarbeitszeitmodell Mehrarbeit leisten, gewähren ihren Arbeitgebern wirtschaftlich betrachtet ein Darlehen (vgl. Schaub ArbR-HdB/Vogelsang 17. Aufl. § 160 Rn. 53). Sie müssen bis zum Ende des Berechnungszeitraums und damit länger als Arbeitnehmer mit vereinbarter Monatsarbeitszeit darauf warten, dass die Mehrarbeitsvergütung geleistet wird. 31 Darüber hinaus ermöglicht der Zeitraum von einem Jahr einen besseren Ausgleich geleisteter Mehrarbeit. Er trägt dazu bei, dass zu vergütende Mehrarbeit am Ende des Zwölfmonatszeitraums in geringerem Umfang anfällt als bei vereinbarter Monatsarbeitszeit. Beides trifft Teilzeitbeschäftigte und Vollzeitbeschäftigte in gleicher Weise. Es kommt nicht auf den jeweiligen Arbeitszeitumfang an. 32 2. Anderes gilt für die gezeigte zeitliche Flexibilität. Sie hängt maßgeblich von der individuellen Arbeitszeit ab und rechtfertigt die Leistung von Zuschlägen, sobald die vertraglich geschuldete Jahresarbeitszeit überschritten ist. 33 V. Sinn und Zweck der Regelung stützen die gefundene Auslegung. Im Vordergrund steht der Schutz des individuellen Freizeitbereichs. 34 1. Die Tarifvertragsparteien sind grundsätzlich frei darin, in Ausübung ihrer durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten autonomen Regelungsmacht den Zweck einer tariflichen Leistung zu bestimmen. Der Zweck ist der von den Tarifvertragsparteien vorgenommenen ausdrücklichen Zweckbestimmung der Leistung zu entnehmen oder durch Auslegung der Tarifnorm – anhand von Anspruchsvoraussetzungen, Ausschließungs- und Kürzungsregelungen – zu ermitteln. Es kommt nicht auf die denkbaren Zwecke an, die mit der Leistung verfolgt werden können, sondern auf diejenigen, um die es den Tarifvertragsparteien bei der Leistung nach ihrem im Tarifvertrag selbst zum Ausdruck gekommenen, durch die Tarifautonomie geschützten Willen geht (BAG 26. April 2017 – 10 AZR 589/15 – Rn. 28; 23. März 2017 – 6 AZR 161/16 – Rn. 55 mwN, BAGE 158, 360). 35 2. Das Bundesarbeitsgericht hat mehrfach angenommen, mit einer tarifvertraglichen Bestimmung, die den Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge allein davon abhängig mache, dass über ein bestimmtes Tages- oder Wochenarbeitsvolumen hinaus gearbeitet werde, werde im Wesentlichen der Zweck verfolgt, eine grundsätzlich zu vermeidende besondere Arbeitsbelastung durch ein zusätzliches Entgelt auszugleichen. Ohne Anhaltspunkte im Tarifvertrag könne nicht davon ausgegangen werden, dass es den Tarifvertragsparteien darum gehe, durch Verteuerung der über die individuell geschuldete Arbeitsleistung hinausgehenden Arbeitszeiten den individuellen Freizeitbereich zu schützen (BAG 26. April 2017 – 10 AZR 589/15 – Rn. 28; 14. September 2011 – 10 AZR 358/10 – Rn. 26; 27. August 2008 – 5 AZR 647/07 – Rn. 12 mwN; 16. Juni 2004 – 5 AZR 448/03 – zu 4 c der Gründe; 5. November 2003 – 5 AZR 8/03 – zu III 1 der Gründe; 30. Januar 1996 – 3 AZR 275/94 – zu II 2 a der Gründe; 20. Juni 1995 – 3 AZR 684/93 – zu II 2 b der Gründe, BAGE 80, 173; 21. November 1991 – 6 AZR 551/89 – zu II 4 b der Gründe, BAGE 69, 85). Eine quartalsbezogene Betrachtung und Ausgleichsmöglichkeit mache deutlich, dass nicht der Schutz des individuellen Freizeitbereichs bezweckt werde. Da geleistete Überstunden durch Freizeitausgleich ohne Mehrarbeitszuschläge kompensiert werden könnten, hätten die Tarifvertragsparteien Eingriffe in den individuellen Freizeitbereich hingenommen (BAG 26. April 2017 – 10 AZR 589/15 – Rn. 30). 36 3. Demgegenüber hat das Bundesarbeitsgericht auch entschieden, mit einem Überstundenzuschlag werde allein der Umstand belohnt, dass Arbeitnehmer ohne Freizeitausgleich mehr als vertraglich vereinbart arbeiteten und dadurch planwidrig die Möglichkeit einbüßten, über ihre Zeit frei zu verfügen. Dies sei der Fall, wenn Überstundenzuschläge für die Arbeitsstunden zu bezahlen seien, die über die regelmäßige Arbeitszeit einer Vollzeitkraft in den Grenzen des Arbeitszeitgesetzes hinausgingen und bis zum Ende der folgenden Kalenderwoche nicht ausgeglichen seien. Die Tarifvertragsparteien hätten die Belastung der zeitweisen Überschreitung der Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten nur unter der Voraussetzung eines rechtzeitigen Freizeitausgleichs hingenommen (BAG 23. März 2017 – 6 AZR 161/16 – Rn. 59, BAGE 158, 360). 37 4. Die hier maßgebliche tarifvertragliche Bestimmung benennt nicht selbst unmittelbar den Zweck der Mehrarbeitszuschläge. 38 a) Die Regelung der Mehrarbeitszuschläge geht den Regelungen von Zuschlägen für Sonntagsarbeit (§ 4 Nr. 5 MTV), Feiertagsarbeit (§ 4 Nr. 6 MTV) und Nachtarbeit (§ 4 Nr. 7 MTV) voraus. Bei Nachtarbeitszuschlägen, die eine Tätigkeit betreffen, die vom Gesetzgeber als gesundheitlich belastend eingestuft wird (§ 1 Nr. 1 iVm. § 6 ArbZG), geht es um den Gesundheitsschutz, während Sonn- und Feiertagszuschläge die individuelle Freizeit schützen könnten (BAG 26. April 2017 – 10 AZR 589/15 – Rn. 29; vgl. für die Sonntagsarbeit EuGH 12. November 1996 – C-84/94 – [Vereinigtes Königreich/Rat] Rn. 37, Slg. 1996, I-5755). Insgesamt könnte auch der Ausgleich von Erschwernissen für Arbeit zu ungünstigen Zeiten angestrebt sein (BAG 26. April 2017 – 10 AZR 589/15 – aaO; 17. Juni 2015 – 10 AZR 518/14 – Rn. 28). 39 b) Die monatsbezogene oder – bei vereinbarter Jahresarbeitszeit – jahresbezogene Betrachtung und Ausgleichsmöglichkeit könnten jedoch gegen den Schutz des individuellen Freizeitbereichs sprechen (BAG 26. April 2017 – 10 AZR 589/15 – Rn. 30). Gleiches gilt für den Umstand, dass zwar die Verlängerung der Arbeitszeit Zuschläge auslösen kann, nicht aber die ebenfalls den Freizeitbereich berührende Veränderung der Lage der Arbeitszeit (vgl. BAG 5. November 2003 – 5 AZR 8/03 – zu III 2 e der Gründe). Darauf könnte auch der geringe Schutz des Sonntags durch § 4 Nr. 5 MTV hindeuten. 40 c) Die Systematik des MTV lässt nicht erkennen, dass die Mehrarbeitszuschläge dem Ausgleich besonderer Belastungen dienen sollen, wenn Arbeitnehmer über die tarifliche Arbeitszeit einer Vollzeitkraft hinaus tätig werden. Im Unterschied zu anderen Tarifverträgen enthält der MTV keinen Programmsatz, wonach Mehrarbeit zu vermeiden ist. Vielmehr ist die Zulässigkeit von Mehrarbeit im MTV angelegt. So erlaubt § 4 Nr. 3 Abs. 4 MTV im Jahresarbeitszeitmodell, dass die jeweils geschuldete monatliche Arbeitszeit um bis zu 15 % überschritten wird. Die damit einhergehenden Belastungen haben die Tarifvertragsparteien hingenommen, zumal ein Ausgleich während des Zwölfmonatszeitraums nicht zwingend vorgesehen ist (vgl. BAG 23. März 2017 – 6 AZR 161/16 – Rn. 59, BAGE 158, 360). Dass die Höhe der Zuschläge bei Neueinstellungen nach § 4 Nr. 4 Abs. 2 Satz 2 MTV vermindert ist, spricht ferner gegen einen Ausgleich für Belastungen. Die Überschreitung der Arbeitszeit belastet neu eingestellte Arbeitnehmer in gleicher Weise wie Stammkräfte. 41 d) Hinter den Mehrarbeitszuschlägen steht nach der Systematik des MTV das Ziel, den individuellen Freizeitbereich zu schützen und Arbeitnehmer, die Freizeit opfern, zu belohnen. 42 aa) Zwar ermöglicht der MTV mit Blick auf § 4 Nr. 3 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 MTV fakultativ einen Ausgleich der Mehrarbeit im laufenden Zwölfmonatszeitraum. Im Vordergrund steht jedoch der quantitative Schutz der Freizeit. Arbeitgeber sollen durch die Zuschlagspflichtigkeit veranlasst werden, die Arbeitszeit – auch während einer längeren Periode – so zu planen, dass am Ende des Berechnungszeitraums keine Mehrarbeit angefallen ist. Unerheblich ist daher, dass die Zuschlagsregelung nicht an die Veränderung der Lage der Arbeitszeit anknüpft. Eine solche kann im Einzelfall einschneidende Folgen haben. Bei Mehrarbeit am Ende des Ausgleichszeitraums ist es dagegen stets zu einem irreversiblen Eingriff in das individuelle Freizeitvolumen gekommen, das Arbeitnehmer autonom gestalten können. Die durch den Arbeitgeber in Anspruch genommene Freizeit kann nicht mehr zurückgewährt werden. 43 bb) Die Einschränkung der Dispositionsmöglichkeit über die eigene Freizeit trifft Vollzeit- und Teilzeitkräfte in gleicher Weise. Die geschützte Freizeit ist immer bereits dann betroffen, wenn mehr als die einzelvertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbracht wird. Der Zweck, die Einbuße an Freizeit zu belohnen, kann nur erreicht werden, wenn jegliche Mehrarbeit – unabhängig davon, ob sie von einer Vollzeit- oder einer Teilzeitkraft erbracht wird – den Zuschlag auslöst. Gleiches gilt für den Zweck, Eingriffe in den Freizeitbereich zu vermeiden. Dieses Ziel wird durch die Zuschlagspflicht gefördert – auch dann, wenn die Höhe der Zuschläge bei einzelnen Arbeitnehmergruppen unterschiedlich ausfällt. 44 B. Ein anderes Auslegungsergebnis, nach dem ein Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge bei Teilzeitbeschäftigten davon abhängig wäre, dass die Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten überschritten würde, wäre mit höherrangigem Recht nicht vereinbar. 45 I. Tarifnormen sind grundsätzlich so auszulegen, dass sie nicht in Widerspruch zu höherrangigem Recht stehen. Tarifvertragsparteien wollen im Zweifel Regelungen treffen, die mit höherrangigem Recht übereinstimmen. Lässt eine Tarifnorm eine Auslegung zu, die zu einem mit höherrangigem Recht zu vereinbarenden Ergebnis führt, ist sie in diesem Sinn anzuwenden (BAG 23. März 2017 – 6 AZR 161/16 – Rn. 42 mwN, BAGE 158, 360). 46 II. Den Tarifvertragsparteien kann nicht unterstellt werden, dass sie eine gesetzwidrige Regelung schaffen wollten. In der gefundenen Auslegung ist der MTV mit § 4 Abs. 1 TzBfG vereinbar. 47 1. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG dürfen Teilzeitbeschäftigte wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als vergleichbare Vollzeitbeschäftigte, es sei denn, sachliche Gründe rechtfertigen eine unterschiedliche Behandlung. Teilzeitbeschäftigten ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil der Arbeitszeit an der Arbeitszeit vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter entspricht. Die Norm des § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG konkretisiert das allgemeine Diskriminierungsverbot des § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG für den Bereich des Entgelts oder einer anderen teilbaren geldwerten Leistung. Auch tarifliche Regelungen müssen mit § 4 TzBfG vereinbar sein. Die in dieser Vorschrift geregelten Diskriminierungsverbote stehen nach § 22 TzBfG nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien (vgl. für die st. Rspr. BAG 23. März 2017 – 6 AZR 161/16 – Rn. 44, BAGE 158, 360; 19. Januar 2016 – 9 AZR 564/14 – Rn. 14; 10. Februar 2015 – 9 AZR 53/14 (F) – Rn. 16 mwN, BAGE 150, 345). 48 2. Teilzeitbeschäftigte werden wegen der Teilzeitarbeit ungleichbehandelt, wenn die Dauer der Arbeitszeit das Kriterium darstellt, an das die Differenzierung hinsichtlich der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen anknüpft (vgl. BAG 23. März 2017 – 6 AZR 161/16 – Rn. 46, BAGE 158, 360; 19. Januar 2016 – 9 AZR 564/14 – Rn. 15; 27. März 2014 – 6 AZR 571/12 – Rn. 32, BAGE 148, 1). § 4 Abs. 1 TzBfG schützt vor einer unmittelbaren Benachteiligung ebenso wie vor einer mittelbaren (BAG 23. März 2017 – 6 AZR 161/16 – aaO). 49 Teilzeitbeschäftigten ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung daher mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil ihrer Arbeitszeit an der Arbeitszeit vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter entspricht. Eine geringere Arbeitszeit darf grundsätzlich nur quantitativ, nicht qualitativ anders vergütet werden als Vollzeitarbeit (vgl. BVerfG 27. November 1997 – 1 BvL 12/91 – zu B II 2 a aa der Gründe, BVerfGE 97, 35; BAG 23. März 2017 – 6 AZR 161/16 – Rn. 50 mwN, BAGE 158, 360; 23. Februar 2011 – 10 AZR 299/10 – Rn. 21 mwN). § 4 Abs. 1 TzBfG verbietet eine Abweichung vom Pro-rata-temporis-Grundsatz zum Nachteil Teilzeitbeschäftigter, ohne dass dafür ein sachlicher Grund besteht (BAG 23. März 2017 – 6 AZR 161/16 – aaO; vgl. 24. September 2008 – 10 AZR 634/07 – Rn. 21, BAGE 128, 21). 50 3. Nach diesen Grundsätzen verletzte der MTV § 4 Abs. 1 TzBfG, wenn er so zu verstehen wäre, dass Teilzeitbeschäftigte erst dann Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge hätten, wenn sie die für eine Vollzeittätigkeit maßgebliche Stundenzahl überschritten. Für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte würde eine identische Belastungsgrenze festgelegt, die für Teilzeitbeschäftigte jedoch eine höhere individuelle Belastungsgrenze mit sich brächte. Für Teilzeitbeschäftigte würde die Schwelle, von der an ein Anspruch entsteht, nicht proportional zu ihrer individuellen Arbeitszeit abgesenkt. Dadurch käme es für Teilzeitbeschäftigte zu nachteiligen Auswirkungen auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung und damit zu einer unmittelbaren Ungleichbehandlung (BAG 23. März 2017 – 6 AZR 161/16 – Rn. 51, 53, BAGE 158, 360). 51 a) Für die Prüfung, ob Teilzeitkräfte benachteiligt werden, muss deshalb auf die einzelnen Entgeltbestandteile abgestellt werden. Eine Gesamtbetrachtung der Vergütung scheidet aus. 52 aa) Mit § 4 Abs. 1 TzBfG wurde § 4 Nr. 1 und Nr. 2 der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 umgesetzt (ABl. EG L 14 vom 20. Januar 1998 S. 9). Für das Verständnis von § 4 Abs. 1 TzBfG ist daher die für das Unionsrecht ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu berücksichtigen. 53 (1) In den Sachen Helmig ua. ist der Gerichtshof davon ausgegangen, dass eine Ungleichbehandlung immer dann vorliege, wenn bei gleicher Anzahl von Stunden, die aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleistet würden, die an Vollzeitbeschäftigte gezahlte Vergütung höher sei als die an Teilzeitbeschäftigte geleistete. Der Gerichtshof hat einen Vergleich der Gesamtvergütung vorgenommen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass Teilzeitbeschäftigte die gleiche Gesamtvergütung wie Vollzeitbeschäftigte erhielten, wenn sie die tarifvertraglich festgesetzte Regelarbeitszeit überschritten und dann ebenfalls Überstundenzuschläge erhielten (EuGH 15. Dezember 1994 – C-399/92, C-409/92, C-425/92, C-34/93, C-50/93, C-78/93 – [Helmig ua.] Rn. 26 ff., Slg. 1994, I-5727). 54 (2) Demgegenüber hat der Gerichtshof im Jahr 2004 – wie schon in früheren Entscheidungen – Entgeltbestandteile isoliert betrachtet. In der Rechtssache Elsner-Lakeberg hat der Gerichtshof als Methode der Prüfung, ob der Grundsatz des gleichen Entgelts für männliche und weibliche Beschäftigte gewahrt ist, verlangt, dass jeder einzelne Entgeltbestandteil isoliert am Maßstab dieses Grundsatzes geprüft werde und nicht nur im Weg einer Gesamtbewertung. Der Gerichtshof hat eine Benachteiligung angenommen, weil bei Teilzeitkräften die Anzahl zusätzlicher Stunden, von der an ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung entstehe, nicht proportional zu ihrer Arbeitszeit vermindert werde (EuGH 27. Mai 2004 – C-285/02 – [Elsner-Lakeberg] Rn. 15, 17, Slg. 2004, I-5861; vgl. auch 26. Juni 2001 – C-381/99 – [Brunnhofer] Rn. 35, Slg. 2001, I-4961; 17. Mai 1990 – C-262/88 – [Barber] Rn. 34 f., Slg. 1990, I-1889). 55 (3) In der Sache Voß ist der Gerichtshof von einer Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten ausgegangen, wenn sie von einer abgesenkten Stundenvergütung früher betroffen seien als Vollzeitkräfte. Der Gerichtshof hat die Methoden der Gesamt- und der Einzelbetrachtung gegenübergestellt und die Vergütungsbestandteile untersucht, im Einzelfall den negativen Entgeltbestandteil eines Vergütungsabschlags (EuGH 6. Dezember 2007 – C-300/06 – [Voß] Rn. 36, Slg. 2007, I-10573). 56 bb) Die Rechtsprechung des Dritten, des Fünften, des Zehnten und teilweise auch des Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts hat sich auf die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in den Sachen Helmig ua. gestützt. Den Entscheidungen lag jeweils ein Vergleich der Gesamtvergütungen zugrunde. Es handle sich um keine Ungleichbehandlung von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten, wenn für die gleiche Anzahl von Arbeitsstunden für Vollzeit- und Teilzeitkräfte die gleiche Vergütung geschuldet werde (BAG 26. April 2017 – 10 AZR 589/15 – Rn. 33; 16. Juni 2004 – 5 AZR 448/03 – zu 3 c der Gründe; 5. November 2003 – 5 AZR 8/03 – zu II 2 b aa der Gründe; 21. April 1999 – 5 AZR 200/98 – zu I 3 a der Gründe, BAGE 91, 262; 23. April 1998 – 6 AZR 558/96 – zu II 1 b der Gründe; 25. Juli 1996 – 6 AZR 138/94 – zu II 1 c der Gründe, BAGE 83, 327; 30. Januar 1996 – 3 AZR 275/94 – zu II 1 d der Gründe; 20. Juni 1995 – 3 AZR 684/93 – zu II 1 c der Gründe, BAGE 80, 173; 20. Juni 1995 – 3 AZR 539/93 – zu II 1 c der Gründe; so auch ErfK/Preis 19. Aufl. § 4 TzBfG Rn. 30 ff.; Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath/Ahrendt/Tillmanns ArbR 4. Aufl. § 4 TzBfG Rn. 16; MüKoBGB/Müller-Glöge 7. Aufl. § 4 TzBfG Rn. 22; Joussen in Boecken/Joussen TzBfG 5. Aufl. § 4 Rn. 52; Herms in Meinel/Heyn/Herms TzBfG 5. Aufl. § 4 Rn. 77; Laux in Laux/Schlachter TzBfG 2. Aufl. § 4 Rn. 138 f.). 57 cc) Auf Grundlage der Entscheidung Elsner-Lakeberg hat der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts dagegen zuletzt angenommen, dass die formale Gleichbehandlung mit Blick auf die Gesamtvergütung zu einer Ungleichbehandlung führe und der Entgeltbestandteil des Überstundenzuschlags isoliert zu betrachten sei. Die Anforderung, dass Teilzeitbeschäftigte erst die gesamte Differenz zur Vollzeitarbeitszeit über ihre Teilzeitquote hinaus arbeiten müssten, um für die nächste Stunde einen Überstundenzuschlag zu erhalten, sei mit einer höheren Belastungsgrenze von Teilzeit- gegenüber Vollzeitbeschäftigten verbunden (BAG 23. März 2017 – 6 AZR 161/16 – Rn. 53, BAGE 158, 360; ebenso HWK/Schmalenberg 8. Aufl. § 4 TzBfG Rn. 9; MHdB ArbR/Schüren 4. Aufl. § 50 Rn. 202). 58 dd) Der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts gibt seine bisherige, zuletzt mit Urteil vom 26. April 2017 geäußerte Rechtsprechung auf, wonach für die Prüfung, ob Teilzeitbeschäftigte benachteiligt werden, auf die Gesamtvergütung abzustellen ist (BAG 26. April 2017 – 10 AZR 589/15 – Rn. 33). Er schließt sich der Rechtsprechung des Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts an. Danach führt die formale Gleichbehandlung im Hinblick auf die Gesamtvergütung zu einer Ungleichbehandlung. Der Vergleich von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten ist methodisch für jeden einzelnen Entgeltbestandteil vorzunehmen. Eine Gesamtbewertung der geleisteten Vergütungsbestandteile scheidet aus. Entgelte für die Regelarbeitszeit und für Mehr- oder Überarbeitsvergütungen sind gesondert zu vergleichen (BAG 23. März 2017 – 6 AZR 161/16 – Rn. 45, 53, BAGE 158, 360). 59 Nur auf diese Weise kann dem Pro-rata-temporis-Grundsatz des § 4 Abs. 1 TzBfG genügt werden. Die für den Zuschlag erforderliche Stundenzahl wird proportional zur individuellen Arbeitszeit verringert. 60 Die Betrachtung der einzelnen Entgeltbestandteile entspricht auch dem Ansatz des Gesetzgebers im Bereich der Entgeltdiskriminierung. So verbietet § 3 Abs. 1 EntgTranspG eine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts in Bezug auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen. 61 ee) Eine Vorlage an den Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts nach § 45 Abs. 2 ArbGG und in deren Vorfeld eine Divergenzanfrage beim Dritten und beim Fünften Senat nach § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG waren nicht geboten. 62 Die Rechtsfrage, welche Methode für die Prüfung, ob Teilzeitbeschäftigte hinsichtlich des Entgelts benachteiligt werden, anzuwenden ist, stellt sich spätestens seit der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 6. Dezember 2007 (- C-300/06 – [Voß] Slg. 2007, I-10573) nicht mehr. Schon die Entscheidung vom 27. Mai 2004 (- C-285/02 – [Elsner-Lakeberg] Slg. 2004, I-5861) markiert eine Zäsur im Verständnis der Vergleichsmethoden. Spätestens nachdem der Gerichtshof in der Entscheidung vom 6. Dezember 2007 wiederholt hatte, dass für die Prüfung einer Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten die Vergütungsbestandteile zu untersuchen sind (EuGH 6. Dezember 2007 – C-300/06 – [Voß] Rn. 36, aaO), war die rechtliche Grundlage der früheren Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts entfallen (vgl. BVerfG 2. Juli 1992 – 2 BvR 972/92 – zu II 1 a der Gründe). Deshalb fehlt die für eine Anrufung des Großen Senats erforderliche Identität der Rechtslage (BAG 28. Juni 2012 – 6 AZR 780/10 – Rn. 81 mwN, BAGE 142, 202; vgl. außerhalb des Unionsrechts auch BAG 24. Oktober 2018 – 10 AZR 285/16 – Rn. 56). 63 Hinzu kommt, dass nur der Sechste und der Zehnte Senat für Zuschläge für unter besonderen Umständen geleistete Arbeit zuständig sind. 64 ff) Ein Tarifverständnis, nach dem ein Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge erst bestünde, wenn die Arbeitszeit bei Vollzeittätigkeit überschritten wird, führte zu einer unmittelbaren Ungleichbehandlung von Teilzeitkräften. Während Vollzeitkräfte Zuschläge bereits für die erste Stunde Mehrarbeit erhielten, kämen Teilzeitkräfte erst dann in den Genuss von Zuschlägen, wenn sie das Delta zwischen ihrer individuellen Teilzeitquote und der Arbeitszeit bei Vollzeittätigkeit gearbeitet hätten. Damit ginge eine wegen ihrer Teilzeitquote höhere Belastungsgrenze einher (vgl. EuGH 27. Mai 2004 – C-285/02 – [Elsner-Lakeberg] Rn. 17, Slg. 2004, I-5861). Teilzeitkräfte würden damit unmittelbar benachteiligt (BAG 23. März 2017 – 6 AZR 161/16 – Rn. 53, BAGE 158, 360). 65 b) Ein sachlicher Grund iSv. § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG, der diese Ungleichbehandlung rechtfertigte, besteht nicht. 66 aa) Die Prüfung der sachlichen Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung hat sich am Zweck der Leistung zu orientieren. Eine unterschiedliche Behandlung von Teilzeitbeschäftigten kann nur gerechtfertigt sein, wenn sich ihr Grund aus dem Verhältnis von Leistungszweck und Umfang der Teilzeitarbeit herleiten lässt. Es kommt nicht auf die denkbaren Zwecke an, die mit der betreffenden Leistung verfolgt werden können, sondern auf diejenigen, um die es den Tarifvertragsparteien bei der betreffenden Leistung nach ihrem im Tarifvertrag selbst zum Ausdruck gekommenen, durch die Tarifautonomie geschützten Willen geht (BAG 23. März 2017 – 6 AZR 161/16 – Rn. 55 mwN, BAGE 158, 360). 67 bb) Der mit den Mehrarbeitszuschlägen des MTV verfolgte Zweck, die Einbuße der Dispositionsmöglichkeit über die Freizeit zu belohnen und Arbeitgeber von Eingriffen in den geschützten Freizeitbereich der Arbeitnehmer abzuhalten, bezieht sich in gleicher Weise auf Teilzeit- und Vollzeitkräfte. Er kann nur erreicht werden, wenn die Zuschläge von der individuell vereinbarten Arbeitszeit abhängen. Ein Abweichen vom Pro-rata-temporis-Grundsatz kann damit nicht gerechtfertigt werden. 68 c) Diese Auslegung verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG (zu der Beachtung von Art. 3 Abs. 1 GG durch die Tarifvertragsparteien BAG 21. März 2018 – 10 AZR 34/17 – Rn. 44, BAGE 162, 230; 29. Juni 2017 – 6 AZR 364/16 – Rn. 22, BAGE 159, 294). 69 aa) Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt das Gebot, wesentlich Gleiches gleich- und wesentlich Ungleiches ungleichzubehandeln (vgl. nur BVerfG 13. Dezember 2016 – 1 BvR 713/13 – Rn. 18 mwN; BAG 21. März 2018 – 10 AZR 34/17 – Rn. 44, BAGE 162, 230; 25. Januar 2018 – 6 AZR 791/16 – Rn. 26, BAGE 161, 356). Dabei ist es grundsätzlich dem Normgeber überlassen, die Merkmale zu bestimmen, nach denen Sachverhalte als hinreichend gleich anzusehen sind, um sie gleich zu regeln. Die aus dem Gleichheitssatz folgenden Grenzen sind überschritten, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solchem Gewicht bestehen, dass sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen können (BVerfG 7. Mai 2013 – 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06, 2 BvR 288/07 – Rn. 76, BVerfGE 133, 377; BAG 21. März 2018 – 10 AZR 34/17 – aaO; 26. April 2017 – 10 AZR 856/15 – Rn. 31). 70 bb) Danach führt die Leistung von Mehrarbeitszuschlägen ab Überschreiten der individuell vereinbarten Arbeitszeit nicht zu einer ungerechtfertigten Besserstellung von Teilzeit- gegenüber Vollzeitkräften. Beide Gruppen werden gleichbehandelt. Sie erhalten für die gleiche Belastung, die durch die überobligatorische Inanspruchnahme ihrer Arbeitsleistung und den Eingriff in ihre Freizeit eintritt, die gleichen Mehrarbeitszuschläge (BAG 23. März 2017 – 6 AZR 161/16 – Rn. 61, BAGE 158, 360). 71 cc) Auch im Verhältnis zu Teilzeitkräften mit Monatsarbeitszeit kommt es zu keiner Besserstellung. 72 (1) Ein Tarifverständnis, nach dem diese Arbeitnehmer Mehrarbeitszuschläge erst erhielten, wenn sie die Arbeitszeit bei einer Vollzeittätigkeit überschritten, wäre ebenfalls mit § 4 Abs. 1 TzBfG unvereinbar, sodass es sich um keine Ungleichbehandlung handelt. 73 (2) Selbst wenn eine gleichheitswidrige Ungleichbehandlung zulasten der Teilzeitbeschäftigten mit Monatsarbeitszeit anzunehmen wäre, führte dies nicht dazu, dass Teilzeitbeschäftigten mit Jahresarbeitszeit die Mehrarbeitszuschläge nicht bereits ab Überschreiten ihrer individuell vereinbarten Arbeitszeit zustünden. Vielmehr wäre für die hier in der Vergangenheit liegenden Zeiten eine Anpassung „nach oben“ vorzunehmen (vgl. BAG 21. März 2018 – 10 AZR 34/17 – Rn. 58, BAGE 162, 230). Den benachteiligten Teilzeitkräften mit Monatsarbeitszeit stünden Mehrarbeitszuschläge ebenfalls bereits dann zu, wenn die individuell vereinbarte Arbeitszeit überschritten würde. 74 C. Die Klägerin hat bei 19,69 Stunden erbrachter Mehrarbeit und einer Bruttostundenvergütung von 13,22 Euro jedenfalls Anspruch auf die geltend gemachten Zuschläge von 85,85 Euro brutto. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. 75 D. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Pauschale von 40,00 Euro nach § 288 Abs. 5 BGB. Die Vorschrift des § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG steht dem Anspruch entgegen (vgl. BAG 25. September 2018 – 8 AZR 26/18 – Rn. 23 ff.). 76 E. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.              Gallner                  Pulz                  Pessinger                                    Petri                  Rudolph
bag_8-18
20.02.2018
20.02.2018 8/18 - Pensionskassenrente - Leistungskürzung - Insolvenz des Arbeitgebers -Eintrittspflicht des Pensions-Sicherungs-Vereins Der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) um eine Vorabentscheidung zur Auslegung und unmittelbaren Geltung von Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG* ersucht. Der Kläger bezieht ua. eine Pensionskassenrente, die von der Pensionskasse auf-grund wirtschaftlicher Schwierigkeiten gekürzt wird. In der Vergangenheit hat die frühere Arbeitgeberin des Klägers diese Leistungskürzungen aufgrund ihrer gesetzlichen Einstandspflicht ausgeglichen. Nachdem die Arbeitgeberin zahlungsunfähig geworden ist, fordert der Kläger, dass der Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung für die Leistungskürzungen der Pensionskasse eintritt. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr statt-gegeben. Der Dritte Senat geht davon aus, dass das nationale Recht keine Eintrittspflicht des PSV für Kürzungen von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung vorsieht, wenn die Leistungen im Durchführungsweg Pensionskasse erbracht werden. Eine Haftung des PSV kann sich daher allenfalls aus Art. 8 der Richtlinie ergeben. Dies setzt voraus, dass die Norm auch auf Sachverhalte anwendbar ist, in denen – wie vorliegend – ein Arbeitgeber aufgrund eigener Zahlungsunfähigkeit die Kürzungen der Pensionskassenrente nicht ausgleichen kann. Entscheidungserheblich für den Senat ist zudem, unter welchen Voraussetzungen nach Art. 8 der Richtlinie ein staatlicher Insolvenzschutz gewährleistet ist. Weiter kommt es darauf an, ob die Richtlinienvorschrift unmittelbare Geltung entfaltet und ob sich der Arbeitnehmer deshalb auch gegenüber dem PSV auf sie berufen kann.** Für die Beantwortung der Fragen ist der EuGH zuständig.   Bundesarbeitsgericht Beschluss vom 20. Februar 2018 – 3 AZR 142/16 (A) – Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Köln Urteil vom 2. Oktober 2015 – 10 Sa 4/15 –   * Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG hat folgenden Wortlaut: „Die Mitgliedstaaten vergewissern sich, dass die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer sowie der Personen, die zum Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers aus dessen Unternehmen oder Betrieb bereits ausgeschieden sind, hinsichtlich ihrer erworbenen Rechte oder Anwartschaftsrechte auf Leistungen bei Alter, einschließlich Leistungen für Hinterbliebene, aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen außerhalb der einzelstaatlichen gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit getroffen werden.“ ** Der genaue Wortlaut der Fragen kann unter www.bundesarbeitsgericht.de unter dem Menüpunkt „Sitzungsergebnisse“ eingesehen werden.
Tenor I. Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) um die Beantwortung der folgenden Fragen ersucht: 1. Ist Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers anwendbar, wenn Leistungen der betrieblichen Altersversorgung über eine der staatlichen Finanzdienstleistungsaufsicht unterliegenden überbetriebliche Versorgungseinrichtung erbracht werden, diese aus finanziellen Gründen ihre Leistungen mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde berechtigt kürzt und der Arbeitgeber nach nationalem Recht zwar für die Kürzungen gegenüber den ehemaligen Arbeitnehmern einzustehen hat, seine Zahlungsunfähigkeit jedoch dazu führt, dass er seine Verpflichtung, diese Leistungskürzungen auszugleichen, nicht erfüllen kann? 2. Falls die erste Vorlagefrage bejaht wird: Unter welchen Umständen können die durch die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers erlittenen Verluste des ehemaligen Arbeitnehmers bei den Leistungen der betrieblichen Altersversorgung als offensichtlich unverhältnismäßig angesehen werden und damit die Mitgliedstaaten verpflichten, hiergegen einen Mindestschutz zu gewährleisten, obwohl der ehemalige Arbeitnehmer mindestens die Hälfte der Leistungen erhält, die sich aus seinen erworbenen Rentenansprüchen ergeben? 3. Falls die erste Vorlagefrage bejaht wird: Entfaltet Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG unmittelbare Wirkung und verleiht die Bestimmung, wenn ein Mitgliedstaat diese Richtlinie nicht oder nur unzulänglich in nationales Recht umgesetzt hat, dem Einzelnen Rechte, die dieser vor einem nationalen Gericht gegenüber dem Mitgliedstaat geltend machen kann? 4. Falls die dritte Vorlagefrage bejaht wird: Ist eine privatrechtlich organisierte Einrichtung, die von dem Mitgliedstaat – für die Arbeitgeber verpflichtend – als Träger der Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung bestimmt ist, der staatlichen Finanzdienstleistungsaufsicht unterliegt sowie die für die Insolvenzsicherung erforderlichen Beiträge kraft öffentlichen Rechts von den Arbeitgebern erhebt und wie eine Behörde die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung durch Verwaltungsakt herstellen kann, eine öffentliche Stelle des Mitgliedstaates? II. Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt. Leitsatz Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) um die Beantwortung der folgenden Fragen ersucht: 1. Ist Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers anwendbar, wenn Leistungen der betrieblichen Altersversorgung über eine der staatlichen Finanzdienstleistungsaufsicht unterliegenden überbetriebliche Versorgungseinrichtung erbracht werden, diese aus finanziellen Gründen ihre Leistungen mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde berechtigt kürzt und der Arbeitgeber nach nationalem Recht zwar für die Kürzungen gegenüber den ehemaligen Arbeitnehmern einzustehen hat, seine Zahlungsunfähigkeit jedoch dazu führt, dass er seine Verpflichtung, diese Leistungskürzungen auszugleichen, nicht erfüllen kann? 2. Falls die erste Vorlagefrage bejaht wird: Unter welchen Umständen können die durch die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers erlittenen Verluste des ehemaligen Arbeitnehmers bei den Leistungen der betrieblichen Altersversorgung als offensichtlich unverhältnismäßig angesehen werden und damit die Mitgliedstaaten verpflichten, hiergegen einen Mindestschutz zu gewährleisten, obwohl der ehemalige Arbeitnehmer mindestens die Hälfte der Leistungen erhält, die sich aus seinen erworbenen Rentenansprüchen ergeben? 3. Falls die erste Vorlagefrage bejaht wird: Entfaltet Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG unmittelbare Wirkung und verleiht die Bestimmung, wenn ein Mitgliedstaat diese Richtlinie nicht oder nur unzulänglich in nationales Recht umgesetzt hat, dem Einzelnen Rechte, die dieser vor einem nationalen Gericht gegenüber dem Mitgliedstaat geltend machen kann? 4. Falls die dritte Vorlagefrage bejaht wird: Ist eine privatrechtlich organisierte Einrichtung, die von dem Mitgliedstaat – für die Arbeitgeber verpflichtend – als Träger der Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung bestimmt ist, der staatlichen Finanzdienstleistungsaufsicht unterliegt sowie die für die Insolvenzsicherung erforderlichen Beiträge kraft öffentlichen Rechts von den Arbeitgebern erhebt und wie eine Behörde die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung durch Verwaltungsakt herstellen kann, eine öffentliche Stelle des Mitgliedstaates? Entscheidungsgründe 1 A. Gegenstand des Ausgangsverfahrens 2 Die Parteien streiten – soweit für das Vorabentscheidungsverfahren von Bedeutung – darüber, ob der beklagte Pensions-Sicherungs-Verein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit für einen Anspruch des Klägers gegen seine ehemalige Arbeitgeberin eintreten muss, weil diese zahlungsunfähig ist und deshalb ihrer Verpflichtung, für eine Leistungskürzung einer Pensionskasse einzustehen, nicht nachkommen kann. 3 Der Beklagte ist der gesetzlich bestimmte Träger der Insolvenzsicherung für die betriebliche Altersversorgung. Sein Zweck ist es, die Zahlung der betrieblichen Altersversorgung im Fall der Insolvenz eines Arbeitgebers in der Bundesrepublik Deutschland und im Großherzogtum Luxemburg zu gewährleisten. 4 Dem Kläger wurden von seiner damaligen Arbeitgeberin Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zugesagt. Diese setzen sich aus einer – im Wege der Direktzusage versprochenen – monatlichen Pensionszulage und einem jährlichen Weihnachtsgeld für Pensionäre sowie einer über den Durchführungsweg Pensionskasse zugesagten Pensionskassenrente zusammen. Die Pensionskassenrente ist betriebliche Altersversorgung im Sinne des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betriebsrentengesetz), soweit sie auf Beiträgen der ehemaligen Arbeitgeberin des Klägers beruht. Insoweit finden die Vorschriften des Betriebsrentengesetzes Anwendung. Zusätzlich hat der Kläger durch eigene Beiträge die Pensionskassenrente erhöht; dieser Teil der Pensionskassenrente ist jedoch nicht Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens. 5 Ab dem 1. Dezember 2000 bezog der Kläger von seiner ehemaligen Arbeitgeberin die Pensionszulage und das Weihnachtsgeld. Die Pensionskassenrente wird ihm ab diesem Zeitpunkt von der Pensionskasse für die Deutsche Wirtschaft Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit gezahlt. Bei dieser handelt es sich um eine rechtsfähige überbetriebliche Einrichtung, die den Arbeitnehmern einen Rechtsanspruch auf ihre Leistungen gewährt. 6 Die Pensionskasse geriet Mitte 2003 in eine wirtschaftliche Krise und kürzt seitdem die Pensionskassenrenten. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, bei der es sich um die gesetzlich bestimmte staatliche Aufsichtsbehörde handelt, erteilte hierzu ihre Zustimmung. Der arbeitgeberfinanzierte Teil der Pensionskassenrente des Klägers betrug bei Rentenbeginn 585,21 Euro brutto und belief sich im Juni 2003 auf 599,49 Euro brutto. Die Pensionskassenrente wurde zunächst ab dem 1. Juli 2003 um 1,4 vom Hundert, ab dem 1. Juli 2004 um weitere 1,4 vom Hundert, ab dem 1. Juli 2005 um weitere 1,4 vom Hundert, ab dem 1. Juli 2006 um weitere 1,4 vom Hundert, ab dem 1. Juli 2007 um weitere 1,38 vom Hundert, ab dem 1. Juli 2008 um weitere 1,36 vom Hundert, ab dem 1. Juli 2009 um weitere 1,34 vom Hundert, ab dem 1. Juli 2010 um weitere 1,26 vom Hundert, ab dem 1. Juli 2011 um weitere 1,26 vom Hundert, ab dem 1. Juli 2012 um weitere 1,25 vom Hundert und ab dem 1. Juli 2013 um weitere 1,25 vom Hundert gekürzt. Die ehemalige Arbeitgeberin des Klägers glich diese Leistungskürzungen der Pensionskasse aufgrund ihrer im nationalen Recht vorgesehenen Einstandspflicht zunächst aus. Eine Verpflichtung, die ungekürzten Leistungen der Pensionskassen anderweitig abzusichern, sieht das nationale Recht nicht vor. 7 Am 30. Januar 2012 wurde über das Vermögen der ehemaligen Arbeitgeberin des Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Bescheid vom 12. September 2012 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er die Zahlung der Pensionszulage iHv. 398,90 Euro monatlich und des Weihnachtsgeldes iHv. 1.451,05 Euro jährlich übernehme. Einen Ausgleich der Leistungskürzungen bei der Pensionskassenrente lehnte der Beklagte ab. Die Pensionskasse zahlt an den Kläger die – gekürzte – Pensionskassenrente weiter, da sein Anspruch gegen die Pensionskasse von der Zahlungsunfähigkeit seiner ehemaligen Arbeitgeberin nach dem nationalen Recht nicht berührt wird. 8 Der Kläger hat im Ausgangsverfahren geltend gemacht, der Beklagte müsse aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen seiner ehemaligen Arbeitgeberin für die Leistungskürzungen der Pensionskasse einstehen. Der Beklagte hat hierzu die Auffassung vertreten, ihn treffe nach nationalem Recht keine Eintrittspflicht für Versorgungsansprüche, die im Durchführungsweg Pensionskasse geleistet werden, wenn der Arbeitgeber seiner gesetzlich vorgesehenen Einstandspflicht infolge einer eigenen Zahlungsunfähigkeit nicht nachkommen könne. 9 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. 10 B. Rechtlicher Rahmen 11 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Anwendbarkeit und die Auslegung von Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (ABl. EU L 283 vom 28. Oktober 2008 Seite 36), geändert durch Art. 1 ÄndRL (EU) 2015/1794 vom 6. Oktober 2015 (ABl. EU L 263 vom 8. Oktober 2015 Seite 1). 12 I. Das einschlägige nationale Recht 13 Das Recht der betrieblichen Altersversorgung ist im Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betriebsrentengesetz) vom 19. Dezember 1974 (BGBl. I Seite 3610), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. August 2017 (BGBl. I Seite 3214), geregelt. Das Gesetz lautet auszugsweise:          „§ 1 Zusage des Arbeitgebers auf betriebliche          Altersversorgung          (1) Werden einem Arbeitnehmer Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung aus Anlass seines Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber zugesagt (betriebliche Altersversorgung), gelten die Vorschriften dieses Gesetzes. Die Durchführung der betrieblichen Altersversorgung kann unmittelbar über den Arbeitgeber oder über einen der in § 1b Abs. 2 bis 4 genannten Versorgungsträger erfolgen. Der Arbeitgeber steht für die Erfüllung der von ihm zugesagten Leistungen auch dann ein, wenn die Durchführung nicht unmittelbar über ihn erfolgt.          …                 § 1b Unverfallbarkeit und Durchführung der          betrieblichen Altersversorgung          …                 (2) 1Wird für die betriebliche Altersversorgung eine Lebensversicherung auf das Leben des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber abgeschlossen und sind der Arbeitnehmer oder seine Hinterbliebenen hinsichtlich der Leistungen des Versicherers ganz oder teilweise bezugsberechtigt (Direktversicherung), so ist der Arbeitgeber verpflichtet, wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Erfüllung der in Absatz 1 Satz 1 und 2 genannten Voraussetzungen das Bezugsrecht nicht mehr zu widerrufen. […] 3Hat der Arbeitgeber die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag abgetreten oder beliehen, so ist er verpflichtet, den Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis nach Erfüllung der in Absatz 1 Satz 1 und 2 genannten Voraussetzungen geendet hat, bei Eintritt des Versicherungsfalles so zu stellen, als ob die Abtretung oder Beleihung nicht erfolgt wäre. …          (3) Wird die betriebliche Altersversorgung von einer rechtsfähigen Versorgungseinrichtung durchgeführt, die dem Arbeitnehmer oder seinen Hinterbliebenen auf ihre Leistungen einen Rechtsanspruch gewährt (Pensionskasse und Pensionsfonds), so gilt Absatz 1 entsprechend. …          (4) Wird die betriebliche Altersversorgung von einer rechtsfähigen Versorgungseinrichtung durchgeführt, die auf ihre Leistungen keinen Rechtsanspruch gewährt (Unterstützungskasse), so sind die nach Erfüllung der in Absatz 1 Satz 1 und 2 genannten Voraussetzungen und vor Eintritt des Versorgungsfalles aus dem Unternehmen ausgeschiedenen Arbeitnehmer und ihre Hinterbliebenen den bis zum Eintritt des Versorgungsfalles dem Unternehmen angehörenden Arbeitnehmern und deren Hinterbliebenen gleichgestellt. …          …                 § 7 Umfang des Versicherungsschutzes          (1) Versorgungsempfänger, deren Ansprüche aus einer unmittelbaren Versorgungszusage des Arbeitgebers nicht erfüllt werden, weil über das Vermögen des Arbeitgebers oder über seinen Nachlaß das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, und ihre Hinterbliebenen haben gegen den Träger der Insolvenzsicherung einen Anspruch in Höhe der Leistung, die der Arbeitgeber aufgrund der Versorgungszusage zu erbringen hätte, wenn das Insolvenzverfahren nicht eröffnet worden wäre. Satz 1 gilt entsprechend,          1.     wenn Leistungen aus einer Direktversicherung aufgrund der in § 1b Abs. 2 Satz 3 genannten Tatbestände nicht gezahlt werden und der Arbeitgeber seiner Verpflichtung nach § 1b Abs. 2 Satz 3 wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht nachkommt,          2.     wenn eine Unterstützungskasse oder ein Pensionsfonds die nach ihrer Versorgungsregelung vorgesehene Versorgung nicht erbringt, weil über das Vermögen oder den Nachlass eines Arbeitgebers, der der Unterstützungskasse oder dem Pensionsfonds Zuwendungen leistet (Trägerunternehmen), das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.                   …                 § 10 Beitragspflicht und Beitragsbemessung          (1) Die Mittel für die Durchführung der Insolvenzsicherung werden auf Grund öffentlich-rechtlicher Verpflichtung durch Beiträge aller Arbeitgeber aufgebracht, die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung unmittelbar zugesagt haben oder eine betriebliche Altersversorgung über eine Unterstützungskasse, eine Direktversicherung der in § 7 Abs. 1 Satz 2 und Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 bezeichneten Art oder einen Pensionsfonds durchführen.          …                 (4) Aus den Beitragsbescheiden des Trägers der Insolvenzsicherung findet die Zwangsvollstreckung in entsprechender Anwendung der Vorschriften der Zivilprozeßordnung statt. Die vollstreckbare Ausfertigung erteilt der Träger der Insolvenzsicherung.          …                 § 14 Träger der Insolvenzsicherung          (1) Träger der Insolvenzsicherung ist der Pensions-Sicherungs-Verein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Er ist zugleich Träger der Insolvenzsicherung von Versorgungszusagen Luxemburger Unternehmen nach Maßgabe des Abkommens vom 22. September 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg über Zusammenarbeit im Bereich der Insolvenzsicherung betrieblicher Altersversorgung.          (2) Der Pensions-Sicherungs-Verein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit unterliegt der Aufsicht durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. …“ 14 § 3 Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz vom 27. April 1953 (BGBl. I Seite 157) in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 201-4, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. Juni 2017 (BGBl. I Seite 2094) hat folgenden Wortlaut:          „(1) Die Vollstreckung wird gegen den Vollstreckungsschuldner durch Vollstreckungsanordnung eingeleitet; eines vollstreckbaren Titels bedarf es nicht.          (2) Voraussetzungen für die Einleitung der Vollstreckung sind:          a) der Leistungsbescheid, durch den der Schuldner zur Leistung aufgefordert worden ist;          b) die Fälligkeit der Leistung;          c) der Ablauf einer Frist von einer Woche seit Bekanntgabe des Leistungsbescheides oder, wenn die Leistung erst danach fällig wird, der Ablauf einer Frist von einer Woche nach Eintritt der Fälligkeit.          (3) Vor Anordnung der Vollstreckung soll der Schuldner ferner mit einer Zahlungsfrist von einer weiteren Woche besonders gemahnt werden.          (4) Die Vollstreckungsanordnung wird von der Behörde erlassen, die den Anspruch geltend machen darf.“ 15 II. Das einschlägige Unionsrecht          „RICHTLINIE 2008/94/EG DES EUROPÄISCHEN          PARLAMENTS UND DES RATES vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei          Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers          Artikel 1          (1) Diese Richtlinie gilt für Ansprüche von Arbeitnehmern aus Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen gegen Arbeitgeber, die zahlungsunfähig im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 sind.          (2) Die Mitgliedstaaten können die Ansprüche bestimmter Gruppen von Arbeitnehmern wegen des Bestehens anderer Garantieformen ausnahmsweise vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausschließen, wenn diese den Betroffenen nachweislich einen Schutz gewährleisten, der dem sich aus dieser Richtlinie ergebenden Schutz gleichwertig ist.          …                 Artikel 2          (1) Im Sinne dieser Richtlinie gilt ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig, wenn die Eröffnung eines nach den Rechts- und Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaats vorgeschriebenen Gesamtverfahrens beantragt worden ist, das die Insolvenz des Arbeitgebers voraussetzt und den teilweisen oder vollständigen Vermögensbeschlag gegen diesen Arbeitgeber sowie die Bestellung eines Verwalters oder einer Person, die eine ähnliche Funktion ausübt, zur Folge hat, und wenn die aufgrund der genannten Rechts- und Verwaltungsvorschriften zuständige Behörde          a)     die Eröffnung des Verfahrens beschlossen hat; …          …                 Artikel 8          Die Mitgliedstaaten vergewissern sich, dass die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer sowie der Personen, die zum Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers aus dessen Unternehmen oder Betrieb bereits ausgeschieden sind, hinsichtlich ihrer erworbenen Rechte oder Anwartschaftsrechte auf Leistungen bei Alter, einschließlich Leistungen für Hinterbliebene, aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen außerhalb der einzelstaatlichen gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit getroffen werden.“ 16 C. Erforderlichkeit der Entscheidung des Gerichtshofs und Erörterung der Vorlagefragen 17 I. Erläuterung zur ersten Vorlagefrage 18 In der Bundesrepublik Deutschland kann ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern Leistungen der betrieblichen Altersversorgung entweder unmittelbar (Direktzusage) oder über externe Versorgungseinrichtungen zusagen. Bei einer Direktzusage hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmern die Versorgungsleistungen unmittelbar selbst zu gewähren. Betraut der Arbeitgeber eine externe Versorgungseinrichtung mit der Durchführung der Betriebsrentenzusagen, erfüllt er seine Leistungspflicht mittelbar entweder über eine Direktversicherung – also eine vom Arbeitgeber zugunsten des Arbeitnehmers abgeschlossene Lebensversicherung – oder durch eine Unterstützungskasse, einen Pensionsfonds oder eine Pensionskasse (vgl. hierzu EuGH 9. Oktober 2001 – C-379/99 – [Menauer] Rn. 5 f.). 19 Sagt der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu, die über eine externe Versorgungseinrichtung – wie im Ausgangsverfahren eine Pensionskasse – erbracht werden sollen, und bleiben deren Leistungen an den Arbeitnehmer hinter dem zurück, was der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer aus dem arbeitsrechtlichen Grundverhältnis an Versorgung schuldet, ist der Arbeitgeber nach dem nationalen Recht verpflichtet, diese Lücke zu schließen. Nach § 1 Abs. 1 Satz 3 des Betriebsrentengesetzes hat er gegenüber dem Arbeitnehmer für die zugesagten Leistungen einzustehen und ihm diese im Versorgungsfall aus seinem eigenen Vermögen zu erbringen. Wird der Arbeitgeber – wie im Fall des Klägers – in einer solchen Situation zahlungsunfähig, sieht das nationale Recht keine Eintrittspflicht des Beklagten oder einer anderen Sicherungseinrichtung für die vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer aufgrund seiner gesetzlichen Einstandspflicht zu erbringenden Leistungen vor, wenn diese Einstandspflicht besteht, weil eine Pensionskasse die Pensionskassenrente kürzt. 20 Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts findet Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers auch dann Anwendung, wenn die Pensionskasse – ohne selbst zahlungsunfähig gemäß Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2008/94/EG zu sein – Leistungskürzungen mit Zustimmung der staatlichen Finanzdienstleistungsaufsicht vornimmt, der Arbeitgeber diese Kürzungen aber nicht ausgleichen kann, weil er selbst zahlungsunfähig ist. Bei der gesetzlichen Einstandspflicht handelt es sich um einen Rechtsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis im Sinne des Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/94/EG, da sie auf der Versorgungszusage des Arbeitgebers beruht. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Pensionskasse verpflichtet ist, den Teil der Pensionskassenrente, der nach der Kürzung verbleibt, unabhängig von der Insolvenz des ehemaligen Arbeitgebers weiter an den ehemaligen Arbeitnehmer zu zahlen und dadurch dieser Teil des Versorgungsanspruchs trotz der Zahlungsunfähigkeit des ehemaligen Arbeitgebers geschützt ist. 21 Die zu 1. gestellte Frage ist vom Gerichtshof noch nicht so eindeutig beantwortet worden, dass keine Zweifel an ihrer Beantwortung bestehen. Die Antwort ist auch nicht eindeutig. 22 II. Erläuterungen zur zweiten Vorlagefrage 23 Der Gerichtshof hat in den Rechtssachen Robins ua. (25. Januar 2007 – C-278/05 – Rn. 57 zum wortidentischen Art. 8 der Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980) und Hogan ua. (25. April 2013 – C-398/11 – Rn. 51) bislang entschieden, eine ordnungsgemäße Umsetzung von Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG erfordere, dass ein Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit seines Arbeitgebers mindestens die Hälfte der Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung erhalte, die sich aus seinen erworbenen Rechten ergeben. Hieran hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 24. November 2016 (- C-454/15 – [Webb-Sämann] Rn. 35) zwar im Grundsatz festgehalten. Allerdings hat er weiter ausgeführt, es sei nicht ausgeschlossen, dass unter anderen Umständen die erlittenen Verluste, auch wenn ihr Prozentsatz ein anderer sei, als offensichtlich unverhältnismäßig angesehen werden könnten. Der Gerichtshof hat bislang nicht konkretisiert, welcher Art diese „anderen Umstände“ sein können und nach welchen Kriterien sich beurteilt, ob Verluste offensichtlich unverhältnismäßig sind. 24 Danach vermag der Senat nicht mit der für ein letztinstanzliches Gericht gebotenen Sicherheit zu beurteilen, ob nach dem festgestellten Sachverhalt des Ausgangsverfahrens der nach Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG vorgesehene Mindestschutz gewährt wird, obwohl der Kläger durch die Kürzung der Pensionskassenrente zwar keine Verluste erleidet, die die Hälfte seiner erworbenen Rentenansprüche übersteigen. Die Leistungskürzung beträgt bezogen auf den arbeitgeberfinanzierten Teil der Pensionskassenrente des Klägers bislang zwar nur etwa 13,8 vom Hundert und bezogen auf die gesamten ihm gewährten Leistungen der betrieblichen Altersversorgung einschließlich der Pensionszulage und des Weihnachtsgeldes nur etwa 7,4 vom Hundert. Insgesamt beläuft sich der vom Arbeitnehmer infolge der Zahlungsunfähigkeit seiner ehemaligen Arbeitgeberin erlittene Verlust jedoch zurzeit auf 82,74 Euro brutto monatlich und ist damit deutlich höher, als der Verlust von 7,00 Euro, den der Gerichtshof in der Rechtssache Webb-Sämann (EuGH 24. November 2016 – C-454/15 – [Webb-Sämann] Rn. 36) als nicht erheblich angesehen hat. 25 III. Erläuterungen zur dritten Vorlagefrage 26 Sollte Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG im Ausgangsverfahren eine Absicherung der Ansprüche des Klägers durch den Mitgliedstaat erfordern, wäre das vorlegende Gericht gehindert, dieses Ergebnis durch eine unionsrechtskonforme Auslegung oder Fortbildung des Betriebsrentengesetzes zu erreichen. Ansprüche des Klägers könnten dann nur unmittelbar aus Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG folgen. Ob dies der Fall ist, ist unklar und daher durch den Gerichtshof zu klären. 27 1. Die nationalen Gerichte sind nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs gehalten, bei der Anwendung des nationalen Rechts dieses so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen, um das in der Richtlinie festgelegte Ziel zu erreichen und damit Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen; das darf aber nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen (vgl. etwa EuGH 24. Januar 2012 – C-282/10 – [Dominguez] Rn. 25 mwN). 28 Eine Auslegung des Betriebsrentengesetzes oder eine Rechtsfortbildung dahin, dass der Beklagte haftet, wenn ein ehemaliger Arbeitgeber seiner gesetzlichen Einstandspflicht für eine von der Pensionskasse berechtigt gekürzte Pensionskassenrente nicht nachkommen kann, weil er zahlungsunfähig geworden ist, ist contra legem. Das Betriebsrentengesetz enthält ein ausdifferenziertes Regelwerk für die Absicherung von Betriebsrentenansprüchen und Betriebsrentenanwartschaften, wenn der Arbeitgeber zahlungsunfähig ist. Eine Absicherung der Einstandspflicht des zahlungsunfähigen Arbeitgebers bei Kürzungen von Pensionskassenrenten sieht das Betriebsrentengesetz nicht vor. Hierbei handelt es sich um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers. Er hielt Ansprüche der ehemaligen Arbeitnehmer gegen Pensionskassen durch die Versicherungsaufsicht und die Vorschriften zur Anlage des Sicherungsvermögens der Pensionskassen für ausreichend gesichert (vgl. Bundestags-Drucksache 7/2843 Seite 9; sowie die entsprechenden Erörterungen im Plenum des Deutschen Bundestages, 7. Legislaturperiode, 134. Sitzung, Stenografische Berichte Seite 9060). 29 2. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann sich der Einzelne jedoch in den Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Mitgliedstaat auf diese Bestimmungen berufen, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt hat (vgl. etwa EuGH 1. Juli 2010 – C-194/08 – [Gassmayr] Rn. 44 mwN). Der Gerichtshof hat angenommen, eine Unionsvorschrift sei unbedingt, wenn sie eine Verpflichtung normiere, die an keine Bedingung geknüpft sei und zu ihrer Durchführung oder Wirksamkeit auch keiner weiteren Maßnahmen der Unionsorgane oder der Mitgliedstaaten bedürfe. Sie sei hinreichend genau, um von einem Einzelnen geltend gemacht und vom Gericht angewandt werden zu können, wenn sie in unzweideutigen Worten eine Verpflichtung festlege (vgl. etwa EuGH 1. Juli 2010 – C-194/08 – [Gassmayr] Rn. 45 mwN). Dabei erstrecke sich die Prüfung, ob eine Richtlinienbestimmung diese Kriterien erfüllt, auf drei Gesichtspunkte, nämlich die Bestimmung des Personenkreises, dem der vorgesehene Mindestschutz zugutekommen soll, den Inhalt dieses Mindestschutzes und die Person, die den Mindestschutz schuldet (vgl. EuGH 19. November 1991 – C-6/90 und C-9/90 – [Pretura Vicenza und Pretura Bassano del Grappa] Rn. 12). 30 Für das vorlegende Gericht steht vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs (vgl. EuGH 25. Januar 2007 – C-278/05 – [Robins ua.] zum wortidentischen Art. 8 der Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980; 25. April 2013 – C-398/11 – [Hogan ua.]; 24. November 2016 – C-454/15 – [Webb-Sämann]) nicht zweifelsfrei fest, ob diese Regelung insgesamt – möglicherweise auch nach Beantwortung der durch die zweite Vorlagefrage erfolgten weiteren Konkretisierung – die Anforderungen an eine unmittelbar wirkende und damit inhaltlich unbedingt und hinreichend genaue Richtlinienbestimmung erfüllt. 31 IV. Erläuterungen zur vierten Vorlagefrage 32 Sollte der Gerichtshof die dritte Vorlagefrage bejahen, kann das vorlegende Gericht nicht mit der für ein letztentscheidendes Gericht gebotenen Sicherheit beurteilen, ob der Beklagte zu den Rechtssubjekten gehört, denen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs (siehe hierzu etwa EuGH 12. Dezember 2013 – C-361/12 – [Carratù] Rn. 29; 12. September 2013 – C-614/11 – [Kuso] Rn. 32; 12. Juli 1990 – C-188/89 – [Foster ua.] Rn. 22) der unmittelbar anwendbare Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG entgegengehalten werden könnte. 33 Der Beklagte ist nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Betriebsrentengesetz der gesetzlich bestimmte Träger der Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung in der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg. Er ist von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, dem Verband der Lebensversicherungs-Unternehmen und dem Bundesverband der Deutschen Industrie, eingetragenen Vereinen, gegründet worden. Der Beklagte hat die Rechtsform eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit, das heißt einer juristischen Person des Privatrechts. Ihm obliegt die Erfüllung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung, wenn bei einem Arbeitgeber ein in § 7 Abs. 1 Betriebsrentengesetz vorgesehener Sicherungsfall, wie die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, eingetreten ist. 34 Der Beklagte unterliegt nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Betriebsrentengesetz der Aufsicht durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Diese Aufsicht entspricht im Wesentlichen der Aufsicht für private sogenannte kleine Versicherungsunternehmen nach dem Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz). 35 Arbeitgeber, die eine sicherungspflichtige betriebliche Altersversorgung durchführen, sind nach § 10 Abs. 1 Betriebsrentengesetz verpflichtet, Beiträge zur Durchführung der Insolvenzsicherung an den Beklagten zu entrichten. Hierbei handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung. Damit besteht eine Zwangsversicherungspflicht für diese Arbeitgeber. 36 Für die Rechtsbeziehungen zwischen dem Beklagten und dem Arbeitgeber als Versicherungsnehmer sind nach nationalem Recht zwar die zivilrechtlichen Regelungen anwendbar. Dies gilt jedoch nicht für die Beitragspflicht des Arbeitgebers. Insoweit stehen dem Beklagten aufgrund öffentlichen Rechts hoheitliche Befugnisse zu (vgl. etwa BAG 29. September 2010 – 3 AZR 546/08 – Rn. 15 mwN). Hinsichtlich seiner Berechtigung, Beiträge zu erheben, ist er ein mit Aufgaben und Befugnissen der öffentlichen Verwaltung beliehenes Unternehmen (Bundestags-Drucksache 7/2843 Seite 10). Er hat damit das Recht, die von ihm erteilten Beitragsbescheide als Verwaltungsakte zu erlassen. Allerdings ist er – anders als eine Behörde – nicht ermächtigt, verwaltungsrechtliche Zwangsvollstreckungsmaßnahmen anzuordnen. Vielmehr findet die Zwangsvollstreckung aus diesen Verwaltungsakten nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung statt, die nach § 10 Abs. 4 Satz 1 Betriebsrentengesetz entsprechend anwendbar sind. Für das Zwangsvollstreckungsverfahren nach den Bestimmungen der Zivilprozessordnung bedarf es eines Vollstreckungstitels und einer vollstreckbaren Ausfertigung. Diese Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung schafft der Beklagte nach § 10 Abs. 4 Betriebsrentengesetz aufgrund seiner hoheitlichen Befugnis selbst. Das unterscheidet ihn von Privatpersonen, die eine Zwangsvollstreckung betreiben. Denn diese müssen regelmäßig einen Vollstreckungstitel im gerichtlichen Verfahren erwirken und eine vollstreckbare Ausfertigung des Vollstreckungstitels über die gesetzlich hierfür bestimmten Organe der Rechtspflege beantragen. Die Befugnisse des Beklagten ähneln daher insoweit denjenigen der Verwaltungsbehörden, die nach § 3 Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz berechtigt sind, aufgrund ihrer Leistungsbescheide eine Vollstreckungsanordnung zu erlassen und damit die Zwangsvollstreckung einzuleiten.              Zwanziger                  Spinner                  Wemheuer                                    S. Hopfner                  Becker
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19.02.2019
19.02.2019 8/19 - Hinterbliebenenversorgung - Mindestehedauer - unangemessene Benachteiligung Eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Versorgungsregelung, nach der die Hinterbliebenenversorgung entfällt, wenn im Zeitpunkt des Todes des Versorgungsberechtigten die Ehe nicht mindestens zehn Jahre bestanden hat, benachteiligt den unmittelbar Versorgungsberechtigten unangemessen und ist daher nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Die Klägerin ist Witwe ihres im Jahr 2015 verstorbenen Ehemanns, dem von seinem ehemaligen Arbeitgeber ua. eine Hinterbliebenenversorgung zugesagt worden war. Nach der Versorgungszusage entfällt die Witwenversorgung, wenn die Ehe im Zeitpunkt des Todes des Versorgungsberechtigten nicht mindestens zehn Jahre bestanden hat. Die Ehe war im Juli 2011 geschlossen worden. Die Klägerin hält den Ausschluss der Witwenversorgung für unwirksam. Die auf Zahlung einer Witwenrente ab Mai 2015 gerichtete Klage wurde von den Vorinstanzen abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Enthält eine Versorgungszusage Allgemeine Geschäftsbedingungen, so bewirkt eine hierin enthaltene Mindestehedauerklausel von zehn Jahren eine unangemessene Benachteiligung des Versorgungsberechtigten. Sagt der Arbeitgeber eine Hinterbliebenenversorgung zu, entspricht es der im Gesetz angelegten Vertragstypik, dass die Ehepartner der Arbeitnehmer abgesichert sind. Schränkt der Arbeitgeber den danach erfassten Personenkreis zulasten des Arbeitnehmers in der Versorgungszusage weiter ein, unterliegt diese Einschränkung der Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Wird die Zusage auf Ehepartner beschränkt, mit denen der Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Todes mindestens zehn Jahre verheiratet war, wird von der die Hinterbliebenenversorgung kennzeichnenden Vertragstypik abgewichen. Orientiert sich eine Ausschlussklausel an willkürlich gegriffenen Zeitspannen ohne inneren Zusammenhang zum Arbeitsverhältnis und zum verfolgten Zweck, so ist eine unangemessene Benachteiligung des Versorgungsberechtigten gegeben, weil der Zweck der Hinterbliebenenversorgung durch eine solche zehnjährige Mindestehedauer gefährdet ist. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Februar 2019 – 3 AZR 150/18 – Vorinstanz: Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 29. November 2017 – 6 Sa 486/17 –
Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 29. November 2017 – 6 Sa 486/17 – aufgehoben. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 23. Februar 2017 – 19 Ca 6984/16 – abgeändert und wie folgt neu gefasst: Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 664,70 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4. November 2016 zu zahlen. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine monatliche Hinterbliebenenrente iHv. 39,10 Euro brutto spätestens am Ende eines Kalendermonats, beginnend ab dem 31. Oktober 2016 zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Leitsatz Schränkt der Arbeitgeber in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Hinterbliebenenversorgung durch eine zehnjährige Mindestehedauerklausel ein, so stellt das eine unangemessene Benachteiligung des unmittelbar versorgungsberechtigten Arbeitnehmers iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB dar. Tatbestand 1 Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin eine Hinterbliebenenversorgung zusteht. 2 Die Klägerin ist die Witwe des im August 1946 geborenen und im April 2015 verstorbenen V. Die Ehe wurde am 1. Juli 2011 geschlossen. Der verstorbene Ehemann der Klägerin war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin vom 1. Juni 1986 bis zum 28. Februar 2005 tätig. Das Arbeitsverhältnis war von einem Pensionsvertrag (im Folgenden PV) unterlegt, der ua. Folgendes regelte:          „§ 4             Witwenversorgung          (nur für männliche Berechtigte)          Im Falle des Todes des Berechtigten erhält seine Witwe 50% der Versorgungsleistungen, die der Berechtigte im Zeitpunkt seines Ablebens erhalten hat oder erhalten hätte, wenn er zu diesem Zeitpunkt in den Ruhestand überführt worden wäre.          Die Witwenversorgung entfällt, wenn          a)     im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten die Ehe nicht mindestens 10 Jahre bestanden hat,          b)     die Ehe im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten rechtskräftig aufgelöst war,          c)     die Witwe eine neue Ehe eingeht. In diesem Fall wird die Versorgungsleistung mit dem Ende des Monates, in dem die neue Ehe geschlossen wird, eingestellt,          d)     mit dem Tod der Witwe.          …                          § 10             Leistungsvorbehalte          Die Firma hofft, die in diesem Vertrag vorgesehenen Leistungen vermögens-, liquiditäts- und ertragsmäßig dauernd erfüllen zu können. Sie behält sich eine vorübergehende oder dauernde Kürzung oder Einstellung der Leistungen ausdrücklich vor, wenn die bei Abschluß dieses Vertrages maßgebenden Verhältnisse sich nachhaltig so wesentlich geändert haben, daß der Firma die Aufrechterhaltung der zugesagten Leistungen auch unter objektiver Beachtung der persönlichen Belange des Berechtigten nicht mehr zugemutet werden kann.          Insbesondere behält sich die Firma vor, die Leistungen zu kürzen oder einzustellen, wenn          a)     der Personenkreis, die Beiträge, die Leistungen oder das Pensionierungsalter bei der gesetzlichen Sozialversicherung oder anderen Versorgungseinrichtungen mit Rechtsanspruch sich wesentlich ändern, oder          b)     die rechtliche, insbesondere die steuerrechtliche Behandlung der Aufwendungen, die zur planmäßigen Finanzierung der Versorgungsleistungen von der Firma gemacht werden oder gemacht worden sind, sich so wesentlich ändert, daß der Firma die Aufrechterhaltung der zugesagten Leistungen nicht mehr zugemutet werden kann.“ 3 Die Beklagte zahlte dem verstorbenen Ehemann der Klägerin auf der Grundlage des PV seit dem 1. September 2011 eine Betriebsrente iHv. zunächst 75,91 Euro brutto monatlich. Zum 1. Januar 2012 passte sie diese auf 78,19 Euro brutto an. 4 Mit Schreiben vom 24. Februar 2014 widerrief die Beklagte gegenüber dem verstorbenen Ehemann der Klägerin die Pensionszusage unter Bezugnahme auf § 10 PV und stellte die Zahlung der Betriebsrente ab März 2014 ein. Die hiergegen von dem verstorbenen Ehemann der Klägerin erhobene Klage auf Zahlung von 78,19 Euro brutto monatlich hatte vor dem Arbeitsgericht Erfolg. Nachdem der Ehemann der Klägerin während des Berufungsverfahrens verstorben war, führten seine Erbinnen – ua. die Klägerin – das Verfahren fort. Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung der Beklagten mit inzwischen rechtskräftigem Urteil mit der Maßgabe zurück, dass die Betriebsrentenzahlung bis zum Tod des Arbeitnehmers begrenzt ist. 5 Die Klägerin hat – nachdem die Beklagte die Gewährung einer Hinterbliebenenversorgung abgelehnt hatte – Klage auf Zahlung von monatlich 39,10 Euro brutto ab dem 1. Mai 2015 erhoben. In der Klageerwiderung widerrief die Beklagte die Pensionszusage nunmehr gegenüber der Klägerin. Dem Schriftsatz war als Anlage eine Stellungnahme der Treuhandgesellschaft mbH vom 23. Juni 2014 zur wirtschaftlichen Lage der Beklagten beigefügt. Diese Stellungnahme hatte die Beklagte bereits im früheren Verfahren des verstorbenen Ehemanns der Klägerin zur Begründung des Widerrufs der Versorgungszusage vorgelegt. 6 Die Klägerin hat gemeint, § 4 Abs. 2 Buchst. a PV sei mit dem Verbot der Altersdiskriminierung nicht vereinbar und daher unwirksam. Zudem liege eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 BGB vor. Ein Widerrufsrecht bestehe nicht. 7 Die Klägerin hat beantragt,          1.     die Beklagte zu verurteilen, an sie 664,70 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;          2.     die Beklagte zu verurteilen, an sie eine monatliche Hinterbliebenenrente in Höhe von 39,10 Euro brutto spätestens am Ende eines Kalendermonats, beginnend ab dem 31. Oktober 2016 zu zahlen. 8 Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. 9 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision. Sie hat im Revisionsverfahren erneut den Widerruf der Hinterbliebenenversorgung gegenüber der Klägerin aus wirtschaftlichen Gründen erklärt. Entscheidungsgründe 10 Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Der Klägerin steht ab dem 1. Mai 2015 ein Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung iHv. 39,10 Euro brutto monatlich zu. 11 I. Die Klage ist zulässig. 12 Der Klageantrag zu 2. bedarf allerdings der Auslegung (zu den Auslegungsgrundsätzen vgl. BAG 27. Juni 2017 – 9 AZR 120/16 – Rn. 11). Er ist dahin zu verstehen, dass der Anspruch auf den Zeitpunkt einer erneuten Eheschließung und den Tod der Witwe beschränkt sein soll. Dies entspricht unter Berücksichtigung ihres Klagevorbringens und im Hinblick auf § 4 Abs. 2 Buchst. c und Buchst. d PV der wohlverstandenen Interessenlage. 13 In dieser Auslegung ist der Antrag zulässig. Er ist auf die Zahlung wiederkehrender Leistungen iSd. § 258 ZPO gerichtet. Bei wiederkehrenden Leistungen, die – wie Betriebsrentenansprüche – von keiner Gegenleistung abhängen, können gemäß § 258 ZPO grundsätzlich auch künftig fällig werdende Teilbeträge eingeklagt werden. Im Gegensatz zu § 259 ZPO muss nicht die Besorgnis bestehen, dass der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung entziehen wird (vgl. BAG 10. März 2015 – 3 AZR 56/14 – Rn. 29). 14 II. Die Klage ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, an die Klägerin ab dem 1. Mai 2015 eine Witwenversorgung nach § 4 Abs. 1 PV iHv. 39,10 Euro brutto monatlich zu zahlen. Der in § 4 Abs. 2 Buchst. a PV enthaltene Ausschluss der Witwenversorgung, sofern die Ehe im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten nicht mindestens zehn Jahre bestanden hat, ist wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB unwirksam. Ein wirksamer Widerruf der Pensionszusage liegt nicht vor. 15 1. Die Beklagte hat – nach den gemäß § 559 ZPO den Senat bindenden, nicht mit Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts – mit dem verstorbenen Ehemann der Klägerin einen Pensionsvertrag geschlossen, der die Regelungen der §§ 4, 10 PV beinhaltet. 16 2. Der Anspruch der Klägerin folgt aus § 4 Abs. 1 PV und ist nicht nach § 4 Abs. 2 Buchst. a PV ausgeschlossen. § 4 Abs. 2 Buchst. a PV ist wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB unwirksam. Er benachteiligt den unmittelbar Versorgungsberechtigten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. 17 a) Der Pensionsvertrag ist am Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach §§ 305 ff. BGB zu messen. 18 aa) Die für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Maßstäbe sind zeitlich anwendbar (Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB; vgl. hierzu BAG 21. Februar 2017 – 3 AZR 297/15 – Rn. 18, BAGE 158, 154). 19 bb) Die Versorgungszusage des verstorbenen Ehemanns der Klägerin enthält – wie das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat – Allgemeine Geschäftsbedingungen iSv. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Aus den Regelungen in §§ 4, 10 PV folgt, dass sie für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert sind. Des Weiteren ergibt sich aus der Vorlage zweier identischer Pensionsverträge von Kollegen des verstorbenen Ehemanns der Klägerin, dass die Regelungen des Pensionsvertrags in einer Vielzahl von Fällen – zumindest in drei Fällen – Anwendung gefunden haben. Dies hat auch die Beklagte nicht in Abrede gestellt. 20 b) Der in § 4 Abs. 2 Buchst. a PV enthaltene Ausschluss der Hinterbliebenenversorgung, wenn im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten die Ehe – wie vorliegend – nicht mindestens zehn Jahre bestanden hat, benachteiligt den verstorbenen Ehemann der Klägerin entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. 21 aa) Die mit der Mindestehedauer von zehn Jahren in der Versorgungszusage vorgenommene Einschränkung der Hinterbliebenenversorgung ist nicht angemessen iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dem steht § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht entgegen. 22 (1) Nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB gilt § 307 Abs. 1 BGB nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Rechtsvorschriften in diesem Sinne sind dabei nicht nur Gesetzesvorschriften im materiellen Sinn. Darüber hinaus sind ua. auch Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen kontrollfähig, die die sich aus der Natur des Vertrags ergebenden wesentlichen Rechte und Pflichten zum Nachteil des Vertragspartners einschränken (vgl. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Dazu gehören auch die aus der Natur des jeweiligen Schuldverhältnisses zu entnehmenden Rechte und Pflichten. In vollem Umfang kontrollfähig sind Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen modifizieren, einschränken oder aushöhlen. Abweichungen von der sich aus rechtlichen Vorgaben ergebenden Vertragstypik unterliegen einer uneingeschränkten Inhaltskontrolle (vgl. BAG 21. Februar 2017 – 3 AZR 297/15 – Rn. 30 mwN, BAGE 158, 154). 23 Werden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zugesagt, sind damit Regelungen, die von den im Betriebsrentengesetz angelegten Formen der Risikoabdeckung abweichen, uneingeschränkt kontrollfähig. Keiner Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB unterliegt dagegen die Höhe der zugesagten Versorgung, da es insofern an rechtlichen Vorgaben fehlt (BAG 21. Februar 2017 – 3 AZR 297/15 – Rn. 31 mwN, BAGE 158, 154). 24 (2) Kennzeichnend für eine Hinterbliebenenversorgung iSd. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG ist die Absicherung eines für den Todesfall bestehenden typisierten Versorgungsinteresses des Arbeitnehmers. Maßgebend für dieses Versorgungsinteresse ist, in welchem Näheverhältnis der Arbeitnehmer zu den abzusichernden Personen steht. Für die Zusage einer Hinterbliebenenversorgung ist damit vertragstypisch, dass sie eine bestimmte Kategorie von Personen eines abgrenzbaren Näheverhältnisses zum Versorgungsberechtigten absichert. Es entspricht der im Gesetz angelegten Vertragstypik, dass diejenigen Personen von der Absicherung erfasst werden, die in einem der Kategorie entsprechenden Näheverhältnis zum Arbeitnehmer stehen. Schränkt der Arbeitgeber den danach betroffenen Personenkreis zulasten des Arbeitnehmers in einer Versorgungszusage ein, unterliegt diese Einschränkung der Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB(vgl. BAG 21. Februar 2017 – 3 AZR 297/15 – Rn. 32 mwN, BAGE 158, 154). 25 (3) Eine derartige Einschränkung ist vorliegend gegeben. Die Arbeitgeberin hat die Zusage auf den Ehepartner beschränkt, mit dem der versorgungsberechtigte Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Todes mindestens zehn Jahre verheiratet war. Damit weicht sie von der die Hinterbliebenenversorgung von Witwen kennzeichnenden Vertragstypik ab. 26 bb)Diese Einschränkung benachteiligt den verstorbenen Ehemann unangemessen. 27 (1) Unangemessen ist jede Benachteiligung eines rechtlich anerkannten Interesses des Arbeitnehmers, die nicht durch begründete und billigenswerte Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt oder durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen wird. Bei einer danach erforderlichen wechselseitigen Berücksichtigung und Bewertung der rechtlich anzuerkennenden Interessen der Vertragsparteien ist ein genereller, typisierender, vom Einzelfall losgelöster Maßstab anzulegen (BAG 21. Februar 2017 – 3 AZR 297/15 – Rn. 35 mwN, BAGE 158, 154). Nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB liegt eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel vor, wenn eine Bestimmung wesentliche Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist. 28 (2) Danach liegt in dem in § 4 Abs. 2 Buchst. a PV enthaltenen Ausschluss eine unangemessene Benachteiligung. 29 (a) Ein wesentliches, sich aus der vorliegenden Versorgungsregelung ergebendes Recht ist die Zusage einer Hinterbliebenenversorgung, um den Ehepartner des versorgungsberechtigten Arbeitnehmers finanziell zu versorgen.Der Arbeitnehmer hat ein rechtlich geschütztes Interesse, dass das sich aus dem Näheverhältnis zu seinem Ehepartner ergebende typisierte Versorgungsinteresse entsprechend der Zusage einer Hinterbliebenenversorgung ohne das Erfordernis einer zehnjährigen Mindestehedauer abgesichert ist. 30 (b) Die Einschränkung der Hinterbliebenenversorgung auf Ehen, die im Zeitpunkt des Todes des (ehemaligen) Arbeitnehmers mindestens zehn Jahre bestanden haben, ist nicht durch begründete und billigenswerte Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt. 31 (aa) Zwar hat der Arbeitgeber grundsätzlich ein berechtigtes Interesse, sein mit der Zusage einer Hinterbliebenenversorgung einhergehendes finanzielles Risiko zu beschränken. Die in der Versorgungszusage enthaltene Einschränkung der Hinterbliebenenversorgung orientiert sich aber nicht an irgendwelchen Risikoerwägungen. Vielmehr knüpft sie an eine willkürlich gegriffene Zeitspanne an, während derer die Ehe bestanden haben muss. Das widerspricht dem Grundgedanken, dass betriebliche Altersversorgung auch Entgelt darstellt, das der Arbeitnehmer unabhängig von der Dauer der Ehe erarbeitet und als Gegenleistung für die im Arbeitsverhältnis erbrachte Betriebszugehörigkeit erhält (vgl. BAG 21. Februar 2017 – 3 AZR 297/15 – Rn. 39 mwN, BAGE 158, 154). Wie lange der Arbeitnehmer mit einer Person verheiratet war, hängt von seiner privaten Lebensführung ab. Ein innerer Zusammenhang mit seinem Arbeitsverhältnis als Grundlage für die betriebliche Altersversorgung besteht insoweit nicht. Die Dauer der Ehe beeinflusst auch nicht das Risiko des Arbeitgebers, wie lange eine Hinterbliebenenversorgung zu zahlen ist, da diese keinen Anhaltspunkt dafür bietet, wie groß der Altersunterschied der Ehepartner ist. 32 (bb) Auch der Umstand, dass bei einer zehnjährigen Ehedauer der Ehegatte den Arbeitnehmer bei der Erfüllung der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen länger unterstützt hat, begründet kein berechtigtes Interesse für einen solchen Ausschluss. Dieses Interesse stellt zum einen ausschließlich auf private Gesichtspunkte ab, die eine dem Interesse des Arbeitgebers dienende Regelung nicht rechtfertigen können (vgl. BAG 21. Februar 2017 – 3 AZR 297/15 – Rn. 40 mwN, BAGE 158, 154). Zum anderen greift dieses Argument vorliegend schon deshalb nicht, da es nach dem PV für den Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung sogar unerheblich ist, ob die Ehe während des Arbeitsverhältnisses bestanden hat oder erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eingegangen wurde. Die Klausel versagt dem Arbeitnehmer bei Unterschreiten der zehnjährigen Ehedauer letztlich den Schutz der Versorgungszusage, auch wenn der Arbeitnehmer durch seine Betriebszugehörigkeit die Gegenleistung vollständig erbracht hat. 33 (cc) Auch das berechtigte Interesse an der Verhinderung sog. Versorgungsehen führt nicht zu einem überwiegenden Interesse der Arbeitgeberin. Zwar ist ein solches Interesse grundsätzlich anzuerkennen und legitim. Allerdings ist die geforderte Mindestdauer von zehn Jahren bei Weitem nicht erforderlich, um solche kurzzeitigen Versorgungsehen auszuschließen und damit der Sorge der Arbeitgeberin zu begegnen, ihre Versorgungszusage könnte rechtsmissbräuchlich ausgenutzt werden. Dafür spricht auch ein Vergleich mit § 46 Abs. 2a SGB VI. Danach hat der Gesetzgeber im Bereich der gesetzlichen Rente eine Ehedauer von einem Jahr für ausreichend erachtet, um Versorgungsehen auszuschließen und sogar die Möglichkeit eröffnet, die gesetzliche Vermutung, es handele sich um eine Versorgungsehe, im Einzelfall zu widerlegen. Gleiches gilt für den Bereich der Beamtenversorgung (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG). Eine entsprechende Regelung hätte vorliegend ebenfalls ausgereicht, um diesem Interesse der Arbeitgeberin ausreichend Rechnung zu tragen. 34 (dd) Das Argument der Beklagten, die Klausel solle vermeiden, dass ein „bisher nicht bestehendes hohes Versorgungsrisiko“ relativ spät im Leben des unmittelbar versorgungsberechtigten Arbeitnehmers neu geschaffen wird, ändert nichts. Die Mindestehedauer von zehn Jahren steht mit diesem Interesse der Beklagten in keinem inneren Zusammenhang, da sie nicht nur für Ehen gilt, die in höherem Alter geschlossen werden. Denn nach § 4 Abs. 2 Buchst. a PV ist eine Witwe von der Versorgung auch dann ausgeschlossen, wenn ihr Ehemann in jungen Jahren verstirbt und die Ehe im Todeszeitpunkt noch nicht zehn Jahre bestanden hat. Insoweit hätte etwa eine wirksame Spätehenklausel dem Interesse der Beklagten hinreichend Rechnung getragen. 35 (ee) Soweit die Beklagte auf die Entscheidung des Senats vom 28. Juli 2005 (- 3 AZR 457/04 – BAGE 115, 317) verweist, führt auch das nicht zu einem anderen Ergebnis. Es fehlt an einer Vergleichbarkeit der Fallkonstellationen. Gegenstand der angezogenen Entscheidung war die Wirksamkeit einer Kombination von Spätehen- und Mindestehedauerklausel. Ein Anspruch auf Witwenrente war nach der dort geltenden Betriebsvereinbarung ausgeschlossen, wenn die Ehe nach der Vollendung des 50. Lebensjahres geschlossen worden war und nicht mindestens zehn Jahre bestanden hatte. Demgegenüber ist vorliegend nur eine Mindestehedauerklausel – enthalten in Allgemeinen Geschäftsbedingungen – gegeben. 36 c)Die Unwirksamkeit der Bestimmung in § 4 Abs. 2 Buchst. a PV führt nach § 306 Abs. 1 BGB zum ersatzlosen Fortfall der Klausel und einem Anspruch der Klägerin auf Witwenversorgung. Eine ergänzende Vertragsauslegung führt zu keinem anderen Ergebnis. 37 aa) Sind Allgemeine Geschäftsbedingungen ganz oder teilweise unwirksam, bleibt der Vertrag im Übrigen wirksam (§ 306 Abs. 1 BGB) und sein Inhalt richtet sich insoweit nach den gesetzlichen Vorschriften (§ 306 Abs. 2 BGB). Eine geltungserhaltende Reduktion von Klauseln auf den zulässigen Inhalt durch die Gerichte findet grundsätzlich nicht statt (BAG 24. August 2016 – 5 AZR 703/15 – Rn. 25, BAGE 156, 150). Eine Klausel bleibt nur dann teilweise aufrechterhalten, wenn sie mehrere Regelungen enthält und der unzulässige Teil sprachlich eindeutig abgrenzbar ist. Verbleibt nach der Streichung der unwirksamen Teilregelung und des unwirksamen Klauselteils eine verständliche Regelung, bleibt diese bestehen (sog. blue-pencil-Test, vgl. BAG 21. April 2016 – 8 AZR 474/14 – Rn. 43 mwN). Etwas anderes gilt, wenn ein Festhalten am Vertrag für den Verwender eine unzumutbare Härte iSv. § 306 Abs. 3 BGB darstellt. Jedenfalls in diesem Fall ist eine ergänzende Vertragsauslegung möglich (vgl. BAG 10. Mai 2016 – 9 AZR 434/15 – Rn. 37 f.). 38 bb) Vorliegend kann die Regelung in § 4 Abs. 2 Buchst. a PV gestrichen werden, ohne dass dies zu einer unverständlichen Regelung führt. Vielmehr bleibt die Zusage für Hinterbliebenenversorgung in § 4 Abs. 1 PV verständlich. 39 cc) Es kann im Streitfall dahinstehen, ob die Streichung von § 4 Abs. 2 Buchst. a PV für die Beklagte zu einer unzumutbaren Härte iSv. § 306 Abs. 3 BGB führt und insoweit eine ergänzende Vertragsauslegung möglich wäre. Denn auch aus einer ergänzenden Vertragsauslegung folgt nichts anderes. Diese würde vorliegend dazu führen, dass die Parteien entsprechend den Regelungen in der gesetzlichen Rentenversicherung bzw. des Beamtenversorgungsrechts allenfalls eine Mindestehedauer von einem Jahr vereinbart hätten. Da die Klägerin länger als ein Jahr mit ihrem verstorbenen Ehemann verheiratet war, wäre ihr Anspruch nicht ausgeschlossen. 40 (1) Ist eine vertragliche Regelung planwidrig unvollständig, tritt an die Stelle der lückenhaften Vertragsbestimmung diejenige Gestaltung, die die Parteien bei einer angemessenen Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn diesen die Lückenhaftigkeit des Vertrags bekannt gewesen wäre. Zunächst ist hierfür an den Vertrag selbst anzuknüpfen, denn die in ihm enthaltenen Regelungen und Wertungen sowie ihr Sinn und Zweck sind Ausgangspunkt der Vertragsergänzung. Soweit irgend möglich, sind danach die Lücken im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung in der Weise auszufüllen, dass die Grundzüge des konkreten Vertrags „zu Ende gedacht“ werden. Geht es – wie hier – um vielfach verwendete Vertragsbedingungen, hat die ergänzende Auslegung nach einem objektiv-generalisierenden Maßstab zu erfolgen, der am selben Interesse der typischerweise beteiligten Verkehrskreise und nicht nur an den konkret beteiligten Parteien ausgerichtet sein muss. Lassen sich nach diesen Kriterien hinreichende Anhaltspunkte für einen typischen Parteiwillen nicht finden, etwa weil mehrere gleichwertige Möglichkeiten der Lückenschließung in Betracht kommen, scheidet eine ergänzende Vertragsauslegung aus (BAG 23. April 2013 – 3 AZR 512/11 – Rn. 34 f. mwN). Die ergänzende Vertragsauslegung kann – ebenso wie die Auslegung der Versorgungszusage insgesamt – auch durch das Revisionsgericht vorgenommen werden (BAG 21. Februar 2017 – 3 AZR 297/15 – Rn. 49, BAGE 158, 154). 41 (2) Danach ergäbe eineergänzende Vertragsauslegung, dass eine Hinterbliebenenversorgung allenfalls dann ausgeschlossen worden wäre, wenn die Ehe im Zeitpunkt des Versterbens des versorgungsberechtigten Arbeitnehmers weniger als ein Jahr gedauert hat. Eine solche Regelung würde den typischerweise vorhandenen Interessen der Beteiligten mit Blick auf das in der unwirksamen Ausschlussklausel angelegte Regelungsziel ausreichend Rechnung tragen. 42 (a) Mit der von ihr verwendeten Klausel wollte die Arbeitgeberin das von ihr zu tragende Risiko der Hinterbliebenenversorgung begrenzen. Sie bediente sich dabei allerdings eines Kriteriums, das keinen Bezug zum Arbeitsverhältnis herstellte und auch nicht an den Eintritt des Versorgungsfalls anknüpfte. Damit scheidet eine ergänzende Vertragsauslegung dahingehend, dass die Ehe bei Eintritt des Versorgungsfalls bestanden haben muss, aus. 43 (b) Da die Arbeitgeberin an die Dauer der Ehe angeknüpft hat, ist die ergänzende Vertragsauslegung – den der Klausel zugrunde liegenden Regelungsplan zu Ende gedacht – dahingehend vorzunehmen, dass nur eine zulässige Mindestehedauer vereinbart werden sollte. Damit scheidet eine Vertragsauslegung mit dem Ergebnis einer (zulässigen) Spätehenklausel ebenfalls aus. 44 (c) Rechtlich zulässig wäre allenfalls eine Mindestehedauer von einem Jahr, ggf. mit der Möglichkeit auch in diesem Fall das Vorliegen einer Versorgungsehe zu widerlegen (in diese Richtung auch Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto BetrAVG 7. Aufl. Anh. § 1 Rn. 201; Borchard in Schlewing/Henssler/Schipp/Schnitker Arbeitsrecht der betrieblichen Altersversorgung Stand Juni 2018 Teil 9 C Rn. 67). Das folgt auch aus den gesetzgeberischen Wertungen im Bereich der gesetzlichen Rente und der Beamtenversorgung (§ 46 Abs. 2a SGB VI, § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG). Das Interesse des Arbeitgebers, den Kreis der Versorgungsberechtigten zu begrenzen und insbesondere Versorgungsehen von einer Hinterbliebenenversorgung auszunehmen, ist damit hinreichend berücksichtigt. 45 3. Die Beklagte hat die Pensionszusage bzw. die Hinterbliebenenversorgung nicht durch ihre Erklärungen im Schriftsatz vom 28. November 2016 bzw. in der Revisionserwiderung vom 11. Februar 2019 nach § 10 PV wirksam widerrufen. Da sich die Beklagte auf dieselben Widerrufsgründe wirtschaftlicher Art wie im Vorverfahren mit dem verstorbenen Ehemann der Klägerin (Hessisches LAG – 6 Sa 168/15 -), das die Klägerin nach dem Tod ihres Mannes fortgeführt hat, beruft, ist mit präjudizieller Wirkung auch für die Hinterbliebenenversorgung zwischen dem ursprünglich Versorgungsberechtigten und dem Versorgungsschuldner verbindlich geklärt, dass ein solches Widerrufsrecht nicht besteht. 46 a)Die Hinterbliebenenversorgung ist ein Teil des Versorgungsversprechens an den Arbeitnehmer und stellt einen Vertrag zugunsten Dritter iSv. § 328 Abs. 1 BGB dar. Das Versprechen an den Dritten erfolgt dabei nach § 331 Abs. 1 BGB grundsätzlich in der Weise, dass der Dritte das Recht auf die Leistung im Zweifel erst mit dem Tod des Versprechensempfängers erwirbt (BAG 31. Juli 2018 – 3 AZR 731/16 – Rn. 26 mwN). Der Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung nach dem Eintritt des Nachversorgungsfalls bestimmt sich nach den Rechtsbeziehungen zwischen dem ursprünglich Versorgungsberechtigten, dem – ehemaligen – Arbeitnehmer, und dem die Versorgung schuldenden Arbeitgeber. Diese Rechtsbeziehungen können mit interprozessualer Wirkung, die sich aus materiell-rechtlichen Gründen auch auf die Hinterbliebenen erstreckt, zwischen dem ursprünglich Versorgungsberechtigten und dem Versorgungsschuldner verbindlich geklärt werden. Die gerichtliche Entscheidung entfaltet damit präjudizielle Wirkung auch für nachfolgende Prozesse zwischen dem Hinterbliebenen und dem vormaligen Arbeitgeber (vgl. BAG 31. Juli 2018 – 3 AZR 731/16 – Rn. 23), da der Versorgungsanspruch der Hinterbliebenen stets auf dem Rentenstammrecht des Arbeitnehmers beruht und hiervon abhängig ist (vgl. BAG 12. Juni 1990 – 3 AZR 524/88 – zu II 2 der Gründe, BAGE 65, 194). 47 b) Vorliegend hat die Beklagte zwar einen neuerlichen Widerruf erklärt, indem sie entsprechende Erklärungen gegenüber der Klägerin als Witwe des unmittelbar Versorgungsberechtigten abgegeben hat. Allerdings bezieht sich der Widerruf jeweils auf das Rentenstammrecht des verstorbenen Ehemanns. Da die Hinterbliebenenversorgung vom Rentenstammrecht abhängt, kann ein Widerruf, der in einem mit einem rechtskräftigen Urteil abgeschlossenen Vorprozess zwischen dem unmittelbar Versorgungsberechtigten und dem Versorgungsschuldner für unwirksam erklärt worden ist, in einem nachfolgenden Prozess zwischen dem Hinterbliebenen und dem Versorgungsschuldner nicht auf dieselben Gründe gestützt werden. Es widerspräche dem Sinn und Zweck eines vom unmittelbar Versorgungsberechtigten geführten rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens, wenn in einem nachfolgenden Prozess, an dem der Hinterbliebene beteiligt ist, die Prüfung eines aus denselben Gründen erfolgten Widerrufs vorzunehmen wäre. Das vorherige Verfahren soll Rechtssicherheit und Rechtsklarheit auch für den Hinterbliebenen im Nachversorgungsfall schaffen (vgl. BAG 31. Juli 2018 – 3 AZR 731/16 – Rn. 23). Die in dem Vorprozess bereits vorgebrachten Widerrufsgründe sind damit verbindlich geklärt. 48 4. Der Anspruch der Klägerin ist schließlich nicht nach § 4 Abs. 2 Buchst. b oder Buchst. c PV ausgeschlossen. Danach entfällt die Witwenversorgung, wenn die Ehe im Zeitpunkt des Todes rechtskräftig aufgelöst war (Buchst. b) bzw. wenn die Witwe eine neue Ehe eingeht (Buchst. c). Die Ehe der Klägerin hat im Zeitpunkt des Todes ihres Ehemanns noch bestanden. Die Klägerin hat auch nicht wieder geheiratet. 49 5. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung iHv. 39,10 Euro brutto monatlich. 50 Nach § 4 Abs. 1 Halbs. 1 PV erhält die Witwe des unmittelbar Versorgungsberechtigten 50 vH der Versorgungsleistungen, die dieser im Zeitpunkt seines Todes erhalten hat. Diese belief sich auf 78,19 Euro brutto monatlich, weshalb die Hinterbliebenenversorgung 39,10 Euro brutto monatlich (78,19 Euro x 50 vH) beträgt. Für den Zeitraum vom 1. Mai 2015 bis zum 30. September 2016 (Klageantrag zu 1.) ergibt sich der geltend gemachte Betrag iHv. 664,70 Euro brutto (17 Monate x 39,10 Euro brutto). Zinsen sind ab dem 4. November 2016 zuzusprechen, da der Zinsanspruch nach § 291 Satz 1, § 288 Abs. 1 BGB ab dem Tag nach Zustellung der Klage besteht (vgl. etwa BAG 20. September 2016 – 3 AZR 411/15 – Rn. 60, BAGE 156, 196). Ab Oktober 2016 hat die Klägerin einen Anspruch auf 39,10 Euro brutto monatlich am jeweiligen Monatsende (Klageantrag zu 2.). 51 III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.              Spinner                  Wemheuer                  Günther-Gräff                                    Schmalz                  Dirk Siebels
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18.02.2020
18.02.2020 8/20 - Hinweis- und Informationspflichten des Arbeitgebers - Schadensersatz Der Arbeitgeber hat zwar keine allgemeine Pflicht, die Vermögensinteressen des Arbeitnehmers wahrzunehmen. Erteilt er jedoch Auskünfte, ohne hierzu verpflichtet zu sein, müssen diese richtig, eindeutig und vollständig sein. Andernfalls haftet der Arbeitgeber für Schäden, die der Arbeitnehmer aufgrund der fehlerhaften Auskunft erleidet. Der im Jahr 2014 in den Ruhestand getretene Kläger war bei der Beklagten beschäftigt. Vor dem Hintergrund des zu Beginn des Jahres 2003 in Kraft getretenen Tarifvertrags zur Entgeltumwandlung für Arbeitnehmer/-innen im kommunalen öffentlichen Dienst (TV-EUmw/VKA) schloss die Beklagte mit einer Pensionskasse einen Rahmenvertrag zur betrieblichen Altersversorgung. Im April 2003 nahm der Kläger an einer Betriebsversammlung teil, auf der ein Fachberater der örtlichen Sparkasse die Arbeitnehmer der Beklagten über Chancen und Möglichkeiten der Entgeltumwandlung als Vorsorge über die Pensionskasse informierte. Der Kläger schloss im September 2003 eine Entgeltumwandlungsvereinbarung mit Kapitalwahlrecht ab. Anfang 2015 ließ er sich seine Pensionskassenrente als Einmalkapitalbetrag auszahlen. Für diesen muss der Kläger aufgrund einer Gesetzesänderung im Jahr 2003 Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung entrichten. Mit seiner Klage begehrt der Kläger im Wege des Schadensersatzes die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge von der Beklagten. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe ihn vor Abschluss der Entgeltumwandlungsvereinbarung über das laufende Gesetzgebungsverfahren zur Einführung einer Beitragspflicht auch für Einmalkapitalleistungen informieren müssen. In diesem Fall hätte er eine andere Form der Altersvorsorge gewählt. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Es kann offenbleiben, ob den Arbeitgeber nach – überobligatorisch – erteilten richtigen Informationen über betriebliche Altersversorgung im Wege der Entgeltumwandlung überhaupt weitere Hinweispflichten auf bis zum Abschluss einer Entgeltumwandlungsvereinbarung erfolgende Gesetzesänderungen oder entsprechende Gesetzesvorhaben, die zulasten der Arbeitnehmer gehen, treffen. Jedenfalls setzte eine solche Verpflichtung voraus, dass der Arbeitnehmer konkret über diejenigen Sachverhalte informiert worden ist, die durch die (geplante) Gesetzesänderung zu seinen Lasten geändert wurden. Dies traf im vorliegenden Verfahren nicht zu. Auf der Betriebsversammlung ist über Beitragspflichten zur Sozialversicherung nicht unterrichtet worden. Daher konnte auch dahingestellt bleiben, ob der Beklagten das Verhalten des Fachberaters der Sparkasse zuzurechnen ist. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Februar 2020 – 3 AZR 206/18 – Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 6. Dezember 2017 – 4 Sa 852/17 –
Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 6. Dezember 2017 – 4 Sa 852/17 – aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 11. Mai 2017 – 3 Ca 177/17 – wird zurückgewiesen. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen. Leitsatz Im Bereich der betrieblichen Altersversorgung müssen Auskünfte, die ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer ohne Rechtspflicht erteilt, richtig, eindeutig und vollständig sein. Eine Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer bei einer Änderung der Sach- und Rechtslage zu unterrichten, wenn seine zuvor erteilten Auskünfte unrichtig werden, hängt davon ab, ob der Arbeitgeber aufgrund besonderer Umstände erkennen kann, dass die Richtigkeit der Auskunft auch für die Zukunft Bedeutung hat. Tatbestand 1 Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger zum Schadensersatz verpflichtet ist, weil sie ihn im Zusammenhang mit dem Abschluss einer Entgeltumwandlungsvereinbarung nicht über eine bevorstehende Gesetzesänderung hinsichtlich der Beitragspflicht zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung nach § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V informiert hat. 2 Der 1950 geborene Kläger war bei der Beklagten in der Zeit vom 1. Oktober 1983 bis zum 30. November 2014 beschäftigt. Jedenfalls seit dem Jahr 2003 lag sein Arbeitsentgelt durchgängig oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung. 3 Die Beklagte ist Mitglied in der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA). Am 18. Februar 2003 haben die VKA und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di einen „Tarifvertrag zur Entgeltumwandlung für Arbeitnehmer im kommunalen öffentlichen Dienst (TV-EUmw/VKA) geschlossen, der rückwirkend zum 1. Januar 2003 in Kraft getreten ist. § 6 TV-EUmw/VKA lautet:          „§ 6             Durchführungsweg          1Die Entgeltumwandlung im Rahmen der durch das Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vorgesehenen Durchführungswege ist vorbehaltlich der Sätze 2 und 3 bei öffentlichen Zusatzversorgungseinrichtungen durchzuführen. 2Der Arbeitgeber kann im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung nach Satz 1 auch von der Sparkassen-Finanzgruppe oder den Kommunalversicherern angebotene Durchführungswege bestimmen. 3Durch landesbezirklichen Tarifvertrag können bei Bedarf abweichende Regelungen zu den Sätzen 1 und 2 getroffen werden.“ 4 Die Beklagte schloss am 20. März 2003 mit der „neue leben Pensionsverwaltung AG“ (im Folgenden neue leben), die zur Sparkassenfinanzgruppe gehört, einen „Rahmenvertrag zur betrieblichen Altersversorgung über eine Pensionskasse bzw. eine Direktversicherung“. 5 Am 9. April 2003 führte der Betriebsrat der Beklagten eine Betriebsversammlung durch, auf der – veranlasst durch die Beklagte – ein Mitarbeiter der Sparkasse L (nunmehr Sparkasse Li; im Folgenden Sparkasse), Herr B, als „Fachberater für betriebliche Altersversorgung“ die Arbeitnehmer der Beklagten mit Hilfe von Folien über Fragen der Entgeltumwandlung und hiermit im Zusammenhang stehende steuerrechtliche Aspekte informierte. Auf dem Kopf der Folien waren die Sparkasse und die Beklagte ausgewiesen. Der Tagesordnungspunkt 2 im Einladungsschreiben zur Betriebsversammlung lautete:          „Die Sparkasse L informiert zu dem Thema:          Entgeltumwandlung über eine Pensionskasse (Betriebsrente) ‚Möglichkeit der Vorsorge und Chance der Netto-Lohnerhöhung‘.“ 6 Der Kläger nahm an der Betriebsversammlung teil. Die Beschäftigten der Beklagten hatten die Möglichkeit, sich durch Herrn B in Einzelgesprächen während ihrer Arbeitszeit weiter informieren zu lassen. 7 Am 23. September 2003 schlossen die Parteien, ohne dass der Kläger eine entsprechende Einzelberatung in Anspruch genommen hatte, eine Entgeltumwandlungsvereinbarung. Sie lautet auszugsweise:          „Vereinbarung zur Entgeltumwandlung über eine Pensionskasse          Zwischen          Stadtwerke L GmbH          nachstehend ‚Arbeitgeber‘ genannt          und Herrn S          nachstehend ‚Arbeitnehmer‘ genannt          wird in Abänderung/Ergänzung des Dienst- bzw. Arbeitsvertrages mit Wirkung ab 11.03 (MM.JJ) folgende Vereinbarung getroffen:          1.     Der Arbeitnehmer vereinbart mit dem Arbeitgeber eine Entgeltumwandlung, wonach bis auf weiteres aus seinem Gehalt ein Betrag in Höhe von 2.448,– EUR jährlich zugunsten einer betrieblichen Altersversorgung über eine Pensionskasse verwendet wird. Diese Vereinbarung bezieht sich nur auf zukünftige, noch nicht fällig gewordene Entgeltansprüche.          …                          4.     Nach den derzeit geltenden steuerrechtlichen Regelungen sind erst die späteren Versorgungsleistungen einkommensteuerpflichtig. Steuerrechtliche und beitragsrechtliche Änderungen in der Zukunft gehen nicht zu Lasten des Arbeitgebers.          …“              8 Zudem schloss die Beklagte zugunsten des Klägers als versicherter Person mit Versicherungsbeginn zum 1. Dezember 2003 mit der neue leben einen Rentenversicherungsvertrag mit Kapitalwahlrecht. 9 Am 14. November 2003 wurde das „Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ (BGBl. I S. 2190) verabschiedet, das am 1. Januar 2004 in Kraft trat. § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V erhielt folgende Fassung:          „Tritt an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung oder ist eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden, gilt ein Einhundertzwanzigstel der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, längstens jedoch für einhundertzwanzig Monate.“ 10 Die Vorgängerregelung in § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V enthielt noch nicht den Einschub „oder ist eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden“. 11 Der Kläger erhielt von der neue leben jährlich eine Mitteilung über den aktuellen Stand seiner Versorgungsanwartschaft, die ab 2009 einen Hinweis auf die Beitragspflichtigkeit von Einmalzahlungen aus einer betrieblichen Altersversorgung enthielten. Während der Laufzeit der Entgeltumwandlungsvereinbarung wandelte der Kläger insgesamt Arbeitsentgelt iHv. 30.704,00 Euro brutto um. 12 Der Kläger bezieht seit dem 1. Dezember 2014 eine Altersrente für langjährig Versicherte und Leistungen der VBL-Zusatzversorgung. Er übernahm zudem die bei der neue leben abgeschlossene Rentenversicherung und kündigte sie vorzeitig zum 31. Januar 2015. Daraufhin wurde ihm ein Kapitalbetrag iHv. 35.101,03 Euro ausgezahlt, auf den Steuern iHv. 8.362,59 Euro zu entrichten waren. 13 Mit Schreiben vom 15. März 2016 forderte die Techniker Krankenkasse (im Folgenden TK) den bei ihr versicherten Kläger auf, Sozialversicherungsbeiträge auf die erhaltene Kapitalleistung zu zahlen. Diese betrugen für das Jahr 2015 Beitragsleistungen zur Krankenversicherung iHv. monatlich 42,71 Euro zuzüglich eines Zusatzbeitrags iHv. 2,34 Euro und eines Beitrags zur Pflegeversicherung iHv. 6,87 Euro. Für das Jahr 2016 beliefen sich die monatlichen Beitragsforderungen zur Krankenversicherung auf 42,71 Euro, der Zusatzbeitrag auf 2,93 Euro und der Beitrag zur Pflegeversicherung auf 6,87 Euro. Insgesamt entrichtete der Kläger für die Jahre 2015 und 2016 Sozialversicherungsbeiträge iHv. 1.253,16 Euro. Die TK kündigte eine Beitragspflicht bis Ende Februar 2025 an. 14 Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte schulde ihm Schadensersatz, da sie ihn im Zusammenhang mit dem Abschluss der Entgeltumwandlungsvereinbarung nicht darauf hingewiesen habe, dass ab dem 1. Januar 2004 auch Einmalkapitalleistungen iSd. § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V sozialversicherungspflichtig seien. Das Gebiet der betrieblichen Altersversorgung sei so komplex, dass ein umfassender Beratungsbedarf bei den Arbeitnehmern bestehe. Dies gelte insbesondere, wenn der Arbeitgeber einen Durchführungsweg bestimme. Die Beklagte hätte ihn über die Risiken der gewählten Versorgung informieren müssen, um einen möglichen Schaden kalkulieren und ggf. von einer Entgeltumwandlung Abstand nehmen zu können. Sie hätte sich bei einer Zeitspanne von ca. einem halben Jahr zwischen der Betriebsversammlung und der Entgeltumwandlungsvereinbarung vergewissern müssen, ob die erteilten Informationen noch richtig seien. Zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung sei in Fachkreisen bekannt gewesen, dass die streitgegenständliche Gesetzesänderung komme. Die bereits im Sommer 2003 vorliegenden Hinweise auf die anstehende Beitragspflicht hätte Auswirkungen auf die Beratungspraxis hinsichtlich empfohlener Produkte haben müssen. Die Möglichkeit einer Beratung durch einen Mitarbeiter der Sparkasse entlaste sie nicht. Dieser sei als Berater im Pflichtenkreis der Beklagten tätig geworden und insoweit ihr Erfüllungsgehilfe gewesen. 15 Die Beklagte habe besonderes Vertrauen erweckt, indem sie den Eindruck vermittelt habe, es handele sich bei der von ihr vorgeschlagenen betrieblichen Altersversorgung um die günstigste Art der Umwandlung. Der Mitarbeiter der Sparkasse habe auf der Betriebsversammlung am 9. April 2003 das Finanzprodukt der neue leben als das „Highlight“ unter den Vorsorgemodellen empfohlen. 16 Die Beklagte habe möglichst viele Arbeitnehmer für eine Entgeltumwandlung gewinnen wollen, da sie so in erheblichem Umfang Sozialversicherungsbeiträge sparen konnte. Es sei unerheblich, dass es in Einzelfällen – wie er einer sei – keine Einsparungen gegeben habe, denn andernfalls entfalle eine Informationspflicht gegenüber besserverdienenden Arbeitnehmern. 17 Bei Kenntnis der bevorstehenden Gesetzesänderung hätte er statt der Entgeltumwandlungsvereinbarung eine vergleichbare private Vorsorge abgeschlossen, mit der er zu diesem Zeitpunkt noch einen besseren Zinsgewinn hätte erzielen können. Unter Berücksichtigung von Beitragssteigerungen in den Folgejahren würden auf die Einmalzahlung insgesamt Beiträge iHv. wenigstens 6.550,00 Euro entfallen. Zwar hätte er ohne Entgeltumwandlung ein höheres Arbeitsentgelt versteuern müssen. Diese Belastung wäre aber nicht messbar höher gewesen als die nachgelagert gezahlten Steuern. Da sein Einkommen deutlich oberhalb der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze gelegen habe und ab 2009 Beiträge zur betrieblichen Altersversorgung nicht mehr von der Sozialversicherungspflicht befreit gewesen seien, wären auch „Mehrbeiträge“ zu den ohnehin zu zahlenden Kranken- und Pflegeversicherungen nicht angefallen. Hilfsweise mache er die Differenz zwischen dem eingezahlten Entgelt und dem Auszahlungsbetrag abzüglich der zu leistenden Beiträge geltend. Der Schaden belaufe sich insoweit auf wenigstens 2.113,00 Euro. 18 Ihn treffe auch kein Mitverschulden. Dass die neue leben in ihren jährlichen Mitteilungen einen Hinweis auf die künftige Beitragspflicht aufgenommen habe, sei unbeachtlich. Dieser sei ohne drucktechnische Hervorhebungen im Fließtext erfolgt. Im Jahr 2009 habe er den Eintritt eines Schadens nicht mehr verhindern können. Eine Kündigung des Vertrags sei nicht möglich bzw. mit Verlusten in Höhe der nunmehr zu entrichtenden Beitragszahlungen verbunden gewesen. Das hätte auch für eine Beitragsfreistellung gegolten. 19 Der Kläger hat beantragt,          1.     die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.253,16 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. August 2016 zu zahlen und          2.     festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm den weiteren Schaden, der ihm dadurch entstanden ist, dass die Beklagte ihm bei Abschluss der Vereinbarung über die Entgeltumwandlung vom 23. September 2003 nicht über die bevorstehende Beitragspflicht von Leistungen auch von einmaligen Kapitalleistungen aus betrieblicher Altersversorgung ab dem 1. Januar 2004 aufgeklärt hat, zu ersetzen, insbesondere die von ihm ab dem 1. Januar 2017 weiterhin zu zahlenden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. 20 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. 21 Der Kläger hat erstinstanzlich der Sparkasse den Streit verkündet. Diese ist dem Rechtsstreit nicht beigetreten. 22 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung der klageabweisenden Entscheidung des Arbeitsgerichts. Der Kläger begehrt die Zurückweisung der Revision. Entscheidungsgründe 23 Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen Verletzung von Beratungs-, Hinweis- und Informationspflichten gegen die Beklagte. 24 I. Die Klage ist zulässig. Dies gilt auch für den Feststellungsantrag zu 2. 25 1. Der Klageantrag ist iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt. Der Kläger begehrt die Feststellung, die Beklagte sei im Wege des Schadensersatzes verpflichtet, ihm die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zu ersetzen, die er ab dem 1. Januar 2017 an die TK zahlen muss, weil die einmalige Kapitalleistung aus der Entgeltumwandlungsvereinbarung vom 23. September 2003 sozialversicherungspflichtig ist. 26 2. Die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO liegen vor. 27 a) Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Bei einer Klage auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftiger Schäden ist das Feststellungsinteresse grundsätzlich dann gegeben, wenn Schadensfolgen in der Zukunft möglich sind, auch wenn ihre Art, ihr Umfang und sogar ihr Eintritt noch ungewiss sind. Es muss allerdings eine gewisse Wahrscheinlichkeit für einen Schadenseintritt bestehen (vgl. BAG 28. April 2011 – 8 AZR 769/09 – Rn. 26 mwN). 28 b) Vorliegend geht es um die Frage, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz wegen einer Verletzung von Hinweis- und Informationspflichten zu leisten, weil er auf die einmalige Kapitalleistung aus der Entgeltumwandlungsvereinbarung vom 23. September 2003 Sozialversicherungsbeiträge entrichten muss. Damit geht es um die Klärung eines gegenwärtigen bzw. zukünftigen Rechtsverhältnisses. Da die TK mit dem Schreiben vom 15. März 2016 dem Kläger mitgeteilt hat, sie gehe von einer Beitragspflicht bis zum 28. Februar 2025 aus, ist der Eintritt eines möglichen Schadens hinreichend wahrscheinlich. 29 II. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Beklagte hat keine Beratungs- bzw. Hinweis- und Informationspflichten verletzt, die einen Schadensersatzanspruch des Klägers nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB begründen könnten. 30 1. Eine entsprechende Verpflichtung der Beklagten ergibt sich nicht aus dem Gesetz. Zum Zeitpunkt des Abschlusses der Entgeltumwandlungsvereinbarung des Klägers am 23. September 2003 sah das Versicherungsvertragsgesetz (VVG; ursprünglich Gesetz über den Versicherungsvertrag vom 30. Mai 1908, RGBl. S. 263, idF vom 26. November 2001, BGBl. I S. 3138; ersetzt durch Versicherungsvertragsgesetz vom 23. November 2007, BGBl. I S. 2631; zuletzt geändert durch Art. 2 Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze vom 30. November 2019, BGBl. I S. 1942) keine Beratungspflichten vor Abschluss eines Versicherungsvertrags vor. §§ 6, 6a VVG normieren sie nunmehr lediglich für den Versicherer. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG). § 10a VAG – sowohl in der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung vom 22. April 2002 (BGBl. I S. 1310) als auch in der am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen (BGBl. I S. 2631) und bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung (BGBl. I S. 3248) – sah Informationspflichten nur für den Versicherer vor. 31 Ebenso wenig fallen Auskünfte über Beitragspflichten in der Kranken- und Pflegeversicherung bei Entgeltumwandlungen unter die vom Arbeitgeber nach § 4a BetrAVG zu erteilenden Auskünfte. 32 2. Ein Anspruch des Klägers folgt auch nicht aus Tarifvertrag. Der TV-EUmw/VKA regelt keine entsprechenden Beratungs- bzw. Informations- und Hinweispflichten für die Arbeitgeber. 33 3. Schließlich kann der Kläger – entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts – seinen Anspruch nicht auf eine Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht iSv. § 241 Abs. 2 BGB stützen. 34 a) Zwar treffen den Arbeitgeber im Arbeitsverhältnis keine allgemeinen Beratungspflichten. Er ist aufgrund einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht jedoch verpflichtet, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitnehmers so zu wahren, wie dies unter Berücksichtigung der Interessen und Belange beider Vertragsparteien nach Treu und Glauben verlangt werden kann. Dies gilt auch für die Vermögensinteressen der Arbeitnehmer. Zwar hat jede Partei grundsätzlich für die Wahrnehmung ihrer Interessen selbst zu sorgen und sich Klarheit über die Folgen ihres Handelns zu verschaffen. Aus der Schutz- und Rücksichtnahmepflicht können sich gleichwohl Hinweis- und Informationspflichten des Arbeitgebers ergeben. Diese Pflichten beruhen auf den besonderen Umständen des Einzelfalls und sind das Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung (BAG 20. Juni 2017 – 3 AZR 179/16 – Rn. 86 f.). 35 b) Danach können den Arbeitgeber in folgenden Konstellationen Informations- und Hinweispflichten treffen: 36 aa) Gesteigerte Informationspflichten können den Arbeitgeber vor allem dann treffen, wenn eine nachteilige Vereinbarung – etwa über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses – auf seine Initiative und in seinem Interesse getroffen wird (vgl. BAG 15. April 2014 – 3 AZR 288/12 – Rn. 45 mwN). Denn durch das Angebot eines solchen Vertrags kann der Arbeitgeber den Eindruck erwecken, er werde auch die Interessen des Arbeitnehmers wahren und ihn nicht ohne ausreichende Aufklärung erheblichen, atypischen Versorgungsrisiken aussetzen (BAG 17. Oktober 2000 – 3 AZR 605/99 – zu II 2 a der Gründe mwN). 37 bb) Eine Hinweispflicht kann aber auch dann bestehen, wenn eine Maßnahme nicht auf einer Initiative des Arbeitgebers beruht. Die erkennbaren Informationsbedürfnisse des Arbeitnehmers einerseits und die Beratungsmöglichkeiten des Arbeitgebers andererseits sind stets zu beachten (BAG 14. Januar 2009 – 3 AZR 71/07 – Rn. 29 mwN). Wie groß das Informationsbedürfnis des Arbeitnehmers ist, hängt insbesondere von der Schwierigkeit der Rechtsmaterie sowie dem Ausmaß der drohenden Nachteile und deren Voraussehbarkeit ab. Der Arbeitgeber darf allerdings weder durch das Bestehen noch durch den Inhalt der arbeitsvertraglichen Informationspflicht überfordert werden (vgl. etwa BAG 11. Dezember 2012 – 3 AZR 611/10 – Rn. 69 mwN). Eine Auskunftspflicht besteht daher, wenn der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer über eine größere „Informationsnähe“ verfügt. Dies ist etwa der Fall, wenn der Arbeitgeber die Information besitzt oder – anders als der Arbeitnehmer, der sie benötigt – ohne Schwierigkeiten beschaffen kann. 38 cc) Erteilt schließlich der Arbeitgeber Auskünfte – ohne dass er im konkreten Fall zur Vermeidung von Rechtsnachteilen für den Arbeitnehmer gehalten ist, von sich aus geeignete Hinweise zu geben – müssen diese richtig, eindeutig und vollständig sein (vgl. etwa BAG 15. Dezember 2016 – 6 AZR 578/15 – Rn. 20). Dies gilt für den Bereich der betrieblichen Altersversorgung in besonderem Maße im Hinblick auf die finanziellen Auswirkungen auf die langfristige Lebensplanung des Arbeitnehmers, die jedenfalls ein dem Arbeitgeber offenbares Informationsinteresse begründen (vgl. BAG 15. Dezember 2016 – 6 AZR 578/15 – Rn. 27). Kann der Arbeitgeber aufgrund besonderer Umstände im Zeitpunkt der Erteilung der Information erkennen, dass deren Richtigkeit auch für die Zukunft Bedeutung hat, kann sich auch hieraus eine Pflicht des Arbeitgebers ergeben, den Arbeitnehmer auf Änderungen der Sach- und Rechtslage hinzuweisen, wenn diese zum Nachteil des Arbeitnehmers Auswirkungen auf die Richtigkeit der ursprünglichen Information haben. 39 c) Ausgehend von diesen Grundsätzen scheidet ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus. 40 aa) Eine Hinweis- und Informationspflicht der Beklagten ergibt sich vorliegend nicht daraus, dass eine für den Kläger nachteilige Vereinbarung auf Bestreben der Beklagten zustande gekommen ist. Der TV-EUmw/VKA eröffnet – wie § 1a BetrAVG – lediglich die Möglichkeit, Entgelt umzuwandeln. Die Entscheidung zur Vornahme einer Entgeltumwandlung obliegt daher allein dem Arbeitnehmer (zur gesetzlichen Regelung nach § 1a BetrAVG vgl. BAG 21. Januar 2014 – 3 AZR 807/11 – Rn. 20, BAGE 147, 155). Umstände, die darauf schließen lassen, die Beklagte habe besonders stark darauf hingewirkt, dass die Arbeitnehmer von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, sind weder festgestellt noch lässt sich dies dem Vortrag der Parteien entnehmen. 41 bb) Die Beklagte trifft auch unabhängig davon, auf wessen Initiative die Entgeltumwandlungsvereinbarung zustande gekommen ist, keine entsprechende Aufklärungspflicht. Sie verfügt nicht über eine größere „Informationsnähe“. Zwischen ihr und dem Kläger besteht im Hinblick auf die (geplante) Pflicht, auch auf Einmalkapitalbeiträge Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge leisten zu müssen, kein Kompetenz- und/oder Informationsgefälle, welches nach Treu und Glauben eine Aufklärung erwarten lassen könnte. Sie ergibt sich aus jedermann zugänglichen und insoweit ohne Weiteres verständlichen Gesetzesmaterialien wie etwa Bundestagsdrucksachen. Es kann deshalb vom Arbeitnehmer erwartet werden, dass er sich die Kenntnis dieser Rechtsvorschrift selbst verschafft (vgl. BAG 21. Januar 2014 – 3 AZR 807/11 – Rn. 18, BAGE 147, 155). 42 cc) Die Beklagte hat keine Pflicht verletzt, weil sie den Kläger nicht richtig unterrichtet und ihn später nicht auf die Änderung der Rechtslage hingewiesen hat. 43 (1) Auf der Betriebsversammlung am 9. April 2003 bestand kein Anlass, über eine Beitragspflicht auch für Kapitalauszahlungen im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung zu informieren. Denn nach § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V aF bestand keine Beitragspflicht, wenn Kapitalleistungen – wie im Fall des Klägers – vor Eintritt des Versorgungsfalls vereinbart wurden (vgl. BSG 30. März 1995 – 12 RK 10/94 -). 44 Solche Einmalkapitalleistungen wurden erst aufgrund einer Änderung des § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V mit Wirkung zum 1. Januar 2004 beitragspflichtig. Dies gilt danach auch, wenn der Versicherungsvertrag wie beim Kläger vorzeitig beendet und der Rückkaufswert ausgezahlt wurde (sh. BSG 25. April 2012 – B 12 KR 26/10 R -). Selbst nach dem Vorbringen des Klägers stand diese Gesetzesänderung aber erst ab Sommer 2003 und damit nach der Betriebsversammlung im April 2003 im Raum. 45 (2) Die Beklagte musste den Kläger vor dem Hintergrund der von Herrn B auf der Betriebsversammlung am 9. April 2003 erteilten Informationen auch nicht über die gesetzliche Entwicklung unterrichten. Zwar bestand spätestens mit dem am 8. September 2003 eingebrachten Gesetzentwurf von SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/DIE GRÜNEN (BT-Drs. 15/1525) – und damit vor der streitgegenständlichen Entgeltumwandlungsvereinbarung – die Möglichkeit einer entsprechenden Gesetzesänderung. Die Verpflichtung, über eine mögliche Gesetzesänderung nachträglich zu unterrichten, setzt jedoch voraus, dass sich die Gesetzesänderung bzw. das Gesetzesvorhaben gerade auf die Aspekte bezieht, die Gegenstand der ursprünglich erteilten Auskunft waren. Auf der Veranstaltung am 9. April 2003 ist über die im Zusammenhang mit der Entgeltumwandlung stehenden sozialversicherungsrechtlichen Fragen jedoch nicht informiert worden. 46 Daraus konnten die Arbeitnehmer – entgegen der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Auffassung – auch nicht berechtigt schließen, dass es hinsichtlich dieses Rechtsgebietes und der damit im Zusammenhang stehenden Fragestellungen keine Probleme geben wird bzw. ihr Auftreten eine Informationspflicht auslöst. Wenn der Arbeitgeber über sozialversicherungsrechtliche Regelungen wie die Beitragspflicht Auskunft gibt, muss er dies richtig und vollständig tun. Eine solche Information ist aber nicht automatisch Gegenstand einer Unterrichtung über etwa steuerrechtliche Gesichtspunkte. 47 Hinzu kommt, dass die vor der Gesetzesänderung bestehende Beitragsfreiheit derjenigen Kapitalleistungen, die vor Eintritt des Versicherungsfalls in Anspruch genommen wurden, eine Ausnahme von der Beitragspflicht für Rentenleistungen der betrieblichen Altersversorgung und der nach Eintritt des Versicherungsfalls geforderten Kapitalleistungen war. Über Entwicklungen, die solche speziellen Fallgestaltungen betreffen, muss der Arbeitgeber nur unterrichten, wenn er bereits zuvor über diesen Aspekt informiert hat. 48 4. Da es aus den dargelegten Gründen bereits keine Verletzung von Hinweis- und Informationspflichten gibt, konnte im Streitfall offenbleiben, ob sich die Beklagte das Verhalten des Fachberaters der Sparkasse zurechnen lassen muss, weil dieser für sie als Erfüllungsgehilfe iSv. § 278 Satz 1 BGB aufgetreten ist. Lässt ein Arbeitgeber zu, dass über Produkte eines Trägers der betrieblichen Altersversorgung im Zusammenhang mit der Entgeltumwandlung informiert wird, führt dies nicht dazu, dass die handelnden Personen seine Erfüllungsgehilfen sind. Diese werden – sofern sie in den Vertrieb des Versorgungsträgers eingebunden sind – für diesen oder aber für ein selbständiges Vermittlungsunternehmen tätig. Etwas anderes folgt vorliegend auch nicht daraus, dass Herr B auf einer Betriebsversammlung aufgetreten ist, denn diese werden nicht vom Arbeitgeber, sondern vom Betriebsrat durchgeführt (§ 43 BetrVG). 49 III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO.              Zwanziger                  Spinner                  Wemheuer                                    Schultz                  Knüttel
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20.02.2018
20.02.2018 9/18 - Hinterbliebenenversorgung - Altersabstandsklausel - Altersdiskriminierung Sieht eine Regelung in einer Versorgungsordnung vor, dass Ehegatten nur dann eine Hinterbliebenenversorgung erhalten, wenn sie nicht mehr als 15 Jahre jünger als der Versorgungsberechtigte sind, liegt darin keine gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstoßende Diskriminierung wegen des Alters. Die Klägerin ist 1968 geboren. Sie hat ihren 1950 geborenen und 2011 verstorbenen Ehemann im Jahr 1995 geheiratet. Dem verstorbenen Ehemann der Klägerin war von seinem Arbeitgeber ua. eine Hinterbliebenenversorgung zugesagt worden. Nach der Versorgungsordnung setzt der Anspruch auf Leistungen an die Ehegatten voraus, dass sie nicht mehr als 15 Jahre jünger als der Versorgungsberechtigte sind. Nach Ansicht des Dritten Senats des Bundesarbeitsgerichts ist die durch diese Al-tersabstandsklausel bewirkte unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters ge-rechtfertigt. Der Arbeitgeber, der eine Hinterbliebenenversorgung zusagt, hat ein legitimes Interesse, das hiermit verbundene finanzielle Risiko zu begrenzen. Die Altersabstandsklausel ist auch erforderlich und angemessen. Sie führt nicht zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen der versorgungsberechtigten Arbeitnehmer, die von der Klausel betroffen sind. Bei einem Altersabstand von mehr als 15 Jahren ist der gemeinsame Lebenszuschnitt der Ehepartner darauf angelegt, dass der Hinterbliebene einen Teil seines Lebens ohne den Versorgungsberechtigten verbringt. Zudem werden wegen des Altersabstands von mehr als 15 Jahren nur solche Ehegatten von dem Ausschluss erfasst, deren Altersabstand zum Ehepartener den üblichen Abstand erheblich übersteigt. Bundesarbeitsgericht Urteil vom 20. Februar 2018 – 3 AZR 43/17 – Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Köln Urteil vom 31. August 2016 – 11 Sa 81/16 –
Tenor Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 31. August 2016 – 11 Sa 81/16 – aufgehoben, soweit der Klage stattgegeben wurde. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 2. Dezember 2015 – 2 Ca 9521/14 – wird insgesamt zurückgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen. Leitsatz Eine Regelung in einer Versorgungsordnung, nach der Ehegatten, die mehr als 15 Jahre jünger als der versorgungsberechtigte Arbeitnehmer sind, von der Gewährung einer Hinterbliebenenversorgung ausgeschlossen sind, bewirkt keine unzulässige Benachteiligung wegen des Alters nach §§ 1, 3 AGG. Tatbestand 1 Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung verpflichtet ist, der Klägerin eine Ehegattenrente zu gewähren. 2 Die im August 1968 geborene Klägerin ist die Witwe des im Juli 1950 geborenen und im November 2011 verstorbenen S. Die Ehe wurde im Juli 1995 geschlossen. Der verstorbene Ehemann der Klägerin war vom 1. Oktober 1987 bis zum 30. Juni 2011 bei der P GmbH und deren Rechtsvorgängern beschäftigt. Ihm waren Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach der Versorgungsordnung vom 1. Dezember 1990 (im Folgenden VO 1990) zugesagt worden. Die VO 1990 bestimmt auszugsweise:          „§ 2 Versorgungsfall          1)     Als Eintritt des Versorgungsfalles gilt das Ausscheiden des Berechtigten aus dem Betrieb                   a)     nach Erreichen der Altersgrenze,                   …                                 d)     durch Tod.          …                 § 3 Versorgungsleistungen          1)     Nach Eintritt des Versorgungsfalles und nach Erfüllung der jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen werden als Versorgungsleistungen gewährt:                   entweder a)     Altersrenten (§ 8)                    …                                                     oder    d)     Ehegattenrenten (§ 11)          …                 § 11 Ehegattenrente          1)     Beim Tode eines Berechtigten mit Anspruch oder Anwartschaft auf Rente hat sein ihn überlebender Ehegatte Anspruch auf eine Ehegattenrente.          2)     Ein Anspruch auf Ehegattenrente setzt voraus, daß                   a)     die Ehe vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Berechtigten und                            b)     vor Austritt aus dem Betrieb geschlossen wurde und                            c)     bis zum Zeitpunkt des Todes des Berechtigten bestanden hat und                            d)     der Ehegatte nicht um mehr als 15 Jahre jünger ist als der Berechtigte.“          3 Mit Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf am Inn vom 1. November 2010 wurde über das Vermögen der P GmbH (im Folgenden Insolvenzschuldnerin) das Insolvenzverfahren eröffnet. 4 Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, der Beklagte müsse ihr ab Dezember 2011 eine Ehegattenrente zahlen. Die Altersabstandsklausel in § 11 Abs. 2 Buchst. d VO 1990 sei unwirksam. Sie bewirke eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters. 5 Die Klägerin hat – soweit für die Revision noch von Interesse – beantragt,          1.     den Beklagten zu verurteilen, an sie eine Hinterbliebenenrente iHv. 13.654,35 Euro für den Zeitraum Dezember 2011 bis einschließlich August 2016 nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 239,55 Euro ab dem 31. Dezember 2011 und sodann fortfolgend am letzten des jeweiligen Monats bis einschließlich 31. August 2016 zu zahlen;          2.     festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, an sie in seiner Eigenschaft als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung beginnend mit dem September 2016 am letzten des jeweiligen Monats eine Hinterbliebenenrente iHv. 239,55 Euro zu zahlen. 6 Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. 7 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage – soweit für die Revision noch von Interesse – stattgegeben. Mit seiner Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Klägerin begehrt die Zurückweisung der Revision. Entscheidungsgründe 8 Die Revision des Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die zulässige Klage ist unbegründet. 9 I. Die Klage ist zulässig. Dies gilt auch für den Feststellungsantrag. Der Antrag richtet sich auf die Feststellung eines Rechtsverhältnisses iSd. § 256 Abs. 1 ZPO, nämlich die Pflicht des Beklagten, an die Klägerin ab Dezember 2011 eine Ehegattenrente iHv. 239,55 Euro zu zahlen. Da der Beklagte diese Verpflichtung bestreitet, hat die Klägerin ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung. Der Vorrang der Leistungsklage greift bereits deshalb nicht, weil bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz die Zahlung einer Ehegattenrente für die Zeit ab September 2016 noch nicht fällig war. 10 II. Die Klage ist unbegründet. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin eine Ehegattenrente zu zahlen. Zwar war der verstorbene Ehemann der Klägerin bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin am 1. November 2010 Versorgungsanwärter iSd. § 7 Abs. 2 BetrAVG, da er zu diesem Zeitpunkt über eine nach § 1b Abs. 1 Satz 1 BetrAVG idF vom 10. Dezember 2007 unverfallbare Versorgungsanwartschaft auf Leistungen nach der VO 1990 und damit aus einer unmittelbaren Versorgungszusage der Insolvenzschuldnerin verfügte. Die Klägerin erfüllt jedoch wegen des Ausschlusstatbestandes nach § 11 Abs. 2 Buchst. d VO 1990 die Voraussetzungen für eine Ehegattenrente nicht. Die im August 1968 geborene Klägerin ist um mehr als 15 Jahre jünger als ihr im Juli 1950 geborener (früherer) Ehemann. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist die Regelung in § 11 Abs. 2 Buchst. d VO 1990 wirksam. 11 1. Der Ausschluss von Ehegatten, die mehr als 15 Jahre jünger als der versorgungsberechtigte Arbeitnehmer sind, von der Gewährung einer Ehegattenrente bewirkt keine unzulässige Benachteiligung wegen des Alters nach §§ 1, 3 AGG und ist damit nicht nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam (für die Zulässigkeit einer solchen Altersabstandsklausel auch: Däubler/Bertzbach/Schrader/Schubert 3. Aufl. § 2 Rn. 156a; Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 10 Rn. 159; Bauer/Krieger NZA 2016, 22, 25; Bauer/Krieger AGG 4. Aufl. § 2 Rn. 49; Höfer/Höfer BetrAVG Stand Januar 2018 Kap. 7 Rn. 117; aA: Preis BetrAV 2010, 513, 515; Preis/Temming NZA 2008, 1209, 1215; Schiek/M. Schmidt AGG § 10 Rn. 25; Meinel/Heyn/Herms AGG 2. Aufl. § 10 Rn. 69a; v. Roetteken AGG Stand Januar 2018 § 10 Rn. 448). 12 a) Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist anwendbar. 13 aa) Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gilt trotz der in § 2 Abs. 2 Satz 2 AGG enthaltenen Verweisung auf das Betriebsrentengesetz auch für die betriebliche Altersversorgung, soweit das Betriebsrentengesetz nicht vorrangige Sonderregelungen enthält (st. Rspr. seit BAG 11. Dezember 2007 – 3 AZR 249/06 – Rn. 22, BAGE 125, 133; 26. September 2017 – 3 AZR 72/16 – Rn. 30 mwN). Letzteres ist nicht der Fall. 14 bb) Der persönliche Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 AGG ebenfalls eröffnet. Zwar unterfällt die Klägerin – im Verhältnis zur Insolvenzschuldnerin – als Hinterbliebene ihres versorgungsberechtigten Ehemanns selbst nicht unmittelbar dem Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, da sie insoweit nicht zu den in § 6 Abs. 1 AGG genannten Personengruppen zählt. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist für die Beurteilung der Frage, ob eine Benachteiligung vorliegt, jedoch auf den versorgungsberechtigten Arbeitnehmer und nicht auf den Hinterbliebenen abzustellen (st. Rspr. vgl. etwa BAG 14. November 2017 – 3 AZR 781/16 – Rn. 17 ff. mwN). Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG L 303 vom 2. Dezember 2000 S. 16, im Folgenden Richtlinie 2000/78/EG; EuGH 24. November 2016 – C-443/15 – [Parris] Rn. 67). Der verstorbene Ehemann der Klägerin fiel in den persönlichen Geltungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Dieses gilt nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG auch für Personen, deren Beschäftigungsverhältnis – wie vorliegend – bereits beendet ist. 15 cc) Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist auch in zeitlicher Hinsicht anwendbar. Nach Art. 4 des Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897), das am 17. August 2006 verkündet wurde, trat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz am 18. August 2006 in Kraft. Zu diesem Zeitpunkt stand der verstorbene Ehemann der Klägerin in einem Arbeitsverhältnis und damit in einem Rechtsverhältnis mit der Insolvenzschuldnerin; damit ist die zeitliche Anwendbarkeit des Gesetzes gegeben. 16 b) § 11 Abs. 2 Buchst. d VO 1990 verstößt nicht gegen §§ 1, 3 AGG. Die durch die Regelung bewirkte unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters ist gerechtfertigt. 17 aa) Entgegen der Ansicht des Beklagten führt § 11 Abs. 2 Buchst. d VO 1990 zu einer unmittelbaren Benachteiligung wegen des Alters iSd. § 3 Abs. 1 AGG. 18 (1) Nach § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen der in § 1 AGG genannten Gründe, ua. wegen des Alters, benachteiligt werden. Unzulässig sind unmittelbare und mittelbare Benachteiligungen. Eine unmittelbare Benachteiligung ist nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG gegeben, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation. Nach § 3 Abs. 2 AGG liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. 19 (2) Die Altersabstandsklausel in § 11 Abs. 2 Buchst. d VO 1990 benachteiligt die von der Regelung erfassten Arbeitnehmer unmittelbar wegen ihres Alters (für eine unmittelbare Benachteiligung auch Preis BetrAV 2010, 513, 515; für eine lediglich mittelbare Benachteiligung dagegen: Bauer/Krieger AGG 4. Aufl. § 2 Rn. 49; Bauer/Krieger NZA 2016, 22, 25; EuArbR/Mohr 2. Aufl. Art. 6 RL 2000/78/EG Rn. 85; Rolfs SR 2013, 41, 46; BeckOK ArbR/Roloff Stand 1. Dezember 2017 AGG § 10 Rn. 18; MüKoBGB/Thüsing 7. Aufl. § 10 AGG Rn. 62; Thüsing BetrAV 2006, 704, 706; wohl auch Meinel/Heyn/Herms AGG 2. Aufl. § 10 Rn. 69a). Die Regelung, die an den Altersabstand zwischen dem Versorgungsberechtigten und seinem Ehepartner und damit an ein Kriterium anknüpft, das in untrennbarem Zusammenhang mit dem in § 1 AGG genannten Merkmal „Alter“ steht, hat zwangsläufig zur Folge, dass nur Arbeitnehmer ab einem bestimmten Alter von § 11 Abs. 2 Buchst. d VO 1990 nachteilig betroffen sein können. Der durch die Klausel bewirkte Ausschluss von Ehegatten, die mehr als 15 Jahre jünger sind als der versorgungsberechtigte Arbeitnehmer, aus der Hinterbliebenenversorgung, kann – ausgehend von einem Ehemündigkeitsalter von 18 Jahren nach § 1303 Abs. 1 iVm. § 2 BGB – regelmäßig nur solche Arbeitnehmer erfassen, die bei Eheschließung das 33. Lebensjahr vollendet haben. Unerheblich ist, dass nicht alle (verheirateten) Arbeitnehmer dieser Altersgruppe von der Regelung nachteilig betroffen sind, sondern nur solche, deren Ehepartner um mehr als 15 Jahre jünger ist. Eine unmittelbare Benachteiligung dieser Altersgruppe entfällt nicht deshalb, weil nur ein Teil der Merkmalsträger hiervon betroffen wird. Die unmittelbare Anknüpfung einer Regelung an ein Merkmal iSd. § 1 AGG wird durch die Einschränkung des Kreises der nachteilig Betroffenen nicht beseitigt. 20 bb) Ob § 11 Abs. 2 Buchst. d VO 1990 darüber hinaus auch zu einer mittelbaren Benachteiligung von Männern und damit wegen des Geschlechts nach §§ 1, 3 Abs. 2 AGG führt, hat der Senat nicht zu prüfen. Die Klägerin hat keinen Sachvortrag dazu gehalten, dass bei der Insolvenzschuldnerin typischerweise erheblich mehr Männer jüngere Frauen geheiratet haben und damit von der Klausel nachteilig betroffen waren. 21 cc) Die durch die Altersabstandsklausel in § 11 Abs. 2 Buchst. d VO 1990 bewirkte Benachteiligung wegen des Alters ist nach § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG sachlich gerechtfertigt. 22 (1) Nach § 10 Satz 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen nach § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sein. § 10 Satz 3 AGG enthält eine Aufzählung von Tatbeständen, wonach derartige unterschiedliche Behandlungen insbesondere gerechtfertigt sein können. Nach § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG ist dies der Fall bei der Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität einschließlich der Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen im Rahmen dieser Systeme für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen von Beschäftigten und die Verwendung von Alterskriterien im Rahmen dieser Systeme für versicherungsmathematische Berechnungen. Indem der Gesetzgeber den in Nr. 4 geregelten Tatbestand in die Rechtfertigungsgründe des § 10 Satz 3 AGG eingeordnet hat, hat er zum Ausdruck gebracht, dass die Festsetzung von Altersgrenzen für den Anspruch auf Leistungen aus den dort aufgeführten betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit grundsätzlich objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel iSv. § 10 Satz 1 AGG gerechtfertigt ist. Da eine solche Altersgrenze in der jeweiligen Versorgungsregelung festzusetzen ist, muss die konkret gewählte Altersgrenze allerdings iSv. § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sein (st. Rspr. vgl. etwa BAG 4. August 2015 – 3 AZR 137/13 – Rn. 43, BAGE 152, 164; 9. Dezember 2014 – 1 AZR 102/13 – Rn. 25, BAGE 150, 136; 18. März 2014 – 3 AZR 69/12 – Rn. 20, BAGE 147, 279; 12. November 2013 – 3 AZR 356/12 – Rn. 22 mwN). Soweit die Voraussetzungen von § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG erfüllt sind, ist eine unterschiedliche Behandlung danach zwar grundsätzlich, aber nicht immer zulässig (BAG 26. September 2017 – 3 AZR 72/16 – Rn. 38). 23 (2) § 10 AGG dient der Umsetzung von Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG L 303 vom 2. Dezember 2000 S. 16, im Folgenden Richtlinie 2000/78/EG) in das nationale Recht. Die Bestimmung ist mit Unionsrecht vereinbar (vgl. bereits BAG 18. März 2014 – 3 AZR 69/12 – Rn. 22 ff. mwN, BAGE 147, 279). Dies gilt auch, soweit die dortigen Anforderungen an die Zulässigkeit von Altersgrenzen iSd. § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG über das nach Unionsrecht Erforderliche hinausgehen (vgl. dazu ausführlich BAG 26. September 2017 – 3 AZR 72/16 – Rn. 40 ff.). 24 (3) Es kann dahinstehen, ob es sich bei der Altersabstandsklausel in § 11 Abs. 2 Buchst. d VO 1990 um eine Altersgrenze iSd. § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG handelt. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin annähme, dass der Tatbestand des § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG im Streitfall nicht erfüllt wäre, wäre die durch die Regelung bewirkte unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters nach § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG gerechtfertigt. 25 (a) Mit der Ausschlussregelung in § 11 Abs. 2 Buchst. d VO 1990 werden legitime Ziele iSd. § 10 Satz 1 AGG verfolgt. 26 (aa) Legitime Ziele iSv. § 10 Satz 1 AGG sind wegen der in Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG genannten Beispielsfälle „Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung“ sozialpolitische Ziele wie solche aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung (vgl. EuGH 13. September 2011 – C-447/09 – [Prigge] Rn. 81 mwN; vgl. auch BVerfG 24. Oktober 2011 – 1 BvR 1103/11 – Rn. 15). Auch Ziele im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik, die ein Arbeitgeber mit einer im Arbeitsvertrag vorgesehenen betrieblichen Altersversorgung anstrebt, können legitime Ziele im Sinne der unionsrechtlichen Vorgaben sein (vgl. EuGH 26. September 2013 – C-476/11 – [HK Danmark] Rn. 60 ff.). Dementsprechend sind Ziele, die im Rahmen von Anliegen der Beschäftigungspolitik und des Sozialschutzes einen Ausgleich zwischen verschiedenen beteiligten Interessen schaffen sollen, um damit der Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung zu dienen, als legitim iSv. § 10 Satz 1 AGG anzusehen. Dazu gehört auch, den unternehmerischen Belangen einer begrenz- und kalkulierbaren Belastung Rechnung zu tragen (vgl. EuGH 13. Juli 2017 – C-354/16 – [Kleinsteuber] Rn. 62 ff.). Indem § 10 AGG erlaubt, in Versorgungsordnungen die Leistungspflichten des Versorgungsschuldners zu begrenzen und damit für diesen eine verlässliche und überschaubare Kalkulationsgrundlage zu schaffen, verfolgt die gesetzliche Bestimmung das Ziel, die betriebliche Altersversorgung zu verbreiten. Es hält sich demnach im Rahmen dieses legitimen Ziels, wenn in einer Versorgungsordnung von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird (BAG 26. September 2017 – 3 AZR 72/16 – Rn. 49). 27 (bb) Das mit einer Regelung verfolgte Ziel muss dabei nicht ausdrücklich benannt werden. Auch aus dem allgemeinen Kontext der Regelung können sich Anhaltspunkte ergeben, die es ermöglichen, den Zweck der Regelung festzustellen und dadurch Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Bestimmung zu überprüfen (vgl. BAG 26. September 2017 – 3 AZR 72/16 – Rn. 50 mwN). 28 (cc) Danach ist der in § 11 Abs. 2 Buchst. d VO 1990 geregelte Ausschluss von mehr als 15 Jahre jüngeren Ehegatten von der Hinterbliebenenversorgung durch ein legitimes Ziel gedeckt. Der Ausschluss begrenzt die mit der Gewährung einer Hinterbliebenenversorgung verbundenen finanziellen Risiken. Damit dient die Regelung dem Interesse des Arbeitgebers an einer überschaubaren und kalkulierbaren Versorgungslast. Gerade bei der Hinterbliebenenversorgung hat der Arbeitgeber ein anerkennenswertes Interesse an einer solchen Begrenzung, da ein derartiges Leistungsversprechen zusätzliche Unwägbarkeiten und Risiken nicht nur in Bezug auf den Zeitpunkt des Leistungsfalls, sondern auch hinsichtlich der Dauer der Leistungserbringung mit sich bringt. 29 (b) Der Ausschluss in § 11 Abs. 2 Buchst. d VO 1990 ist auch angemessen und erforderlich iSv. § 10 Satz 2 AGG. 30 (aa) Eine Regelung, die eine Benachteiligung wegen des Alters bewirkt, ist nach § 10 Satz 2 AGG grundsätzlich angemessen, wenn sie erlaubt, das mit ihr verfolgte Ziel iSv. § 10 Satz 1 AGG zu erreichen, ohne zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen derjenigen Arbeitnehmer zu führen, die aufgrund der Klausel benachteiligt werden (vgl. EuGH 26. Februar 2015 – C-515/13 – [Ingeniørforengingen i Danmark] Rn. 25). Sie ist erforderlich iSd. § 10 Satz 2 AGG, wenn sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des angestrebten Ziels notwendig ist (vgl. EuGH 26. September 2013 – C-546/11 – [Dansk Jurist – og Økonomforbund] Rn. 59). 31 (bb) Gemessen daran ist die vorliegend streitbefangene Regelung sowohl angemessen als auch erforderlich. 32 (aaa) § 11 Abs. 2 Buchst. d VO 1990 ist durch den Ausschluss von Hinterbliebenen, die mehr als 15 Jahre jünger als der Versorgungsberechtigte sind, geeignet, das mit der Bestimmung verfolgte Ziel einer Risikobegrenzung zu erreichen. Die Regelung führt auch nicht zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der berechtigten Interessen derjenigen Arbeitnehmer, die aufgrund der Klausel benachteiligt werden. Zwar haben verheiratete Arbeitnehmer – unabhängig vom Alter ihres Ehegatten – regelmäßig ein Interesse an der Versorgung ihrer Hinterbliebenen. Auch handelt es sich bei der Hinterbliebenenversorgung um Entgelt, das die versorgungsberechtigten Arbeitnehmer als Gegenleistung für ihre im Arbeitsverhältnis erbrachte Betriebszugehörigkeit erhalten. Bei einem Altersabstand von mehr als 15 Jahren ist der – die Ehe prägende – gemeinsame Lebenszuschnitt der Ehepartner allerdings von vornherein darauf angelegt, dass der Hinterbliebene einen Teil seines Lebens ohne den Versorgungsberechtigten verbringt. Einem hohen Altersabstand innerhalb einer Ehe ist es typischerweise immanent, dass der jüngere Ehepartner einen größeren Zeitabschnitt seines Lebens ohne die an die Einkommenssituation des versorgungsberechtigten Arbeitnehmers gekoppelten Versorgungsmöglichkeiten erleben wird. Es ist daher legitim, wenn ein Arbeitgeber dieses bereits strukturell im Lebenszuschnitt des Arbeitnehmers angelegte Risiko nicht durch die Zusage einer Hinterbliebenenversorgung übernimmt. 33 Die Regelung in § 11 Abs. 2 Buchst. d VO 1990 knüpft auch hinreichend an die für eine solche Situation maßgeblichen demographischen Kriterien an. Bei mehr als 80 vH aller Ehepaare beträgt der Altersabstand weniger als sieben Jahre (vgl. Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, Haushalte und Familien, Ergebnisse des Mikrozensus 2016 S. 80). Bei einem Altersabstand von 15 Jahren und mehr zwischen dem versorgungsberechtigten Arbeitnehmer und seinem Ehegatten liegt daher ein den Ausschluss aus der Hinterbliebenenversorgung tragender Unterschied zum typischen „Normalfall“ vor. Die Bestimmung des § 11 Abs. 2 Buchst. d VO 1990 schließt nur solche Ehegatten von der Gewährung einer Ehegattenrente aus, deren Altersunterschied zum Ehepartner den üblichen Abstand in erheblichem Maße übersteigt. 34 (bbb) Der durch § 11 Abs. 2 Buchst. d VO 1990 bewirkte Anspruchsausschluss ist auch erforderlich iSv. § 10 Satz 2 AGG. Die durch die Vorschrift bewirkte Begrenzung lässt sich entgegen der Ansicht der Klägerin mit gleicher Wirksamkeit nicht durch ein milderes Mittel erreichen. Bestimmungen, die eine Staffelung oder Quotelung der Ehegattenrente für mehr als 15 Jahre jüngere Hinterbliebene, ein nach versicherungsmathematischen Grundsätzen berechnetes Abschmelzen der Ehegattenrente oder einen späteren Zahlungsbeginn vorsehen, führen nicht zu einem vollständigen Ausschluss der Hinterbliebenen von der Hinterbliebenenversorgung und sind damit nicht gleich wirksam. Auch durch eine Beschränkung der Bezugsdauer für alle Versorgungsberechtigten oder die Festlegung einer Höchstsumme für die Leistungen an die Hinterbliebenen lässt sich die durch § 11 Abs. 2 Buchst. d VO 1990 bewirkte Begrenzung der finanziellen Risiken für den Arbeitgeber nicht mit der gleichen Genauigkeit erreichen. 35 2. Die Altersabstandsklausel in § 11 Abs. 2 Buchst. d VO 1990 ist auch nicht deshalb unwirksam, weil sie die früheren Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin entgegen den Geboten von Treu und Glauben nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligt. Zwar dürfte es sich bei den Bestimmungen der VO 1990 um Allgemeine Geschäftsbedingungen iSd. § 305 Abs. 1 BGB handeln. Soweit die Klausel in § 11 Abs. 2 Buchst. d VO 1990 jedoch zu einer Benachteiligung der rechtlich anerkannten Interessen der Versorgungsberechtigten führt, ist dies durch das begründete und billigenswerte Interesse der Versorgungsschuldnerin an einer Begrenzung der Hinterbliebenenversorgung gerechtfertigt (vgl. allgemein zur unangemessenen Benachteiligung BAG 21. Februar 2017 – 3 AZR 297/15 – Rn. 35 mwN, BAGE 158, 154). Insoweit gilt im Streitfall für die Prüfung nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nichts Weitergehendes als für die vorliegende Prüfung nach § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG. 36 III. Ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht geboten. Der vorliegende Fall wirft keine entscheidungserheblichen Fragen des Unionsrechts auf. Ob eine Diskriminierung wegen des Alters iSd. Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG sachlich gerechtfertigt ist, haben die nationalen Gerichte zu prüfen (vgl. EuGH 5. März 2009 – C-388/07 – [Age Concern England] Rn. 47). 37 IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 ZPO.              Zwanziger                  Spinner                  Ahrendt                                    Hausmann                  Brunke
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19.02.2019
19.02.2019 9/19 - Verfall von Urlaubsansprüchen - Obliegenheiten des Arbeitgebers   Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub erlischt in der Regel nur dann am Ende des Kalenderjahres, wenn der Arbeitgeber ihn zuvor über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Der Beklagte beschäftigte den Kläger vom 1. August 2001 bis zum 31. Dezember 2013 als Wissenschaftler. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte der Kläger ohne Erfolg, den von ihm nicht genommenen Urlaub im Umfang von 51 Arbeitstagen aus den Jahren 2012 und 2013 mit einem Bruttobetrag iHv. 11.979,26 Euro abzugelten. Einen Antrag auf Gewährung dieses Urlaubs hatte er während des Arbeitsverhältnisses nicht gestellt. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Urlaubsanspruch des Klägers sei zwar zum Jahresende verfallen. Der Kläger habe aber Schadensersatz in Form von Ersatzurlaub verlangen können, weil der Beklagte seiner Verpflichtung, ihm von sich aus rechtzeitig Urlaub zu gewähren, nicht nachgekommen sei. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei der Ersatzurlaubsanspruch abzugelten. Die Revision des Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG sieht vor, dass Urlaub, der bis zum Jahresende nicht gewährt und genommen wird, verfällt. Das galt nach bisheriger Rechtsprechung selbst für den Fall, dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber rechtzeitig, aber erfolglos aufgefordert hatte, ihm Urlaub zu gewähren. Allerdings konnte der Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen Schadensersatz verlangen, der während des Arbeitsverhältnisses auf Gewährung von Ersatzurlaub und nach dessen Beendigung auf Abgeltung der nicht genommenen Urlaubstage gerichtet war. Diese Rechtsprechung hat der Senat weiterentwickelt und damit die Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union aufgrund der Vorabentscheidung vom 6. November 2018 (- C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften]) umgesetzt. Nach Maßgabe des § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG ist es dem Arbeitgeber vorbehalten, die zeitliche Lage des Urlaubs unter Berücksichtigung der Urlaubswünsche des Arbeitnehmers festzulegen. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts zwingt die Vorschrift den Arbeitgeber damit zwar nicht, dem Arbeitnehmer von sich aus Urlaub zu gewähren. Allerdings obliegt ihm unter Beachtung von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitzeitrichtlinie) die Initiativlast für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist der Arbeitgeber gehalten, „konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun“. Der Arbeitgeber hat klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Urlaub am Ende des Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums verfallen wird, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht nimmt. Bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 BUrlG kann der Verfall von Urlaub daher in der Regel nur eintreten, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen, und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums erlischt. Das Landesarbeitsgericht wird nach der Zurückverweisung der Sache aufzuklären haben, ob der Beklagte seinen Obliegenheiten nachgekommen ist.   Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Februar 2019 – 9 AZR 541/15 – Vorinstanz: Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 6. Mai 2015 – 8 Sa 982/14 –
Tenor 1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 6. Mai 2015 – 8 Sa 982/14 – aufgehoben. 2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Tatbestand 1 Der Kläger verlangt von dem Beklagten, 51 Urlaubstage aus den Jahren 2012 und 2013 mit einem Betrag iHv. 11.979,26 Euro abzugelten. 2 Der Beklagte beschäftigte den Kläger vom 1. August 2001 bis zum 31. Dezember 2013 aufgrund mehrerer befristeter Arbeitsverträge als Wissenschaftler am M Institut. Das Bruttomonatsentgelt des Klägers betrug zuletzt 5.089,23 Euro. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst vom 13. September 2005 (TVöD) Anwendung. Dieser bestimmt in der für den streitigen Zeitraum maßgeblichen Fassung ua.:          „§ 26           Erholungsurlaub          (1)      … 6Der Erholungsurlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und kann auch in Teilen genommen werden.          (2)      Im Übrigen gilt das Bundesurlaubsgesetz mit folgenden Maßgaben:                   a)     Im Falle der Übertragung muss der Erholungsurlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten werden. Kann der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März angetreten werden, ist er bis zum 31. Mai anzutreten.                   …“              3 Am 16. Mai 2013 sandte ein Mitarbeiter des Beklagten ua. an den Kläger eine E-Mail, in der er mitteilte, der Personalleiter des Beklagten habe ihn gebeten, alle Mitarbeiter darauf hinzuweisen, dass der „Urlaubsanspruch nach Vertragsende nicht ausgezahlt bzw. an einen neuen Arbeitgeber transferiert werden kann. Aller Urlaub, der nicht während der Vertragslaufzeit genommen wird, verfällt automatisch“. Mit Schreiben vom 23. Oktober 2013, das dem Kläger Anfang November 2013 zuging, bat der Beklagte den Kläger, seine „noch vorhandenen Urlaubstage … bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses einzubringen“. Der Beklagte erteilte dem Kläger am 15. November und 2. Dezember 2013 Urlaub. Unmittelbar vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember 2013 stand ihm noch ein Anspruch auf 51 Arbeitstage Urlaub zu. Unter dem 3. Juni 2014 verlangte der Kläger vom Beklagten ohne Erfolg, seinen noch nicht genommenen Urlaub abzugelten. 4 Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagte sei gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG zur Abgeltung des Resturlaubs verpflichtet. Der Kläger hat behauptet, wegen seiner Einbindung in mehrere Projekte sei es ihm nicht möglich gewesen, den Resturlaub vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu nehmen. 5 Der Kläger hat beantragt,          den Beklagten zu verurteilen, an ihn Urlaubsabgeltung iHv. 11.979,26 Euro zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10. Januar 2014 zu zahlen. 6 Der Beklagte hat die Abweisung der Klage mit der Begründung beantragt, der Urlaub sei mit Ablauf des 31. Dezember 2013 verfallen. Er sei nicht verpflichtet gewesen, dem Kläger unabhängig von einem entsprechenden Antrag Urlaub zu erteilen. 7 Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte sein Ziel der Klageabweisung weiter. Entscheidungsgründe 8 Die Revision des Beklagten ist begründet. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts durfte dem Kläger die begehrte Urlaubsabgeltung nicht zugesprochen werden. Auf der Grundlage der Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob dem Kläger zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch auf Urlaub im Umfang von 51 Arbeitstagen zustand, den der Beklagte mit einem Bruttobetrag iHv. 11.979,26 Euro abzugelten hat. Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben und die Sache nach § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. 9 I. Das Landesarbeitsgericht ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dem Kläger stehe gegen den Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 iVm. § 249 Abs. 1, § 251 Abs. 1 BGB zu. 10 1. Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger den erhobenen Zahlungsanspruch mit der Begründung zuerkannt, der Beklagte habe es schuldhaft unterlassen, dem Kläger vor dem Untergang des Urlaubsanspruchs von sich aus Urlaub zu gewähren. Der Beklagte sei als Arbeitgeber verpflichtet gewesen, dem Kläger rechtzeitig Urlaub unabhängig davon zu gewähren, ob der Kläger ihn dazu aufgefordert habe. Dies ergebe die Auslegung des Bundesurlaubsgesetzes im Lichte der Richtlinie 2003/88/EG. 11 2. Die Begründung des Landesarbeitsgerichts ist in zweifacher Hinsicht unzutreffend. 12 a) Der Anspruch auf Abgeltung von Ersatzurlaub richtet sich nicht nach den Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts, sondern nach den Vorgaben des § 7 Abs. 4 BUrlG. Infolge des in § 249 Abs. 1 BGB festgelegten Grundsatzes der Naturalrestitution unterliegt der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Ersatzurlaub den Modalitäten des verfallenen Urlaubs. Dies gilt sowohl für die Inanspruchnahme als auch für die Abgeltung des Ersatzurlaubs. Für eine Anwendung des § 251 Abs. 1 BGB bleibt kein Raum (vgl. BAG 16. Mai 2017 – 9 AZR 572/16 – Rn. 11 ff., BAGE 159, 106). 13 b) Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung des § 7 BUrlG, der zufolge der Arbeitgeber verpflichtet ist, einem Arbeitnehmer Urlaub zu gewähren, ohne dass er zuvor Urlaubswünsche iSd. § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG geäußert hat, ist außerdem unionsrechtlich nicht geboten. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG erlegt dem Arbeitgeber nicht die Pflicht auf, dass er einen Arbeitnehmer zwingt, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich wahrzunehmen (vgl. EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 44). 14 II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich weder aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO), noch ist die Sache zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Auf der Grundlage der Feststellungen des Landesarbeitsgerichts und des zwischen den Parteien unstreitigen Sachverhalts vermag der Senat nicht zu beurteilen, ob der dem Kläger unmittelbar vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses zustehende Urlaub mit Ablauf des 31. Dezember 2013 verfallen ist. Das Landesarbeitsgericht wird zu prüfen haben, ob der Beklagte im Vorfeld seinen Mitwirkungsobliegenheiten bei der Gewährung des Urlaubs genügt hat. 15 1. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung nach § 7 Abs. 4 BUrlG setzt voraus, dass zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein offener Urlaubsanspruch besteht, der wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Dem Kläger stand nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts unmittelbar vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch auf 51 Arbeitstage Urlaub zu. 16 2. Für den gesetzlichen Mindesturlaub iSd. §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG schreibt § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG vor, dass der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verfiel nicht genommener Urlaub unabhängig davon, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hatte, den Urlaub zu nehmen, nach § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG mit Ablauf des Urlaubsjahres, sofern kein Übertragungsgrund iSv. § 7 Abs. 3 Satz 2 und Satz 4 BUrlG gegeben war (vgl. BAG 19. Juni 2018 – 9 AZR 615/17 – Rn. 14; 13. Dezember 2016 – 9 AZR 541/15 (A) – Rn. 13). Dies galt selbst dann, wenn der Arbeitnehmer rechtzeitig vor Ablauf des Urlaubsjahres die Gewährung des Urlaubs verlangte und der Arbeitgeber den verlangten Urlaub nicht gewährte. Jedoch trat, wenn sich der Arbeitgeber mit der Urlaubsgewährung in Verzug befand, gemäß § 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 1 Satz 1, § 287 Satz 2 und § 249 Abs. 1 BGB an die Stelle des im Verzugszeitraum verfallenen Urlaubs ein Schadensersatzanspruch, der die Gewährung von Ersatzurlaub zum Inhalt hatte (vgl. BAG 16. Mai 2017 – 9 AZR 572/16 – Rn. 12, BAGE 159, 106) und – mit Ausnahme des Fristenregimes (vgl. BAG 11. April 2006 – 9 AZR 523/05 – Rn. 24) – hinsichtlich Inanspruchnahme und Abgeltung den Modalitäten des verfallenen Urlaubs unterlag (vgl. BAG 16. Mai 2017 – 9 AZR 572/16 – Rn. 13, aaO). 17 a) Nach dieser Rechtsprechung stand dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung nach § 7 Abs. 4 BUrlG nicht zu, wenn er mit dem Ende des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums ausschied und der nicht genommene Urlaub wegen Fristablaufs verfiel (vgl. BAG 12. März 2013 – 9 AZR 292/11 – Rn. 14; 7. August 2012 – 9 AZR 353/10 – Rn. 42, BAGE 142, 371). 18 b) Mit Beschluss vom 13. Dezember 2016 (- 9 AZR 541/15 (A) -) hat der Senat den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung ersucht, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG oder Art. 31 Abs. 2 GRC einer nationalen Regelung entgegenstehen, die vorsieht, dass der Arbeitnehmer Urlaub unter Angabe seiner Wünsche zu dessen zeitlicher Festlegung beantragen muss, damit der Urlaubsanspruch am Ende des Bezugszeitraums nicht ersatzlos untergeht, und die den Arbeitgeber damit nicht verpflichtet, von sich aus einseitig und für den Arbeitnehmer verbindlich die zeitliche Lage des Urlaubs innerhalb des Bezugszeitraums festzulegen. Sollte die Frage bejaht werden, hat der Senat den Gerichtshof weiter um Auskunft ersucht, ob dies auch für ein Arbeitsverhältnis zwischen Privatpersonen gilt. 19 c) Der Gerichtshof hat durch Urteil vom 6. November 2018 (- C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften]) entschieden, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der ein Arbeitnehmer, der im betreffenden Bezugszeitraum keinen Antrag auf Wahrnehmung seines Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub gestellt hat, am Ende des Bezugszeitraums die ihm gemäß diesen Bestimmungen für den Bezugszeitraum zustehenden Urlaubstage und entsprechend seinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Urlaub automatisch verliert (vgl. EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 61). 20 aa) Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG könne zwar nicht dahin gehend ausgelegt werden, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub und – im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – der an seine Stelle tretende Anspruch auf Vergütung, dem Arbeitnehmer völlig unabhängig von den Umständen erhalten bleiben müssten, die dazu geführt hätten, dass er den bezahlten Jahresurlaub nicht genommen habe (EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 30; vgl. so bereits zum Verfall des Urlaubs bei Vorliegen besonderer, dies rechtfertigender Umstände, insbesondere bei Erkrankung des Arbeitnehmers: EuGH 29. November 2017 – C-214/16 – [King] Rn. 56 ff.; 22. November 2011 – C-214/10 – [KHS] Rn. 28, 38, 44). Eine nationale Regelung wie § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG, die vorsehe, dass bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen seien, es sei denn, dass dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer vorlägen, die den Vorrang verdienten, oder dass der Urlaub grundsätzlich im Bezugsjahr zu nehmen sei, falle zwar in den Bereich der Modalitäten für die Wahrnehmung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub iSv. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG. Eine solche Regelung gehöre zu den auf die Festlegung des Urlaubs der Arbeitnehmer anwendbaren Bestimmungen und Verfahren des nationalen Rechts, deren Ziel es sei, den verschiedenen widerstreitenden Interessen Rechnung zu tragen (EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 36 f.). Die Grenzen, die von den Mitgliedstaaten bei der Festlegung dieser Modalitäten zwingend einzuhalten seien, würden jedoch verkannt, wenn die Vorschriften des nationalen Rechts dahin gehend ausgelegt würden, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch am Ende des Bezugszeitraums und entsprechend seinen Anspruch auf eine Vergütung für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Urlaub automatisch verlöre, auch wenn er nicht in die Lage versetzt wurde, den Anspruch wahrzunehmen (vgl. EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 40 ff.). 21 bb) Der Arbeitgeber kann sich nach der vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung auf den fehlenden Urlaubsantrag des Arbeitnehmers deshalb nur berufen, wenn er zuvor konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge getragen hat, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage war, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun, und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nimmt, am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen wird. Der Arbeitgeber trägt die Beweislast für die Erfüllung dieser Mitwirkungsobliegenheiten (vgl. EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 45 f.). Erbringt der Arbeitgeber den ihm insoweit obliegenden Nachweis und zeigt sich daher, dass der Arbeitnehmer seinen bezahlten Jahresurlaub aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Konsequenzen nicht genommen hat, stehen Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC dem Verlust des Urlaubsanspruchs und – bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – dem Wegfall der finanziellen Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub nicht entgegen (EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 47, 56). Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer dazu zu zwingen, diesen Anspruch tatsächlich wahrzunehmen, besteht nicht (vgl. EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 44). 22 d) Die nationalen Gerichte sind gehalten, bei der Anwendung des nationalen Rechts dieses so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen, um das in der Richtlinie festgelegte Ziel zu erreichen und damit Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen (vgl. EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 58 f.). 23 aa) Art. 267 AEUV weist dem Gerichtshof zur Verwirklichung der Verträge über die Europäische Union, der Rechtssicherheit und der Rechtsanwendungsgleichheit sowie einer einheitlichen Auslegung und Anwendung des Unionsrechts die Aufgabe der verbindlichen Auslegung der Verträge und Richtlinien zu (vgl. BAG 21. Februar 2017 – 1 ABR 62/12 – Rn. 27, BAGE 158, 121; 7. August 2012 – 9 AZR 353/10 – Rn. 26, BAGE 142, 371). Daraus folgt, dass die nationalen Gerichte die Unionsvorschrift in dieser Auslegung (grundsätzlich) auch auf andere Rechtsverhältnisse als das dem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegende anwenden können und müssen, und zwar auch auf solche, die vor Erlass der auf das Auslegungsersuchen ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs entstanden sind (BVerfG 10. Dezember 2014 – 2 BvR 1549/07 – Rn. 26). 24 bb) Allerdings unterliegt der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts Schranken. Die Pflicht zur Verwirklichung eines Richtlinienziels im Wege der Auslegung findet ihre Grenzen an dem nach innerstaatlicher Rechtstradition methodisch Erlaubten. Sie darf nicht als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem dienen. Besteht jedoch ein Auslegungsspielraum, ist das nationale Gericht verpflichtet, diesen zur Verwirklichung des Richtlinienziels bestmöglich auszuschöpfen (vgl. BVerfG 26. September 2011 – 2 BvR 2216/06, 2 BvR 469/07 – Rn. 46 f.). Ob und inwieweit das innerstaatliche Recht eine entsprechende richtlinienkonforme Auslegung zulässt, haben allein die nationalen Gerichte zu beurteilen (BVerfG 26. September 2011 – 2 BvR 2216/06, 2 BvR 469/07 – Rn. 47; 21. Februar 2017 – 1 ABR 62/12 – Rn. 29, BAGE 158, 121; 7. August 2012 – 9 AZR 353/10 – Rn. 31, BAGE 142, 371). 25 cc) Der Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 6. November 2018 ausgeführt, dass eine nationale Regelung über den Verfall des Urlaubs oder dessen finanzieller Abgeltung nicht anzuwenden sei, wenn sie nicht im Einklang mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC ausgelegt werden könne. Das nationale Gericht habe aber auch dann dafür Sorge zu tragen, dass der Arbeitnehmer, wenn der Arbeitgeber nicht nachweisen könne, dass er ihn tatsächlich in die Lage versetzt habe, den ihm nach dem Unionsrecht zustehenden bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, weder seine erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub noch – im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – den Anspruch auf finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub verliere (vgl. EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 81). Stehe dem Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit ein staatlicher Arbeitgeber gegenüber, ergebe sich dieses Ergebnis aus Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und aus Art. 31 Abs. 2 GRC. Stehe ihm ein privater Arbeitgeber gegenüber, folge dies aus Art. 31 Abs. 2 GRC (vgl. EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 63 f., 74 ff.). 26 e) Das Bundesurlaubsgesetz lässt eine richtlinienkonforme Auslegung von § 7 BUrlG zu. Danach trifft den Arbeitgeber die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG. Grundsätzlich führt erst die Erfüllung der daraus abgeleiteten Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen, zur Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung des Senats, ob und inwieweit diese Vorschrift des Bundesurlaubsgesetzes wegen Unvereinbarkeit mit Art. 31 Abs. 2 GRC unangewendet bleiben müsste (vgl. EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 69 ff.). 27 aa) Das Bundesurlaubsgesetz regelt die für die Arbeitsvertragsparteien im Zusammenhang mit der Gewährung und Inanspruchnahme von Urlaub bestehenden Mitwirkungsobliegenheiten und die Folgen deren Nichtbeachtung nicht ausdrücklich. Dies gestattet es, § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG richtlinienkonform dahin gehend auszulegen, dass der Arbeitgeber bei der ihm durch das Bundesurlaubsgesetz zugewiesenen Festlegung des Urlaubs die vom Gerichtshof aus Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG abgeleiteten Mitwirkungsobliegenheiten zu beachten hat. Der nicht erfüllte Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt in der Regel nur dann am Ende des Kalenderjahres, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Bei einem richtlinienkonformen Verständnis des § 7 Abs. 3 BUrlG ist die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers damit grundsätzlich Voraussetzung für das Eingreifen des urlaubsrechtlichen Fristenregimes. Der Senat entwickelt seine bisherige Rechtsprechung dementsprechend weiter. 28 (1) Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ist nach den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes grundsätzlich auf das Kalenderjahr als Urlaubsjahr bezogen ausgestaltet (vgl. zB §§ 1, 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG). § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG sieht vor, dass der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss. Eine Übertragung des Urlaubs auf die ersten drei Monate des nächsten Kalenderjahres ist nach § 7 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 BUrlG nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Liegen solche Gründe nicht vor, verfällt der Urlaub zum Ende eines Kalenderjahres. § 7 Abs. 3 BUrlG steht einer richtlinienkonformen Auslegung damit jedoch nicht entgegen. Die Vorschrift regelt weder die Modalitäten für die Inanspruchnahme und Gewährung des Urlaubs, noch sind dort die Voraussetzungen für den Verfall ausdrücklich festgelegt. 29 (2) Auch durch § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG wird das Verfahren der Gewährung und Inanspruchnahme von Urlaub nicht abschließend bestimmt. Die zeitliche Festlegung des Urlaubs ist nach Maßgabe dieser Bestimmung dem Arbeitgeber vorbehalten. Er gewährt den Urlaub durch eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung (vgl. BAG 10. Februar 2015 – 9 AZR 455/13 – Rn. 21 ff., BAGE 150, 355). Ein Recht des Arbeitnehmers, sich selbst zu beurlauben, besteht grundsätzlich nicht (vgl. BAG 22. Januar 1998 – 2 ABR 19/97 – zu B II 3 der Gründe). Der Arbeitgeber hat bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, dass ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten Vorrang verdienen, entgegenstehen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass neben dem Urlaubswunsch des Arbeitnehmers die Interessen der Belegschaft und die betrieblichen Belange ausreichende Berücksichtigung finden und unter Umständen betriebsverfassungs- oder personalvertretungsrechtliche Vorgaben beachtet werden, sodass der Urlaub des einzelnen Arbeitnehmers tatsächlich im laufenden Urlaubsjahr gewährt werden kann, idealerweise in dem vom Arbeitnehmer gewünschten Zeitraum (vgl. BT-Drs. IV/785 S. 3). Diese gesetzlichen Vorgaben zur „zeitlichen Festlegung des Urlaubs“ stehen einer Einbindung der unionsrechtlich gebotenen Mitwirkungsobliegenheiten in das ohnehin vom Arbeitgeber zu steuernde Verfahren der Urlaubsfestlegung nicht entgegen. 30 bb) Die unionsrechtlich gebotenen Mitwirkungshandlungen unterstützen den Sinn und Zweck der Befristungsregelung des § 7 Abs. 3 BUrlG. Die Vorschrift dient in erster Linie dem Gesundheitsschutz. Die Befristung des Urlaubsanspruchs ist ein vom deutschen Gesetzgeber gewähltes Mittel, um den Arbeitnehmer dazu anzuhalten, den Urlaubsanspruch grundsätzlich im Urlaubsjahr geltend zu machen. Dadurch soll erreicht werden, dass jeder Arbeitnehmer tatsächlich in einem einigermaßen regelmäßigen Rhythmus eine gewisse Zeit der Erholung und Entspannung erhält (vgl. BAG 7. August 2012 – 9 AZR 353/10 – Rn. 24, 39, BAGE 142, 371). Der vom Bundesurlaubsgesetz intendierte Gesundheitsschutz durch eine tatsächliche Inanspruchnahme der bezahlten Arbeitsbefreiung wird gefördert, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über den Umfang des noch bestehenden Urlaubs informiert, ihn auf die für die Urlaubsnahme maßgeblichen Fristen hinweist und ihn zudem auffordert, den Urlaub tatsächlich in Anspruch zu nehmen. In diesem Fall wird ein verständiger Arbeitnehmer seinen Urlaub typischerweise rechtzeitig vor dem Verfall beantragen. Dem steht nicht entgegen, dass § 7 Abs. 3 BUrlG auch im Interesse des Arbeitgebers ein unbegrenztes Ansammeln von Urlaubsansprüchen durch den Arbeitnehmer verhindern soll. Dieses Interesse ist nur dann schützenswert, wenn es im Einklang mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG steht (vgl. EuGH 29. November 2017 – C-214/16 – [King] Rn. 54 ff.; BAG 7. August 2012 – 9 AZR 353/10 – Rn. 26, aaO). Dies setzt regelmäßig voraus, dass der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist. 31 cc) Diese Auslegung von § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 BUrlG steht im Einklang mit § 7 Abs. 3 Satz 2 und Satz 4 BUrlG. 32 (1) Nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG ist eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Die Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr setzt voraus, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub andernfalls nach § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG erloschen wäre. Ohne eine zulässige Befristung des Urlaubsanspruchs wäre die gesetzliche Anordnung einer Übertragung des Urlaubsanspruchs in das Folgejahr bei Vorliegen besonderer Übertragungsgründe entbehrlich. Bei einer richtlinienkonformen Auslegung von § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 BUrlG ist der Anwendungsbereich von § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG deshalb grundsätzlich auf die Fälle beschränkt, in denen der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten iSv. § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG nachgekommen ist und infolgedessen der Urlaubsanspruch iSv. § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG befristet war. Hat der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt, ist der Urlaubsanspruch für das jeweilige Urlaubsjahr unabhängig vom Vorliegen eines Übertragungsgrundes regelmäßig nicht iSv. § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG an das Urlaubsjahr gebunden. Einer Übertragung auf das nächste Kalenderjahr bedarf es nicht. 33 (2) Entsprechendes gilt für die Übertragungsregelung des § 7 Abs. 3 Satz 4 BUrlG, der zufolge ein nach § 5 Abs. 1 Buchst. a BUrlG entstehender Teilurlaub auf Verlangen des Arbeitnehmers auf das nächste Kalenderjahr zu übertragen ist. Diese Bestimmung setzt ebenfalls eine (wirksame) Befristung des (Teil-)Urlaubsanspruchs voraus. Auch sie verlangt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer grundsätzlich durch Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten in die Lage versetzt hat, seinen (Teil-)Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen, damit der Arbeitnehmer durch ein entsprechendes Verlangen den andernfalls verfallenden Teilurlaub auf das nächste Kalenderjahr übertragen kann. 34 3. Die dargestellten Grundsätze gelten auch für den tariflichen Mehrurlaub. Im Hinblick auf die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers haben die Tarifvertragsparteien des TVöD den tariflichen Mehrurlaub nicht abweichend von den gesetzlichen Vorgaben geregelt. 35 a) Die unionsrechtlichen Vorgaben betreffen ausschließlich den gesetzlichen Urlaubsanspruch von vier Wochen. Die Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Ihre Regelungsmacht ist nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche erforderliche richtlinienkonforme Auslegung der §§ 1, 7 BUrlG beschränkt (vgl. BAG 5. August 2014 – 9 AZR 77/13 – Rn. 30; vgl. ferner EuGH 3. Mai 2012 – C-337/10 – [Neidel] Rn. 34 ff. mwN). 36 b) Für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, dem zufolge der tarifliche Mehrurlaub mit Ablauf des Kalenderjahres respektive am Ende des Übertragungszeitraums unabhängig von einem entsprechenden Hinweis des Arbeitgebers verfällt, müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem diesbezüglichen Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub auszugehen (vgl. zum sog. Fristenregime BAG 14. Februar 2017 – 9 AZR 386/16 – Rn. 15). 37 c) In § 26 TVöD hat ein vom Gesetzesrecht abweichender Regelungswille der Tarifvertragsparteien keinen Niederschlag gefunden. Abweichungen ergeben sich hinsichtlich des Fristenregimes (vgl. BAG 22. Mai 2012 – 9 AZR 575/10 – Rn. 11), nicht jedoch hinsichtlich der Obliegenheit des Arbeitgebers, dafür Sorge zu tragen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, den tariflichen Mehrurlaub zu nehmen. 38 III. Das Landesarbeitsgericht hat – von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent – nicht geprüft, ob der Beklagte den Kläger durch Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten in die Lage versetzt hat, seine Urlaubsansprüche aus den Jahren 2012 und 2013 tatsächlich wahrzunehmen, und hierzu keine Tatsachen festgestellt. 39 1. Im erneuten Berufungsverfahren wird das Landesarbeitsgericht zu beachten haben, dass das Klagebegehren die – vorrangig zu prüfende – Abgeltung des Primäranspruchs umfasst. Das ergibt die Auslegung der Klagebegründung. Der Kläger verlangt gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG die Abgeltung von Urlaubsansprüchen für die Jahre 2012 und 2013 unabhängig davon, ob ihm bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch Urlaub als Primär- oder Sekundäranspruch zustand (vgl. BAG 5. August 2014 – 9 AZR 77/13 – Rn. 12). Dem Kläger könnte deshalb ohne Verstoß gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Abgeltung von Primäransprüchen zugesprochen oder aberkannt werden (vgl. BAG 15. April 2015 – 4 AZR 796/13 – Rn. 21 mwN, BAGE 151, 235). 40 2. Das Landesarbeitsgericht wird erneut zu prüfen haben, ob der Urlaub des Klägers, dessen Abgeltung er begehrt, nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen ist. Dies hängt maßgeblich davon ab, ob der Beklagte seinen bei richtlinienkonformer Auslegung von § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 BUrlG gebotenen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist. Bei der erneuten Prüfung sind die folgenden allgemeinen Grundsätze zu beachten: 41 a) Der Arbeitgeber muss konkret und in völliger Transparenz dafür sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Er muss ihn – erforderlichenfalls förmlich – dazu auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub verfällt, wenn er ihn nicht nimmt (vgl. EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 45). 42 aa) Der Inhalt der in richtlinienkonformer Auslegung von § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG bestehenden Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers ergibt sich aus ihrem Zweck, zu verhindern, dass der Arbeitnehmer den Urlaubsanspruch nicht wahrnimmt, weil der Arbeitgeber ihn hierzu nicht in die Lage versetzt hat. Infolge des Fehlens konkreter gesetzlicher Vorgaben ist der Arbeitgeber grundsätzlich in der Auswahl der Mittel frei, derer er sich zur Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten bedient. Die Mittel müssen jedoch zweckentsprechend sein. Sie müssen geeignet sein, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, in Kenntnis aller relevanten Umstände frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Urlaub in Anspruch nimmt. Deshalb darf der Arbeitgeber, will er seinen Mitwirkungsobliegenheiten genügen, den Arbeitnehmer auch nicht in sonstiger Weise daran hindern, den Urlaub in Anspruch zu nehmen (vgl. EuGH 29. November 2017 – C-214/16 – [King] Rn. 39, 65). Er darf zudem weder Anreize schaffen noch den Arbeitnehmer dazu anhalten, seinen Urlaub nicht zu nehmen und dadurch – faktisch – auf ihn zu verzichten (vgl. EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 41 f.). Es ist der Eintritt einer Situation zu vermeiden, in der ein Arbeitnehmer auf Veranlassung des Arbeitgebers davon abgehalten werden kann, seine Rechte gegenüber seinem Arbeitgeber geltend zu machen. Ob der Arbeitgeber das Erforderliche getan hat, um seinen Mitwirkungsobliegenheiten zu genügen, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen. Die Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten hat der Arbeitgeber darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, weil er hieraus eine für sich günstige Rechtsfolge ableitet. 43 bb) Der Arbeitgeber muss sich bei Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten auf einen „konkret“ bezeichneten Urlaubsanspruch eines bestimmten Jahres beziehen und den Anforderungen an eine „völlige Transparenz“ genügen. Er kann seine Mitwirkungsobliegenheiten regelmäßig zum Beispiel dadurch erfüllen, dass er dem Arbeitnehmer zu Beginn des Kalenderjahres in Textform mitteilt, wie viele Arbeitstage Urlaub ihm im Kalenderjahr zustehen, ihn auffordert, seinen Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres genommen werden kann, und ihn über die Konsequenzen belehrt, die eintreten, wenn dieser den Urlaub nicht entsprechend der Aufforderung beantragt. Die Anforderungen an eine „klare“ Unterrichtung sind regelmäßig durch den Hinweis erfüllt, dass der Urlaub grundsätzlich am Ende des Kalenderjahres verfällt, wenn der Arbeitnehmer in der Lage war, seinen Urlaub im Kalenderjahr zu nehmen, er ihn aber nicht beantragt. Nimmt der Arbeitnehmer in diesem Fall seinen bezahlten Jahresurlaub nicht in Anspruch, obwohl er hierzu in der Lage war, geschieht dies aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Konsequenzen. 44 cc) Abstrakte Angaben etwa im Arbeitsvertrag, in einem Merkblatt oder in einer Kollektivvereinbarung werden den Anforderungen einer konkreten und transparenten Unterrichtung hingegen in der Regel nicht genügen. Andererseits verlangt der Zweck der vom Arbeitgeber zu beachtenden Mitwirkungsobliegenheiten grundsätzlich nicht die ständige Aktualisierung dieser Mitteilungen, etwa anlässlich jeder Änderung des Umfangs des Urlaubsanspruchs. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls. Setzt sich der Arbeitgeber in Widerspruch zu seinen Erklärungen, indem er etwa einen Urlaubsantrag aus anderen als den in § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG genannten Gründen ablehnt oder anderweitig eine Situation erzeugt, die geeignet ist, den Arbeitnehmer davon abzuhalten, seinen Urlaub zu beantragen, entfällt die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG. Dem Arbeitgeber obliegt es in diesem Fall, seine Mitwirkungshandlungen erneut vorzunehmen. 45 b) Hat der Arbeitgeber durch Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten den Urlaubsanspruch an das Urlaubsjahr gebunden und verlangt der Arbeitnehmer dennoch nicht, ihm Urlaub zu gewähren, verfällt sein Anspruch nach Maßgabe von § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG mit Ablauf des Urlaubsjahres. Liegen die Voraussetzungen einer Übertragung des Urlaubs nach § 7 Abs. 3 Satz 2 oder Satz 4 BUrlG vor, wird der Urlaub „von selbst“ auf die ersten drei Monate des Folgejahres übertragen (vgl. BAG 24. März 2009 – 9 AZR 983/07 – Rn. 52, BAGE 130, 119). Der Urlaubsanspruch kann in diesem Fall grundsätzlich nur dann mit Ablauf des Übertragungszeitraums untergehen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auffordert, seinen Urlaub noch innerhalb des Übertragungszeitraums zu nehmen, und ihn darauf hinweist, dass der Urlaubsanspruch anderenfalls erlischt. 46 c) Hat der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht entsprochen, tritt der am 31. Dezember des Urlaubsjahres nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1. Januar des Folgejahres entsteht. Dieser Teil des Urlaubsanspruchs ist gegenüber dem Teil, den der Arbeitnehmer zu Beginn des aktuellen Urlaubsjahres erworben hat, nicht privilegiert. Für ihn gelten, wie für den neu entstandenen Urlaubsanspruch, die Regelungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BUrlG. Der Arbeitgeber kann deshalb das uneingeschränkte Kumulieren von Urlaubsansprüchen aus mehreren Jahren dadurch vermeiden, dass er seine Mitwirkungsobliegenheiten für den Urlaub aus zurückliegenden Urlaubsjahren im aktuellen Urlaubsjahr nachholt. Nimmt der Arbeitnehmer in einem solchen Fall den kumulierten Urlaubsanspruch im laufenden Urlaubsjahr nicht wahr, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, verfällt der Urlaub am Ende des Kalenderjahres bzw. eines (zulässigen) Übertragungszeitraums. 47 3. Das Landesarbeitsgericht wird, nachdem es den Parteien rechtliches Gehör gewährt hat, sowohl die E-Mail vom 16. Mai 2013 als auch das Schreiben des Beklagten vom 23. Oktober 2013 im Hinblick darauf zu würdigen haben, ob diese unter Berücksichtigung der Begleitumstände den oben beschriebenen Anforderungen genügen. In diesem Zusammenhang wird es erforderlichenfalls festzustellen haben, ob die E-Mail vom 16. Mai 2013 im E-Mail-Postfach des Klägers eingegangen ist, an welchem Tag dem Kläger das Schreiben vom 23. Oktober 2013 zugegangen ist und ob – gegebenenfalls an wie vielen Tagen – es dem Kläger infolge der Einbindung in laufende Projekte des Beklagten nicht möglich war, den ihm zustehenden Resturlaub tatsächlich zu nehmen.              Kiel                  Weber                  Suckow                                    Wullhorst                  Hampel
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25.02.2020
25.02.2020 9/20 - Keine Entscheidung über Mitbestimmung des Betriebsrats bei Nutzung von Twitter durch den Arbeitgeber Der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat in einem Streitfall über das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Nutzung eines Twitter Accounts durch die Arbeitgeberseite keine Entscheidung in der Sache getroffen. Das Verfahren war von einem unternehmensübergreifend gebildeten Gesamtbetriebsrat eingeleitet worden. Der dessen Errichtung zugrunde liegende Zuordnungstarifvertrag war aus tarifrechtlichen Gründen nicht wirksam. Das Begehren des Gesamtbetriebsrats war damit bereits unzulässig. Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 25. Februar 2020 – 1 ABR 40/18 – Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamburg, Beschluss vom 13. September 2018 – 2 TaBV 5/18 –
Tenor Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 13. September 2018 – 2 TaBV 5/18 – im Umfang der Antragsstattgabe aufgehoben. Die Beschwerde des Gesamtbetriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 6. Dezember 2017 – 28 BV 6/17 – wird vollumfänglich zurückgewiesen. Entscheidungsgründe 1 A. Die Beteiligten streiten über ein Mitbestimmungsrecht eines „KinoGesamtbetriebsrats“ im Zusammenhang mit einem Twitter-Account. 2 Die Arbeitgeberin – ein Unternehmen mit dem im Handelsregister eingetragenen Gegenstand „Betrieb und die Bewirtschaftung von Filmtheatern sowie sonstigen Einrichtungen der Unterhaltungsindustrie einschließlich aller dazugehörigen betrieblichen Einrichtungen und Vorrichtungen und die Vornahme aller geschäftlichen Handlungen sowie der Erbringung aller Dienstleistungen, die hiermit im Zusammenhang stehen, entweder selbst oder durch Tochtergesellschaften“ – ist als Gesellschaft mit beschränkter Haftung durch Umwandlung im Wege des Formwechsels einer Aktiengesellschaft entstanden. Bei ihr ist auf der Grundlage eines am 11. August 2003 geschlossenen Tarifvertrags (TV) der das Verfahren einleitende „Kino-Gesamtbetriebsrat“ der Kinobetriebe ihrer Tochtergesellschaften (Kino-GBR) errichtet. 3 Der TV lautet auszugsweise:          „Zwischen          der C AG,                            als Konzernunternehmen sowie namens und          im Auftrag der in der Anlage 1 genannten Unternehmen                            und der          Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di e.V.,          Bundesvorstand – Fachbereich Medien, Kunst und          Industrie -,                                              wird folgender Tarifvertrag über die Errichtung eines Kino-Gesamtbetriebsrats in der C AG abgeschlossen:          § 1      Geltungsbereich                   1.     Dieser Tarifvertrag gilt für alle Betriebe der C AG und ihre konzernzugehörigen Tochtergesellschaften (Anlage 1).                   2.     Der Tarifvertrag erstreckt sich automatisch, ohne dass es näherer Erklärungen bedarf, auch auf Betriebe, die durch die C AG und ihre Tochtergesellschaften übernommen werden. Diese Automatik gilt jedoch nicht für die zum Zeitpunkt der Übernahme geltenden Gesamtbetriebsvereinbarungen, sofern sich aus deren Geltungsbereich nicht etwas anderes ergibt.                   3.     Die Anlage 1 wird jeweils unverzüglich aktualisiert; eine Ausfertigung wird den Tarifvertragsparteien zugestellt.                   4.     Veränderungen in der Organisationsstruktur des Konzerns, seiner Tochtergesellschaften oder Betriebe sowie Änderungen des Namens oder der Rechtsform dieser Unternehmen und Betriebe werden durch diesen Tarifvertrag nicht berührt. Diese sind unverzüglich den Tarifvertragsparteien mit der Neufassung der Anlage 1 mitzuteilen.                            Die Tarifvertragsparteien gehen davon aus, dass durch die Bildung des aus den Kinobetriebsräten zu bildenden Kino-Gesamtbetriebsrats der C AG die rechtlich verselbständigten Unternehmen keine zusätzlichen Kino-Gesamtbetriebsräte bilden werden und die Errichtung eines Konzernbetriebsrats entfällt, soweit nicht ein Konzernbetriebsrat nach nachfolgendem Absatz 6 gebildet wird.                   5.     Bilden sich Betriebsräte in konzernzugehörigen Betrieben, bei denen es sich nicht um Kinobetriebe handelt, erfolgt eine übergreifende Interessenvertretung in einem dann bei der C AG zu bildenden Konzernbetriebsrat. In diesem Konzernbetriebsrat sind der Kino-Gesamtbetriebsrat und die betriebsverfassungsrechtlichen Organe im Übrigen vertreten.          § 2      Größe des Kino-Gesamtbetriebsrats                   1.     Die Kino-Betriebsräte entsenden Vertreterinnen und Vertreter in den Kino-Gesamtbetriebsrat gemäß § 47 Abs. 2 BetrVG.          …                                   § 6      Schlussbestimmungen                   1.     Dieser Tarifvertrag tritt zum 20. August 2003 in Kraft.                   2.     Der Tarifvertrag endet durch schriftliche Kündigung mit einer Frist von 6 Monaten jeweils zur Jahresmitte oder zum Jahresende.          …                                   Anlage 1          zum Tarifvertrag über die Errichtung eines Kino-Gesamtbetriebsrates in der C AG          Folgende Unternehmen der C AG fallen unter den Geltungsbereich dieses Tarifvertrages, soweit sie Kinobetriebe unterhalten:                   •        C AG                      •        C GmbH & Co. KG                   •        H Filmtheater GmbH & Co. KG                   •        H Kinobetriebsgesellschaft mbH                   •        B Filmtheater GmbH & Co. KG                   •        C M GmbH                   •        C W GmbH                   •        C A GmbH                   •        C Filmtheater Betriebs GmbH                   •        C Filmtheater GmbH                   •        Ca Tickets & Service GmbH                   •        B Filmtheater Betriebsges. mbH“ 4 Die Anlage 1 zum TV wurde in der Folgezeit mehrfach geändert und lautet in ihrer letzten, auf Arbeitgeberseite unter der Angabe „C AG Vorstand“ unterzeichneten Fassung vom 18. Januar 2013:          „Anlage 1          zum Tarifvertrag über die Errichtung eines Kino-Gesamtbetriebsrates in der C AG vom 11. August 2003          Folgende Unternehmen der C AG fallen unter den Geltungsbereich dieses Tarifvertrages, soweit sie Kinobetriebe unterhalten:                   •        C AG                      •        C GmbH & Co. KG                   •        C Entertainment GmbH & Co. KG                   •        C Cinetainment GmbH                   •        C Movietainment GmbH                   •        C Filmtheater GmbH                   •        S Betriebs GmbH                   •        C Maxxtainment GmbH          …”     5 Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts unterhält die Arbeitgeberin bei dem Kurznachrichtendienst Twitter das Nutzerkonto @C. Diesbezüglich hat der Kino-GBR ein Mitbestimmungsrecht geltend gemacht und zuletzt sinngemäß beantragt,          1.     die Arbeitgeberin zu verpflichten, es zu unterlassen, bei der Internetplattform Twitter die Veröffentlichung der Seite https://twitter.com/c aufrechtzuerhalten, solange nicht seine Zustimmung oder eine diese ersetzende Entscheidung der Einigungsstelle vorliegt;                   hilfsweise          2.     es der Arbeitgeberin bis zu einer abweichenden Vereinbarung mit ihm oder einer seine Zustimmung ersetzenden Entscheidung der Einigungsstelle zu untersagen, den Nutzern der Internetplattform Twitter die Seite https://twitter.com/c zur Übermittlung von Informationen in Form von „Antworten“ auf Tweets der Arbeitgeberin zur Verfügung zu stellen;                   weiter hilfsweise          3.     es der Arbeitgeberin bis zu einer abweichenden Vereinbarung mit ihm oder einer seine Zustimmung ersetzenden Entscheidung der Einigungsstelle zu untersagen, den Nutzern der Internetplattform Twitter die Seite https://twitter.com/c zur Übermittlung von Informationen in Form von „Retweets“ zu Tweets der Arbeitgeberin zur Verfügung zu stellen;                   weiter hilfsweise          4.     es der Arbeitgeberin bis zu einer abweichenden Vereinbarung mit ihm oder einer seine Zustimmung ersetzenden Entscheidung der Einigungsstelle zu untersagen, den Nutzern der Internetplattform Twitter die Seite https://twitter.com/c zur Übermittlung von Informationen in Form von „Erwähnungen“ der Arbeitgeberin zur Verfügung zu stellen;          5.     der Arbeitgeberin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung gemäß Ziffer 1 ein Ordnungsgeld von bis zu 25.000,00 Euro anzudrohen. 6 Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen. 7 Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Auf die Beschwerde des Kino-GBR hat das Landesarbeitsgericht dem Hauptantrag stattgegeben, die Androhung eines Ordnungsgeldes auf bis zu 10.000,00 Euro beschränkt und die Beschwerde im Übrigen zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Arbeitgeberin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. 8 B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Beschwerde des Kino-GBR zu Unrecht ganz überwiegend entsprochen und dessen Hauptantrag stattgegeben. Das Begehren des Kino-GBR hat keinen Erfolg. 9 I. Dies folgt allerdings nicht bereits daraus, dass die vom Landesarbeitsgericht titulierte Verpflichtung nicht das Unternehmen betrifft, welches das Twitter-Nutzerkonto innehat. Der Account @C weist im Impressum einen Link mit der Weiterleitung zur Homepage „www.c.de“ aus, welche als Anbieter nicht die Arbeitgeberin, sondern die „C Entertainment GmbH & Co. KG“ bezeichnet. Hierbei handelt es sich um eine offenkundige Tatsache iSv. § 291 ZPO, die im Widerspruch steht zur Feststellung des Landesarbeitsgerichts, dass die Arbeitgeberin den Twitter-Account @C „unterhält“ (vgl. zum Fehlen der Bindung des Rechtsbeschwerdegerichts an die Tatsachenfeststellung in solch einem Fall BAG 9. Dezember 1997 – 1 AZR 319/97 – zu II 1 c der Gründe, BAGE 87, 234). Insoweit hat aber der Kino-GBR im Anhörungstermin vor dem Senat klargestellt, dass es ihm um eine Verpflichtung der Arbeitgeberin geht, das ihrem Konzern zugehörige Unternehmen – die C Entertainment GmbH & Co. KG – anzuweisen, den Account zu löschen. Entsprechend wäre auch der Entscheidungsausspruch des Beschwerdegerichts zu verstehen. 10 II. Hingegen ist der Hauptantrag bereits unzulässig, weil der Kino-GBR nicht antragsbefugt ist. Dieser ist als Gremium nicht wirksam errichtet und damit kein Träger betriebsverfassungsrechtlicher Rechte. 11 1. Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist eine Antragsbefugnis gegeben, wenn der Antragsteller durch die begehrte Entscheidung in seiner kollektivrechtlichen Rechtsposition betroffen sein kann. Das ist regelmäßig der Fall, wenn er eigene Rechte geltend macht und dies nicht von vornherein als aussichtslos erscheint. Einem nicht (mehr) existenten Gremium kommen keine betriebsverfassungsrechtlichen Rechtspositionen (mehr) zu; es mangelt ihm an der Antragsbefugnis (vgl. BAG 24. Oktober 2018 – 7 ABR 1/17 – Rn. 10). 12 2. Der Kino-GBR ist rechtlich nicht existent. 13 a) Nach seinem § 1 Nr. 1 gilt der TV „für alle Betriebe der C AG und ihre konzernzugehörigen Tochtergesellschaften (Anlage 1)“. § 1 Nr. 4 Satz 3 TV spricht explizit von einem „aus den Kinobetriebsräten zu bildenden Kino-Gesamtbetriebsrat der C AG“. In diesen entsenden „Kino-Betriebsräte“ mit bis zu drei Mitgliedern eines ihrer Mitglieder; jeder „Kino-Betriebsrat“ mit mehr als drei Mitgliedern entsendet zwei seiner Mitglieder (§ 2 Nr. 1 TV iVm. § 47 Abs. 2 BetrVG). Damit ist für die Errichtung des Kino-GBR ein unternehmensübergreifender Bezugspunkt festgelegt. 14 b) Das entspricht nicht den Vorgaben der gesetzlichen Betriebsverfassung gemäß §§ 1, 47 BetrVG. Danach kann für Betriebe verschiedener Rechtsträger kein gemeinsamer Gesamtbetriebsrat gebildet werden (ausf. BAG 13. Februar 2007 – 1 AZR 184/06 – Rn. 17 ff., BAGE 121, 168). 15 c) Die Errichtung des Kino-GBR vermag auch nicht auf § 3 Abs. 1 BetrVG iVm. den Bestimmungen des TV gestützt zu werden. 16 aa) Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, dass der die Mitbestimmung beanspruchende Kino-GBR „auf der Grundlage eines Tarifvertrags gemäß § 3 BetrVG allein für die Kinobetriebe der Tochterunternehmen der Arbeitgeberin gebildet“ ist. Allerdings hat es zu Unrecht in diesem Zusammenhang eine nähere Prüfung unterlassen. Zum einen muss ein unternehmensübergreifender Tarifvertrag zur Bildung einer vom Gesetz abweichenden Betriebsratsstruktur nach § 3 Abs. 1 BetrVG wegen § 3 Abs. 2 TVG von allen betroffenen Unternehmen geschlossen werden (vgl. BAG 13. Dezember 2016 – 1 AZR 148/15 – Rn. 14). Als ein Tarifvertrag über betriebsverfassungsrechtliche Fragen vermögen seine Rechtsnormen (nur) für (alle) Betriebe zu gelten, deren Arbeitgeber tarifgebunden sind. Zum anderen ist den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit einer vom Gesetz abweichenden Ausgestaltung der Repräsentationsstrukturen der Arbeitnehmer in der Betriebsverfassung lediglich in dem durch § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG bestimmten Umfang eröffnet (vgl. ausf. BAG 29. Juli 2009 – 7 ABR 27/08 – Rn. 22, BAGE 131, 277). Zwar können einem auf der Grundlage eines unwirksamen Tarifvertrags gewählten Betriebsrat ohne Weiteres betriebsverfassungsrechtliche Rechtspositionen zukommen, da dessen Wahl in einer organisatorischen Einheit bei einem nicht den Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 BetrVG entsprechenden Tarifvertrag wegen der Verkennung des Betriebsbegriffs nicht nichtig, sondern bloß anfechtbar ist (ausf. BAG 13. März 2013 – 7 ABR 70/11 – Rn. 17, BAGE 144, 290). Das gilt aber nicht für einen – nicht zu wählenden, sondern zu errichtenden – Gesamtbetriebsrat auf der Grundlage eines Zuordnungstarifvertrags. 17 bb) Die danach gebotene Prüfung ergibt, dass der TV mangels Gebundenheit eines von seinem Geltungsbereich erfassten Unternehmens an ihn keine Grundlage für die Bildung des Kino-GBR vermittelt. Es kann daher offenbleiben, ob er den Vorgaben des § 3 Abs. 1 BetrVG entspricht. 18 (1) Tarifgebunden ist – neben den Mitgliedern der Tarifvertragsparteien – der Arbeitgeber, der selbst Tarifvertragspartei ist (§ 3 Abs. 1 TVG). Ein Konzern scheidet als Tarifvertragspartei mangels Rechtssubjektivität aus. Die Voraussetzung einer eigenständigen Tarifgebundenheit des Arbeitgebers kann auch nicht durch die – ohnehin zusätzlich erforderliche – Erfassung durch die Geltungsbereichsbestimmung ersetzt werden. Der Abschluss eines sog. Konzerntarifvertrags durch das herrschende Unternehmen begründet eine Tarifgebundenheit ausschließlich für diese Gesellschaft selbst, nicht aber – unbeschadet der Erstreckung in einer Geltungsbereichsbestimmung – für ein nicht selbst tarifschließendes beherrschtes Unternehmen. Zwar ist der Tarifvertragsabschluss für beherrschte Unternehmen möglich, wenn diese dabei durch das herrschende Unternehmen vertreten werden. Für eine entsprechende Vollmachtserteilung bedarf es aber hinreichender Anhaltspunkte; aus der Konzernzugehörigkeit ergibt sich eine solche Vollmacht nicht (vgl. zu all dem ausf. BAG 22. November 2017 – 4 ABR 54/15 – Rn. 22; 22. Februar 2012 – 4 AZR 24/10 – Rn. 28; 7. Juli 2010 – 4 AZR 120/09 – Rn. 20 ff.; 17. Oktober 2007 – 4 AZR 1005/06 – Rn. 26 ff., BAGE 124, 240). 19 (2) Die normative Gebundenheit an tarifvertragliche Rechtsnormen kann im Übrigen nur durch einen Tarifvertrag selbst bewirkt werden. Dabei kann sich der Wille des herrschenden Unternehmens, auch im Namen konzernzugehöriger Unternehmen zu handeln, nach § 164 Abs. 1 Satz 2 BGB auch aus den Umständen ergeben, wenn sie einen einer ausdrücklichen Nennung als Tarifvertragspartei gleichwertigen Grad an Klarheit und Eindeutigkeit erreichen und in einer § 1 Abs. 2 TVG genügenden Form niedergelegt sind (vgl. BAG 13. Dezember 2016 – 1 AZR 148/15 – Rn. 16; 17. Oktober 2007 – 4 AZR 1005/06 – Rn. 26 ff., BAGE 124, 240). 20 (3) Gemessen daran ist die Errichtung des Kino-GBR unwirksam. In seiner letzten Fassung vom 18. Januar 2013 erfasst der Geltungsbereich des TV nach seinem § 1 Nr. 1 iVm. der Anlage 1 die Unternehmen („soweit sie Kinobetriebe unterhalten“): C AG, C GmbH & Co. KG, C Entertainment GmbH & Co. KG, C Cinetainment GmbH, C Movietainment GmbH, C Filmtheater GmbH, S Betriebs GmbH und C Maxxtainment GmbH. Diese Gesellschaften sind nicht sämtlich an den TV gebunden. 21 (a) Das gilt allerdings nicht für die Arbeitgeberin, bei der der Kino-GBR errichtet ist. Diese ist an den TV gebunden. Bei einer formwechselnden Umwandlung tritt keine Rechtsnachfolge ein. Die Änderung der Rechtsform berührt auch nicht die Tarifgebundenheit des Rechtsträgers; dessen Identität sichert die tarifliche Kontinuität (vgl. zB Wiedemann/Oetker TVG 8. Aufl. § 3 Rn. 203 mwN). 22 (b) Partei des TV sind daneben die in seiner Anlage 1 im Zeitpunkt seines Abschlusses am 11. August 2003 angeführten beherrschten Unternehmen. Dies sind die C GmbH & Co. KG, die H Filmtheater GmbH & Co. KG, die H Kinobetriebsgesellschaft mbH, die B Filmtheater K GmbH & Co. KG, die C M GmbH, die C W GmbH, die C A GmbH, die C Filmtheater Betriebs GmbH, die C Filmtheater GmbH, die Ca Tickets & Service GmbH und die B Filmtheater Betriebsges. mbH. Die C AG – nunmehr: C Holdings GmbH – hat den TV „namens und im Auftrag“ dieser Unternehmen geschlossen. Darin wird hinreichend deutlich, dass sie die in der damaligen Anlage 1 ausdrücklich angeführten Unternehmen beim Abschluss des TV rechtgeschäftlich vertreten hat (vgl. zu einer vergleichbaren Konstellation eines [Mantel-]Tarifvertragsabschlusses BAG 17. Oktober 2007 – 4 AZR 1005/06 – Rn. 24 ff., BAGE 124, 240). 23 (c) Die im Zeitpunkt des Tarifvertragsabschlusses in Bezug genommene Anlage 1 benennt – bis auf die ersten beiden Unternehmen (C AG und C GmbH & Co. KG) – andere Gesellschaften als die Anlage 1 zum TV idF vom 18. Januar 2013. Das ist ausweislich der jeweiligen Handelsregisterauszüge unschädlich, soweit es die C Entertainment GmbH & Co. KG, die C Cinetainment GmbH, die C Movietainment GmbH, die C Filmtheater GmbH und die S Betriebs GmbH betrifft. Letztere beiden Gesellschaften wurden als jeweils übertragende Rechtsträger mit der C Entertainment GmbH & Co. KG verschmolzen, die ihrerseits als übernehmender Rechtsträger mit der „H Kino-Betriebs-Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ verschmolzen wurde. Das begründet die Gebundenheit der C Entertainment GmbH & Co. KG an den ua. in Vertretung für die H Kinobetriebsgesellschaft mbH geschlossenen TV, denn bei einer Verschmelzung durch Aufnahme nach § 2 Nr. 1 UmwG geht ein Firmentarifvertrag wegen der vom Gesetz in § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG angeordneten Gesamtrechtsnachfolge uneingeschränkt auf den übernehmenden Rechtsträger über (ausf. dazu BAG 15. Juni 2016 – 4 AZR 805/14 – Rn. 33 mwN, BAGE 155, 280). Der übernehmende Rechtsträger tritt in bestehende Verträge ein und wird damit Partei des für den übertragenden Rechtsträger geltenden Firmentarifvertrags. Entsprechendes gilt für die C Cinetainment GmbH, mit der die den TV schließende C M GmbH verschmolzen ist, und für die C Movietainment GmbH, die als übernehmender Rechtsträger mit der den TV schließenden C A GmbH verschmolzen ist. Die in der Anlage 1 des TV idF vom 18. Januar 2013 angeführte C Maxxtainment GmbH ist hingegen nicht an den TV gebunden. Diese (oder ein Rechtsvorgänger) ist nicht Partei des TV. Selbst wenn die Anlage 1 des TV idF vom 18. Januar 2013 eine zulässige, bloß regelungstechnische Modalität des Tarifvertrags(neu)abschlusses wäre, fehlte es in dieser an hinreichend deutlichen Anhaltspunkten dafür, dass die die (geänderte) Anlage auf Arbeitgeberseite allein und ohne weiteren Zusatz unterzeichnende C AG (auch) die C Maxxtainment GmbH rechtsgeschäftlich vertreten hat. 24 III. Die Hilfsanträge fallen dem Senat nicht zur Entscheidung an. Sie stehen unter der Bedingung, dass der antragstellende Kino-GBR mit dem hauptsächlich angebrachten Begehren aus einem anderen Grund als dem des Fehlens seiner Antragsbefugnis nicht durchdringt.              Schmidt                  Ahrendt                  K. Schmidt                                     Olaf Kunz                   Dirk Pollert